Die Beziehungen des Dichters Klabund zu Passau

Seine geliebte Irene war eine Passauerin – Beider erlagen der Tuberkulose

„Donau, Inn und  Iltz stürzen sich rauschend in die Arme:
wer liebt hier?
Und wer wird geliebt?
Wilde Dreieinigkeit!
Wo der Flüsse drei sich weiß ergießen,
standen wir liebend gelehnt,
sah’n in die jagende Flut Drei ward eins.
Ich faßte die Hand dir und dachte; Du und ich
und das Kind Also dreieinig auch wir. Dies
war einmal.
Bin Frühling wie dieser.
Nur; reicher noch und rasender. Und wird wieder einmal sein…“

Diese Zeilen schreibt der Dichter Alfred Henschke, besser bekannt unter dem Namen „Klabund“, seiner Freundin, der jungen Berli­ner Schauspielerin Grete Guttmann, im Jahr 1920 aus Passau. Er wohnt hier bei der angese­henen Familie des Justizrates Dr. Max Heberle und seiner Frau Irene im ersten Stock der Gewerbehalle am Ludwigsplatz. Max Heberle war ein Kunstfreund ersten Ranges. Als Kommunalpolitiker und Kunstreferent leitete er jahrelang die. historischen Sammlungen der Stadt, gründete den „Passauer Kunst- und Geschichtsverein“ und versammelte in seinem Haus Namen allerbesten Klanges: den Passau­er  Kunsthistoriker  Prof. Wolfgang Maria Schmid, den Gelehrten und Kunstmäzen Bassermann-Jordan, den Direktor des Bayerischen Nationalmuseums, Professor Philipp v Maria Halm. Freunde des Hauses waren Alfred Kubin, Ferdinand Wagner, Richard Billinger und Max Peinkofer. Wie kommt nun aber  der 1890 in Crossen, in der Mark Brandenburg geborene Alfred Henschke in das Passauer Bürgerhaus?

Die Heberles haben eine Tochter, die am 18. Oktober 1896 in Passau geboren wird. Irene Brunhilde, leuchtend blond, bleich; „von natür­licher, unbewusster Einfachheit und ungewöhnlichem Anmut des Wesens“, „ein, Ideal­bild  deutscher  Frauenschönheit“, wie die „Passauer Zeitung“ einmal schreibt. 1916 er­krankt sie an einer tuberkulösen Infektion der Lungen und des Kehlkopfes. Nach vergebli­cher Behandlung in Deutschland schickt man sie zu dem Spezialarzt Dr. Rüedi nach Davos in der Schweiz. Dort, im „Haus Stolzenfels“, lernt sie den ebenfalls an Tuberkulose erkrankten Alfred Henschke kennen — und lieben.

Auch Klabund verliebt sich in die schöne Irene und schwärmt:

„Scham scheucht die Schar.
Der Schlitten rollt.
Ich atme Gold
Ein blondes Haar.

Oder:

Küsse haben wir gesogen,
Tausendfältig, ich und du.
Alle sind verflogen —
Liebste, warum zögerst du?

Und dann:

„Es ist ein Licht erglommen —
Ich muß die Hände vor das Antlitz tun:
Es werden andre kommen
Und zwischen deinen Lippen ruhn.
Es werden andre ahnen,
was deine kühle Klarheit scheint.
Ich bin auf dunklen Bahnen
Verwaist längst und verweint.

Im Mai 1917 reist Irene nach Passau zurück und ruft den Geliebten bald zu ihren Eltern. Ein politischer Artikel Klabunds in der „Neuen Züricher Zeitung“ mit dem Titel „Offener Brief an Kaiser Wilhelm II“, in dem er dem Kaiser zur Abdankung rät, macht ihm eine Reise nach Passau unmöglich. Erst Anfang September 1917 kann Klabund nach Passau fahren und sich bei Irenes Eltern vorstellen. Bei der Rückreise in die Schweiz wäre er beinahe verhaftet worden. Er schreibt an Irene:

„Auch meine Freunde hätten mich nicht retten können, wäre ich einen Tag später gereist. Um Ihretwillen wagte ich die Fahrt. Nun ist es an Ihnen, zu mir zu kommen. Kommen Sie mit Ihrer Mutter (die ich wie Ihren Herrn Vater herzlich zu grüßen bitte), wenn man Gerede fürchtet. Ich habe solche Sehnsucht nach Ihnen! Klabund.“

Im Frühjahr 1918 trifft Irene zur ärztlichen Nachbehandlung — die Kehlkopftuberkulose kann geheilt werden — wieder in Davos ein. Klabund macht Irene ein Verlobungsgeschenk: den Privatdruck „Die kleinen Verse für Irene“. Am 8. Juni 1918 zeigen „Alfred Kla­bund“, „Schriftsteller“, und „Irene Brunhild Klabund, geb. Heberle“, ihre Vermählung in Muralto im Kanton Ticino in der Schweiz an.

Die Grundstimmung dieser Glücksmonate Vermitteln vielleicht folgende Zeilen:

Hingen Wang an Wangen,
Hingen Blick an Blick.
Viele Frauen sind mit mir gegangen,
Und nur eine sah zurück.
Viele haben schön bei mir geschlafen,
Und nur eine ist erwacht.
Mein zerzaustes Segel fand den Hafen,
Und mein Tag fand seine Nacht.

Irene wünscht sich sehnlichst ein Kind. Sie ist zart, körperlich noch etwas kindhaft und unausgereift, doch Klabund gibt ihren drän­genden Wünschen nach. Nach sieben Monaten treten Komplikationen auf: Frühgeburtsoperation durch Kaiserschnitt am 17. Oktober‘ 1918, Anzeichen von Kindbettfieber und einer sich entwickelnden Lungenentzündung. Am 30. Oktober stirbt Irene. Ihre Tochter Irene Fiete Anny folgt ihr am 7. Februar 1919.

Klabund ist am Boden zerstört.

Dreißig Tage lang vertraut er täglich ein Sonett einer Kassette auf dem Grabe an:

Ich, schwanke ohne Heimat, ohne Herd
Von neuem in das Wanderschaftsgetriebe …
Ich war dein Tod, / ‚Ich habe dich gemordet.“

Den Schwiegereltern schreibt er, seine ärgste Buße sei, dass er so allein weiterleben müsse. Er habe Irenes Tod ja nicht einmal geahnt, und auch sie selbst nicht. Er ginge nur noch halb im Leben. Am Vorabend sei er dicht daran gewesen, sich vor dem Bilde Irenes zu töten. Dann habe er geweint und den Mut verloren, sich zu erschießen, denn verzweifelt wolle er nicht hinübergehen.

Klabund bleibt zeitlebens dem Hause He­berle tief verbunden. Als es am 12. April 1919 einer „Republikanischen Schutzwehr“ gelingt, Mitglieder des Zentralrates der ersten bayeri­schen Räterepublik — darunter den Schrift­steller   Erich   Mühsam   — festzunehmen, kommt Mühsam ins Militärgefängnis der Fe­stung Oberhaus in Passau. Da Klabund sich zur selben Zeit bei seinen Schwiegereltern auf­hält, bekommt er ein anonymes Telegramm aus München, sich um Mühsam zu kümmern. Das Telegramm ist Grund genug, auch Kla­bund festzunehmen: „Man warf mich in Pas­sau in das Arrestlokal, zu ebener Erde, feucht und ganz dunkel… Um halb drei in der Nacht kam ein offenes Auto und sauste mit mir durch die Nacht nach Plattling … In Plattling bestieg ich, einen Posten mit geladenem Gewehr ne­ben mir, den Zug nach Straubing.“ Klabund befindet sich vom 17. bis 26. April in Nürnberg in „Schutzhaft“ und wird vor allem durch die Intervention seiner Schwiegereltern entlas­sen, „da sich der Verdacht politischer Gefähr­lichkeit als unbegründet erwies.“

Klabund versucht, angesichts der amtlichen Bestimmungen jedoch vergeblich, ein Wohnrecht in Passau zu erhalten. So logiert er oft als Gast bei den Heberles, die auch als Zentrale für die Verbuchung seiner Honorare fungieren. Die Heberles wissen, wie sehr er unter dem Tod Irenes leidet. Vor allem seiner Schwieger­mutter bleibt Klabund sehr zugetan: Als er seine zweite Frau, die Schauspielerin Carola Neher, 1925 heiratet, schreibt er an Irene He­berle, dass er mit der Mutter seiner Frau weder Bekanntschaft habe noch haben werde. Und: dass nur sie, Frau Heberle, neben seiner leibli­chen Mutter, ihm als „Mutter“ anredungswürdig sein werde.

Am 14. August 1928 stirbt Klabund an den Folgen seiner Tuberkulose. Irene Heberle, de­ren Mann während eines Kuraufenthaltes am 12. Mai 1927 in Karlsbad gestorben war, zieht nach Dachau und stirbt dort am 14. April 1949..

Artikels aus „Heimatglocken“ Nr. 1 1988

Thomas Heller