Die Harfenjule – Geschichte eines Gedichtbandes

Der Erstdruck dieses Gedichtbandes erscheint 1927 im Verlag „Die Schmiede“ in Berlin. Fredi nennt ihn „Neue Zeit-, Streit- und Leidgedichte“ und ich lese viele Gedichte eines politisch engagierten Dichters.

Die Zeiten ändern sich – aus den „Goldnen Zwanzigern“ werden langsam die Jahre der „Weltwirtschaftskrise“ und ein großer Teil der Bevölkerung hat am diesen „Goldenen“ keinen Anteil, in einem Vorwort heißt es daher:

„… Der Autor ließ „Die Harfenjule“ 1927 in einer preiswerten Heftchen-Ausgabe herausbringen, damit möglichst viele sie sich leisten konnten – so preiswert, dass ein Zeilenwechsel in den Gedichten nur nach jeder Strophe erfolgte und ein Inhaltsverzeichnis ganz eingespart wurde; zumindest Letzteres sei hier nachgeholt.“

Das Inhaltsverzeichnis erspare ich mir, denn alle in der ersten bis zu den nachfolgenden Auflagen erschienenen Gedichte finden sich in der „Harfenjule“ – vielleicht interessant aber: Mit der „Ode an Zeesen“ endet die Erstausgabe des Jahres 1927.

Am Anfang die Frage, wer aber gab diesem Gedichtband der Namen oder wer war die Harfenjule? Dieses literarische Denkmal der Harfenjule übernahm Klabund, und 1982 erschien in einer Überarbeitung im Eulenspiegel-Verlag der Sammelband „Die Harfenjule“. In diesem Band sind jedoch die Lieder der originalen Harfenjule weggelassen worden. Gedichte aus anderen, älteren Veröffentlichungen oder dem Nachlass wurden hinzugefügt. Hanne Wider und Hannes Wader haben Texte aus der Harfenjule vertont.

Die Harfenjule 

Luise Nordmann, geb. Schulz, Tochter eines armen Brettschneiders, wurde am 6. September 1829 in Potsdam geboren. Von Geburt an blind, konnte sie nach einer Augenoperation, die der bekannte Augenarzt von Graefe spendierte, wenigstens mit einem Auge etwas sehen. Sehr bald galt sie als Berliner Original und Zeitungsberichte machten sie in der Stadt bekannt. Übersehen wurde aber, in welcher Not sie mit ihrer Familie lebte.

Kurios, einer ihrer Gönner, ein Offizier der russischen Kolonie in Potsdam, gab ihr Gesangsunterricht und Luise sang Opern-Arien auf den Hinterhöfen Berlins. In einer Chronik heißt es: „Eine bettelarme Frau, fast blind, ihr Instrument geflickt. Eine traurige Gestalt, die himmlisch sang. Von Liebe und vom Leid: „Ick bin die Harfenjule mit jroßem Pompadur, in janz Berlin und Rixdorf spiel ick die Harfe nur.“

Potsdamer Sängersiedlung

Im Brandenburg Portal fand ich zu der Siedlung diese Zeilen:

„ … Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) galt als zugeknöpfter und den Musen fern stehender Mann, notorisch auch seine Wortkargheit. (…) Seine Majestät war aber nicht rundweg unsensibel. Er liebte immerhin – zur Pflege seiner angeschlagenen Seele – russische Gesänge. Und die russophile Neigung zielte nicht nur aufs Musikalische. Friedrich Wilhelm beeinflusste das Bild des Potsdamer Nordens aufs Schönste: in Gestalt der Siedlung Alexandrowka. (…)

1999 wurde dem damals schon bestehenden Potsdamer Weltkulturerbe die Kolonie sowie weitere städtische Denkmalbereiche hinzugefügt.Die Häuser wurden in den Jahren 1826/27 auf Weisung und auf Kosten des Königs im Gedenken an seine Freundschaft zum Zaren Alexander I. gebaut. Der Baubefehl ist aber nur aus der vorausgegangenen preußisch-russischen Geschichte zu verstehen. 1812 zwingt der noch mächtige Napoleon Friedrich Wilhelm, am Russlandfeldzug der Grande Armee teilzunehmen. 22 000 preußische Soldaten kämpfen gegen das zaristische Heer. Es bleibt nicht aus, dass sie russische Gefangene machen und mit nach Haus bringen. Nach der Niederlage Frankreichs und mit dem Beginn der Befreiungskriege gegen Napoleon (1813-15), in denen die ehemaligen Kriegsgegner Preußen und Russland Alliierte sind, wandelten sich die russischen Gefangenen zu einer Art Militärpersonen auf Dienstreise (russ.: komandirowka). Mit allen Ehren wurden sie der Leibkompanie des Ersten Garderegimentes zu Fuß zugeordnet. Mehr noch: Nach einem Casting finden sich 62 russische Soldaten und Unteroffiziere unfreiwillig als Mitglieder eines Chores wieder, der, wie es heißt, mit „Gesang und Tamburin und kleinen Glöckchen“ bei der Truppenbetreuung im Einsatz ist und bis nach Paris kommt.

Doch für die russischen Sänger ist es eine Dienstreise ohne Ende. Es zerschlägt sich die Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat. Alexander I. hat die Truppe inzwischen dem preußischen König zum Geschenk gemacht. Die „Havelrussen“ bleiben im preußischen Militärdienst und ziehen später in die für sie errichtete, durchaus komfortable Siedlung Alexandrowka ein. (…)

Was in der phrasenerstickten Zeit der „deutsch-sowjetischen Freundschaft“ nicht möglich war, wurde in Potsdam nachgeholt. Studenten der TU Berlin, Baufachleute und vor allem die „Potsdam Stiftung Kremer“ haben das Haus Nr. 2 mit Engagement und Sachkunde in ein sehenswertes kultur- und baugeschichtliches Denkmal verwandelt, das vom Leben der einstigen Kolonisten berichtet. Damit wurde Alexandrowka zu einem geretteten Symbol preußisch-russischer Freundschaft.“

Im Jahr 1865 heiratet Luise Schulz den Puppenspieler Emil Nordmann und die beiden traten als Schausteller in einem Wandertheater auf. Zwei Kinder hatte sie, aber bereits 1871 waren Mann und Kinder gestorben, alle an Tuberkulose.

Nach dem Tod ihres Mannes wohnte sie in Schöneberg, Steinmetzstraße 46   und lebte bis zu ihrem eigenen Tod mit ihrer Schwägerin in einer Kellerwohnung, ein Berliner Original und die „Mutter aller Straßenmusikanten“. In seinen Zeichnungen hat Heinrich Zille sie unsterblich gemacht. Den Künstlernamen „Harfenjule“ gaben ihr auf den Berliner Hinterhöfen Rotznasen. „Hof-Konzert für ein paar Groschen, gewickelt in Stullenpapier. Aus Fenstern geworfen, mang die Mülltonnen. Tingeltangel im kaiserlichen Berlin, Luise brachte Musik ins Milljöh, Radio gab’s noch nicht“ heißt es in einer Biographie.

Am 7. Januar 1911 starb Luise Nordmann., am 12. Januar beerdigte man sie auf dem evangelischen Luther-Friedhof in Berlin-Lankwitz. Im II. Weltkrieg wurde ihr Grab zerstört, aber man setzte ihr auf dem Friedhof einen Gedenkstein, er wurde im Jahr 2010 gereinigt und restauriert. Im Volksmund lebte Luise noch lange fort und man sagte von ihr:

„Sie starb ganz sanft, schlief einfach ein, das war ein Trost.“

Sie wurde trotz ihres mühseligen Lebens 82 Jahre alt und ein wenig berühmt. Auf ihrem Grab liegt manchmal ein Blumenstrauß und mittwochs spielen auf dem Friedhof 16 Harfen zu ihren Ehren, ist wenigstens zu lesen.

Bis zu ihrem Tode 1911 zog sie tagtäglich bei jedem Wetter mit einem breiten schwarzen Strohhut auf dem Kopf und die reparaturbedürftige Harfe auf den Rücken geschnallt durch die Straßen. Ihr typisches Auftreten mit blumengeschmücktem Strohhut und Handharfe wurde oft in Skulpturen und Bildern festgehalten.

Und so dreht sich meine Spule,
Tief vom Innersten bewegt,
Bis die alte Harfenjule
Einst im Himmel Harfe schlägt.

Ein gewisser Peter Panther schrieb am 12. Juli 1927 in der Weltbühne:

„… Harfenjulius Klabund – Ja, und dann hat er die reizende Idee gehabt, seinen Kleinkram an Gedichten genau, genau so zu drucken wie meine Lieblingshefte, die ich so oft im Papierladen gekauft habe: „Wo ist der Himmel so blau wie in Wien? sowie hundert andre Schlager der Saison.“ Er: das ist Klabund, und seine neue Gedichtsammlung, die sehr lustig ist, heißt „Die Harfenjule“ und ist im Verlag der Schmiede zu Berlin erschienen. Zum für in die Tasche zu stecken.

Sehr reizvoll ist zunächst, dass die Gedichte, wie das in den Zwanzig-Pfennig-Heften der Operetten-Texte üblich ist, in langen Prosazeilen ausgedruckt sind. Das gibt den Versen so etwas kurz Abgehacktes, auch weiß man nicht genau, wann eigentlich eine Zeile aus ist, man muss mit dem Finger lesen, und manchmal bleibt ein entzückendes Reimwort klein und ärmlich dastehen. „niedertauen“. Punkt. Aus. Wie stark und sicher müssen Gedichte gebaut sein, mit denen man sich diesen Scherz erlauben kann!

Klabunden seine sind das. Sie sind mehr als das. Die meisten freilich sind Notentexte; sie pfeifen, brüllen, schreien und orgeln nach Musik. So ein Ding wie die „Hofsängersind ein Chanson erster Güte – außer Mehring weiß ich keinen, der das kann. (Klammer auf. Mehring, warum schreibst du keine Lieder mehr! Es ist eine Affenschande. Klammer zu.) Sehr schön ferner das „Bürgerliche Weihnachtsidyll“, in dem die Gesangbuchverse so lustig mit Berliner Keßsheiten kollidieren.

O Kind, was hast du gemacht?
Stille Nacht, heilige Nacht.
Leis hat sie ihr ins Ohr gesungen:
„Mama, es ist ein Reis entsprungen!“
Papa haut ihr die Fresse breit
Oh, Oh, du selige Weihnachtszeit

Dann ist mein Lieblingslied in dem Heftchen enthalten: „Liebeslied“, Klabund hat es mir einmal leise am Klavier vorgesungen – er hatte es in sein Notizbuch gekritzelt, und da saß er so still und bräunlich am Klavier, er hätte ruhig zum Schluss mit dem Hut einsammeln gehen können. „Hui über drei Oktaven, Glissando unsere Lust! Laß mich noch einmal schlafen an deiner Brust.“ Das ist ein schönes Lied. Was: „Und ich baumle mit die Beene“ anbetrifft, so hat dieses Lied, wenn ich recht bin, der Ebinger ihre Marke gegeben.

So ein Versband ist immer ungleich – manches ist aus Pappdeckel, manches wie aus Stahlplättchen zusammengesetzt, vieles aus einem Guss. Es glückt nicht immer. Wunderschön die große „Ode an Zeesen“.

Das ist eines von den Heften, das ich einmal – in achtzig Jahren – vergilbt und halb zerbröckelt zur Nachkontrolle lesen möchte. Mindestens zwanzig dieser Lieder werden dann noch frisch sein. Und das ist sehr viel.“

Übrigens, hinter Peter Panther und Theobald Tiger verbirgt sich Kurt Tucholsky und ich schließe mich seiner Meinung einfach an.

Heinrich Zille schrieb mit seinem schnoddrigen Humor: „Jibt dir det Leben een Puff, denn weine keene Träne! Lach dir’n Ast und setz dir druff und baumle mit de Beene“, Klabund steckte an.

Einen Teil der Harfenjule-Gedichte schrieb Fredi lange vor dem Erscheinungsjahr 1927. Guido von Kaulla in seiner Biographie „Brennendes Herz“:

„… Die 1927 erscheinende Gedichtausgabe „Die Harfenjule“ ist – gleich ihrem Verfasser – ein Novum und bis heute Unikum auf dem deutschen Literaturmarkt. Mit ihr ist Fredis alter Plan von 1913 endlich Wirklichkeit geworden. Aber nicht für eine Mark, sondern 50 Pfennig. Nicht nur 30 Seiten, sondern 64. Nicht nur 30 Gedichte, sondern 180. Die einzelnen Texte sind fortlaufend gesetzt. Das ganze – genau in der Aufmachung eines Schlagerheftchens – hat einen roten Umschlag von Brief­papierdicke, mit einem Foto des Poeten. Einfaches graues Zeitungspapier. Der Inhalt umspannt den ganzen Bereich seiner Lyrik. (…)

Die meisten Gedichte sind zwischen 1911 und 1926 entstanden und zum großen Teil schon veröffentlicht. Nur wenige der Verse reichen in der Entstehung noch weiter zurück. Nur ungefähr ein Drittel des Heftes gehört dem Bänkelsang, den Protestsongs und Versen, die aktuelle Ereignisse glossieren. Das zweite Drittel der Diversa enthält zum Beispiel die Klage eines Mannes über seine eitle ungetreue Frau, deren Ehe durch eine Fülle von unbezahlten Rechnungen gekennzeichnet ist. Um die Umfangsgrenze von vier Bogen einhalten zu können, wurden aus den Korrekturbogen hier u. a. die bereits gesetzten französischen Gedichte herausgenommen. Das restliche Drittel umfasst zu­meist für Carola Neher entstandene Liebeslyrik.“

Etwas genauer geht es schon zur Geschichte der „Harfenjule-Gedichte“. Denn aus Locarno schickt er im November 1918 ein Bündel an Gedichten nach Passau, dass Guido von Kaulla als „Tingeltangel-Chan­sons und sozialkritischen Versen aus der Zeit,, als er zwei Semester lang in der rein proletarischen Umwelt der Au­gust-Straße im Berliner Stadtteil Wedding lebte – und auch Couplets schrieb für den Theatermann Ferdinand Gregori zur Altberliner Posse „Eine leichte Person“. Auch da ist Kla­bund Vorläufer, nicht Mitläufer.“ Und im Band natürlich zu finden das Gedicht der „Heileigen drei Könige“ warum und wieso kommt in einem späteren Kapitel.

Von Klaus Mann stammen die folgenden Sätze:

„… Die besessen­sten Lobpreiser des Lebens waren immer die, die mit dem Tod auf dem vertrautesten Fuße standen. Wir haben den Rückschlag, in seinen depressiven Gedichten, in der „Harfenjule“ stehen die stärksten und bittersten. Manche von ihnen erinnern an die Jammerschreie von der Matratzengruft Heinrich Heines, sie haben dieselbe schamlos atemberaubende Unmittelbarkeit. Wenn hinter dieser Bitterkeit nicht Liebe stände, wäre sie un­erträglich, aber man spürt sie, bei ihm so stark wie bei Heine.“

„Das Ende der Lyrik. Vorwort zu einem neuen Gedicht­band. Von Klabund.“ So lässt ihn das „Berliner Tageblatt“ (5.3.1927) nun selbst zu Wort kommen:

„Kein Zweifel kann obwalten: Die Konjunkturkurve der reinen oder unreinen, der Lyrik überhaupt – ist in jähem Fall begriffen. Kein Mensch kauft, liest, druckt fürder Gedichtbücher, nur einige unverbesserliche Optimisten sind noch mit der Her­stellung teils gereimter, teils ungereimter Verse beschäftigt, die in immer kleiner werdenden Portionen in Zeitschriften und Zeitungen zum tropfenweisen Ausschank gelangen. (…) Aber, so fragt sich der kritische Verstand nüchtern wä­gend auf dieser Erde zurückgeblieben – ist es mit der Lyrik wirklich materiell, essentiell aus? – Ist die mehr oder weniger sinnlos zusammenassoziierte Sozietät bilderreicher und gedankenarmer Konglomerate – nicht mehr ökonomisch oder seelisch verwendbar? Hat das Gedicht als sol­ches aufgehört, effektiv und moralisch zu existieren? Dies war eine heikle Frage und für einen lyrischen Schriftstelle­reibesitzer mit langjährigem Dampfbetrieb geradezu kata­strophal aufgeworfen. (…)

Oder – war es nicht möglich, das noch vorliegende Mate­rial (wie ja die Gasanstalten selbst den Koks trefflich zu ver­werten gelernt haben) zu verwenden, zu modeln, umzufor­men – alten Wein in neue Schläuche – ich meine: die noch auf Lager liegende Lyrik unter falscher Flagge aufs stürmi­sche Meer der Druckerschwärze hinaussegeln zu lassen -noch ist deftige Prosa gefragt – so wird aus lüsternem Ge­stammel ein lustiges Apercu, aus einer Ode an den Großen Kurfürsten eine beschwingte Annonce kurfürstlichen Ma­genbitters. Sanfte Töne gehen in kesse Charlestons über. Die Jetztzeit wird zur Jazzzeit. (Herr Setzer: Drei Z!) Es gab ein Sechsnächtedichten – dann war die Umwandlung sämtlicher Gedichte in prosoide Schlager restlos gelungen, und aus einem lyrischen Gedichtbuch ,Das Glockenspiel‘ (…) wurde im Handumdrehen ,Die Harfenjule‘, ein ruppi­ges Heft auf Zeitungspapier mit achtzig der allerneuesten im Adlon und im Obdachlosenasyl gleich beliebten Schlager (…), erschienen im Verlag Die Schmiede und für nur 50 Pfennig (Selbstkostenpreis) in allen schlechteren Buchhand­lungen erhältlich!“

Kurt Wafner meint, der Abdruck des Liedes in dieser Sammlung werde in verschiedenen Publikationen als Erstveröffentlichung bezeichnet. Eine Fehlinterpretation. Wafner: „In Wahrheit aber erschien es viel früher: im Heft 1 der Zeitschrift „Schall und Rauch“ vom Dezember 1919. Interessant ist, dass Klabund in der späteren Edition geringfügige Korrekturen anbrachte. So heißt es in der Urfassung:

Eifrig haspelt meine Spule,
Immer zu Musik bereit,
Denn ich bin die Harfenjule
Schon seit meiner Kinderzeit.

Später wurde aus den beiden ersten Versen:

Emsig dreht sich meine Spule,
Immer zur Musik bereit…

Außer an der „Harfenjule“ hat der Dichter noch andere Arbeiten später verändert, ausgebessert, ergänzt oder gar umgeschrieben, aber nur selten sind Vergleiche möglich, da Originalmanuskripte Klabunds Rarität geworden sind. Hier der Abdruck der Harfenjulen-Urfassung aus der Programmzeitschrift ,Schall und Rauch‘, Heft 1 vom Dezem­ber 1919 (von der 2. Strophe an):

Und ich spiele meine Harfe,
Wo und wie es immer sei,
Zum Familienbedarfe,
Kindstauf oder Rauferei.

Niemand schlägt wie ich die Saiten,
Niemand hat wie ich Gewalt.
Selbst die wilden Tiere schreiten
Sanft wie Lämmer durch den Wald.

Und der Rührung Träne kullert
Auf das Harfenbandelier,
Und der leere Magen bullert
Sehnsuchtsvoll nach Schnaps und Bier.

Reich mir einer eine Halbe
Oder einen Groschen nur!
Als des Sommers letzte Schwalbe
Schwebe ich durch die Natur.

Also dreht sich meine Spule,
Tief im Innersten bewegt, –
Bis die alte Harfenjule
Einst im Himmel Harfe schlägt.

Als Abschluss der so genannten „Kabarettzeit“ und als Übergang zu den folgenden Kapiteln ist die „Harfenjule“ bestens geeignet. Denn so ganz stimmt der Satz von Kurt Wafner nicht, wenn er schreibt:

„… Ach für Klabund erlosch der Stern am Kabaretthimmel. Nun, er war immer zweigleisig gefahren, mit der schnoddrigen Gebrauchslyrik für den schnellen Verzehr am Kabarett, als auch mit Werken, die ihn mit Recht in den künstlerischen Olymp führten. So endet seine Karriere als Autor und Inter­pret fürs Kabarett 1922.“ 

Aus der Geschichte der „Harfenjule“ geht doch hervor, Fredi hat lange vor seinen Engagements in „Schall und Rauch“ und anderen Bühnen diese Ausdrucksform benützt – ja gebraucht – und er hat sie beibehalten, nicht nur in seinen Gedichten.

Eifrig haspelt seine Spule! – Weiter!