Die jüdische Glaubensgemeinschaft und die Geschichte der Crossener Synagoge

An dem gegenüberliegenden Ende des Straßenabschnitts, an der Ecke Sichdichfür und Brauhausgasse, stand seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Crossener Synagoge. Die er­sten Juden werden in Crossen bereits im 11. Jahrhundert unter dem polnischen König Kasimir erwähnt. Seit den Anfängen der städtischen Siedlung gab es beim Odertor die Judengasse. In den Stadtchroniken findet man drei Hinweise auf Judenpogrome und -Vertreibungen. Die ersten sind mit der in diesem Teil Europas in den Jahren 1348-50 herrschenden Pest verbunden. Die Schuld für den Tod von tausenden Menschen schob man damals den Juden zu, unter denen, wahr­scheinlich wegen ihrer Essgewohnheiten und rituellen Reinigungen, weniger Opfer der ansteckenden Krankheit waren. Der Juden­pogrom soll damals einen sehr brutalen Verlauf genommen haben. Matthias berichtet von Verbrennungen lebender Menschen, Folter und Jagden mit Hunden auf fliehende Verfolgte.

Zweihundert Jahre später fiel die jüdische Gemeinschaft erneut der Intoleranz und der Bestrafung durch die Allgemeinheit für die Schuld von Einzelnen zum Opfer. Der brandenburgische Kurfürst Johann Georg machte nämlich den jüdischen Schatzmeister Lippold für die Schulden seines Vaters und Vorgängers verantwortlich und wollte durch seine Be­strafung die wegen der Schuldenlast sehr gespannte Situation im Lande mildern. Lippold wurde hingerichtet und 1573 alle Juden aus dem Lande vertrieben.

Aufgrund dieses Fanatismus gab es in Crossen mehr als hundert Jahre lang so gut wie keine Juden. Am Anfang des 18. Jahrhunderts versuchten sich einzelne jüdische Familien in der Stadt anzusiedeln, die Stadtväter verwei­gerten ihnen jedoch die dazu nötige Bewilligung. Erst das Edikt des Königs Friedrich II. über die Religionsfreiheit von 1750 brachte eine rechtliche Grundlage für das Leben von Andersgläubigen im preußischen Staat. Aus der Statistik von Bratring geht hervor, dass 1809 in Crossen nur zwei jüdische Familien gelebt haben. Es waren die Caspers und Lewins, die innerhalb von kurzer Zeit ein großes Vermögen verdient haben sollen. Bis zum Jahr 1844 wuchs die Zahl der jüdischen Mitbürger auf 77.145 Der Statistik des Kreises Crossen von 1858/61 ist zu entnehmen, dass in dieser Zeit bereits 133 Juden in Crossen lebten. Im ganzen übrigen Kreis dagegen waren es 333, davon: drei Akademiker, drei Rentner, die von ihrem Vermögen lebten, vier wohlhabende Kaufleute, 21 Ladenbesitzer und 19 Kramhändler. Außer­dem gab es einen Versicherungsagenten, einen Speisewirt und zwei Handwerker. Die jüdische Gemeinde in Crossen baute um 1851 ihre Synagoge auf und stellte einen Rabbiner, einen Kantor und einen Religionslehrer ein. Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein blieb der Anteil der jüdischen Bürger in der Stadt konstant und überschritt nicht die 2 %. Mit der Machtübernahme Hitlers und der Festlegung rechtlicher Grundlagen für die „Ari­sierung des Staates“ begann in ganz Deutsch­land, also auch in Crossen, die Judenverfolgung, die Zerstörung ihres Besitzes und seit 1935 die Übernahme ihres Vermögens. Gleichzeitig begann die Zwangsemigration der Juden ins Ausland. Die üble NS-Propaganda und die Boykottaufrufe der Partei scheinen die übrigen Bürger taub für das offensichtliche Unrecht gemacht zu haben. Gute Taten den Juden gegenüber sind in Crossen nicht überliefert. Eine historische Tatsache ist dagegen, dass die NS-Machthaber in ganz Deutschland am 9. November 1938 die so genannte „Reichs­kristallnacht“ veranstalteten, in der in zahl­reichen Städten die Synagogen in Brand gesetzt und Menschen verhaftet wurden. Auch in Crossen kamen viele Schaulustige zusammen, um sich dieses „Ereignis“ anzusehen. Es war jedoch nicht in der Nacht des 9. Novembers, sondern am Vormittag des darauffolgenden Tages. Die Freiwillige Feuerwehr verhinderte lediglich ein Übergreifen der Flammen auf die Nachbarhäuser, ließ also den Tempel bewusst niederbrennen.

Wilfried C. Reinicke

Meine jüdischen Erinnerungen

Der Mutter half 1936 bei meiner Geburt
nicht Dr. Schlesinger, früherer Hausarzt.
Er war schon heimatvertrieben,
ehe es Heimatvertriebene gab.
Kam er gut davon,
Deutscher wie andere Mitbürger auch?
Mein Geburtshelfer heiß Dr. Otto.

Zweieinhalb Jahr bin ich,
sehe am Tage die Feuerwehr löschen,
die ältren Geschwister eiln von der Schule herbei.
„Sichdichfür“ heißt die Straße,
Vorsicht des Hochwassers wegen.
Doch sind die Flammen gelegt,
es kommt nicht von selbst,
was das Eckhaus zerstört.
Später das Stück grüner Rasen,
wo Synagoge, Gotteshaus war.
Aristert wurde der Markt,
wo Kollegen des Vaters
den Handeln betrieben.
„Jude“ — erst wischten sie’s ab:
Grüntal, Treuherz, Cassirer.
Dann heißt es, die hätten die Steuer
geprellt und seien ins Ausland geflohn.
Habt ihr es vergessen? Erinnert euch!

Sie mussten flüchten ums Leben;
eure Flucht kommt später,
alles der Reihe nach!
Haben sie euch gefehlt,
habt ihr gedacht an sie manchmal ?
Wer hat ihre Gräber gepflegt?
Ich weiß, wo der Friedhof lag.

Lange war es umstritten,
ob Crossen sich recht schreibt mit C oder K.
Die Entscheidung fiel dann für K,
und „Krosno“ heißt diese Stadt jetzt.
Ich verließ sie in Kälte und Schnee.
Weiß war nicht die Unschuld.

Drei Jahre später schrieb Karl Wein im propagandistischen Ton im Kreiskalender: ,Heute ist das jüdische Element so gut wie völlig wieder aus Crossen verschwunden. Alle Grundstücke am schönen Markt befinden sich wieder in arischem Besitz, und es gibt keine Synagoge mehr“. Den Lesern dieser Ausgabe des Kreiskalenders von 1941 war anscheinend nicht bewusst, dass die meisten Crossener Juden sich in dieser Zeit (und in den nächsten Jahren) in den Konzentrationslagern befanden oder auf eine andere Art und Weise von den Nationalsozialisten umgebracht worden waren.