1919 schreibt Klabund das Gedichtwerk „Dreiklang“, das in einer ersten Auflage 1920 erscheint. Neben den Gedichten „Irene oder die Gesinnung“ (1917) war „Dreiklang“ der Ausdruck einer völlig gewandelten Gesinnung, die Krieg und Völkermord anklagten.
Silvia oder die Verheißung
Der Waldmensch
I
Ich lasse dich, Stadt, du steiles Gestirn!
Ich lasse dich, Gelächter und Glocke!
Schaufle, du schiefer Turm, dir dein eigenes Grab: mit grüner Patinaschippe
Oder neige dich über dein eigenes Geländer, von dem Ausflügler sonst in Horizonte starren
Und zerschmettre dich: Stein auf den Stein.
Oder ertränke im Fluss dich, in dessen Wogen du ruhst: ein totes Schiff,
Und die Fische nisten in deiner Glocke und auf den Heiligenbildern laichen Frösche.
Ich lasse dich, du hoher Turm, getürmte Höhe der Tiefe.
Ich lasse dich, du niedres Haus der Feuer-wehr.
Immer löschen sie den Brand, den Gott selbst entzündet, zur Mitternacht und schreien, wenn ein Engel mit goldener Fackel die Nacht durchläuft.
Am Morgen liegt er hingewürgt neben verkohltem Aas:
Gebräuntem Schwein und dampfender Stute.
Ich lasse dich, stürmisches Nacht- und Morgenmahl, wenn die Sonne den Rheinwein rot färbte
und wir unsere Herzen gegeneinanderwarfen wie Nelken.
Du, bissiger Bruder, bedeutest mir wenig mehr denn eine springende Dogge.
Sieh hier in meiner Hand die Peitsche der Qual und der Notwendigkeit, die Not zu wenden.
Einsam bin ich: ein Same unter tausend Säm- und Hämlingen.
Nicht gewinnst du mich zurück mit Schmeichelschau und offener Hand,
Darin die verzerrten Linien sich krümmen wie Würmer und deuten: Mord! Mord! Mord!
Gewürm von Lebens- und Schicksalsgeflecht! Wie Flechten über der Haut hängend: blau.
Schon himmlisch faulig oder wie die Schuppen von überreifen Fischen: glänzend.
Ihr schönen Mädchen, ich gebe euch alle eure aus Glanzpapier geschnittnen kleinen Herzen zurück: ich reisse sie aus dem Buche, darein ich sie klebte:
Nehmt sie zurück: du dies, du deines, du auch ein anderes – was tut’s, ihr merkt es nicht, wenn man eure zärtlichen Herzen vertauscht.
Eines ist wie das andere: rot, klein, und läuft schnell wie eine Dampfmaschine.
Ich nehme eine Hand für alle Hände.
Genug: sie schatte mir die Stirn in der Blendung des ersten Lichts.
Ich nehme eine Träne für verweinte Ewigkeiten.
Sie hänge in meinen Wimpern: darin sich spiegle Regenbogen, Mainacht und Tulpenmond.
II
Ist dies die Straße, die mir ihren Weg befiehlt?
Wohin läufst du, Wurm?
Häuser dunkeln und funkeln rechts und links:
Rote Laterne, schwarze Laterne, rotes Licht, schwarzes Licht.
Elektrisches Licht, Petroleumlicht, Mond und Sonne, Mond und Sonne ihr wechselt: wie Frauenangesicht und Knabenblick.
Ich brenne im Stern, ich fliesse im Strom, ihr Rinnenden, ihr Blinkenden.
Aber keiner ist mir Genosse, Gefährtin und leichte Schwalbe in den Rauchfahnen der Fabriken: schwingend, schwingend.
Ihr fliesst im Strome, der rast abwärts.
Ihr leuchtet in der Fackel, die loht, rusig, empor.
Ich aber fliesse bergauf, bergauf: vom Meere breit schwellend durch die lässigen Länder,
Durch Schlünde, durch Schluchten, bergauf, bergauf wie eine Forelle springend:
Immer höher, immer höher: nun tanzend kleiner Bach silberner Strahl,
Nun wie ein Dolch nur noch silbern in die Erde stossend: tief in die Tiefe.
Ich leuchte hinab, hinab: vom Himmel ein breiter Sternenstreif.
Sternenbanner, darin euch winken: Bär, Wassermann und Fisch, Jungfrau und Zwilling.
Der Bär brummt und frisst eure Fressgier.
Der Wassermann taucht eure Hoffart.
Der Fisch schnappt eure Hohlheit.
Die Jungfrau lacht eurer Keuschheit.
Die Zwillinge: Schulter an Schulter verachten eure Zweiheit, eure Liebe.
Denn sie ist falsch wie ein Exempel eurer Rechenkünstler –
Die schwingen den Rechen, Blume und Ähre ins eins zu harken,
Aber Blume ist Blume: und blüht.
Aber Ähre ist Ähre: und reift.
Ihr Mischlinge: eures Vater und Mutter Blutes: ihr Mischlinge: die ihr Blum und Ähre, Tier und Traum mischt wie euer falsches Blut, wie falsche Karten:
Hinab in den Strom, der euch abwärts führt in das Meer und euch ersäuft und eure Leichen gedunsen an den Strand spült.
Hinauf mit euch in das Licht der Fackel: dass ihr geringes Opfer doch verbrennt auf den Altären, dem Sternbild errichtet.
III
Ich höre den Wald am Horizont: er weint.
O winselnde Beteuerung des Baumes!
Im Blätterfall! Im Nadellaub!
Baum steht an Baum: ein Sturm- und Standbild.
Blatt sinkt neben Blatt: in brüderlicher Verwesung.
Eber schnüffeln mit rosa Rüsseln im feuchten Braun.
Ein Mutterschwein frisst Eicheln, dass die sieben Jungen genährt seien mit fetter Schweinemilch und schweinischer Verpflichtung.
Pilze streben aus Blättertod ins Kuppelleben:
Steinpilze, grünlich, Morcheln, dunkelbraun, und die getupfte Lüge des roten Fliegenpilzes.
Mäuse rascheln, Eichhörnchen eilen. Eine Natter höhnt durch den Kreis ihres Leibes und Lebens die Grade: den Baum. Den Punkt: Blattlaus am Farren, Ameisen dienstbar.
Knieholz wuchert. Eine junge Tanne denkt: ich sehe nichts als Stämme. Wo bleibt die Krone unseres Lebens? die ich, wenn klein auch, auf mir trage?
Ich muss hinauf, hinauf, die Krone in den Himmel recken.
Über der Tanne Übertanne werden.
In mir allein muss Himmel hängen,
Und Sonne muss sein: eine Frühlingsknospe an meinem Geäst.
IV
Auf Bretterpodium, flink errichtet,
Tanzt der Tänzer.
Wie rüstig stampft er das Gerüst!
Und schmeisst die Augen wie Jahrmarktsperlen unter euch.
Hei! glühen die Mädchen, glucken die Frauen.
Hei! brummen die Männer, jubelt der Jüngling.
Ihr seid für einen Tag ins Licht des halben Hofes gelassen :
Er hebt die Beine, wie ihr sie hebt, wenn ihr des Nachts zu euren Weibern euch ins Bett wälzt.
Er dreht die Arme in den Gelenken: wie ihr die Arme um eure Kinder legt.
Liebet euch knechtisch, ihr Knechte – ist sein stampfender Gesang.
V
Euch ist die Unterwerfung Süsse. Der Verzicht Glückseligkeit.
Freiheit in der Lüsternheit – und ihr seid erfüllt
(Wie ein Topf ohne Boden mit Leere und Luft).
Die Striemen auf eures Bruders Bücken, rote Druckzeilen vom Druck der Macht, sind Psalmen euch.
Ihr singt sie: immer hundert um einen Bruder versammelt, welcher blutet …
Ihr lest die blutenden Zeilen. Das Blut rinnt durch eure Blicke, aber durch eure Herzen fliesst Tauwasser vom April.
Erniedrigte, erniedrigt ihr den armen Bruder.
Er ist erniedrigt, er ist vertieft … gebenedeiter Gauch!
Der helle Herr hat uns in Dunkel gestossen.
Dank ihm, Dank ihm,
Dass er die Julihitze uns erspart und das August-arge.
Wir leben in Höhlen – feuchtes Getier und Gemensch.
Unsere Maulwurfsblindheit ist unser Glück.
Einer wärmt den andern: Leiblichkeit an Leib.
Einer tastet des anderen Traum.
(Oben am Gitterfenster kriecht ein grauer Käfer – eine Seele, zwischen den Stäben, ans
Licht …)
VI
Was soll ich in eurer Gemeinschaft, die mich Gaukler schalt?
Ihr bleckt eure Zungen gegeneinander und brüllt: Bruder!
Eure Augen funkeln hasserfüllt: Liebe!
Eure Trennung will Gemeinsamkeit.
Ich bin nicht der eure!
Ich gehe nicht aus mir heraus: zu euch.
Ich bleibe bei mir.
Ich bin der Meine.
Der Seine.
Bin dessen, der den Taubenfittich regt,
Der unsere Nacht mit dem Gestirn beglückt,
Der Regenbogen in das Graue spannt,
Der Herz zum Herzen fügt.
(Nicht: Herz zum Bauch. Nicht: Aug zur Brust.
Nicht: Hand zum Mord. Nicht: Pfaffendienst zur Kunst.)
Nur, wenn ihr weint, rinnt meine Träne auch,
Und wenn ihr blutet, fliesst mein Blut.
Mein Schmerz ist euer Schmerz. Und nur im Schmerz
Erkenn ich, dass ihr meine Brüder seid.
VII
Ich wurde Silvius, der Wald-mensch:
Wald ist mein Wunder.
Brombeergesträuch wächst auf meinen Schuhen.
Unter meinem Herzen baust ein Kind in Grotte.
(Denn Waldmenschen vermögen zu sein: Weib oder Mann, sich selber fraulich und männlich genug, zeugen und gebären sie.)
Ich werde werfen wie eine Hündin: Silvia, ein Mädchen.
Dem sei die Füchsin Freundin und der Eber Freund.
VIII
Soll ich lächeln euer Lächeln?
Soll ich sehn mit eurer Blindheit?
Ihr Losen, fühlen mit eurer Fühllosigkeit?
Ihr Leichten, schweben mit eurer Vielleichtigkeit?
Ihr Gewissenhaften; schmachten in eurer gewissen Haft?
Ich wandle einen Weg, darum euch zu wissen wäre schon Wahn und Witz, den sich die Gassenbuben nachriefen.
Ich sage Wald! Ihr seufzt: Stadt!
Ich sage Baum! Ihr lispelt: Brunst!
Ich sage Land! Ihr paukt: Fester Staat und festliche Staatlichkeit!
Ich schreie: Gerecht! Ihr zuckt die fahlen Achseln wie Wetterleuchten: Gerücht … Gerächt …
Schwerhörig seid ihr: ja schwer hörig eurem finsteren Herrn.
Schwerfällig – denn sehr fällig ist der Gerichtstag.
Zweierlei ist dieses: ihr und ich.
Wie Mensch und Mönch.
Wie Wesen und Wasen, aufsteigend kalt und grau aus Nebelgrüften.
Zweierlei ist dieses: demütige Ein-heit und herrsch- und mondsüchtige Vielheit.
Preis sei dem Pöbel, dass er seine völkische Brust entblösst und weist unter dem posaunenden Panzer Geschwür und Schwäche.
Aber der Held geht einsam – ohne Schild, ohne tönende Rüstung, ohne eisernen Schnabelschuh: nackt, hell, auf-recht, und sein Leib leuchtet in der Sonne, die Sonne leuchtet in seinem Leib.
IX
Ich baute mir mein Haus: aus Stämmen.
Ich stemmte mich an jeden Stamm.
Ich legte die Axt an die Wurzel: da sank der Baum mir brüderlich in die Arme; sprach:
Ramme mich als Pfahl deiner Zuversicht!
Ich rammte ihn: da trieb er ohne Wurzeln Blüten, knospete, ergrünte in Blättern, errötete in Knospen – denn meine Zuversicht war der Frühlingswind und mein Glaube war die Wurzel.
Vier Pfähle rammte ich: nach jeder Himmelsrichtung einen.
Süden : meine Sehnsucht!
Norden: mein Heim-weh,
Osten: meine Hoffnung,
Westen: mein Ziel …
X
Silvia: ich liebe dich.
Eines Nachmittags, als ich im Schatten der Eiche
schlief, stiegest du aus dem Baum, aus jenem Spalt, den einst der Blitz schlug.
Du stiegest sanft in meinen Traum und spieltest mit ihm wie mit einer Perlenschnur: Eia, glänzte er um deinen Hals so silbern.
Aber du verträumtest dich in den Traum – und gingst in mein Erwachen über.
Denn so schnell erwachte ich, dass es dir nicht gelang, aus dem Traum zurück in den Baum zu schlüpfen.
Nun da ein Menschenauge dich erblickte, musstest du ins Leben, im Leben verweilen und leuchten in seinem Blick.
Musst sein, borkige Blüte,
Und blühen an meiner gebräunten, hölzernen Brust.
Denn siehe: so lange lebte ich schon im Wald, dass mein Fleisch Holz wurde und mein Haar Moos.
Meine Füsse sind Wurzeln.
Meine Hände greifen als Äste in Tau und Regen, Mond und Morgenrot.
XI
Du hüpftest gestern aus dem Spalt des Baumes, den der Blitz schlug, Dryade, schönste der Natur!
Heute aber tauchest du aus der Lache: silberweiss: ein Schwan.
Schüttelst dich in der Sonne, und der Tau fällt wie Sternschnuppen von dir, du Himmel!
Dryade gestern – Nymphe heute – wie hast du dich gehäutet: aus Borkenbraun in Wasser-weiss.
Aber immer, Gestalt, gestaltest du mich.
Moosverbrämt steht noch aus römischem Jahrhundert hier ein Sockel, mit steinernen Narzissengirlanden umwunden.
Venus selber zierte ihn einst oder die strenge Hera;
Pallas, prächtig geschirrt, den Vogel auf dem Helm.
Auf jenen Sockel heb ich dich, die einzig Werte.
Jenen Göttinnen ganz gleich: Glanz reich.
Wie nenn ich dich?
Wie kenn ich dich?
Wie brenn ich, wie berenn ich dich?
Sei Waldfrau waldigem Mann!
Schwanke, du Birke, neben Tannentrotz!
Sei Windgelächter im Oktobersturm!
Sei Leidenschaft im Leid! Johanniskuss!
Sei Silvia deinem Silvius!
XII
Einst war ich verzaubert, sprachst du.
Mein Vater hiess Goldner,
Meine Mutter: Äffin.
Geschwister waren mir: der sieche Bruder, den du lieben lerntest: Krokus genannt.
Danach die Schwester Wahn-sinn.
Der Bruder, dem der Abend teuer, daher er Abenteurer genannt.
Der Bruder ohne Mark – doch grade Markus geheissen.
Goldner sass auf der Affin: glänzte.
Affin hockte auf Krokus: fauchte.
Abenteurer schalt Markus,
Markus schalt Abenteurer.
Wahn-sinn sann Wahn, sann Sehn-sucht.
Ich floh, ich flüchtete mich in Efeuumschlingung, schlug meine Stirn an Bäume, bis sie bluteten.
Wand Winde um meine gegeisselten Schultern: da wurde aus weiss rot.
Tauchte meinen Blick in Waldgewässer: da wurde blau schwarz.
Badete meinen Leib im Waldteich –
Da fiel von mir ab: Gold vom Goldnen,
Haar vom Pelz der Affin,
Abenteuer und Tagediebstahl – den ich belächelte.
Markus entbrannte zum Apostel.
Krokus aber im Frühling unterm Schnee: er blühte, er blühte!
XIII
Ich hatte einen Bruder, sprachst du, der starb.
Er starb in den Städten, im Rauch der Roheit.
Aber seine Arme waren wie Schwanenflügel gebreitet nach mir, nach mir.
Er sank – und sang das Schwanenlied.
Er sah: Schornstein
Und dachte: Baum.
Er stand auf dem Kirchturm und fühlte sich im Gezweig einer Eiche, sah Schornstein neben Schornstein stehen in Steilheit und fand das Wort und fand den Willen: Wald.
Er sah mich nie, er sang nach mir –
In Purpurnächten, die sein Fieber fahlte.
Er schrie, bis Schaum die Lippen löschte:
Zerrissen sei der Vorhang zum Tempel,
Der Geröll nur und Gerümpel von Kulissen samten verhüllt.
Zerzaust sei die Zeit – wie neunmal gebrauchte Scharpie.
Ich bekenne mich zur Pflicht, zur Verpflichtung:
Aus den Strassen wieder Wege zu machen –
In den Gassen Pfade zu suchen,
Aus den Gärten auf die Äcker zu flüchten.
Zu fliegen nicht: zu pflügen –
Und er kroch gekrümmt auf den Turm, kahl und krank:
Hob die Flügelarme, die armen Flügel, und schrie:
Nicht fliegen! Pflügen! Pflügen!
Aber ein Windstoss ergriff ihn – ja entfuhr ihm – und entführte ihn in die Luft:
Er flog, er flog – wider Willen, im Rausch der Körperlosigkeit.
Zerpflüge mich, Pflug!
Zerrädere mich, Sonnenrad!
Ehe ich denn gehen lernte auf dem Lande über das Land,
Soll ich fliegen über Land?
Er zog die Arme ein und sank zur Erde: zerschmettert.
Wohl ihm die Erde, die ihn tot noch nahm in ihren mütterlichen Schoss …
Er ist erlöst! –
Erkenne deinen Zwillingsbruder!
Sei gut zu ihm! Er war so gut – zu dir …
Hier unter diesem Baum, dem ich entsprang,
Ist seine Grabesstätte, sein Grabstatt (o grausige Erinnerung der Stadt, darin er lebte!)
Ist seine weiche Mulde, seine Efeuruh.
Sein Tod lebt jetzt im Baume: lebt in mir.
Ins Leben nicht war ich getreten – ohne ihn.
Ja: ohne seinen Flieger-tod …
XIV
Ich habe Angst, dich ewig zu behalten,
Denn alle Ewigkeit verdorrt.
Die Jugend blüht nur einen Tag.
Gelächter rauscht nur eine Stunde.
Quelle ist Quelle nur einen Atemzug: schon wird sie Bach und Fluss, wird Strom, wird Meer.
Du bietest die Blumenlippen zum Kuss, streichelst mit kleiner Zunge meine Zähne.
Ich schliesse die Augen voll Entzücken,
Als ich sie öffne: liegt ein Greisenmund auf dem meinen.
Eine zerfressene Nase eitert.
Betäubender Gestank beleckt mich
Wie räudiger Hund.
Ich gab mich ganz. Und du zerteiltest mich in zwei Hälften:
Einst und jetzt.
Ich liebe draussen – und hasse innen,
Ich blühe oben – und welke unten,
Ich glühe aussen – und kalte drinnen.
Verflucht die Ewigkeit – Verewigung des Alters,
Die Verlebendigung des Sterbenden,
Die Blüte der Verwesung!
Ich will ein Baum – ich will kein Strunk sein!
Ich will der Raum – und nicht Erinnerung sein!
Ich will die Zeit – der Tiger auf dem Sprung sein,
Ich will jagen, jubeln, jachtern, ich will jung sein!
XV
Irene war mir Schwester, ehe ich dich kannte, in den Städten schon.
Sie war mir Friede im Krieg
Und Frau unter den Weibern.
Blonde unter den Schwarzen.
Weisse unter den Negerinnen.
Ich legte Sinn in sie: sie schenkte mir Gesinnung.
Und Frau und Friede wurde all und eins,
Und Gottes Tochter ward Geliebte mir.
Du Baum mir! Baumentsprungen! Aber Vogel sie!
Dryade du! Doch Göttin ja auch sie!
Aus Pulverwolken abendrot entzündet!
Seid beide mir Ergänzung!
Mir Erglänzung!
Drei-einig wir! Du drei! Du heilige Zahl!
Denn drei ist Gott:
Gottvater, Sohn und Heiliger Geist.
Denn drei ist Licht:
Stern, Sonn und Mond.
Denn drei sind die Bezirke unserer Seligkeit:
Die Kunst, die Liebe und die Weisheit: eins und drei.
Drum drei auch wir: Gottmutter du, Gotttochter sie, Gott ich.
Du Süd-, sie Nordpol. Erdenmitte ich.
XVI
Ich traf einen kleinen dicken Mann.
Er rief zur Brüderlichkeit:
Alle kleinen dicken Männer,
Alle Kleinen
Alle Dicken
Alle Männer
Alle.
Er trug eine Hornbrille, seine kleinen boshaften Augen besser zu sehn.
Spitze rote Flammen züngelten auf seinem Schopf.
Er rief zur Umarmung:
Alle schlanken schönen Frauen
Alle Schlanken
Alle Schönen
Alle Frauen
Alle.
Dicker Mann trat zu ihm. Sagte: Du.
Kleiner Mann sprang auf den Schoss ihm. Kreischte: Du.
Aber Mannesbild Mann hob seine klaren Himmelsaugen.
Da verkrochen sich seine boshaften Blicke am Boden wie geprügelte Hunde.
Und der Mann wandte ihm den stählernen Rücken.
Schlanke Frau sprach: Pappel! Und wuchs aus seinen Händen in den Himmel, dass er den Stamm nur hilflos umklammerte und sah empor: Wo ist ein Ende?
Schöne Frau sprach: Träne! die rührte ihn mit Gewalt des Giessbaches, dass er darin versoff und hob die Arme nur noch flehend aus der Träne und schrie, schon unter Tränen: Schönste Frau!
Da erlöste ihn Fraulichkeit und lispelte: Mutter! Die Tränen teilten sich wie die Wogen des roten Meeres und er lag in einer Muschel, eine kleine, glänzende Perle, umschält.
– Da wehte der blaue Schal, der heilige Schal der heiligen Silvia um meine Stirn.
Ich atmete ihren Atem.
Wie bebte ihre Brust, dazwischen ich liebend schlief, so kindlich gebettet.
XVII
Ich habe Sehnsucht, mit euch zu sprechen hinter dem Kohlenmeiler,
Wo der Rauch aufsteigt
Und mein vom Rauch erhitztes Gesicht euch entzieht wie einen roten Lampion im plötzlich
ausbrechenden Augustnebel, der über ein Sommerfest hinfaucht:
Böser bin ich als meine Bosheit je gestand.
Man gab mir, zu hüten, eine heilige Kerze:
Ich ging in die Kirche, stellte die Kerze vor die Madonna, zündete sie an und lief davon.
So brannte die Kerze hernieder bis auf den Docht, welcher statt reinen Glanzes schwefelnde Dämpfe um die Madonna goss.
Man gab mir ein Schwert, zu kämpfen.
Ich aber lief in den Wald, stiess es in einen Baum – und lief davon.
Man gab mir einen Griffel, zu schreiben auf eherner Tafel.
Ich nahm ihn und kritzelte: Kakadu. Baumspecht. Traumspecht. Und nichts als Vogelwort.
Oder ich malte Spinnengespinst: dass Flieger wie Fliege sich darin verfange.
Oder ich schrieb: la la und Echo immer tausendfach lala.
Löwen sassen und sahen in meine Schrift und schüttelten die goldnen Mähnen.
Ein schwarzer Puma gähnte.
Ein Affe malte mit dem Schwanz die zarten Zeichen nach:
Zinnober! Zinnober! Nicht schwarze Schrift stets: Grün und Rot soll strahlen.
Gezelt und Welt und Feld: aufblätternd bunt.
Aber der Griffel sinkt. Und Tränen taumeln.
Kleine heilige Haselmäuse
Löschen alles, was ich schimmernd schrieb.
Nichts bleibt, was ich schrieb: nicht Spinneweben.
Nicht das Vogelwort. Und nicht der braune Dörfersang.
Nur die Tränen werden ewig glitzern
Auf der leeren Tafel,
Weil ich weinte, als ich werden wollte,
Weil ich lebte, als ich sterben sollte.
XVIII
Du kleine Stadt, der Eltern Wohn- und Hohnsitz, begrüssest knieend meinen nächtlichen Besuch.
Durch die Allee taste ich mich, noch den Wald in Händen, von Baum zu Baum.
Kein Mond leuchtet. Nur hier und da ein bürgerlicher Stern, eine himmlische Laterne.
Über Brücken stampfe ich dumpf. Viel Wasser fliesst zu Tal und Traum.
Ich donnere in den Strassen. Gehäuse, schneckenhaft errichtet, bebt – und ein älteres Liebespaar fällt aus den Betten. Die Zukunft tropft auf den Bettvorleger – das Ungeborene weint.
Den Kirchturm packt ein Orkan und wirft ihn in den Strom, zwei Dutzend Kähne heilig damit bedeckend, einen Dampfer nach oben stülpend.
Ein Bierwagen, der die nächtliche Stadt auf dem Weg zu den Dörfern durchrumpelte, wird eine Meile weit weggetragen; sanft: und poltert erstaunt durch fremde Städte.
Stossweisse, erderschüttert, speit der Marktbrunnen Wasser.
Der Nachtwächter bläst verzweifelt unter dem schwingenden Rathausbogen in sein Horn.
Ein Einbrecher lässt den Hammer fallen.
Ein Mörder erdolcht sich selbst in der Verwirrung.
Auf weinlaubumsponnenem Balkon steht mein Vater silberbärtig im Schlafrock und brüllt: Ruhe! Ich bin Bürgermeister – und Meister aller Bürger, Meister vom Stuhl – vom Stuhlgang aller Bürger! Wer stört die bürgerliche Nacht? Und zerrt das Alter aus den Kissen, die Jungen aus den Küssen hoch?
Meine Mutter in weisser Haube weint.
Sie legt den Kopf auf seine knochige Schulter: wie ein Taubenweibchen.
In allen Strassen reisst man die Fenster auf wie bissige Hundemäuler.
Wer blitzt? Ach, der Nachtwächter mit seiner Laterne.
Wer donnert? Ach, der Herr Bürgermeister mit seiner Rede.
Wer ist der An- und Ablass? Ein Vagabund!
Ein Bündel Dreck. Ein Blondkopf, ein Naseweiss, ein Augenblau, ein Aschgrau, ein Herzrot.
Nachtwächter! Tagedieb! Wo ist sein Speer?
Jage er den unliebsamen Störenfried, Störenkrieg aus den Marken der Stadt – aus der Mark.
Mag er im Walde wandern.
Der Freiheit auf dem Feld sich freun.
Kleine Stadt ist kleine Stadt: gehört den Städtern.
Hier findet kein Dorf, kein Wald … statt.
Die Häuser wanken schon.
In Menschen kriegen und siegen Gedanken schon.
Hinaus! Hinüber! Hinab! –
Meine Mutter schreit:
Mein Kind! Mein Kind! Du blasest stark um uns! Lass uns stehn! Zerbröckle die Häuser nicht! Sie sind so morsch. Fallen bald. Verwirf uns nicht! Wenn du die Geschosse deiner Gedanken wirfst!
Mein Vater schreit:
Du zerbrichst unsere angestammten, angeschmiedeten Ketten. Zerbrecher! Verbrecher! Hinaus aus der Stadt – dass man dich nicht hänge und man dir so Gelegenheit gäbe, dein teuflisches Werk von oben zu betrachten. –
Ich donnere in den Strassen.
Kein Mond leuchtet.
Durch die Allee taste ich mich, dem Wald entgegen, von Baum zu Baum zurück.
XIX
Ich ging in die Stadt, die staubigen Strassen,
Da glotzten gross die Gaukler.
Da grinsten die Gesichter.
Da platzte im Gelächter Bauch und Backe.
Vorzeitig fielen Müttern Kinder aus dem Schoss: Erdbeeren und Johannisbeeren gleich.
Gassenbuben stellten mir ein Bein.
Denn mir war Bart gewachsen über meine Knabenwange: wie wildes Haselgesträuch.
Oben auf dem Haupte stand ein kleiner Tannenwald.
Vögel zwitscherten darin, zur Nacht die Nachtigall.
Eichhörnchen wippten. Meine Füsse fassten – Wurzeln – Wurzel nicht auf dem Asphalt.
Nicht neigte ich den Kopf unter dem Baldachin der Paläste und unter dem Dach der Strassenbahnen.
Nicht trat ich in Häuser, denn sie stanken also, dass mir ihr Gestank den Eintritt verwehrte.
Ich grüsste einen ehemaligen Genossen, gab ihm die Hand, die aber war wie Stein so hart: ein
Fels, der seine quallenweiche Hand zerschnitt.
Ich sprach: da wankte Burg und Kirche.
Glocken zersprangen.
Brücken flogen – ja flogen – wie Vögel in die Luft,
Brücke zu sein von Wolke zu Wolke, von Stern zu Stern.
Das Wasser versiegte.
Ich aber ging stromaufwärts, flussaufwärts, hüpfte wie eine Forelle von Gefälle zu Gefälle, bis ich in das Gebirge kam und kam in meinen Wald:
Dort sass am leeren Strombett die Najade – und weinte.
Und ihre Tränen rollten in das ausgetrocknete Flussbett, dieser schwoll an und trieb von neuem in das Meer: ihre Schiffe und Schiffchen, ihre bunten Wimpel und Gimpel.
Silvia! seufzte ich und umarmte sie.
Verlass mich niemals mehr, zuckten ihre weissen Schultern.
Du hattest mich auf den Sockel gestellt, als du in die Stadt gingst.
Aber ich hatte so lange und hohe Weile da oben – steil auf dem Sockel, hoch im Gebirge, wild im Wald.
Da stieg ich herab – und siehe, als ich an meinen Baum trat, da hatte sich der Spalt geschlossen – mir war die Rückkehr selbst im Traum verwehrt.
Als ich an das Bachufer trat – worin ich mich zu baden und zu bespiegeln pflegte – da war der Bach leer, und statt meiner blauen Augen glotzten mir Kiesel entgegen.
Statt meiner weissen Brüste glänzte darin ein toter weisser Fisch.
Da hatte ich Furcht, dass dich die Stadt behalten und mit dem Lasso ihrer Lässlichkeiten fangen könne, du schwacher Held, und ich schrie:
Ja schrie zum erstenmal in meinem Sein – nach dir.
Und als ich dreimal geschrien – denn drei ist deine, meine, unsere Zahl –
Brach ich zusammen wie ein angeschossnes Reh und weinte haltlos.
Da standest du vor mir: gerettet.
Bleibe, Silvius, im Wald!
Wald ist die Heimat!
Dein belaubter Kamerad!
Die Stadt: dein Feind!
Nicht wissend Wege – Strassen nur.
Nicht ahnend Berg – nur Bürgerpark.
Nicht glaubend Abendrot – nur Abendbrot.
Nicht fühlend Gott – nur Tod.
Nieder mit ihnen, den Niederen.
Erhöhe dich, du Hoher!
Tritt auf den Sockel du – ich mache dir Platz, ich weiche.
Wo Venus, Pallas, Silvia und Irene standen:
Steh künftig du!
Baummensch! Raummensch!
Zeitmensch! Leidmensch!
Du dichtest die undichten Schiffe, dass sie im Orkan wie Kinderkähne aus Papier schaukeln.
Verdichtest lockere Wolken zu Gewitter.
Erdichtest: Fabelwelt im Fabelwald.
Gott gebe dir die weisse Marmorruh:
Tritt auf den Sockel, unser Dichter du!
XX
Ist doch Frühling! Aber im schmalen Tal fault noch das Herbstlaub.
Zerrüttet rase ich von Ruh zu Ruh.
Zuweilen mir ein Licht – blitzt.
War ich ein Löwe, meine Mähne zu schütteln
Und zu schreien in die Wüste,
Zu wandeln golden in den Wüsteneien der versandeten Seelen,
Der Karawane rauhen Ruf zu senden
Und mit der Antilope um die Palme der Schnelligkeit zu laufen.
Ich lauere Lenz! Kahlbaum im spriessenden April!
Lockt nicht Gewitter meine Knospen?
Winkt eine rosen Wolke nicht meinem Grün?
Knabe! Lass uns die dürren Herbstblätter des vergangenen Jahres auf einen Haufen scharren
Mit unseren Pferdefüssen.
Den Herbst entzünden, dass ein Frühlingsfeuer lohe und meine braunen Blätter, meine Herbstträume, runzlig getrocknet, zum Himmel flammen: Zeugnis meiner Qual.
XXI
Viele Frauen weinen um mich.
Sie stehen auf den Bergen und senden ihre Quellen zu Tal.
Nachts funkeln ihre Augensterne am Bergrand,
Und am Tage schluchzen die Schluchten.
Die Tränen rinnen von Quell zu Fluss, zu Strom, zu Meer.
So salzig ist das Meer von den vielen Tränen,
So bitter weht der Wind an der See.
Wäre vergönnt es mir, einen Bach zum Versiegen zu bringen
Durch Opfer meines Leibes.
Ich springe in das Meer – mich in den Frauentränen zu ertränken,
Die mir zuleide und zuliebe fliessen,
Unwürdig ich des letzten Dirnenblickes,
Aus dunkler Strasse schräg mir nachgesandt
In meine Eitelkeit und meinen Pfauenwahn.
O horch! ein Grillenruf!
Schweig, Mädchen, schweig!
XXII
Blitz
Zischt in den Pfützen, die unseren Pfad versumpfen,
Donner
Rollt gewaltig hinter unseren Schritten,
Triumphierend.
Aber unser Haupt umkränzt
Weisser Flieder.
Unsere Hände
Streicheln der Wolkenwinde Saum wie Glück,
Unsre Augen sprühn
Lächelnde Liebe.
Ach, ihr Liebenden,
Ihr Kämpfer,
Die ihr mit mir wandernd eilt,
Wandernd strebt Durch Staub und Stadion,
Warum seid ihr so stolz und feindlich gegen mich?
Taumelt meine Sehnsucht nicht an eure Brust,
Meine Seele in eure Schalen zu schütten?
Meine Lippen bluten
Nach den euren,
Aber eure Stirn ist streng,
Und eure Brauen
Zittern verächtlich.
XXIII
Wenn ich wüsste warum –
Ich wüsste weniges.
Wenn ich wüsste woher –
Ich wüsste viel.
Der Anker auf dem Matrosenarm
Fasst Fleisch.
Mein Gesang aus den Fenstern
Verstummt.
Dorthin segelt die Jacht,
Die Jähe.
Weisse Brust
Atmet die Salzsee.
Die grossen Meere – aber die kleine Quelle
Sah niemand im Alpendickicht.
Nur ein sterbendes Murmeltier
Netzte die Lefzen.
XXIV
Schluchze, Enzianblau!
Die Felsen tosen.
Das Wasser schmeckt eisern.
Himmel helmt mein Haupt.
Hier weint der letzte Schnee
Ins Moos.
Hier beben die Knie
Im Niedersturz.
Der Wind singt im Abendrauch,
Und ein Kind
Hinter Häusern.
XXV
Ich berge mich am Berg
Und sehe auf den See.
Ein Vogel schwimmt – wie weiss!
Er ist wie meine Hand,
Die sich vom Leib gelöst
Und über See und Sein
Sanft wie ein Fittich streicht.
II. Der schwarze Gott
I
Ich bete.
Ich brülle
Wie ein Stier.
Meine Zeit! Meine Jahre!
Zu dem ich flehe:
Er heisset Gott
Er ist mein Gott
Mein Glücklicher.
II
Eidechs
Da hast du meinen kleinen Zahn
Meinen Milchzahn.
Gib mir einen deiner Drachenzähne dafür
Dass ich männlich
Und mannbar
Bald beisse
Dem Feinde in die Kehle
Und der Feldmaus den Kopf ab.
III
Du Eidechse Grossmutter
Bleib still
Bleib liegen
In der süssen Sonne
Die schmeckt wie wilder Wein
Der alten Frau.
IV
Igel
Stachliger
Stich nicht
Den Streichler
Deinen Freund.
Leg nieder die Lanzen.
V
Ich lag bei schwarzem Mädchen
Auf Bastgeflecht
In Hütte
Oder am Bach im Kraut.
Wir liebten uns wie Schnecken.
VI
Wo weilt unsere Kuh?
Wo eilt unsere Kuh –
In welche Wüste?
Weite?
Ich bin einsam
Wie ein Kälbchen
Ohne Kuh
Und blöke:
Nach meiner Milch
Nach meiner Mutter
Nach meiner Kuh.
VII
Käfer
Geh auf den Mist!
Schuppiger!
Struppiger!
Den Rat den geb ich dir
Du Unrat!
Frissest ja
Den Dreck
Und schläfst darin
Und liebst darin
Und stirbst darin.
VIII
Schwarzer Gott!
Ho!
Wasser!
Gehörnter
Irdischer
Gib Wasser
Ho!
Dem schwarzen Mann!
IX
Mein Jahr meine Sonne mein Gott
Lenana ist meine Leuchte und mein Gelächter
Zauberer! Zarter!
Ich zeige dir die leeren Kraale
Sie voll Getier zu zaubern
Voll Ochs und Stier.
X
Wenn Mann geht durch Wald
Immer allein
Sonne gross
Am Kreuzweg
Kreuzt seinen Weg
Neigt sich golden
Gruss dem Mann.
Dennoch Wurzel
Fasst seinen Fuss
Und Schlinggewächs
Die Arme
Und Schlange
Schillert.
Das Aug im Licht
Den Arm im Schlinggewächs
Den Fuss im dunklen Moos
So lebt der arme Mensch
So wandert armer Mensch
Von Wald zu Wald.
XI
Morgenstern!
Sorgenstern!
Die Milch ist geronnen in unseren Kalebassen
Und das Gras gedörrt in unseren fiebrigen Händen
Wo sind die kühnen Krieger?
Die jauchzenden Jünglinge?
Sie sind gezogen im Gespan des Krieges
Dahin dahin.
Aber sie werden dröhnen
Über die schweigende Erde
Im dampfenden Mittag.
Sie werden saufen die saure Milch
Sie werden fressen das dürre Gras
Aus unsren magren Händen
Die Heldischen!
XII
Ich habe dich gerufen
Göttlicher
Dass du mir behütest
Mein Vieh und meine Kinder.
Im Morgen licht
Im Abendrauch
Bin ich gekrochen
Zu dir.
Ich habe gerufen
Ich habe geschrien
Aber du
Gingest gross
Vorüber.
Ich habe geschluchzt
Ich habe geweint
Nun hebe nicht die Hand
Und murmle:
Ich bin müde
Des vielen Tuns
An deinen Vätern.
Du in der Höhe
Vertiefe dich!
XIII
In Gottes Hand der Mensch ist
Ein Stein oder ein Halm.
Denn verschieden sind
Der böse Gute und der gute Gute.
Der Priester predigt:
Verschieden sind
Der böse Gute und der gute Gute.
Die Priester predigen:
Verschieden sind
Der böseste Beste und der beste Beste.
In Gottes Hand der Mensch ist
Ein Stein oder ein Halm.
XIV
Ho heckte
Tausend.
Ho hockte
Hundert.
Ho hackte
Zehn.
Ho hinkte
Eins.
XV
Grauer Gott:
Gib Gut!
Dunkler Gott:
Gib Haus.
Schwarzer Gott:
Gib Milch.
Lichter Gott:
Gib Licht.
Segne Kuh
Kind
Weib.
XVI
Mädchen gräbt nach Zwiebeln.
Kadegénzule der grosse Wandrer
Geht vorbei
Pfeift und flötet
Lächelt auf der Laute.
Mädchen wendet sich
Und zeigt die Brüste
Zeigt die Zwiebeln:
Wanderer nimm die Zwiebeln aus der Hand
Eines schwarzen Mädchens
Deiner Magd.
Kadegénzule
Nimm die Zwiebeln!
O – a – he
Nimm die Zwiebeln!
Kadegénzule!
Mädchen schwarzes Mädchen meine Erde
Liegt so weit von hier wie Mond und Sonne.
Über tausend Hügel musst du schreiten
Findest abertausend tausend Hügel.
Hast den letzten Berg du überschritten
Schlankes Mädchen bräunliche Gazelle
Wird ein dunkler Wald dich rauh umarmen.
Und im Wald auf einem Thron von Wurzeln
Schwarzes Mädchen
Wurzel werk und Werk von wilden Wurzeln
Wirst du thronen sehen
O – a – he
Grossen Wandrer
Kadegénzule.
XVII
Ihr Schwestern der schön gezierten
Dickbäuchigen Mutter.
Wir wollen uns schmücken
Die schlanken Hüften,
O unser Jubel!
Leuchtkäfer!
Wenn ihr das Kind
Von den Schenkeln fällt
Wie Affendreck
Damit sie ihre Wiese düngt.
XVIII
Gott den ich rufe
Schenk mir einen Sohn!
Ein Sohn muss es sein
Ein Sohn
Braun wie die Ameise
Und hurtig wie die Antilope
Duftend wie Salbei.
Dich allein Gott rufe ich
Jede Sonne
Jeden Mond.
Wenn der Morgenstern errötet
Bist du mein Gedanke
Wenn der Abendstern erbleicht
Bist du mein Sinn.
Ich rufe dich
Du lauschest mir
Gebieter der Wohlgerüche
Und der hüpfenden Lichter.
So hüpft mein Kind mir im Leib
Wie ein Stern in deiner Hand.
XIX
Grashalm zwischen meinen Lippen summt
Sumsum.
Kleines Heupferd
Zieht mein Wägelchen,
Sumsum.
XX
Die kleine Taube
Ist noch ganz nackt.
Hat noch keine Federn.
Findet noch keine Würmer.
Fällt
Vom Baum
Aus der Welt
Aus dem Nest.
Wenn sie wird Federn haben
Wenn sie wird Würmer finden
Wenn sie ihr Nest wird wissen –
Wird sie nach Europa fliegen.
XXI
Ich bin ein Ewemann.
Ja du bist ein Ewemann.
Ich erzähle euch eine Geschichte.
Ja du erzählst uns eine Geschichte.
Eine Geschichte die wahr ist.
Eine Geschichte die wahr ist.
Hört!
Wir hören!
Es war einmal eine Spinne
Die spann ein Netz um den Mond.
Der zappelte darin wie eine goldene Fliege
Und brummte.
Sie saugte ihm alles goldene Blut aus dem Leib
Alles Licht
Bis er dunkel ward
Da ward er
Zur
Erde. –
Du lügst Ewemann.
Ich lüge nicht Eweleute.
Gestern hat mir eine uralte Frau diese Geschichte erzählt.
Sie hat mir geschworen dass sie wahr sei.
XXII
In der Abendsonne
Sang der Silberne.
Im Morgen
Dämmerte Schwestergold.
Bruder am Mittag.
Am Nachmittag dann viele.
Die Tausende
Das Volk.
III. Der Tierkreis
I
Hinsiechend
Am Eiland ich
Dem dunklen
Zu Fischen weiss
Umarmung
Und des Kraters Bläue
Zersprengt den Turm.
Die goldne Brust
An Brüsten hängend
Tönt.
II
Gebot den Tieren ich
Gelockter Griffler
Das Grasgebet.
O Grillenglück
Und Glockengrab
Glycinenhin
Wenn regenbogenüberwölkt
Ein Geist
Dem Geisternden die gute Grube gräbt.
III
Denn uns genügt
Das heilige Haus
Kein neuer Name
Unser Wunsch
In Magdalenas Schoss
Sich’s silbern weint
Dem Teufel stürzt
Theophilos.
Wir haben Fäuste
Aber öffnend sie
In ihnen hell die Wundenmale brennen.
Wir sind erblindet
Aber öffnend Auge
Ach
Ein Blutbach springt
So elend wir
So heilig
Altersher.
IV
War Elend viel
Mit Läusen über mich.
Die Fliegenlaus
Bevölkerte meinen Silberbauch
Trank Blut
Trank Traum
Wenn tags ich in Ruinen schlief.
Aber des Nachts
Ich tagte.
Um manchen Stern
Mein Flügel wehte
Sich bauschend unter Falterraub und Wind.
V
Zu Ende
Zahmer Zeisig
Federbrücke von Fleisch zu Fleisch
Liederbogen von Land zu Land
Ich lahme
Ich hinke
Dein Schnabel halb geöffnet
Schnappt Tod
Wie schwarzen Käfer.
Er summt
Er surrt
Du singst
Du schwingst
Ich falle.
VI
Ein Siebenschläfer scharrt
Den Schlaf mir von der Stirn
Pudert
Mir Mund und Wange
Mit dem Schweif
Macht Männchen
Im Bettchen
Macht Weibchen
Im Bettchen
Macht Kindchen
Im Bettchen
Entwischt.
VII
Pfauenauge
Schwalbenschwanz
Auf Fittichen
Den Blütenstaub
Von Mandel Pfirsich und Resede.
Himmlisch
Blühende!
Welch Los euch blüht!
Schon wetzt die Amsel
Ihren Dolch.
Im Laub die Jungen kreischen.
Oder ein grosser Frosch
Hüpft aus dem Teich bis in den Himmel
Und schluckt
Den Blütenstaub von Mandel und Resede
Das Pfauenaug den Schwalbenschwanz
Die erste Früh-
Die letzte Abendröte.
VIII
Absalom
In Bäumen hangend
Nadelgrün
Der Heerwurm zieht
Lebender Leichnam
Tausend weisse Leichen
Er blind marschiert
In Finsternis
Dem blinden Führer
Folgend
Am Seil der Parzen.
In Finsternis
Er schwärmt.
Er schwillt
Kehrt in die Burg
Bei Tage früh
Dieweil du dörrest
Hangest
In der Mittagsglut
Verwest
Zerspellt
Zerfressen
Absalom.
IX
Regen
Löscht die Worte
Die ich schreibe
Auf den Steintisch
Löst in Tränen sie
Manche aber
Blöcke sind es
Mit der Steinaxt steingehackt
Darüber
Regen schleiert
Tropft in Löcher
Die das Herz hob
Und ein kleiner Quell entspringt ins Licht.
X
Im Bambus
Der Nachtwind klirrt
Räuber
In den Palmen
Der Dieb.
Aber an deinen Wimpern
Er zittert
Wie ein dunkles Licht
Oder wie der Flügelhauch
Einer längst verwehten Fledermaus.
XI
Das Ding bedingt sich
Steht
Bestätigung.
Das Auge kreist
Fängt Ferne
Fernstes nah.
Fernstes wird nah
In dir.
Nächstes zunächst
In dir.
Unbewusstes
Erschaut.
Ungewusstes
Erbaut.
Ungehörtes
Laut.
Ungekörtes
Braut.
XII
Die Kastanienkerzen
Sind entzündet
Und die Wolken
Im Mondlicht.
Hier meine Hand
Dir unters Herz gelegt
Zum Kinde.
Das leuchtet schon
Ein kleines Licht
Im Wald deines Schosses.
XIII
Wanderer Unterm Regenwind
Peitsche und Sichel in Fäusten
Wo weht mir Bruderbusch
Und Wind der Sterne?
Und Laub des Lächelns?
Ich habe meine Tat vertan
Und meinen Wunsch verwünscht
Mein Herz
Verplappert.
XIV
Oi oi
Ich habe gesehn
Die Frösche gespreizt liegen tot auf dem Rücken mit weissen Fliederbäuchen
Oder mit roten Löchern, Zisternen zerpickt und zerhackt
Schwimmend im Sumpfblau
Ihr Wasserkäfer
Ihr wilden Mörder!
Ich sah zucken die zahmen Molche
Klappend mit dem weichen Maule
Und wedelnd mit dem feuchten Schwanz.
Oi oi
Da wechselt der grüne Frosch
Vor Furcht die Farbe
Erblasste braun
Oi oi
Die kleine Würfelnatter starb
Im Sonnenbrand
So jung
Und im Blechgebäude
Das Salamanderweibchen
Geschwängert
Mit tausend Jungen.
Oi oi
So viel der Tiere
So viel des Todes
Wir bringen Tod
Und nichts als Tod
Oi oi
Wir Menschen.
Schlagen Kinder
Schlagen Frauen
Schlagen Hunde
Schlagen Pferdchen.
Uns scheucht nicht Hundeblick
Nicht Pferdehuf
Und nicht des Kindes weinerliche Stirn.
Wir schlagen – tot
Wir scheuchen – tot
Frau und Freund
Kind und Kröte
Rosenkäfer und Reh.
Wir bringen Tod
Im Korbe zu Markt.
Wir halten Tod feil
Unterm roten Schirm
Wie Orangen
Einmal Tod
Zweimal Tod
O tausendmal und immer wieder
So billigen
Tod.
XV
Wie so sanft leuchtest du
Silberner
Überm Meeresstreif
Im Bergbezirk
Die hellste Blüte.
Ihr Wellen
Gepanzerte Glöckner,
Wohin?
Am Lorbeerbaum
Und an den Mandeln
Vorbei.
Ins flache Feld
In brache Welt
Von hoch herab
Gefirstet
Gefürstet
Ins Meer.
XVI
Mein brüderlicher
Hund
Im Dornbusch
Tot –
Bauch schwillt
Die Haare fallen ab.
Der Leib
Mit Gas gefüllt
Schon rosig
Schwebt
Wie ein Ballon
Auf Jahrmarktfesten
Leicht
Zu Gott.
Indes wir Lebende vergeblich breiten
Die Brust der Sonne
Und das Herz dem Wind.
XVII
Ein alter Berg.
Ein altes Weib.
Das Hospiz
Bröckelt.
Eis und Felsen
Schlafen.
Nur ein Windstoss
Wacht.
Aus dem Tale die Tiefe
Steigt lodernd.
Schon brennt ein Blumenbusch
Am Abhang.
Schon weht ein Glockenruf
Ein Ziegenbart.
Ein kleines Mädchen
Lächelt aufwärts.
XVIII
Wie besteh ich
Gott
Vor dem Muttermolch
In der Mulde
Oder vor dem Brombeerfalter
Die Flügel grün gefaltet
Schaukelnd am Busch?
Weinen will ich
Eine Pfütze
Kaulquappenparadies
Dass Laub- und Wasserfrösche ihr entsteigen
Königlich
Und eines Tages ihr entspringt
Der braune Springfrosch
(Rana agilis)
Der Erde Stolz.
Libellen lächeln aus den Larven
Dem Aug entgegen
Welches sonnt
Und regnet.
Und fällt das Lid zu
Wird es Nacht sein.
Fahl
Nur hängt die Stirn der Mond am Horizont
Und glänzt den Sommernächten von Losone.
XIX
Hummelblüte
Der Himmel glüht
Im Amselnest.
Der wilde Hund zu meinen Füssen
Schläft
Nennt mich heut: Herr.
Die kleine Mücke
Trinkt mein Blut.
Ein schwarzer Käfer rollt
Die irdene Kugel: Zukunft
Daraus ein roter Falter
Oder ein Geschmeiss
Aasfliegen
In den nächsten Frühling tanzt.
XX
Grau Same
Fiel in mein Herz
Trieb trübe Blüten
Des ward ich grausam.
Ich spalte den Baum
Das Haus mir zu wärmen
Ich schlage die Frau
Die Hand mir zu wärmen.
Tränen
Schwangerer Mädchen
Sind mir ein Gelächter.
Einzeln reiss ich den Marienkäfern
Von der Madonna Wange träufelnd
Die bunten Beine aus
Dem Tausendfüssler
Neunhundertneunundneunzig Füsse
Dass er mit einem Fuss nur noch
Im Leben steht.
Maikäfer spanne ich am Schachtelwäglein:
Die braunen Flügelrosse
(Pegasus)
Kutschieren klobig durch das Firmament
Über die Milchstrasse.
Einen Maulwurf
Schnitt ich lebend auf
Da fielen
Ihm drei Kindlein aus dem Leib.
Die nahm ich
Nannte sie: Träumling Säumling Däumling
Spielte Märchen mit ihnen.
XXI
O diese zarten Kraniche
Im stelzenden Herbst.
Ich wehe
Weil der Wind weht.
Aber die zärtliche Nymphe
Schluchzt
Und die Goldkäfer
Gaukeln am Abgrund.
XXII
Es werden Tage kommen
Sonnenlose ohne Gelächter.
Brachfelder.
Kein Korn glänzt.
Leichen rollen in den Flüssen.
Die Eisenbahnen sind voll toter Fahrgäste.
Wer ein Herz hat weint
Hingebückt über das Jaucheloch.
Kahlkopf und Kohlkopf
Wechseln wie Wild.
Der Sieg ist versiegt
Viel Teppiche zerfasert.
Eine Tanne
Steht noch – vielleicht.
Das Gehörn einer Gemse
Hängt am Abgrund.
XXIII
Mausere dich!
Kleiner Vogel!
Rette dich
Vor den Ratten!
Überall Kloake
In Haus und Himmel.
Gott stinkt
Aus dem Maul.
Sein Magen
Voll Menschenfrass.
Sein Hirn
Voll Schlangen.
XXIV
Ich hörte die Nachtigall singen. Da ging die Sonne auf.
Ich hörte den Wind. Da ging ein Schiff unter.
Ich nahm ein Herz zu mir. Da zersprangen drei kristallene Schalen: die es getragen hatten: eine jede dreimaldrei Monate.
Ich wollte gut sein. Da dachte ich schlecht.
Ich liebte ein Reh. Da küsste ich eine Stallmagd.
Ich hoffte. Da war ich schon verzweifelt.
Ich lebte. Da starb ich schon.
Ich lächelte. Und Tränen rannen über meine Wangen.
Ich hob einen Rosenstab: Kameraden! – Und schlug euch den Schädel ein und brach euch das Rückgrat.
XXV
Ein dicker schwarzer Molch mit gelben Tupfen
Trägt vierzig Junge in seinem Leib.
Laicht sie ins Wasser.
(Sind sein nicht mehr – sind Sein …)
Aber uns
Bleiben die vierzig Kinder
Wie Trauben am Stock.
Wollen gewartet sein
Bis sie gross sind.
Wollen genarrt sein
Bis sie weise sind.
Wollen gehegt sein
Wollen gepflegt sein
Und die Zimmer sollen gefegt sein.
Saturn frass seine vierzig Kinder –
Sie aber beschwerten seinen Bauch
Dass er sie von sich spie.
Da wurden sie,
Da wuchsen sie
Und wurden Riesen
Mit riesengrossem Maul.
Sie schlachteten
Den Vater.
Sie frassen
Die Gefrässigen
Das Vaterherz
Die Bruderbrust
Das Ahnenbein
Und sogen Mark
Aus kahlen Ahnenknochen.
XXVI
Wüsst ich den Weg nur
Unter die Erde
Zu den Maulwürfen.
Keine Augen mehr haben
Blind sein.
Sich nicht sehen
(Braune Erde Spiegel)
Dich nicht sehen
(Weisses Kleid am Saum der Welt.)
Die Nähmaschine rasselt
Näht meine kleinen zerrissenen Qualen zu
grossen Qual.
Die Mähmaschine rasselt
Mäht meinen Weizenkopf.
Das Hirn sät Körner
Blut-rot.
Sprosse: Rosenfeld.
Oder lass mich violetter von Terrassen hängen:
Glückselige Glyzine.
XXVII
Ich sehe den See.
Ich mehre das Meer.
Wo ein Baum ist wird Wald wachsen.
Die vielen Tränen!
Viel leichter
Vielleicht –
Die Sonne
Brandet im Blut.
Die Hunde
Heulen.
Mageres Mädchen!
Blondhaariges Beinchen.
Du magerst
Um mich.
(Die Kinder jaulen wie junge Hunde
In deinem Bauch.)
Schrei! Schrei!
Beiss dich wie ein Wasserkäfer in meine Brust und friss mich bei lebendigem Leibe
Oder in der glücklichen Gärten Umarmung:
Gottesanbeterin!
XXVIII
Ich fluche der Tat:
Sie hat vernichtet die Welt.
Ich wollte tun: das Gute
Es ward schlecht.
Ich wollte tun: das Rechte
Es ward ungerecht.
Fluch den Guttätern
Sie wurden Übeltäter
Denn die Tat ist schlecht in sich.
Fluch den Handelnden
Sie wurden Händler.
Die im Blute handelten –
Handeln jetzt mit Blut.
Sie markten
Mit ihrem Mark.
Sie feilschten
Mit ihrer Falschheit.
Handle nicht – so wirst du empfangen.
Lächle – so wirst du geliebt werden.
Schliesse die Augen – so wirst du sehen.
Du bist offenbar:
In dir.
Offenbare dich!
Das Werk ist nicht verwirkt.
Das Herz wird wirken.
Der Schmerz sich bezirken.
Die Faust sei genagelt ans Kreuz
Verdammt auf ewig
Zur Untat.
XXIX
Wolken haben sich gesammelt
Zu vernichten
Mich.
Steil
Stehe ich.
Donnert! blitzt! Ich biete mich dem zackigen Beile …
Sause nieder aus dem Himmel!
Flamme
Guillotine!
Spalte
Meine Steinstirn!
Frei dann werden meine kleinen Falter
Welche unterm Hirngewölbe schmachten
Mit zusammengelegten Fittichen.
Aus dem Gefängnis
Meines Gehirns:
Sie fliegen in Frühling
Sie schweben in Schwärmen
Sie schwärmen.
Ein Regenbogen grüsst in sieben Farben
Die Siebenfarbenen.
Sie schwanken schwach im Abendwinde
Indes der Donner
Hinterm Fels
Verebbt.
Coelia oder die Erfüllung
Die Oden auf Irene
I
Dir dunkelt
Der Mond,
Wenn hell am Schlitten die
Narzissensterne läuten.
Wohin lenkt uns der kleine
Silberne Kutscher?
Tausend Tannen laufen
An den Flanken des Schimmels.
Am Wege kniet ein Berg –
Du frommer Bauer!
Meervogel kreischt
Im Gletscherwind.
II
Wenn es dämmert,
Süsst mich die Sonne.
Sommert der Sommer –
Blinkt mir der Schnee.
Herz zwischen Herzen,
Brust zwischen Brüsten
Wank ich und schwank ich
Und krank ich dahin.
Bis zu den Sternen
Hüpft die Schaluppe –
Blonde am Buge,
Braune am Heck.
III
Der heisse Strom
Rinnt.
Ein totes Herz
Schlägt schnell.
Eine Maus
Nagt an der Wand.
Der Vorhang weht
Kalt.
Im Gang
Noch Licht.
Die Schwester eilt.
Ein Sterbender glänzt.
Geflüster nebenan
Und Glück.
Verzweifelte betasten
Ihren Leib.
IV
Der kleine Mann, der auf dem Leuchter sass,
Mit schwarzem Kopf, japanischer Gewandung,
Den deine Heiterkeit bei mir verliess,
Warf plötzlich heute nacht den Kopf zurück
Und starb. Obgleich er leblos schon: er starb;
Starb zweiten Tod in einer Träne, die
Aus deinem Aug auf seine Hände fiel,
Die er verzweifelt in das Leben streckte.
Er suchte eine Hand, die ihn ergriffe –
Und ihn ergriffen deine Tränen, die
Das schwache Herz aus Pappe töteten.
V
Du wandelst unter den Palmen, Silberkind.
Bananenstrauch begrenzte den Blütenweg.
Schon spannt Magnolienbaum den Himmel seiner
Rötlichen Sterne.
Schlingt nicht der See als silberner Gürtel sich
Um deine Kinderschlankheit? Sind Zypressen,
Die dunklen Schwestern, dir nicht zugetan im
Hain von Brissago?
Aber es schwillt der See. Die Blüten stäuben.
Sommer schweift. Die silbernen Reben reifen,
Und an deinen Brüsten saugt ein
Lispelndes Kindlein.
VI
In den Wimpern verfliesst
Stern und rosiger Mond.
Über dem Meere bereits
Schaukelt die Barke des Lichts.
War gehoben die Brust
Wie die Woge der Nacht.
Unter den Wellen schlief
Herz, der silberne Fisch.
Brenne, liebender Tag,
Um die Schläfen wie in Schaum.
Der Gestaltende neigt
Zu den Gestalten sich gern.
VII
Ich will singen den Gesang meines Elends.
Sein Feuer hat verbrannt mein Herz.
Ich bin nur Asche noch
Im Winde.
Als ich ein Knabe war,
Ich wusste nichts von Tod.
Als ich ein Jüngling war,
Ich lernte Leid.
Als ich weinte um mein Weib
In den Novembernächten,
Ich sah:
Gott grub ein tiefes Grab.
Ich grub wohl tausend Klafter,
Ich fand mein Weib nicht mehr.
Sie ist durch die Erde geflogen
Wie Schwalbe durch Luft.
Dies ist des Menschen Los:
Er lebt nicht ohne Tod.
Er stirbt und tötet
Ewig.
Er tritt die Raupe tot.
Er isst vom Kalbe.
Er mordet ein Geliebtes mit
Gelächter.
Weh über die Weiber, dass
Sie uns gebaren!
Sie warfen uns wie Kot
In braunes Laub.
VIII
Wie ist so dunkel die Nacht und so weit der Weg durch die Wüste!
Wie sind wir geschlagen mit der Geissel des Herrn!
Wie so erniedrigt wir, die wir hochhinschwebten!
Wie in die Knie gebrochen wir Schreitenden!
Kein Stein wird bleiben von unsren Städten.
Kein Wort von unsren Testamenten.
Kein Hauch unsres Atems.
Kein Lächeln unsrer Geliebten.
Mein Vater ist Witwer. Meine Mutter Witwe.
Ich bin eine Waise. Mein Kind stirbt.
Mein Weib ist bei den toten Schwestern.
Ich nur allein so elend auf der Welt.
Auf den Ruinen unsrer Tempel spinnen die Spinnen.
In den Sälen unsrer Paläste feiern die Ratten.
Der Regen salbt meine Stirn.
Zerblasen ist mein Stolz von der Gerichtsposaune.
Wenn ich weine, hagelt es.
Mein Geschrei erschüttert die Wolken.
Meine Blicke blitzen,
Mein Schritt donnert.
Unsre Feinde erheben ihre Stimme und jauchzen.
Sie sind über uns gekommen mit Schwert und Brand.
Unsre Könige und Priester sind ein Gelächter vor ihnen.
Unsre Frauen werden Barbaren gebären.
Ich will zerbrechen das Grab meines Weibes.
Aus einem Schoss ich kam. Ich will dahin zurück.
Es war so gut zu schlafen unter einem Frauenherzen.
Ich kann nicht leben mehr. Zuviel des Leids.
IX
Ich habe verloren mein Weib
Meinen Frieden.
Ich habe ihr
Das Grab geschaufelt,
Den Tannenkranz
Gewunden.
Ich habe verloren meinen Mond
Mein goldnes Herz.
Nun muss ich wandern
In der Nacht
Blindäugig
Dumpf.
Ich habe verloren den Gott
Meinen Vater.
Ich habe besudelt den Altar,
Das Kreuz
Zerspalten,
Die Heiligen
Verhöhnt.
Ich habe verloren die Sprache
Der Menschen.
Nun muss ich lallen
Leisen Laut.
Die Menschen lächeln
Meiner Seufzer.
Die klingen fremd
Wie Vogelwort.
Ich habe verloren mein Leben.
Ich bin tot.
Jeden Morgen
Steig ich aus dem Sarge,
Spei der Sonne
Ins Gesicht.
X
Ich ging einmal im Mai
In einen grünen Garten.
Am Bühling
Steht Sarg an Sarg.
Die Toten
Träumen schwer.
Wir stillen uns den Durst
Mit Blut.
Gott geb dem armen Leibe
Eine reiche Seel.
Läg ich bei meinem Mädchen
In Sankt Anton –
XI
Umhalse mich. Ich friere.
Ich liege so allein in deinem Bett.
Mein Mund sucht deine Lippen,
Meine Hand deine Hüfte.
Ich sah zwei Liebende am See.
Ich sank am Boden hin.
Ich sah ein blondes Kind;
Ich starb den ersten Tod.
Nie wieder wärmt mich deine Wange,
Nie wieder lächelt deine Stirn.
Nie wieder werden wir nach Rosenkäfern haschen.
Nie wieder weinen einer in des andern Aug.
XII
Die Steinmetze hämmern und klopfen an deinem Grabmal.
Mein roter Rosenkranz ist längst verwelkt und abgebetet.
In Deutschland wurde die Revolution
Als Fackel zu deiner Leichenfeier entzündet.
Sie leuchtet über den Bodensee.
In ihrem Schein seh ich die englisch-bleiche Stirn,
Auf der mein Mund so gern verweilte.
Verweile doch! Und steig noch nicht hinab!
Die Erde tropft auf deinen Sarg wie Tränen.
Selbst sie mit ihrem Kieselherzen weint.
Und sollt nicht ich, der ganz mit Blut Erfüllte,
Im Tränenstrom ertrinken und vergehn?
XIII
Meine kleine Schwester
Hat der Wind begraben.
Meine kleine Schwester
Ist verweht.
Nachts am Fenster
Rüttelt sie und flüstert.
Möchte stürmisch
In die Welt zurück …
XIV
Sieh, wie so einsam und müde ich mein Leben trage!
Sieh, wie meine Hände nicht wissen, was links und rechts!
Sieh, wie meine Augen irren und wissen nicht, was Tag und Nacht.
Und meine zerrissenen Füsse rennen bergauf und bergab.
Sieh, wie so einsam ich früh sitze in kalter Kammer,
Ich schlinge wie ein Hund die Brocken Brot.
Erstickte ich doch dran … Die Sonne
Brennt wie Schwefel in meinem Mund.
Die Uhr, die deine Sterbestunde schlug, steht still.
Der kleine Bär, mit dem du spieltest, weint.
Dein Nähzeug wartet im bunten Beutel,
Nadeln klingen und Lappen rascheln.
Du tatest Kleinst- und Grösstes heldenhaft.
Dein Lächeln überglänzte Qual und Glück.
Ich war die einzige Träne, die du weintest,
Du Heilige des zwanzigsten Jahrhunderts.
XV
Kind in der Wiege:
Zu Häupten mir ein dunkler Ritter,
Zu Füssen mir ein Schattenmann.
Die Erde schlittert. Und sie erschüttert
Den Wiegenkorb und wiegt mich in Schlaf.
Wenn ich erwache, schrei ich nach Sonne,
Wenn ich erwache, lächelt mein Herz.
Siehe, über des Korbes Brüstung
Reicht mir die tote Mutter die Brust.
XVI
Kleiner silberner Sarg
Schaukelt auf Wellen des Monds.
Falter flügelt am Bug,
Lenkt die schwebende Fahrt.
Weiden streifen den Strom.
Fische schwärmen am Heck.
Rufer am Ufer schrein
Durch die gehöhlte Hand.
Abwärts flutet der Kahn.
Mit einer Barke kreuzt
Er im Delta. Sie rauscht
Stürmischen Segels stromauf.
XVII
Gaukle, Gestade,
Mir doch kein Gold vor!
Keinen hellen Tag mir,
Sonne!
Winselt, Wolken!
Schluchze, Obstverkäufer!
Knarrt, Platanen –
An den Ästen ächzen
Die Gehängten.
Welcher Vogel dort
Überm Berge schreit?
Schon seit Wochen zieht er seine Kreise
Überm Felsen,
Wo der Jäger ihm sein Weibchen schoss.
XVIII
Um meine Füsse flattern
Die welken Blätter,
Des Herbstes braune Vögel.
Über den Wolken
Wandeln die weissen Berge.
Wo du weilest,
Mädchen,
Ist nicht Sternenstaub.
Kein Hauch meines Atems
Trifft dich.
Aber im hohlen Herzen mir
Ist dein Sarkophag
Errichtet.
Ewig streuen meine Hände
Erde auf dein Antlitz.
XIX
Die Birnen läuten im Chorgestühl der Baumkirchen.
Hangend am Gesträuch des Westwindes glaubte ich ewig dem silbernen Geräusch.
Der Mond umarmt die sanfte Hyazinthe.
Ich weiss, was mir bestimmt ist,
Und wie die Stimmen der kleinen Gaukler nur tönen im Turm und wie die Wasserrinnen klopfen so trostlos.
Singe doch, Wand!
Rausche doch, Vorhang!
Und ihr Tassen und Teller, die sie in ihren Händen hielt,
Klappert, klappert!
Es singen am Fenster immer ein Mann und ein Mädchen,
Zwei Töne nur,
Und des Tages finde ich sie nicht, wenn ich sie singen will.
Mein Zimmer ist voll Wind und meine Stirn voller Stürme.
Du rufst mich immer
Wie aus dem Stein hervor,
Du lächelst immer
Wie ganz vergangen.
Ich grabe mich in dein Gedächtnis,
Ich streichle deinen Schuh,
Ich schlafe in deinen seidnen Kleidern auf deinem Bett,
Ich weine nächtelang vor deinem Spiegel.
So oft umschlang er dich;
Ach, warum hielt der Glänzende dich nicht,
Dich nicht die Liebe?
XX
Aus den Wiesen steigt der Nebel.
Im Horizont verströmt der Fluss.
Rote Weinblätter leuchten leise zu meinen Füssen,
Die sind so müde des ewigen Wegs.
Der halbe Mond liegt gekrümmt im Bauch des Himmels wie ein ungeborenes goldnes Kind.
Es ist noch blind und weiss von der Erde noch nicht,
Auf der ein Mensch steht und in den Abend starrt:
Die Augen voll Glanz und das Herz voll Dämmerung.
Wenn erst der Wind wie der Kutscher des Brauerfuhrwerks mit der Peitsche knallt,
Wenn erst der weisse Frost an den Fenstern blüht –
Wenn der Buchs auf deinem Grabe verdorrt ist, bringe ich einen Strauss künstlicher Papierblumen,
Die schimmern wie geschminkte Frauen, die eine flüchtige Minute küsst.
Gib mir die Hand, Mann, wer du immer seist, der du mir in der Dunkelheit des Heimwegs begegnest,
Und vergib mir, dass ich dich nicht lieben kann.
Grüsse deine Frau, deine Kinder und die alte Grossmutter im Lehnstuhl.
Sag, du wärst dem steinernen Menschen begegnet im fallenden Herbstlaub.
XXI
Ach ich sinke dahin,
Sinke und singe im Sturm.
Sterne stürmen. Ein Faun
Bläst die Tuba des Zorns.
Nimmer trüg ich die Erd-
Kugel ein zweites Mal.
Aber in Händen hoch
Halt ich den sonnigen Ball.
Siehe: er schwebet so leicht.
Siehe: ich blühe so schwer.
Und mein Lächeln gebiert
Lächelnde Kinder des Tods.
I-hi-wie
I. Ich
I
Der Mann mit der schwarzen Maske erhebt seine Stimme und schreit.
Er sei genannt Namenlos und Nirgendwer.
Er hat abgetan seine eigene Tat, zu tun die Tat aller.
Nicht will er Wirkung seines dunklen Hauptes oder seines räudigen Ruhmes.
Nicht Eigen-liebe, sondern eigentliche Liebe.
Er lacht – lautlos.
Er liebt – brautlos.
Er handelt – machtlos.
Er wandelt – nachtlos.
II
Zu Füssen des Mannes mit der schwarzen Maske liegt der schwarze Hund.
Der bellt an: alle, welche kommen des Weges mit den strahlenden Gesichtern gewissen-loser Seligkeit. Denn grau ist die Farbe der Verschmitzten, der ruhelosen Rebellen des Herzens.
Schwarz ist die Fahne der schweren Schwärmer.
Sie wollen nichts wissen von der Weiss-heit der Fröhlichkeit, dem Gezwitscher des Mondes und dem Gebrüll des goldenen Drachens.
III
Ihr Menschen, spricht der Mann mit der schwarzen Maske, es sind welche unter euch, die sind
euch gesetzt zu Martern und Mördern. Sie haben goldne Schnüre an den Jacken – die sind gedreht aus euren Gedärmen und vergoldet.
Und es sind andere unter euch, spricht der Namenlose, denen schwillt Bauch und Geldsack. Ihr Blick ist eine Zahl, ihr Wunsch ist eine Zahl; sie reden und träumen und schweigen in Zahlen. Sie hängen Nullen an euch, die ihr seid eine Eins oder eine Zwei – und siehe, ihr seid Millionen. Ihr spaltet Holz und Köpfe für sie, sie kaufen und verkaufen euch – aus eurer Trägheit, ihr trägen Tiere, ihr Tragtiere – die ihr schleppt ihre Geldsäcke, ihre fetten Weiber und ihre weinerlichen Kinder.
Der, welcher nicht schläft, spricht:
Wacht auf!
Eure Nachtwache ist ihr Tagende!
Der, welcher den dunklen Spass der schwarzen Brüder nicht verlernt hat, ruft:
Lacht auf!
Euer Gelächter wird sie erschüttern, die auf eurem Rücken reiten – sie werden fallen, und ihr werdet sie zerstampfen mit dem Fuss der Verfehmten.
IV
Gerufen sind vom Manne mit der schwarzen Maske: . die während vieler Jahre schmerzlich Maskierten. Die hinter ihrer Maske die Wahrheit trugen als stille Flamme ihrer Stirne und als helle Hoffnung ihres Herzens.
Mitternacht, die Stunde der Demaskierung, wird bald mit harten Schlägen schlagen.
Gerufen sind, welche langsam erwachten aus den verfaulten Särgen ihres lebendigen Begrabenseins – und fühlen nun wieder ihre Glieder, ihren Glauben, ihre Fäuste – und die Kraft ihrer Schwäche – die Macht ihrer Un-tat.
Denn wir wollen nicht sein wie die Mächtigen – unsere Mission ist die Mission der Hilflosen, der Macht-losen, der Schwachen, der Armen, der Verkrüppelten und Gepeitschten, der Getretenen und Gefolterten, der vom Gewissen Zernagten, der von der Säge des Zwiespalts und des Zweifels Zersägten.
Die Gewissen – haben kein Gewissen.
Die Hochmütigen – keinen hohen Mut.
Wir wollen nicht tun die Tat der tausend Mächtigen.
Wir wollen tun die Un-tat.
Handeln – ohne Handlung.
Nicht töten – sondern zeugen!
V
Der Namenlose sprach:
Ich habe gemordet, als ich den Salamander zertrat und der harmlosen Natter mit einem Stein den kleinen Kopf zerquetschte.
Jetzt freilich ist es leicht, dies zu sagen, zu gestehen, geständig zu sein. Aber es ist schwer, geständig zu sein, ein Beständiger.
Was nützt es, ein Marmordenkmal zu errichten und mit goldenen Lettern darauf zu schreiben: Hier starb meine kleine Schwester, die Natter, durch meine Hand. Oder: Hier ruht mein Bruder, der Salamander,
gemordet durch mich.
Nie mehr wird die Natter schillernd auf besonnter Mauer schweben, nie mehr der Salamander in den duftenden Regennächten nach Liebe schleichen.
Ein anderes ist es um die Tat. Ein anderes um das Danachdenken.
Kein guter Gedanke erweckt den Salamander zum Leben und keine trübe Träne die braune Natter.
Getan ist getan.
Das merkt ihr an den Taten der Tätigen, dem Heldentum der goldgeschnürten Heldischen.
Sie haben sich überfressen an Machtgier.
Und sie schlucken vorn noch in ihr unersättliches Maul – während schon die untere Hälfte ihrer Leiber verweset.
VI
Der Namenlose spricht:
Ich geissle mich des Morgens und Abends, und das
Blut tropft von meiner Schulter.
Ach! Ich schäme mich meiner Scham (dass ich mich
verkroch vor dem Wüten der Wütenden.)
Ich weiss, ich habe mich gewandelt: von Mond zu
Mond, ja oft von Sonne schon zu Sonne.
Hiess gestern: Eigen-sinn.
Heute: Geigen-sinn.
Hiess gestern: Mord und Röcheln.
Heute: Lord und Lächeln.
Immer ein Anderer, immer ein Wanderer, wie elend,
wie schwelend: das Herz im Rauch-fang, im Pul verdampf. Im Hauch-fang der Thymianblüte.
Der Namenlose spricht:
Werde Stein! Du Weicher! Es wird das Wasser kommen, dich zu verschlingen, das Feuer, dich zu Asche zu brennen: es wird nichts an dir bleiben als Wassertropfen oder Russ.
Aber dein Kern, steinern, er bleibt: wie der Kern einer Kirsche: Du wirst aus allen Mäulern der Naschgierigen gespien.
VII
Der Mann mit der schwarzen Maske zog seine Maske herab: da ward das zerrissene, zerfetzte Gesicht eines Aussätzigen sichtbar.
Fasset Vertrauen, ihr Armen, zu einem, der ärmer ist, denn ihr!
Dass ihr nicht immer wart der Meinung der Beständigen, der Stein- und Stammenschen: dess sei kein Hader. Dass ihr erst wurdet unter ewig neu quellenden Qualen zu Brüdern vom Bunde des roten Herzens: Kein Vorwurf sei euch gesagt, keine üble Nachrede.
Er, der selber schwankte, weiss: wie leicht sichs schwankt in den Lüften: seht die Blätter. Und die Vögel im Sturm.
Ist nicht im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der Busse tut, als über tausend Gerechte?
Denn blieben die tausend Gerechten unter sich – was wäre der Himmel? – Nur tausend Gerechte in alle Ewigkeit. Aus den Sündern, die bekehrt wurden, wollen wir das
Himmelreich bauen, denn ihrer sind Millionen und mehr.
VIII
Der Namenlose spricht:
Ich danke dir, Gott, dass du mir meine Feinde gabst: unzählige wie Tropfenfall im Landregen: gute und böse.
Die guten Feinde: glauben an mich. Sie sind verschwärmt um mich wie Nachtfalter.
Aber die Bösen: sind die Hummeln.
Sie brummen und stechen.
Die bösen Feinde nennen mich: Heuchler, Lügner, Fälscher, Feigling.
Die guten Feinde nennen mich: schwacher Bruder, armer Mensch, Strauchelnder, Stolpernder.
Aber Dank beiden: den guten wie den bösen. Denn sie haben mir den Blick geschärft – für mich. Und die Waffen – gegen sie.
II. Du
I
Der Dichter an die Geliebte:
Heute Nacht, als ich erwachte, lag ich nackt, und mein Herz war aufgebrochen wie eine Blüte.
Es blühte auf meiner Brust wie eine Mohnblume, ein Schwarm Hummeln umschwebte es.
Sie sangen, sie sangen.
Mein Leib aber war ein Ährenfeld.
Ich wogte, ich wogte.
Und Winde fuhren über mich hin wie warme Hände.
Und eine heisse Hand war unter den Winden, die tastete zart nach meinem Herzen.
Auf schlankem Stengel schwankte mein Herz.
Sie nahm es, sie brach es.
Roter Tau lag morgens auf den Wiesen.
II
Die Geliebte an den Dichter:
Ich spreche mit dem Himmlischen Herz zu Herz.
In meiner Kammer geht er ein und aus wie ein Mensch.
Der Himmlische ist ein schöner Jüngling. Er ist tapfer wie ein Hieh-k-oh, aber weise wie ein Sching.
Willst du wissen, wer ich bin:
Sprich mit dem Himmlischen.
III
Der Dichter an die Geliebte:
Ich hörte einen Traum rauschen.
Der war wie ein Bach.
Ich sah einen Gedanken fliegen.
Dessen Flug war wie des Annamreihers Flug nach Süden gerichtet.
Hörtest du heute nacht nicht mein Herz an dein Fenster klopfen?
Hat dich der erste Strahl des steigenden Mondes nicht wie meine Hand berührt?
Ich sah ein Zierentenpaar sich sträuben und plustern, schillern und schnäbeln.
Wird der sinkende Mond uns Brust an Brüsten finden?
IV
Die Geliebte an den Dichter:
Ich habe diese Worte auf einen weissen Seidenfächer geschrieben: dass du dir mit ihnen Kühlung und Linderung deiner Sehnsucht zufächelst.
Ein Gebirge steht zwischen uns, und die Häuser vieler Städte verdecken unsere Gesichter –
Aber mein Atem ist der deine, und meine Seele von dir so selig beseelt.
V
Der Dichter an die Geliebte:
I-hi-wei, der heilige Dreiklang tönt in meinen Ohren.
Wei, das bist du geworden, und hei! du meine Freude!
Mit allen guten Geistern hältst du Haus, und alle bösen Geister sind wie Russ im Schornstein.
Sie sind verbrannt zu Asche in deinem Blick.
Der Wind wird die Asche über die vier Meere tragen.
VI
Die Geliebte an den Dichter:
Früher, als ich dich noch nicht kannte, las ich die zierlichen Verse von Mong-hao-yen und
Wang-tschang-ling.
Einige stöckelten auf spitzen Schuhen.
Einige zwitscherten wie Wildenten oder Lachtauben.
Verse waren es, wie man sie den hübschen Mädchen ins Ohr sagt.
Aber ich erinnere mich, dass Mong-hao-yen einmal ernst wurde. Er zuckte schmerzlich mit den Achseln und sprach:
Bald wird es Herbst.
Die Chrysanthemen blühn …
Die Chrysanthemen sind verblüht …
Bald wird es Winter …
Es ist Herbst geworden, mein Liebster.
Es fröstelt mich, und wehrlos bin ich den kalten Winden preisgegeben.
Wenn das Licht in den bunten Lampen flackert, schliess ich die Augen, und ich sage mir immer wieder das Lied vom weissen Haupte, welches Wen-kiun, die unglückliche Gattin Siang-ju’s, gedichtet hat:
Wie der Mond so weiss, wie der Schnee so weiss,
Werden unsre Häupter einmal sein …
Ach, dass ich doch einen Gatten gefunden hätte, der mich unwandelbar liebt, – auch wenn wir beide längst grau- und weisshaarig geworden sein werden.
Die Treue bis zum weissen Haar – welches Mädchen, Liebster, darf auf solche Treue, auf solchen Geliebten hoffen?
VII
Der Dichter an die Geliebte:
Bei der heiligen Schildkröte will ich dir schwören –
Nein,
Bei heiligerem:
Bei deiner blassen Stirn, bei deinem hellen Haar –
Dass ich dich nicht verlassen werde:
In diesem und in dem zweiten und in dem dritten Leben nicht.
Denn du bist alles,
Die drei und die eins,
Die Orchidee und der silberne Maimorgen und der tönende Gesang des Regens im Herbstlaub.
VIII
Die Geliebte an den Dichter:
Ich habe geweint, als ich deinen Brief empfing.
Ich habe gelacht, als ich deinen Brief empfing.
Ich bin an das westliche Fenster gegangen,
Da sassen unten auf der Strasse die Bettler und Tagediebe. Die Tage- und Nachtdiebe.
Da habe ich das Fenster aufgerissen, aufgerissen wie mein Herz, das ich nicht mehr zu halten vermochte, und ich habe den Bettlern und Strolchen zugejubelt:
Thu-fu liebt mich
Ewig
Ewig
Ewig!
IX
Der Dichter an die Geliebte:
Schönster unter den hellen Engeln!
Du schriebst mir von den Bettlern und Strolchen, und dass du sie deines Vertrauens gewürdigt hast; so durfte ich nicht zurückstehen.
Als ich heute morgen den kaiserlichen Palast verliess, und die Bettler von der nördlichen Pforte vor mir die Stirn im Staube wuschen, da sprach ich zu ihnen:
Steht auf, ihr Brüder vom Bunde des roten Herzens. Das beste Herz hat sich Euch offenbart und schwesterlich Euch zugeneigt.
Ihr seid auf heute abend in die Schenke zur Pfirsichblüte an den tanzenden Wegen zu Reiswein und gebratenen Hühnern geladen.
Du hättest die Freude der armen Brüder sehen sollen.
Sie hängten sich an mich wie ein Bienenschwarm, als wäre ich die Bienenkönigin, leckten mir den Staub vom Mantel und riefen:
Aller Himmel goldenster Lohn über dich, erlauchter Herr!
X
Die Geliebte an den Dichter:
Als ich vernahm, dass du wieder zehn Tage allein in den Ruinen von Tscheu-kong zugebracht, um über den Sinn nachzusinnen, die Flüge der Raben zu befragen, das Moos am Boden und die weissagende Pflanze Tschi,
Erschrak ich heftig.
Denn ich weiss, dass deine Gesundheit nicht die festeste ist, und dass die Meditationen an deinem Leibe zehren.
Möchte doch Tao nicht nur deine Seele stärken!
Damit du die Wurzelkost der letzten Woche vergissest, sende ich dir hier eine kleine Schachtel mit gesüssten Früchten.
Ich habe die Schachtel selber mit buntem Papier beklebt:
Tausend rote Herzen, so klein wie Getreidekörner, die der Vogel des Glückes pickt.
Da sich meine leeren Tage so endlos reihen wie eine goldne Kette der kaiserlichen Witwe, beschloss ich, die leeren Schalen auszufüllen, – damit ich meinem Freund bei seiner Rückkehr nicht nur mein arm-seliges Herz, sondern auch eine höhere Vernunft und Einsicht entgegenzubringen vermöchte.
Ich beschloss, mir einen Literaten höheren Grades kommen zu lassen, welcher mir an den Abenden das Tao-te-king aufsagt und kommentiert.
Einiges glaube ich nun begriffen zu haben.
Doch hat mich Tao, auch wo er mir dunkel erscheint, heilig und ahnungsvoll gerührt.
Wenn du wieder bei mir bist, sollst du ihn ganz mir erleuchten,
Und zwischen zwei Umarmungen will ich von deinen Lippen die höchste Seligkeit nicht nur, nein, auch die höchste Weisheit trinken.
XI
Der Dichter an die Geliebte: Willst du die Zeit dir vertreiben, bis ich von Hofe zurückkehre, so rate ich dir, eine kleine Wallfahrt nach dem Hiang-schang zu unternehmen. Dein Literat fünfter Klasse mag dich begleiten.
Auf dem Hiang-schang hat Kaiser Sien Tsung die Gedichte von Pe-kiü-y, in Stein graviert, aufstellen lassen,
Jedes Gedicht eine Steintafel,
Wohl an die tausend Gedichte.
Ein Einsiedler hütet das steinerne Gedichtwerk, und wer sich ein Gedicht des Unsterblichen abschreiben lassen will, der muss für die erste Niederschrift ein Goldstück, für die zweite aber ein Silberstück zahlen.
Ich rate dir, von deinem Literaten dir eine Abschrift des nächtlichen Liedes anfertigen zulassen, und solltest du viele Goldstücke dafür opfern.
XII
Die Geliebte an den Dichter:
Ich sandte dir eine Abschrift des nächtlichen Liedes.
Sie kostete einen Silbertaler.
Was gibst du mir dafür?
Dreimal musst du mir dafür lächeln,
Dreimal meine Stirn streicheln,
Dreimal dir von Li in das blaue Zimmer leuchten lassen.
Hat dich das nächtliche Lied bezaubert?
So will ich dir mein Taglied singen. Aber es klingt
müde, denn ich habe die Nacht verwacht. Und es sollte stolz und selig klingen.
Ich hörte in mich hinein,
Da hörte ich es klopfen wie einen Specht.
Wisse: Ich weiss es seit dieser Nacht:
Mein Himmlischer!
Mein Irdischer!
Mein Mensch!
Ich werde ein Kind von dir haben!
XIII
Der Dichter an die Geliebte:
Der Geist der Tiefe ist unsterblich.
Er ist das Übersinnlich-Mütterliche.
Des Übersinnlich-Mütterlichen Herkommen ist die Wurzel Himmels und der Erde.
Ewig sitzt die Mutter am Webstuhl.
Sie wird des Webens nicht müde.
III. Es
I
I-hi-wei:
Dies ist der heilige Name oder der heilige
Dreiklang.
Mit I-hi-wei wird Es gerufen.
I-hi-wei:
Dies ist Je-ho-va
I-hi-wei:
Dies ist die heilige Dreieinigkeit: Gottvater, Sohn und Heiliger Geist.
Drei auch sind der Göttermenschen, der Menschengötter, der Menschen, welche Gott geworden sind :
Der Inder Buddha
Der Jude Christus
Der Chinese Laotse.
Laotse aber ist der Erste unter ihnen.
In Laotse sah er zum ersten Male: Sich.
Danach in Buddha.
Danach in Christus.
Ich rufe ihn mit seinem Namen
Ich singe ihn mit seinem Dreiklang
Dass er mich höre und erhöre:
Sinn meiner Seele, Seele meines Seins.
II
Ich leugne nicht, dass ich die Weisheit habe vom
Herrn der sieben Hügel,
Von jenem, welchen man auch den Alten vom Berge
nennt.
Fern aber sei es von mir wie fernste Ferne, meine
Unvollkommenheiten, Unebenheiten, Unstimmigkeiten, Unsinnigkeiten zu entschuldigen mit meinem Hinweis auf den Erlauchten.
Sondern: was ich Gutes habe:
Solches ist von Ihm.
Was aber Torheit ist – dies ist ganz mir zu eigen.
III
Dreimal muss der Mensch sich wandeln, um eines zu werden:
Vom Menschen zum Tier
Vom Tier zur Blume
Von der Blume zum Stein.
Gott ist das steinerne Herz.
Ganz unbewegt: von Winden der Verzweiflung.
Ganz ungerührt: von Düften der Verführung.
Ganz unverrückbar.
Es gibt nur eine Wahrheit:
Die des Felsen.
Der Fels ist ewig wahr.
IV
Die Nachtigallen singen heute wie vor tausend Jahren
Denselben Gesang.
Die Esel schreien heute wie vor tausend Jahren
Dasselbe Geschrei.
Jede Nachtigall lauscht der andern Nachtigall und weiss:
Nachtigall.
Jeder Esel horcht auf den andern Esel und weiss:
Esel.
Nur die Menschen haben tausend Sprachen heute wie vor tausend Jahren und sprechen mit tausend Zungen.
Jeder Mensch spricht seine eigene Sprache, und der andere denkt: Unmensch.
Wer Bruder sagt, dem wird erwidert: Feind
Wer Feind sagt, der wird begrüsst: Bruder
Ich und Du: das ist wie Feuer und Wasser
Ich und Du: das ist wie Berg und Tal.
Wehe:
Wir haben vergessen das erste Wort, das uns alle einte.
Wir haben verloren:
Den Sinn
Verhandelt:
Das Sein
Verwünscht:
Die Seele
Wir wollen zusammen schweigen
Mein Mensch
Vielleicht dass wir uns dann verstehn.
V
Wir sind das Zweite.
Wir sind der Durchgang.
Das Erste geht durch uns hindurch:
Zum Dritten.
Wer ihm den Durchgang wehrt:
Wehrt dem Ersten
Wehrt dem Dritten
Wehrt sich selbst.
Also wirkt er wie ein Mörder gegen sich selbst.
Sei wachsam!
Und öffne deine Pforte: dem Ersten!
Der Dreiklang will zum Einklang werden:
In dir
Durch dich.
Der Gott will Harfe auf dir spielen.
VI
Jeder soll sein:
Wie Es.
Das Sein: sinnlich
Der Sinn: sinn-voll
Die Seele: selig.
Ich will nicht werden du
Du sollst nicht werden ich.
Du und ich:
Wir sollen es werden.
Dies ist der heilige Dreiklang.
VII
Es sind drei Männer, welche man Kong nennt.
Der erste ist der Schaltende
Der zweite ist der Waltende
Der dritte ist der Be-haltende.
Schalten, walten, halten:
Sind die drei Eigenschaften des Alten.
VIII
Das Geheimnis aller Dinge ist das
Tai-kie.
Das Geheimnis aller Dinge ist das
Ja-nein.
Jedes Ding sagt zu jedem Ding:
Ja-nein.
Ich liebe dich:
Ja-nein.
Ich bin:
Ja-nein.
Das Ja-nein ist das Noch-nicht und das Nicht-mehr. Es beherbergt das Als-ob und das Vielleicht.
Es bedingt die Dinge
Es beseelt die Seelen
Es ist Vatermutter aller Kinder
Enkel der Ahnen
Und Ahne aller Enkel
IX
I-hi-wei: dies ist der heilige Name oder der heilige
Dreiklang.
Drei ist die heilige Zahl.
Denn:
Dreimal drei Zeiten lebt der Mensch. Am dritten Tage der dritten Berufung stirbt der
Mensch.
Drei ist:
Himmel, Erde, Mensch
Sonne, Mond, Stern
Stein, Blume, Tier
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft
Mann, Frau, Kind
Sinn, Sein, Seele
Gehen auf der Erde, schwimmen im Wasser, fliegen durch die Luft
Der Liebende, die Geliebte und der Frühling
Südpol, Nordpol und Erdenmitte
Ich, Du, Es.
X
Der Anfang: das ist nicht der Ur-Anfang.
Denn der Ur-Anfang ist kein Anfang.
Der Anfang:
Ist das Erwachen der Kreatur zu sich.
Wenn der Stein fällt und aufschlägt: ich, so ist dies der Anfang.
Wenn der Baum blüht und schattet: ich, so ist dies der Anfang.
Wenn die Woge rauscht und wirft sich über den Strand: ich, so ist dies der Anfang.
Aller Anfang ist leicht.
Aber schwer ist das Fortschreiten:
Vom Ich zum Du
Vom Du zum Wir
Vom Wir zum Ihr
Vom Ihr zum Es.
XI
Wenn wir zu den Ahnen beten: so sinken wir in die
Knie vor einem toten Kind.
Das tote Kind ist unser Sinn-bild
Das tote Kind ist unser Stand-bild.
In ihm starben:
Sein Vater
Sein Sohn
Es selbst.
Dies ist der dreifache Tod.
XII
Das Kleine sei noch so klein:
Es ist gross im Verhältnis zu einem Kleineren.
Das Grosse sei noch so gross:
Es ist klein im Verhältnis zu einem Grösseren.
Der Stern verhält sich zum Menschen wie der Mensch
zum Sandkorn.
Aber über dem Stern:
Ist noch tausenderlei Höhe.
Aber unter dem Sandkorn:
Ist noch tausenderlei Tiefe.
Du sollst Ehrfurcht haben:
Vor dem Grössten
Vor dem Kleinsten
Vor dir.
XIII
Wozu ist das Wasser?
Dass man sich spiegelt.
Wozu ist das Feuer?
Dass man entbrenne.
Wozu ist die Erde?
Dass man schreite.
Dieses sind die drei Verwandlungen, auch Kräfte.
Und dreimal muss die Bahn der Drei vollendet werden.
Dreimal muss man sich spiegeln im Wasser.
Das erste Mal:
Im Teich.
Das zweite Mal:
Im Strom.
Das dritte Mal:
Im Meer.
Dreimal muss man entbrennen, sich entzünden:
Das erste Mal:
Am Herdfeuer.
Das zweite Mal:
Am Weibe.
Das dritte Mal:
An der Sonne.
Dreimal muss man die Erde beschreiten: Das erste Mal:
Das Tal.
Das zweite Mal:
Den Berg.
Das dritte Mal:
Das Grab.
Dieses sind die dreimal drei Verwandlungen.
Dies ist der heilige Dreiklang.
XIV
Der Ur-Anfang: dies ist das Eine:
Die Einheit
Die Einfalt
Die Einfachheit
Die Einsamkeit.
Das End-Ende: dies ist das Eine:
Die Einsamkeit
Die Einfachheit
Die Einfalt
Die Einheit.
Ur-Anfang und End-Ende ist eines.
Ur-Anfang und End-Ende sind Anfang und Ende eines Kreises.
Was dazwischen liegt: dies ist die Vielheit:
Das Vielleicht
Das Vielerlei.
Der Weg weist: von eins zu zwei
Von zwei zu drei
Von drei zu eins.
Vorwärts und rückwärts ist eins auf diesem Wege.
XV
Viele sagen, dass sie mit den Geistern Umgang hätten.
Sie lügen.
Wer ein Gesicht im Spiegel sieht, ruft: Geist –
Der lügt.
Wer einen Wind in der Nacht im Traum um sein Lager spürt, seufzt: Geist – Der lügt.
Wer einen Gesang hört in zwei Tönen, immer dieselben zwei Töne, singend wie Mann und Frau, lispelt: Geist –
Der lügt.
Der Geist: ist Geist an sich.
Der Geist: ist Geist in sich.
Der Geist: ist Geist um sich.
Er weiss nur: sich.
Er fühlt nur: sich.
Er sieht nur: sich.
Er hört nur: sich – und wird gesehn, gefühlt, gehört, gewusst: allein von sich.
Der Geist geistert: ich ich ich.
Dies ist das dreimal Eine
Dies ist der heilige Dreiklang.
XVI
Ich bin der Zauberer Dschem.
Ich bin siebenhundert Jahre alt.
Als ich Persepolis erbaute, fand ich in der Erde einen sonderbaren Spiegel. Ich sah hinein –
und erkannte mich.
XVII
Wer stirbt, hat nie gelebt
Wer lebt, wird niemals sterben.
Leben und Tod sind nur wie die zwei Seiten einer Münze.
Leben und Tod sind nur Varianten einer Melodie in Dur und Moll.
Aber das Leben klingt in Moll.
XVIII
Das Reich der Reichen geht zu Ende.
Die Armen heben ihre Arme.
Die Dunklen treten ans Licht
Und das Gelichter verschwindet.
XIX
Der Weise webt nicht Wolle und Spinngewebe in eins.
Denn jenes ist gemacht, dieses getan.
Etwas anderes ist es um das Machen.
Etwas anderes ist es um das Tun.
Etwas anderes ist es um die Macht.
Etwas anderes ist es um die Tat.
Der Wille will die Tat.
Aber der Widerwille die Macht.
XX
Was sind die Könige?
Hochmütig.
Ihre Diener?
Demütig.
Was tragen die Könige?
Schwerter.
Ihre Diener?
Leid.
Besser von dem Schwert geschlagen werden als mit dem Schwert schlagen.
Denn die Schärfe des Schwertes kann nicht bewahrt werden, aber bewahrt werden kann ein
reines Herz.
XXI
Besser einem Diener befehlen und ihm zu sagen: Geh dahin und dorthin – und er geht; als
Tausenden ein Herrscher zu sein und zu sagen: Tut dies und das. Denn von Tausenden folgen ihm nicht ein Dutzend, und alle seine Knechte sind des Herrschsüchtigen Feind. Also dass ein herrschsüchtiger König Feinde hat: innen und aussen. Und zugrunde geht an seiner Herrschsucht.
XXII
Der Gewaltige ist nicht gut.
Der Gute ist nicht gewaltig.
Der Gewalt-tätige herrscht über die Erde.
Aber der Mild-tätige befiehlt den Sternen.
Besser einen kranken Hund auf den Armen tragen als einen toten Feind ins Grab senken.
Besser: leicht zu lächeln als schwer zu schwören.
XXIII
Ich habe meinen Frieden gefunden – was brauche ich den euren?
Der eure ist glänzend, rauschend, wallend: mit Fahnen, Fackeln, Gesang, Wein und Rosinenkuchen. Fremde umarmen einander. Der Dieb und der, welcher aus dem Maule stinkt, sind plötzlich Brüder des Braven und Reinlichen. In den Gärten seufzen die Mädchen.
Aber mein Friede ist stumm: wie ihr toter Mund.
Aber mein Friede ist süss: wie ihr Lächeln.
Aber mein Friede ist hell: wie ihr helles Haar.
Aber mein Friede ist ewig: wie die ewige Seele der Geliebten.
XXIV
Der Gang aus dieser Welt in jene ist nicht anders, als wenn man aus einem Saal in einen zweiten tritt, den noch ein schwarzer Vorhang verhüllt.
Sie haben Furcht den Vorhang zurückzuschlagen, weil sie sich fürchten vor ihrer Seele.
Aber der Weise hebt ihn mit leichter Hand.
Und siehe: der Saal ist heller noch als der zuvor betretene, glänzender sind seine Lichter, die Genossen sind edler, und anmutiger die Tänzerinnen.