Der Neger

Der Neger hob Balken, hämmerte, bäumte.
Hobelte Tische: saum-selig.
Särge, werdend, quietschten wie junge Ferkel.
Hochsprung und Abfall der Späne beglückte ihn: wie junge Schwalben schwingend,
kaum flügge, dann stürzend: weicher Flaum, darauf er schlief.
Falter flogen quer durch sein Herz.
Nachts schnitt ein schwarzes Messer in die Schale seines Schädels: warf das Gehirn
in Wind und Duft, wo es mit seinen Schwestern, den schwarzen, schaukelte.
Ein kleiner Vogel, Kolibri, saß morgens vor Sonnenaufgang im Geäst seiner Finger.
Zart, zart: ihn nicht zerdrücken: denn er sang.

Vogelschwärme stießen, zu einem Pfeil gespitzt, in seine Brust.
Wald wanderte, aus Schlinggewächsen männlich sich entreißend, dicht Baum
an Baum übers Meer zu ihm.
Brach in die Knie. Zersplitterte liebend. Weinte mit den Blättern, seinen Tränen.
Ein goldner Schwarm von Käfern fiel aus einer Wolke.
Der Heimat Ungeziefer selbst besuchte ihn nachts: und brüderlich entbot er seinen
Leib zum Fraße: Skorpion und Floh, Termite oder Laus.

Roger, der Herr, schnellte den Fuß nach ihm.
Sandale strich striemend über seine Wange.
Er küßt die lederne Sandale.
Sie riecht wie Gurt am Leibe seiner dunklen Frau.
Viel helle Leute lachen.
Er ahmt den Schrei des Esels nach.
Den Lockruf der Gazelle.
Sie schweigen.
Roger räuspert: rauh: ein leiser Fluch.
Ein helles Weib senkt seitwärts leicht den Kopf und seufzt.

Der Tag ist so voll Weiße, daß ihn friert.
Weiß das Kastell, weiß Stein. Weiß Himmel, Meer und Mann und Frau.
Am Strand, da es Ebbe, liegt ein toter Fisch, schwarzschuppig.
Er jauchzt, tut ihn an seine Brust, nimmt ihn in seinen Stall.
Vergräbt ihn unter Heu und Decken.
Mit offenen Nüstern zieht er des Verwesenden Geruch in sich.

Als er schläfrig in der Sonne glänzt, kommen Kinder ihn zu betasten.
„Ein Tier,“ sagt eines, „und zu fürchten fast.“
„Sein Haar ist wie von Lämmern.“
„Seine Stirne edel: wie eine kupferne Schale.“
„Er hing wohl lange in der Räucherkammer; die rußte ihn.“
„Er riecht wie Rauch.“
„Die Sonne ist ihm gut.“
„Schlank seine Beine: spränge er.“
„Ein Hirsch, den Götter plötzlich menschlich machten.“
– Der Neger blinzelt durch die Augenlider. Dann stößt er Atem stürmisch durch die
Zähne,
Die Kinder schreckts.
Sie laufen. Taumeln. Mückenschwarm.
Eins stolpert über seine Beine.
Die kneifen es wie Scheren eines Seekrebses.
Es will weinen, sieht in seine braunen Augen, fühlt seine Hände, die es schweben lassen.
Und lächelt.

Aus feuchter toniger Erde fertigt er sich seinen Gott: braunes Gedächtnis Afrikas.
Steif Beine, Hände, Bauch. Der Kopf ein riesig Überwölbendes. Mit Kieselaugen,
Muschelmund, Tanghaar. Das ihm auf eckige Schultern rieselt.
Schmerzlich, daß Haar nicht wollig, fett, sich kräuselt.
Trotzdem ihn Sonne trocken brennt und röstet, zerfällt der Gott.
Als Regen ihn benetzt, zerfließt er weich. Ist nur ein Schlamm! Ein widerlich Gegorenes.
Nun wetzt der Neger das Messer an Bäumen, schneidet hölzernes Fleisch aus ihnen,
und schnitzt sich Unvergänglichkeit.
Jetzt erst gewinnt der Gott Bedeutung.
Sein.
Ihn dörrt nicht Sonne.
Regen streichelt und strichelt nur.
Er steht, besteht aus sich.
Zum größten Gliede, überragend, wuchs das Männliche.
Stolz stößt es in die Wolke. Befruchtet täglich, stündlich Himmels Schoß.

Auf schwer zugänglicher Klippe wohnt der Gott.
Vom Meer aus zu erblicken, verführts vielleicht den Schiffer, mit den Segeln ihm zu
winken, von tiefer Ferne gellend ihn zu grüßen.
Er wohnt in Wüste, einsam, verborgen vor Kastell und Strand.
Man findet den Weg zu ihm durch grauer Höhle Feuchtigkeit,
Felsenkamin und glitschigen Grat.
Moos sproßt zu seinen zehenlosen Füßen: die kolossig stehen.
Libelle ruht auf seinem Haupte: schillernd. Ein grüner Hauch der Luft.
Man opfert ihm der Ebbe tote Tiere, die man in seine offenen Hände bettet: Qualle,
Seestern, Seepferdchen, Silberfisch.
Sein wollig Haar erschuf man aus dem eigenen Haar: das man sich aus dem Kopfe
riß und blutend noch auf den hölzernen Schädel klebte.
Daß man doch auch die Augen, schleimigen Schaum, sich aus der Stirne risse. Dem
Gott sie gäbe. Sich selber seine Kiesel in die Öffnungen legte.
Man sähe schlechter nicht, wenn man nach innen sähe, nach außen steinern glotzte.

Der Gott starrte übers Meer.
Die Wogen wälzten sich an seinen Altar: demütig zerstäubend, trotzig zerplatzend.
Seine Männlichkeit stieß stürmisch in den Himmel.
Eine Möve fühlte sich flügelnd befruchtet und legte zu Füßen des Gottes in ihr Nest
zwei schwarze Eier, daraus Schlangen krochen.

Am Backofen saß der Neger und buk. Er buk aus Mais und Gerste ein fremdartiges
Brot, das Roger trefflich mundete. Für die Frauen und Kinder tat er getrocknete
Weintrauben, die ein Raubschiff aus Griechenland heimgebracht hatte, in den Teig.
Süß schmeckte das Gebäck.

Isold sann.
Ganz band sie ihren Kopf in blondes Haar, daß sie nur Blondes sah.
Sie sah: Blond.
Sah: Gold.
Sah: rote Sonne hinterm Vorhang blond.
Sah: rote Streifen licht, die bluteten.
Sah: Fäden fallen und sich knüpfen. Wie Maschen zartesten Gewebes.
Gewebe glänzte: Hand griff leicht in Hand. Wand webte sich zu Welt. Zu ihrer Welt.

Stämmig stand der Neger und drehte die Ruder.
Fahl klatschten sie ins Wasser.
Im Bug der Zwerg blies böseste Musik: auf einem Ahornblatt.
Isold saß in der Mitte des Bootes.
Die dunkle Haut des Negers vibrierte über seinen Rippen: wie eine leise Trommel.
Des Negers Auge tastete nach blondem Schopf.
Wenn ich den Gott mit ihrem Haar bekränzte? Wär er noch schwarzer Gott: so gold?
Kreischend bespritzte der Zwerg den Neger mit Wasser.
Isold lächelte höflich zum Neger.
Wenn ich spräche: was würde er sagen? Wie neulich: singen?
Nichts als: singen: u – o – u – a – o – a –
Schwarze Leute wissen mehr von der unteren, der dunklen Welt als wir.

Salzwasser mischte sich auf der tellernen Rückenhaut des Negers mit Schweiß.
Plötzlich hielt er im Rudern inne: ergriff mit einer Hand den Zwerg am Blusenkragen
und stülpte ihn eine Sekunde nur ins Wasser: worauf der, ganz wie vorher wieder, nur
trübe triefend im Bänklein des Buges saß und wie ein Käuzlein äugte.
Isolds Gelächter klang dem Neger wie kriegerische Pauke seiner Feinde ins Ohr: ihn
fordernd und erhebend, höhnisch hallend, listig lockend.

Sturm fegte das Meer.
Wogen überstürzten sich in Rede und Gegenrede. In Fluch und Echo, Schreien
schamloser Vermischung. Als brüllten Millionen Stiere und Hengste. Als zischten
Millionen Kater. Als balzten ungezählte Auerhähne.
Der fremde Gott stand steil in seinem Element.
Der Sturm warf seinen Schoß an seine Schenkel, die sich spreizten spitz.
Neben ihm stand sein Herr und Diener: der Neger. Mühselig sich im Winde haltend.
Das Wasser schlug wie mit großen Tüchern klatschend an seine Brust. An seinen
Lippen lag schon weißlich Salz.
Gepeitscht, geschlagen und gepeinigt bot duldend er sich Wildnis, Wind und Meer.
Der Gott genoß, indes er sich zerfleischte.

Im Hofe des Kastells hingen wie Krammetsvögel an einer Schnur sieben Juden.
Sie hatten, spanischer Herkunft, Roger beim Tausch von Edelsteinen, Seide, Zimt
und Ebenholz betrogen.
Der Neger legte jedem einzelnen die Schlinge um den Hals und zog ihn zum Galgen
empor.
Sie schrien wie Schweine vor der Schlachtung, warfen sich winselnd auf die Erde und
leckten dem Neger die Füße.
Sie schrien: Erbarmen, Erbarmen!

Der Neger sah ihre Lippen auf und nieder sich bewegen und sah in die dunkle
Höhlung ihres Mundes. Dies war eine Höhle wie jene, die er durchdringen mußte,
wenn er zum Gotte ging.
Einer von den Juden erhob sich bald, warf seine von Angstschweiß schwammigen
Arme um den Neger, rief: Bruder, Bruder und tanzte am Seile schon empor.
Tod? Ein Zustand, der sich täglich wiederholte. Wozu bedenken, was so
schwesterlich stets nah.
Man stach ein Schwein ab. Hängte einen Menschen. Zerdrückte eine Motte in der
Hand. Aß Fische lebend roh, die noch im Munde mit den Flossen schlugen. Zwischen
zwei Fingernägeln starb die Laus, die man aus seinem Pelze fing. Hunde
zerfleischten sich tapfer. Hähne dressierte man zum Kampfe, denen man eiserne
Sporen an die Krallen band, daß sie zu einem roten Muß sich zerhackten und
zermörserten. Mord schien Gesetz. Ursache kaum bedacht. Weil Tod Natur, schiens
Mord. Der Starke galt.

Im Mondschein tanzten die blonden Mädchen.
Im Schatten eines Turmes stand der Neger, groß geäugt.
Da drehte sich ein Leib wie seines Weibes Leib: am Fest des Gottes, das man froh
beging.
Brust rieb an Brust sich. Wange schwellte purpurn.
Zwischen den blonden Mädchen stampfen die schwarzen Männer des afrikanischen
Kraal. Rasend trommeln ihre Füße den Erdboden, während jene schreiten. Ihre
Augen
sind aufgerissen wie die Zelte aus denen die schwarzen Frauen hymnisch taumeln.
Je einer der schwarzen Männer ergreift ein blondes Mädchen, hebts an die Schulter,
springt wie der Eber in den Urwald.
Wehklagend schließen die schwarzen Frauen kreisend sich zum Reigen; einsam,
vom Blätterbett enthoben und entthront.
O-a – o – a – o – o – …

Sehnsüchtig treibt es ihn, heimatlichen Laut zu hören.
Er geht zum Gott und spricht mit ihm
„Mein Gott!“
„Mein Freund?“
„Du redest meine Sprache?“
„Ich rede sie.“
„Laß sprechen mich mit dir, sei’s was es sei. Ich will nur hören Mund wie meinen
Mund. Ein Wort, wie ich es weiß. Sprich: Mutter.“
„Mutter.“
„So sprich: Vetter.“
„Vetter.“
„Sprich: schwarzes Mädchen.“
„Schwarzes Mädchen.“
„Sprich: Himmel. Dunkle Heimat. Afrika.“
Wie Echo warf der Gott zurück es: „Afrika.“
Der Neger neigt die Wimpern. Wittert Wehmut. Weint.

Isold, in den Felsen flackernd, überrascht den Neger in Gemeinschaft seines Gottes.
Der Neger, Tränen noch an seinen Wimpern, kniet nieder, trifft den Felsen mit der
Stirn.
Der Gott steht unverwandelt, männlich stolz.
Isold, voll ihrer sechzehn blonden Jahre, dem Mann noch nicht gewöhnt: beugt ihren
Nacken als des Gottes Kraft sie beugt.
Neben dem Neger kniet sie erschüttert von der dunkelsten Gewalt.
Das blonde Haar fließt an den Stein; vom Stein ins Meer.
Die Brüste pressen sich den Fels ins Fleisch.
Blut färbt des Gottes Fuß.
Er zieht sie sanft empor.
Sie schwebt … Sie schwebt.
Die Lippen öffnen sich zum ersten Kuß.
Das Männliche des Gottes trifft wie Dolch den Mund.
Sie seufzt beseligt. Und erstirbt.

Als sie erwacht, kühlt Salzwind ihre heiße Stirn.
Unendlich wogt das Meer zu ihr heran.
Ich sah den Neger – denkt sie. –
Sie legt die Hände an den Mund, ruft:
O – a – o – a – o – a
Die Stille schweigt.
Sie wendet sich.
Blut purpurt ihre Stirn.
Schwarz steht der fremde Gott im Abendrot.

Der Neger lag im Stroh.
Ich bin nicht mehr allein. Du schwarzer Gott. Ich gab das Wissen weiter an ein weißes
Weib.
Ihr schwarzen Frauen zürnt dem schwarzen Manne nicht, der in der Einsamkeit
verzweifelte und endlich seinem Gotte die Genossin fand.
Zwar ist die Haut weiß wie der Sand am Meere. Ihr Herz, ihr schwarzen Frauen, aber
ist dunkel: dunkel wie das Eure.
Nehmt sie als Eure Freundin freundlich auf.

Isold hat sechs Gespielinnen, jung und blond wie sie.
Sie sitzen im Hofe des Kastelles und spielen mit dem Zwerge wie mit einer Katze.
Sie streicheln ihn. Er schnurrt.
Sie schütten Milch in einen Teller! Den wirft Isold um, und er muß die Milch vom Boden lecken.
Er faucht. Und sträubt den Bart.
„Böser Kater. Böser Kater.“ sagt Isold.

„Hört,“ sagt Isold.
Sie rücken eng zusammen, daß ihre Köpfe sich berühren.
„Ich weiß am Meere, in den Felsen, einen Ort; dort herrscht ein fremder Gott:
ntsetzlich zwar zu sehen, aber es ist süß zu ihm beten. Er ist von andrer Art als
unsere
Götter: nicht streng und stämmig, ernst und unantastbar. Man darf ihn lieben und er
liebkost uns. Er hat nicht nur Verbote und Gesetze. Er sagt nicht stets: Tu dies nicht,
dies nicht.
Und doch ist er kein Gott des Lichts wie Baldur. Er spricht: liebe das Dunkle wie dich selbst.
Denn dies bist du: die Nacht. Die Finsternis. Fürchte sie nicht. Du weißt dein
Wesen nicht.
Die Nacht ist golden, wenn sie dich beglückt. Der liebt den Tag, der nur sein Äußeres
sieht: die weiße Sonne und des Leibes Licht: die weiße Haut.
Schwarz ist des Gottes Farbe: schwarz sein Angesicht. Sein Haar schwarz wollig.
Ebenholz sein Blick …“
Entsetzt betrachteten die Mädchen die Stammelnde.
Sie sahen sich verängstigt um. Aus allen sprach ein Mund:
„Der Neger ist der schwarze Gott … Gesteh’s.“
Isold streicht Schatten aus der Stirn.
Sie seufzt.
„Der Neger?“
Und sie lächelte.
„Vielleicht.“

Er fühlte sich einsam in der grellen Wüste des Lichts. In der Öde der weißen Mauern
und weißen Blumen. Wie er die weißen Hyazinten haßte. Sie rochen wie die weißen
Männer.
Wenn ein weißer Mann seinen Stall besucht hatte: tagelang wurde er den widerlichen
Ruch nicht los.
Er pißte an die Wand seiner Wohnung, nur um mit seinem Geruch Rogers
Ausdünstung zu übertäuben.

Die Tiere der Nacht, die ihn besuchten, liebkoste er. Er spielte mit den Ratten. Er
rutschte sich die Knie rauh. Mit spitzen Schnauzen stießen sie an seinen Bauch.
Er lachte.
Als eine alte Ratte einst ihn biß, zerquetschte er sie in seiner Faust und warf sie ihren
Genossen zum Fraße vor.

Oft schrie er in den aufsteigenden Morgen mit der Stimme des Uhus.
Die Sonne gedachte er zu bannen mit dunkler Drohung.
Sie aber lächelte schon über den Klippen und spielte auf den goldenen Saiten der
Frühe ein Lied, das ihm gefiel und strahlend ihn betörte.

Roger trat in seine Behausung.
Um seine Schultern schlang sich erbeutetes Löwenfell.
Schön geflochtenes Haar preßte ein silberner Helm.
Schienen klirrten unterm Knie und Schwert zur Seite.
Er warf dem Neger eine Keule zu, die dieser in der Luft noch fing.
Mit seinem Speer stieß er ihn in die Seite: „Hinaus“
Der Neger schritt gesenkten Hauptes vor ihm her.
Ein Segel blähte sich gelb im Hafen.
Ein riesiger Zitronenfalter schwebte über dem Wasser.
Die Menge grüßte Roger mit Gemurmel.
Als der Neger den Schiffssteg betreten wollte, fühlte er in seinem Nacken zwei Blicke
brennen.
Er wandte den Kopf und seine großen Augen, durch die man wie durch schwarzes
Glas bei Sonnenfinsternis die Sonne zu sehen meinte, baten Isold:
„Hüte in meiner Abwesenheit des Gottes.“
Der Zwerg hinter Isold knurrte wie ein getretener Hund.

Es ging gegen die afrikanische Küste.
Man enterte unterwegs ein portugiesisches Schiff.
Dem Neger ward Befehl, die Portugiesen zu erschlagen.
Sie knieten vor ihm nieder.
Einer hob ein hölzernes Kruzifix gegen ihn.
Der Neger erschrak.
Er sah, gespreizt auf der Marterbank, mit Dolchen durchbohrt, einen Dornenkranz im wolligen Haar, der die klare Stirn blutend ritzte, seinen Gott.
Er warf die Keule hin. Empfing von Roger duldend Prügel. Plapperte Gebete.
Roger ließ die Portugiesen ins Meer werfen.
Der Neger riß dem Letzten das Kruzifix aus den gekrampften Händen.
Der, schon versinkend, hob die leeren Hände flehend noch zum Schiffsrand.

Der Neger nagelte das Kruzifix an seine Keule.
So schien er unüberwindlich.
Sie landeten in einem versteckten Golfe, unweit von Tunis. Eine Stadt fiel dem
lohenden Feuer ihres Willens anheim. Dörfer legte ein schiefer Blick ihrer Augen in
Asche.
Der Neger schlug mit seiner Keule auf die platten Köpfe seiner Stammesgenossen.
Es galt ihm gleich, da Tod nun einmal Befehl.
Die Neger hatten die jungen Weiber vorm Ansturm der Normannen ins Innere des
Landes in Sicherheit gebracht.
In einem Dorfe war eine alte Frau von etwa fünfzig Jahren zurückgeblieben, mit
langen, wurmähnlichen Brüsten, vertrockneter Haut und Geieraugen.
Diese erbat sich der Neger durch Geste und Gebärde von Roger als Siegespreis.
Roger gewährte sie ihm gnädig, unbändig im Gelächter fast zerplatzend.

Isold saß oft beim Gott am Felsen überm Meer.
Sie starrte in den Horizont, sah einen Schwarzen riesig Ruder führen.
Sah in den Wolken ihn die Keule schwingen, bis Abendrot wie Blut vom Himmel
spritzte.
Sie sah den Kampferhitzten endlich in die Wellen springen, sich zu reinigen und zu
kühlen; weiß zischte silbern überm Schwarz.

Als er, den Kopf in den schmutzigen Schoß des alten Weibes gebettet, träumte,
erschien auf einer hohen Mauer eine weiße Frau. Er stand im Graben, sah empor. Da
löste sie das Haar und ließ es langwallend herab. Es reichte bis an das Gras des Grabens.
Wie an einem blonden Strick kletterte der Neger zur weißen Frau empor.
Es war Isold.
Sie lächelte in ihrer sonderbaren Sprache.
Er erwachte.
Die alte Negerin klapperte mit den Zähnen.
Er schlug sie.
Sie pfiff aus Angst wie eine Ratte.
Pfeif mir du, dachte der Neger.
Ich will singen hören … den Vogel der Weißen … der mir des Nachts singt … horch …
er singt … er singt …

Isold stand beim Gotte auf dem Felsen und winkte den heimkehrenden Schiffen.
An der Spitze fuhr Rogers Schiff, festlich bewimpelt.
Der Neger stemmte sich an den Mastbaum.
Zu seinen Füßen hockte die Alte.
Er winkte Isold zurück mit seiner Kruzifixkeule.

Roger rief Isold, alsbald nach der Landung, zu sich.
Er saß im Erker seines Schlafzimmers, einen zinnernen Krug voll Wein vor sich.
„Da,“ er lachte ihr entgegen und schwenkte den Krug, „trink, es ist Negerblut.“
Isold erblaßte.
Roger sprang auf.
„Was hast du? Du bist krank?“
„Nein – – laß, mein Vater …“
Sie strich die blonden Strähnen aus ihrer Stirn zurück.
„Du ließest mich rufen?“
Roger fiel in seinen Sessel im Erker zurück.
„Du bist morgen siebzehn Jahre alt …“
Isold gab ihre Blicke einem Mövenflug mit, der durch das Fenster flirrte.
Sie lächelte verwundert.
„Ich vergaß ganz, mein Vater.“
„Nur deshalb kehren wir schon heute zurück. Ich befahls. Ich wollte diesen Tag bei
meinem Kinde sein.“
In seiner Kehle gurgelten halblaute Töne.
Isold dachte: er ist ergriffen. Er will – was?
„Deine Mutter ist längst tot. Du selber kanntest sie nie. Sie starb bei deiner Geburt.
Du weißt es …“
Leere Gefühle stülpten wie leere Gefäße ihren luftigen Schall über Isold.
Mutter – was heißt das eigentlich? Warum habe ich nie darüber nachgedacht? Den
alten Mann ergreifts, wenn ers bedenkt.
„Ich habe einen Gatten für dich ausgesucht. Es ist der junge Banno. Sein Schloß
steht zwei Reitstunden von hier. Du kennst ihn?“
„Nein, mein Vater.“
„Du wirst ihn kennen lernen. Heute. Ich habe ihn mitgebracht. Er wird dir gefallen. Er
ist jung und stark.“
Er klopfte mit dem Zinnkrug auf die Brüstung des Fensters.
Die Tür knallte auf und im Zimmer stand ein rothaariger Riese.
Roger warf eine Gebärde nach ihm.
Dann zu Isold:
„Banno.“
Isold neigte den Kopf.
Banno trat neben sie.
„Isold.“
Banno faßte ihre Hand. Ließ sie los. Griff mit beiden Pranken nach ihren Brüsten.
Roger grunzte.
„Morgen ist Hochzeit.“
Isold verbarg ihren Kopf in der rothaarigen Brust des Riesen.
Der Neger – der Zwerg – der schwarze Gott – der rote Riese – tanzten einen lautlosen
Reigen um sie.

Sie ging über den Hof.
Stolperte über den Zwerg, der besoffen in einer Ecke auf einer dreckigen Küchenmagd lag.
Sie sah den Neger.
Er saß vor seinem Stall und schnitzte an einem hölzernen Instrument.
Die Alte fraß rohe Fische und bemühte sich, die Gräten möglichst weit zu spucken.
Als Isold vor ihnen stehen blieb, fiel die Alte in die Knie und rieb ihre Stirn demütig im
Staub.
„Steh auf, meine Mutter,“ sagte Isold und erschrak im Augenblick über das Wort.
Aber die Alte, welche sie nicht verstand, murmelte im Staube Ergebenheit.
Der Neger reichte ihr das halbfertige Instrument.
Sie nahm. Lächelte hilflos und reichte es ihm zurück.
Roger und Banno schritten über den Hinterhof.
Der Neger beobachtete sie aus halben Lidern.
Isold schüttelte den Kopf.
Eine Träne hing an ihren Wimpern.
Sie ging in ihr Gemach.

Am nächsten Morgen wurde Banno, der rote Riese, am Strande erschlagen
aufgefunden.
Auf seiner Brust hockte wie eine Krähe, gleichfalls tot, aber erwürgt, der Zwerg.

Isold stand, im weißen Brautgewand, in ihrer Kemenate.
Ihre sechs Gefährtinnen gackerten um sie wie Hühner um die Glucke,
„Ein schöner Mann,“ sagte die eine.
„Das schöne Kleid – wie fein es die Brüste zeigt.“
„Deine süßen Brüste,“ lächelte Margit und küßte sie.
„Die silbernen Schuh.“
„Der Gürtel aus Gold.“
„Eine Nacht dich erwartet – “
„Du badest in Glück …“
„Der rote Riese – er hütet dich hold.“
Isold erschrak.
Die Freundinnen verstummten plötzlich in ihren Stellungen: wie eine jede lag, stand,
ging.
Roger brüllte:
„Banno ist ermordet.“
Er war aus dem Zimmer – sie lagen, standen, saßen noch unverrückt.
Regen klatschte ans Fenster.
Isold weinte: leise.

Der Neger bespannte das heimatliche Instrument, das er geschnitzt, mit einem
Schafsdarm.
Er sang, ehe die Sonne erwachte:

Das Dunkel .. die Sonne:
Wie uns der Wald bewacht ..
Die ewigen Vögel zwitschern.
Vielleicht … vielleicht. –

Regenwürmer sind mein Fraß –
Die fetten Fische –
Der kleine Kolibri
Nistet im Nabel mir.

Wenn Nacht nicht wäre
Was tun? Wo träumen?
Töten und träumen
Ist schwarzen Mannes Tat.

Aber Frauen
Sind wie Bäche:
Überstürzen
Liegenden Mann.

Helle Haare
Werden ihn würgen.
Sterne sind wie
Hauch seines Atems.

In den Kraalen
Heulen die Mädchen,
Über den Leichen
Singt der Schakal.

Schwarzen Mannes
Gott ihn betreute
In der meerischen
Einsamkeit.

Als Roger, nachdem man die Leichen Bannos und des Zwerges gefunden, den Neger
suchen ließ, war er nicht mehr zu finden.
Die Alte erschlugen sie und warfen sie wie eine tote Katze über die Mauer.

Isold führte in hochzeitlichem Kleide ihre Gespielinnen über nasse Klippen und
feuchte Höhlen zum Gott empor.
Ein schwarzer Kater kreuzte buckelnd ihren Weg.
Ein schwarzer Hund schlug schattig seine Kreise.
Die Nacht stieg aus dem Meere, schwarz gewandet.
Nachtwandlerisch erstiegen sie den Fels.
Dort stand der Neger riesig mit dem Banjo.
Er sang und wieherte. Ergriff die erste Frau, begattete sie stehend und stieß sie in
den Abgrund. Er beugte sich übers Steingeländer und sah sie zerschmettert drunten
bei den Muscheln liegen. Schon krochen Taschenkrebse über sie und nagten an den zarten Brüsten.
Er nahm die zweite. Spielte Hund mit ihr. Warf sie ins Meer. Und so die dritte, vierte,
fünfte.
Er blieb allein mit Isold.
Kniete vor ihr nieder.
Begrub den Mund wie einen Sarg in ihrem Schoß.
Sie drohte zu fallen: Seligkeiten stürzten auf sie ein: die goldenen Säulen barsten:
Sterne stäubten Fliederregen.
So viele Sonnen brachen aus der Nacht.
Sie hielt sich an den Gott. Umschlang ihn seufzend.
Sein spitzes, hölzern Männliches drang in ihr Herz.
Rot sprang ihr Blut –