Die Liebe auf dem Lande

Erstabdruck einer Komödie aus dem heutigen Russland in 3 Akten von J. M. Woikow

Deutsch von Fritz Nagel und Klabund

Ort der Handlung: In Rußland, auf dem Lande.  Zeit: Heute.

Arina: etwa 21 Jahre. Leib und Seele der Komödie. Sehr hübsch. Mischung aus „Täubchen und Wölfchen“, wie Stepan sagt. Sehr frisch, sehr lebhaft, sehr energisch. Geht sehr einlädt und in bunter Bauerntracht, aber sauber, geschmackvoll und kokett angezogen. Rock bis kaum über die Knie, hohe schwarze Stiefel. Farbiges Kopftuch; wenn sie es manchmal herunterreißt, quillt reiches dunkles Haar mit einem leichten roten Schimmer darüber hervor.

S t e p a n : Dickes gutmütiges Gesicht. Land- und Ziegelarbeiter. Bauernschlau. Als Bauer angezogen. Struppiges braunes Haar, struppiger Bart. Stellt sich dümmer als er ist. Zu manchem Schabernack aufgelegt. Geizig. Schmutzig. Sucht immer seinen Vorteil zu wahren. Liebt das Leben. Primitiver Optimist. Alter etwa 35. Pfiffig. Pfiffiger als

Grischa: er sich immer klüger stellt als er ist, den „Gebildeten“ hervorkehrt, auch in seiner fadenscheiniges Stadtkleidung, falsche Zitate und verkehrte Bilder gebraucht, für Poesie schwärmt, sich als „Geistesarbeiter“ fühlt. Von melancholischer Gemütsart. Schmales blasses Gesicht. Pickel. Rotes Haar. Leicht zu Tränen gerührt. Alter etwa 30 Jahre.

Wladimir: kräftiger gescheiter Mann von etwa 2? Jahren, der seinen Weg machen wird. Und ein Vollblutmann, wie Arina ein Vollblutweib. Cholerisches Temperament. Etwas großsprecherisch. Trägt die typische, hemdartige „Russenbluse“ Klare, blaue Augen, blondes Haar, eine feste Hand, die etwas halten und festhalten kann. Kein Bart.

Jefim: gutmütiger, einfältiger Tatarenschädel.

Erster Akt

Ein russisches Standesamt auf dem Land, weit von Moskau. Standes­beamter und Kommissar Wladimir sitzt an seinem Tisch, schreibt und frühstückt.

„Was den von einem hohen Kommissariat in Moskau eingeforderten Bericht – über „Die Liebe auf dem Lande“ betrifft, so werde ich mir erlauben, zu recherchieren und statistisches Material herbeizuschaffen, um ganz ge­wissenhaft berichten zu können — da ich erst einige Wochen mein hiesiges Amt versehe — {kleine Pause, denkt nach —). Sollte es nötig sein, so werde ich auch vor persönlichen Experimenten nicht zurückschrecken — um den höchsten Anforderungen experimenteller Wissenschaft und eines hohen Kommissariates in Moskau Genüge zu leisten, ja ich werde äußersten Falles, unter Hintansetzung meiner eigenen Person … Uff (legt den Federhalter hin, steht auf, geht zu einem Schrank und entnimmt einer Buch-Atrappe eine Flasche Wodka, schenkt sich ein). Uff! (Es klopft. Keine Antwort. Es klopft. Wieder keine Antwort. Die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt, dann noch weiter und Stepans dicker, gutmütiger Kopf sieht herein).

Stepan: Ist es erlaubt, Euer Wohlgeboren – ?
Wladimir (verbirgt den Wodka): Kannst du nicht anklopfen — Kohlkopf — he?
Stepan: Jawohl. (Schließt die Tür, klopft an.)
Wladimir: Herrrein … (Die Tür öffnet sich nicht.) Wladimir (brüllend): Herrrein . . .
(Stepan tritt ein.)
Wladimir: Kannst du nicht sofort eintreten, wenn man „herein“ brüllt? Wie lange soll ich denn „herein“ brüllen? Wenn ich „herein“ sage, so heißt das „herein“.
Stepan: Jawohl.
Wladimir: Meinst du, ich bin dazu auf der Welt, daß ich …
Stepan: (unterbrechend): Nein.
Wladimir: Glaubst du, ich habe meine Zeit gestohlen?
Stepan: Jawohl.
Wladimir: Du bist ein einfältiger Tropf.
Stepan; Jawohl.
Wladimir: Du machst einen mit deinem ewigen „Jawohl“ noch ganz nervös.
Stepan: Bitte um Verzeihung, und was heißt das „nerviös“?
Wladimir: Nervös ..,
Stepan: Jawohl.
Wladimir: (gibt es auf): Mach es kurz. Ich habe zu tun. Keine Zeit Staatsberichte, lebensgefährliche Geheimberichte nach Moskau sind abzufertigen. Ich bin ein Staatsfunktionär, Standesbeamter und Kommissar in einer Person. (Stepan verneigt sich dreimal.) Was willst du? (Stepan dreht seine Mütze.) Was willst du…
Stepan: Nicht so schreien, Genosse Wohlgeboren, nicht so schreien, – das macht mich — nerviös.
Wladimir: Nervös.
Stepan: Jawohl.
Wladimir: (sieht ihn an): Du solltest gelegentlich mal baden —
Stepan: Aber Genosse Kommissar — ich bin doch kein Säugling mehr.
Wladimir: Möchtest du jetzt die große Güte haben, mir zu sagen, was du vorhast?
Stepan: Ich habe kein Vorhaben.
Wladimir- Was du möchtest …
Stepan: Ich möchte eine gute Fischsuppe essen, mit dicken Klößen darin …
Wladimir: Weshalb bist du hierher gekommen?
Stepan: (erfreut): Das ist es!
Wladimir: Also. Was gibt es? Raus damit.
Stepan: Wieso: raus damit? Ich dachte: rein damit
Wladimir: (ärgerlich): Was denn?
Stepan: Na ja: hier herein.
Wladimir: Nun?
Stepan: Ich …
Wladimir: Na, du bist ja schon hier.
Stepan: Jawohl, aber..
Wladimir: (scharf akzentuierend): Was — willst — du — eigentlich?
Stepan: Eigentlich?!
Wladimir: Jawohl …
Stepan: Ich — ich — schäme mich …
Wladimir: Warum?
Stepan: Ich — ich tu es zum erstenmal …
Wladimir: Du hast es noch nie getan?
Stepan: Nein …
Wladimir: Was hast du denn noch nie getan?
Stepan: Das, was ich bevorstehe im Begriffe zu tun,
Wladimir: (verzweifelt): Heiliger Grigory!
Stepan: Ich werde es dir ins Ohr flüstern —dann schäme ich mich nicht so …
Wladimir: Also flüstere.
Stepan: (geht zu ihm an die Balustrade, lehnt sich vertraulich darauf, hält die Hand an den Mund und
 lacht).
Wladimir: (ärgerlich): Was hast du?
Stepan: Genosse Wohlgeboren, du hast ein Büschel Haare am Ohr, Und das kitzelt mich.
Wladimir: Nimm dich zusammen. Und schieß los …
Stepan (erschreckt): Ich soll schießen? Warum denn? Ich hab ja gar kein Gewehr. Und wohin denn?
Wladimir: (verzweifelt): Ich hätte nicht übel Lust, dir eine blaue Bohne in deinen leeren Hirnkasten zu schießen. Du bringst einen ja zur Raserei.
Stepan: (hebt beide Hände wie am Krieg): Nicht schießen! Nicht schießen! Stepan guter Mann —
Wladimir: Nimm die Hände herunter, laß deine Dummheiten und sag endlich, was du willst —
Stepan: (macht Ansätze, immer mißlingt es ihm, schließlich flüstert er ihm etwas ins Ohr und steht erstarrt da).
Wladimir: (verblüfft): Heiraten willst du. Und darum den Klamauk?
Stepan: Ja — ich will in den heiligen Stand der Ehe treten.
Wladimir: Das gibt es nicht …
Stepan: (erschreckt): Wie?
Wladimir: Das gibt es nicht mehr.
Stepan: Was?
Stepan: Gibt — es — nicht — mehr?
Wladimir: Nein. Alles Heilige ist abgeschafft. Erledigt
Stepan: Aber der Pope sagt …
Wladimir: Dein Pope kann mich.. Du verstehst…
Stepan: Jawohl. Aber du kannst mich …
Wladimir: (auffahrend): He …?
Stepan: Ich meine du kannst mich aufklären, was das ist mit Heirat, Aufgebot, Ehe oder wie das Sakrament heißt
Wladimir: Sakramente gibt es nicht mehr …
Stepan: Sakrament …
Wladimir: Die Ehe ist eine Privatangelegenheit geworden.
Stepan: Aber man darf doch heiraten?
Wladimir: Man darf noch. Man kann. Man soll sogar. Man muß. Wegen der roten Armee. Die rote Armee braucht Soldaten.
Stepan: (bekreuzigt sich): Alle Heiligen mögen mich davor behüten, daß ich Soldat werde: weder ein roter, noch ein blauer, noch sonst einer.
Wladimir: Aber du sollst ja gar kein Soldat werden .
Stepan: Aber du sagtest doch eben
Wladimir: Ich sagte nur, daß deine Kinder Soldaten werden sollen.
Stepan (erstaunt): Aber ich habe ja gar keine Kinder.
Wladimir: Aber du wirst doch welche haben …
Stepan (erschreckt): Wieso? War Arinuschka hier und hat sie geklatscht daß wir
Wladimir: Es war kein Mensch hier
Stepan: Geht der Betrieb so schlecht?
Wladimir: Welcher Betrieb?
Stepan : Na, das Standesamt …
Wladimir: Er geht sogar ausgezeichnet. (Verzweifelt) Kommen wir endlich zur Sache. Du willst heiraten?
Stepan: Jawohl.
Wladimir: Wen?
Stepan: Eine Person weiblichen Geschlechts.
Wladimir: So, ich dachte schon,- du wolltest mich heiraten.
Stepan (lächelnd): Aber, Herr Kommissar, Genosse Wohlgeboren, wie dürfte ich wohl wagen, Ihnen einen Antrag zu machen — selbst wenn ich wollte.
Wladimir: Heiliges Kanonenrohr!
Stepan (begütigend): Aber ich will ja nicht. Ehen sind ja leider nur zwischen Personen verschiedenen Geschlechts statthaft. Was meine Person betrifft, so würde ich viel lieber einen Mann heiraten als eine Frau. Denn (vertraulich) unter uns: die Weiber, die Weiber — die haben es faustdick hinter den Ohren und faustdick zwischen (flüstert ihm etwas Unzüchtiges ins Ohr und will sich dann ausschütten vor Lachen).
Wladimir: Bist du hierhergekommen, mir unanständige Witze zu erzählen?
Stepan: Jawohl. Wie?… Nein. Ich will doch heiraten.
Wladimir: Ja wen denn zum Kuckuck.
Stepan (sieht sich ängstlich um): So contra publicum kann ich das nicht sagen. Ist niemand im Zimmer? (sieht untern Tisch usw.)
Wladimir: Du und ich.
Stepan (horcht an den Wänden, dann auf den Zehen spitzen gehend, flüsternd): Arinuschka …
Wladimir: Wer ist Arinuschka …
Stepan: Arinuschka — ist Arinuschka …
Wladimir: Warum sprichst du denn so leise?
Stepan: Es darf es niemand hören.
Wladimir: Wieso?
Stepan: Andere wollen sie auch heiraten. Grischa Jefim, Sergej wollen sie auch heiraten.
Wladimir: Du Dummkopf — und dann willst du sie heiraten? Sei doch froh, daß andere da sind, die sie heiraten wollen.
Stepan: Ja, der Pecasus ist, der: ich will sie eigentlich bloß heiraten, weil auch die andern sie heiraten wollen.
Wladimir: Das kapier ich nicht.
Stepan: Ja: wenn so viel andere sie heiraten wollen —, dann muß doch etwas an ihr dran sein, Genosse Wohlgeboren — oder?
Wladimir: Von allein bist du nicht darauf gekommen, was an ihr dran sein könnte?
Stepan: (schüttelt den Kopf): Nein.
Wladimir: Du hast nichts Bemerkenswertes an ihr entdeckt?
Stepan: Nein.
Wladimir: Ist sie schön?
Stepan (abwehrend): Vielleicht — ich verstehe mich nicht auf Schönheit.
Wladimir: Ist sie klug?
S t e p a n (lächelnd): Vielleicht — ich verstehe mich nicht auf Klugheit.
Wladimir: Ist sie reich?
Stepan: Reichtum gibts doch nicht mehr.
Wladimir: Liebst du sie?
S t e p a n: Ich verstehe mich nicht auf Liebe.
Wladimir: Ist sie wenigstens jung?
Stepan: Jung? Ja, jung ist sie, soweit ich mich auf Jugend verstehe … Ja — und dann ,— vor allem: ich bin wohnungslos, habe keine Behausung oder Unterkunft, um mich gebildet auszudrücken, habe die ganze letzte Zeit bei guten Freunden auf dem harten Fußboden geschlafen. Und Arina hat ein Bett — ein wunderschönes weiches Bett — ein eigenes Bett — eigenen Zimmer …
Wladimir: Und darum willst du sie heiraten?
S t e p a n : Jawohl. Die andern wollen sie ja auch heiraten.
Wladimir: Also in Gottesnamen. Wo steckt sie?
Stepan: (deutet zur Tür, öffnet sie): Arinuschka, Täubchen, komm herein, komm heiraten… (herein tritt Arinuschka, Sie knixt spöttisch vor dem Beamten).
Wladimir: Komm näher.
Arina (tut, als ob sie schüchtern näher käme).
Wladimir: Noch näher. (Arina tut es.) Du heißt?
Arina: Arina, Tochter des Pawel Jefimowitsch …
Wladimir: Und du willst den da heiraten?
Arina: Ich will den Schmierfinken da heiraten? Einen Dreck will ich …
S t e p a n : Arinuschka — Täubchen …
Arina: Ich will nicht, Er will.
Wladimir: Na, er will: schön. Aber du bist doch damit einverstanden?
Arina: Einverstanden? Meinetwegen. Es ist mir ganz gleich. Ob ich den da heirate oder Grischa oder Jefim oder Sergej — das ist Jacke wie Hose, Es sind alles vier Schmierfinken, Faulpelze und Dummköpfe.
Wladimir: Hm.
Arina: Aber sie lassen mir ja keine Ruhe, wegen der Sexalität —
Wladimir: Wegen was?
Arina: Wegen der Sexalität, heißt das. Früher unter dem Zaren — Gott hab ihn selig (Stepan bekreuzigt sich) — hieß das Liebe.
Wladimir: Also sie lieben dich?
Arina: Ja, sie lieben mich. Wenigstens tun sie so.
Wladimir: Alle vier?
Stepan: Jawohl: alle vier.
Wladimir: Und du liebst? —
Arina: Keinen.
Wladimir: Aber, wenn man keinen liebt, dann heiratet man doch nicht …
Arina: Herr Kommissar — ich will endlich meine Ruhe haben. Sie sind hinter mir her, wie die Kater hinter der Kätzin,
Wladimir: Hast du dir das aber auch reiflich überlegt — mit der Heirat? Wenn die Reue nachher kommt, ist es zu spät. Sieh ihn dir doch noch einmal genau an, deinen zukünftigen Mann.
Stepan (grinsend): Ja, sieh mich noch mal genau an — Täubchen — Arina Arinuschka.
Arina: Ach was — ich will gar nicht hinsehen — Augen zu, Ohren zu, geheiratet, und damit basta.
Wladimir: Du bist doch ein so hübsches, gescheites, reizendes Mädchen …
Arina: Das sagen alle.
Wladimir: Eben darum, weil das alle sagen, ist es auch wahr. Und du willst diesen … überleg dir’s Arina … (greift ihr unters Kinn).
Arina (schlägt ihm die Hand herunter): Hände weg von Sowjetrußland!
Wladimir: Na schön. Wir wollen also unverzüglich zum Vollzug der Ehe schreiten (holt die Register). Also du heißt?
Stepan: Stepan Stepanowitsch.
Wladimir: Alter?
Stepan: Jawohl, Vater lebt noch.
Wladimir: Wie alt du bist?
Stepan: 31.
Wladimir: Beruf?
Stepan: Nein.
Wladimir: Bist du Maurer, Schlosser, Holzfäller? …
Stepan: Land- und Ziegelarbeiter bin ich.
Wladimir: Und du heißt?
Arina: Arina, Tochter des verstorbenen Pawel Jefimowitsch (betrachtet ihn aufmerksam). Deine Feder schreibt wohl nicht gut, wenn du meinen Namen schreiben willst?
Wladimir: Halt den Mund. Wie alt?
Arina: 21.
Wladimir: Beruf?
Arina: Arbeiterin in der Staatlichen Maschinenfabrik (sieht über die Balustrade). Du hast ja bei meinem Beruf einen Klex gemacht. In der Feder ist wohl ein Stäubchen drin? … Ich- vielleicht?
Wladimir: Sei still.
Arina: Oder können die Standesbeamten von Berufs wegen nicht gut schreiben?
Wladimir: Unterbrich mich nicht. Stör mich nicht im Vollzug der staatlichen Handlung. — Du, Stepan und du, Arina, Tochter des verstorbenen Pawel Jefimowitsch, ihr seid willens und bereit, die Ehe zu vollziehen? So antwortet laut und deutlich: Ja —
Stepan: Ja …
Arina: (zögernd): Meinetwegen; jo
Wladimir: Nicht „jo“, deutlich: ja.
Arina: Ja.
Wladimir: Also schreibt zum Einverständnis dessen eure Namen hier ins Buch, und die Sache ist erledigt (reicht Stepan die Feder).
Stepan (nimmt sie verlegen): Eine schöne Feder — sehr schöne Feder — so neu — wo kauft ihr eure Federn?
Wladimir: Kannst du nicht schreiben?
Stepan: Genosse Wohlgeboren, wenn ich die Wahrheit sagen sollte, könnte ich nicht lügen.
Wladimir: Also mach drei Kreuze hin, oder einen Kreis oder was du willst …
Stepan (schreibt): Einem Kreis mit Permission, das erinnert mich an ein Wagenrad.
Wladimir: Und du kannst schreiben, Arina?
Arina (reißt Stepan den Federhalter aus der Hand): Natürlich. Ich bin doch eine Person von Bildung. Ich habe doch die Schule besucht. Und mit so einem Strohkopf von Alphabeten wie der da, muß ich mich verheiraten (schreibt).
Wladimir: (schüttelt beiden die Hände): Ich gratuliere. Ihr seid nun beide ein Paar.
Stepan: Ein schönes Paar!
Arina: Ein sauberes Paar!
Stepan (froh): Die werden sich giften …
Wladimir: Wer?
Stepan: Na, Grischa und Jefim und Sergej (versucht Arina unterzufassen).
Arina: Laß das. So intim sind wir noch längst nicht…
Stepan: Die Freude macht sie ganz verwirrt …
Arina: Und nun Stepan: tu deine erste eheliche Pflicht…
Stepan: Aber Arinuschka, hier vorm Kommissar ..,
Arina: Red keinen Unsinn. Du weißt ganz gut, was ich meine.
Stepan: Arinuschka — Täubchen — ich habe keine Ahnung.
Arina: Na sieh einer mal den Gauner, den Lumpen, den Betrüger an …
Wladimir: Aber Frau Arina, mäßigen Sie sich. Sie werden doch die Ehe nicht gleich mit einer Szene beginnen wollen …
Arina: Mit einer? Mit zwei — mit hundert — mit tausend. So ein Quarkbeutel, ein ausgequetschter, so ein Kohlstrunk. ein verdorrter, so ein niedertrachtiges Hundshirn …
Stepan: Täubchen — Arinuschka — reg dich doch nicht auf — wer wird denn schimpfen — schimpfen entstellt den Mund — sag nur …
Arina: Herr Kommissar — sagen — hilft es bei diesem tauben Mehlsack etwas zu „sagen“? Brüllen muß man, schreien (schreit) …
Wladimir: Wahren Sie die Würde des Amtshauses, Frau Arina, und toben Sie nicht so …
Arina: Er hört ja nicht. Er will ja nicht hören. Er stellt sich absichtlich taub. Er weiß ganz gut …
Stepan: Nichts weiß ich, Arinuschka …
Arina: Ich habe wegen dieser verfluchten Heiraterei heute einen ganzen Tag in der Fabrik verloren …
Stepan: Was du verloren hast, wirst do schon wiederfinden, Arinuschka.
Arina: 2 Rubel 50 Tageslohn habe ich verloren. Die mußt du mir ersetzen …
Stepan: Was muß ich? Nichts muß ich …
Arina: Da haben wir die Bescherung. Weigert sich dieser Halunke, dem ich mein ein und alles, meine jungfräuliche Ehre geopfert habe, mir die zwei Rubel fünfzig zu ersetzen, die ich durch ihn verloren habe.
Wladimir: Aber, Frau Arina, da Sie jetzt verheiratet sind, kommt es doch wohl auf die zwei Rubel fünfzig nicht an …
Arina: Auf die zwei Rubel fünfzig kommt es nicht an? Nur auf die zwei Rubel fünfzig kommt es an. Wir haben keine Gütergemeinschaft Das gibt es nicht mehr. Der Kerl muß für sich selbst sorgen, wie ich für mich. Aber die Kosten, die er mir verursacht, muß er mir ersetzen. Das ist nur recht und billig. Das ist mein Recht. Und ich verlange mein Recht. Gerechtigkeit muß sein.
Stepan (beharrlich): Die zwei Rubel fünfzig kriegst du nicht ..
Arina: Was krieg ich nicht?
Stepan (retirierend): Die zwei Rubel fünfzig …
Arina: Das werden wir seilen, mein Bürschchen. Hast du mir nicht geschworen, daß du sie mir ersetzen wirst?
Stepan: Dann habe ich eben falsch geschworen, Arinuschka — außerdem gibt’s ja gar keinen Eid mehr — man kann ja gar nicht mehr schwören, weder falsch noch richtig …
Arina (zieht einen Partoffel und schlägt auf Stepan los): Bist du mein Mann oder bist du nicht mein Mann?
Stepan: Aber Arinuschka, Täubchen, sei doch nicht so bös, was soll denn der Genosse Wohlgeboren von uns denken. Eben haben wir uns erst ge¬heiratet und schon tust du so, als ob wir Jahre lang verheiratet wären..
Arina: Ich werde dir deinen Trotz, deine Bosheit schon austreiben, Hundesohn. Zahlst du oder zahlst du nicht?
Stepan: Herr Kommissar, helfen Sie mir — ich bin ein armer, geschlagener Mann — ein Bettler—, ich habe nichts — rein gar nichts …
Wladimir: In Privatangelegenheiten menge ich mich< grundsätzlich nicht ein.
Arina; Das war auch noch schöner: dem helfen. So hilflos ist er nicht. Der kann sich schon selbst helfen.
Stepan: (macht einen letzten Versuch): Arinuschk Engelchen .,.
Arina: Zwei Rubel fünfzig.
Stepan: (versucht zu handeln): Zwei Rubel
Arina (unerbittlich): Zwei Rubel fünfzig.
Stepan: Aber ich habe nur drei Rubel … Das ist mein ganzes Barvermögen …
Arina: Ich kann wechseln.
Wladimir: Also wollt ihr euch jetzt bald einigen?
Stepan (seufzend): Um des lieben Friedens willen – hier (gibt ihr drei Rubel).
Arina: Her damit …
Stepan: (ängstlich): Aber du mußt mir fünfzig Kopeke wieder herausgeben …
Arina: (verächtlich, wirft sie ihm vor die Füße): Hier ..
Stepan (hebt sie auf): Danke schön (küßt ihr beim Aufstehen den Rocksaum).
Arina: Du bist ein Feigling — ein Schwachkopf -ein Sch .. kerl. So läßt du dich von einer Frau behandeln Einen solchen Waschlappen kann ich als Mann nicht brauchen. Scher dich zum Teufel ..,
Stepan: Arinuschka — wer wird denn gleich so auf begehren ..
Arina: Scher dich weg …
Stepan: So behandelt du deinen Mann, von welchem in der Bibel steht: er soll dein Herr sein …?
Arina: Ja, du solltest mein Herr sein. Aber du bist e nicht. Du bist auch nicht mein Mann. Du bist es die längste Zeit gewesen …
Stepan: Arinuschka — eben erst sind wir in den heiligen Stand der Ehe getreten …
Arina: Und schon trete ich wieder aus. — Herr Kommissar, ich beantrage die Scheidung.
Wladimir: Wie, bitte?
Arina: Die Scheidung.
Stepan: Die Scheidung?
Wladimir: Die Scheidung?
Arina: Die Scheidung.
Wladimir: Bitte sehr …
Stepan (erschreckt): Aber das ist doch gar nicht menschenmöglich! — Das geht doch nicht — wir haben uns doch eben erst verheiratet …
Wladimir: Nach dem neuen Gesetz genügt es, wenn einer der Ehegatten die Scheidung beantragt um sie auch sofort gesetzlich wirksam werden zu lassen ..
Arina: Schreiben Sie — schreiben Sie die Scheidung ins Buch — schnell — schnell — (diktiert); Auf Wunsch der Ehegattin Arina — haben Sie Arina? — des Stepan Stepanowitsch — haben Sie witsch? — wird die Ehe mit sofortiger Wirksamkeit — geschieden — haben Sie „geschieden“? —
Wladimir (schreibt): Sofort …
Arina: Ich unterschreibe — so — so.
Wladimir: Hiermit erkläre ich die Ehe von Stepan Stepanowitsch und Anna, Tochter des verstorbenen Pawel Jefimowitsch, rechtsgültig für null und nichtig
Arina: Jetzt sind wir geschiedene Leute. Gott im Himmel bin ich froh, daß ich nicht mehr verheiratet bin, daß ich diesen Waschlappen, Geizhals und Saufsack los bin — so eine Ehe ist doch eine riskante Sache — aber die zwei Rubel fünfzig hat er mir doch noch zahlen müssen — (streckt ihm die Zunge heraus, ab).
Stepan: (ist ganz betroffen): Ja, aber wie ist denn das gekommen. — Das geht ja alles wie der Sturmwind, was soll denn nun bloß werden. Ich bin ja wohnungslos — ich hab ja kein Zimmer. Was werden die Leute dazu sagen — jetzt wird sie einer der andern heiraten — Grischa oder Jefim oder Sergej — und ich hatte mich schon so auf ihre langen Gesichter gefreut …
Wladimir: Kopf hoch — Stepan. Ich schreibe dir einen Schein für’s Zimmer. Sei froh, daß du sie los bist (nimmt einen Wodka), Das ist ja ein Teufelsbraten von Weib. Alle Achtung. Die hat Blut in den Adern und Mark im Hirn. Daraufhin muß man sich stärken, vor der kann man wirklich schwach werden. Nimmst du auch einen? Hier ein tüchtiger Schluck aus dem Kapital von Marx kann nicht schaden — (schenkt ihm ein aus der Atrappe).
Stepan: Um Vergebung … zu gestatten (trinkt) — ach — das tut wohl. Ja — das war wohl ein bedeutender Kopf — dieser Marx? (Es klopft.)
Stepan: ‚Sie kommt zurück. (Erfreut) Sie hat sich’s überlegt … (Es klopft stärker.) Wladimir: Gott sei uns gnädig… Herrrein… (Herein kommt Grischa.)
Grischa: Ist es erlaubt, Genosse Wohlgeboren?
Stepan: Das ist ja Grischa …
Wladimir: Was willst du?
Grischa (grinsend): Heiraten …
Wladimir: Das Geschäft blüht. Das geht ja heute wies Bretzelbacken. Wen zum Kuckuck, willst du denn heiraten?
Grischa (ruft heraus): Arina — Arinuschka, Täubchen, komm herein, komm heiraten. (Herein tritt, knixend, feixend Arinuschka.)
(Wladimir und Stepan stehen erstarrt.)
Wladimir: So eine Kanaille!
 (Vorhang)

II. AKT 

Stube der Arina. Sehr einfach, aber sehr sauber hergerichtet. Bett, Sofa. Wenn der Vorhang aufgeht, ist es dunkel. Man hört draußen Stimmen.

Arina: (eintretend): Komm. Komm herein. Komm nur. Ich mache Licht. (Sie steckt eine Petroleumlampe an.)
Grischa (eintretend): Wenn es erlaubt ist — o ist das schön — warm und schön — das ist ja wie in einem Palast.
Arina: Nimm deine Mütze ab.
Grischa (tut es): Jawohl.
Arina: Schlag dir den Schnee vom Mantel.
Grischa: Bitte sehr.
Arina: Zieh den Mantel aus.
Grischa: Das ist kein Mantel. Das ist ein Gehrock, ich hab ihn nur zur Feier unserer Hochzeit angezogen.
Arina: Was hast du denn sonst für einen Rock?
Grischa: Sonst habe ich keinen.
Arina: Na also — zieh des Gehrock aus.
Grischa: Das kann ich nicht.
Arina: Warum nicht?
Grischa (schämt sich): Ich hab kein Hemd darunter.
Arina (reißt ihm das Chemisett heraus): Und das da?
Grischa: Das — das ist mein Sonntagschemisett. (Steckt es wieder herein.)
Arina: Was kratzest du dich denn?
Grischa: Es juckt mich.
Arina: Und warum juckt es dich — hast du einen Floh?
Grischa: Ich glaube.
Arina: Fang ihn und töte ihn,
Grischa: Nein — das kann ich nicht.
Arina : Warum?
Grischa: Es fließt mein Blut in seinen Adern. Er ist ein Stück von mir.
Arina: Da ist er was Rechts. — Du bist jetzt mein Mann. Du mußt Bildung lernen.
Grischa: Wenn es erlaubt ist
Arina: Deine Stiefel sind Ja ganz dreckig. Die Stiefel putzt man sich draußen sauber, ehe man in die gute Stube tritt.
Grischa: Jawohl.
Arina: Kennst du nicht das Sprichwort:
Wer über diese Schwelle tritt, Der bringe Güte und Frohsinn mit., Kommt einer sorgenbeschwert herfür, Der Staubabtreter steht vor der Tür.
Grischa: (leuchtend): Das ist wunderschön.
Arina: Was denn?
Grischa: Der Spruch.
Arina: Liebst du die Dichtkunst?
Grischa: Welche?
Arina: Das, was in den Büchern gedruckt ist…
Grischa: Ja, das bebe ich, denn ich verstehe es nicht Ich kann nur lieben, was ich nicht verstehe. Was ich nicht begreife. Was über mir ist oder was mir über ist Deshalb liebe ich dich, Arina, weil ich dich nicht verstehe.
Arina: Schön.
Grischa: Du bist so klug, und ich bin so dumm. Du bist so schön, und ich bin so häßlich. Du bist so (findet das Wort nicht), und ich bin so (findet das Wort nicht)…
Arina: Schwatz nicht und hilf mir den Tisch decken.
Grischa: Wo ist denn das Tischtuch?
Arina (lachend): Das Tischtuch? Ja glaubst du, ich habe ein Tischtuch? Auf dem rohen gescheuerten Tisch ißt sich’s genau so gut, — wenn man was zu essen hat.
Grischa: Und was hat man denn zu essen?
Arina: Brot und Käse und einen herrlichen Tee — so. (Stellt den Samowar auf den Tisch.) Hier setz dich — greif zu — schmeckt es?
Grischa: Danke — es schmeckt sehr gut… (Greift zu.)
Arina: Willst du den Tee stark oder schwach?
Grischa: Bitte schwach.
Arina: Das dachte ich mir. . .
Grischa: Nach starkem Tee kann ich schlecht schlafen. Starker Tee regt mich immer so auf.*
Arina: Ist es nicht schön, aufgeregt zu sein?
Grischa: Wie meinst du? Ja — schon. Aber zu sehr — das schadet wieder der Gesundheit. Ich war mal vor einem halben Jahr in der Stadt und da konsultierte ich, so sagt man, Doktor Smerdiakow, — einen hochgebildeten, hochkultivierten Arzt- sowohl wie Mediziner. Einen enorm eminenten Kopf. Der sagte mir: Grischa, sagte er mir, starker Tee und starker Kaffee, das ist Gift für dein Herz und deine Nerven. Du bist sowohl nerviös, sagte er, als auch herzleidend. Also sowohl einerseits wie anderseits. Du verstehst. . .
Arina: Ich verstehe. . .
Grischa: Auf dein Wohl, Arinuschka. . .
Arina: Auf das deine, Grischa.
Grischa: Ich kann noch gar nicht verstehen, daß wir nun verheiratet sind. . .
Arina: Ich auch nicht.
Grischa: Ja, es ist wie ein Traum, das Leben ein Traum. Vorhin noch ledig — und jetzt schon ver¬heiratet. Früher ging das nicht so schnell. Wir leben in einer fortgeschrittenen Zeit. Man sollte es nicht für möglich halten.
Arina: Nein, man sollte es nicht für möglich halten.
Grischa: Ja die Zeiten ändern sich — und wir mit ihnen, wie es beim Dichter heißt. Wie ist das eigentlich gekommen? Ich wollte dem Kommissar eine Meldung machen, wegen der Klauenseuche auf unserer Gemarkung, gehe aufs Amt, treffe im Vorzimmer auf dich, Arina — Arinuschka — und du heiratest mich — schlank¬weg — von der Stelle — nein — ist das merkwürdig . . .
Arina: Ja das ist sehr merkwürdig.
Grischa: Du hast einen starken Willen. Bist du immer so selbständig?
Arina: Immer. Das bin ich schon seit meiner Kindheit. Was ich will, das will ich. — und jetzt will ich dich (küßt ihn). . .
Grischa: Du hast ja so heiße Lippen, Arina, Arinuschka. Du bist doch nicht herzleidend? Du solltest dich wirklich nicht so aufregen. Als ich vor einem halben Jahr in der Stadt war, da konsultierte ich, so sagt man, Doktor Smerdiakow, einen enorm eminenten Kopf, — und Doktor Smerdiakow sagte: Grischa sagte er. . .
Arina: Ich weiß, Grischa, was er sagte. — Nimmst du noch etwas Tee?
Grischa: Wenn ich bitten darf, aber sehr verdünnt (rührt im Tee). O wie ich mich auf unser Kind freue. Eia popeia, was raschelt im Stroh —
Arina: Aber es ist ja noch gar nicht da. . .
Grischa: Es wird schon kommen.
Arina: Wir werden sehen. . .
Grischa: Wenn es ein Sohn wird, so soll er Barrikado heißen: der Kämpfer auf der Barrikade. Wenn es aber ein Mädchen wird, so soll sie Darwina heißen. Darwina, Darwinuschka.
Arina: Darwina, was ist denn das für ein narrischer Name?
Grischa: Darwina, das kommt von Darwin. Darwin, das ist der große Erfinder, der die Abstammung der Affen von den Menschen erfunden hat. Hast du noch nie von ihm gehört?
Arina: Nein.
Grischa: Arina — Arinuschka — ich glaube, was die höhere Bildung betrifft, so kannst du mir da schwerlich das Wasser abschlagen. Denn ich bin ein heller, ein wissenschaftlicher Kopf, ein Motordidakt ersten Ranges.
Arina: Ich will dir mal was sagen: ich pfeife auf deine sogenannte Wissenschaft.
Grischa: Aber Arina, das solltest dn nicht so leichten Fußes sagen. Ich werde dir gleich einen Beweis von der Notwendigkeit und praktischen Verwendbarkeit der Wissenschaft geben. (Zieht ein ziemlich schmutziges, beschmiertes Buch aus der Tasche.)Hier!
Arina: Was ist das?
Grischa (feierlich): Arina — Arinuschka — bevor wir zum feierlichen Vollzug unserer Ehe schreiten — ich bin übrigens ein Gegner aller Sittenlosigkeit und Polugamie, heißt man das — ich habe mich bis zum heutigen Tage rein erhalten — ich bin für Monotonie — Ja also — wie gesagt — so wollen wir gemeinsam die ersten Seiten dieses Büchleins lesen — die uns den Weg weisen sollen in das Labyrinth der Zukunft: „Was müssen Jungfrau und Jüngling vor der Hochzeitsnacht wissen?“
Arina: (bekommt einen Lachkrampf): Grischa — Grischa, du bist zum Verlieben (küßt ihn).
Grischa: (pädagogisch): Halt! — Erst die Theorie! Kapitel I. Das Vorspiel (liest). Sobald sich das verehelichte Paar dem Trubel und Jubel des Hochzeitsfestes entrissen, dem üppigen Schmaus, dem fröhlichen Tanz Valet gesagt, sich von den zahlreichen Gästen und Standespersonen allerseits gebührend verabschiedet hat — nachdem die junge Frau schweren Herzens, aber den¬noch frohgemut ihrer schluchzenden Matter und ihrem männlich beherrschten Vater den Abschiedskuß auf die beiderseitige Stirn gedrückt hat —- steht sich das frischgebackene Ehepaar zum erstenmal in dem von einer roten Ampel traulich erhellten Hochzeitsgemach Aug in Aug allein gegenüber. Welch ein Augenblick! Züchtig halt die junge Braut die Blicke zum Boden gesenkt, während der junge Gatte, im Vollbewußtsein seiner Manneskraft, sie fest, aber zärtlich an sich zu drücken bestrebt ist In diesem Moment klopft es leise an die Tür — (es klopft, Grischa horcht und liest weiter) in diesem Auge klopft es leise an die Tür. . .
Arina: Es hat geklopft.
Grischa: (es klopft): Es hat wieder geklopft — ein Geist –
Arina: Sieh nach.
Grischa: Aber wenn es ein Geist ist?
Arina: Sieh trotzdem nach!
Grischa: (furchtet sich): Jawohl. (Schließt verdrießlich das Buch, geht ängstlich zur Tür hinaus, kommt gleich wieder. Er ist verlegen.)
Arina: Was ist denn los?
Grischa: Ja.
Arina Was hast du denn?
Grischa: Es ist jemand draußen.
Arina: Das hab ich mir gedacht Wer denn?
Grischa: Du wirst es nicht glauben.
Arina: Was werde ich nicht glauben?
Grischa: Wer da draußen ist. . .
Arina: Wer ist denn draußen?
Grischa: Du bist mir auch nicht böse, wenn ich e dir sage?
Arina: Ja, warum sollt ich denn böse sein?
Grischa: Ich finde, daß es sich nicht schickt
Arina: Was schickt sich nicht?
Grischa: Der Besuch. . .
Arina: Welcher Besuch?
Grischa: Der dort vor der Tür steht. . .
Arina: Wer zum Teufel ist es denn nun eigentlich
Grischa: Dein früherer Mann. . .
Arina: Mein früherer Mann. . .
Grischa: Na ja, der, mit dem du heute eine halb Stunde verheiratet warst. . .
Arina: Ach so — Stepan.
Grischa: Ja, Stepan.
Arina: Aber so bitte ihn doch herein. Du kannst ih doch nicht draußen im Schneegestöber stehen lassen. .
Grischa: Wenn du meinst. .
Arina: Ja, ich meine. . . (Grischa öffnet die Tür.)
Grischa: Du sollst hereinkommen, Stepan. (Herein tritt Stepan, ganz beschneit.)
Stepan: Wenn es erlaubt ist. Es ist ein fürchterliches Wetter — ich wünsche einen guten Abend. —
Arina: Tritt näher, Stepan, hast du Angst daß ich beiße?
Stepan: O — ich weiß nur zu gut — was für ein Raubtier du bist Arinuschka.
Arina: Du überschätzest mich, Stepan. . .
Stepan: O weit gefehlt — Arinuschka — wer könnt dich überschätzen — wer dich kennt, der kennt die — sozusagen — mein Täubchen — mein Wölfchen — mein Bärchen. . .
Grischa (vorwurfsvoll): Du solltest diese Kosewort unterlassen, Stepan. Denn wie du weißt ist Arina jetzt mit mir verheiratet Du fällst mit der offenen Tür gerad in unsre Hochzeitsnacht
Stepan: Ich weiß — ich weiß — natürlich hat sie von dir auch 2 Rubel 50 Ersatz für den Ausfall des Lohnes am Hochzeitstag verlangt?
Arina: Nein — das habe ich nicht verlangt — den du hattest sie mir ja schon bezahlt — meine Hochzeit mit dir, und seine mit mir — das fallt ja zufällig auf eine Tag,
Stepan: Richtig, ich vergaß. Ja, ja, es ist ein merkwürdiges Leben. . .
Ariana: Welches Leben?
Stepan: Na, unser aller Leben — deines — und meines — und seines. Da äst eins so merkwürdig wie di andere
Grischa: Was meinst du damit?
Arina: Was willst du eigentlich? — Weshalb bi du hergekommen? — Dein Besuch befolgt doch eint Zweck, .
Stepan: Einen Zweck — könnte man sagen — oder eine Absicht — auch ein Vorhaben. . .
Arina: Was drückst du so herum?
Stepan: Ja — es ist mir sozusagen peinlich, diesen Zweck zu enthüllen oder zu offenbaren.
Grischa: Bist du Träger schlimmer Botschaft, so mach nur schnell, daßl du weiterkommst.
Arina: Ja um Gotteswillen, was ist denn passiert?
Stepan: Noch ist nichts passiert… (Listig.) Aber es wird was passieren…
Arina: Was denn?
Stepan: Etwas Ungeheures wird passieren, eine Umwälzung — eine Revolution…
G r i s c h a: Eine Revolution? Kehrt der Zar zurück?
Stepan: Viel schlimmer …
G r i s c h a: Ist ein Kommissar aus Moskau eingetroffen?
Stepan: Noch schlimmer – es bereitet sich etwas Gewaltiges vor. –
Arina: Sag einmal, du hast wohl zuviel Wodka getrunken?
Stepan: Nur das eine Gläschen auf dem Standesamt, das Wohlgeboren so freundlich war, mir zu spenden.
Arina: Welches Gewaltige bereitet sich denn vor?
Stepan: (großartig): Meine Rückkehr. . .
Arina: Deine Rückkehr?
Stepan: Ja, Ich bin wieder da. . .
Arina: Das sehe ich.
Stepan: Und ich bleibe da. . .
Arina: So viel ich weiß, war nicht die Rede davon, dass du vereisen wolltest. . .
Stepan: Nein, ich verreise auch nicht Ich bleibe da. für ewige Zeiten bei euch, bereit eure Freude Kummer brüderlich zu teilen.
Arina: Das ist lieb von dir.
G r i s c h a: (schüttelt ihm die Hand): Ich stimme dir aus vollen Segeln zu. Do bist eine Seele Stepan — eine Seele
Stepan: Ich bin ein Mensch. Grischa, ein Mensch, sonst nichts.
G r i s c h a:  O es ist viel, ein Mensch zu sein. Ein Mensch, der jedermann mit gutem Gewissen ins Gesicht treten kann.
Stepan: Ich bin erfreut, daß ihr euch so freudig ins Unvermeidliche schickt.
Arinuschka: Uns bleibt nichts anderes übrig —
Stepan: Denn gegen staatliche Anordnungen — Befehle von den Kommissariatskommissionen, gibt es keinen Widerspruch..
G r i s c h a: Aber wir widersprechen ja gar nicht.
Stepan: Um so besser. Dann erlaubt, dass ich alles gleich ins reine bringe. (Er geht noch einmal heraus und en dicken Rucksack herein.)
Arinuschka: Was bedeutet denn das?
Stepan: Das ist mein Hausrat. Ich ziehe um.
Arina: Jetzt mitten in der Nacht? : ja.
Stepan: Wohin denn?
Stepan: Zu euch. . .
Arina: Was?
Stepan: Ja, Arinuschka, zu dir.
Arina: Bist du verrückt?
Stepan: Ich bin ganz bei Sinnen. Der Wohnungskommissar hat mir eine Wohnung bei dir angewiesen. Hier sieg selbst. (Zieht einen schmutzigen Zettel heraus. Arina nimmt ihn, reicht ihn dann Grischa): Weiß der Himmel, es stimmt . .
G r i s c h a: (betrübt): Es stimmt. . .
Arina: Welcher Idiot hat dir dann diese Anweisung gegeben?
Stephan: Nie – niemand andres natürlich, als dieser Kommissar und Standesbeamte in einer Person, selbiger Wladimir Russakow.
Arina : Wladimir Russakow? —
Stepan: Derselbe, der uns getraut …
Arina: Der uns getraut. . .
Stepan: Na ja. Und auch der uns geschieden hat. . .
Arina: Will er uns einen Possen spielen?
Stepan: Aber wie wollte er! Wie dürfte er! Wie könnte er!
Arina: (drohend) Oder steckst gar du dahinter, Hundesohn?
Stepan: Wohinter soll ich schon stecken, Arina, Arinuschka, ich bin ein einfacher, harmloser Land- und Ziegelarbeiter. Die Ehrlichkeit und Offenheit in Person, Arina. Ein unanfechtbarer Charakter. Und wenn ich zu jemand sage: so ist es, so ist es so.
Arina: Oder es ist nicht so.
Stepan: Sei doch nicht so mißtrauisch, Arina, Arinuschka. Ich komme dir offen entgegen „— sieh meinen Kragen mach ich noch auf — mein Hemd — es ist kein Falsch darunter, nur ein wenig schmutzige Haut, weil Schmatz wärmt. Im Winter soll man sich nicht so oft waschen. Da friert man bloß.
(Arina ist auf- und abgegangen und hat nachgedacht.)
Arina: Ich habe nur ein Zimmer — und nur ein Bett — wo willst du denn schlafen — wir können doch nicht zu dreien in einem Bett schlafen. . .
Grischa: Wir können doch nicht zu dreien in einem Bett schlafen. . .
Stepan: Warum nicht?
Grischa: Er könnte ja auf dem Sofa da. . .
Arina: Er könnte — ja — aber er wird nicht . .
Stepan: Ich werde nicht?
Arina: Nein — da wirst nicht. . .
Stepan: Arina — Arinuschka — darf ich dir das Geheimnis meiner Seele entblößen, sieh, meine Seele liegt nackt vor dir. . .
Arina: Pfui Teufel. . .
Stepan: Ich liebe dich, Arina — Arinuschka. . .
Arina : Ach?
Stepan: Ja. Ich war nur eine halbe Stunde mit dir verheiratet aber diese halbe Stunde hat genügt, die Flamme der Leidenschaft, die Flamme der Leidenschaft…
Grischa (hilft nach): Die Flamme der Leidenschaft hell emporlodern zu lassen. . .
Stepan: Wie? Jawohl. Wie sagtest du? Hell empor flackern zu lassen. .
Grischa: Lodern.
Stepan: Wieso?
Grischa: Lodern! Nicht flackern! Lodern ist poetischer, sagt man. Und ein Mann ist bestrebt, poetisch zu reden. Das heißt nicht nur richtig, sondern auch schön. Denn die Schönheit ist die wahre Königin des Lebens. Ist nicht auch Arina schön?
Arina: Na schön. Aber ob lodern oder flackern … (Zu Stepan.) blas deine Flamme der Leidenschaft nur ruhig aus. — Ich liebe dich nicht.
Grischa: Siehst du, Stepan, sie liebt dich nicht. Sie ist jetzt mit mir verheiratet und liebt mich. . .
Stepan: Was? Sie liebt dich? Dich rothaarigen Kohlkopf? Dich stinkenden Fisch? Dich Maulesel? Dich Schlappschwanz soll ein Weib wie Arina lieben? (Zu Arina.) Liebst du ihn?
Arina: (Zuckt die Achseln.)
Stepan: Sie hat gezuckt, sie hat mit den Achseln gezuckt. Sie liebt dich nicht.
Grischa: Aber ich liebe sie. . .
Stepan: Was, du Unflat, du Kuhmist wagst sie zu lieben?
Grischa: Ja. . .
Stepan: Liebst du sie?
Grischa: Ja…. (Stepan haut ihm eine Ohrfeige.) (Grischa rührt sich nicht.)
Stepan: Liebst du sie?
Grischa: Ja… (Stepan haut ihm wieder eine Ohrfeige.)
Stepan: Liebst du sie?
Grischa: Ja… (Stepan haut ihm wieder eine mächtige Ohrfeige. Grischa schwankt schon.)
Arina (eingreifend, zu Ste¬pan): Liebst du mich?
S t e p a n: Ja… (Arina haut ihm eine mächtige Ohrfeige.)
Arina: Liebst du mich?
Stepan: Ja… (Arina haut ihm eine mächtige Ohrfeige.)
Arina: Liebst du mich?
Stepan (auf die Knie fallend): Und wenn du mich tot schlägst, — ja—ich liebe dich…
Arina (hält inne): Du wirst sofort zum Kommissar gehen und sagen, daß ich dich hinausgeworfen hätte.
Stepan: Jetzt — nachts — in dem Schneesturm?
Arina: Jawohl — jetzt — nachts in dem Schneesturm — (nimmt seinen Rucksack, macht die Tür auf und wirft ihn hinaus). (Stimme Wladimirs von draußen: Was ist denn hier los. Himmelherrgottsakrameat, mein Schienbein. . .)
Stepan: Das ist der Kommissar. Das ist der Genosse Wohlgeboren. Der wird dir schon Respekt vor der Obrigkeit und ihren Anordnungen beibringen. (Herein tritt Wladimir.)
Wladimir: Ich gehe da draußen in aller Gemütsruhe vorbei — und da schmeißt mir jemand einen dick¬gefüllten Rucksack aas Schienbein — wer war denn das?
Arina: Ich war’s. Weshalb gehst du denn gerade vorbei wenn ich eines Rucksack schmeiße!
Wladimir: Ich habe nicht gewußt, daß du einen schmeißen wirst, sonst wäre ich nicht vorbeigegangen.
Arina: Das will ich auch meinen — daß du nicht etwa absichtlich vorbeigegangen bist.
Wladimir: Absichtlich?
Arina: Ja, absichtlich — am dich an deinen Anordnungen zu weiden. . .
Wladimir: Wieso Anordnungen. . .?
Arina: Na ja, du wolltest wohl sehen, wie ich deinen Wohnungsbefehl aufnahm. Du hast mir doch diese Laus da (zeigt auf Stepan) in den Pelz gesetzt. Es macht dir wohl Vergnügen, mich zu quälen und mir Ungelegenheiien zu bereiten.
Wladimir: Aber ich habe nicht im Traum daran gedacht. . .
Arina: Nein, im Traum nicht — aber im Wachen. Aber du hast ja gleich gesehen und am Schienbein ge¬spürt, wie ich deine Befehle befolge. Ich habe nämlich deinen Schützling sofort an die Luft gesetzt. Der Rucksack, der war der Vorbote. Und jetzt folgt er selbst nach . . , (will Stepan hinausstoßen). Los — geh — geh — mit deinem Kommissar auf die Wohnungssuche . .
Stepan: Jetzt — mitten in der Nacht. . .
Arina: Er hat dich ja auch mitten in der Nacht hergeschickt. . .
Wladimir: Höre mal, Arina, ich will dir einmal etwas sagen: Stepan bleibt hier. . .Arina: Er bleibt nicht hier.
Wladimir: Er bleibt hier.
Arina(stampft mit dem Fuß auf): Er bleibt nicht hier.
Wladimir (packt sie und wirft sie aufs Bett):  Er bleibt hier — (er bleibt aufatmend vor ihr stehen) undich bleibe auch hier. —
Arina (springt vom Bett wieder auf und faucht ihn an): ): Was — du bleibst auch hier? Wladimir: Ja, um zu sehen, ob du dem Befehl auch Folge leistest. . .
Arina: Du Grobian. — Du Kosakenbiest — Behandelt man so eine eine Frau?
Wladimir: Hier heißt es nicht: Frau oder Mann — hier geht es gleichum gleich…
Arina: Du Hundesohn!
Wladimir: Du Steppenstute!
Arina: Du Waschbär!
Wladimir: Du Brüllaffe!
Arina: Du Meerschwein!
Wladimir (sieht in ihr funkeIndes Auge): Auge um Auge!
Arina (springt auf ihn zu, beißt ihm in die Hand): Zahn um Zahn!
Wladimir: Verdammte Bestie!
Arina Verdammter Kommissar! (plötzlich weich): Habe ich dir weh getan? hat mich dein Raubtiergebiß
Wladimir: gerade nicht…
Arina (sanft): O —- ich bin kein Raubtier — ich bin eine Katze — eine ganz zahme Hauskatze, wenn man mich richtig behandelt. Ich habe manchmal solche Sehnsucht — aus der Hand zu fressen — und zärtlich zu sein. . .
Wladimir: Ich kann mich: nicht entsinnen, daß Katzen aus der Hand fressen — nicht mal Hauskatzen…
Arina: Aber ich — ich könnte — eventuell — unter Umständen — gegebenenfalls — vielleicht einmal — ich meine, es wäre nicht ausgeschlossen, daß ich — voraus¬gesetzt, daß — (greift nach der Hand, in die sie gebissen). So, ist es nun besser?
Wladimir (brummt etwas, was als Zustimmung gedeutet werden kann).
Stepan: Bravo, Genosse Kommissar, Bravo. Ihr seid ein Held. Ein zweiter Pjoter, ein zweiter Iwan der Schreck¬liche. Ihr wißt zu regieren. Ihr werdet sogar mit den Weibern fertig. Ihr solltet Vorsitzender im Rat der Volkskommissare werden. Ich habe Beziehungen in Moskau. Ich werde euch vorschlagen lassen. Rot Front!
Grischa: Ich glaube, Genosse Kommissar, Ihr habt Arina, Arinuschka zu hart angefaßt. Sie ist ein so sanftes, zartes Wesen. Ihr hättet sie überreden sollen. Das hätte sie gewiß überzeugt.
Arina (wieder hart): Nichts überzeugt mich. Weder was er redet — noch was er tut.
Wladimir: Das werden wir ja sehen. . .
Arina: Nichts werden wir sehen. . .
Wladimir (ebenfalls wieder hart): Halts Maul. Teufelsbraten, wenn Männer reden. (Beachtet sie nicht.) Genossen, kommt, setzen wir uns um den Tisch, wir wollen unter uns Männern ein vernünftiges Wort reden Soll sie — unter sich bleiben.
Stepan: Bravo, Genosse, Ihr seid ein echter Mani von altem Schrot und Korn. A proposito: Korn. Habt Ihr etwas Wodka bei euch? Es ist eine verdammte Kälte, und jene Frau dahinten hat schlecht eingeheizt . .
Arina (von hinten): Ich werde euch schon noch einheizen. Wartet nur!
Wladimir: Hier — ich habe eine tüchtige Buddel eingesteckt — (setzt sie an die Lippen, trinkt). Prost! (Reicht sie weiter an Stepan, der einen tüchtigen Schluck nimmt)
Stepan: Prost (trinkt nochmal). Prost (reicht sie an Grischa).
Grischa (schlürft selig): Zum Wohl! (Reicht sie an Wladimir, der sie nach kurzem Schluck gleich an Stepan weiterreicht.)
Wladimir: Prost!
Stepan: Prost! (Trinkt.) Prost! (Reicht sie Grischa.)
Grischa: Zum Wohl (verbeugt sich immer höflich nach beiden Seiten). Willst du nicht auch, Arinuschka?
Arina: Laßt mich zufrieden, besauft euch allein.
(Stepan und Grischa werden schon angetrunken.)
Stepan: Wir wollen ein Lied singen.
Grischa: Ach ja, ein Lied, auch Gesang oder Gedicht beziehungsweise Choral genannt
Arina (aus dem Hintergrund): Singt nur, ich werd euch schon aufspielen. .. .
Stepan: Ein Lied vom Räuber Stenka.
Grischa: Räuber sind so poetisch.
Wladimir (nimmt eine Balalaika von der Wand, stimmt singt):
Eines nachts kam er geritten Kam den Don entlanggeritten, Hoch am Himmel blitzten Sterne.
Arina (fällt ein): Und auf Erden Sienkas Augen.
Stepan: Bravo, Arina, Arinuschka, Hühnchen, Täubchen, Wölfchen, Bärchen . . .
Grischa: Du und der Kommissar, ihr singt prächtig zusammen, ihr paßt prächtig zusammen — ihr solltet zweistimmig singen. . .
Arina (singt):

Ach, ich lieb den Räuber Stenka,
Lieb den großen Räuber Stenka,
Lieb den Räuber meines Gutes,
Lieb den Räuber meines Herzens.

Eines Nachts kam er geritten,
Kam den Don entlang geritten.
Hoch am Himmel blitzten Sterne.
Und auf Erden Stenkas Augen.

Mit dem Dolch in seinen Zähnen
Stieg er über Zaun und Hecken,
Stach den Knecht am Hoftor nieder.
Stieg zu mir in meine Kammer.

Und ich sah entsetzt ihn kommen.
Mußte lächeln vor Entsetzen,
Ließ er da sein Messer fallen,
Ließ es fallen, Räuber Stenka.

Fiel vor mir auf seine Knie,
Stand dann wieder auf den Beinen,
Hob mich auf die starken Arme,
Trug mich lachend in die Kissen.

Und am Morgen ging der Räuber,
Nahm das Gold aus Kist und Kasten,
Küßte einmal meine Stirne,
Ging und kehrte niemals wieder.

Adi ich lieb den Räuber Stenka,
Lieb den großen Räuber Stenka,
Lieb den Räuber meines Gutes,
Lieb den Räuber meines Herzens.

Stepan (hat immer währenddessen getrunken): Prost, Genosse Kommissar, Prost Stenka! Prost Arinuschka!
Grischa (sich verbeugend): Zum Wohl! Zum Wohl! Allerseits zum Wohl!
Stepan (gähnt): Ich bin schrecklich müde. . .
Grischa: Ich auch. . .
Stepan: Es war ein zu anstrengender Tag. . .
Grischa: Ja äußerst ereignisreich, auch vielfältig könnte man sagen. . .
Arina: Schert euch doch schlafen. .
Stepan: Aber wohin?
Grischa: Aber wohin?
Arina: Legt euch ins Bett. . .
Gr i s c h a : Alle beide?
A r i n a: Alle beide — wo sollt ihr denn sonst hin? Ich werde auf dem Sofa schlafen. . .
Stepan: Du bist ein Engel.
Grischa: Du bist ein Engelchen. . .
Stepan: Wir werden knobeln, wer außen und wer innen liegen muß —
Grischa: Jawohl!
(Sie stellen sich einander gegenüber, heben den rechten Arm, ballen die Hand zur Faust und lassen den Arm drei¬mal rhythmisch niedersausen, während Stepan zahlt.)
Stepan: Eins — zwei — drei — (beide halten sich die Faust entgegen).
Grischa: Unentschieden! (zählt) Eins — zwei — drei
— (beide halten sich die gestreckte Hand entgegen).
Arina: Unentschieden! (zählt) Eins — zwei — drei
— (beide machen die Schere).
Stepan: Wieder unentschieden!
Arina: Ihr müßt beide zusammen, entweder außen oder innen liegen!
Grischa; So ist es!
(Sie ziehen sich die Stiefel und Jacken aus und fallen dumpf aufs Bett. Man hört sie gleich schnarchen.)
Wladimir (schlägt ein paar Akkorde auf der Balalaika an, läßt sie dann sinken).
Arina (ist nach vorn gekommen, hebt die Balalaika aus Wladimirs Hand, der sie nicht losläßt, und fährt drüber hin, dann läßt sie die Balalaika und die Hand daran wieder sinken): Sag mal, Kommissar …
Wladimir: Ja. . .?
Arina: Sag mal — Kommissar — ist es wahr, daß der neue Staat die Liebe abgeschafft hat?
Wladimir: Was redest du?
Arina: Nun ja, man hört so allerlei.
Wladimir: Wo denn?
Arina: In der Fabrik.
Wladimir: Was hört man denn da?
Arina: Daß es eben die Liebe nicht mehr gibt — die Liebe zwischen Mann und Frau — sondern. —
Wladimir: Sondern?
Arina: Sondern nur — die Beziehung — das Verhältnis — die Kameradschaft — die Sowjetehe — oder wie man das nennt . .
Wladimir: Der neue Staat hat die Liebe nicht ab¬geschafft. Die ist unabsetzbar. Ich habe sogar einen offiziellen Bericht nach Moskau zu erstatten — über die Liebe in hiesiger Gegend — über die Liebe auf dem Lande. . .
Arina: Wenn die in Moskau schon Berichte über die Liebe einfordern — dann muß es nicht weit her sein — mit der Liebe . . .
Wladimir: Glaubst du wirklich, daß es keine Liebe mehr gibt?
Arina: Ich weiß nicht. Manchmal bin ich so mutlos.
Wladimir: So jung — und schon mutlos. Aber du bist doch jetzt — verheiratet . . .
Arina: Das hätte ich schon beinahe wieder vergessen — ich bin verheiratet — richtig, ich bin ja verheiratet – aber ich liebe nicht . . .
Wladimir: Nein? Spürst du nicht manchmal etwas im Herzen. . .
Arina; Wo? Im Herzen? — Wo liegt denn das Herz?
Wladimir (umfaßt sie und faßt mit der einen Hand nach ihrem Herzen): Hier — hier links, hier unter der linken Brust. . .
Arina: Einen Augenblick — ja hier klopft etwas — ich spüre was. —
Wladimir: Was spürst du denn?
Arina: Ich glaube — ich spüre die Liebe. . .
Wladimir: Arina!
Arina (entzieht sich ihm): Nein — es ist doch nicht die Liebe —
Wladimir: Was ist es denn sonst?
Arina: Ich weiß nicht. Irgendein merkwürdiges Gefühl. — Ich kann gar nicht lieben. Ich weiß gar nicht, was Liebe ist.
Wladimir: So wirst du es noch lernen müssen. —
Arina: Ich bin schon längst aus der Schule. —
Wladimir: Man lernt nie aus. —
Arina: Ich bin so faul. —
Wladimir: Aber gar nicht dumm. —
Arina: Aber auch nicht klug. —
Wladimir: Dumm und klug, das gilt nicht in der Liebe. —
Arina: Sondern?
Wladimir: Die Liebe hat ihre eigenen Gesetze. —
Arina: Die Gesetze werden in Moskau gemacht. — Du willst dich aus der Schlinge ziehn? Wladimir: Im Gegenteil — ich will dich darin fangen.
Arina: Das wird dir nicht gelingen. —
Wladimir: Vielleicht doch. —
Arina: Vielleicht nein. —-
Wladimir: Doch!
Arina: Nein!
Wladimir: Ja!
Arina: Nein! — Gib’s auf!
Wladimir: Ich geh dich nicht auf!
Arina: Dann versuche, mich zu bekehren!
Wladimir: Ich bin kein Wanderprediger. —
Arina: Aber vielleicht ein Liebesschulmeister —
Wladimir: Ein Posten, der mir gefallen würde!
Arina: Nun — bewirb dich bei den Sowjets darum!
Wladimir: Wie wird er bezahlt?
Arina: Je nach der Leistung —
Wladimir: Ich bin nicht untüchtig —
Arina: Das kann jeder behaupten —
Wladimir: Aber nicht jeder beweisen —
Arina: Und du willst es beweisen?
Wladimir: Das will ich —
Arina: Dann muß ich dich prüfen —
Wladimir: Prüfe mich!
Arina: Wieviel ist 1 mal 1?
Wladimir: In der Rechenstunde 1, aber in der Liebesstunde — 2!
Arina: Gut. — Wieviel aber ist 1 und 1?
Wladimir: In der Mathematik 2, aber in der Liebe meistens — 3.
Arina: Wie lange dauert die wahre Liebe?
Wladimir: Eine Ewigkeit —
Arina: Und die Ewigkeit?
Wladimir: Ist eine Sekunde der Liebe.
(Wladimir hat sie wieder umfaßt. Sie laßt es geschehen.)
Arina: Jetzt spüre ich —
Wladimir: Was spürst du?
Arina (lächelnd): Die Ewigkeit — (Im Bett schnarchen Stepan und Grischa. Wladimir sieht einen Augenblick zu ihnen herüber. Arina lächelt. Wladimir zieht Arina leise zum Sofa. Er bläst das Licht aus.)

(Vorhang)

III. AKT.

Standesamt. Wladimir geht, ein nasses Tuch um den Kopf, unter Stöhnen und Ächzen im Zimmer auf und ab.   Hin und wieder geht er zum Wasserhahn in der Ecke und feuchtet das Tuch neu an.

Wladimir: Ui – ui — Heiliger Grigory, nimm mich auf unter deine Märtyrer — ist das ein Katzenjammer! (Er setzt sich schließlich mißmutig an den Schreibtisch, richtet Lineal, Papier, Bücher, beginnt am Federhalter zu kauen.) Erst tut sie so, als ob sie mich liebt — und dann wirft sie mich hinaus — ich solle ihr nicht mehr vor die Augen treten — sie verabscheue mich — sie hasse mich — genau wie sie Stepan und Grischa hasse — und sie werde Jefim heiraten — Jefim sei eine Seele von Mensch. — Allmächtiger — wer ist nun das schon wieder, Jefim — Ui — ui —• es ist etwas Sonderbares mit der Liebe auf dem Lande. (Er versucht zu schreiben.)
Was den von einer hohen Kommission in Moskau eingeforderten Bericht über „Die Liebe auf dem Lande“ betrifft, so habe ich inzwischen — (kaut an dem Federhalter} — so habe ich inzwischen — ja zum Teufel, was habe ich denn inzwischen — ich habe inzwischen die Erfahrung gemacht (hält inne) — o heiliger Grigory, nimm mich auf unter deine Märtyrer — was habe ich inzwischen für eine Erfahrung gemacht — mein Kopf brummt — meine Ohren sausen — ich höre ein teuflisches Orchester, gräuliche Töne — aber dazwischen ein liebliches Fagott — himmlische Musik (pfeift ein paar Töne vor sich hin) — ich bin nicht in der Lage, zu arbeiten — (wirft den Federhalter auf den Boden, daß die Tinte umherspritzt) —-Tintenflecke am Boden? Das bedeutet Glück! Laß selten, was sie für eine Form haben (kniet nieder). Der da sieht aus — wie — wie — wie ich — verkleinert natürlich —- pfui — Teufel, schau ich häßlich drein — und der Fleck — da der Fleck — das ist ja — das ist ja, hol mich der Teufel —-das ist ja unser Teufelchen — unser Engelchen — unser Täubchen — unser Wölfchen — das ist ja: Arina — Arinuschka — wie reizend sie aussieht, in Moskau würde man sagen: charmant — so zart und so kräftig zugleich — ein buntes Kopftuch umgeschlungen — diese Augen! Diese glühenden Augen! Brrr… Da durchschauerts einen gleich — und diese weichen Wangen, gar nicht bäuerisch — und; diese festen, warmen Lippen — (er beugt sich nieder) Arina — Arinuschka (er küßt den Fleck im Fußboden) — wie süß das schmeckt.
(Es klopft. Er reagiert nicht darauf. Es klopft. Wieder keine Antwort. Die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt, dann noch weiter, und Grischas schmaler, melancholischer, rothaariger Kopf sieht herein.)
Grischa: Ist es erlaubt, Euer Wohlgeboren? (Erstaunt). Was macht Ihr denn da auf dem Boden? Seid Ihr immer so fromm?
Wladimir (ist ärgerlich aufgestanden): Fromm — wieso fromm?
Grischa: Nun, Ihr habt doch gekniet und den Erdboden geküßt, ah ob Ihr ein Gebet verrichtet…
Wladimir: Ich — ich suchte etwas — ich habe meinen Federhalter verloren — (hebt ihn auf) ja, da ist er ja schon. — Kannst du nicht anklopfen, Schwermutspinsel …
Grischa: Ich habe ja angeklopft…
Wladimir: Ich habe nichts gehört. Du hast keine Knochen im Leibe und im Finger auch keine. Wenn du anklopfst, so hört das kein Mensch. So mußt du anklopfen! (Er nimmt seinen Arm und läßt seine Hand mehrmals schwer auf den Tisch schlagen.)
Grischa: Das tut weh!
Wladimir: Ach was — weh! Du bist eine Molluske. Weißt du, was das ist?
Grischa: Nein.
Wladimir: Eine wabblige. quallige Masse. Ein Weichtier, daß du’s weißt.
Grischa: Ein Weichtier — das mag sein — ich habe eine empfindliche Seele — und diese Seele liegt offen — liegt bloß da — und jeder kann ihr weh tun — kann sie schlagen — kann auf sie spucken — kann sie geißeln…
Wladimir: Hör bloß mit deinen Sentimentalitäten auf. Mir brummt der Kopf schon \on selbst genug.
Grischa (teilnehmend): Haben Sie sich verletzt, weil Sie verbunden sind?
Wladimir: Einen Kater habe ich, wie ich überhaupt noch keinen hatte: einen sibirischen Kater, einen persi¬schen Kater, einen Angorakater.
Grischa: Ja.
Wladimir: Vor allem hab ich einen moralischen Kater…
Grischa: Meine Mutter – Gott hab sie selig —- hatte auch mal einen moralischen Kater, bin prächtiges Tier. Sie liebte ihn abgöttisch. Aber eines Tages ging er ein. Er hatte sich an geräucherten Fischen überfressen.
Wladimir: Ich vertrage nichts mehr, nicht einmal dich.
Grischa: Ich vertrage auch nicht viel. Ich werde schnell müde. Aber das ist mein Glück. Dann schlafe ich ein und erwache erst, wenn ich meinen Rausch ausgeschlafen habe, munter und gesund.
Wladimir (verdrießlich): So, du bist munter und gesund.
Grischa: Ja.
Wladimir: Na, stehst du denn da und hältst Maulaffen feil oder gibst moralische Sentenzen von dir? Scher dich nach Hause…
Grischa: Mit Verlaub, Genosse Wohlgeboren, sofort, wenn meine Angelegenheit erledigt ist.
Wladimir: Was ist das für eine Angelegenheit?
Gr i s c h a : Die Angelegenheit, um derentwillen ich hierher gekommen bin, um mit dir zu sprechen …
Wladimir: Also sprich ..
Grischa: Leg dir erst noch einen frischen Umschlag auf die Stirn – komm – ich helfe dir – so – so ist es gut…?
Wladimir: (grimmig) Ja, es tut gut …
Grischa: setz dich jetzt auf deinen Amtsstuhl, denn es ist eine öffentliche Angelegenheit, welche ich vorhabe, und ich muß zu dir in deiner Eigenschaft als Beamter reden. Dazu muß ich zu dir können emporblicken …
Wladimir (klettert auf seinen Stuhl): Na schön. Also, was ist los…
Grischa: Frag mich erst nach meinem Namen — es muß alles seinen ordentlichen Gang gehen.
Wladimir: (spielt mit seinem Federhalter): Also — du da — melancholischer Ziegenkopf — im Kopfe völlig geleerter — von Gott verlassener Plattfuß — wie heißt du?
Grischa: Euer Wohlgeboren — ich heiße Grischa Alexandrowitsch …
Wladimir: Wie alt bist du?
Grischa: Neunundzwanzig.
Wladimir: Welcher Konfession? — Ach so — das gibt es nicht mehr. — Was willst du?
Grischa: Euer Wohlgeboren mögen mir glauben, daß es mir schwer wird, eins zu tun, was zu tun ich nunmehr im Begriff stehe…
Wladimir: Ich glaube. Aber beeil dich ein wenig und mach keine langen Umschweife. Bedenke, daß es die kostbare Zeit eines Staatsbeamten ist, die du in Anspruch nimmst.
Grischa: Euer Wohlgeboren, blutenden Herzens bin ich gezwungen, Anklage zu erheben gegen einen hohen Beamten des heutigen Staates.
Wladimir: Was unterstehst du dich?
Grischa: Ja, ich unterstehe mich, Anklage zu erheben gegen einen hohen Staatsbeamten …
Wladimir: Du bist von Sinnen! Wer ist der hohe Staatsbeamte?
Grischa: Werdet Ihr mir auch nicht zürnen?
Wladimir: Wenn ich im Amt bin, hege ich keinerlei persönliche Gefühle.
Grischa: Aber der, gegen den ich Anklage erhebe, steht Euch sehr nahe …
Wladimir: Das trübt mein objektives Urteil nicht.
Grischa: Er ist sozusagen ein Verwandter von Euch.
Wladimir Ich habe keinen Verwandten, der Staatsbeamter wäre…
Grischa: Ich werde ihn Euch zeigen (holt einen halbzerbrochenen Taschenspiegel aus der Tasche …)
Wladimir: Hast du eine Photographie von ihm?
Grischa: Ja, seht hier, seht hier hinein — das ist er.
Wladimir: Das ist ja ein Spiegel. Ich sehe nur mich.
Grischa: Ja — ich erhebe Anklage gegen — den Mann im Spiegel…
Wladimir: Gegen — mich ?
Grischa: Gegen Wladimir Russakow.
Wladimir: Wladimir Russakow…
Grischa: Ja, Wladimir Russakow…
Wladimir: Ich selbst bin es?
G r i s c h a : Ja, Ihr selbst seid es!
Wladimir (reicht ihm von der Balustrade herunter das nasse Kopftuch}. Sei so gut und erneuere mir nochmals die Kompresse…
Grischa: Gern … (tut es) hier bitte…
Wladimir: Und welcher Art ist die Anklage, die du — gegen — gegen Wladimir Russakow erhebst?
Grischa: Ich erhebe gegen ihn die Anklage wegen Ehebruchs!
Wladimir: Wegen Ehebruchs?
Grischa: Ja — wegen Ehebruchs. Wegen Ehebruchs mit meiner Frau, begangen gestern nacht beziehungsweise heute morgen in der Wohnung meiner Frau. Ich verlange darüber die Aufnahme eines Protokolls…
Wladimir: Eines Protokolls…
Grischa: Eines Protokolls!
Wladimir: So — na, dann will ich es vor allem mal mit dir aufnehmen, du behauptest also, daß ich —- daß der Kommissar Wladimir Russakow mit deiner dir offiziell angetrauten Ehefrau Ehebruch getrieben habe?
Grischa:Jawohl, Ehebruch. Das verlange ich protokollarisch. Ehebruch. Oder um es nicht so hart aus¬zudrücken: Unzucht und Schweinerei…
Wladimir: Sollte da nicht vielleicht doch ein Irrtum vorliegen?
Grischa: Ein Irrtum ist unmöglich…
Wladimir: Wieso? Irren ist menschlich …
Grischa: Das Sofa hat derart gekracht, daß ich davon aufgewacht bin, Euer Wohlgeboren …
Wladimir: Du bist davon aufgewacht… ?
Grischa: Jawohl.
Wladimir: Ja, hast du denn im gleichen Zimmer geschlafen, wo dieser — hm — Ehebruch vonstatten ging?
Grischa: Natürlich.
Wladimir: Das nennst du natürlich? Ja, schämst du dich denn nicht?
Grischa (verdutzt): Wie?
Wladimir: Hast du denn jedes Schamgefühl verloren?
Grischa: Was?
Wladimir: Das fällt unter die Gesetzesrubrik „Unsittlichkeit“, was du getan hast…
Grischa: Ich?
Wladimir: Ja du! Wer denn sonst? Oder meinst du, daß es anständig ist, zuzusehen, wenn…
Grischa (verzweifelt): Aber es war ja meine. Frau!
Wladimir: Um so schlimmer! Dann müßte ich dich eigentlich wegen Kuppelei belangen…
Grischa: Wegen Kuppelei… aber ich wollte ja gar nicht, daß sie…
Wladimir: Schweig — wenn einer im gleichen Zimmer ist. wo so etwas geschieht, dann will er es immer. Duldung des Verbrechens ist gleichbedeutend mit dem Verbrechen selbst…
Grischa: Ist das wahr?
Wladimir: Natürlich. Wenn du das römisch-griechisch-russische Recht zu lesen verstündest, wie es in diesem Folianten aufgezeichnet ist, dann könntest du das schwarz auf weiß lesen…
Grischa: Schwarz auf weiß…
Wladimir: Hier stehen auch die Strafen verzeichnet, welche den Ehemann treffen, der den außerehelichen Geschlechtsverkehr seiner Gattin duldet, a) innerhalb, b) außerhalb der Wohnung; a) innerhalb, betrifft dich ,.. Der Punkt A innerhalb wird besonders schwer bestraft…
Grischa: Welcher Paragraph ist das?
Wladimir: Römisch 54. griechisch 33, russisch 14. Absatz groß C, klein A.
Grischa: Groß C, klein A — (fällt plötzlich auf die Knie). Ich fühle den Strohhalm, an den ich mich klammerte, unter meinen Füßen schwanken. Gnade. Euer Wohlgeboren, Gnade…
Wladimir: Ich will noch einmal Gnade für Recht ergehen lassen und dir eine Meldung nach Moskau er¬sparen — die dir unweigerlich die Verbannung nach Sibirien eintragen würde…
Grischa {springt auf, küßt ihm die Hand): Dank, Väterchen, Dank, aller Himmelssegen über dich…
Wladimir: Schon gut. Und nun entferne dich schleunigst. Und daß du von dem, was gestern abend in deiner Wohnung vorgefallen, zu niemandem ein Sterbenswörtchen sagt. Du könntest dich sonst in die größten Ungelegenheiten bringen.
Grischa: Kein Wort, Genosse Wohlgeboren, kein Sterbenswort — {will gehen, besinnt sich). Aber…
Wladimir: Was für ein „aber“?
Grischa: — Die Frau —?
Wladimir: Was denn für eine Frau?
Grischa: Na, meine Frau…
Wladimir: Was soll das heißen?
Grischa: Ich meine, sie ist doch ein schlechtes Weib, oder um es nicht so hart auszudrücken: ein Stück Mist, eine Hure…
Wladimir: Sie ist nur ein schwacher Mensch, Grischa, wie wir alle schwache Menschen sind …
Grischa: Auch Ihr… ?
Wladimir: Ich? Nein. Ich natürlich nicht. Die Obrigkeit ausgeschlossen. *
Grischa: Ja, aber niemand kann doch von mir verlangen, daß ich weiterhin mit ihr zusammenlebe — nach¬dem sie mich betrogen hat — auf eine so schändliche Weise…
Wladimir:Das verlangt ja auch niemand von dir .,.
Grischa: Nein?
Wladimir: Natürlich nicht. Du bist doch ein freier Mensch, kannst tun und lassen was du willst… Grischa: Kann ich das?
Wladimir: In unserm freien Staatswesen kann jeder tun und lassen, was ihm beliebt, d. h. soweit es die Ge¬setze gestatten…
Grischa: Ich kann also tun und lassen was ich will, soweit es die Gesetze gestatten.
Wladimir: Jawohl.
Grischa: Gestatten es die Gesetze, daß ich (macht eine versteckte Gebärde des Schlagens). Das würde ich nämlich sehr gerne tun, denn wenn ich bedenke, daß trotz allein Ihr es seid, der mir Hörner aufgesetzt hat, so…
Wladimir (ablenkend): Du kommst von der Hauptsache ab — da leidest an Gedankenflucht, mein Lieber, an Hirnschwund; sie hat dir die Horner aufgesetzt…
Grischa (denkt angestrengt nach): Ja, das stimmt…
Wladimir: Siehst du. Aber wenn sie dich stören, laß sie dir doch wieder abnehmen…
Grischa: Was?
Wladimir: Die Hörner… Wenn da willst, kannst du dich doch von ihr scheiden lassen…!
Grischa (macht einen Freudensprung): Ich kann mich von ihr scheiden lassen?
Wladimir: Selbstverständlich. Nach dem neuen Gesetz genügt der klare Wunsch und Wille des einen Ehe¬partners, um die Ehe zu scheiden. Du brauchst also bloß zu wollen — und du bist frei…
Grischa: Ich will Genosse Wohlgeboren, ich will, ich bin so frei…
Wladimir (holt das Eheregister): Also — (beginnt zu schreiben) Ich setze hier die Scheidungsurkunde auf … Das ist schnell geschehen — so — und jetzt brauchst du bloß zu unterschreiben — nicht hier — hier — so — und jetzt bist du rechtsgültig geschieden. — Ich gratuliere — (schüttelt ihm die Hand).
Grischa (gerührt): Ich danke Euch — ich danke Euch — Ihr seid ein Engel Gottes — so etwas von Güte (umarmt ihn und küßt ihn auf beide Wangen) — (plötzlich einfallend) aber wenn ich es so recht bedenke, so seid doch Ihr es gewesen, der …
Wladimir: (ihn hinausschiebend): Bedenkt das zu Hause — geht — geht… Ich habe zu tun — Amtspflichten.
Grischa : Aber den Bericht nach Moskau! Ihr werdet ihn nicht aufsetzen?
Wladimir: Nein — nein — bestimmt nicht — geh schon (Grischa ist draußen, Wladimir wirft die Tür zu). Das war ein Stück Arbeit — gerechter Grigory —‘ nimm mich auf unter deine Märtyrer …
(Es klopft. Es klopft noch einmal.)
Wladimir: Zum Teufel noch mal, herein … (die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt, dann noch weiter, und Stepans dicker, gutmütiger Kopf sieht herein).
Stepan: Ist es erlaubt, Euer Wohlgeboren?
Wladimir: Was willt du denn? Hast du deinen Rausch ausgeschlafen… ?
Stepan: Gewiß doch — gewiß doch — hab ich aus¬geschlafen meinen Rausch, hab ich ausgeschlafen seinen Rausch, hab ich ausgeschlafen Euren Rausch…
Wladimir: Nun — und?
Stepan: Nun — und?
Wladimir: Machst du mich nach, Affensohn —?
Stepan: Wie würde ich mir erlauben, Genosse Wohlgeboren. Ich wünschte nur zu wissen, wie es jetzt weiter geht?
Wladimir: Wie was weiter geht?
Stepan: Nun — die ganze Komödie…
Wladimir: Ja zum Kuckuck, welche Komödie denn?
Stepan: Na die, in der wir beide mitspielen, und außerdem noch Grischa und — Wladimir: Nun —- und?
Stepan: Nun — und Arina — Arinuschka, unser Täubchen, unser Hühnchen, unser Wölfchen, unser Bärchen..,
Wladimir: Willst du dich nicht etwas klarer ausdrücken, he?
Stepan: Nun — das ist doch klar genug. Ich liebe Arinuschka. Grischa liebt Arinuschka — und Ihr liebt Arinuschka…
Wladimir: Ich liebe Arinuschka? Rede keinen Unsinn …
Stepan: Oder du hast sie geliebt…
Wladimir: Wann denn?
Stepan: Heut nacht…
Wladimir: Sei still, ja. Verleumde nicht die Ehre einer unbescholtenen Frau, einer Ehefrau noch dazu…
Stepan: Ehe hin, Ehe her —
Es liebte nachts der Kommissär —
(Lacht) hi hi…
Wladimir: Hör endlich mit deinem Gefasel und Gekicher auf…
Stepan: Gern. Was bekomm ich dafür?
Wladimir: Wofür?
Stepan: Daß ich aufhöre…
Wladimir: Einen Tritt in den Hintern…
Stepan: Wenn Ihr von hinten tretet, trete ich von vorn — ich lasse einen Bericht nach Moskau aufsetzen — vom Popen — daß Ihr Eure Stellung als Beamter mißbraucht — um arme, schuld- und wehrlose Jungfrauen und Weiber in der Hochzeitsnacht zu vergewaltigen. — Es gibt kein jus primus noctus mehr! Daß Ihrs wißt. — Und dann bename ich als Zeugen (zeigt an den Fingern): eins, zwei, drei — eins Grischa, zwei mich, und drei Arinuschka, unser Hühnchen, unser Täubchen, — und wir alle drei werden schwören, daß Ihr heute nacht…
Wladimir: Abo mein lieber Stepan Stepanowitsch — (nimmt ihn unterm Arm und geht mit ihm im Zimmer spazieren) was kann ich dir für einen Gefallen erweisen? Du weißt, ich bin immer für dich da, ich habe eine besondere Vorliebe für dich — aber halt  den Mund —- willst du Wodka? — komm — stärken wir uns erst zum schweren Werk (schenkt zwei Gläser ein, stößt mit Stepan au, trinkt, spuckt seins aus). Pfui Spinne, ich kann noch keinen Alkohol vertragen — mir ist noch ganz wunderlich von gestern abend …
Stepan: Ich trinke schon wieder ganz gern, Genosse Kommissar — wenn man dran gewöhnt ist — kanns nicht schaden — na gewiß — ja — also — ich wollte Euch um etwas bitten…
Wladimir: Nur zu…
Stepan: Ich habe nämlich den Grischa getroffen, ein strohdummes Kalb…
Wladimir: Strohdumm …
Stepan: Er erzählte mir — in aller Eile — im Vorbei¬flitzen — daß er wegen der bedauerlichen Vorkommnisse von gestern nacht — schon wieder geschieden sei, — Ist es so?
Wladimir: So ist es!
Stepan: Nun — und da fuhr mir wie ein Blitz ins Pulverfaß — folgender Gedanke durch meinen Schädel — wenn die Ehe durch einseitige Erklärung der Partner geschieden werden kann, wie es in unserem neuen Gesetz der Fall ist, dann muß sie doch auch durch einseitige Erklärung sozusagen auch geschlossen werden können…
Wladimir: Ich biu noch etwas benommen von gestern nacht. Was redest du denn da für einen Blödsinn zusammen?
Stepan: Genosse Wladimir! Denkt an Moskau! Ich rede keinen Blödsinn! Ich behaupte: daß durch meine einseitige Willenserklärung nunmehr eine neue Ehe mit Arinuschka von mir aus wieder geschlossen werden kann. Ich bin ein großer Charakter und von sittlicher Vorurteilslosigkeit. Ich möchte Arinuschka wieder heiraten, trotz des Vorfalles von gestern nacht. Denn wir sind allzumal schwache Menschen es kann immer mal etwas vorfallen. Wenn man selbst die Bibel durchliest, so wimmelt es nur so von Vorfällen, Arina ist ein schwacher Mensch, aber ich bin auch nicht stark, wenn es auch so aussieht. Ich bin ein großer Sünder vor dem Herrn. Aber ich will Arina wieder heiraten, denn ich liebe sie: unser Hühnchen, unser Täubchen, unser Wölfchen, unser Bärchen …
Wladimir: Du liebst sie? So, aber das geht nicht so einfach, Stepan Stepanowitsch. Zu einer Eheschließung bedarf es selbstverständlich auch der Einwilligung des zweiten Partners, d. h. in diesem Falle Arinas — zum Heiraten gehören zwei, zur Scheidung einer,
Stepan: Ach Unsinn. Du hast doch hier das Register, wo du die Ehen alle einträgst — brauchst doch nur einen Vermerk zu machen — und Arinuschka und ich sind wieder verheiratet —
Wladimir: Ja, wenn sie will, gern …
Stepan (verzweifelt): Aber sie will ja nicht…
(Arinuschka, den sich sträubenden Grischa hinter sich herziehend, tritt auf.)
Arinuschka: Nein, sie will auch nicht. Sie will keinen von euch beiden Waschlappen — denn das seid ihr; du, Stepan, und du, Grischa. Aber es ist gut, daß ihr hier seid, um Zeugen zu sein dessen, was nuu geschieht — Arinuschka will nicht Grischa — Arinuschka will nicht Stepan — Arinuschka will — nein — ihr müßt doch einen Augenblick hinaus — ich brauche keine Zeugen — (drängt Stepan und Grischa hinaus).
Stepan (im Abgehen): Arina, du behandelst uns wie —
Grischa (im Abgehen): Ja, du behandelst uns wie —
Arina (hat die Tür zugeschlagen): So. Jetzt sind wir allein.
Wladimir: Ja, jetzt sind wir allein (will sie in die Arme schließen). — Arina!
Arina: Nicht so stürmisch!
Wladimir: Aber ich begreife nicht —
Arina: Du wirst schon noch begreifen lernen —
Wladimir: Nach dem, was gestern nacht vorgefallen —
Arina: Eben darum!
Wladimir: Ja, bist du nicht vergangene Nacht mein Weib gewesen und also —
Arina: Aha Und also! Und also! Ich bin „dein Weib“ gewesen, wie man „deine Kuh“ und „deine Lampe“ und „dein Federhalter“ ist! Wie? Ich bin dein Stück, deine Sache, deiu Stück Sache, wie?! Mit dem du machen kannst, was du willst?! Nein, mein Lieber, daraus wird nichts. Ich mache mit dir, was ich will, so wahr ich Arina heiße! Ich gehöre dir mit Leib und Seele — he?! Du glaubst ein Recht auf mich zu haben weil du die Macht hattest gestern nacht —- und sie aus¬nütztest. — Weißt du, was du bist?
Wladimir: Ja, Arina, das weiß ich!
Arina: Das wollte ich mir auch ausgebeten haben! — Weißt du, was du hast?
WI a d i m i r: Ich habe dich —
Arina: Einen Dreck hast du, ich bin nur gekommen, um dir mitzuteilen, daß ich den hiesigen Ort verlasse.
Wladimir: Du willst mich verlassen?
Arina: Wer redet von dir?! —• Ich habe von der Lieb auf dem Lande genug. Ich gehe nach Moskau — in die Stadt!
Wladimir: Aber, Arina — ich habe hier meine Anstellung – ich kann hier nicht weg.
Arina: Um so besser! So bin ich in Moskau bestimm vor dir sicher! (Es klopft.)
Wladimir (ärgerlich): Was gibt’s denn schon wieder! Herein!
(Grischa und Stepan treten zaghaft ein. Grischa schwenkt einen Zettel.)
Wladimir: Was ist denn das?
Stepan: Ein Geheimnis!
Grischa: Eine Mystifikation!
Stepan: Schickt erst Arina hinaus, denn die Weiber sind zu neugierig.
Arina: Das sind sie auch, und deshalb bleiben sie hier
Grischa: Ein Telegramm!
Stepan (entreißt es ihm, wichtig): Ein Telegramm!
Grischa (entreißt es wieder Stepan): Das eben für Euch abgegeben wurde. — Seit sieben Monaten, seitdem sie damals den Mörder Grischa suchten und mich dafür hielten
— aber ich war’s nicht — ist hier kein Telegramm angekommen.
Stepan (entreißt es Grischa): Es muß etwas Entsetzliches geschehen sein.
Wladimir (entreißt es Stepan): Her damit!
Arina (entreißt es Wladimir); Her damit! (Sie öffnet es, wirft einen Blick hinein.) Lies!
Wladimir (liest); Genosse Wiadimir Russakow wird zum Dienst in das Kommissariat für Unterricht nach Moskau berufen und hat innerhalb drei Tagen abzureisen — (freudig): Arina — Arinuschka! ich komme nach Moskau!
Arina: Und wo bleibe ich? Ich bleibe natürlich hier — mutterseelenallein —
Stepan: Beunruhige dich nicht, Arina ich bleibe doch bei dir —
Grischa: Und ich
Wladimir: Aber du sagtest doch eben, Arina, daß du auch nach Moskau gingest —
Arina: Ich hätte das gesagt? — Wann denn? — Dann habe ich gelogen.
Stepan: Und wer wird Standesbeamter hiesigen Ortes, wenn der Genosse Wohlgeboren uns verläßt? Mir kommen die Tränen, wenn ich an den Abschied denke.
Grischa: Ja, das Leben hat etwas Vergängliches an sich. Kaum vereint, schon getrennt. Der Genosse Kommissar war ein erstklassiger Standesbeamter. Er hatte das Trauungszeremonium im kleinen Finger. Er konnte besser segnen als seihst der Pope.
Stepan: Er traute geradezu auf Deibel komm raus. Das ist nicht so einfach. Wer wird ihn ersetzen?
Grischa: Vielleicht ich? Ich schreibe wie gestochen.
Stepan: Oder ich?! Ich kann zwar nicht schreiben, aber ich bin eine Persönlichkeit. Und ein Standesbeamter muß vor allem eine Persönlichkeit sein!
Arina: Wer Standesbeamter wird? Das will ich euch sagen. Es kommt ein weiblicher Standesbeamter — eine Standesbeamtin —
Grischa, Stepan: Eine Standesbeamtin?
Arina: Jawohl! Wir Frauen werden auch diesen Beruf usurpieren, sagt man oder so ähnlich.
Wladimir: So ähnlich.
Arina: Ich werde Standesbeamtin!
Grischa: Du?
Stepan: Du??
Wladimir: Du???
Arina: Ja, ich! So gescheit bin ich noch längst! — {stößt Wladimir von seinem Stuhl, auf den er sich in¬zwischen gesetzt hat) — Geh herunter! — ich werde mich heraufsetzen und die nötigen Formalitäten erledigen {setzt sich auf den Amtsstuhl,, klingelt). Sind die Parteien anwesend? Sind anwesend (schlägt das Eheregister auf, schreibt:) Es gedenken in den Stand der Ehe zu treten: Jungfrau Arina, Tochter des verstorbenen Pawel Jefimowitsch. Anwesend? — Anwesend. — Wie alt? — Einundzwanzig. — Beruf? (sieht auf): ehemals Arbeiterin der staatlichen Maschinenfabriken, jetzt: Gattin, und — und —
Grischa: Und — und —
Stepan: Und — und —
Arina (macht eine Pause): Junggeselle Wladimir Russakow – Ihr da heißt?
Wladimir (vorn an die Barriere tretend): Wladimir Russakow. — Deine Hand zittert ja, wenn du meinen Namen schreiben sollst…
Arina: Halt den Mund — wie alt?
Wladimir: Etnunddreißig — Du hast ja bei meinem Alter einen Kies gemacht…
Arina: Schweig — Beruf?
Wladimir: Kommissar — Standesbeamter — und künftig — Ehemann.
Arina: Ich frage euch, dich Arina, Tochter des Pawel Jefimowitsch, und dich, Wladimir Russakow, seid ihr gewillt, in den Stand der Ehe zu treten, so antwortet mit einem lauten, deutlich vernehmbaren „Ja“, nicht „Jo“, „Ja“!
Wladimir: Ja!
Arina: Ja!
Wladimir: Ja!
Arina: Ja!
Wladimir: Ja! Ja!
Arina: Ja! Ja? Ja! Ja!
(Küssen sich über die Barriere.)
Arina: So unterschreibt hier, Wladimir Russakow, Euren Namen — (reicht ihm den Federhalter, er unterschreibt. Sie unterschreibt).
Arina: Als überflüssige Zeugen dienen Stepan Stepanowitsch und Grischa Alexandrowitsch, beide geschiedenen Standes,..
Grischa: Hast du schon sowas erlebt?
Stepan: Mir dreht sich der Schädel…
Grischa: Komm, ich mache dir einen kalten Umschlag …
Stepan (mit dem Umschlag): Darf ich mir gestatten, zu gratulieren, Genosse Kommissar?
Grischa: Darf ich mir erlauben, zu gratulieren, Arina, Arinuschka —
Stepan: Du warst unser Täubchen, unser Hühnchen.
Arina: Aber ich habe euch gezeigt, daß ich auch euer Wölfchen und Bärchen war …
Grischa: Ja, wir danken Gott, daß wir mit heilen Gliedern deinem Käfig entronnen sind
Stepan: Dafür steckt jetzt er darin…
Arina: Und wird immer darin bleiben, nicht wahr, Wladimir — denn er ist ein Wolf, wie ich eine Wölfin bin. Und Wolf und Wolf gehören zusammen. Das tut wohl. Aber Wolf und Hund, und Wolf und Eichhorn, das stimmt nicht zusammen…
Grischa; Jedoch bleibt ein peinlicher Rest… Der Ehebruch…
Stepan: Ja, der Ehebruch.
Arina: Welcher Ehebruch?
Grischa: Na heute nacht mit dem Kommissar!
Arina: Das war doch kein Ehebruch…
Grischa: Wieso?
Arina: Na habe ich vielleicht mit dir die Ehe voll¬zogen gehabt?
Grischa (verlegen): Nein!
Arina: Oder mit dir, Stepan?
Stepan (verlegen): Nein, wir waren ja bloß eine halbe Stunde auf dem Standesamt verheiratet.
Arina: Na also. Wo keine Ehe war, konnte doch auch keine gebrochen werden. Heute nacht, das war meine Hochzeitsnacht —- mit Wladimir…
Wladimir: Dreimal verheiratet und noch immer Jungfrau — dreimal verheiratet, und die Hochzeitsnacht mit dem dritten Mann findet in der Hochzeitsnacht mit dem Zweiten statt…
Stepan: Grischa — noch einen Umschlag um den Kopf, ich finde mich hier nicht mehr heraus …
Arina: Aber sage mir eins, Wladimir: warum hast du mir gestern Stepan als Zwangsmieter ins Haus geschickt? Das war doch eine bodenlose Unverschämtheit…
Wladimir: Arina — Arinuschka — nicht schimpfen! Ich schickte ihn dir aus dem einzigen Grund, um durch seine Anwesenheit deine Ehe mit Grischa — zu hintertreiben. — Du hattest gestern auf dem Standesamt solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich vor Eifersucht fast umkam. Damm schlich ich auch Stepan nach, und es war kein Zufall, daß ich an deinem Zimmer vorbeiging, als der Rucksack mir. ans Schienbein flog.
Arina: Es geschehen noch Zeichen und Wunder…
Wladimir: Selbst in unserem aufgeklarten Staat…
Arina: Aus Liebe, Wladimir, werden immer Wunder geschehen…
Wladimir: Was wird aber jetzt, wenn wir nach Moskau ziehen, aus der Liebe auf dem Lande?
Arina: Wie meinst du das?
Wladimir: Ich hatte doch einen Bericht darüber nach Moskau zu erstatten.
Arina: Sorge dich deswegen nicht! Die Liebe auf dem Lande —- die setzen wir in der Stadt fort!
(Inzwischen hat es geklopft. Keine Antwort Es klopft. Wieder keine Antwort. Die Tür öffnet sich einen kleinen Spalt und Jefims gutmütiger Tatarenkopf sieht herein.)
Jefim: Ist es erlaubt. Euer Wohlgeboren?
Wladimir: Kannst du nicht anklopfen, Genosse Tatar?
Jefim; Ich habe angeklopft.
Wladimir: Wer bist du?
Jefim: Jefim Zivoizaricorumbarizizaremba …
Wladimir: Wie?
Jefim (schnell): Zivoizaricorumbarizizaremba…
Wladimir: Was willst du?
Jefim (grinsend): Heiraten …
Wladimir: Wen denn zum Kuckuck?
Jefim (zeigt grinsend auf Arina): Arina — Arinuschka — ich hab auch gleich zwei Rubel fünfzig mitgebracht — um ihr den Lohnausfall heute zu ersetzen.
Arina (gibt ihm einen leichten Wangenschlag, lachend): Vielen Dank für deinen ehrenvollen Antrag. Zu spät — Jefim — ich bin schon wieder verheiratet — (zeigt auf Wladimir) mit dem da …
Jefim (höflich): Bitte vielmals um Vergebung — na dann ein anderes Mal.

Vorhang