Die kleinen Verse für Irene

Gott hat uns leicht und schwer gemacht.
Du hast geweint. Ich hab gelacht.
Du hast gelacht. Ich hab geweint.
So Sonn und Mond am Himmel scheint.

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Sieh: ich will nicht, daß du weinest,
Und brünetter dich verdunkelst.
Wage Wagemut: Du scheinest.
Leide Leidenschaft: Du funkelst.

Warum will die kleine Schwalbe
Wieder in die Wildnis fliegen?
Sich erheben in das Halbe?
Sich um Gaukelgiebel biegen?

Inn und Donau gehn und schwärmen,
Oberhaus mag prächtig drohen:
Um das Helle muß sich härmen,
Wenn die blonden Feuer lohen.

Werde Baum doch! Werde Birke!
Schlage Wurzeln, daß du bleibest
Und im herbstlichen Bezirke
Blütenherz zum Blühen treibest …

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Der kleine Mann, der auf dem Leuchter saß,
Mit schwarzem Kopf, japanischer Gewandung,
Denn deine Heiterkeit bei mir verließ,
Warf plötzlich heute Nacht den Kopf zurück
Und starb. Obgleich er leblos schon: er starb;
Starb zweiten Tod in einer Träne, die
Aus deinem Aug auf seine Hände fiel,
Die er verzweifelt in das Leben streckte.
Er suchte eine Hand, die ihn ergriffe –
Und ihn ergriffen deine Tränen, die
Das schwache Herz aus Pappe töteten.

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Ewig werden Tränen rieseln
Und der Regen der Gewitter.
Götter gleichen ganz den Kieseln.
Galle schmeckt im Mund so bitter.

Schmerz beißt schamlos in die Brust sich,
Und zum Kriege trommeln Rippen.
Zur Verwesung krümmt die Lust sich,
Und der Kuß zerspaltet Lippen.

Berge stehen zwischen Herzen.
Zwischen Augen fließen Flüsse.
Brüste trennen Panzer erzen.
Zwischen Händen fallen Schüsse.

Eisenketten selbst zerreißen
In der festesten Vereinigung.
Und die kalten Gletscher gleißen,
Und die Parze lacht der Peinigung.

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Der heiße Strom
Rinnt.
Ein totes Herz
Schlägt schnell.

Eine Maus
Nagt an der Wand.
Der Vorhang weht
Kalt.

Im Gang
Noch Licht,
Die Schwester eilt,
Ein Sterbender glänzt.

Geflüster nebenan
Und Glück.
Verzweifelte betasten
Ihren Leib.

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Tausend Seufzer gehen
Hin und her.
Kiner könnt verwehen,
Stürmt es noch so sehr.

Liebesblicke viel
Sprangen hin und wieder.
Keiner fiel
Je zu Boden nieder.

Küsse haben wir gesogen,
Tausendfältig, ich und du.
Alle sind verflogen —
Liebste, warum zögerst du?

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Soll ich kleine Lieder singen,
Wie ich oftmals tat?
Sonne schon und Nachtigallenschwingen
Naht.

Unterm Schnee die Quellen rauschen
Schon dem Frühling zu.
Laß uns lächeln, laß uns lauschen!
Du!

Rinnt nicht auch in deinen Tränen
Schon der Mai?
Liebend Berge sich an Berge lehnen.
Sei!

Eine Tanne steht im jungen Triebe,
Wo der Marder schlich.
Winter wankt. Die Föhne stürmen. Liebe
Mich!

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Der Katzenvater steht
Im Mond.
Lockt Katz und Kater.
Kocht ihnen gern
Ein heißes Süpplein. Brät ihnen Mäuslein,
Fängt ihnen Vöglein.

Im kalten Winter
Die Kätzlein frieren.
Schnurren im Bart ihm,
Hängen im Haar ihm,
Schlafen auf seiner filzigen Brust.

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Es ist ein Licht erglommen —
Ich muß die Hände vor das Antlitz tun.
Es werden andre kommen
Und zwischen deinen Lippen ruhn.

Es werden andre ahnen,
Was deine kühle Klarheit scheint.
Ich bin auf dunklen Bahnen
Verwaist längst und verweint.

Es wird an deinem Schenkel
Die rote Rose ewig blühn.
Es werden Kinder noch und Enkel
Die Hände zum Gebet zusammenziehn.

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Wo weilt mein Mädchen?
Aul dem Berge
Bei einem Zwerge
Weilt mein Mädchen.

Wo weilt mein Mädchen?
Auf der Wiese.
Ein roter Riese
Küßt mein Mädchen.

Wo weilt mein Mädchen?
Im Erlengrunde.
An ihrem Munde
Flattert ein Falter.
Wo weilt mein Mädchen?
Über der Erde.
Zwei schwarze Pferde
Entführten mein Mädchen.

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Wenn die Matten rosa dämmern
Und die Sonne schön erscheint,
Eile ich mit meinen Lämmern,
Wo man gut es mit uns meint.

Wolke zieht und Wiese schwebend
Aus der Tiefe uns herauf.
Und wir weiden, liebend lebend
An des Baches Silberlauf.

Naht mein Mädchen, mich zu grüßen,
Nehme ich das jüngste Lamm,
Und ich sinke ihr zu Füßen
Opfernd wie einst Abraham.

Liebes Mädchen, nimm die Gabe!
Wenn mein Wangenrot erblich,
Weide es auf meinem Grabe
Und gedenke dann an mich.

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Eine Nacht wie diese
Will ich nun nicht mehr
Auf der weißen Wiese
Liegt der Schnee so schwer.

Auf dem blauen Himmel
Lasten Mond und Stern. Auf dem roten Herzen
Ruht dein Herz so gern.

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Einmal muß das Leid doch enden
Und der Tränenstrom versiegen.
Einmal muß der Stein sich wenden
Und entbrannt zum Lichte fliegen!

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Wenn es dämmert,
Süßt mich die Sonne.
Sommert der Sommer —
Blinkt mir der Schnee.

Herz zwischen Herzen,
Brust zwischen Brüsten
Wank ich und schwank ich
Und krank ich dahin.

Bis zu den Sternen
Hüpft die Schaluppe —
Blonde am Buge,
Braune am Heck.

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Aber uns
Ist ein Standbild errichtet:
Über den Horizonten
Gemeinsam
Uns dreien:
Flammend in einem Gestirn
Ist es der Wagen?
Wir laufen im seligen
Schluchzenden Dreigespann
Unter der Peitsche
Silberner Qual.
Aber sie schwingt
Auf dem Trittbrett
Ein Unerkannter
Rücklings.
Wohl ein Jüngling
Oder ein wildes
Wolkenkind.
Nicht wissend, daß sein rasender Lauf
Im jauchzenden Jubel
Unsre Vernichtung.
Daß sein Gelächter
Unser unerschöpflicher Tränenborn.

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Man erwacht im Sanatorium
Eimer klirrt, es klatscht der Besen.
Heiliger wie ein Oratorium
Tönt der Tag: geweint … gewesen …

Gültig gehn des Arztes Schritte,
Eine Schwester hüpft daneben.
Aus der Finsternisse Mitte
Schlägt ein Uhrenschlag ins Leben.

Emsig schon an der Tabelle
Träumt ein Assistent bedeutend.
Und ich ziehe an der Schelle,
Tee und Tag zum Bette läutend.

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Kein Brief heute morgen.
Alle Postboten
Sind erfroren.
In den Lawinen
Stecken die Züge.
Alle Briefkästen in Basel
Barsten.
Die Briefe, die an mich bestimmt,
Flatterten,
Weiße Möven,
Über den Rhein.
Eine, hoch schon am Himmel,
Schreit.
Irene!

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Der weiße Schnee.
Der braune Baum.
Die Wand: wie nah.
Blau: blauer Raum.

Die Matte schmilzt
Im Februar.
0 Licht, du stillst,
0 Licht, du willst,
Was willig war.

Gegeben ganz Dem goldenen Geist,
Grüß ich den Kranz,
Der mich umkreist.

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Scham scheucht die Schar.
Der Schlitten rollt.
Ich atme gold
Ein blondes Haar.

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Zwei Mütter liegen meinethalb in Wehen;
Der Wind weht kalt um ihre Pein.
Könnt ich aus beider Leiber strahlend gehen,
Als Baum im Walde ihrer Wehmut stehen,
Und ihrer beider Licht und Schatten sein.

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Dir dunkelt
Der Mond,
Wenn hell am Schlitten die
Narzissensterne läuten.

Wohin lenkt uns der kleine
Silberne Kutscher?
Tausend Tannen laufen
An den Flanken des Schimmels.

Am Wege kniet ein Berg —
Du frommer Bauer!
Meervogel kreischt
Im Gletscherwind.

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So setzt ich ohne Ruh
Schlaflos hier Strich um Strich.
War nichts so gut wie du,
War nichts so bös wie ich.

Nichts war so schwarz wie ich,
Nichts war so blond wie du.
0 bleibe, ewiglich,
Ruhlose, meine Ruh!

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Lebe wohl! Die Dampfsirenen heulen;
An der Brücke hakt sich Hand in Hand.
Kleine Tauben habe ich und Eulen
Deinen Wegen künftig mitgesandt.

Auf die rechte Schulter setz die Taube!
Auf der linken laß die Eule schrein!
Glaube, Mädchen! Der Erfüllung Traube
Wird auf deinen Lippen Süße sein.