Der Wüstling

Der Wüstling

Ein Schäferspiel in Alexandrinern

Figuren

Lysander
Chrysoleth
Amint
Dorothee
Phyllis

Ort der Handlung Park

Chrysoleth stöckelt in steifen, aber zierlichen Schritten durch den Garten. Er bleibt an einer Birke stehen, zieht einen über­trieben großen rosa Brief aus der Tasche, legt den rechten Arm um die Birke, kreuzt das rechte Bein übers linke, hebt mit der linken Hand den Brief hoch und beginnt:

Chrysoleth: 0 neige, süsses Mädchen, Dich zu mir im Kusse.
(Küsst den Brief.)
So fügt sich Herz zu Herz in herzlichem Genusse.
Wie bist Du gut! Wie treu! Wie zärtlich! Und wie blond!
Als habe Helios Dich mit eigenem Strahl besonnt.
Als habe er in Glanz und Mittag Dich geboren,
Als habe er sich ganz in Deinen Leib verloren.
Du funkelst ja aus Dir. Aus Deiner Augen Tor
Bricht mächtig, blau und tief der Himmel selbst hervor.
— Ach, ich vergesse mich und die Galanterie
Vor Ihrer Gegenwart: darum: wie schliefen Sie?
Wie haben Sie die lächelnd laue Sommernacht,
Dorinde, wie die Träume ohne mich verbracht?
Sie senken Ihren Kopf! 0 schämen Sie sich nicht,
Dass Ihre Anmut mir den Kranz der Liebe flicht!
Ich drücke ihn entzückt und stolz in meine Stirn;
So hebt sich lichtbeglückt ins Licht ein Alpenfirn,
Ins Morgenrot, Dorinde, meine Eos — ach,
Ich schlief die Nacht sehr schlecht und bin noch jetzt ganz schwach …
Und immer, wenn ein Traum mich hold umgaukeln wollte,
War’s, dass Ihr Blick wie Blitz und Donner in mich wollte.
Bin Ihre Liebe ich, Dorinde, denn gewiss?
Und weinend wälzte ich mich in der Finsternis.
(Lysander kommt.)
Lysander: Was tragt Ihr da so spitz und sorgsam in der Hand?
Chrysoleth: Es ist ein Brief!
Lysander: Ein Brief?
Chrysoleth: Ein Brief von ihr gesandt!
Lysander: Ich finde das Format ein wenig übertrieben?!
Chrysoleth: (küsst den Brief): Es kann Dorinde nur in diesem Umfang lieben!
Lysander: (sinnend) Dorinde? Süsser Sinn, der mich zum Leben rief …
Chrysoleth (kramt aus seiner Tasche zehn Briefe in allen Farben: gelb, rot, blau, violett u. s. w.): Seht …
Lysander:: Bitte?
Chrysoleth: Das ist heute schon der zehnte Brief.
Lysander: Von ihr?
Chrysoleth: Wo denkt Ihr hin! Es gibt auch andre Frauen!
Lysander: In allen Farben habt Ihr sie, wie’s scheint …
Chrysoleth: Den blauen schrieb Chloe (küsst den Brief), deren Tränen meinen Vers betaun. Den gelben: Dorothee, Figur: schlank, Haare: braun. (Küsst den Brief.)
Lysander: Den grünen?
Chrysoleth: Widmet mir Amaliens Brünette …
Lysander: Den roten?
Chrysoleth: Gestern stieg Phyllis mit mir zu Bette … Und im Gedenken an die Nacht flammt er in roten
Flammen …
Lysander: Eure Frechheit wird nicht überboten! Ihr liebtet Phyllis?
Chrysoleth: Ja!?! Warum so laut?
Lysander: Verlangen Muss ich die Wahrheit …
Chrysoleth: Ja, ich habe sie … umfangen!
Lysander: Unmöglich! Steht Ihr mit dem Degen für Euch ein, So zieht!
(Entreisst ihm den Brief.)
Chrysoleth: 0 weh, mein Brief! Gebt mir den Brief erst!
Lysander: Nein! So hab ich für der Falschen Spiel ein Dokument. Gott! Ihre Handschrift!
Chrysoleth: (beiseite): Ob er in der Tat sie kennt? (laut🙂 Seid Ihr ein Kavalier, so schont des Mädchens Ehre!
Lysander: Nachdem Ihr frech genascht von ihrer Lippen Beere, Und hündisch nun Euch rühmt in allen niederen Gassen, Es habe Phyllis sich von Euch umarmen lassen?!! – Wenn ich Euch sage, dass in meinem Arm sie schlief Die letzte Nacht?
Chrysoleth: Ein wenig anders sagt’s der Brief!
Lysander: Könnt‘ Euer vorlaut Maul ich mit dem Degen bannen! Zieht!
Chrysoleth: Sie liebt mich, nicht Euch, ich zieh – jedoch von dannen … (ab).
Lysander: Es flieht der feige Fant samt seinen Geckerein, Lässt mich und meinen Zorn mit diesem Brief allein – Wie freundlich schien der Mond in unser Liebeszelt Gestern die süße Nacht. Die Hochzeit war bestellt Fürs Frühjahr – und nun findet sich’s, dass ich betrogen, Dass gleich nach mir sie diesem Lump ans Herz geflogen! Ihm Briefe schreibt! Ihm ihre tolle Liebe stammelt! Nun ist des Paradieses Tor für mich verrammelt … (öffnet den Brief) Geliebter! – Dieser Kopf, so hohl wie eine Trommel! Wie lieblich sang um unser Glück des Nachts die Dommel Und um die Laube hing der Mond die goldnen Netze. Verflucht, wenn ich in ihre Lage mich versetze! Dieselbe war’s, wie’s scheint – es war dieselbe Laube In der sie ihn empfing! 0 Schlange Du! 0 Taube! Wie konntest Du in Chrysoleth Dich nur vergaffen, In diesen Moschusruch und aufgeputzten Affen! – Wie les ich weiter? – Du, für den die Welt nur steht, Um den sich alles dreht! – Alles um Chrysoleth! Wann kommst Du wieder? Du – ich kann es nicht erwarten Erwarte morgen früh mich punkt elf Uhr im Garten.
Der Garten? Hier! Elf Uhr? Es fehlen zehn Minuten, Wenn er sie treffen will, muss Chrysoleth sich sputen. Er wagt es nicht! Der Hund, er fürchtet meinen Degen! -Wer kommt? Es ist Amint! Und kommt nicht ungelegen.
– (Amint tritt auf, mit einem gelben Brief in der Hand. Traurig.)
Lysander: Amint …
Amint: Lysander … Freund … mir ist die Welt verleidet,
Ich bin dahin gelangt, wo man den Stein beneidet. Ich möchte fühllos sein wie er.
Lysander: Seht mich: Desgleichen!
Amint: So lasst einander uns bewegt die Hände reichen! (Tun es.) – – Seht diesen gelben Brief. Ihn schrieb-
Lysander: Nun?
Amint: Dorothee! Sie, die ich einst geliebt …
Lysander: Noch gestern
Amint: … Abend. Seh ich diesen Brief nicht heut in eines Gecken Klauen?
Sie ist mir untreu!
Lysander: Ungetreu wie alle Frauen. Mich trog ja Phyllis –
Amint: Dorothee mich –
Lysander: Und mit wem?
Amint: Mit jenem Gecken unterm Narrendiadem. Dem lächerlichen Liebesprahlhans Chrysoleth.
Lysander: Denselben traf auch ich in meinem Blumenbeet. – Und ich vertreibe ihn, geht’s anders nicht, mit Knütteln!
Amint: 0 lasst einander uns bewegt die Hände schütteln!
(Tun es.)
Noch diese Nacht lag sie geliebt mir hold zur Seite, Und eine Stunde drauf gibt ihm sie das Geleite In Amors Land.
Lysander: 0 dieser Wüstling Chrysoleth! Er schloss auch diese Nacht Phyllis in sein Gebet.
Amint: Dieselbe Nacht! – Und nun bestellt ihn dieser Brief Galant punkt Elf hierher.
Lysander: Wohin auch Phyllis – rief …
(Phyllis und Dorothee treten gleichzeitig auf, die eine links hinter einem Gebüsch, die andre rechts. Sie werden von Lysander und Amint nicht bemerkt.)
Phyllis + Dorothee: Es schlägt elf Uhr, doch warum ist er nicht allein?
Dorothee: Lysander weilt bei ihm! Wie grausam!
Phyllis: Es weilt Amint bei ihm. Wie grausam!
Amint: Glaubt mir, kein Liebhaber ward jemals düpiert wie wir!
Lysander: Wir rächen Gemeinsam uns, indem auch wir die Treue brechen!!
Dorothee Phyllis: Er liebt mich nicht mehr! –
Amint: Bah! Wir spielen nun va banque
Lysander: Und gehen heute noch
Amint: Ha!
Lysander: Auf den Frauenfang.
Amint: Versuch’s, wo Dorothee ihr Herz hat, sie zu rühren!
Lysander: Ich schenke Phyllis Dir, Du darfst sie gern verführen!
Dorothee + Phyllis: Der Schurke! Männer!
Phyllis: Und ich kann’s nicht mehr ertragen …
Dorothee: So, will dem Ungeheuer ich die Wahrheit sagen. (Springt hinterm Gebüsch vor, zu Amint) Mein Herr …
Phyllis: (folgt ihr): Mein Herr, verzeihen Sie, wenn ich Sie störe, Nur eines: dass ich Ihnen nicht mehr angehöre …
(Schluchzend zu Lysander.)
Dorothee: (Zu Amint): Sie Mensch nicht mehr, Sie Tier!
Phyllis: (zu Lysander): Und Sie, mein Herr, desgleichen!
Lysander + Amint: 0 lasst einander uns bewegt die Hände reichen!
(Tun es.)
Dorothee: Sie spotten unsrer noch!
Amint: Ja, ja, wie das so geht, das Blatt hat sich gewandt.
Lysander: Was macht denn Chrysoleth, Der Liebling?
Amint: Haben Sie die Nacht auch gut geruht?
Lysander: Es war so kalt — allein. Es fliesst so heiss — das Blut …
Amint: Verzeihen will ich nur, wenn Ihr Euch frei bekennt, Dass Euer Herz zu aller Welt in Liebe brennt!
Lysander: Vielleicht hat Chrysoleth Euch gar in bar vergütet. Er ist ja reich!
Phyllis: (weinend): Begreifst Du, Dorothee –
Dorothee: Behütet Mich, Götter, vor dem Irrsinn! Wie sie uns mit Füssen Treten, die wir einst geliebt.
Lysander: Euch zu versüßen das bittre Dasein, naht, zu tändeln
Amint: Mit Euch zwein der schöne Chrysoleth.
Lysander: Wir lassen Euch allein.
(Wollen gehen.)
Dorothee: Bleibt!
Phyllis: Bleibe …
Dorothee: Chrysoleth, so sagtet Ihr …
Lysander: Ja, Euer Herr, den zum Rendezvous Ihr batet …
Phyllis: Ungeheuer! So hast Du meinen Brief
Dorothee: Du meinen nicht bekommen?
Lysander + Amint: (zeigen die Briefe):
Amint: Hier ist ein Brief, ich hab ihn … Chrysoleth genommen!
(Chrysoleth ist träumend näher getreten.)
Dorothee: (packt die beiden Briefe, zu Chrysoleth): . Den tollen Spuk muss endlich doch der Teufel holen; Ihr hattet diese Briefe?
Chrysoleth: Ja …
Dorothee: Woher?
Chrysoleth: Gestohlen Hab ich sie oder, wenn es besser klingt: entwendet . . .
Lysander: (entsetzt) Mit Diebstahl habt Ihr Eueren Ehrenschild geschändet?!
Amint: Gestohlen habt Ihr, Chrysoleth??
Chrysoleth: 0, welche Zeit, Die nach dem Dichter nie, gleich nach dem Richter schreit! Die Briefe nahm ich, um mein Herz mit Duft zu schmücken, Mit Ahnung ferner Frauen, die Sehnsucht zu beglücken! Ach, diese nicht allein: mir huldigen tausend Bräute, Vermöge derer ich mir Glück und Weihrauch streute. Ich liebe mich so sehr … Sollt ich mir’s nicht gestehn Und mich phantastisch in das Weib verwandelt sehn? Oft schmeckt ein treuer Kuss sehr malitiös nach … Knaster.
Ich liebe nur der Phantasie verwegne Laster. Dich, Dorothee, begehrt ich nie … nur Dein Bildnis!!! Phyllis entführte ich in meiner Träume Wildnis … Wenn ich die Briefe stahl – wer stiehlt Euch mir? Ins ferne Blaufirmament versetz ich Euch als goldne Sterne. Sternbilder seid Ihr mir, wie Venus, Fisch und Bär. Ach, wenn mein Herz so reich nicht an Erfindung war‘! Vertrocknen müsste es in der realen Welt, Die nur auf Tat und Tat, auf Kraft und Kraft gestellt. Wie Schmetterlinge flattern bunt die Flitterwochen … Die zarte Liebe ist so leicht wie Rohr zerbrochen … Phyllis strickt Strümpfe, und die gute Dorothee Kocht ihrem braven Mann zur Nacht Kamillentee. Die Degen, die die Herren heut so tapfer schwenken, Verrosten und verstauben in den Wäscheschränken … Du, Phyllis, wardst so dick, dass Du als Kloss erscheinst Dann ist noch meine Phyllis sanft und schlank wie einst Und wenn vor Dorothee Aminten jagt das Grauen -Bleibt meine Dorothee die Zierde aller Frauen …
Dorothee: Er ist ein Narr.
Phyllis: Verrückt.
Lysander: Lasst den Hallunken schrein! Man muss dem Narren seine Narrheit schon verzeihn.
Chrysoleth: 0: ich ein Narr? Und Ihr wohl gut und stolz und weise?! Erhöre, Venus, mich! Die Welt rollt aus dem Gleise … Ich bin zu zart, zu weich für die Realität. Amint heisst: Wirklichkeit. Wahrheil heißt: Chrysoleth … Ihr werdet mich, ich werde Euch niemals verstehn. Lebt wohl, mesdames, messieurs, auf Nimmerwiedersehn! (Würdevoll und kokett ab.)
Amint: Was nun?
Lysander: Was nun?
Phyllis + Dorothee: (äffend) Was nun? Was nun? Was nun? Könnt Ihr nichts Besseres, als Fratzen schneiden, tun?
Amint + Lysander (fallen ihnen zu Füssen nieder)
Phyllis + Dorothee: Es ging der Narr. Zwei neue liegen uns zu Füssen, Um aller Männer Narrentum in eins zu büßen. Und nehmt ein Beispiel Euch an Chrysoleth. Er stahl Die Briefe – und entpuppte sich als Scheingemahl. Nun, teuerster Amint? Was nun, o mein Lysandre?? (Laufen lachend davon.)
Er stahl die Briefe nur! So stehlt nun ihr … das andre .. (Lysander und Amint hinterdrein.)