Klabund – Der Mann mit der schwarzen Maske
Der Mann mit der schwarzen Maske erhebt seine Stimme und schreit.
Er sei genannt Namenlos und Nirgendwer.
Er hat abgetan seine eigene Tat, zu tun die Tat aller.
Nicht will er die Wirkung seines dunklen Hauptes oder
seines räudigen Ruhmes.
Nicht Eigen-liebe, sondern eigentliche Liebe.
Er lacht – lautlos.
Er liebt – brautlos.
Er handelt — machtlos.
Er wandelt — nachtlos.
Zu Füßen des Mannes mit der schwarzen Maske liegt der schwarze Hund.
Der bellt an: alle, welche kommen des Weges mit den strahlenden Gesichtern gewissenloser Seligkeit. Denn grau ist die Farbe der Verschmitzten, der ruhelosen Rebellen des Herzens.
Schwarz ist die Fahne der schweren Schwärmer. Sie wollen nichts wissen von der Weißheit der Fröhlichkeit, dem Gezwitscher des Mondes und dem Gebrüll des goldenen Drachens.
Ihr Menschen, spricht der Mann mit der schwarzen Maske, es sind welche unter euch, die sind euch gesetzt zu Martern und Mördern. Sie haben goldene Schnüre an den Jacken – die sind gedreht aus euren Gedärmen und vergoldet.
Und es sind andere unter euch, spricht der Namenlose, denen schwillt Bauch und Geldsack. Ihr Blick ist eine Zahl, ihr Wunsch ist eine Zahl; sie reden und träumen und schweigen in Zahlen. Sie hängen Nullen an euch, die ihr seid eine Eins oder eine Zwei — und siehe, ihr seid Millionen. Ihr spaltet Holz und Köpfe für sie, sie kaufen und verkaufen euch – aus eurer Trägheit, ihr trägen Tiere, ihr Tragtiere – die ihr schleppt ihre Geldsäcke, ihre fetten Weiber und ihre weinerlichen Kinder.
Der, welcher nicht schläft, spricht: Wacht auf!
Eure Nachtwache ist ihr Tag-Ende!
Der, welcher den dunklen Spaß der schwarzen Brüder nicht
verlernt hat, ruft: Lacht auf!
Euer Gelächter wird sie erschüttern, die auf euren Rücken reiten – sie werden fallen, und ihr werdet sie zerstampfen mit dem Fuß der Verfemten.
Gerufen sind vom Manne mit der schwarzen Maske: die während vieler Jahre schmerzlich Maskierten. Die hinter ihrer Maske die Wahrheit trugen als stille Flamme ihrer Stirne und als helle Hoffnung ihres Herzens. Mitternacht, die Stunde der Demaskierung, wird bald mit harten Schlägen schlagen.
Gerufen sind, welche langsam erwachten aus den verfaulten Särgen ihres lebendigen Begrabenseins – und fühlen nun wieder ihre Glieder, ihren Glauben, ihre Fäuste – und die Kraft ihrer Schwäche – die Macht ihrer Un-tat. Denn wir wollen nicht sein wie die Mächtigen – unsere Mission ist die Mission der Hilf-losen, der Macht-losen, der Schwachen, der Armen, der Verkrüppelten und Gepeitschten, der Getretenen und Gefolterten, der vom Gewissen Zernagten, der von der Säge des Zwiespalts und des Zweifels Zersägten. Die Gewissen — haben kein Gewissen. Die Hochmütigen – keinen hohen Mut. Wir wollen nicht tun die Tat der tausend Mächtigen. Wir wollen tun die Un-tat. Handeln — ohne Handlung. Nicht töten — sondern zeugen!
Der Namenlose sprach:
Ich habe gemordet, als ich den Salamander zertrat und der harmlosen Natter mit einem Stein den kleinen Kopf zerquetschte.
Jetzt freilich ist es leicht, dies zu sagen, zu gestehen, geständig zu sein. Aber es ist schwer, geständig zu sein, ein Beständiger.
Was nützt es, ein Marmordenkmal zu errichten und mit goldenen Lettern darauf zu schreiben: Hier starb meine kleine Schwester, die Natter, durch meine Hand. Oder: Hier ruht mein Bruder, der Salamander, gemordet durch mich. Nie mehr wird die Natter schillernd auf besonnter Mauer schweben, nie mehr der Salamander in den duftenden Regennächten nach Liebe schleichen. Ein anderes ist es um die Tat. Ein anderes um das Danachdenken.
Kein guter Gedanke erweckt den Salamander zum Leben und keine trübe Träne die braune Natter. Getan ist getan.
Das merkt ihr an den Taten der Tätigen, dem Heldentum der goldgeschnürten Heldischen.
Sie haben sich überfressen an Machtgier.
Und sie schlucken vorn noch in ihr unersättliches Maul –
während schon die untere Hälfte ihrer Leiber verweset.
Der Namenlose peitschte seinen Hund und sprach: Ich Sinn-loser – bin schuld an aller Schuld der Äonen. Ich habe den Krieg erfunden, als ich mit Bleisoldaten spielte und gegen meinen Bruder mich wandte mit Papierhelm und Holzdegen.
Unsere Kinderstube schon war eine Mördergrube, und unsere Mutter trug wie ein Beuteltier uns in einem Soldatentornister umher.
Fluch den Müttern, die uns zu Mördern geboren! Fluch den Vätern, die uns zu Dieben gemacht! Fluch den Bräuten, die sich schämten, einen armen Menschen zu lieben – sie machten Helden aus uns; mit klappernder Rüstung, plapperndem Mundwerk und blechernem Herzen. Fluch denen, die die angstschweißfeuchte Hand eines winselnden Jünglings zurückstießen – eine Eisenhand wollten sie haben und jeder sollte ein Goetz von Berlichingen sein.
Die Ritterrüstung, die ihr der Menschheit aufgenietet und aufgenötet – sie ist nur blutrünstiger Faschingsplunder: atavistischen Karnevals.
Der Mann mit der schwarzen Maske spricht: Hebt eure Arme und spannt eure Muskeln – ach nur ein wenig – so wird die Rittertracht polternd von euch abfallen – und ihr werdet sein dürfen, was ihr sein sollt, sein könnt, und sein müßt: Menschen, Geschöpfe unter den Gestirnen und die Geschwister von Tier und Traum und Blüte.
Der Namenlose spricht:
Ich geißle mich des Morgens und Abends, und das Blut tropft von meiner Schulter.
Ach! Ich schäme mich meiner Scham (daß ich mich verkroch vor dem Wüten der Wütenden). Ich weiß, ich habe mich gewandelt: von Mond zu Mond, ja oft von Sonne schon zu Sonne. Hieß gestern: Eigen-sinn. Heute: Geigensinn. Hieß gestern: Mord und Röcheln. Heute: Lord und Lächeln.
Immer ein Anderer, immer ein Wanderer, wie elend, wie schwelend: Das Herz im Rauch-fang, im Pulverdampf. Im Hauch-fang der Thymianblüte.
Der Namenlose spricht:
Werde Stein! Du Weicher! Es wird zu Wasser kommen, dich zu verschlingen, das Feuer, dich zu Asche brennen: es wird nichts an dir bleiben als Wassertopfen oder Ruß. Aber dein Kern, steinern, er bleibt: wie der Kern einer Kirsche: Du wirst aus allen Mäulern der Naschgierigen gespieen.
Der Mann mit der schwarzen Maske zog seine Maske herab: da ward das zerrissene, zerfetzte Gesicht eines Aussätzigen sichtbar.
Fasset Vertrauen, ihr Armen, zu einem, der ärmer ist denn ihr.
Daß ihr nicht immer wart der Meinung der Beständigen, der Stein- und Stamm-Menschen: des sei kein Hader. Daß ihr erst wurdet unter ewig neu quellenden Qualen zu Brüdern vom Bunde des roten Herzens: Mein Vorwurf sei euch gesagt, keine üble Nachrede.
Er, der selber schwankte, weiß: wie leicht sichs schwankt in den Lüften: seht die Blätter. Und die Vögel im Sturm. Ist nicht im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über tausend Gerechte? Denn blieben die tausend Gerechten unter sich – was wäre der Himmel? – Nur tausend Gerechte in alle Ewigkeit und eine Cliquen- und Claquenwirtschaft. Aus den Sündern, die bekehrt wurden, wollen wir das Himmelreich bauen, denn ihrer sind Millionen und mehr.
Der Namenlose spricht:
Ich danke dir, Gott, daß du mir meine Feinde gabst: unzählige wie Tropfenfall im Landregen: gute und böse. Die guten Feinde: glauben an mich. Sie sind verschwärmt um mich wie Nachtfalter. Aber die Bösen: sind die Hummeln. Sie brummen und stechen.
Die bösen Feinde nennen mich: Heuchler, Lügner, Fälscher, Feigling.
Die guten Feinde nennen mich: schwacher Bruder, armer Mensch, Strauchelnder, Stolpernder. Aber Dank beiden: den guten wie den bösen. Denn sie haben mir den Blick geschärft – für mich. Und die Waffen – gegen sie.
Erschienen im Gedichtband Dreiklang und im Frühling 1918 in der Zeitschrift „Die Erde“.
Zeitschrift Die Erde
Aus Wikipedia:
„Die Erde“ – Journal of the Geographical Society of Berlin – ist die älteste der aktuell erscheinenden Fachzeitschriften für Geographie weltweit. Die Publikation kann bis auf das Jahr 1833 zurückverfolgt werden. DIE ERDE erscheint viermal im Jahr, wird seit 2002 im Wesentlichen in englischer Sprache publiziert und ist ISI-indiziert (Science Citation Index Expanded, Social Sciences Citation Index). Seit September 2013 ist „Die Erde“ online auf ihrer Homepage (open access – offener Zugang) abrufbar. Auf dem Portal „Digi Zeitschriften sind auch die Jahrgänge des 19. Jahrhunderts (ab 1833) im Internet abrufbar, diejenigen des 20. Jahrhunderts jedoch nur für institutionelle Skribenten.
Inhalt
„Die Erde“ widmet sich dem gesamten inhaltlichen Spektrum der Geographie, das heißt, sie publiziert Beiträge sowohl zur Physischen Geographie als auch zur Anthropogeographie (Humangeographie) Sie wird weltweit in 130 Länder verbreitet. Autoren aus mehr als 16 Ländern haben in den letzten 15 Jahren darin publiziert.
Herausgeber
Die Zeitschrift wird von Oliver Bens (Potsdam), Gabriele Broll (Osnabrück), Martin Coy (Innsbruck), Werner Eugster (Zürich), Elmar Kulke (Berlin) und Rainer Wehrhahn (Kiel) herausgegeben. Schriftleiter ist Christof Ellger. Er ist in dieser Funktion Nachfolger von Kirsten Gehrenkemper. Weitere wichtige Herausgeber waren Frido Bader, Wolf Dieter Blümel, Hans-Georg Bohle, Axel Borsdorf, Heinz Heineberg, Georg Jensch, Karl Lenz, Hartmut Leser, Klaus Müller-Hohenstein und Fred Scholz.
Geschichte
Die Zeitschrift erschien zum ersten Mal im Jahr 1853 unter dem Titel „Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde“ (Herausgeber: Thaddäus Eduard Gumprecht (1801–1856)). Zuvor gab es „Monatsberichte über die Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin“ (1840–1852) und „Jährliche Übersicht über die Thätigkeit der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin“ (1833–1839). Das Programm der Zeitschrift war damals anzusehen als: Forschungsberichte von den Forschungsfronten der Teil- und Nachbardisziplinen der Geographie, außerdem wurden Akteure der Forschung vorgestellt, Bücher besprochen, und es wurde über die neusten Erkenntnisse, die vor allem durch Expeditionen gewonnen wurden, berichtet. Zwischen 1944 und 1949 erschien die Zeitschrift nicht.
Zählung der Jahrgänge der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
1853–1855: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde, 5 Bände, 3 Jahrgänge
1856–1865: Zeitschrift für Allgemeine Erdkunde, Neue Folge, 10 Jahrgänge
1866–1944: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 79 Jahrgänge
1949–2008: „Die Erde“, Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, 60 Jahrgänge.