Dumpfe Trommeln und berauschtes Gong

Nachdichtungen chinesischer Kriegslyrik von Klabund

Geschrieben im April 1915 – Erschienen im Elfenbein Verlag

ISBN 3-89919-006-8

Klage der Garde

General!
Wir sind des Kaisers Leiter und Sprossen!
Wir sind wie Wasser im Fluß verflossen…
Nutzlos hast du unser rotes Blut vergossen …
General!

General!
Wir sind des Kaisers Adler und Eulen!
Unsre Kinder hungern … Unsre Weiber heulen …
Unsre Knochen in fremder Erde fäulen …
General!

General!
Deine Augen sprühen Furcht und Hohn!
Unsre Mütter im Fron haben kargen Lohn …
Welche Mutter hat noch einen Sohn?
General!

Schi-king

Chinesisches Soldatenlied

Soldat, du bist mein Kamerad,
Marschierest mir zur Seite.
Der Kaiser, der befehligt uns.
Kein Mädchen mehr beseligt uns.
Soldat, du bist mein Kamerad,
Marschierest mir zur Seite.

Soldat, du bist mein Kamerad,
Wenn du das Schwert verloren,
So deck ich dich mit meinem Schild
Und bin als Bruder dir gewillt.
Soldat, du bist mein Kamerad,
Wenn du das Schwert verloren.

Soldat, du bist mein Kamerad,
Wenn unsre Knochen bleichen.
Mond fällt auf uns wie gelber Rauch,
Der Affe schreit im Bambusstrauch.
Soldat, du bist mein Kamerad,
Wenn unsre Knochen bleichen.

Schi-king

Der müde Soldat

Ein kahles Mädchen. Heckenblaßentlaubt.
Sie steht am Weg. Ich gehe weit vorbei.
So stehen alle: Reih in Reih,
Und Haupt an Haupt.
Was weiß ich noch von heiligen Gewässern
Und von des Dorfes Abendrot?
Ich bin gespickt mit tausend Messern
Und müde von dem vielen Tod.
Der Kinder Augen sind wie goldner Regen,
In ihren Händen glüht die Schale Wein.
Ich will mich unter Bäumen schlafen legen
Und kein Soldat mehr sein.

Schi-king

Epitaph auf einen Krieger

Es blühen aus dem Schnee die Anemonen.
Mit seinem Herzen spielt das Kind. Und es verweint’s.
Uns, die am Brunnenrand der Erde wohnen,
Ist Sonnenauf- und -niedergang nur eins.
Doch immer wieder quillt der Fluß vom Felsen,
Und immer wieder Mond um Frauen wirbt;
Der Herbst wird ewig seinen goldnen Kürbis wälzen,
Und ewig Grillenruf im Grase zirpt.
Es führten viele fest ihr Pferd am Zügel.
Der Ruhm der tausend Schlachten ist verweht.
Was bleibt vom Heldentum? Ein morscher Hügel,
Auf dem das Unkraut rot wie Feuer steht.

Kong-fu-tse

Tod der Jünglinge auf dem Schlachtfeld

Sie schwingen über den bestirnten Häupten
Der Lanzen tausend Sonnen jugendlich.
Die Sichelwagen rollen in bestäubten
Glanzwolken. Pfeil und Auge kreuzen sich.
Sie stoßen kurze Schwerter in die Pferde.
Am Abgrund steigen Leichen hügelan.
Der Viergespanne regellose Herde
Verbeißt sich Tier in Tier und Mann in Mann.
Und Knaben, von der Tiefe angezogen,
Fallen von Stein zu Stein. Im Bergstrom zart
Treiben die Leiber auf den weißen Wogen
Von guter Mütter schlanker Hand bewahrt.
Die betten sie im Meer an ihre Herzen,
Wenn der Gesang der Geister himmlisch braust.
Noch halten sie die Schwerter grau und erzen
In der zum letzten Kampf verkrampften Faust.

Kiü-yüan

Abschied

Unruhig scharrt das Pferd des Generals.
Unter den Säulen steht die junge Frau.
Sie reicht ihm das Gewebe eines Schals:
Purpur auf grau.
Wie viele Zärtlichkeiten hab ich drein verwoben!
Lies sie im Zelt…
Betrachtest du den vollen Mond am Himmel droben –
O denk an mich und meine kleine Welt!
O kehre nicht zu spät
An meine Brust zurück! Noch ist der Scheit entfacht.
Bedenke, wie von Nacht zu Nacht
Der volle Mond vergeht –
Und wie er endlich, einer Greisin blasse Stirn, am Himmel steht …

Waffenspruch

Wie ihr den Bogen spannt – so spannt auch eure Seele!
Besorgt, daß nicht der Pfeil zu kurz geschnitten werde…
Zielt bei Attacken auf die Pferde!
Seht, daß ihr eure Feinde lebend fangt – und lebend ihre Generäle…
Tut alles recht im Zweck, so muß es euch gelingen.
Was nützt es, tagelang im Blute waten?
Es ziele euer Ruhm: den Feind zu zwingen.
Ihr seid keine Mörder. Ihr seid Soldaten.

Tsüi-tao

Vom westlichen Fenster

An der Spitze funkelnder Soldaten zog mein
Gatte in den Krieg nach Ruhm.
Fröhlich war ich wie ein junges Mädchen, weil
ich wieder ganz mein Eigentum.
Aber wenn ich jetzt vor meinem Fenster sich
die Weiden gelber färben seh
(Grünten sie nicht, als er mich verließ?)
und ahnend Himmel sich in mir bewölkt mit Winterschnee –
Wird es ihn betrüben, fern von mir, einen Kranz
in freudelosen Nächten sich zu winden –
Statt der sanften grünen Knospen bei der Heim-
kehr den entlaubten Strauch zu finden?

Wang-tschang-li

Der weiße Storch

O unerhörte Qual des Bürgerkrieges,
In seiner Brüder Blut den Dolch zu tauchen,
Wenn ihre Städte als Ruinen rauchen.
Es droht die Nacht der Sonne selbst des Sieges.
O wann erscheint des Himmels wahrer Sohn,
Der eignen Knechtschaft Bande zu entwirren –
Daß wieder statt der Schwerter Verse klirren
Und ach der Frauen leichte Rebellion.
Dem Krater eines schwarzen Wolkenkreises
Entschwebt ein weißer Storch. Er schwebt. Er lenkt
Den Flug zu unsren Häusern. Niemand weiß es,
Auf wessen Dach er seine Flügel senkt.

Tschang-tü-tsi

Ausmarsch

Die Pferde schnauben, die Karren schrein,
Soldaten marschieren mit Pfeil und Bogen.
Väter, Mütter, Frauen, Kinder laufen zwischen ihren Reihn.
In einer dichten Staubwolke sind sie über die Brücke gezogen.
Sie zerren zitternd an den Kleidern der Soldaten, streicheln einzeln alle ihre Glieder.

Der Frauen Jammer steigt wie Nebel auf und regnet nieder.
Leute begegnen ihnen: Woher? Wohin? Wozu? Was ist aus euch geworden?
Die Soldaten knirschen: Immer marsch … auf den Marsch …
Als wir fünfzehn Jahr alt waren, zogen wir nach Norden.
Aber jetzt heißt’s: Marsch nach Westen … immer marsch …
Als man uns (einst) einberief, die schwarze Gaze unser junges Haupt umwand.
Ach, mit weißem Haupte kehrten wir zurück – und werden nun von neuem in die Schlacht gesandt.

Unersättlich ist des Kaisers Hunger nach der Macht der Welt.
Vor seiner Stirn verdampft des Volkes Odem.
Vergebens pflügen unsre Frauen das Feld.
Dornsträuche wuchern auf dem dürren Boden.
Wie fressend Feuer glüht der Krieg. Es blutet Tag und Stunde.
Der Menschen Leben gilt nicht mehr als das der Tauben oder Hunde.
Wer neigt sich noch in Ehrfurcht einem Greise zu?
Soll ich des Leides immer mehr mit meinem Pinsel malen?
Nicht mal der Winter bringt den Waffen Ruh,
Und unsre Eltern müssen Steuern zahlen …
Wenn unsre Frauen Kinder einst gebären:
O daß es keine Knaben wären!

Denn eine Tochter gibt man seinem Nachbar als ein leeres
Gefäß zur Eh‘. Ein Sohn verwest im Kriege, unbegraben …
Kaiser, sahst du im Traum den Strand des Ku-ku-noor-Meeres,
Wo die verstreuten Gebeine keine Ruhe haben?
Wo die jungen Toten die alten Toten mit ihren Schreien stören?
Himmel hängt düster, Regen sprüht kalt, Jammer rinnt vom Gestein ins Meer aus tausend Röhren.

Thu-fu

Die Maske

Du steckst die lange Nadel in die rote Seide,
So wie mein Speer die Brust des Feinds durchsticht.
Binde die Schwerter beide
An meinen Lenden fest, so wie’s Soldatenpflicht.
Ich stütze mich auf meine Lanze.
Du kniest vor mir, ordnest am Gurt des Bogens künstliches Gerät.
Nun aber zittre! flieh! sieh hier die Maske, unter der ich kämpfend tanze,
Die grausige, vor der der Feind vergeht.

Thu-fu

Der Werber

Sonne sank. Ich ging zur Ruh –
Als ein Werber schlich durchs Dorf auf feiger Lauer.
Äffisch kletterte ein altes Männchen über eines Hauses Mauer.
Eine alte Frau trat welker Stirne auf den Werber zu.
Und der Werber schrie ob der entflohenen Beute.
Und das Weib stand wie ein Stein und wüster Schrei,
Steil: Hört mich, ob Euch nicht Euer Handwerk reute!
Ich gebar drei Söhne… und der Kaiser nahm sie alle drei.
Ehegestern hat der Älteste geschrieben.
Ach, er lebt! Wie lange lebt er noch?
Seine beiden Brüder sind im Feld zur Erntezeit… geblieben,
Zogen, dumpfe Stiere, stampfend unters dunkle Joch.
Sucht, ob Ihr noch einen Mann im Hause findet!
Nur ein Enkel schleppt sich an der müden Mutter Hand.
Sie ist müde. Er hat Hunger. Und sie windet
Sich aus Ackerblumen ihrer Blöße ein Gewand.

Ich bin alt. Es klappern meine Knochen.
Doch ich will mich opfern, wenn Ihr wollt.
Reis will ich für die Soldaten kochen,
Und dem Feldherrn bin ich gerne hold. –
Eine Eule unterm Firste angte.
Schrei und Klage rauschten durch die Nacht wie Wellenschaum.
Als im Frührot ich zum Wanderstabe langte,
Saß ein altes Männchen wie ein Affe krähend auf dem Aprikosenbaum…

Thu-fu

Nachts im Zelt

Tschang-jo-hu, der edle Feldherr,
Sitzt in seinem leichten Zelte,
Biegt das Schwert mit beiden Händen
Übers Knie und sinnt und seufzt.
Und der Wind bewegt die Wand des
Zeltes, so wie Blätter rascheln
Oder wie das holde Schleifen
Eines seidenen Gewands.
Und er lauscht dem seidnen Rauschen:
»Kleine Blume, kleine Freundin –
Sieh, mein Herz schmilzt wie der Frühlings-Schnee
des Bergs und quillt dir zu …«
Und der Wind bewegt die Wand des
Zeltes, so wie Blätter rascheln
Oder wie das holde Schleifen
Eines seidenen Gewands:
»Als am abendlichen Fenster
Sonne sich in meinen Tränen
Spiegelte – da schoß am Giebel
Eine schnelle Schwalbe auf.
Und sie lieh mir ihre Flügel,
Flinker flog ich als dein Wunsch flog …
Kleiner Schwalbe, kleiner Freundin –
Gönn ihr Rast in deinem Zelt!«

Thu-fu

Die junge Soldatenfrau

Vieler Blumen Wesen ist nur Schein,
Brauchen Bäume, um sich rankend zu erheben.
Seine Tochter einem Krieger geben –
Besser wär’s ihr nie geboren sein.
Von Orangenblüten regnete das Firmament …
Unser Lager hatte Zeit nicht, zu erwarmen.
Als die Sonne sank, lag ich in deinen Armen.
Frührot sah uns schon getrennt.
Nun marschierst du durch die fremde Landschaft,
Und die gelbe Seide liegt zerknüllt.
Unsre Hochzeitsbräuche sind noch nicht erfüllt,
Und errötend tret ich unter die Verwandtschaft.
Als ich mich noch meinen Eltern weihte,
War ich Tag und Nacht der Welt verwehrt.
Stand im Dunkel, stumm in mich gekehrt,
Eine grau und goldne Trauerweide.
Ach wie gerne folgt ich deinen Schritten!
Weinen würdest du, wenn du mich sähst –
Wenn du zwischen Tod und Leben stehst:
Tausendfachen Tod hab ich erlitten.
Sollst nicht in Erinnerung versinken,
Sei als tapferer Soldat fürs Vaterland bereit!
Einsam webe ich an einem Linnenkleid,
Und ich will mir nicht mehr meine Brauen schminken.
Meine Blicke lasse ich im Winde wehen.
Vögel fliegen groß und klein:
Immer, immer fliegen sie zu zwein.
Werde ich dich wiedersehen?

Thu-fu

Sieger mit Hund und schwarzer Fahne

Sieg, Sieg darf ich in meine Haare flechten.
O fieberte nicht in der Brust die offne Wunde!
Die schwarze Fahne in der Rechten,
Gehe übers abendliche Schlachtfeld ich mit meinem Hunde.
Er bellte, wenn er einen Feind gepaßt.
Ich zeige ihm die tote Brut:
Friß ihre Leichen, wenn du Hunger hast,
Und sauf ihr Blut …
Er springt an mir empor, sein Blick sagt: Du.
Er leckt … und stillt die klaffendere Wunde.
Die schwarze Fahne in der Hand, schreit ich mit meinem Hunde
Dem kommenden, dem neuen Tage zu.

Thu-fu

Rückkehr in das Dorf Ki-ang

Die Hühner gackern. Und die Pforte klirrt.
Es naht Besuch. Ein Zug von grauen Greisen.
Sie bringen Wein. Ihr Auge ist verwirrt.
Man will dem Fremdling Gastlichkeit erweisen.
Ihr Schopf ist über eine Nacht beschneit.
Und sie jonglieren nur mit ihren Köpfen.
Seht: wie sie Unrat statt Erinnrung schöpfen!
Im Blitzstrahl zitterte die Ewigkeit.
Ich komme weit vom Tod. Die Dörfer glühten.
Am Rebstock weht des toten Winzers Wisch.
Des Krieges ungeheure Vögel brüten
Gedanken grauenvoll und mörderisch.
Uns klingt kein Ruf von den besonnten Türmern,
Die Gott auf seine vielen Hügel stellt.
Wir ringeln uns im Schlamm mit Regenwürmern,
Bis uns der Gießbach rauschend überfällt.
Ihr Guten: Dank für euren schlechten Wein!
Ich singe, weil ich eine Schwalbe sah…
Sie lauschen. Fallen leise singend ein;
Und singend sind sie der Verzweiflung nah.

Thu-fu

O mein Heimatland

Tschangan, o mein Heimatland,
Spielt man noch in dir das Spiel der Spiele?
Ach, der Kinder wurden wenig, und der Toten viele …
Im Palaste herrscht der Günstling Leid.
Eine spitze grüne Kappe trägt er –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Und ein silbergrünes Kleid.
Tschangan, o mein Heimatland,
Hoch im Norden klingen alle Felsen von Trompeten,
Und die Straßen stehn voll Kriegsgeräten.
Selbst der Bote mit der kaiserlichen Feder weilt –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Und die Stunde des Befehls enteilt.
Tschangan, o mein Heimatland,
Tiefer tauchen schon die Fische unter.
Bunter Herbst färbt mein Gewand nicht bunter …
Junger Schmetterling – auf meinen Flügeln trug –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Ich des goldnen Staubes einst genug …
Tschangan, o mein Heimatland –
Sah Soldaten durch das Osttor reiten,
Sah ein Blumenschiff im Nebel gleiten,
Und beseligt neigte ich mich einem Fächer zu –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Hinter allen Wolken leuchtest du!

Thu-fu

Ritt

Der Schimmel raucht. Wie Hunde springen braun
Wälder an mir empor. Der Tempel. Fromm
Geläut des Morgens. Schräge Sonne hängt
Wie Blendlaterne in getrübter Luft.
O welches Glück, auf einem Tier zu sein
Und Flügel haben an dem Ackergold!
Ein Pfeil. Ich falle hell. Zweibeinig steigt
Das Pferd ins Licht. In seinen leeren Augen
Steht das Entsetzen wie ein schwarzer Turm.

Krieg in der Wüste Gobi

Am Himmel die Plejaden tropfen Blut.
Blut sickert in der Wüste Gobi Sand.
Mit seiner Freundin nicht der Feldherr mehr auf weicher Matte ruht.
Sein Sichelwagen ist mit Schimmeln hell bespannt.
Von Feuer flammen alle Länder.
Eilboten jagen durch die Nacht.
In Fahnen hüllt der Mordrausch sich wie in Gewänder.
Der gelbe Sandsturm wirbelt in die Schlacht.
Fürst Lu-lans Haupt rollt unterm Schwerte.
Der Khane viele traf der Pfeil in Aug und Stirn.
Der Herbstreif fällt in der Soldaten Bärte.
Schakale beißen sich um eines Menschen Hirn.
Gleich einem Silberschwarm von Vögeln schwingend
Erreicht der Sieg den Kaiser in Stafetten.
Soldaten ziehen in die Heimat singend,
Und Frauen knien am Weg wie Statuetten.

Li-tai-pe

Die Weiße und die rote Rose

Während ich mich über meine Stickerei am Fenster bückte,
Stach mich meine Nadel in den Daumen. Weiße Rose,
Die ich stickte,
Wurde rote Rose.
In der kriegerischen Weite bei des Vaterlandes Söhnen
Weilt mein Freund, vergießt vielleicht sein Blut.
Rossehufe hör ich dröhnen.
Ist’s sein Pferd? Es ist mein Herz, das wie ein Fohlen tut.
Tränen fallen mir aus meinen Blicken
Übern Rahmen in die Stickerein.
Und ich will die Tränen in die Seide sticken,
Und sie sollen weiße Perlen sein.

Li-tai-pe

Nach der Schlacht

Ich dehne mich im edelsteinbestickten Sattel meines Feindes.
Mein braunes Pferd, jetzt sei der Heimat zugewandt!
Die Luft ruht aus in Stille vom Gekrächz der Lanzen.
Vereinzelt Pfeile noch wie Mücken summen.
Der Mond geht kalt und ruhig auf dem blassen Sand.
Von der erstürmten Festung brummen
Die dumpfe Trommel, das berauschte Gong.
In gelber Seide
Seh ich Mädchen tanzen.
Es gab ein großes Fischesterben heut im See.
Das goldne Schwert in meiner Scheide
Ist dunkelrot und klebrig wie Gelee.

Li-tai-pe

Die vier Jahreszeiten

Die holde Lo-foh im Lande Thsin
Pflückt Maulbeerblüten vor einem Wasserspiegel.
Ihre weißen Hände irren durch die grünen Zweige hin,
Auf ihrem Antlitz glüht der Sonne braunes Siegel.
Sie spricht: Die Seidenraupen haben Hunger. Ich muß eilen.
Des braucht es nicht, o Herr, daß Eure Pferde meinethalben noch länger hier verweilen.
Am Silbersee (o wär er ein Tablett, die Tafel uns zu schmücken!),
Wenn Lotosblüte ihre Hülle sprengt,
Im fünften Monat trippeln Mädchen, sie zu pflücken.
Das Ufer ist von Menge dicht gedrängt.
Mädchen und Blume scheuen leicht den Mond. Man treibt die Barken seiner Sehnsucht zu.
Am hellen Tage noch beginnt das Fest von You.
Das Mondkaninchen blinzelt müde.
Die Erde ist ein schmutziggraues Linnen.
Der Herbstwind stöhnt. Es bellt die Rüde.
In tausend Echos klingt der Klatsch der Wäscherinnen.
Wann endlich werden die Barbaren Friede geben?
Der Gatte, ferne kämpfend, seine Sohlen wieder nach der Heimat heben?

Ein Bote reitet vier Uhr früh zur Grenze.
Frauliche Finger fädeln eine kalte Nadel ein.
Die Nacht trabt wie ein Pferd. Des Frühlings Tänze!
Die kalte Schere! Und das kalte Herz! Es muß wohl Winter sein …
Der letzte Nadelstich am Kleid. Es wird dem Boten auf sein Pferd geschnürt.
Im Lande Lin-to liegt einer tot und friert.

Li-tai-pe

Schreie der Raben

Vor der Stadt, die sommerlich im gelben Staube wirbelt,
Rasten Raben abends auf den Bäumen, krächzen, schaukeln.
Junge Frau des Kriegers, die an seidnen Fäden zwirbelt,
Hört die Raben schrein und sieht, wie auf den Fenstervorhang müde sich die abendroten Strahlen legen.
Ihre Nadel sinkt; sie denkt an ihn, den ihre Wünsche wild umgaukeln.
Schweigend sucht und einsam sie ihr Bett, und ihre Tränen fallen heiß wie Sommerregen.

Li-tai-pe

Der Große Räuber

Der große Räuber bindet seinen Helm mit einem dicken Stricke fest.
Sein Säbel ist glatt wie Eis und leuchtet wie Firn.
Wenn er die harten Schenkel an den Schimmel preßt,
Stürmt übern Horizont ein schweifendes Gestirn.
Wer sich ihm stellt, muß es in zehn Sekunden büßen.
Was sind ihm hundert Meilen, die er doch in einer Nacht durchfuhr?
Er schüttelt nach dem Kampf den Staub von seinen Füßen.
Niemand weiß seinen Namen. Niemand weiß seine Spur.
Zuweilen besucht er den Prinzen Si-ling.
Er schnallt den Säbel ab und legt ihn über die Knie.
Der Prinz verehrt ihm einen geheimnisvollen Ring,
Und wie zwei beste Freunde fressen und saufen sie.
Drei Becher Wein sind wie ein Händedruck beliebt.
Viel leichter würdest du von einem Gott als ihm betrogen.
Wenn er schwitzt und der Wein seine Blicke trübt,
Fängt er Sterne wie Fliegen, umarmt einen Regenbogen.
Ein Hammer in seiner Hand genügt, ein Königreich zu retten.
Wie Donnerhall ist seines Namens Schrei.
Nach ewigen Herbsten noch fahren Kinder
entsetzt aus den Betten,
Träumen sie von Si-ling und Tschü-hai.
Um ihre Knochen schwebt des Opfers Duft.
Der Dichter ist beschämt. Die bleiche Stirn errötet.
Ruhmloser steigt er in die Gruft
Als der, der tausend Menschen tötet.

Li-tai-pe

An der Grenze

Auf den himmlischen Bergen schmolz noch nicht der Schnee.
Keine Blume sprießt aus dürrem Ried.
Hört! Der Frühling bläst das Weidenlied!
Aber keine warmen Wolken wehn.
Wenn des Morgens Gong und Trommel schallten,
Schläft man nachts im Sattel, auf des Pferdes Hals gebückt.
Schon in der Scheide ist das Schwert gezückt, Schädel zu zerspalten.

Li-tai-pe

Die junge Frau steht auf dem Warteturm

Die junge Frau steht auf dem Warteturm.
Von Jentschis Hügeln fliegt das Laub im Sturm
Wie braune Vögel. Wolken drohen dicht.
In Herbst und Regen, Blitz und Donner bricht
Bald der Barbar aus seiner Wüste vor.
Der Han-Gesandte zieht durchs rote Tor.
In tausend Schädeln kriecht der Totenwurm.
Die junge Frau steht auf dem Warteturm.

Li-tai-pe

Winterkrieg

Ich träume von dem Regenbogen
Und den Gärten meiner Heimat Thsin.
Mimosen blühen gelb. Gazellen hüpfen.
Wohl ist Krieg. Aber Krieg von Sonne warm.
Wir frieren mit den Pferden am Wege fest.
Manchem werden eiserne Beine abgeschnitten.
In den Stiefeln. Augen erfrieren wie Glas.
Wohl dem, der unterm Schneeweiß schläft, zu Tod gebräunt.
Wir Bettler. Unsre Kleider sind zerfetzt.
Fels starrt wie Eis, und Eis starrt wie Gestein.
In Spiralen dreht sich zuckend der Paß.
Hündisch klettern wir den Mond hinauf.
Wie Maulbeerborke platzt die Haut.
Unser eignes Blut rinnt aufs Schwert.
Hörner klingen in dumpfer Qual.
Süßer sang ich zur Flöte einst.
Keiner Heimkehr bin ich mir bewußt.
Ein Tiger, aufgescheucht, schlägt mit dem Schweif,
Fletscht seine Zähne, weiß wie Reif, und dunkel
Rollt sein brüllender Ruf ins Tal.
Zeige jemand sein Herz! Vogel fällt vom Baum.
Trete hervor und zeige sein Herz. Wo ist rot ein Herz?
Tannen stehn beschneit, und auf den Zweigen
Hocken wir steif und krähn im Nebel des Bluts.
O Himmel! Heiliger! Hilf, verbrenne mich!
Laß Wintergewitter grau erdonnern – und wirf
Den Blitz in die erstarrt erhobene Stirne,
Daß ich aufsteige, Feuersäule, in Nacht.

Li-tai-pe

Fluch des Krieges

Im Schnee des Tien-schan grast das dürre Roß.
Drei Heere sanken vor dem wilden Troß.
Die gelbe Wüste liegt von weißen Knochen voll.
Der Pferde Schrei wie schrille Flöte scholl.
Es schlingen Eingeweide sich von Baum zu Baum in Schnüren,
Die Raben krächzend auf die Zweige führen.
Soldaten liegen tot auf des Palastes Stufen.
Es mag der tote General die Toten rufen.
So sei verflucht der Krieg! Verflucht das Werk der Waffen!
Es hat der Weise nichts mit ihrem Wahn zu schaffen.
Er wird die Waffe nur als letzte Rettung schwingen,
Um durch den Tod der Welt das Leben zu bezwingen.

Li-tai-pe

Ode auf Nanking

Du warst im Ringe von sechs Reichen einbezogen.
Drei Becher leere ich, um diese Verse dir zu widmen.
Im Lande Thsin klingen die Gärten in leichteren Rhythmen.
Aber die Hügel spannen sich wie Regenbogen
Bunter als die Gipfel von Lo-yang.
Hier, wo das müde Gras auf den Ruinen wuchert und Libellen
Wie Schleier schwirren, türmte sich das Kaiserschloß.
Die Freundin winkte hoch vom Turm. Im Marstall wieherte das Roß.
Wo sind Burg und Kaiser, Pferd und kleine Freundin ? … ach, dahin wie Wellen
In dem großen Strom des Jang-tse-kiang …

Li-tai-pe

Das Friedensfest

Die Türme des Schlosses durchstoßen den Himmel,
Um blinkende Säulen ringeln sich Drachen.
Florhänge wallen empor, und schöner Frauen Gewimmel
Singt zur Sonne, und tönende Steine lachen.
Der Kaiser hört im Frühlingswind die zarten Noten.
Es ist das Lied: Ach irgendwann muß ja geschieden sein.
Wir fahren nach den ergrünenden Inseln auf zeltüberdachten Booten,
Kleine Wellen springen wie fliegende Fische herein.
Dreitausend Mädchen huldigen dem Herrn mit heitern Tänzen,
Mit Glockenschlag, der wie ein Schwarm von Vögeln durch die Lüfte zieht.
Palast und Erde zittern in den Grenzen.
Menschen jubeln tanzend das Friedenslied.
Die sechsunddreißig unsterblichen Kaiser lenken ihre Wolkenwagen zur Erde,
Sie locken den Gefährten, doch fester hält er nur die goldnen Zügel.
Er bleibt und will, daß China durch ihn glücklich werde.
Und als der Friedenskaiser ragt fortan sein Name steil und ewig wie ein heiliger Hügel.

Li-tai-pe

Die chinesische Sprache besteht aus lauter einsilbigen Worten, die kurz und prägnant ohne Bindung aneinander¬gereiht werden. Mond steht Berg. Glanz über Wald. Ferne Flöte. Mädchen tanzt. Gelbe Seide. Dies (etwa) ist die Fik¬tion eines chinesischen Gedichtes. Nur: dass der Reim fehlt. Die chinesischen Gedichte reimen sich. Versuch, eine Improvisation von Li-tai-pe nachzudichten:

Wolke Kleid,
Und Blume ihr Gesicht,
Wohlgerüche wehn,
Verliebter Frühling.
Wird sie auf dem Berge stehn,
Wage ich den Aufstieg nicht.
Wenn sie sich dem Monde weiht,
Bin ich weit —
Verliebter Frühling.

Eine Fülle klanglicher Assoziationen (… weiht… weit…), bildlicher (Wolke, Kleid; Blume, Gesicht), gedanklicher (wird sie auf dem Berge — eigentlich Yu-chan, einem heili¬gen Berge — stehn). Eine helle Klarheit. Eine verworrene Dunkelheit. Tag und Nacht. Das vollkommene lyrische Ge¬dicht.

Der Vokal, je nachdem er getönt ist, gibt dem chinesischen Wort den Sinn. Ein Wort kann zwanzigfach gedeutet werden. Wird das Wort geschrieben, entfaltet es sich, wie eine Blüte, noch reicher. Es gibt Schriftzeichen, die, ohne klangliche Überleitung, im chinesischen Bewusstsein farbige Begriffe hervorzaubern. Man sieht ein Zeichen — und denkt: Trauer. Armut. Heiligkeit. Skurrilität. Man setzt Zeichen zusammen. Spielerisch. Baut Mosaik: Auge… Wasser = Träne … Unendliche Möglichkeiten für den Dichter, der sein Gedicht zugleich denkt, malt, formt und singt. Alle Gedichte werden auch (nebenbei) gesungen. Nach durch Tradition vorgeschriebenen Melodien. — Die Monopodie der chinesischen Sprache erweckt (bei äußerlicher Be¬trachtung) den Eindruck der Monotonie. Die Unruhe, Beweglichkeit, Buntheit, Absonderlichkeit der chinesi¬schen Bilder, Klänge, Sinne durch deutsche Jamben, durch ungereimte Zeilen, durch wohlfeile Feilung wiederzugeben — erscheint mir als eine (unbewusste) Fälschung des chinesisch-lyrischen Charakters. — Die vorliegenden chinesischen Gedichte sind durchaus keine Übersetzungen. Sondern Nachdichtungen. Aus dem Geist heraus. Intuition. Wiederaufbau. (Manche Säulen des kleinen Tempels mussten versetzt oder umgestellt werden.) Den Übertragungen liegen hauptsächlich zugrunde: Marquis d’Hervey Saint Denys: Poesies de l’epoque des Thangs, Paris 1862; Judith Walter: Le livre de Jade (gemeinsam mit Tin-tun-ling), Paris 1867; Harlez, Bulletins de l’academie belgique royale (La poesie chinoise), Brüssel. Ergänzend wurden herangezogen: Viktor von Strauß‘ Übersetzungen des Schi-king (Heidelberg 1899); A. Forke, Blüten chinesischer Dichtung (Magdeburg 1899, zuerst im Ostasiatischen Lloyd, Shanghai); 0. Hauser: Li-tai-po (Weimar); O. Hauser, Die chinesische Dichtung (Berlin 1908); W. Grube, Geschichte der chinesischen Literatur (Leipzig 1902); Pfizmaier, Li-sao (in den Denkschriften der Wiener Akademie 1852) und sonstige Arbeiten Pfizmaiers in den Denkschriften; H. Heilmann, Chinesische Lyrik (München 1905). — Die chinesische Kriegslyrik überrascht durch die Kraft ihrer Anschauung und die Unerbittlichkeit ihrer Resignation, die sie von der meist hymnisch oder episch gearteten Kriegsdichtung aller übrigen Völker scharf unterscheidet.

Sie erscheint sachlich: und zugleich romantisch bedingt. (Vermischung des chinesischen Realismus oder Rationalismus mit Buddhismus und Laotseismus: Fleischeslust und Geisterglaube.) Flucht des Endlichen in die Unendlichkeit. In seinem Sohn allein erscheint der Mensch verewigt. In der Familie ist er unsterblich. Darum heißt Krieg für den Chinesen: fern von der Heimat sterben … unbestattet im Mondlicht verwesen … die Knochen nicht von frommer Kinder Hand gesammelt… kein Ahne sein … sterben … (aber ein Ahne ist unsterblich …)-

Die vorliegenden Gedichte sind in der Hauptsache der klassischen Epoche des Chinesentums, der Epoche der Dynas¬tie Thang (618—907 n. Chr.) entnommen, welche die beiden größten Dichter Chinas: Li-tai-pe und Thu-fu, Dichter eines Goethe und Hölderlin ebenbürtig, hervorgebracht hat. Als ihr Vorläufer ist Kiü-yüan (um 310 v. Chr.) zu betrachten. Kong-fu-tse war der Redakteur des Schi-king, des Sammelbuches chinesischer Volkslieder (um 500 v. Chr.). Die übrigen hier vertretenen Dichter gehören wie Thu-fu und Li-tai-pe der Thangperiode an.

Klabund