Die junge Hetäre

Mystifikation

(nach dem griechischen des Lucian)

Personen:

Bion
Glykia, eine junge Hetäre

BlON: Es ist nicht lange Zeit her, daß Du der Zunft Deiner jungfräulichen Schwe¬stern entronnen?
GLYKIA: Vor einem Vierteljahr griff mich Leukoderme*, die alte Kupplerin – deren Haut aber schon garnicht mehr weiß ist – am sunischen Tore auf. Und am Abend hatte ich meine Blüte verloren, aber 40 blühende Denare gewonnen Ich hätte mir den Verlust schlimmer vorgestellt Ich verschmerzte ihn bald -die Wunde narbte ja schnell – und Denare und Dareiken sehe ich gern: sie sind ein allnützliches Heilmittel.
BION: Wie alt bist Du?
GLYKIA: Fünfzehn Mal stieg mir Persephone zur Ernte ans Licht.
BlON: Doch reiftest Du noch nicht, weil Du bisher nicht Deine Sonne fandest Deine reiche Schönheit ist der befruchtenden Sonne wert. Aber Deine Jugend und Unerfahrenheit ist sehr groß Was hältst Du, daß Dein Beruf sei: eine Kunst oder ein Handwerk?
GLYKIA: Ich glaube – er soll Kunst sein.
BION: Er soll Kunst sein. – Ein Künstler nun muß sein Werkzeug kennen, der Bildhauer Meißel, Hammer und Marmor, der Poet Seele und Rhythmus der Sprache. Kennst Du Deinen Leib?
GLYKIA: Deine Frage ist verwirrend einfach. Kennt nicht ein jeder seinen Leib? Kann er ihn nicht vor dem Spiegel und in schönen Augen des anderen Geschlechts genugsam betrachten, kann er ihn nicht fühlen, mit seinen Händen sich grei¬fen und seine Hände wieder mit den Lippen küssen?
BlON: Seinen Leib betasten, heißt nur, wissen, daß ein Leib ist, nicht, wie und wozu er ist
GLYKIA: Ich habe meinen Leib lieb, weil seine Haut sich streichelt wie das Fell einer jungen Katze. Arante, meine Dienerin, muß ihn manchmal streicheln. Sie hat entzückende Hände.
BlON: Die Freude an Euerem Körper sei Eure Tugend. Eure ganze Seele müßt Ihr in seine Linien und Gebärden legen. Wie der Künstler an der Verinnerlichung der Formen, müßt ihr an der Veräußerlichung Euerer Seele arbeiten Freilich muß es die Seele eines Weibes, nicht die eines Straßenmädchens oder bloßen Fleischklotzes sein. Ich fand zu wenige, die jene Tugend übten, zu viele, die von ihr nicht wußten. Manchem ist sie angeboren: Glykia, Dir. Doch merke, Tugenden wollen genährt sein
GLYKIA: Wenn ich ins Bad steige, kniee ich nieder und beuge meine Brüste langsam leise auf den Wasserspiegel herab, bis sie und ihr Bild sich küssen.
BlON: Wie pflegst und hütest Du Deinen Körper weiter?
GLYKIA: Was fragst Du, Bion, weißt Du nicht im Toilettenschrank und unter den Schmink- und Puderbüchsen, Flaschen und Fläschchen, Stäbchen und Mes¬serchen der sieglächelnden Aphrodite beinah besser Bescheid als ich? Täglich reibt Arante mir den ganzen Körper mit Rosenessenz ein, tut wohlriechende Öle in mein Haar, wohlriechende Pulver in die Achselhöhlen und in die Scham. Der Duft meines Atems ist rein, er braucht keine Nachhilfe. Auch Schminke trage ich nur an den Brauen und unter den Augen. Das Rot meiner Lippen ist frisch, Du erfuhrst es, Bion.
BlON: Doch erfuhr ich an mir, Glykia, daß Dir zur Vollkommenheit eines fehlt: Die Ausbildung in der Liebesheuchelei
GLYKIA: Erkläre bitte, wie Du es meinst, Bion.
BlON: Du bist sehr jung und Jugend lügt täppisch Aber Deine Kunst fordert den feinen Betrug. Erlerne ihn nur frühzeitig.
GLYKIA: So gib mir, schöner Lehrer, eine Lektion. Ich höre bereitwillig.
BlON: Du mußt Deine Bewegungen, Deinen Leib, Dein Lachen einstudieren, daß sie auf die geringsten Liebeseigenheiten Deiner verschiedenen Freunde ver¬schieden, doch immer richtig antworten können. Ein jeder glaube, Du seist nur für ihn und seist nur seine Gefährtin. Wenn Du Dich eine Liebeskünstle¬rin nennst, darf er diesen Glauben von sich, die Bestätigung dieses Glaubens von Dir verlangen. Ewig fern bleibe uns die Mechanik der Liebe! Zeit und Volk, die es so weit brachten, sind rohbarbarisch und langweilig. Sie haben keine Kultur der Sinne. Was wissen sie von Zeus, Apollon, Liebe und Leben? Wenn Du meinen Anregungen nachgehst und danach strebst, jedem eine schmiegsame Geliebte zu sein, nicht einfach Dich breitbeinig auf die Kissen zu werfen, wirst Du es in all der Mannigfaltigkeit Deiner Lügen zur Wahrheit bringen. Denn was ist Wahrheit anderes als ein plus und minus mehrerer Lü¬gen, die sich gegenseitig aufheben?
GLYKIA: Wie heißes Fruchtwasser schlürfe ich Deine Rede.
BlON: Noch eins, Glykia – das Geld ist eine leidige Sache. Es stört so vielen den Traum der Liebe. Sprich nie zu mir vom Gelde – so wenig wie von witzlosen Zoten, ist eine wirklich geistvoll, magst Du sie erzählen. Aber wenige ver¬mögen unanständige Dinge mit Anstand vorzutragen.
Ich werde Dir durch Alexander, meinen Sklaven – er ist ein hübscher Bur¬sche, Glykia – eine silberne Schale zusenden. Die sollst Du in Deinem Vor¬gemach aufstellen. Der will ich meine Opferpfennige anvertrauen. Lebe jetzt wohl, süße Glykia.*
GLYKIA: Lebe wohl, Bion, mein Leben – und laß auf Dich, die silberne Schale und – Alexander nicht zu lange warten!