Der Kavalier auf den Knien und andere Liebesgeschichten…

Erschienen 1925 im Rembrandt-Verlag Berlin

Vorwort

Im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, als der von Goethe geprägte und von den Brüdern Schlegel ausgedeutete Begriff „Weltliteratur“ in Deutschland zu einem furiosen Studium der Literaturen aller fremden Völker führte, sammelte Eduard v. Bülow aus alten italienischen, spanischen, französischen, lateinischen, englischen und deutschen Büchern, verschollenen Schmökern und schwer zugänglichen Manuskripten hundert Novellen, die er selbst übersetzte, bearbeitete und in einem Novellenbuch vereinigte. Ich habe die für mein Gefühl besten Liebesnovellen aus dieser Sammlung ausgewählt und hier und da, wo es mir nötig schien, ein wenig umstilisiert, auch einige überflüssige Schnörkel und Verzierungen abgebrochen. Mögen diese Novellen, denen Venus und Kupido Pate standen, dem heutigen Leser so viel Vergnügen bereiten, wie sie bereits das Publikum vieler Jahrhunderte, das selbst an ihnen mitgedichtet hat, ergötzt haben!

Klabund

Der graue Zelter

Tief in einsamer Waldung der Champagne lebte auf seiner Burg einst ein wackerer Ritter, der Wilhelm hieß und an guten Eigenschaften reich, an Besitztum aber so arm war, dass ihn fast nur die Tapferkeit seines Armes aus dem Stegreif erhielt. In Wilhelms grüner Nachbarschaft lag ein großes, festes Schloss, und darin hauste ein vornehmer alter Herr als Witwer mit einer sehr schönen Tochter.

Es verstand sich von selbst, dass die reiche Erbin Nina viel Bewerber fand. Dass aber gerade des armen Wilhelm Sorgfalt, ihr bei häufigen Besuchen durch Ritter- und Minnedienste zu gefallen, gute Erfolge nach sich zog, missbilligte der gestrenge Vater so ungemein, dass er seiner Tochter mit dem Ritter zu reden verbot, ihn selbst aber fortan so kalt behandelte, dass er sich gar nicht wiederzukommen erdreistete. Es hörte sonach alle Gemeinschaft zwischen den Liebenden umso mehr auf, da Ninas Vater vor Alter nur mit Beschwerden zu Pferde stieg und die Jungfrau selten oder niemals in seinem Schlosse unbewacht verließ. Der alte Fuchs hatte in seiner Jugend selbst Liebeshändel gehabt und war mit den Schlichen der Liebe aus eigener Erfahrung so vertraut, dass er sich wohl hütete und den jungen Ritter auch des einzigen Trostes beraubt hielt, seine Geliebte zu sehen. Eines Tages, als Wilhelm traurig um die Burg des Alten schlich, nahm er in der hohen Mauer eine abgelegene, nicht mehr gebrauchte Pforte wahr, durch die es ihm möglich schien, sich mit Nina zu besprechen. Er fand Mittel, das Fräulein von dieser Entdeckung zu benachrichtigen, und sie benutzte sie. Was ihn selbst anlangte, so kannte er die geheimen Fußpfade durch das Dickicht des Waldes und das die Burg beschützende, undurchdringliche Dorngebüsch gut genug, um ohne Gefahren stets an den Ort des Stelldicheins zu gelangen. Diese kleine Entschädigung war anfänglich der Liebenden Glück, und mit Entzücken genossen sie es einige Zeit. Aber was ist’s am Ende, sich zu sprechen, ohne sich zu sehen? Muss man es sich nicht beweisen, dass man sich zärtlich liebt? Nicht eine Umarmung, nicht ein Kuss! Und immer in der Furcht, verraten und auf ewig getrennt zu werden! Wilhelm ertrug es auf die Dauer nicht, beschloss, auf die eine oder andere Art eine Entscheidung herbeizuführen, und ging auf das Schloss, in der festen Absicht, den alten Ritter zu einer entscheidenden Antwort zu nötigen. Ich habe Euch um eine Gunst zu ersuchen, Herr, sagte er zu ihm, hört mich einen Augenblick geduldig an. Ich liebe Eure Tochter, mein ganzes Glück beruht auf ihrem Besitz, und ich wage es, Euch um ihre Hand zu bitten. Meine Geburt und meinen Namen kennt Ihr. Ich glaube, auf Eure Achtung mir ein Recht erworben zu haben und Ninas nicht unwert zu sein. Gebt also Eure Antwort, die mir Leben oder Tod verleihen kann. – Ich begreife sehr wohl, dass man meine Tochter liebt, erwiderte der Greis, sie ist jung, schön, klug, von hoher Geburt und meine einzige reiche Erbin, wenn sie sich meiner Liebe würdig zeigt. Unter solchen Umständen, meine ich, wäre sie jedem Prinzen in Frankreich recht. Schon mehr als ein mächtiger Edelmann hat um sie angehalten, aber ich beeile mich nicht und warte einen Ehemann für sie ab, der mir behagt. Ein Ritter aber, der, wie seine Falken, nur vom Raube lebt, behagt mir nun und nimmermehr. – Der betroffene Wilhelm hatte die Kraft nicht, etwas zu erwidern. Er stürzte fort, verbarg sich im einsamsten Walde und vergoss Tränen, bis die einbrechende Dunkelheit ihm erlaubte, an die kleine Pforte zu gehen. Nina erwartete ihn dort, und nun erneuerte das Schluchzen und die Qual des einen den Schmerz des anderen. Empfange mein letztes Lebewohl, sagte der Ritter, es ist um mich geschehen. Für mich gibt es in diesem Lande kein Glück mehr; ich muss ihm entfliehen, weil ich dich nicht besitzen kann. Verwünscht auf ewig die Schätze, die mich von dem trennen, was mir teuer ist. – Ach! klagte die zärtliche Nina, ich wünschte mir zu ihrem Besitze Glück, weil ich wähnte, sie dir anbieten zu können. Ist es denn des Schicksals Wille, dass auch ich sie nun verwünschen muss? Aber laß uns noch nicht verzweifeln, mein liebster Wilhelm, es bleibt uns eine Hilfe, auf die meine Zärtlichkeit für dich schon seit langem rechnet. Es lebt unweit von hier, in Medot, dein alter Oheim, meines Vaters Jugendfreund. Wenn er dich, wie ich nicht bezweifle, liebt, so gehe zu ihm, vertrau ihm das Geheimnis unserer Liebe. Er hat in seiner Jugend sicher auch geliebt und wird uns bemitleiden. Sage ihm, dass er mein und dein Glück machen kann, bewege ihn, sich deiner anzunehmen, der du ja doch sein natürlicher, nächster Erbe bist, dir, wenn auch auf wenige Tage nur, das schriftliche Versprechen zu geben, seine Burg gehöre nach seinem Tode dir. Allein Vater bewilligt sie gewiss, legt er eine Bitte für dich ein. Und sind wir erst vereinigt, so stellen wir ihm die Schrift, mit der er uns eine so große Wohltat erzeigte, gleich zurück, ja, danken ihm zeitlebens für den frommen Betrug. Ach! süßer Freund, bedarf ich denn seines Gutes, um dich zu lieben? – Ich war zu sterben bereit, sagte Wilhelm freudig, und du, Holde, gibst mir durch deiner Liebe Erfindungskraft das Leben wieder. – Er eilte alsbald auf seines Oheims Schloss und flehte den Alten an, seiner Liebe beizustehen, ohne ihm jedoch zu vertrauen, wie weit er mit dem Fräulein einverstanden war. Der Oheim erwiderte: Deine Wahl ist aller Ehren wert, mein Kind, ich kenne das Mädchen und finde sie allerliebst. Beruhige dich, ich verspreche dir, sie von ihrem Vater zu erlangen, und gehe deswegen augenblicklich selbst zu ihm.

Der Alte stieg allerdings gleich zu Pferde, aber mit Absichten, gar nicht den Wünschen des Jünglings gemäß. Denn da er eben noch nicht geradezu hinfällig und dabei lebenslustig war, so hatte er zum öfteren Ninas Vater besucht und sehr wohl die Schönheit und Reize des Mädchens bemerkt, die sich überdies ihm, als dem Oheim und der Stütze ihres Wilhelm, besonders freundlich erwies. Waren nun seine Augen einerseits noch hell genug, dass sie am weiblichen Reiz sich weideten, so zeigten sie sich doch insofern verblendet, als sie das Gefühl missdeuteten, das sich in Ninas Augen gegen ihn äußerte. Diese Betörung seiner selbst, verbunden mit dem Verdruss, fremde Erben auf seinen Tod warten zu sehen, dem vielleicht auch Wilhelm, gegen den er nie gütig gewesen war, durch Unvorsichtigkeiten zuweilen Nahrung verlieh, wenn seine verzweifelnde Liebe sich auch an den Gedanken, in einer späteren Heirat wohl noch selbst Erben zu gewinnen, und Wilhelms vertrauliche Mitteilung zeitigte jetzt plötzlich den Gedanken zum Entschluss.

Während also der Jüngling, freudetrunken über des Oheims zweideutiges Wort, sich entfernte, um nach Galardon auf ein zweitägiges Turnier zu gehen, und unterwegs nur von dem Glück träumte, dessen Genuss er als eine reife Frucht sich schon in den Schoß fallen sah, ward von dem Vater seiner vermeintlichen Braut seinem Oheime der gewöhnliche gute Empfang zuteil. Die beiden Alten zechten und schmausten bei Tische und plauderten von ihrer Jugend Heldentaten und Liebesglück.

Nach Mittag aber allein mit seinem Freunde, hub der Herr von Medot an: Hört einmal, Alter, ich bin Junggeselle, und die Zeit wird mir nachgerade in meiner Einsamkeit lang. Ihr verheiratet bald Eure Tochter, und dann geht’s Euch ebenso. Nehmt den Vorschlag an, den ich Euch tue, und gebt mir Eure Nina. Ich verschreibe ihr mein ganzes Vermögen, ziehe hierher zu Euch und bleibe bei Euch bis an Euren Tod.

Ninas Vater nahm diesen Vorschlag mit Freuden an, umarmte seinen alten Schwiegersohn und ließ auf der Stelle seine Tochter rufen, der er das fürchterliche Übereinkommen eröffnete. Es lässt sich denken, wie die Jungfrau erschrak. Sie ging in ihr Zimmer, um sich auszuweinen, verwünschte den verräterischen Alten und seine Treulosigkeit tausend Male und rief im stillen sehnsuchtsvoll ihren Geliebten zu Hilfe, der sich einstweilen in Galardon Ruhm zu ernten beschäftigte und sich von der Absicht seines Oheims, ihn zu enterben und seiner Geliebten zu berauben, nichts träumen ließ.

Nina eilte am Abend an die Pforte, denn sie wusste nicht, dass Wilhelm auf dem Turniere war; nachdem sie aber lange vergebens gewartet hatte, glaubte sie, auch von ihm verlassen zu sein, und sandte ihre Seufzer in die stille Nacht.

Den zweiten Tag nach diesem verhängnisvollen Ereignis hatten die Alten zur Vollziehung ihres Eigenwillens anberaumt; und weil der Bräutigam durchaus Trauung und Hochzeit in Medot feiern wollte, so beschloss man, die Braut mit dem ersten Grauen des Tages abzusenden, damit sie bei guter Zeit mit ihrer Begleitung an Ort und Stelle sei. Inzwischen schickten Schwiegervater und Eidam in der Nachbarschaft herum, luden ihre Freunde, das heißt alle, die so alt wie sie und noch nicht tot waren, ein, und als des andern Morgens nach und nach die alten gebrechlichen, runzligen zitternden Kahlköpfe herbeihumpelten, hätte man glauben mögen, sie kämen zueinander und sagten sich das letzte Lebewohl, um aus dieser Welt zu scheiden. Man konnte schwerlich komischere Hochzeitsgäste sehen.

Der Tag verstrich unter festlichen Zubereitungen und unter Anfertigung des Putzes der betrübten Braut, die ihre Tränen notgedrungen barg und ruhig schien, ob sie gleich vor innerlichem Schmerz vergehen wollte. Von Zeit zu Zeit kam ihr Vater hinzu und sah, wie die Arbeit gedieh. Und indem er so für alles in Haus und Hof Sorge trug, fragte ihn ein Knappe, ob denn für so viele Menschen nicht Pferde zum Ritt nach Medot mangelten? – Die Ritter haben die ihrigen, auf denen sie gekommen find, erwiderte der Herr, und für die andern reichen meine Ställe aus. Damit es aber in keinem Falle zu knapp hergehe, mag einer welche von meinem Nachbarn leihen. Dem Knechte, der mit diesem Auftrag abgefertigt ward, fiel es unterwegs ein, dass Ritter Wilhelm ein prächtiges, in der ganzen Landschaft als das schönste gekanntes, graues Pferd besaß. Der Tölpel meinte, es müsse seiner jungen Herrin jedenfalls eine Freude sein, verschaffe er ihr zu so feierlichem Ritte ein solches Tier, und begab sich zu dem Ritter, ihn darum anzugehen.

Nachdem Wilhelm auf dem Turniere den ersten Preis errungen hatte, war er in der Hoffnung eine günstige Antwort zu holen, zu seinem Oheim geritten und, da er ihn nicht zu Hause angetroffen hatte, der Meinung, Ninas Vater habe Schwierigkeiten erhoben, in seine Burg zurückgekehrt; übrigens so vollkommen beruhigt über diese Angelegenheit, so voll Vertrauen in die Zusage seines Vermittlers, dass er, sowie er nach Hause kam, einen Spielmann rufen ließ, um sich mit Liedern der Minne zu erlustigen.

Auf einmal sieht er einen Fremden vor sich stehen. Es ist jener Knappe, der ihm einen Gruß seines Herrn hinterbringt und ihn in des Greises Namen zum andern Morgen um seinen grauen Zelter ersucht. O! von Herzen gern, erwiderte Wilhelm, und für längere Zeit, wenn er ihn haben will. Wozu gebraucht er denn das Tier? – Um unser Fräulein Nina nach Medot zu bringen, Herr. – Seine Tochter? Ei! was hat das Fräulein in Medot zu tun? – Nun, sie heiratet dahin. Wisst Ihr denn nicht, dass Euer eigener Oheim bei unserm gnädigen Herrn um sie gefreit hat und das Fräulein in Medot morgen, sowie der Tag graut, heiraten wird? – Bei diesen Worten scheint Wilhelm versteinert zu sein. Er glaubt an so schwarzen Verrat kaum und lässt ihn zum zweiten Male sich bestätigen. Unglücklicherweise ist es ihm nicht erlaubt, Rache an dem Schuldigen zu nehmen. Er schreitet eine Weile mit niedergeschlagenen Augen und wütenden Gebärden stillschweigend auf und ab. Plötzlich hält er inne, ruft seinen Stallmeister, lässt den Grauschimmel satteln und übergibt ihn dem Knechte. Sie wird ihn besteigen, sagt er zu sich selbst, und indem sie dies tut, denkt sie vielleicht noch einmal an mich. Bin ich nicht überglücklich, dass ich zu ihrem Vergnügen beitragen darf? Aber nein, ich klage sie mit Unrecht an; sie gibt ihre Hand nur gezwungen hin und ist umso beklagenswerter. Ich besitze ihr Herz und so lange ich lebe, gehört ihr das meinige. – Jetzt ruft der Ritter alle seine Leute zusammen, verteilt sein weniges Geld unter sie und erlaubt ihnen, von diesem Augenblick an aus seinen Diensten zu gehen. Die betroffenen Menschen fragen, womit sie so unglücklich gewesen sind, ihm zu missfallen? – Ich weiß nur Lobes von euch, antwortet er, und ich wünschte imstande zu sein, euch besser zu belohnen. Aber das Leben ist mir zur Last geworden, lasst mich sterben und geht. – Die Unglücklichen werfen sich weinend ihm zu Füßen, beschwören ihn, zu leben und sie bei sich zu behalten, damit sie seine Leiden ihm erleichterten. Er verlässt sie ohne Antwort und schließt sich ein.

Während dies vorging, war in der Burg bei Ninas Vater bereits alles in Schlaf versenkt. Um mit dem frühesten Morgen abreisen zu können, hatte man sich zeitig niedergelegt und dem Turmwart das Geheiß erteilt, das ganze Schloss mit der großen Glocke wachzuläuten, sowie der Tag aufdämmere. Wer keine Ruhe fand, war Nina allein. Der Augenblick ihres unwiderruflichen Unglücks nahte, und sie sah keine Ausflucht mehr. Zwanzig Male des Tages hatte das arme Mädchen Gelegenheit zu entfliehen gesucht.

Wäre es ihr möglich geworden, sie hätte sich ohne Furcht entfernt aber es waren zu viel Augen zu hintergehen, und als einziger Trost blieben ihr die Tränen dieser Nacht. – Gegen Mitternacht ging der Mond auf. Der Turmwächter, der am Abend ein wenig zu viel getrunken hatte und eingeschlafen war, fährt plötzlich aus seinem Taumel empor, glaubt, wie er die große Helle sieht, es müsse später sein, und fängt geschäftig an, seine Glocke zu ziehen. Augenblicklich springt im Schlosse alles vom Lager auf, und die Knechte satteln die Pferde im Stall. Der graue Zelter, als das schönste, wird der Braut bestimmt. Nina gebietet bei des Tieres Anblick nun ihren Schmerzen nicht länger und bricht in Tränen aus, die niemand beachtet, weil man sie der Wehmut beimisst, zum ersten Male das väterliche Haus zu verlassen; so weigert sich, als davon die Rede ist, das Pferd zu besteigen, das arme Mädchen so hartnäckig, dass es mit Gewalt darauf gehoben wird. – Man tritt die Reise an. Zuerst kommt die Dienerschaft, Männer und Frauen, dann die Hochzeitsgäste und endlich die Braut die, nicht eben sehnsüchtig nach dem Bräutigam, den Zug beschloss. Man hatte sie einem alten Ritter anvertraut, der, als bekannter Ehrenmann, zum Zeugen der Trauung bestimmt war und unmittelbar hinter ihr ritt.

Der Weg bis Medot war drei Stunden lang, blieb immer im Walde und so schmal, dass er nicht zwei Pferden nebeneinander Raum gestattete. Deshalb schritt eines hinter dem andern. Während der ersten halben Stunde ward geplaudert und ein wenig gescherzt; aber die alten Herren, die nicht ausgeschlafen hatten, überwältigte bald der Schlaf. Es sah lächerlich aus, wie die Kahl- und Grauköpfe bald nach dieser, bald nach jener Seite wackelten oder vorn über den Hals des Pferdes fielen. Die Jungfrau folgte, viel zu sehr mit sich beschäftigt, um auf sie zu achten; den Verbrechern ähnlich, die man zum Richtplatz führt, und die, um einige Augenblicke länger zu leben, so langsam als möglich gehen, hielt sie den Schritt ihres Pferdes an. Man hatte noch keine Stunde Weges zurückgelegt, so hatte sie, ohne es zu wollen, den Zug verloren. Ihr alter Führer versah sich dessen ebenso wenig, weil er, wie die übrigen, schlief; und obschon seine Augen sich dann und wann öffneten, schlossen sie sich jedes Mal wieder, wie sie den Grauschimmel vor sich erblickten. Die Pferde bedurften übrigens keines Führers, denn sie konnten auf einem solchen Wege nicht irre gehen. Dennoch gab es eine Stelle, wo sich der Meg teilte und einer nach Wilhelms Burg abging, schmaler als der, der weiter nach Medot führte. Alle Reiter waren natürlich diesem gefolgt, und das Roß des alten Mannes trat in die Fußstapfen der anderen; was aber den grauen Zelter betraf, so war er seit der Zeit, da sein Herr ihn nach dem Stelldichein an der Pforte ritt, so sehr an den schmaleren Pfad gewöhnt, dass er ihn auch diesmal einschlug.

Man müsste, um auf Wilhelms Burg zu gelangen, durch eines kleinen Flusses Furt. Über das Geräusch, das das Pferd machte, als es mit dem Fuß ins Wasser trat, erwachte Nina aus ihrer schwermütigen Träumerei. Sie wendet sich um, indem sie ihren Führer zum Beistand aufrufen will, und wird niemand gewahr. Allein und zu solcher Tageszeit verlassen im Walde, ist ein Schauder das erste Gefühl, was sie durchzuckt. Aber der Gedanke, dem ihr drohenden Unheil entfliehen zu können, steigt auf, erstickt alle Furcht, und sie treibt entschlossen ihr Pferd durch das Wasser an, eher zu sterben, als zur Vollziehung der verhassten Ehe bereit. Es hatte keine Gefahr; das Pferd watete, seiner Gewohnheit nach, sicher durch die Flut und gelangte bald zu dem Schlosse seines Herrn.

Sobald der Turmwart die Reiterin halten sah, stieß er in sein Horn, um ihre Ankunft zu verkünden, und fragte sie durch die kleine Pforte der Zugbrücke nach ihrem Begehr. Öffnet schnell, ich bin ein von Räubern verfolgtes Mädchen, das euch um Hilfe fleht, rief ihm die Jungfrau zu.

Der Vogt schaut durch das Pförtchen und sieht ein wunderschönes junges Weib, mit einem Scharlachmantel angetan. Der festliche Schmuck, die Schönheit des Mädchens im Glänze des frühesten Morgenrots und des nächtlichen Taus in der Grüne, der Grauschimmel, der sie trägt und der ihm doch seines Herrn Zelter scheint, verwundern ihn in dem Maße, dass er irgendeine vom Mitleiden zum Troste seines Herrn herbeigeführte wohltätige Fee zu erblicken meint. Er läuft also mit seiner Neuigkeit stracks zu dem Ritter.

Wilhelm hatte die Nacht in Tränen zugebracht. Seine Leute, wahrhaft betrübt, weil sie ihn liebten, hatten so wenig wie er selbst geruht und schlichen von Zeit zu Zeit lauschend an seine Türe, ob sich nicht sein Schmerz erleichtere. Aber wenn sie ihn immerfort schluchzen und stöhnen hörten, kehrten sie wieder um und weinten zusammen über ihn. Wie nun Wilhelm vernahm, dass eine Dame vor seinem Tore um Einlass heische, ging er aus Höflichkeit ihr entgegen und befahl, die Zugbrücke herabzuziehen. – O unerhoffte Freude! O Glück! Er sieht die Geliebte vor sich. Sie wirft sich in seine Arme mit dem Ausruf: Errette mich! drückt ihn mit aller Inbrunst und Kraft an sich und schaut mit Entsetzen zurück, als wären die Verfolger schon hinter ihr. – Komm zu dir, Geliebte, ruft er, fasse dich, ich halte dich in meinen Armen, und keine Gewalt auf Erden entreißt dich mir wieder.

Er rief seine Leute herbei, erteilte ihnen die nötigen Befehle und ließ die Zugbrücke aufziehen. Nicht genug; um vollkommen glücklich zu heißen, muss er Ninas Gatte sein. Er führte sie also in seine Kapelle, schickte nach seinem Kaplan und befahl ihm, ihn mit ihr zu trauen, und nun erst kehrte die Freude wieder in seine Burg. Herr und Diener insgesamt schienen von Vergnügen berauscht zu sein, und niemals folgte in der Welt auf solchen Kummer so schnell solche Fröhlichkeit.

Nicht also war dem in Medot. Der ganze Zug war mit Ausnahme der Jungfrau und ihres Führers angelangt. Man hatte aber gut fragen, was aus diesen geworden sei; kein Mensch wusste es. Endlich kam der alte Ritter, immer noch schlafend, auf seinem Rosse nach, sehr erstaunt, als er über den Lärm in der Burg erwachte und die Braut nicht vor sich sah. Man geriet auf die Vermutung, sie habe sich im Walde verirrt, und schickte berittene Knechte nach ihr aus. Doch ehe die wiederkehrten, wusste man, was bei der Ankunft eines von Wilhelm abgesandten Knappen zu denken war, der hinterbrachte, das Fräulein sei wohlbehalten bei seinem Herrn.

Drängten sich nun alsbald Hochzeitsgäste und Bräutigam eilig nach dessen Burg, so zog ihnen der Ritter, an der Hand die schöne Nina, entgegen und stellte die Jungfrau der Gesellschaft als seine Gattin vor. Anfänglich erregte er damit allerdings ein großes Geraune und Gemurrt. Doch wie sich Wilhelm das Wort erbat und die Geschichte seiner Liebe bis zu dem Ereignis mit dem Grauschimmel erzählte, gewann die Sache ein anderes Aussehen. Die Alten, ergraut in den Grundsätzen der Ehre und Billigkeit, bezeigten ihre Entrüstung, sich zu Mitschuldigen der Verräterei gemacht zu sehen, und vereinigten sich insgesamt mit Bitten bei dem Vater der Braut, dem geschlossenen Bunde der Liebenden seinen Segen zu verleihen. Der Greis vermochte nicht ewig zu widerstehen, und so feierte man dann die Hochzeit in Wilhelms Schloss.

Der Oheim starb noch in diesem Jahre, und der Ritter Wilhelm erbte von ihm Medot. Und wie kurz darauf auch der Schwiegervater verschieden war, lebte er als einer der reichsten Herren der Champagne nach Verdiensten gesegnet und beglückt.

Der Mönch von Maronia

Man muss wissen, dass zu den Zeiten des heiligen Kirchenvaters Hieronymus, wie er uns selbst erzählt hat, in Maronia, einem nicht weit von Antiochia gelegenen Dorfe, ein braver Mann von dem Ertrage eines kleinen Landgütchens lebte, das er selbst bestellte, und dass dieser Landmann von seinem Weibe einen einzigen wohlgearteten Sohn namens Malco hatte, der seinen Eltern fast nicht früher, als zu der Zeit, da er in das erwachsene Alter getreten war und von ihnen verheiratet werden sollte, zu sorgen gab. Seine Eltern riefen ihn sodann einmal vor sich, und sein Vater sprach liebreich zu ihm: Du bist nun ziemlich groß geworden, wie du siehst, mein lieber Sohn, und hast keine Brüder und Schwestern; wir aber sind sehr alt, und ich selbst trete gar schon in mein siebzigstes Lebensjahr. Da wir also bedacht haben, dir ein Weib zu geben, das uns ein Trost unseres Alters, dir ein Glück und eine Freude sei, indem es mit dir den Segen des Himmels durch Kinder in dein Haus bringen wird, so wünschen wir freilich, dass du nicht lange mehr zauderst, weil es dir, wie du leicht aus Urteilen und Beispielen anderer Menschen erkennen magst, bei vorgerücktem Alter ungleich schwerer fallen muss, eine lebenswierige Verbindung einzugehn.

Mit Aufmerksamkeit hatte Malco der freundlichen Rede seines Vaters zugehört und erwiderte ehrerbietig, aber kurz und bändig: er könne so gestaltete Wünsche nicht befriedigen, denn er habe ganz und gar der Welt zu entsagen und dem Dienste Gottes sich zu widmen angelobt. Die Eltern wurden über diese Worte schwer betrübt und stellten zu wiederholten Malen ihrem Sohne vor, wie er durch die Beharrlichkeit in solchem Entschlüsse seinen Stamm ausgehen lasse, dessen Erhaltung jedem Menschen am Herzen liege, er sei wer er immer sei, und wie er ihrem Besitztum also gar den rechtmäßigen Erben entziehe. Sie mochten ihn aber mit diesen und ähnlichen Gründen so liebreich bestürmen, wie sie wollten, er widerstand unerschütterlich. Er blieb bei ein und derselben Antwort, die da lautete: er habe sich entschlossen, nur auf das Heil seiner Seele ferner bedacht zu sein, und kümmere sich nicht um das Irdische. Ohne dass es dabei sein Bewenden hatte, erneuerten sich die elterlichen Bitten und Beschwörungen beinahe jeden Tag und wollten kein Ende nehmen. Ja, die alten Leute schritten in ihrer Bedrängnis zuletzt zu Drohungen, da sie sahen, dass keine guten Worte fruchteten. Und so nötigten sie leider ihren des unaufhörlichen Verdrusses müde gewordenen Sohn, sich vor ihnen Ruhe zu verschaffen und zu schnellerer Vollziehung seines heiligen Entschlusses zu entfliehen.

Von der Nähe Persiens abgehalten, nach dem Osten vorzugehen, da die große Feindschaft und die Kriege mit dem Volke der Perser sogar die römischen Grenzheer nötigten, auf ihrer Hut zu sein, schlich Malco verstohlen und allein den Einsamkeiten der steinigen Wüste zu und erreichte nicht ohne Beschwerden in ihr nach einigen Tagen ein von Heiligkeit und Mönchen erfülltes Kloster, dessen Regel er sich mit Herzensfreudigkeit unterwarf.

In seinem neu angenommenen Berufe kasteite er seine weltlichen Begierden und die Kraft und Frische seiner Jugend mit Fasten und Nachtwachen angelegentlichst und verdiente sich mit seiner Hände Arbeit Tag für Tag die spärlichen Bedürfnisse seines Lebens. Als er aber nach einigen in diesem Kloster zugebrachten Jahren von ungefähr den Tod seines Vaters erfuhr, ergriff ihn die Sehnsucht, zu seiner verlassenen Mutter zu gehen, um ihre Witwenschaft zu trösten. Er hatte nebenbei die Absicht, das ihm zugefallene Landgütchen und sein übriges Erbe zu Geld zu machen und teils den Armen des Herrn und seinem Kloster zu schenken, teils in Gewahrsam zu behalten, um damit nach seinem anderweitigen Gutdünken zu tun. Er ging zu seinem Abte, um nach Pflicht und Gewissen von ihm die Erlaubnis zu seiner Reise zu erbitten und sich bei ihm zu verabschieden. Der vor Alter wie vor Einsicht und Erfahrung ergraute heilige Abt machte aber einen großen Aufstand, indem er zu ihm sagte, dass dies eine Versuchung des Teufels, unseres alten Feindes, sei, der unter dem Deckmantel eines frommen ehrbaren Dinges seine Listen und Schlingen verborgen halte und auf diese Art schon viele weise und wackere Männer und Mönche genug betrogen habe. Er suchte dies durch mancherlei Geschichten und Beispiele zu veranschaulichen und gab sich eine vergebliche Mühe, seinen geistlichen Sohn von den beharrlich festgehaltenen Gedanken abzuziehen. Denn weder diese noch ähnliche abredende Worte, die vielleicht der heilige Geist selbst dem braven Mann auf die Zunge legte, erschütterten Malco. Da nun der Abt am Ende sah, dass Vernunftgründe und Vorstellungen nichts über den Jüngling vermochten, warf er sich vor ihm nieder und beschwor ihn, seine Knie fest umklammernd, bei dem einigen Gott, ihn und sein Kloster, das ihn so liebreich aufgenommen und so sorgsam erzogen habe, nicht zu verlassen und seine Seele und seinen Körper doch nicht der Gefahr gleichsam gewissen Verderbens auszusetzen, da der von Baria nach Edessa führende Weg, den er notwendig einschlagen müsse, noch unlängst wegen einiger Scharen Sarazenen, die durch ihre beständigen Räubereien jene Gegenden verwüstet hatten, unsicher gewesen sei. Er führte ihm auch das heilige Wort des Evangeliums an: Wer seine Hand an den Pflug legt und siehet zurück, der ist nicht geschickt zum Reiche Gottes, und bedeutete ihm, wie sein Tun im Grunde eben nichts anderes sei, als sich dem Hunde gleichzustellen, der immer zurückkehrt, um seinen eigenen Auswurf zu besehen, oder auch dem verirrten und verlassenen Schaf, das freiwillig in den Rachen des Wolfes läuft.

Trotz alledem beharrte Malco fest in seinem Entschluss, und so geleitete ihn der heilige Abt, indem er ihm die Gunst erwies, welche die menschliche Gerechtigkeit zum Tode Verurteilten noch zuletzt angedeihen lässt, bis hinaus vor das Klostertor, wo sich der Jüngling, aus Furcht vor den Räubern, anderen desselben Weges ziehenden Wandersleuten mit der Übereinkunft anschloss, sich in allen sie betreffenden Gefahren untereinander beizustehen. Die kleine Karawane von etwa siebzig Männern und Frauen jeden Standes und Alters hatte aber kaum eine Tagereise zurückgelegt, als eine starke Schar Ismaeliten sie aus einem Hinterhalte so plötzlich und unerwartet mit gezückten Schwertern und wildem Todesgeschrei überfiel und zerstreute, dass zwar ein jedes gleich durch die Flucht sich zu retten gesonnen war, doch keines der Gefangenschaft entging. Die Teilung der Beute gab Malco und ein junges Weib einem und demselben Herrn, der beide auf Kamele steigen ließ und nach einem langen beschwerlichen Wege, über einen Fluss hinüber, in eine tiefe Einsamkeit führte, wo dem Mönche die Obhut einer Herde anvertraut war und er fern von aller menschlichen Gemeinschaft insoweit zufrieden lebte, als er an diesem abgelegenen Aufenthalt seinen Beruf sogar besser als im Kloster zu erfüllen imstande zu sein glaubte. Er erwog überdies in seinen Gedanken, dass die heiligen Patriarchen des Alten Testamentes, wie er oftmals in seinem Kloster erzählen gehört und selbst gelesen hatte, an ein ebensolches Leben lange Zeit gewöhnt gewesen waren. Und so blieb ihm von seinen vorher ausgestandenen Gefahren allerdings die Erinnerung; er söhnte sich aber mit seinem dermaligen Zustande aus und lobte Gott mit vergnügter, getroster Seele, indem er die Psalmen, welche er auswendig kannte, zu seiner Erbauung absang. Nur gleichsam noch nicht befriedigt von dem über ihn verhängten Ungemach dachte ihm sein Schicksal inzwischen erneute Betrübnis zu. Einsam und in der Verborgenheit floss ihm sein stilles Leben hin, kein Mensch auf der weiten Welt kümmerte sich um ihn, und dennoch konnte er sich den Augen jener Feindin der irdischen Glückseligkeit nicht entziehen. Denn wie sich in dem Verlaufe der Zeit Malcos Herr der treuen und redlichen Dienste versah, die ihm dieser Christensklave leistete, wie er wahrnahm, dass seine Herde und der Gewinn, den er daraus löste, von Tag zu Tag wuchsen, ließ er ihn zugleich mit der mitgefangenen Magd vor sich kommen und sprach zu ihm: Ich bin mit deinem Dienste so wohl zufrieden, Malco, dass es mein Herz gerührt hat und dass ich beschlossen habe, dir einen Beweis meines Wohlwollens zu geben, der, wenn du seither schon eifrig genug für meinen Nutzen gesorgt haben magst, groß genug sein soll, dich in der Folge durch das Gefühl der Dankbarkeit zu bestimmen, mir durchaus ergeben zu sein. Nimm diese Christin hier zu deinem Weibe hin. Ich habe sie mit dir zugleich gefangen und als meine Magd gebraucht. Lebe mit ihr in Frieden und erfreue dich mit ihr, so wie du willst. Vielleicht dass sie dir ein Trost in der unglücklichen Lage wird, die dir dein böses Geschick bereitete.

Wie übermäßig auch bestürzt und traurig ob dieser Gunstbezeugung, entgegnete der Mönch doch voller Zuversicht, er wolle kein Wort von der Ehe hören; denn sein Gesetz verbiete ihm, ein Weib zu nehmen, das, gleich wie dieses, bereits eines anderen mit ihr gefangengenommenen und anderwärts entführten Mannes sei.

Vor Zorn und Wut knirschend riss der unbändige Herr sein Messer aus dem Gürtel, um Malco zu töten, und würde es unzweifelhaft getan haben, hätte dem Mönche nicht dasselbe Weib, welches er sich weigerte anzunehmen, augenblicklich Schutz verliehen, indem es sich mit Tränen im Angesicht vor ihn warf. Der Himmel wollte, dass der ungläubige Ismaelit Malcos Verstummen über den plötzlichen Schreck und des Weibes rührende Fürbitte für eine stillschweigende Einwilligung in sein Verlangen nahm und sich beruhigte, so dass der arme Mönch mit seiner neuen Gefährtin in die Grotte zurückgeschickt wurde, die ihm und seiner Herde Obdach und Wohnung lieh, und in der er sich bei einbrechender Nacht von der ihm früher nicht verhassten Frau, die ihn mit nicht geringerem Unwillen als er sie betrachtete, so entfernt als möglich niederließ.

Wie er nun in Gedanken seine vergangene, daheim in seinem Kloster verlebte Glückseligkeit zusammenfasste und mit der Härte seiner gegenwärtig ihm erst recht fühlbar werdenden Knechtschaft verglich, durch die er sich gar gezwungen sehen sollte, seine bisher bewahrte Keuschheit aufzugeben, so überkam ihn plötzlich der verzweifelte Entschluss, ohne Barmherzigkeit sein Leben zu beenden, und er zog ein Messer hervor und sagte, indem er es auf sich gezückt hielt, zu dem fremden Weibe: Bleibe du hier in Gottes Frieden, Unglückliche. Ich scheide aus dieser Welt; denn ich will mich eher meines Lebens als meines frommen Gelübdes entledigen. Die Frau hörte diese Worte und sah zugleich den erhobenen Stahl durch die Dunkelheit der Höhle leuchten. Sie stürzte auf ihren Leidensgenossen zu, griff ihm in den Arm, den sie mit ausdauernder Kraft abhielt, warf sich ihm weinend zu Füßen und beschwor ihn liebreich bei allem, was ihr in den Sinn kommen wollte, sich zu beruhigen. O Malco, sagte sie zu ihm, werde doch nicht dein eigener Mörder und stürze deine Seele nicht auf demselben Wege ins Verderben, auf dem du sie törichterweise zu erretten meinst! Bringt dich der Wunsch, das Gelübde deiner Keuschheit zu halten, zu einem so grausamen Vorsatze, so wisse, dass auch ich mich lieber will in Stücke zerhauen lassen, als mich gegen das heilige Gottesgesetz vergehen. Und ob ich gleich bis zu unserer Trennung meinem Gatten in allen Dingen treu und gehorsam gewesen bin, so ist es doch mein Vorsatz, mich der Gemeinschaft mit ihm zu entziehen, wofern er jemals wieder zu mir käme. Unserer gemeinsamen Not mögen wir wohl zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit entgehen, so dass uns weder Vorwürfe in unserem Gewissen, noch Unbill und Misshelligkeiten von unserem Gebieter daraus entstehen, der uns als Mann und Frau soll verbunden sehen, derweil wir wie Geschwister zusammen leben und uns zugetan sind.

Es geschah alles, wie es die junge Frau geraten und ersonnen hatte. Das fromme Paar ward von Tag zu Tage seinem Herrn werter und lieber, und er gestand ihm immer größere Freiheiten zu, seitdem er es durch die Ehe verbunden glaubte, weil er dafür hielt, es müsse ihm nun auch der leiseste Gedanke an Flucht benommen sein.

Nach einigen Jahren stand indes Malco, der diese lange Zeit her ein elendes Leben erduldet hatte, eines Tages schwermutvoll in der Wüste, die weit und breit umher seine Augen nichts als den Himmel und die nackte Erde ersehen ließ. Derweil seine Herde um ihn weidete und sein tiefsinnendes Haupt in seinen auf den Hirtenstab gestützten Händen ruhete, ging er in seinen Gedanken still und schweigend durch, wie viele und wie große Unfälle ihm sein vergangenes Leben schon geboten hatte und sein gegenwärtiges noch bot. Da machte sich in seiner Erinnerung auch die Gesellschaft der heiligen Mönche geltend, in der er auferzogen und erwachsen war. Vor allen anderen stellte sich aber seinen Augen das Bild seines ehrwürdigen Abtes dar, der ihn mit so erbarmender Liebe immer den Weg des Heiles geleitet hatte und bei seinem Scheiden so herzinnig über ihn betrübt gewesen war.

Indem er sich solcherlei gedankenschweren Vorstellungen tiefer als je ergab, nahm er von ungefähr einen Haufen Ameisen wahr, die nach ihrer Gewohnheit in einer langen Reihe geschäftig einen schmalen Pfad ab und zu liefen, bald verschiedene zu ihrem Unterhalt dienende, fest in den Mund genommene Dinge zusammenschleppten, bald aus den kleinen Höhlen die Erde herausräumten und dammartig zum Schütze gegen eindringendes Wasser anhäuften, bald mit ihren Zähnchen die Spitzen der Samenkörner benagten, damit sie während des Winters nicht in der Erde keimeten, bald die kleinen Leichen ihrer Gefährten mit großer Mühe hinwegtrugen, doch bei keiner dieser Beschäftigungen, trotz ihrer ungeheuren Menge, einander beschwerlich fielen, vielmehr immer zu gelegener Zeit denen, die sie allzu schweren Lasten erliegen sahen, ihre Schulter hilfreich unterstemmten und unbeschadet aller obwaltenden Ordnung und Gesetzlichkeit bei zufälligem Begegnen überdies verweilten und sich bekrochen, um sich ihre wechselweisen Absichten anzuvertrauen.

Die Betrachtung solcher Emsigkeit regte sein untätiges Gemüt mit einem Male auf, ließ ihn seine Knechtschaft unleidlicher als vorher empfinden, oder sich wohl mehr sein dumpfes Unbehagen endlich klar vergegenwärtigen, und flößte ihm wieder seine alte Sehnsucht nach den Übungen seines Klosterlebens ein, dessen getreues Abbild er in diesem Ameisenhaufen zu finden meinte.

Wie er nun in seine unwohnliche Behausung zurückkehrte und seine Gefährtin ihm entgegentrat und ihn fragte warum er so tief niedergeschlagen sei, schloss er ihr sein ganze Seele auf. Die gute Frau hatte ihn erst mitleidend angehört und getröstet, weil ihr die harte und einsame Lebensart auch schon verdrießlich geworden war. Sie ermahnte und bat ihn aber dann mit so vielen und großen Beweggründen so herzlich und rührend, sobald es ihm gelegen scheine, mit ihr von dannen zu fliehen und sich mit ihr dieser Gefangenschaft und diesen Gefahren zu entziehen, dass er sich entschloss und erbitten ließ, den Versuch zu wagen, nach welchem auch die Flamme seiner Sehnsucht schlug. Er wog und bedachte alles lange Zeit bei sich, und wie es ihm schien, die rechten Mittel und Wege gefunden zu haben, wandte er sich mit den Worten an das Weib: Beachte wohl, gute Frau, dass es dir nicht nur zukommt, geruhig die schickliche Zeit und Gelegenheit zur Ausführung unseres Vorhabens abzuwarten und dich mir gänzlich zu vertrauen, sondern dass du auch mein Vertrauen zu dir dadurch zu rechtfertigen hast, dass du dich wohl hütest, irgendetwas, das ich dir sage, anderen zu wissen zu tun. Ebenso musst du unbedingt alle Furcht von dir werfen, damit du durch keine Unsicherheit oder Zweifel unsere Flucht hinderst oder zu unserem Verderben gar vereitelst. Er vertraute ihr dann das Geheimnis seines Planes an, traf die nötige Vorkehrung, schlachtete zwei der größten Böcke seiner Herde, denen er die Fälle zu Schläuchen abzog, und deren Fleisch er dergestalt zubereitete, dass es ihnen auf den langen und öden Wegen ausreichende Nahrung sei, und nahm den ersten günstigen Augenblick wahr, mit seiner Leidensgenossin bei einbrechender Nacht dem Ufer des nächsten Flusses zuzufliehen, wo sie nach einer beschwerlichen und nicht unbedeutenden Reise, die an zehn Meilen gerechnet werden konnte, kaum angekommen waren, als Malco die beiden mitgenommenen Schläuche, die er aufgeblasen hatte, in die Fluten warf, sich rittlings auf den einen setzte, seine Begleiterin ebenso auf dem andern sich einzurichten nötigte und sich mit ihr der Willkür der Wellen übergab, die sie die Strömung des Flusses entlang fortrissen. Beide Flüchtlinge strebten, so gut sie mit ihren Füßen konnten, dem jenseitigen Ufer an einer entfernten, weiter unten gelegenen Stelle zu, damit ihr sie gewiss verfolgender Herr nicht imstande sei, ihren frisch getretenen Spuren auch drüben nachzueilen. Während dieser unbehaglichen und gefahrvollen Schifffahrt büßten sie einen großen Teil ihrer Mundvorräte ein, und es blieb ihnen leider nur so viel übrig, als im äußersten Falle bis zum dritten Tage ausreichend war. An dem ersehnten Ufer endlich angetrieben, verwendeten sie zwar die möglichste Eile auf ihre Flucht, sahen sich aber bei jedem Schritte, aus Besorgnis verfolgt zu werden, um und setzten sowohl aus diesem Grunde als wegen der glühenden Sonne, die auf ihre Häupter brannte, und aus Furcht vor andern Räubern ihre fernere Reise nur bei Nachtzeit fort. Nach dem dritten Tage eines so beschwerlichen Weges, auf dem die Angst ihres Herzens sie zwang, bei jedem Atemzuge ihre Augen rückwärts in die öde endlose Ebene forschend zu richten, ersahen sie zwei Menschen, denen ihr eilender Schritt den Anschein Verfolgender gab. Eine Unglück verkündende Ahnung zeigte ihnen sogleich das Bild ihres ihnen auf die Spur gekommenen Herrn und erhöhte die Beklemmung ihrer Gemüter ins Unendliche. Der Gedanke der sie bedrohenden unvermeidlichen Todesgefahr nahm ihnen alle Besinnung und allen Mut hinweg, und keines von beiden wusste mehr, wo es war, noch wohin es wollte. Erst als sie die mit einem Male verlorene Fassung allmählich wiedergewannen, stieg auch der Wille, noch das Irgendmögliche für ihre Rettung zu tun, in ihnen auf. Sie sahen rechter Hand eine tiefe finstere Höhle vor sich liegen und drangen in Hast und Eile hinein. Ihre Schritte hatten sie aber noch nicht weit vor in den düsteren Schlund getragen, als eine weit stärkere Furcht, die anfängliche überwältigend, in ihnen rege war. Sie bedachten nämlich, dass wildes Raubgetier und giftiges Gewürm vor der übermäßigen Hitze und Sonnenglut jener Gegenden an solch schattigen Orten Zuflucht zu suchen pflegt, und bargen sich in einer Grube, die sie links neben sich offen sahen. Die beiden Verfolger aus der Ferne, Herr und Knecht, eilten den in Sand geprägten Fußtapfen nach, kamen zu dem Eingang der Höhle und stiegen von den Kamelen ab, auf denen sie ritten. Der Herr schickte zuerst den Knecht hinein, um die Flüchtigen herauszutreiben, und blieb mit entblößtem Schwerte und bösem Willen in ihrer Erwartung stehen.

Geblendet, wie man es unter solchen Umständen von dem grellen Sonnenlicht zu werden pflegt, schritt der Knecht tiefer und tiefer an dem verfolgten Paar, ohne es zu gewahren, vorbei in die Finsternis, blieb zuletzt unmutig und ungeduldig stehen und schrie mit starker Stimme, so laut es ihm möglich war, vor sich hin: Kommt heraus, ihr niederträchtigen, verruchten Sklaven, die ihr aufgeknüpft zu werden verdient. Euer Herr erwartet euch, um euch den wohlverdienten Lohn eurer schmählichen Flucht zu geben. Die unterirdische Höhle widerhallte von diesem ungeheuren, übermäßigen Gebrüll. Ehe sich der elende Knecht aber dessen versah, sprang eine grausame entsetzliche Löwin auf ihn zu, warf ihn in einem Augenblick zu Boden, packte ihn so fest an der Kehle, dass er umsonst versuchte, schwach um Hilfe zu rufen, und schleppte seinen fest mit den Zähnen in ihrem Rachen gehaltenen, von seinem eigenen Blute besudelten Körper dem unheimlichsten Schlupfwinkel zu. Der Herr erwartete seinen Diener geraume Zeit und wusste sich nicht zu sagen, was ein so langes Ausbleiben bedeute und verursache. Der Gedanke des vielleicht von zweien gegen einen versuchten Widerstandes erbitterte ihn zu solcher Wut, dass auch er blindlings und mit wütendem Geschrei in die Höhle stürzte, indem er nicht nur seinen Diener wegen allzu großer Säumigkeit schalt, sondern auch den unglücklichen Flüchtlingen die ärgsten Lästerungen sagte, die sich irgend ersinnen ließen. Er war aber noch nicht weit über die Grube hinausgedrungen, die das Weib und Malco barg, als dieselbe Löwin, die soeben den Diener zerfleischt hatte, wütender wie vorher auch ihm ihre Klauen in die Gurgel schlug und ihn auf der Stelle in Stücke Riss, darauf aber aus Furcht, in ihrem Lager entdeckt und gefährdet zu sein, mit den Klauen ihre kleine Löwenbrut fasste und, unbekümmert um die von ihr zerrissenen Leichname, tiefer in die Höhle trug.

Ungesehen hatte Malco und seine Gefährtin dem Vorgegangenen zugesehen und es bestürmten mannigfaltige, sich widersprechende Gefühle zu ein und derselben Zeit ihre Herzen. Erst machte sie das in ihre Ohren dröhnende Geschrei und die wilden Drohungen des Knechtes, der Anblick des zu unerbittlicher Rache gegen sie bewaffneten Gebieters über alle Maßen bestürzt, dann entsetzte sie das furchtbare Aussehen des reißenden Tieres auf das äußerste. Jeden Augenblick gewärtig, dessen Grimm sich auf sie wenden zu sehen, sträubte sich ihnen jedes Haar des Kopfes, und war das schwache Weib, furchtsamer und unvorsichtiger als Malco, drauf und dran, einen lauten Schrei zu tun, hätte sich nicht die Vorstellung der ihr Leben bedräuenden Gefahren ihr mit so ernster Gewissheit vor Augen gestellt, dass sie kalkweiß und regungslos wie ein steinernes Bild des Ausgangs gewärtigte. Auf der andern Seite wollte es wieder beiden scheinen, der Himmel habe sich jetzt ihrer in der höchsten Not erbarmt und ihnen solche Hilfe verliehen, wie sie selbst hätten weder ersinnen, noch von ihm erflehen können. Doch glaubten sie nach dem Verschwinden der Löwin noch immer nicht vollkommen sicher zu sein und wagten sich erst unter dem Schutze des anbrechenden Abends aus ihrem Versteck hervor. Sowie sie die Höhle in ihrem Rücken hatten, bestiegen sie die beiden Kamele der Getöteten, stärkten und erneuerten mit dem reichlichen Vorrat an Lebensmitteln, den sie darauf fanden, ihre durch die ausgestandene Ermüdung und Todesangst erschöpften Kräfte, setzten dann mit neubelebten Hoffnungen, in ihren Herzen Gott dankend und lobpreisend, auf das schleunigste ihre Reise fort und beendeten dieselbe nach zehn Tagen glücklich in dem Lager der Römer, deren Tribun sie, nach Anhörung ihrer ungemeinen Schicksale, dem Prokonsul Mesopotamiens, Sabinus, zusendete.

Nicht lange hierauf erfuhr Malco das Hinscheiden seines heiligen Abtes aus dieser Welt und begab sich mit seiner getreuen Genossin so langer und schwerer Missgeschicke nach Maronia, wo beide, unter stetigem Kirchenbesuche, dem alleinigen Dienste des Herrn geweiht, alle Eitelkeiten dieser Welt verschmähend, in geschwisterlicher Eintracht und gegenseitiger Liebe bis in ihr hinfälliges Alter mitsammen ein heiliges und geruhiges Leben führten, während dessen Dauer sie den Bewohnern dieser Gegenden und selbst dem heiligen Hieronymus, der sie niederschrieb, ihre Schicksale oft und wiederholt, nicht ohne ihren Zuhörern Tränen zu entlocken, erzählten und verkündeten.

Der Kaufmann aus Genua

Einen jungen Kaufmann ans Genua, Gianotto genannt, hatte sein Handel früh hinaus aus seiner Vaterstadt und weit und lange Jahre in der Welt umhergeführt. Wie ihm endlich das Bedürfnis nach Ruhe wünschenswert machte, sich irgendwo niederzulassen, kam er nach Neapel, wo er, teils von dem glücklichen Fortgang seiner Geschäfte, teils wohl auch von der wunderschönen Lage des Ortes bestimmt, einige Zeit wohnen blieb. Er ergriff die Gelegenheit zur Ehe mit der Tochter eines neapolitanischen Edelmanns, weil sie ihm ehrenvoll und in vielem Betrachte annehmlich erschien, und führte nach einem prachtvollen Hochzeitsfeste seine junge Braut Leonora heim. Gianotto mochte vielleicht ein Jahr mit ihr gelebt haben, da fiel es ihm ein, nachdem er so lange Zeit von seiner Heimat entfernt gewesen sei und durch seinen Handel und Fleiß einiges Vermögen erworben habe, nach Genua zurückzugehen. Der Einfall reifte zum Entschluss. Gianotto bestieg mit seiner Gattin ein Schiff, worauf er seine Güter hatte laden lassen, und fuhr, heiter und guter Dinge wie die übrige Mannschaft, aus dem Hafen von Neapel seiner Vaterstadt Genua zu. Wie nun das launenhafte Schicksal oft gern das Vorhaben der Menschen durchkreuzt, so wollte es, nachdem es Gianotto von Jugend an in allen seinen Unternehmungen günstig gewesen war, dass die gegenwärtige einen ganz anderen Ausgang nahm, als er dachte.

Denn eines Morgens mit Sonnenaufgang überfiel die Schiffenden bei Piombino ein heftiger Wind, das Meer begann zu schwellen und wogte allmählich im wütendsten Sturm empor, der das Fahrzeug nach kurzem Kampfe wider die Korsika gegenüber gelegene Insel Caprara warf, an deren hügligem Strand es scheiterte und alle Mannschaft ertrank. Der unglückliche, von seinem Geschick in so äußerstes Elend gebrachte Gianotto klammerte sich an ein Brett, das ihm der Zufall entgegenstieß, und stürzte in das Meer. Von Wind und Wellen bald hierhin, bald dorthin geworfen, trieb er zuletzt auf der unfernen Insel Elba ans Land.

Leonora sprang dagegen mit ihrer Magd aus Furcht nicht in die See, sondern erwartete auf dem Hinterteile des Schiffes jeden Augenblick ihren Untergang, den sie durch diese Unentschlossenheit eben abwendete, indem das Wrack auf einer Sandbank unbeweglich ruhte. Die beiden Frauen verbrachten die fürchterlichste Nacht ihres Lebens in steter Todesangst. Doch legten sich Ungewitter und Sturm endlich, und sie erblickten mit der Morgenröte ein anderes von Korsika abgegangenes Schiff, das auf sie zu segelte. So wie es unfern von ihnen vorüberfuhr, gab Leonora alle möglichen Zeichen und schrie und rief, je näher es kam, so lange mit ihrer Magd um Hilfe, bis die Seeleute aufmerkend erkannten, was vorgegangen war, die Segel einzogen und auf das gescheiterte Fahrzeug lossteuerten. Durch Leonorens Klagen und ihre äußerste Gefahr bewegt, nahmen sie beide Frauen zu sich an Bord und retteten unter anderen auch einige ihnen überbliebene Sachen von dem Verdeck des zertrümmerten Schiffes. Leonora hatte vorsichtigerweise für den Fall, dass auch diese Sachen, gleich den anderen über Bord geworfenen Waren ihres Mannes, verlorengegangen wären, aus einem Kästchen eine gute Summe Geldes zu sich gesteckt, gab aber desungeachtet gegen die Seeleute vor, von allem entblößt zu sein.

Ihre Schönheit entzündete auf dem fremden Schiffe eine heftige Leidenschaft in zweien Reisenden, die sie, bei ihrer Keuschheit und Ehrbarkeit, vergebens um Erwiderung bestürmten, bis die Fahrt nach nicht allzu langer Zeit in dem Hafen von Livorno zu Ende ging, wo die Passagiere mit ihren Waren landeten.

Leonora beabsichtigte, nach Genua zu gehen, um dort Gianotto zu erwarten, hätte ihm das Schicksal sein Leben aufgespart. Vermöge einer Summe Geldes, die sie dem Kapitän durch ihre Verwandten zahlen zu lassen versprach, erlangte sie die kurze Überfahrt, befriedigte bei der Ankunft zuerst den Schiffsherrn selbst und zog dann überall Erkundigungen über ihren Gatten und die Seinigen ein, erfuhr aber von keinem Menschen etwas über den längst Ausgewanderten, den längst Verstorbenen.

Nichtsdestoweniger vermochte die gelobte Gattenliebe und Treue so viel über Leonorens Gemüt, in ihrem zwanzigsten Jahre fest an dem Entschlusse zu halten, an diesem Orte in ehrbarer Zucht auszuharren, bis Gianotto wiedergefunden sei; erführe sie hingegen seinen Tod oder gelange ihr niemals Nachricht von ihm zu, ihr übriges Leben als Witwe zu vertrauern.

Der, wie erzählt, von den Meereswogen an die Insel Elba gespülte Handelsherr erholte sich bald körperlich von dem erlittenen Ungemach und fuhr nach Piombino über, wo er, alles Besitztumes beraubt bis auf die Kleider, die er auf dem Leibe trug, ohne Mittel des Unterhaltes und sogar von dem leisesten Gedanken fern, seine Gattin könne gerettet sein, nachdem er lange Tage mit dem bittersten Mangel gekämpft hatte, sich glücklich schätzte, einen anconitanischen Edelmann zu finden, der ihn aus Mitleiden mit zu sich nach Hause nahm.

Zehn Jahre waren vorübergegangen, und Gianotto hatte, anfänglich im drückendsten Gefühl seiner Lage, allmählich duldsamer und ergebener in sein Schicksal, getreulich die Zeit über seinem Herrn gedient.

Seiner Seele war diese schwere Prüfung zuträglich gewesen. Vorher leichtsinnig und verschwenderisch, unfähig edlerer Gefühle und sinnlos für des Lebens wirklichen Genuss, ward bei der strengen Behandlung seines trübgesinnten, selten heiteren Herrn sein Geist geweckt. Er lernte den Ernst des Daseins kennen und eignete sich männliche, Leiden und Missgeschicke still ertragende Besonnenheit an. Diese glückliche Besonnenheit ließ er sich auch nicht entgehen, als der alte, gesetzliche Erben nicht hinterlassende Edelmann eines Nachts plötzlich starb und bei gerichtlicher Eröffnung seiner Papiere es erhellte: Gianotto sei zur Besitznahme seines beträchtlichen Vermögens in Anerkennung der ihm erwiesenen Anhänglichkeit berechtigt.

In einiger Zeit hatte Gianotto sein Erbe angetreten und in Gold umgesetzt und gedachte zunächst der Rückkehr nach Genua. Hoffnungs- und freudelos seit dem Verluste seiner Gattin, die ihm jetzt seltsamerweise näher als je wieder vor der Seele stand, machte er sich auf den Weg nach seiner Vaterstadt, wo er bei seinem Ausflug in die Welt zwei Brüder verließ, in deren Umgang er sein Leben zu beschließen wünschte. Unbekannt mit jedermann, von niemand mehr gekannt, kam er nach fünfundzwanzigjähriger Abwesenheit in Genua an und erfuhr, als er in das elterliche, von fremden Leuten bewohnte Haus trat und nach seinen Brüdern fragte: sie wären schon seit langer Zeit hab- und kinderlos gestorben.

Leonora hatte die ganze Zeit, während Geanotto in Ancona diente, in Genua zugebracht und sich, da er nimmer erschien, so sehr in der Gewissheit bestärkt, er sei ertrunken, dass ihr nicht mehr die geringste Hoffnung blieb, ihn wiederzusehen. Kümmerlichen Lebensunterhalt gewährte ihr das aus dem Schiffbruch gerettete Geld. Zwar zog ihre Schönheit ihr mannigfache Nachstellungen und Versuchungen 35 von genuesischen Edelleuten zu; die reichsten und liebenswürdigsten Jünglinge trachteten nach ihrer Liebe. Sie schenkte jedoch keiner Bitte und Vorstellung Gehör, hätte das größte Ungemach eher erlitten, als ihrer Ehe Eintracht getan und ihrer Treue entsagt.

Von dem Schmerz seiner letzten fehlgeschlagenen Hoffnung betäubt, wanderte Gianotto langsam durch die Straßen der Stadt seiner Herberge zu. Wie einsam fühlte er sich, nachdem er sich vom Tode auch um den geringsten Trost einer Zuflucht an dem Herde der Seinigen für die Einsamkeit seines Lebens betrogen sah! Jede frisch in seiner Erinnerung auflebende Jugendfreude ward seiner Brust zum stechenden Schmerz. Er ahnte nicht, dass ihm das Schicksal endlich wieder lächelte, ihn einer neuen Freude zuführte, die ihm das Tor eines neuen Lebens eröffnete.

Jene Magd Leonorens, die mit ihr Schiffbruch erlitt und getreulich immer bei ihr geblieben war, sah Gianotto vor der Wohnung ihrer Gebieterin vorübergehen. Sie erschrak über seine Gesichtszüge und seine Gestalt. Eine dunkle Erinnerung durchflog sie, wie sie ihren Blick scharf auf ihn heftete. Es schien ihr durchaus, sie kenne ihn, und nach und nach stellte sich Gianottos ehemaliges Bild lebendig in diesem Fremden vor sie hin. Sie rief hastig Leonoren ans Fenster und wies auf den Vorübergehenden. Auch Leonore erkannte den Gatten wieder, und von unschätzbarer Freude erfüllt, schickte sie die Magd hinunter, ihn in das Haus zu bringen, und wartete selber in dem Flur auf ihn. Wie Gianotto in ihre Gegenwart gekommen war, weinte sie vor überströmender Zärtlichkeit und sprach: Ihr glaubt mir sicherlich, lieber Herr, dass nur ein hochwichtiger Grund mich bewegen hat, Euch meine Magd nachzuschicken; ich konnte nicht hoffen, Euch auf andere Weise vor mir zu sehen. Sagt mir um des Himmels willen, ob Ihr jemals in einer Lebensgefahr wart, in der Euch das Schicksal eine Euch teuere Person raubte, obwohl es Euch selber wohlbehalten errettet hat? Wenn Euch irgendein solcher Unfall ins Gedächtnis kommt, so bitte ich Euch, denkt nach, welchen Gegenstand Ihr von denen am innigsten vermisstet, die Ihr dabei eingebüßt habt; sowie Ihr ihn mir nennt, erfahrt Ihr auf der Stelle, aus welchem Grunde Ihr gerufen worden seid. Gianotto erwiderte Leonoren, nachdem er ihre Worte vernommen hatte: Ich erlitt in meinem Leben nicht wenige Unglücksfälle, edle Frau, und befand mich ihretwegen seit langer Zeit schwer bedrängt. Ja, so reich an Gefahren waren einige, dass ich nicht hoffen konnte, ihnen mit dem Leben zu entgehen, obgleich mir des Allmächtigen Gnade es dennoch, er weiß zu welchen Ende, erhalten hat. Ich bin in Genua geboren, das mir jetzt fremd geworden ist, weil ich es schon in der Jugend verließ. Als ich vor vielen Jahren hierher zurückkehren wollte, verlor ich mein Vermögen in der See. Verlangt Ihr zu wissen, ob ich von den kostbaren Gegenständen, deren mich der Sturm beraubte, einen vor allen teuer hielt, so antworte ich Euch allerdings ja. Denn ich verlor etwas, in dessen Betracht mir jede andere schwere Herzenswunde leicht zu erdulden schien: mein Weib, das ich in eben dem Jahre erst in Neapel genommen hatte. Es ging zugleich mit meinen Waren zugrunde, ein Raub der See. Wie Gianotto den Verlust seiner geliebten Gattin erwähnte, stürzten Leonoren die Tränen in solchem Übermaße aus den Augen, dass deren Gewalt ihr jede Empfindungskraft benahm und sie bewusstlos zu ihres Mannes Füßen sank.

Vorher schon durch der Fremden Einladung aufmerksam gemacht, fing Gianotto nach diesem wunderbaren Ereignisse an, sie näher zu betrachten. Einige Gesichtszüge Leonorens wachten wieder in ihm auf, und er erkannte sie. Ohne weitere Beweise zu erwarten, warf er ihr die Arme um den Hals und sagte: O, mein geliebtes Weib! Wie vermochte ich es zu ahnen, dass du allein von allen Schiffsgenossen dein Leben in dem stürmischen Meer retten würdest, das die kühnsten und geschicktesten Seeleute verschlang? Wie hätte ich glauben können, der bittere Schmerz über unser Trübsal würde dies kostbare Leben, wäre es dennoch in der See erhalten worden, solange fristen? – Mehr zu sprechen gestattete ihm die überströmende Freude nicht. Auch er vergoss heiße Tränen, hielt Leonoren fest in seinem Arm und blieb so mit ihr eine geraume Zeit vereinigt, ohne dass eines von beiden sprach. Und als Leonorens erstarrte Lebensgeister allmählich in den schwachen Körper wiederkehrten, Gianottos beklommenes Herz sich erleichterte, bewillkommneten sie sich noch viele Male auf das zärtlichste und brachten diesen wie viele folgende Tage mit Liebkosungen und Mitteilungen ihrer gegenseitigen schmerzlichen Erlebnisse zu.

Gianotto kaufte in einiger Zeit, als die Gelegenheit sich ihm darbot, sein elterliches Haus zurück und bewohnte es mit seiner getreuen Gattin, die ihm einen Sohn und eine Tochter gebar, lange Jahre bis an seinen Tod in Eintracht und Glückseligkeit.

Aus Gianottos Geschichte lässt sich ersehen, wie veränderlich das Glück und Schicksal der Menschen sind, und wie leicht ein jeder im Verlaufe seines Lebens von einem Äußersten zum anderen gebracht werden kann; wie preiswürdig auch die Treue des Weibes gegen seinen Mann zu nennen ist, das aus Liebe zu ihm und seinem Gedächtnisse die Blüte ihrer Jugend in Keuschheit und Entsagung vergehen lässt und an Seelenstärke der antiken Penelope gleicht.

Verständig geträumt

Lisabetta, die Tochter der Frau Laldomine degli Uberti, einer edlen reichen Witwe in Florenz, war nicht gerade zu tugendsam, aber wunderschön. Es war ihr deshalb von vornehmen Jünglingen nachgestellt und geliebäugelt, und unzählige verlangten sie in Ansehen der Aussteuer und einstigen Erbschaft von ihrer Mutter zur Ehe. Aus allzu großer Sorge, ihre Tochter gut zu verheiraten, konnte sich die Mutter aber nie entschließen, sie von sich zu geben; denn sie suchte einen jungen, schönen, adligen, reichen, klugen und gesitteten Mann und fand keinen nach ihrem Sinne, da jedem immer wenigstens eine dieser Eigenschaften mangelte. Inzwischen verliebte sich Lisabetta heftig in einen jungen, Allessandro genannten Menschen, der in dem Nachbarhause wohnte und sich in jeder Hinsicht für sie geschickt hätte, außer dass er arm und nicht vom ältesten Adel war. Er hatte weder Eltern noch Geschwister mehr und lebte für sich allein mit einer einzigen Magd.

Da er den größten Teil des Tages zu Hause dem Studium der Wissenschaften oblag und Lisabetta seinetwegen oft an ein Fenster oder auf den Balkon hinaustrat, so gewahrte dies der scharfsinnige Jüngling notwendigerweise bald und schloss die Jungfrau dermaßen in sein Herz, dass er Tag und Nacht an nichts anderes als an sie dachte, die seine Leidenschaft durch ihre verliebten Blicke tausendfach steigerte und ihn endlich bewog, den Versuch zu unternehmen, ob sie wohl in eine, sobald sie schnell vollzogen werde, unwiderrufliche Vermählung mit ihm willige. Fällt mir das Glück so zu, dachte er, wer lebt zufriedener und glücklicher in der Welt als ich? – Er schrieb ihr einen Brief, worin er ihr seine ganze Seele öffnete, und Lisabetta gab ihm ihr Herz ohne weiteres Bedenken hin; denn, abgesehen von ihrer eigenen Meinung, hatte sie die verständigsten Männer Alessandros Einsicht und Fähigkeiten bewundern hören, der als ein guter Wirt ihr Vermögen gewiss eher zu vermehren als zu verschwenden fähig war.

Sie verständigte sich also mit dem Jünglinge, und er stieg in der folgenden Nacht mit Hilfe einer Leiter von seinem Dache auf ihren Altan, wo sie sehnsuchtsvoll seiner harrte und die Morgendämmerung beide noch beim Küssen und zärtlichen Gespräche fand. Alessandro steckte an Lisabettens Finger einen Ring und überließ ihr, wie sie es verlangte, ganz allein die Sorge, ihre Verlobung zu entdecken und geltend zu machen. Sie trennten sich endlich, eins gleich zufrieden mit dem anderen.

Frau Laldomine hatte sich nach langer Wahl entschlossen, ihre Tochter an Bindo, den Sohn Messer Geri Spinas, eines der vornehmsten florentinischen Bürger, zu geben, obgleich er sehr wenig der erforderlichen Eigenschaften besaß. Lisabetta, der diese Absicht nicht entging, kam ihrer Mutter zuvor und erzählte ihr einst nach dem Abendessen Punkt für Punkt, was zwischen ihr und Alessandro vorgefallen war. Frau Laldomine schalt und zürnte und untersagte ihr jeden ferneren Gedanken an Verlobung oder Ehe, denn sie erhalte nun gar keinen Mann. Des anderen Morgens brachte sie mit dem Frühesten die Tochter in ein Kloster, ließ Messer Geri zu sich kommen, dem sie alles erzählte, und verabredete mit ihm, wie Lisabetta in Güte zur Vernunft zu bringen oder nach Rom zu schreiben sei, um von dem Papste den Befehl zu erkaufen, dass der Vikar die Verlobung bei Strafe der Exkommunikation vereitele. Das Gerücht von diesen Schritten verbreitete sich, und der fehlgeschlagene Liebeshandel ward zum Stadtgespräch. Der tiefbetrübte Alessandro verlor schon die Hoffnung, seine Geliebte jemals zu besitzen; denn Messer Geri hatte ernsthaft mit ihm reden lassen und ihn so eingeschüchtert, dass er nichts zu unternehmen wagte. Er begriff gar nicht die Meinung und Zuversicht seines Mädchens, das der Einwilligung ihrer Mutter so gewiss gewesen war. Lisabetta aber, die das Kloster nicht verlassen durfte und niemand mit Aufträgen oder Briefen an den Jüngling absenden konnte, hegte Zweifel an seiner Glaubhaftigkeit und Besorgnisse, er möge aus Furcht vor Messer Geris Ansehen und Gewalt auf sie verzichten. Die unerwartete Maßregel ihrer Mutter hatte sie sehr übler Laune gemacht, und sie dachte Tag und Nacht nur daran, ihre Wünsche dennoch zu erfüllen. Tausend Gedanken, tausend verschiedene Mittel und Wege erwog sie stündlich in ihrem Sinn; zuletzt blieb sie bei einem stehen. Sie ging zu der Äbtissin und sagte, ihr Gewissen lasse ihr keine Ruhe mehr, es treibe sie an, von dem armen Alessandro abzustehen und ihrer Mutter zu Willen des reichen Bindo Frau zu werden. Nach reiferem Bedachte wollte sie alles tun, was Frau Laldominen gefällig sei. Der Äbtissin war dieser Entschluss äußerst lieb, und sie ließ ihn augenblicklich die Mutter wissen, die voller Freuden ins Kloster eilte, mit Zärtlichkeit ihre Tochter küßte und in die Arme Schloss und sie desselben Abends noch in der Absicht mit sich nahm, am nächsten Morgen Messer Geri zu sich zu bescheiden, um die nötigen Anordnungen zur Hochzeit zu veranstalten. Lisabetta, die im Vorzimmer geschlafen hatte, stand, sowie die Morgenröte durch die Fenstergatter schien, zur Ausführung ihres Vorsatzes auf und ging eilig und scheinbar sehr erschreckt in das Schlafzimmer ihrer Mutter, zu der sie mit bebender Stimme sprach: Meine liebe gute Mutter, ich habe soeben einen bösen Traum gehabt, über den ich noch wie ein Espenlaub vor Furcht zittere. – Was soll ich dabei tun? erwiderte Frau Laldomine, denke nicht mehr daran. Du weißt ja, das Sprichwort sagt: Träume sind Schäume. – Ach, nein! nein! sagte Lisabetta. Ihr wisst nicht, was ich sah. Aber lasst Euch nur sagen, es geht Euch auch mit an; deshalb möchte ich gern, wir dächten zusammen darüber nach. – Was ist wegen eines Traumes groß zu überlegen? fiel die Mutter ein und kam auf das Kapitel, wohin das Mädchen sie haben wollte. Wenn du willst, lasse ich Bruder Zaccaria, unseren Beichtiger, kommen, der ein halber Heiliger und großer Traumdeuter ist. – Ei ja, dafür würde ich Euch recht dankbar sein, meinte Lisabetta, schickt zu ihm, es kommt mir eine Ewigkeit vor, bis ich die Sorge los bin.

Frau Laldomine trug einer Magd auf, nach Santa Croce zu gehen und dem Bruder Zaccaria zu sagen: Er möge doch wegen einer Sache von Wichtigkeit gleich zu ihr kommen. – Es war dieser Bruder ein Geistlicher von bestem Rufe und mehr voll Menschenliebe als Gelehrsamkeit, ein einfältiger, frommer Mann, der unmittelbar nach erhaltener Botschaft den Weg zu Frau Laldominen einschlug und sie, seiner gewärtig, noch mit Lisabetten in der Schlafstube antraf. Die Frauen gingen ihm mit ehrerbietigem Gruß entgegen, ließen ihm einen Stuhl reichen und setzten sich ihm gegenüber, dessen Begleiter im Saale wartete. Die Mutter hub folgendermaßen an: Ihr werdet Euch verwundert haben, Herr Pater, dass wir so frühen Morgens und so eilig zu Euch schickten. Meine Lisabetta hat aber einen Traum gehabt, der sie sehr fürchten macht, und um dessen Auslegung sie Euch als ihren wohlmeinendsten Ratgeber ersuchen will. – Mit Hilfe Gottes, Schwester, und um Euch gefällig zu sein, erwiderte der Geistliche, werde ich so viel sagen, als ich selber weiß und der Himmel mir offenbaren will. Zuvörderst muss ich Euch nur erinnern, dass es Torheit ist, macht man sich zu viel Sorge um Träume oder setzt zu viel Glauben darein, denn sie sind fast immer falsch. Hinwieder soll man sie freilich nicht ganz verspotten und verachten, denn zuweilen treffen sie ein und bewähren sich, wie viele Stellen des Alten und Neuen Testaments Zeugen sind. So liest man, wie ihr wisst, vom Pharao und seinen sieben magern und sieben fetten Kühen und von den Kornähren. Und Sankt Lukas sagt im Evangelium, dass dem Joseph ein Engel im Traum erschienen sei und ihm geheißen habe, mit der Jungfrau und Christus damals nach Ägypten zu fliehen, als Herodes ihn töten wollte.

Nach dieser Rede wendete er sich zu dem Mädchen und bat um Mitteilung des Gesichts. Lisabetta schlug die Augen zur Erde nieder, ließ sich vom Bruder Zaccaria und ihrer Mutter die Zusage geben, sie nicht zu unterbrechen und sie ruhig bis zu Ende anzuhören, und hub mit Zittern und Zagen an: Gestern Abend, nachdem ich später als gewöhnlich zu Bett gegangen war, geschah es mir, dass ich auf mannigfache Gedanken geriet und sann und sann, so dass ich lange keine Auge Schloss. Wie ich endlich eingeschlafen war, schien es mir, ich sei vor dem Tore San Friano an des Arno Ufer, das grünte und blühte, und setzte mich in das zarte frische Gras unter den kühlen Schatten eines Baumes. Während ich allda mit unaussprechlichem Vergnügen und Wohlsein in das klare Wasser sah und auf das Gemurmel der hinplätschernden Wellen horchte, stand plötzlich ein großer Wagen vor mir, halb weiß wie Elfenbein, halb schwarz wie Ebenholz, vor den rechts eine große schneeweiße Taube, links ein ungeheurer kohlschwarzer Rabe gespannt waren, so wie es Pferde und Ochsen vor unsern gewöhnlichen Wagen sind. Inmitten des Wagens befand sich ein Stuhl, halb weiß, halb schwarz, wie überhaupt wunderbarerweise alles an dem Fuhrwerke gearbeitet war, in das ich im träumenden Staunen, weiß nicht von welch unbekannter Gewalt, gehoben ward. Ich saß nicht so bald darinnen, als die weiße Taube und der düstere Rabe die Flügel ausbreiteten und schneller wie der Wind mit dem Wagen durch die Lüfte flogen, höher und höher in die Himmel empor. Ich mag die Wunder nicht beschreiben, die ich sah, und erzähle nur, dass ich zuletzt in einem geräumigen, runden, ganz nach unserer Art gebauten Saale war, mitten hinein neben eine große Kugel gestellt. Um die Kugel herum standen auf drei Stufen wunderschöne Jünglinge, auf der ersten grün-, auf der zweiten weiß-, auf der dritten rotgekleidete. Furchtsam und erwartungsvoll dessen, was weiter erfolgen sollte, stand ich da, als plötzlich die große Kugel mit einem Knall aufsprang und einen hohen Lehnstuhl sehen ließ, der zu brennen schien, und auf dem ein in Feuer gekleideter, mit leuchtenden Flammen gekrönter Jüngling saß. Wie er sein Antlitz mir zuwendete, ertrugen meine Augen nicht so vielen Glanz; denn er strahlte tausendmal heller als die Sonne; ich musste geblendet sie zu Boden schlagen und hielt sie geraume Weile geschlossen. Als ich sie wieder öffnete und um mich sah, gewahrte ich, dass ich an dem überirdischen Glanz erblindet war, hörte aber von der Stimme des Jünglings, die wie der furchtbarste Donner erklang, ein noch nie vernommenes Wort, das vielleicht auch niemals auf der Welt ausgesprochen worden ist, worauf ich fühlte, abermals, ich weiß nicht von wem, getragen und, nachdem sie mich lange herumgedreht hatten, zur Erde niedergesetzt zu werden, auf eine grasreiche Wiese, so schien es mir. Ich vernahm alsbald eine menschliche Stimme, die zu mir sprach: Sei getrost, meine Tochter, und gedulde dich, du wirst das Gesicht wiedererhalten. Beim Ton dieser süßen Worte wandte ich mich und wollte antworten, aber die Zunge sprach, was mein Herz fühlte, nicht aus; ich befand mich nicht allein blind, sondern auch stumm und erwartete voller Angst und Kummer, was aus mir werden würde. Da ergriff ein lebendes Wesen meine rechte Hand und gebot: Strecke dich aus, so lang du bist. Gehorsam tat ich es und berührte gleich mit der Stirne den frischen Wasserstrahl eines Quells. Der Unsichtbare führte mir die Hand ins Wasser und hieß mir, sie damit an die Augen zu halten und mein ganzes Gesicht mit dem heiligen Quelle zu baden. Ich tat es, und, o Wunder! ich konnte wieder sehen. Wie ich den Blick umhergleiten ließ ergriff mich ein wunderbares Staunen, mir war, als sollte mir vor Wonne und Freudigkeit das Herz aus dem Busen springen, und ich sah einen heiligen Einsiedler vor mir stehen, von Ansehn schön und streng, das Gesicht blass und hager, die Augen sanft und nachdenklich, der Bart dicht und lang auf die Brust herabhängend, das Haupthaar wie gelockte Silberfäden über beide Schultern wallend. Er trug ein langes, fein gesponnenes Gewand von der natürlichen Farbe der Wolle, in der Mitte mit zwei geschmeidigen Binsenseilen gegürtet, und auf dem Kopfe einen leichten Kranz von friedlichen Ölzweigen. Sein ganzer Anblick erregte Ehrfurcht und Vertrauen. Die Wiese, auf der ich saß, hatte weiches, dunkelgrünes Gras, das ins Braune spielte, überall bunt und tausendfältig mit den lieblichsten Blumen durchmischt. Soweit mein heiteres Auge trug, vielleicht noch weiter hinaus, erstreckte sich die reizende Ebene, ohne von Bäumen oder Gesträuch unterbrochen zu sein. Der Himmel darüber leuchtete hell und klar, ohne Sterne, Mond oder Sonne. Der göttliche Greis ließ sich auf einem erhöhten Sitze an einem über und über mit grünem Efeu bewachsenen Felsen nieder, aus dem ein zweiter, nicht künstlich in Marmor oder Alabaster von Meisterhand gehauener, sondern von der Natur selbst gebildeter Springquell sprudelte. Das Becken des einen umkränzten frische, tauige Lilien, das des andern bleiche blutgefärbte Violen, das Wasser des ersteren schien weich und milde wie Milch, das des anderen scharf und schwarz wie Tinte zu sein. Derweil ich aufmerksam all diese Gegenstände betrachtete, segnete mich der fromme Greis, und ich hatte die Sprache zurück, warf mich auf die Knie vor ihm nieder und bezeigte ihm in Demut und Ehrfurcht meine innige Dankbarkeit. Er unterbrach meine Worte und sagte: Gib sorgsam auf das, was ich zu deiner Belehrung jetzt tun werde, acht. Er nahm mit seiner Rechten einen kleinen Stein und warf ihn, zwischen den beiden Quellen sitzend, in die, welche gen Morgen lag; nicht so bald aber durchschnitt der Stein die weißliche Flut, als ihr ein weißes, lockiges Kind entstieg, von Sternen und himmlischem Glanze umstrahlt, singend und lachend, gleichwie beflügelt sich durch die Lüfte zum Himmel emporschwingend, höher und höher, bis es meinen Augen entschwand. Der Alte ergriff mit der Linken einen anderen Stein und warf ihn nach Abend in den anderen Quell, aus dem, sowie der Stein das trübe Wasser spritzte, gleich ein anderes Kind sichtbar auftauchte, schwarzgelb und geschwollen über und über, von sengenden Flammen umkreist, in denen es sich wie brennend krümmte und wand. Im nächsten Augenblick tat sich vor mir die Erde zu einer Tiefe auf, in die das Kind schreiend und kreischend hinabstürzte. Wie es verschlungen war, schloss die Öffnung sich wieder, und wie vorher grünte die Erde und blühte. Nunmehr rief der Mann Gottes mich, die ich halb sinnlos über die geschauten Wunder dastand, unwissend, was sie bedeuteten, und sagte mir: Wofern du tust, meine Tochter, was ich dir sagen will, so wird am Ende deines Lebens deine Seele wie jenes erste Kind entfliehen, das der milchweißen Quelle da entstiegen ist. Brichst du hingegen, fügte er hinzu, mein und Gottes Gebot, so wirst du, und deine Mutter zugleich mit dir, wie das andere, der zweiten Quelle entstiegene Kind, in die Tiefen der Hölle zu ewiger Verdammnis und Strafe verbannt.

Zwischen Furcht und Hoffnung, Schmerz und Freude schwebend, erwiderte ich: Gebiete mir, du Diener Gottes, was ich zu tun habe, um dir und meinem Schöpfer wohlzugefallen. Er sagte: Es gefällt Gott, dass du Alessandro Torelli zu deinem Gatten nimmst, der er rechtmäßigerweise ist, weiter an keine andere Verlobung denkst und überdies dem ersten Priester, der dir vor Augen kommt, dreihundert Lire gibst, die er, um Gottes Barmherzigkeit willen, einem armen Mädchen zu ihrer Ausstattung schenken soll. Kaum hatte er dies gesprochen, so schwanden Wiese, Quellen, der heilige Eremit sowie der ganze Traum plötzlich vor meinen Augen und ich wachte auf. – Sie schwieg.

Bruder Zaccaria, der fast eine halbe Stunde mit gespannter Aufmerksamkeit und Teilnahme zugehört hatte und Wort für Wort Glauben beimaß, da er nicht im entferntesten dachte, es habe ein so zartes Kind so schlauen Anschlag selbst erfunden oder ausgeführt, überlegte und erwog den Traum, in Staunen versenkt, mit ängstlicher Genauigkeit und wandte sich zu Frau Laldominen, die sich gekreuziget und gesegnet hatte und eben auf die Tochter losschelten wollte, mit dem Ersuchen, aus Gunst für ihn still zu sein. Er ließ Lisabetten umständlich erzählen, was zwischen ihr und Alessandro vorgefallen war. Unterrichtet, wie sie von neuem sich mit Bindo versprechen und mit Hilfe des Papstes die erste Verlobung rückgängig machen solle, meinte er, der Herrgott habe dem Mädchen aus diesem Grunde solchen Traum verliehen. Er fing also Frau Laldominen zu trösten und zu besänftigen an, hielt ihr eine schöne Predigt über den Ehestand und schloss mit der Erklärung, dass auf keine Weise die Verlobung mit Alessandro ungeschehen gemacht werden dürfe, weil er in Wahrheit von Gott zu Lisabettens Gatten ausersehen worden sei. Was Gott verbunden hat, sagte er, soll und kann der Mensch nicht trennen, denn die Bande der Erde sind stärker und unauflöslicher, als der Mensch gemeiniglich denkt. Zu dem Traume zurückkehrend, legte er ihn Punkt für Punkt aus, indem er behauptete, von jenen zwei Quellen stelle die weiße den Stand der Unschuld und Gnade, die schwarze den der Bosheit und Sünde vor. Wie sie nun beide, vollbrächten sie den Willen Gottes nicht, am Ende ihres Lebens in den Pfuhl der Hölle versinken würden, stellte er ihnen so augenfällig dar, dass Frau Laldomine vor Entsetzen schon glaubte, in des Teufels Händen zu sein. Der gute Pater, eingedenk, wie das Almosen der dreihundert Lire zunichte sei, erhalte Lisabetta ihren Allessandro nicht, half der an sich schon vernünftigen Sache, soviel bei ihm stand, nach und schilderte den Jüngling, der Wahrheit getreu, als fleißig, gelehrt, gesittet und gut, dass er Frau Laldominen, ihm ihre Tochter zu gönnen, überredete. Denn, hatte er ihr gesagt, die Tugend ist der einzige wahre Reichtum auf dieser Welt. Eure Tochter ist so schon reich und bedarf keines reichen Ehemannes, wohl aber eines rechtschaffenen, der ihr Vermögen zu bewahren und zu mehren versteht und freigebig ist, bietet sich die Gelegenheit dar und erheischt es die Not. Ihr findet in ganz Florenz keinen Menschen geeigneter als Alessandro zu diesem Zweck, und so ist es nicht minder gerecht als klug, nehmt oder behaltet Ihr vielmehr diesen Sohn. Nachdem also Furcht vor angedrohter Verdammnis und gute Worte sich gleich wirksam auf Laldominens Sinnesänderung bewährt hatten, blieb ihr das einzige Bedenken, Messer Geri zu verabschieden, durch den schon nach Rom geschrieben, mit dem Vikar gesprochen und der Magistrat der Stadt aufsässig gemacht worden sei. Sie wandte bescheidentlich dem Bruder Zaccaria ein: Ihr habt mich, werter Mann durch Auslegung des Traumes wie durch Gründe der Vernunft so zu überreden gewusst und mich mit der Hand darauf gewiesen, wie meine Seele, die mir wichtiger als alles ist, und die Seele meiner Tochter in die Hölle kommen würden, dass ich wohl zufrieden wäre, was ihr wollt, zu tun, wüsste ich nur Messer Geri umzustimmen, der doch nicht gar zu sehr beleidigt werden darf. – Bruder Zaccaria gab ihr darauf zu verstehen: Madonna, wo es die Liebe zu Gott und der Seele Heil gilt, muss man weder Bedenken tragen noch Rücksichten nehmen. Ich unterziehe mich, ist es Euch eben recht, der Sache gern, und will zu Messer Geri gehen; ich weiß, ich stelle ihn zufrieden und erhalte ihn Euch freundlich gesinnt. – Ihr würdet mir eine große Wohltat erzeigen, entgegnete die Frau, ich bitte Euch, es zu tun, und wünsche überdies, die ganze Heiratsangelegenheit möge durch Eure Hände gehen, damit Ihr der erste seid, der Alessandro meine Einwilligung hinterbringt. Lisabetta wusste sich vor Freude gar nicht zu lassen und sagte: Es ist aber nötig, dass vor allen Dingen der geistliche Vater dreihundert Lire empfängt, um ein gutes Werk an der Verheiratung eines jungen Mädchens zu stiften. – Du hast wohlgesprochen, Kind, nahm der Bruder das Wort auf, man tut auf Erden nichts Gott Wohlgefälligeres, als übt man Werke der Barmherzigkeit aus. Ihr müsst wissen, dass eine Muhme von mir eine gutgezogene Tochter hat, die schon seit zwei Jahren einen Mann haben möchte und nur noch wartet, weil es ihr an der Ausstattung fehlt. Ihr Vater ist ein Weber, der außer seiner Frau noch mehr Kinder ernähren muss und kaum die Trauung bezahlen kann. Darum wird Euer Werk ein recht christliches bei den Leuten sein. Frau Laldomine stellte dem Bruder einen Zettel über dreihundert Lire an die Bank der Peruzzi aus und ersuchte ihn, sobald er sie abgeholt habe, aus Gefälligkeit für sie den Gang nach Messer Geri zu tun. Zaccaria ging vergnügt und ließ auch die Frauen, besonders Lisabetten, zufriedengestellt, trug das Geld nach Hause, womit er zu gelegener Zeit seine Nicht verheiratete, und machte sich, als es an der Zeit war, zu Messer Geri auf den Weg, der aus Ehrfurcht vor ihm und aus Vertrauen in seine Vorstellungen Vernunft annahm. Der Bruder dankte ihm bestens und kehrte zu den ihn erwartenden Frauen zurück, die er seine Erfolge wissen ließ. Alessandro, gerade beim Mittagessen zu Hause, ward herbeigeholt und musste sich zu den Frauen und dem Bruder setzen, der ihm zu seiner höchsten Freude alles Vorgefallene in einem schönen Sermon ankündete und ihm schließlich sagte: es werde diesen Abend, bei einem stattlichen Feste, in Gegenwart von Verwandten und Freunden seine Trauung mit Lisabetten vor sich gehen. Sie begaben sich insgesamt zu Tische, wobei sie sich über alle Dinge genugsam verständigten, und am Abend ward eine prunkvolle Hochzeit angestellt, da Alessandro denn öffentlich vor den Gästen als Lisabettens Mann mit ihr die Ringe wechselte.

Die näheren Umstände dieser Heirat wurden in Florenz bekannt, gefielen jedermann, und Mutter wie Tochter ernteten viel Lob. Alessandro zog aus dem ärmlichen Häuschen in den Palast seiner Frau, nahm von ihren Reichtümern Besitz, vernachlässigte aber nichtsdestoweniger nicht seine Studien. Er gedieh an Reichtum, Kenntnis und Tugenden und ward als Bürger so geehrt, dass der Staat in wichtigen Fällen auswärts und im Innern öfter seine Dienste ansprach. Gesegnet mit Würden und Kindern, lebte er zur Freude und höchlichen Zufriedenheit Frau Laldominens lange Zeit. Und also besiegte ein verliebtes Mädchen durch Klugheit Missgeschick, verschaffte sich und ihrem Gatten Freude und dauerhaftes Wohlergehen, ihrem Vaterlande aber Heil und Ruhm.

Der Selbstbetrüger

Ein Kaufmann von London wurde alt und reich und zog sich, um des Genusses der freien Luft willen, aufs Land zurück, wohin er seine Tochter mit sich nahm. Ob er nun gleich den Handel aufgegeben hatte, so riefen ihn doch seine Geschäfte mit einem anderen Kaufmann in der City regelmäßig dreimal in der Woche dahin.

Ein Angestellter dieses Korrespondenten des alten Gentleman trug eine große und wahrhafte Liebe zu dessen Tochter, deren Schönheit allein, ohne die Ermunterung eines großen Besitztums, das ihr ihr Vater mitzugeben gedachte, ein zureichender Grund für jedes Mannes Liebe zu ihr sein konnte. Des jungen Kaufmanns Glück war so groß, dass das Mädchen mehr als gewöhnliche Zuneigung zu ihm empfand. Ihr beiderseitiges Unglück aber ließ geschehen, dass der Vater sich ihrer Liebe versah, und dass er, um sie durch fernere Zusammenkünfte nicht weiter anzufachen, seine Tochter der sorgsamen Aufsicht ihrer Tante übergab und anempfahl, die sein Vertrauen so gewissenhaft in Obacht nehmen zu müssen glaubte, dass sie das junge Mädchen nicht mehr anders als in ihrer Gegenwart ausgehen oder mit irgendeinem Menschen sprechen ließ. Wie unzugänglich sie aber auch dadurch ihre hübsche Nichte dem schmachtenden und verzweifelten Liebhaber machte, so wendete derselbe doch fortwährend jedes Mittel, den Gegenstand seiner Liebe wo nicht zu sprechen, doch zu sehen an, und umging, wiewohl erfolglos, wie ein aus seiner Ruhe gestörter Geist jederzeit das Haus, worin sie unter Schloss und Riegel gehalten ward.

Zuletzt erbarmte sich das Schicksal dennoch der Leiden der beiden getreuen Liebenden und gab dem Köpfchen der jungen Dame einen Anschlag ein, dem zufolge sie einen wechselseitigen ununterbrochenen brieflichen Verkehr mit ihrem Geliebten haben könne. Sie unterrichtete ihn von dem, was sie ersonnen hatte, in den folgenden Zeilen, die sie gelegentlich einmal zum Fenster hinausfallen ließ.

Teuerster Freund meines Lebens!

Die Sittsamkeit verhindert mich, dir den Kummer und die Unruhe zu schildern, die es mir erregt, also alles Umganges mit dir, deiner Unterhaltung und deiner Gesellschaft beraubt zu sein. Mein Leidwesen darüber ist umso größer, als ich dich so oft sehe, ohne dass ich doch zu dir kommen kann. Inzwischen hat mir meine Erfindungskraft jüngst einen kleinen Trost gegönnt, indem sie mich einen Weg ausfindig machen ließ, auf dem wir uns unsere Gemüter durch Briefe gegeneinander aufschließen mögen. Dies verhält sich mit kurzen Worten so. Du musst wissen, dass ich den Kragen von meines Vaters mit Samt gefüttertem Mantel ein wenig aufgeschlitzt und einen Brief dahinein gesteckt habe. Sei also dienstfertig gegen ihn, sobald er wieder zu deinem Herrn kommt, und hilf ihm seinen Mantel abnehmen, den er von sich zu legen pflegt, wenn er zu Tische geht. Du findest in dem Kragen meine Seele enthalten, und ich erwarte, dass du an ihrer statt die deine an mich zurücksenden wirst, die da nicht länger lebt als liebt. –

Das Vergnügen, das der junge Kaufmann über diese Zeilen empfand, war unaussprechlich und stand nur seiner Freude über den sowohl ersonnenen Anschlag nach, dem gemäß er jede Woche zweimal von dem Troste seines Lebens und von der Bewahrerin seiner Glückseligkeit Nachrichten zu erhalten hoffen konnte.

Das verliebte Paar unterhielt durch diese List den lebhaftesten Briefwechsel eine geraume Zeit, bis ihre Sehnsucht nach einer Zusammenkunft beinah alles verdorben hätte. Der Liebhaber gab nämlich der Geliebten einen Ort an, wo er sie treffen wollte, und sie stahl sich, wie er es wünschte, nur freilich nicht unbemerkt, aus dem Hause. Ihre Tante hatte sie wohl bewacht, folgte ihr nach dem Orte der Zusammenkunft und fand daselbst den jungen Mann bei ihr, den sie kannte und den sie für seine Kühnheit, ihre Nichte verführen zu wollen und einem Glücke nachzustreben, das viel zu erhaben für einen so niedrigen Erdwurm sei wie er, mit einem Strome von Vorwürfen übergoss, indem sie ihm erklärte, sie wolle ihren Bruder von seinen betrüglichen Absichten in Kenntnis setzen, der sich schon vor ihm zu schützen wissen werde, und indem sie ihn mit ihren andern Drohungen aller Art so danieder geschlagen hatte, dass er mehr zu bemitleiden war, als man sich denken konnte, entfernte sie sich mit ihrer Verwandten.

Sofort als der alte Herr am Abende nach Hause kam, ward er von seiner Schwester auch wirklich mit dem bekannt gemacht, was in seiner Abwesenheit trotz ihrer Vorsorge und Wachsamkeit mit seiner Tochter vorgegangen sei. Nahe daran, über diese Mitteilungen verrückt zu werden, würde er auch gewiss von jedermann für unsinnig gehalten worden sein, der da seine Äußerungen und Reden vernommen hätte, deren jede ein unableugbares Zeichen der Tollheit in sich trug. Er legte seiner Tochter Hunderte von Schimpfnamen bei, durch deren gelindesten schon er ihr eine empfindliche Kränkung bereitete, schalt sie eine liederliche, leichtfertige Dirne, ein ungeratenes Kind, schwur ihr auf das Teuerste zu, dass sie sich ebenso schmeicheln könne, ihn jemals in diese Heirat willigen zu sehen, als er etwa geneigt werden möge, ihr eigener Kuppler zu sein, so lange ihm keine Zauberei seine gesunden Sinne verblendete, und machte ihren Zustand dadurch wahrhaft unerträglich, dass er ihr nicht ein einziges Wort zu ihrer Selbstverteidigung vorzubringen gestattete, sondern zur Türe hinausstürmte und sie stehen ließ, als sie es dennoch eben versuchen wollte, ihn mit guten Worten zu beschwichtigen.

In einer Art war es dem Mädchen allerdings lieb, dass sie einige Frist in ihrer Bedrängnis gewann; denn sie begab sich alsbald, nachdem ihr Vater von ihr gegangen war, in ihr Zimmer, schloss sich ein und schrieb ihrem Geliebten einen Brief, den sie, wie schon gesagt, in den Mantelkragen schob, und worin sie ihm ihres Vaters Betragen gegen sie schilderte, ja sogar die Schimpfnamen, die er ihr gegeben hatte, und die andern Ausbrüche seines Zornes auf das genaueste verzeichnete.

Der alte Mann stand am nächsten Tage mit dem frühesten Morgen in heftiger Leidenschaft auf und trabte London zu; weil er keine wichtigeren Geschäfte hatte, als dem Kaufmann, seinem Freunde, zu wissen zu tun, wie er von dem verwegenen jungen Mann gemissbraucht werde, und als seine Galle und Bosheit deswegen an dem Unglückseligen auszulassen.

Der junge Mann war eben nicht zu Hause, als er kam, und der Handelsherr hatte also das volle Maß der ersten Wutausbrüche des alten Gentleman auszustehen, den er inzwischen schon ein wenig besänftigt hatte, als sein Angestellter zurückkehrte, indem es ihm gelungen war, denselben in dem Lichte eines durchaus nicht so verächtlichen Schwiegersohnes erscheinen zu lassen, als es den Anschein haben dürfe, denn er besitze so und so viel an jährlichem Einkommen in Ländereien, überdies ein gutes Stück Geld, mit dem schon ein Anfang zu versuchen sei, und würde von ihm selbst, sobald er frei wäre, mit eintausend Pfund Kredit bereitwillig aufgeholfen werden, weil er das größte Vertrauen rechtfertige.

So lange dies Gespräch dauerte, schritten die beiden Freunde eine große Halle auf und ab und hing der Mantel des alten Herrn vom Lande im Sprechzimmer, wo zu Mittag gegessen ward. Dieser Umstand gab dem Liebhaber bei seiner Ankunft die Gelegenheit, zuvörderst nach den gewöhnlichen Mitteilungen seines Mädchens unter dem Kragen zu sehen. Es lässt sich wohl denken, wie sehr es ihn schmerzen und wie sehr es ihn betrüben musste, daraus abzunehmen, welche Behandlung ihr um seinetwillen von ihrem Vater widerfahren war. Er konnte das Geschehene freilich nicht ändern, und so entschloss er sich, soviel Nutzen wie möglich aus den empfangenen Nachrichten zu ziehen.

Er hatte seinen Brief eben vollständig überlesen, als die beiden alten Herren in das Sprechzimmer zu ihm eintraten, wo der vom Lande alsbald gegen ihn zu toben und ihn auf eine fast unerträgliche Weise zu schelten anhub, indem er ihn einen Bettler, Dieb, Taugenichts und Betrüger nannte und ihm seine unverschämte Dreistigkeit vorhielt, ihn seiner einzigen Tochter, der dereinstigen Erbin von mehr als vierzigtausend Pfunden, zu berauben.

Der junge Mann hörte mit vieler Geduld alle Schmähungen bis zu Ende an und erwiderte dem Vater seiner Geliebten sodann bescheiden: Sie verdienen gewiss großen Tadel, lieber Herr, mich so heftig zu schelten und zu erniedrigen, das es ihnen doch wohl bekannt sein muss, dass ich ebenfalls ein Gentleman und überdies ein geborener Grundbesitzer bin. Es ist aber kein Wunder, Sir, fügte er hinzu, dass Sie mich mit so unschicklichen Ausdrücken beleidigen, da Sie ja selbst Ihre eigene sittsame und tugendhafte Tochter nicht schonen, ihr die gemeinsten Schimpfnamen beilegen und sie ein ungeratenes Kind, eine liederliche, leichtfertige Dirne so unverdienterweise nennen, dass Ihnen keine Rücksicht gegen sie heilig ist, und dass Sie sich unnötigerweise so hoch und teuer gegen unsere Verbindung verschwören, als würden Sie ebenso wenig darein willigen, wie etwa in eigener Person unser Kuppler zu sein oder Ihre gesunden Sinne durch Zauberei verblenden zu lassen. – Ei, Gott bewahre mich vor Hexenmeistern und Zauberern! rief der alte Herr. Ein anderer Mensch als ein Teufelskünstler hätte die Namen nicht gehört. Ich habe freilich meine Tochter so genannt, ich gebe es zu. Doch es ist schon gut, mein Herr. Ich weiß nun, wie ich mir einen solchen Schelm vom Halse schaffen kann. Ich freue mich darüber sehr. Ich werde Sie als einen Schwarzkünstler vor Gericht ziehen und anklagen und hoffe Sie wegen Ihrer Teufelskünste als baldigst brennen und braten zu sehen.

Der verständige Kaufmann veranlasste aus Wohlwollen seinen Diener fortzugehen, wie er die Leidenschaft und das kindische Toben seines alten Freundes sah, und verlieh jenem dadurch die gehörige Zeit, an seine Geliebte zu schreiben, derweil er diesem eine bessere Meinung von dem jungen Manne einzuflößen trachtete. Nach Tische begab sich der Kaufmann mit dem alten Herrn abermals in den großen Saal, und der Liebhaber benutzte ihre Entfernung dazu, seinen Brief mit dem abgestatteten Berichte gewohnter Weise unter den Kragen des Mantels zu bergen.

Ein redlicher Bote war der alte Herr gewiss, der da die Liebesbriefe seiner Tochter meilenweit, ohne einen Pfennig Lohn zu fordern, hin und wieder trug! Noch an diesem Tage nach seiner Behausung zurückgekehrt, hing er seinen Mantel an dem Nagel auf, wie es seine Weise war, führte seine Schwester in den Garten beiseite und besprach sich da mit ihr, indem er ihr alles erzählte, was zwischen ihm und seinem Freunde und dessen Diener vorgegangen sei. Mittlerweile suchte aber seine Tochter in dem Mantel nach, fand, was sie erwartete, und unterrichtete sich daraus von dem gewaltigen Aufstande, den ihr Vater auch gegen ihren Geliebten erhoben hatte, der ihr Wort für Wort dessen beleidigende, gegen ihn angewendete Sprache wiederholte und ihr schließlich, um dies alles zu versüßen, scherzhafterweise erzählte, wie er von ihm gar im vollen Ernste für einen Hexenmeister gehalten worden sei, weil er ihm seine gegen sie gebrauchten unbilligen Ausdrücke vorgehalten habe.

Sobald der alte Mann mit seiner Schwester aus dem Garten zurückkehrte, fiel er scheltend und schimpfend abermals heftig über seine Tochter her. Sie sagte aber zu ihm: Lieber Vater, tun Sie mit mir, wie Sie wollen, behandeln Sie mich, nennen Sie mich nach Ihrem Wohlgefallen. Obschon ich Ihren Zorn und Ihre unfreundlichen Reden nicht verdiene, so will ich doch alles geduldig ertragen. Behandeln Sie nur nicht jenen rechtschaffenen jungen Mann so schlecht; halten Sie sich versichert, dass er kein Bettler, kein Taugenichts, kein Dieb und Betrüger, noch weniger aber ein Zauberer und Hexenmeister ist, der als Schwarzkünstler angeklagt und verbrannt zu werden verdient. – Gott sei bei mir und bewahre mich! rief der alte Mann entsetzt von neuem aus. Muss ich meine eigene Tochter zur Hexe werden sehen! Nun gut, nun gut! Wenn es denn so ist, so gebe ich meine Einwilligung, dass ihr zusammen an einem Pfahl verbunden und vermählt werden mögt, und dass sie euch an eurem Hochzeitstage ein Freudenfeuer anzünden, wie es lange Zeit keinem Brautpaar so leicht geleuchtet haben wird.

Eben diese Worte schrieb das Mädchen ihrem Liebhaber und sendete sie ihm in ihres Vaters Kragen nächsten Tages zu. Der junge Mann fand sie richtig vor, las sie und erwartete den alten Papa, der mit seinem Herrn zusammen war, um sich von demselben genaue Auskunft über des Dieners Vermögen und Aufführung erteilen zu lassen, und der danächst so vieles Gute und Löbliche über ihn im allgemeinen und über seinen Fleiß und seine Betriebsamkeit in den Geschäften von dem braven Mann vernahm, dass er von alle Dingen höchlich zufriedengestellt ward und allmählich anfing, zu einer Unterredung mit seinem wohl oder übel ihm aufgedrungenen Schwiegersohne willig zu werden. Wie er nun nach einer kleinen Weile diesem gegenüberstand und eben den Mund auftun wollte, um ihn mit etwas weniger Ärger und Erbitterung, nach seinem Sinne sehr gemäßigt, anzureden, fiel ihm der Jüngling in das Wort und sagte zu ihm: Lassen Sie Ihre Grausamkeit mit einem mal fahren, Sir, ich bin bereit zu der Heirat am Pfahle, die Sie gestern Abend Ihrer Tochter vorschlugen, und wofern ich nur mit meiner Geliebten leben kann, werde ich auch froh und zufrieden sein, mit ihr in den Tod zu gehen. – Der alte Herr war ein Staunen und eine Verwunderung, dass er sich musste auswärts wiederholen hören, was er in seinem eigenen Hause im Schoße seiner Familie erst vor so wenigen Stunden gesprochen hatte. Sobald er sich ein wenig hatte sammeln und seinen Groll in sich zurückdrängen können, sagte er zu dem Jünglinge: Da ich nun wohl einsehe, dass sich alles für diese Heirat gegen mich verschworen hat, und dass die Gestirne sogar wider mich zu Felde ziehen, so sollen Sie meine Tochter unter der einzigen Bedingung haben, dass Sie mir zu wissen tun, wie Sie zu dieser höchst wunderbaren Wissenschaft, ob mit des Teufels oder mit des Schutzengels Hilfe, gekommen sind. – Der junge Mann entgegnete: Weder ich noch Ihre Tochter kommen zu der gegenseitigen Kenntnis dessen, was Sie in der Entfernung gesagt haben, auf eine andere geheime Weise als auf eine solche, wozu uns menschliche Mittel und Wege befähigen. Soll ich sie Ihnen verraten, so müssen Sie mir vorher das Versprechen geben, demjenigen zu verzeihen, der uns dabei behilflich ist. – Nun und nimmermehr, rief der alte Herr vor Wut außer sich, nein, nein! – Ich will den Schurken eher im Hospital verfaulen oder in Tyburn hängen oder ewig verdammt sehen als das tun. – Nicht doch, Sir, sagte der Jüngling, Sie tun unrecht, so unerbittlich grausam – gegen sich selbst zu sein; eben durch Sie, durch Sie ganz allein wurden wir von Ihrem Tun und Lassen in Kenntnis gesetzt. Sie waren unser Briefträger und Liebesbote, der unsere Liebesbriefe hin und wieder trug. – Himmel! Was! Wie kann das sein! schrie der Alte und ließ vor Verwunderung seinen Mund offen stehen. – Um Sie zu überzeugen, dass ich die Wahrheit rede, sprach der andere, will ich Ihnen gleich auf der Stelle einen Brief in dem Kragen Ihres Mantels zeigen, der diesen Abend durch Ihre gütige Vermittlung Ihrer Tochter zugestellt wird. –

Bei diesen Worten nahm er den Mantel in die Hand und zeigte seinem künftigen Schwiegervater den Schlitz, der schon so viele Briefe des einen Liebenden an den anderen geborgen hatte.

Um nicht weitläufig zu werden, bleibt nur so viel zu sagen übrig, dass der listige Anschlag dem alten Herrn am Ende selbst großes Vergnügen machte. Er gewann in kurzer Zeit den rechtschaffenen Jüngling lieber, als er ihn vorher gehasst hatte, gab am Hochzeitstage seiner Tochter eine große Summe Geldes mit und hinterließ ihr und ihrem Gatten alles, was er hatte, als er noch vor dem Verlaufe von zwölf Monaten das Zeitliche gesegnet.

Die Liebenden in Dalmatien

Die Liebe, wie sie von verständigen Männern sehr richtig geschildert worden, ist nichts anderes als eine unvernünftige Sehnsucht und eine rastlose Leidenschaft, die vermöge unzüchtiger Gedanken sich in das Herz geschlichen hat. Ihre heillosen Folgen sind: Verschwendung der irdischen Güter, Vergeudung der Kräfte des Körpers, Verwirrung des Geistes und Verlust der Freiheit. Es ist in ihr kein Grund, keine Ordnung und gar keine Beständigkeit. Sie ist die Mutter der Untugend, die Feindin der Jugend und des Alters Tod. Dass sie selten, wenn überhaupt, zu einem glücklichen, ruhmwürdigen Ausgange führt, mag hiermit auch die Geschichte von einer Jungfrau aus der Familie Spoletina beweisen, die der Liebe zufolge elendiglich endete.

Unfern der namhaften, am Meere gelegenen dalmatischen Stadt Ragusa liegt eine kleine, gemeinhin die mittlere genannte Insel, auf der sich ein festes, wohlbegründetes Schloss befindet. Zwischen Ragusa und dieser Insel ragt eine Klippe aus der See empor, auf der man weiter nichts als eine äußerst kleine Kapelle und eine schlechte Bretthütte antrifft. Es wohnen dort keine Menschen, weil der Boden unfruchtbar und die Luft ungesund ist, und nur ein Jüngling namens Calogero Teodoro brachte vor Zeiten einmal auf dem Felsen, einem um seiner Sünden willen getanen Gelübde gemäß, sein Leben im Dienste des armseligen Gotteshauses zu. Weil er seinen Unterhalt nicht mit diesem Amte zu verdienen vermochte, ging er dann und wann nach Ragusa oder nach der mittleren Insel und bettelte, und so trug es sich zu, dass Teodoro, seiner Gewohnheit nach auf der Insel Brot als Almosen einsammelnd, eines Tages fand, was er nimmermehr zu finden vermeint hatte.

Denn es traf mit ihm eine schöne und liebreiche Jungfrau, Margarita genannt, zusammen, der es bei dem Anblicke seiner männlichen Wohlgestalt und Bildung bedünken wollte, dass er doch viel mehr zum Genusse menschlicher Freuden als zur Einsamkeit geschaffen sei, und die ihn deswegen so innig in ihr Herz Schloss, dass sie Tag und Nacht keinen anderen Gedanken hatte als ihn. Calogero, der in seiner Unbefangenheit sich dessen nicht versah, fuhr fort, des öfteren um Almosen ansprechend, in ihr Haus zu kommen, und wie heftig auch Margarita in Liebe zu ihm entzündet war, so wagte sie doch niemals, wenn sie ihm ihre milden Gaben spendete, ihm ihre Leidenschaft zu verkünden. Am Ende freilich gab ihr die Liebe, der getreue Hort aller, die ihren Spuren folgen, und die allzeit sichere Führerin zu dem ersehnten Ziele, eine ausreichende Kühnheit ein, und sie wendete sich mit diesen Worten an den Jüngling: Bruder Teodoro, du Trost meines Herzens, mich quält eine so heftige Leidenschaft zu dir, dass du mich bald entseelt vor dir erblicken wirst, wenn du mir keine Hilfe leihst. Die Flammen meiner Liebe verzehren mein Leben, und es löscht sie nur deine Gegenliebe aus.

Margarita vergoss reichliche Tränen, sobald sie dies gesprochen hatte, und der ihre Liebe vorher nicht ahnende Calogero blieb wie angewurzelt vor ihr stehen. Nachdem er sich indessen ein wenig wieder gesammelt hatte, ließ er sich mit ihr des weiteren ein, und es gab so lange ein Wort das andere, bis sie untereinander die himmlischen Dinge beseitigten und sich zu den irdischen wandten, wobei ihnen denn eben nichts Wichtigeres mehr zu bedenken übrigblieb als die Ermittlung einer Gelegenheit, heimlicherweise zusammenzukommen, um ihre Sehnsucht zu befriedigen. Die schlaue Jungfrau sagte zu ihrem Geliebten: Verlass dich auf mich, mein Teuerster, dass ich bereits ausfindig machte, was wir zu tun haben, und höre mich aufmerksam an: Du stellst in der vierten Stunde der nächstfolgenden Nacht ein brennendes Licht an das Fenster deiner Hütte, und ich komme zu dir, sobald ich es wahrgenommen habe. – Teodoro sagte zwar: Wie gedenkst du über das tiefe Meer zu kommen, mein holdes Herz? Du weißt, dass keines von uns beiden einen Kahn zur Überfahrt besitzt, und dass es unsere Ehre und unser beider Leben in Gefahr bringen würde, vertrauten wir uns anderen Menschen an. – Die Jungfrau erwiderte ihm aber: Überlass nur mir diese Sorge einzig und allein; ich werde dich besuchen ohne unser Leben zu gefährden: sobald ich das brennende Licht gesehen habe, schwimme ich zu dir hinüber, und kein Mensch erfährt etwas von unserem Tun. – Auch seine ferneren Einwürfe: Du läufst Gefahr zu ertrinken, da du, ein so junges, zartes Mädchen, unmöglich Kraft und Atem genug haben wirst, dich die weite Strecke entlang über Wasser zu erhalten, wusste sie mit den Worten zu beschwichtigen: Fürchte nicht, dass ich aus Mangel an Atem sinken könnte, ich schwimme mit den Fischen um die Wette.

Calogero gab am Ende dem festen Willen der Jungfrau nach. Sobald die finstere Nacht angebrochen war, zündete er ihrer Weisung gemäß ein Licht an seinem Fenster an, legte ein schneeweißes Linnentuch zurecht und erwartete mit heißem Verlangen die Liebreizende. Margarita hatte zu ihrer innigsten Freude noch nicht so bald das Flämmchen entdeckt, als sie ihre Kleider von sich warf und sich barfuß und im bloßen Hemde an das Gestade des Meeres schlich, wo sie auch die letzte Hülle abwarf und um ihren Kopf wickelte. Darauf stürzte sie sich nackt in das weite Meer und verstand ihre Arme und Füße so wohl zum Schwimmen zu rühren, dass sie in weniger als einer Viertelstunde bei der Hütte des sie erwartenden Calogero landete. Teodoro nahm das Mädchen, sowie er sie vor sich erblickte, bei der Hand, führte sie in seine niedrigste Behausung, wo er mit dem weichen Linnen eigenhändig ihre feuchten Glieder trocknete, und pflog mit ihr auf seiner Lagerstätte zwei volle Stunden lang der seligen Ruhe zärtlicher Gespräche und zärtlicherer Umarmungen.

Die gar wohl befriedigte Jungfrau schied zwar endlich dies erste Mal von dem geliebten Freunde, mochte aber auch in der Folge der Zeit dem süßen Drange der Gewohnheit so wenig widerstehen, dass sie jedes Mal, wenn sie das verabredete Zeichen des brennenden Lichtes erschaute, zu Teodoro durch das Meer hinüberschwamm.

Das ewig blind wechselnde Glück harrte freilich nicht lange Zeit bei den Liebenden aus. Denn eines Nachts, als die Luft von einem lästigen Nebel ringsumher erfüllt war, warf sich die Jungfrau, die das Licht hatte schimmern sehen, in das Meer und ward, durch die Wellen sich Bahn brechend, von einigen unfern von ihr auf den Fang ausgegangenen Fischern wahrgenommen. In der anfänglichen Meinung, der schwimmende Körper sei ein Fisch, setzten sich die fremden Männer alsbald in Bewegung, um näher hinzusehen, und erkannten ein in des Calogero Hütte verschwindendes Weib. Höchlich darob verwundert, ruderten sie nunmehr dicht zu dem ärmlichen Häuschen und blieben in dessen Nähe so lange verborgen, bis die Jungfrau es wieder verließ und nach der mittleren Insel zurückschwamm.

Der Schleier der Nacht hüllte die Unglückliche nicht so tief in seine Falten ein, dass er sie hätte bewahren können, von ihren Verfolgern erkannt zu werden. Gewannen die neugierigen Fischerleute also die Gewissheit, in der kühnen Schwimmerin Margarita Spoletina vor sich zu sehen, so begleiteten sie dieselbe öftere Male in der Stille der Nacht auf ihren gefahrvollen Wegen und nahmen sich jedes Mal untereinander vor, nachdem sie zum Verständnis des anzeigenden Lichtschimmers gelangt waren, das Ereignis geheim zu halten. Gedachten sie aber andererseits wiederholt der Beschimpfung, die eine ehrenwerte Familie bedrohte, und der Todesgefahren, in die das junge Mädchen sich begab, so wurden sie am Ende anderen Sinnes und entschlossen sich, Margaritens Brüdern das bedenkliche Geheimnis anzuvertrauen.

Die Brüder ergriff kein geringer Zorn, als die Fischer zu ihnen ins Haus kamen und ihnen die unerwartete Neuigkeit hinterbrachten. Sie wollten ihr keinen Glauben beimessen, bevor sie sich nicht durch den eigenen Augenschein davon überzeugt hätten. Sobald sie aber erst keine Zweifel mehr gegen die Wahrheit der Anklage ihrer Schwester hegen konnten, beschlossen sie deren Tod, den sie nach reiflicher Überlegung auf die folgende Weise bewerkstelligten.

In der Dämmerung des Abends bestieg der jüngere Bruder einen Kahn, fuhr allein in aller Stille zu Calogero und ersuchte ihn, ihn für diese Nacht bei sich zu beherbergen, weil ihm ein Unfall zugestoßen sei, um dessentwillen er Gefahr laufe, von den Gerichten verhaftet und zum Tode verurteilt zu werden. Calogero, der seinen Gast als Margaritens Bruder kannte, nahm ihn wohlwollend und mit Freuden auf, indem er die ganze Nacht hindurch über verschiedene Dinge mit ihm sprach und ihm das Elend sowie die Nichtigkeit alles Weltlichen und die menschliche Sündhaftigkeit auseinandersetzte, welche die Seele zu ertöten und zur Sklavin des Teufels zu machen pflegt.

Derweil also der jüngere Bruder bei Calogero blieb, verließen auch die andern heimlicherweise die Wohnung, nahmen eine Segelstange und ein Licht und bestiegen eine Barke, in der sie nach der Hütte Calogeros steuerten. In deren Nähe angelangt, richteten sie die Segelstange empor, befestigten die angezündete Laterne daran und erwarteten, was geschehen werde. Das Mädchen hatte kaum das brennende Licht aus der Ferne erspäht, so vertraute sie sich, wie sie es gewohnt war, dem Meere an und schwamm der Hütte ihres Geliebten rüstig zu; ihre Brüder aber fassten bei dem Geräusche, das ihre die Fluten zerteilenden Arme machten, ihre Ruder in die Hand und entfernten sich höchst langsam und geräuschlos mit dem aufgestellten Lichte von der Hütte, ohne von der Schwester gehört oder in der Finsternis der Nacht irgend gesehen zu werden. Der armen Margarita Auge erblickte nichts als das trügerische Licht, wonach sie ihre Richtung nahm. Die grausamen Brüder ruderten allmählich weit in das hohe Meer hinweg, zogen dann die Segelstange ein und löschten das Licht aus.

Sowie Margarita das Licht nicht mehr leuchten sah und nicht mehr wusste, wo sie war, entsetzte sie sich über die Maßen und gab sich für verloren, da sie sich außer dem Bereich aller menschlichen Hilfe sah. Das Meer verschlang die von der langen Anstrengung des Schwimmens Ermattete wie ein geborstenes Schiff. Überzeugt, dass ein Ausweg der Rettung für ihre ihnen nachgefolgte Schwester nicht mehr vorhanden sei, verließen die Brüder sie mitten auf dem offenen Meere und kehrten in ihre Wohnung zurück. Der jüngere Bruder dankte beim Anbruche des Tages Calogero für seine gastliche Aufnahme und ging von dannen.

Es verbreitete sich durch den ganzen Flecken die traurige Kunde, Margarita Spoletina werde vermisst. Die Brüder gaben sich das Ansehen, darüber schwer betrübt zu sein, doch in ihrem Herzen waren sie erfreut.

Erst mit dem Ausgange des dritten Tages warf das Meer den Leichnam der Verunglückten an Calogeros Gestade. Der Jüngling fand ihn, erkannte ihn und hätte vor Schmerz über dieses Wiedersehen fast selbst seine Seele ausgehaucht. Ohne dass sich dessen jemand versah, zog er den toten Körper an einem Arme aus den Wogen in die Höhe und trug ihn in sein Haus, wo er sich über das bleiche Antlitz der Geliebten warf und lange Zeit ihren Verlust beweinte, indem seine Tränen im Übermaße auf die weiße Brust hinabtroffen, und seine von Schluchzten und Seufzern erstickte Stimme umsonst ihren Namen rief.

Der nächste Gedanke des leidtragenden Teodoro war die würdige Beerdigung der Ertrunkenen und die Stiftung frommer Werke in Gebeten und Fasten zu der Wohlfahrt ihrer Seele. Er nahm deshalb den Spaten zur Hand, mit dem er gemeiniglich sein Gärtchen umzugraben pflegte, grub eine Grube in seinem kleinen Gotteshause, drückte dem Leichnam unter vielen Tränen Mund und Augen zu, setzte ihm einen Kranz von Rosen und Violen, den er selbst wand, auf das Haupt und senkte ihn, indem er ihn küßte und segnete, in das Grab hinab, das er mit Erde wieder zuwarf.

Auf solche Weise wurde die Ehre der Brüder und der Schwester gerettet, und nimmermehr verlautete, was aus Spoletina geworden sei.

Die Vergiftung

In der Romagna lebte vor Zeiten ein reicher Edelmann, der sich nach dem Tode seiner Frau, die ihm einen Sohn geboren hatte, zum zweiten Male verheiratete und durch diese zweite Ehe Vater eines zweiten Sohnes ward, der zwölf Jahre zählte, als der ältere dreiundzwanzig alt war.

Da ließ sich die mit Reizen mehr als mit guten Sitten ausgestattete Stiefmutter von der Schönheit ihres tugendsamen Stiefsohnes so arg verblenden, dass sie die Augen einer leidenschaftlichen Liebe auf ihn warf, die zwar anfänglich ihre edleren Kräfte nicht überstieg, in der Folge aber ihr innerstes Mark so tief mit verzehrendem Feuer durchdrang, dass sie sich, zur Verleugnung ihrer Herzenswunde, das Ansehen geben musste, von einem geheimen Fieber ergriffen zu sein.

Unfähig, ihre frechen Wünsche länger in sich zurückzudrängen, ließ sie ihren Stiefsohn durch eine Magd zu sich in ihre Schlafkammer entbieten, wo dieser sie mit freundlichen Worten um ihre Leiden befragte, und redete ihn, dadurch verwegener geworden, folgenderweise an, indem sie ihr Antlitz aus Scham in die Linnen ihres Bettes verbarg und einen Strom von heißen Tränen aus ihren Augen weinte:

Der Grund und der Ursprung meines schmerzenvollen Leidens, mein Heil und meine Rettung aber auch bist du allein. Diese deine glühenden Augen haben ihre Strahlen durch die meinen in mein Herz gesenkt und in meiner armen Brust verderbliche Flammen entzündet. Habe Mitleid mit mir, die um deinetwillen stirbt und laß dich von dem väterlichen Verwandschaftsbande nicht abhalten, mir zu helfen, denn du erhälst mich also meinem Gemahle, dessen Ebenbild mir die Liebe in dir zu erkennen gibt. Wir sind beide hier allein und unbewacht, und was ohne gesehen zu werden geschieht, ist so gut wie ungeschehen.

Der fromme Jüngling empörte sich innerlichst über diese Zumutung, und obschon er eine so ungeheure Sünde so tief verabscheute, dass er aus den Augen seiner Stiefmutter hätte entweichen mögen, ohne sie einer Antwort zu würdigen, schien es ihm doch bei reiferem Bedacht nicht ratsam, sie durch eine entschiedene Zurechtweisung aufs äußerste zu reizen, und er nahm sich vor, sie eine Zeitlang hinzuhalten, damit sie sich womöglich ihres schmählichen und seltsamen Gedenkens entäußere. Er antwortete ihr darum, sie möge sich nur ihrer Genesung befleißigen und getrosten Mutes werden, er verheiße ihrer Liebe den verdienten Lohn; mit welchem Zuspruch er sie für den Augenblick beschwichtigte.

Da nun der Jüngling bei sich erwog, dass einer so außerordentlichen Not auch nur auf eine ungemeine Weise abzuhelfen sei, so erachtete er es für angemessen, die ganze Sache einem verständigen Greise zu vertrauen, der ihm in seiner Kindheit ein getreuer Lehrer gewesen war und ihn auch gegenwärtig noch durch die Fährnisse der Jugendjahre leitete. Der weise Meister wusste, was ein lustbesessenes Weib vermag, und riet seinem Zöglinge, mit beflügelter Eile dem Verderben zu entfliehen, das das finstere Schicksal über seinem Haupte zusammenzog. Doch ehe noch der junge Mann diese wohlmeinende Warnung beachten konnte, hatte schon das jeden Tag der Verzögerung ihres schändlichen Genusses für ein Jahr ansehende Weib ihrem Gatten die Einsicht beigebracht, einige seiner auswärtigen Besitzungen bedürften seiner Gegenwart, und ihn solchergestalt auf ungewisse Zeit von sich entfernt, indem sie ihren Stiefsohn mit allstündlichen Mahnungen an seine Zusage belästigte.

Der Jüngling suchte sich zwar bald auf diese, bald auf jene Art und Weise bei ihr zu entschuldigen und hätte sie gern so lange mit Worten hingehalten, bis ihn eine von ihm beabsichtigte Reise vor ihr sichere. Indessen versah sich das durch ihre lang umsonst genährten Hoffnungen über die Maßen ungeduldig gewordene Weib der Nichtigkeit der Gründe, womit er ihr unablässig die Erfüllung dessen verzögerte, was er ihr immer wiederholt versprach, und ihre Entrüstung darüber verwandelte ihre ruchlose Liebe zu ihm in einen noch viel ruchloseren Hass, demzufolge sie mit einem vertrauten Sklaven Mittel und Wege der Rache beriet und den Unglücklichen durch Gift zu töten beschloss.

Der bübische Sklave litt keinen Aufschub dieser grausamen Tat, sondern ging alsbald aus dem Hause und kehrte am späten Abende mit einem in einen Becher gefüllten Tranke zurück, den er in dem Zimmer seiner Gebieterin mit Wein vermischte und in einen Schrank zu anderen Lebensmitteln stellte, um ihn dem Jüngling nächsten Tages zum Mittagsmahle zu reichen.

Wie es nun aber das Schicksal ganz anders wenden mochte, so fühlte der zwölfjährige Sohn des gottvergessenen Weibes, nachdem er am folgenden Morgen aus der Schule gekommen war und ein kleines Frühstück verzehrt hatte, so starken Durst, dass er dem aus Fahrlässigkeit des Sklaven unverschlossen gebliebenen Schranke den Becher mit dem vergifteten Weine entnahm und bis auf den Boden leerte. Er sank in kurzem wie tot zur Erde nieder, und es entstand ein großer Lärm im Hause, als das Unglück zu allgemeiner Kenntnis gedieh. Der Glaube an Vergiftung ward ausgesprochen, und die herbeigerufene Mutter zog den Sklaven, der das Gift eingekauft hatte, beiseite und verabredete mit ihm, ihren Stiefsohn der erschrecklichen Tat des Zufalls zu beschuldigen.

So trat der feile Knecht öffentlich mit der Erklärung auf: er wisse gewiss, dass der älteste Sohn des Hauses der Urheber des Verbrechens sei, weil der ihm vor wenigen Tagen fünfzig Scudi geboten habe, wenn er die Ermordung des Knaben befördere; auf seine Weigerung ihn hingegen mit der Androhung des Todes habe einschüchtern wollen, damit er von diesem an ihn ergangenen strafbaren Antrage nimmermehr das mindeste verlauten lasse. Die böse Stiefmutter schickte eilig nach den Häschern aus, ließ den unschuldigen Jüngling auf diese Anklage hin in den Kerker führen und unterrichtete ihren Gatten von dem, was geschehen sei, durch einen Boten.

Wer beschreibt den Schmerz des beklagenswerten Vaters, als er bei seiner Rückkehr zuerst das von dem Sklaven ihm wiederholte Zeugnis und sodann die Aussage seiner Frau vernahm: der Jüngling habe das Verbrechen begangen, weil sie seinen tödlichen Drohungen Trotz geboten und sich fortwährend geweigert habe, sein unkeusches Verlangen nach ihr zu befriedigen. Er sah seinen jüngsten Sohn tot vor sich hingestreckt liegen und den ältesten um dieses Brudermordes willen dem Tode verfallen. Das heuchlerische Jammergeschrei des Weibes erhöhte die Gewalt seines Zornes gegen den Unschuldigen. Und so war das Begräbnis des Knaben kaum beendigt, als der alte Mann mit seinem in Tränen gebadeten Antlitz unmittelbar von der Gruft nach dem Rathause ging und laut und dringend das Todesurteil dessen erflehte, den er der Blutschande, um des dem väterlichen Ehebette zugedachten Schimpfes willen, des vollbrachten Brudermordes und des angedrohten Muttermordes zieh. Er hatte mit seinem Klagen und Stöhnen die Gemüter des Volkes zu so stürmischem Mitgefühl aufgeregt, dass es mit lautem Geschrei verlangte, den unmenschlichen Verbrecher, ohne weiteren Zeitverlust mit Anklage und Verteidigung, auf öffentlichem Markte zu steinigen. Die Richter waren freilich der gerechten Meinung, den Spruch nicht anders als dem allen Brauche gemäß zu fällen, nachdem die Sache vollständig abgehört und reiflich erwogen worden sei, und ließen durchaus nicht zu, dass ein so grausames Urteil auf bloße Erbitterung hin, ohne Überführung und Rechtskräftigkeit an einen Menschen ergehe. Sie beschieden Kläger und Beklagten förmlich vor Gericht, der Vater wiederholte in Gegenwart des Sohnes seine Beschuldigung, und der Jüngling leugnete. Eine so ernste Sache war nicht mit Mutmaßungen und unbegründetem Verdachte, wohl aber nur mit überzeugenden Beweisen der Wahrheit zu beendigen. Darum ward auch der Sklave vorgeführt, der sein richterliches Verhör mit kaltem Mute bestand und sein Zeugnis noch durch das freiwillige Anerbieten, mit dem Jünglinge zugleich die Folter zu erdulden, bekräftigte. Es war unter den Richtern kein einziger dem Beklagten günstig genug gesinnt, um nicht dem einstimmigen Erkenntnisse beizupflichten, die Marter des Strickes zuerst ihm selbst und nur auf sein beharrliches Leugnen sodann dem Sklaven zuzuerkennen.

Demnächst erhob sich aber aus der Mitte des unbeteiligten anwesenden Volkes ein höchst unbescholtener und in großem Ansehen stehender Arzt dieser Stadt und brach in folgende Worte aus: Ich vermag es nicht zu dulden, dass dieser Jüngling ungerechterweise von euch gefoltert und getötet werde. Ich zeuge zwar für seine Unschuld nur als ein Einzelner gegen einen Einzelnen; aber ihr erkennt mich alle für den rechtschaffenen Mann, der ich bin, und meine Gegenpart für einen feilen Knecht, der nicht einen, sondern tausend Galgen verdient. Ich stütze mich auf die Kraft meines guten Gewissens und erzähle euch die Sache, wie sie sich in der Tat verhält. Der Schurke da kam zu mir und forderte mir ein schnell wirkendes Gift ab, wofür er mir einen Preis von fünfzig Golddukaten bot, indem er vorgab, desselben für einen Kranken bedürftig zu sein, der Tag und Nacht von einer unheilbaren Wassersucht geplagt werde und mit äußerster Sehnsucht nach dem Tode und der Erlösung von seinen zahllosen Leiden verlangte. Da ich sah, wie verlegen der elende Sklave um Worte war, seinen faulen Antrag zu beschönigen, so fing ich an zu argwöhnen, er möge darunter einen schlechten Streich im Sinne hegen, und stand im Begriff, ihn abzuweisen. Indem drängte sich mir aber der Gedanke auf, wofern ich dies täte, würde er zu einem anderen gehen, der vielleicht, weniger vorsichtig als ich, in sein Verlangen willigte. Ich fand also für angemessen, ihm zwar einen Trank zu geben, von dessen Natur ihr späterhin hören sollt, seine mir angebotene Bezahlung aber nicht unbedingt dafür anzunehmen, weil ich in der gewissen Überzeugung stand, dass diese Sache mit der Zeit einmal in Untersuchung kommen werde. Ich sagte also zu ihm: Da unter deinem Gelde wohl einige falsche oder leichte Dukaten befindlich sein könnten, mein Freund, so tue mir doch den Gefallen und zahle sie hier in diesen Sack, den du mit deinem Ringe versiegeln magst. Wenn du späterhin wieder einmal zu mir kommst, so haben wir beide wohl mehr als heute Zeit, damit an eine Bank zu gehen, um sie prüfen zu lassen. Der Sklave siegelte nach meinem Willen den Sack mit seinem Siegel zu, und hier nehmt ihn selbst in Augenschein, mein Bruder brachte ihn für euch herbei. Der Schelm verleugne mir sein Siegel, wenn er es imstande ist, und sehe zu, wie er den guten Jüngling noch länger des Mordes mit Gift beschuldige, das er selbst von mir empfangen hat.

Mittlerweile der Ehrenmann diese Worte sprach, ward der schmutzige Sklave wie eine Leiche anzusehen. Seine Knie schlotterten, Fieberschauer durchzuckten ihn, einzelne Tropfen eiskalten Schweißes traten ihm auf die Stirn, und er warf den Kopf krampfhaft bald da-, bald dorthin empor, indem er anhub mit kleinlautem Munde einige unverständliche Worte abzukauen, deren sich selbst widersprechende Verworrenheit das offenbarste Zeugnis von seiner Schuld ablegte. Nichtsdestoweniger bekämpfte der ausgelernte Bösewicht seine Furcht so erfolgreich, dass er, seine vorige Besonnenheit sofort wieder gewinnend, den Arzt der Lüge zieh und alles kurzweg leugnete.

Aber auch der ehrsame Alte, dessen eigener guter Name jetzt mit auf dem Spiele stand, verabsäumte nicht, in seinen Gedanken alle Mittel zu Rate zu ziehen, den Schuldigen zu entlarven und die Wahrheit an den Tag zu bringen. Er forderte also einen der Diener der Gerechtigkeit auf, dem Sklaven seinen Ring vom Finger zu ziehen und mit dem Siegel zu vergleichen. Es geschah: Ring und Siegel wurden als übereinstimmend gefunden, und die Richter hielten sich nun für berechtigt, den Verbrecher auf die Folter bringen zu lassen, die ihm anfänglich allerdings kein Geständnis seiner Tat entriss.

Der Arzt redete hierauf die Richter solchergestalt nochmals an: So wisset denn, dass, als mich dieser Schelm bewegen wollte, ihn mit Gift zu versehen, es mir als einem guten Arzte nicht wohl anzustehen schien, durch meine Wissenschaft einen Menschen um das Leben zu bringen, insofern der Herr uns armen Sündern die Kunde zu heilen zu unserem Nutzen und nicht zu unserem Schaden verliehen hat, und dass ich ihm eben deswegen, weil ich, wie gesagt, besorgte, er möge, wo ich ihn abwiese, von einem anderen durch die Liebe zum Golde das erlangen, was er fordere, nicht Gift, sondern einen Trank von Alraunwurzel gab, der die Eigenschaft besitzt, solange seine Wirkung dauert, an so tiefen Schlaf zu fesseln, dass der, welcher ihn zu sich genommen hat, wie tot erscheint. Wofern also jener Knabe den ihm von mir bereiteten Trunk genossen hat, so lebt er, ruht und schlummert und wird seine Augen wieder nach dem schönen Sonnenlichte aufschlagen, sobald die Kraft seiner Natur den dichten Nebel dieses Schlafes durchbrochen hat. Ist er hingegen wirklich tot, so suchet anderwärts den Grund dazu. – Nachdem der Arzt diese Worte gesprochen hatte, schien es allen das Wichtigste, unverzüglich nach der Gruft des Knaben zu gehen, um sich über den seltenen Fall Licht zu verschaffen. Der Sklave und der ältere Sohn wurden inzwischen in sicherer Haft gehalten, und der Vater wälzte mit eigenen Händen den Denkstein von dem Grabmale ab. – Da erwies es sich denn, dass die Hilfe nicht länger hätte anstehen dürfen. Der Vater umarmte seinen noch lebenden Sohn mit leicht zu erachtender Zärtlichkeit, und da es seiner Freude an allen Worten gebrach, so trug er ihn stillschweigend aus der Gruft und stellte ihn dem Richter vor.

Weil der Sklave den Knaben am Leben sah und Verzeihung für seine Tat zu erlangen hoffte, die keinen Mord nach sich gezogen habe, nicht weniger aber auch um der ferneren Tortur zu entgehen, gestand er alles ein.

Man schleppte in Folge seiner Aussage die böse Stiefmutter in den Kerker, und sie bekannte nach einem kurzen Verhör und nach wenigen angewandten Martern auch ihrerseits alles.

Das richterliche Urteil sprach dem Knechte für seinen beabsichtigten Mord den Tod am Galgen zu und würde auch gegen die Sünden der Stiefmutter streng ausgefallen sein, hätten ihr nicht die Bitten des Vaters und Sohnes das Leben errettet. Sie wurde für immer aus der Stadt verbannt, dem Arzte ließ man nach allgemeiner Übereinkunft das von ihm für den Trunk bereits in Gewahrsam gehaltene Gold, und der glückliche Vater oder unglückliche Gatte tauschte also für sein treuloses Weib zwei ihm schon verlorengegangene Kinder ein.

Der Kuss

In Moncalieri, einem nahe bei Turin gelegenen Flecken, lebte einst ein junges Weib von vierundzwanzig Jahren, namens Madonna Zilia Duca, deren Mann vor kurzem gestorben war, und die zwar für ziemlich schön erachtet wurde, aber ein unfreundliches und bäuerisches Wesen zur Schau trug. Sie hatte den Entschluss gefasst, sich nicht wieder zu verheiraten, und widmete sich ausschließlich der Sorge für einen kleinen drei- bis vierjährigen Knaben, der ihrer Ehe entsprossen war. Ihre Haushaltung glich viel mehr der einer armen Frau als einer Edeldame ihres Standes, denn sie unterzog sich sogar der geringsten häuslichen Verrichtung selbst, um nur nicht mehrere Dienstboten halten zu müssen. Sie ließ sich selten öffentlich sehen und ging Feiertags am frühen Morgen in eine kleine, unfern gelegene Kirche in die Messe, aus der sie alsbald wieder nach Hause kam. Die allgemeine Sitte der Frauen dieses Landes, alle Gäste zu küssen, die sie in ihrem Hause besuchten und sich mit jedem vertraulich zu unterhalten, vermied sie, indem sie ohne allen Umgang einsam für sich blieb.

Da trug es sich zu, dass Herr Filiberto von Virle, ein Edelmann des Landes und sehr tapferer Krieger, einmal nach Moncalieri kam, wo er kurz zuvor, ehe er nach Virle zurückkehren wollte, in einer und derselben Kirche mit Madonna Zilia die Messe hörte, die junge Frau sah und so schön und reizend fand, dass er, in Liebe zu ihr entzündet, sich erkundigte, wer sie sei, und von seiner Neigung nicht ablassen konnte, wiewohl er von ihrem Denken und Tun nicht eben Günstiges hörte.

Herr Filiberto kehrte zwar noch an dem nämlichen Tage nach Virle zurück, beschloss aber, sobald er einige Geschäfte geordnet hatte, wieder nach dem nicht entfernten Moncalieri zu gehen, um dort solange als möglich zu verweilen und mit allem Fleiße die Gegenliebe der jungen Witwe zu erstreben. Er führte diesen Entschluss aus, indem er sich unter einem schicklichen Vorwande in Moncalieri niederließ und anfing, sich aller Gelegenheiten zu bedienen, um seine Geliebte zu sehen. Er gewann ihren Anblick freilich kaum Feiertags, und dann war sie so kurz angebunden, wenn er versuchte, sich mit ihr in ein Gespräch einzulassen, dass sie ihn schon beim zweiten Worte stehen ließ und nach Hause ging. Er führte deswegen ein sehr betrübtes Leben und wusste sich auf keine Weise von seiner Leidenschaft zu befreien. Er nahm seine Zuflucht auch zu anderen Frauen, um der Auserwählten mündliche und schriftliche Botschaften zu gelangen zu lassen; aber es blieb alles vergebens, was er für seine Liebe tat, denn Frau Zilia erwies sich schroffer gegen ihn als eine Klippe im Meere und würdigte ihn niemals einer Antwort. Da sich nun der unglückliche Liebhaber solchergestalt gar nicht mehr zu trösten und zu raten wusste, so verlor er allen Schlaf und Esslust und erkrankte gefährlich. Die Ärzte erkannten natürlich die Ursache seines Übels nicht, waren unfähig, ihm ein Mittel dagegen zu geben und ließen den armen Jüngling mit schnellen Schritten ohne Rettung dem Tode entgegengehen.

Während seiner Krankheit besuchte ihn ein anderer Kriegsmann aus Spoleto, der mit ihm eng verbrüdert war. Diesem erzählte Herr Filiberto die ganze Geschichte seiner Liebe, schilderte ihm die Härte und Grausamkeit seiner spröden Geliebten und versicherte ihm, dass, wenn sein Herz nicht bald erleichtert werde, es vor übergroßer Pein und Betrübnis gewiss brechen müsse. Als der Spoletiner somit den Grund der Krankheit seines Freundes erfuhr, dem er mit vieler Liebe zugetan war, antwortete er: Laß mich nur gewähren, Filiberto, ich mache dir sicherlich Mittel und Wege ausfindig, wie du sie nach deiner Bequemlichkeit sprechen kannst. – Ich verlange nichts mehr als dies, entgegnete der Kranke, um kühn genug zu sein, sie zum Mitleid mit mir zu bewegen. Wie willst du es aber anfangen? Ich habe schon so viele Mühe an sie verschwendet und noch nichts von ihr erlangt! – Sieh du nur zu, dass du gesund wirst, fuhr der Spoletiner fort, alles übrige laß meine Sorge sein. – Von dieser Zusage ward Herr Filiberto so zufriedengesellt, dass er gleich darauf eine wunderbare Stärkung fühlte und in wenigen Tagen imstande war, das Bett zu verlassen.

Die Spoletiner sind bekanntermaßen Schwätzer und unternehmende vielbewanderte Schlauköpfe, die zum Verwundern gut verstehen, anderen Menschen alles einzureden, was sie ihnen einzureden im Sinne haben. Auch der größte Teil derer, die darauf ausgehen, einfältige Menschen zu betrügen, indem sie Schlangen und Nattern im Lande herumtragen oder ein ähnliches Gewerbe treiben und an öffentlichen Orten singen, sind Spoletiner. Ein Landsmann von diesen Leuten war Filibertos Freund und hatte zu seiner Zeit vielleicht auch auf mehr als einem Markte Bohnenasche für Krätzensalbe verkauft. Er sah Herrn Filiberto nicht so bald wiederhergestellt, als er, seines ihm gegebenen Versprechens eingedenk, in die Herberge seiner Landsleute ging, die mit einem am Halse festgebundenen, unter dem linken Arme hängenden Korbe von Ort zu Ort ziehen, um seidene Bänder, Fingerhüte, Stecknadeln, Schnuren, Borten, Rosenkränze und anderen weiblichen Krimskrams zum Verkauf auszurufen und mit einem von ihnen das Abkommen traf, ihm seine Kleider und seinen Kram zu überlassen. Als Hausierer verkleidet, begab er sich dann in die Stadtgegend, wo Frau Zilia wohnte, und begann straßauf, straßab wandelnd seine Waren laut und öffentlich feilzubieten. Frau Zilia hörte seine Stimme und ließ ihn zu sich rufen, weil sie eben einiger Schleier benötigte. Von dem Gelingen seines Anschlags ermutigt, trat er keck in ihr Haus und begrüßte sie mit schmeichelnden, gefälligen Worten, als ob er ihr vieljähriger Bekannter wäre. Sie streckte, bald dies, bald jenes aufnehmend, die Hand in seinen Korb, und er breitete ihr dienstfertig bald Schleier aus, bald rollte er ihr Bänder auf. Wie sie nun eine gewisse Art Nesseltuch liegen sah, die ihr gefiel und von der sie eben einige Schleier zu haben wünschte, sagte sie: Guter Mann, wie verkauft Ihr die Elle von diesem Stück? Wenn Ihr es mir billig ablasst, so nehme ich fünfunddreißig Ellen davon. – Madonna, erwiderte der Spoletiner, gesetzt, dass dies Schleiertuch Euch gefällt, so nehmt es hin und fragt nicht weiter, was es kostet, denn ich bin schon bezahlt; und nicht nur der Schleier allein, sondern auch alles, was Ihr hier vor Euch seht, ist unentgeltlich Euer, und Ihr braucht es Euch nur anzueignen. – O! sprach die Dame, ich mag nichts haben, was ich auf keine ehrbare Art gewinnen kann; ich danke Euch für Eure Anerbietungen. Sagt mir, was Ihr für das Nesseltuch fordert, und ich werde es Euch richtig bezahlen. Ein Mann, der sich seinen Unterhalt so mühsam erwerben muss wie Ihr, hat nicht so viel auf einmal zu verschenken, darum nennt mir den genauesten Preis. – Ich schenke Euch damit nichts, sondern gewinne auch meinerseits, wenn Ihr von diesen Sachen etwas annehmen wollt, versetzte der Spoletiner. Und wofern Ihr wirklich so freundlichen Sinnes seid, als Euer Ansehen verkündiget, so werdet Ihr diese Schleier und auch noch andere Dinge, die Euch Wohlgefallen, Euch schenken lassen, denn der, der sie Euch bietet, gäbe nicht bloß sein ganzes Hab und Gut, sondern selbst sein Leben gern für Euch hin.

Die Dame ward über diese Äußerung rot wie eine rote Rose, wenn sie beim Aufgang der Maisonne ihre jungen Blätter zu entfalten beginnt, sah dem Spoletiner fest ins Angesicht und sagte: Ihr setzt mich durch Eure Reden in höchliches Erstaunen, und ich möchte wohl wissen, wer Ihr seid und welche Absichten Ihr dabei haben könnt. Ihr irrt Euch übrigens ganz und gar in mir und haltet mich für ein Frauenzimmer, das ich auf keine Weise bin. – Der Spoletiner ließ sich nicht aus der Fassung bringen, sondern erzählte der Dame mit schicklichen Worten, wie sehr Filiberto ihr ergeben sei und aus Liebe zu ihr leide, wie sie doch niemand in der Welt habe, über dessen Person und Eigentum sie so verfügen könne wie über ihn und das seinige, und wie er nicht nur ein reicher und in Virle gewaltiger, sondern auch ein ganzer Ehrenmann sei. Kurz, er wusste ihr so vieles vorzureden und sie so gut umzustimmen, dass sie am Ende, Zeit und Ort nennend, ihrem Liebhaber ein geheimes Gehör zugestand. Herr Filiberto war, als er diese gute Nachricht hörte, von dem, was der Spoletiner für ihn getan hatte, völlig befriedigt. Er begab sich, der empfangenen Weisung gemäß, zur Zusammenkunft mit Frau Zilia in ein Zimmer ihres Hauses zu ebener Erde und traf dort die ihn in Gesellschaft einer Dienerin erwartende Dame an. Das Zimmer war groß genug, dass beide gemächlich miteinander sprechen konnten, ohne von der Magd gehört zu werden. Herr Filiberto fing also mit den gewähltesten Ausdrücken an, seiner Schönen die Liebesflamme seiner Leidenschaft zu offenbaren, und bat sie auf das zärtlichste, sich seiner zu erbarmen und ihn als ihren getreuesten Diener sich gefallen zu lassen. Er mochte indessen sagen, was er wollte, so konnte er doch keine andere Antwort von ihr erhalten, als dass sie eine Witwe sei, die für die Erziehung ihres Sohnes Sorge zu tragen habe, und der es nicht anstehe, auf solche Sachen wieder zurückzukommen; dass es ihm aber dagegen an der Wahl unter anderen viel schöneren Frauen, als sie sei, gewiss niemals fehlen werde. Wie nun der arme Liebhaber hieraus nach vielen Hin- und Widerreden ersah, dass er sich eine vergebliche Mühe gab, ihre Grausamkeit und unempfindliche Härte gegen ihn zu erweichen, so sprach er zu ihr mit tränenfeuchten Augen, vor Herzensweh fast vergehend: Da Ihr mir denn, meine gestrenge Gebieterin, auf alle Weise die Hoffnung abschneidet, Euch meine Liebesdienste widmen zu dürfen oder Euch sogar jemals wieder so ungehindert wie heute zu sehen und zu sprechen, so gewahrt mir wenigstens gegenwärtig bei unserem Scheiden für meine lebenslängliche Liebe zu Euch die Gunst eines einzigen Kusses, den ich mir, als ich hierherkam, nach unserer Landessitte nehmen wollte, den Ihr mir aber unbilligerweise verweigert, obwohl es Euch recht gut bekannt sein wird, dass ein bei einer Begegnung zwischen Männern und Frauen öffentlich gegebener Kuss keine Schande ist. – Die Witwe dachte ein wenig bei sich nach und sagte dann: Ich will doch sehen, Herr Filiberto, ob Eure Liebe wirklich so brünstig ist, als Ihr vorgebt. Ihr sollt jetzt den von mir verlangten Kuss haben, wenn Ihr mir etwas, das ich von Euch verlangen werde, zu vollbringen schwört und Euern Schwur so unverbrüchlich haltet, dass ich darin ein Zeugnis Eurer getreuen, echten Anhänglichkeit an mich erblicken kann. – Der unvorsichtige Liebhaber schwur, alles zu tun, was ihm irgend möglich sei und fügte hinzu, dass er ihrer an ihn zu stellenden Forderung gewärtige. Sie schlang darauf ihre Arme um seinen Hals, küßte ihn auf den Mund und sagte: Monsignore Filiberto, ich habe Euch den von mir erbetenen Kuss in der Hoffnung gegeben, dass Ihr auch Eurerseits tun werdet, was ich von Euch fordere: ich erkläre Euch also, dass ich erwarte, Ihr werdet, Eurem Versprechen gemäß, von dieser Stunde an bis nach Verlauf dreier Jahre mit keinem Menschen auf Erden, sei es, wer da wolle, weder mit einem Manne noch mit einem Weibe, auch nur ein einziges Wort reden und also diese ganze Zeit über stumm bleiben. – Herr Filiberto kam von seinem Erstaunen bald wieder zu sich, und wiewohl ihm dies Gebot unbillig, unvernünftig und höchst schwer zu halten schien, so winkte er doch mit der Hand, zum Zeichen, dass er es vollbringen wolle, beugte vor der Geliebten seine Knie und ging von ihr in seine Wohnung zurück. Daselbst über seine Lage und über den geleisteten verhängnisvollen Schwur nachdenkend, setzte er sich vor, der Verbindlichkeit, welche er in unbedachtem Leichtsinn auf sich geladen hatte, sich mit standhaftem Ernste und mit äußerster Gewissenhaftigkeit zu entledigen. Er stellte sich also an, die Sprache von ungefähr verloren zu haben, ging von Moncalieri wieder hinweg nach Virle und machte sich wie ein Stummer nur durch Zeichen oder schriftlich verständlich. Das Beileid, welches man ihm allgemein bezeigte, war groß, und jedermann hielt es für ein höchst wunderbares Ereignis, ihn ohne alle äußere Veranlassung oder bedingenden körperlichen Krankheitsfall mit einem Male des Gebrauchs der freien Rede beraubt zu sehen. Herr Filiberto brachte inzwischen schnellmöglichst seine Angelegenheiten in Ordnung, bestellte einen leiblichen Vetter zu seinem Anwälte, machte sich wohlberitten und reiste, nachdem er Sorge getragen hatte, dass ihm zu gewissen Zeiten Gelder nachgeschickt würden, durch Piemont nach Lyon in Frankreich ab, unterwegs durch seine körperliche Schönheit und Anmut bei jedermann Teilnahme erweckend, der ihn sah und von seiner traurigen Geschichte Kunde erhielt.

Es hatte in jener Zeit König Karl VII. von Frankreich einen grausamen Krieg mit den Engländern gehabt und entriss ihnen mit der Gewalt der Waffen fortwährend die Eroberungen wieder, die sie vor vielen Jahren seinen Vorfahren auf dem französischen Throne abgewonnen hatten. Indem er sie nun gegenwärtig aus der Gascogne und andern Gegenden vertrieb, war er auch dabei, die Normandie von ihnen zu reinigen, wohin sich Herr Filiberto, als er von diesen Verhältnissen benachrichtigt wurde, an den königlichen Hof begab. Bei seiner Ankunft fand er unter den anwesenden Baronen einige Freunde, die ihm einen sehr guten Empfang bereiteten und ihn von Herzen bemitleideten, als er ihnen zu verstehen gab, durch ein unglückliches rätselhaftes Missgeschick die Sprache verloren zu haben. Über seine gegen sie geäußerte Absicht dieser Reise, in die Kriegsdienste des Königs zu treten, erwiesen sie sich sehr erfreut, da sie ihn als einen Mann von hohem Mute und großer Tapferkeit kannten, und so geschah es, dass unmittelbar nach seiner vollständigen Ausrüstung ein Angriff auf Rouen, die Hauptstadt der Normandie, unternommen ward. Herr Filiberto zeichnete sich bei diesem Sturme gleich den besten Rittern des Heeres aus und trug durch seine unter den Augen des Königs bewährte Tapferkeit und Erfahrung nicht wenig dazu bei, dass die Stadt bei einem zweiten Sturme fiel. Nach erfolgter Einnahme von Rouen ließ der König Herrn Filiberto vor sich rufen, um zu erfahren, wer er sei und ihm den verdienten Lohn seiner Taten zu geben. Als er darauf hörte, dass er einer der Herren von Virle in Piemont und vor kurzem ohne ersichtliche Veranlassung stumm geworden sei, behielt er ihn als seinen Kammerherrn mit Verleihung des üblichen Gehaltes bei sich, ließ ihm zweitausend Franken gleich bar auszahlen, indem er ihn ermahnte, ihm ferner so zu dienen, wie er bereits den Anfang gemacht habe und versprach, zu seiner Wiederherstellung alles Mögliche zu tun. Herr Filiberto dankte dem Könige mit stummen Gebärden demütig für alle seine Gnade und erhob die Hand zum Zeichen, dass er nicht ermangeln werde, ihm getreulich zu dienen.

Eines Tages trug es sich zu, dass beim Übergang über eine Brücke ein heftiges Scharmützel zwischen den Franzosen und ihren Feinden und über das allgemeine Schlachtgeschrei ein solcher anwachsender Aufruhr in dem Heere des Königs entstand, dass er zur Ermutigung der Seinigen sich bewogen fand, selbst in den Kampf zu gehen und bald diesen, bald jenen tapferen Ritter, zuletzt auch namentlich Herrn Filiberto den weichenden Scharen zu Hilfe zu senden. Sowie nun der stumme Liebhaber des siegenden englischen Heerführers Talbot auf der Brücke ansichtig ward, sprengte er mit eingelegter Lanze auf ihn ein und wusste sein Ziel so geschickt zu treffen, dass er Roß und Reiter zu Boden warf. Er nahm dann einen starken und gewichtigen Streitkolben zur Hand, stürzte sich damit grausam wütend unter die Feinde und tat keinen Hieb umsonst, sondern tötete oder schmetterte mit jedem wenigstens einen der Engländer zu Boden, die er also mit ihrem mühsam auf ein Pferd gehobenen Feldherrn bald in wilder Flucht die Brücke zu verlassen zwang.

Dieser Sieg bewirkte, dass die ganze Normandie den Franzosen in die Hände fiel, deren König, in Anerkennung der ihm von Filiberto geleisteten Dienste, den Ritter in Gegenwart aller Großen seines Hofes belobte, ihm einige Schlösser schenkte, die Führung von hundert Kriegern übertrug und durch tägliche Begünstigungen seine Huld zu erkennen gab. Auch stellte er nach beendigtem Kriege in Rouen ein festliches Kampfspiel an, bei dem sich die Blüte der französischen Ritterschaft vereinigte und Herr Filiberto den ersten Preis gewann.

Wie nun Karls VII. Liebe zu diesem tapfern Manne immer mehr zunahm und in ihm den innigen Wunsch erregte, ihn von seinem Gebrechen geheilt zu sehen, so veranlasste sie ihn zuletzt, öffentlich durch alle seine Länder bekanntzumachen: Er habe an seinem Hofe einen plötzlich über Nacht stumm gewordenen Edelmann und sage dem, der erbötig und imstande sei, ihn zu heilen, eine Belohnung von zehntausend Franken zu. Diese königliche Bekanntmachung verbreitete sich nicht nur durch ganz Frankreich, sondern auch durch Italien. Die Habsucht trieb in der Tat viele Ultramontanen und Franzosen an, einen Versuch zu wagen. Es blieb aber alles fruchtlos und vergebens, da kein ärztliches Bemühen dem Stummen die Sprache wiedergeben konnte. Wie nun der König sah, dass die Anzahl der herbeiströmenden Ärzte und Laien, die ihre Kunst und ihr Glück an seinem Günstling erprobten, sich von Tag zu Tag vergrößerte und dieser Umstand ihm am Ende den Gedanken eingab, ihre Geldgier möge viel eher als ihre Wissenschaft oder als ein vernünftiger Grund, die Heilung zu erhoffen, der Antrieb zu ihrem großen Eifer sein, so ließ er aufs neue verkünden: Dass, wer ferner die Heilung zu unternehmen willens sei, seine Bedingungen selbst festsetzen und, sobald er sie glücklich vollbracht habe, die zehntausend Franken nebst vielen anderen Geschenken erhalten solle; wogegen er, wenn sie ihm fehlschlage und er nicht selbst zehntausend Franken entrichten könne, seines Kopfes verlustig gehe. Nachdem dieser strenge Beschluss allgemein verbreitet worden war, verlor sich die Zahl der Ärzte mit einem Male, wiewohl noch einige sich von eitler Hoffnung verblenden ließen, die große Gefahr zu bestehen, und also teils die zehntausend Franken zu bezahlen oder das Haupt zu verlieren, teils zu lebenslänglicher Haft verurteilt wurden.

Auch nach Moncalieri war der Ruf von diesen Ereignissen und von Monsignore Filibertos da Virle großem Reichtum und ungewöhnlichem Ansehen bei dem Könige von Frankreich gedrungen. Als nun Madonna Zilia davon hörte, der die Ursache, aus der Filiberto seit zwei Jahren nicht gesprochen hatte, am besten bekannt war, nahm sie an, dass er vielmehr aus Liebe zu ihr als aus Ehrfurcht vor dem ihr geleisteten Schwure geschwiegen habe. Sie hegte überdies die Meinung, dass diese Liebe zu ihr noch in derselben Inbrunst, die er ihr in Moncalieri dargetan habe, fortbestehe und beschloss, nach Paris zu gehen, wo sich der König damals aufhielt und Herrn Filiberto die Zunge zu lösen, um die zehntausend Franken zu gewinnen. An die Möglichkeit, dass der auf ihr Verlangen Verstummte, wenn er sie sähe und von ihr gebeten würde, zu sprechen, etwa doch nicht sprechen wolle, dachte sie nicht. Ihre häuslichen Angelegenheiten also gehörig ordnend und über ihre Reise ungewisse Gerüchte in Umlauf bringend, trat sie den Weg nach Frankreich an. In Paris angelangt, begab sie sich sonder Verzug zu den königlichen Beamten, denen die Sorge für Filibertos Wiederherstellung aufgetragen war, und sagte zu ihnen: Ich bin hierhergekommen, werte Herren, um einige mir bekannte Geheimnisse der Heilkunst zur Lösung der Bande, die Monsignore Filibertos Zunge fesseln, anzuwenden, und gedenke mit Gottes und dieser Mittel Hilfe meine Aufgabe in vierzehn Tagen vollbracht zu haben. Stelle ich binnen dieser Zeit seine Gesundheit nicht vollkommen her, so will ich mein Haupt verlieren. Ich verlange aber, solange die Kur anhält, mit Herrn Filiberto in einem Zimmer allein gelassen zu werden, weil es mir nicht angenehm ist, meine Heilmittel zur Kenntnis anderer Menschen gelangen zu sehen, und weil ich auch ununterbrochen bei ihm verweilen muss, um ihm zu gewissen Stunden des Nachts Arzneien zu reichen.

Die königlichen Bevollmächtigten staunten nicht wenig, diese Edelfrau in einem so schwierigen Falle, der die gelehrtesten Männer und Ärzte Frankreichs und anderer Länder getäuscht hatte, so dreist und zuversichtlich sprechen zu hören. Sie berichteten Herrn Filiberto, dass eine Dame aus Piemont gekommen sei, um ihn zu heilen, und er erkannte sie auf der Stelle, als sie nach seinem Wunsche zu ihm geführt ward. Wie er nun aber nicht umhin konnte, dafür zu halten, dass sie nicht sowohl aus Liebe zu ihm als vielmehr aus Begierde, die zehntausend Franken zu gewinnen, sich die Beschwerden einer solchen Reise aufgebürdet habe, und wie er ferner ihre große, ihm erwiesene Härte und Grausamkeit und alle die Leiden, die sie ihm bereitet hatte, in Erwägung zog, so fühlte er, dass sich seine vordem so inbrünstige, doch schon erkaltete Liebe in den gerechten Durst nach Rache umwandelte. Er beschloss deswegen, sich mit der gestrengen Dame den Genuss zu verschaffen, welcher ihm von seinem guten Glück dargeboten ward, und sie mit verdienter Münze zu bezahlen. Sobald sich Frau Zilia mit ihm allein in seinem Zimmer befand, das hinter ihr verschlossen worden war, sprach sie zu ihm: Monsignore Filiberto, kennt Ihr mich nicht mehr? Seht Ihr nicht, dass ich Eure teure Geliebte bin, die Ihr einmal so innig zu lieben vorgabt? – Er nickte ihr bejahend zu, dass er sie wohl kenne, legte aber zum Zeichen, dass er nicht reden könne, den Finger an die Zunge, zuckte die Achseln und beharrte bei diesen stummen Gebärden, wiewohl sie ihm wiederholt versicherte, sie entbinde ihn gänzlich seines ihr verpfändeten Wortes und Schwures und sei nur in der Absicht nach Paris gekommen, um alles zu tun und zu dulden, was ihm zu Gebote stehe. Da sie nun am Ende zu ihrem größten Missvergnügen sah, dass er sein Verhalten gegen sie nicht ändere, und dass alle ihre Bitten keinen Eindruck auf ihn machten, so begann sie ihn zärtlich zu küssen und mit allen möglichen Liebkosungen zu überschütten, bis er als ein junger kräftiger Mann, der doch auch in heißer glühender Liebe zu ihr entbrannt gewesen war, sich in den längst ersehnten vollen Besitz ihrer Reize und ungewöhnlichen Schönheit setzte.

So fuhr er denn auch zwar fort, im Laufe der ihr von dem König zu ihrer Kur gestundeten vierzehn Tage sein leidenschaftliches Verlangen viele Male zu befriedigen, löste jedoch die Bande seiner Zunge nimmermehr, weil es ihm bedankte, dass jener von ihm in Moncalieri so teuer erkaufte Kuss von der Schönen nur durch eine lange und schwere Strafe abzubüßen sei. Es würde nicht wohl möglich sein, alle die Vorstellungen zu berichten, die sie ihm machte, die inständigen Bitten und Tränen zu schildern, mit denen sie ihn zu reden beschwor. Es genügte, zu sagen, dass Frau Zilia nach abgelaufener Frist, da Filiberto noch immer keinen Laut von sich gab, endlich ihre große Einfalt und Verwegenheit sowie die Grausamkeit erkannte, die sie gegen ihren Liebhaber angewendet hatte, und ihr Leben für verloren gab. Es wurde ihr darauf angedeutet, sie möge die zehntausend Franken zahlen oder berichten, weil ihr sonst des anderen Tages unwiderruflich das Haupt werde abgeschlagen werden; ihr eigenes Vermögen reichte nicht zur Entrichtung der Buße hin, und so trennte man sie von Herrn Filiberto, indem man sie ins Gefängnis brachte, wo sie sich zum Tode vorbereitete.

Als diese Kunde zu Filibertos Ohr gedrungen war, hatte sich allmählich auch seine Rache abgekühlt, und er sah die spröde Dame für genügsam gezüchtigt an. Er ging zum König, verbeugte sich mit schuldiger Ehrfurcht vor ihm und hub zu des Königs und aller Anwesenden höchlichem Erstaunen zu reden und die Geschichte seines Verstummens von Anfang bis zu Ende zu erzählen an. Er bat darauf den König auf das demütigste, alle, die um seinetwillen in dem Kerker schmachteten, und also auch die Dame von Moncalieri zu begnadigen, was der König bereitwillig tat. Frau Zilia ward ihrer Haft entlassen und wollte tief beschämt nach Piemont zurückkehren. Herr Filiberto wünschte aber, dass sie mit ihrer Begleitung sich abermals in seine Behausung möge aufnehmen lassen, rief sie, als dies geschehen war, beiseite und sprach zu ihr: Ihr erinnert Euch, Madonna, dass ich Euch in Moncalieri viele Monate lang meine Dienste widmete, weil ich in Wahrheit in heftiger Liebe zu Euch entbrannt war. Ihr erinnert Euch auch noch, dass Ihr mir für einen Kuss die Buße auferlegtet, drei Jahre lang stumm zu bleiben. Und ich beschwöre Euch, hättet Ihr mich damals oder nachmals, als ich nach Virle gegangen war, meiner Verbindlichkeit enthoben, ich wurde Euch ewig und immerdar ein getreuer Liebhaber und Freund geworden sein. Eure unmenschliche Grausamkeit hat mich aber fast drei Jahre lang unstet in der Welt umtreiben lassen, und es war keineswegs Euer günstiger Wille, sondern die Gnade des Himmels, die mir auf dieser Irrfahrt Reichtum und Ansehen bei diesem meinem edlen Fürsten erwarb. Solchergestalt denke ich zwar vollkommen zu der an Euch genommenen Rache berechtigt gewesen zu sein, will aber auch nunmehr zuvorkommend und rücksichtsvoll genug gegen Euch handeln, Euch nicht etwa, wie es eben in meiner Gewalt stand, den Kopf abschlagen lassen, sondern Euch vielmehr die Kosten Eurer Reise hierher reichlich vergüten und die Bestreitung des Aufwandes Eurer Rückreise meine Sorge sein lassen. Lernt Ihr nur aus dieser Begebenheit, inskünftig mit mehr Klugheit zu Werke zu gehen und Edelleuten größere Achtung zu bezeigen; denn Ihr habt jetzt zu Eurem eigenen Schaden das alte Sprichwort bestätigt gefunden, dass, wer andern eine Grube gräbt, zuweilen selbst hineinfällt. – Hierauf ließ er sie freigebig beschenkt von dannen ziehen.

Der König wünschte Herrn Filiberto später vermählt zu sehen und gab ihm eine reiche junge Frau, die ihm mehrere Schlösser einbrachte. Filiberto entbot auch seinen Spoletiner Freund mit der Zeit nach Paris und behielt ihn bei sich, indem er ihm eine gemächliche Zukunft bereitete. Er selbst erhielt sich fortwährend in der Huld seines königlichen Herrn und Gebieters und wusste sich auch nach Karls VII. Ableben bei dessen Nachfolger Ludwig XI. beliebt zu machen.

Der Kavalier auf den Knien

Madame Grasset war eine junge reizende Witwe von zweiundzwanzig Jahren, die noch alle ihre Kindesunschuld und infolge einer eigentümlich strengen Klostererziehung eine ungewöhnliche Sprödigkeit und Verschämtheit an sich hatte, welche Eigenschaften durch ihre fünfjährige Ehe mit einem reichen alten Geheimschreiber des Königs, der ihr ein Vermögen von dreißigtausend Talern hinterlassen, nichts weniger als gestört und beeinträchtigt worden waren.

Während ihres Klosterlebens zur Genüge in ihren etwaigen Bedürfnissen nach Einsamkeit gesättigt, fand sie gegenwärtig ganz und gar keinen Geschmack an der Abgeschiedenheit einer Witwenschaft und sah sie deshalb auch schon vier Monate nach dem Tode ihres ehelichen Versorgers nicht eben mürrisch darein, wenn ihre Freunde davon sprachen, sie zum andern Male auf eine ihrem Alter angemessene Art zu verheiraten.

Da nun auch bereits ihre Eltern, und zwar bald nach ihrer Vermählung, gestorben waren, so stand sie jetzt als unbeschränkte Herrin ihres Schicksals ganz allein in der Welt und lebte fast ausschließlich der Sorge für ihre Schönheit, die nebenbei ihrer erfahrenen Kammerfrau anvertraut war. Ihr Vermögen, ihre Jugend und ihre Reize ließen es ihr natürlich nicht an Anbetern fehlen. Sie hatte deren jeder Art, einige hatten sich auch schon erklärt. Aber der Anstand, die Rücksicht auf die öffentliche Meinung und mancherlei Streitigkeiten, die zwischen ihr und den Verwandten ihres Mannes wegen der Erbschaft ob schwebten, zwangen sie, ihre Gesinnung zurückzuhalten, derweil andere Liebhaber noch nicht gewagt oder Gelegenheit gefunden hatten, ihre Absichten auf ihre Hand auszusprechen oder sich ihr zu nähern.

Unter der Zahl dieser letzteren befand sich der Chevalier d’Argencourt, ein junger Mann, der nicht viel älter war als sie selbst, seit fünf Jahren unter den Musketieren des Königs diente und als unbemittelt sich durch eine vorteilhafte Heirat emporzuhelfen suchte. Er war von angenehmem Äußern und von gutem Hause und verfehlte nicht, seit einem Monate, da er die Augen seines Herzens und seines Verstandes auf die Witwe geworfen hatte, sich ihr bei jeder Gelegenheit zu zeigen und sie mit seinen verliebten Blicken allerwärts zu verfolgen.

Ein Musketier des Königs war nicht gewohnt, den schmachtenden Schäfer zu spielen. Ärgerlich über den geringen Erfolg seiner Liebäugeleien und im Vertrauen auf seine persönlichen Vorzüge, fasste also d’Argencourt den raschen Entschluss, seine Geliebte in der Nähe und mit einem entschiedenen Angriff zu bestürmen und ihr seine Leidenschaft rund heraus zu erklären, es möge darauf folgen, was da wolle. Zu diesem Endzweck erkühnte er sich, da die junge Witwe das zweite Stockwerk in dem Hause eines Sachverwalters bewohnte, dessen Haustür immer offen steht, noch desselben Abends bei einbrechender Dunkelheit ihre Treppen emporzusteigen, um, nachdem er sich versichert habe, dass sie allein sei, sich eine ungestörte Unterredung mit ihr zu verschaffen. Seltsamerweise fand er, als er vor ihrer Wohnung angelangt war, die Eingangstür offen stehen. Auch nahm er niemand wahr, der sich erboten hätte, ihn anzumelden. Dieser Umstand nötigte ihn, geradezu einzutreten; und so schritt er aus einem Gemach in das andere, bis er zuletzt in dem Schlafzimmer seiner Schönen diese in einer auffallenden Lage antraf.

Es hatte nämlich die Kammerfrau ihrer Gebieterin ein gewisses, körperliche Erleichterung bewirkendes Mittel zurechtgemacht und das dazu dienende Werkzeug auf einen zur Seite ihres Bettes stehenden Sessel neben eine das Zimmer schwach beleuchtende brennende Kerze gelegt. Die Bettvorhänge waren halb zurückgeschlagen, und die Witwe ruhte, das Gesicht gegen die Wand gekehrt, zur Aufnahme des lindernden Mittels bereit, auf ihrem nächtlichen Lager, derweil die Dienerin, die vergessen hatte, weiße Wäsche herbeizubringen, deswegen noch einmal in das obere Gestock in eine Vorratskammer geeilt war und, um Zeit zu sparen, alle Türen offen gelassen hatte.

Nicht wenig erstaunt über das sich seinen Augen also darbietende unerwartete Schauspiel, wollte der Chevalier doch nicht eine so gute Gelegenheit verabsäumen, der schönen Witwe einen Dienst zu leisten, und ohne sich daher von dem reizenden Anblick blenden zu lassen, nahm er geräuschlos das Werkzeug zur Hand, ließ sich vor der Dame auf ein Knie nieder und erfüllte mit ebenso großer Schnelligkeit als Gewandtheit das Amt der Zofe, worauf er gleich die Vorhänge wieder niederließ, das Instrument auf den Stuhl zurücklegte und, ohne ein Wort zu sagen, so geschwind das Zimmer verließ, dass er die halbe Treppe schon hinabgestiegen war, als die Kammerfrau außer Atem die geholte Wäsche herzubrachte und beim Eintritt in das Schlafzimmer ihrer Gebieterin von weitem zurief: Verzeihen Sie, dass ich Sie habe warten lassen. Sie haben wohlgetan, nicht unbedeckt liegen zu bleiben, geschwind, kommen Sie. Ich fürchte beinahe, dass es kalt geworden ist. – Ich glaube, du bist närrisch, erwiderte die Witwe: Willst du, dass die Sache zweimal geschehen soll? – Die Zofe hatte mittlerweile das Instrument an ihre Wange gehalten, es leer und kalt befunden und deswegen den Schluss gezogen, ihre Gebieterin habe sich selbst geholfen. Sie sagte also zu ihr, indem sie die Vorhänge voneinander schlug: Ich hätte wahrlich nicht geglaubt, Madame, dass sie imstande sein könnten, sich in der kurzen Zeit, in der ich oben war, vor Ungeduld selbst zu bedienen! – Nun, ich gestehe, Margot, ich weiß nicht, was ich von dir denken soll, sprach die Witwe: Du verrichtest mir den Dienst vor einem Augenblicke und gibst dir jetzt schon das Ansehen, nichts mehr davon zu wissen! – Ich, Madame? entgegnete die Zofe: Auf Ehre und Gewissen, ich habe es nicht getan. Sie treiben Ihren Scherz mit mir! – Nein, nein, wiederholte die Frau vom Hause, ich spreche in vollem Ernste. Du musst wohl nicht mehr bei Verstande sein! –

Dieser Wortwechsel zwischen der Witwe und ihrer Dienerin ward immer eifriger und führte am Ende dahin, dass beide nach langen gegenseitigen Beteuerungen nicht wussten, was sie von dem Vorfalle denken sollten, und lieber gar annahmen, der Geist des vor zwei Tagen gestorbenen Apothekers, welcher der Witwe gegenüber gewohnt hatte, möge sich in der andern Welt ihres Bedürfnisses versehen und der Versuchung nachgegeben haben, seine gewohnte irdische Amtsvorrichtung noch einmal an ihr auszuüben.

Die starke Abergläubigkeit der beiden Frauenzimmer prägte ihnen diese abenteuerliche Vorstellung so fest in den Sinn, dass sie keinen Augenblick anstanden, sie für wahr anzunehmen. Noch an dem nämlichen Abende war es, Margots Plauderhaftigkeit zufolge, das Gespräch des ganzen Stadtviertels, dass der Apotheker aus Gefälligkeit für Madame Grasset aus jenem Leben wiedergekommen sei; und die junge Witwe entsetzte sich darüber dergestalt, dass sie nicht mehr allein schlafen wollte und Margot die Nacht bei sich in ihrem Zimmer behielt, ja, am folgenden Morgen noch bei weitem ängstlicher geworden war.

D’Argencourt war aus dieser Unternehmung als der selbstzufriedenste und verliebteste Mann auf Erden hervorgegangen. Seine Leidenschaft hatte sich um das Doppelte gesteigert. Er brachte die Nacht in der höchsten Unruhe zu, und als er mit Anbruch des Tages aufgestanden war, fand er in dem erlebten Abenteuer Gelegenheit zu einer Liebeserklärung von der lustigsten Art. Er ergriff die Feder und schrieb einen Brief, den er sich vorsetzte, der jungen Witwe solchergestalt in die Hand zu spielen, dass sie nicht erraten sollte, woher er käme. Um dies zu bewerkstelligen, vertraute er sich seiner Wirtin an, die er als eine in jeder Art von Intrigen bewanderte Frau kannte. Sie versprach ihm, seinen Wünschen nachzukommen, fand Gelegenheit, sich auf eine unbefangene Weise in die Wohnung der Witwe Eingang zu verschaffen, und wusste den Brief des Chevaliers so geschickt auf deren Toilettentisch zu bringen, dass ihn die Dame vorfand, ohne im mindesten zu ahnen, wie er dahin gekommen sei. Mit leicht erklärlicher Neugier ihn erbrechend, las Madame Grasset zu ihrer nicht geringen Verwunderung folgendes:

Werden Sie mir verzeihen, Madame, dass ich, vom Himmel entsendet, gestern glücklich sein durfte, mich Ihnen dienstbar zu erzeigen, um Ihnen also eine Liebe zu erklären, die Ihnen während meiner irdischen Lebensdauer verborgen blieb? Mein unsichtbarer Geist, den das Feuer seiner unwiderstehlichen Leidenschaft zu Ihnen antrieb, führte mich in Ihre Nähe. Was sah ich da, Madame, oder was sah ich da vielmehr nicht, als sich eine solche Fülle von Reizen meinen Augen darbot und mich hinriss, sie kniend anzubeten! Oh, widerstreben Sie nicht dem Schicksal, das mich durch diesen Augenblick auf ewig zum Sklaven Ihrer Schönheit machte! Ich werde Ihnen nicht eher sichtbar werden, als bis Sie anfangen, mit meiner Leidenschaft Erbarmen zu tragen. Inzwischen beschwöre ich Sie, mir keinen meiner Nebenbuhler vorzuziehen, von denen doch nicht einer so viel Ursache haben kann als ich, der grenzenlose Verehrer Ihrer liebenswürdigen Persönlichkeit zu sein.

Die Witwe teilte dieses anonyme Schreiben ihrer Zofe mit, und da beide, Herrin und Dienerin, abergläubisch genug waren, die amtliche Erscheinung des Apothekers, ihres verstorbenen Nachbars, fortwährend im Sinne zu haben, so trugen diese auf eine unbekannte Weise zum Vorschein gekommenen Zeilen nicht wenig dazu bei, sie in dem vorgefassten Wahne zu bestärken. Die junge Witwe machte dies wunderbare Ereignis zum Gegenstand ihrer ernstlichen Betrachtungen und glaubte in seiner Statur und Beschaffenheit fast eine Ähnlichkeit mit dem Abenteuer der Psyche zu sehen. Die Vorstellung des toten Apothekers ward ihrer Einbildungskraft nachgerade auch nicht unangenehm, denn sie wusste recht wohl, dass die von dem Ballaste ihrer Körper befreiten seligen Geister nichts mehr von der Niedrigkeit des Irdischen an sich haben, und fühlte also allmählich in der Tat das Verlangen in sich erwachsen, diesen ihr wohlbekannten Geist vor Augen zu sehen, indem sie nur die eine Sorge trug, wie sie wohl imstande sein würde, ihn aufzufinden und von der Neigung zu benachrichtigen, die sie gar nicht ungern in sich aufkeimen fühlte.

Mittlerweile machte das Gerücht von der Erscheinung des Apothekers nicht geringes Aufsehen in Paris, und wie denn alles, was den sogenannten Gespensterglauben und die Wiederkehr Gestorbener betrifft, in der Leichtgläubigkeit und kranken Einbildungskraft der Schwachen einen fruchtbaren Boden findet, so war in der Nachbarschaft nicht eine einzige Witwe oder alte Jungfer, die nicht der steten Angst gelebt hätte, den Geist des Apothekers auf den Fersen zu haben, und man hörte nichts als unaufhörliche neue Spukgeschichten, die dem Chevalier, der die unschuldige Ursache dazu geworden war, ungemein viel zu lachen gaben.

Nach Verlauf einiger Tage erspähte d’Argencourt die Stunde, da die junge Witwe in die Kirche gehen würde, um ihre Andacht zu verrichten. Als sie das Gotteshaus betrat, schlich sich ein kleiner Knabe zu ihr heran, der ihr ein Billett zwischen die Finger schob und ebenso schnell, als er gekommen war, wieder in die Menge entwich. Der Chevalier, der sich wie durch Zufall in ihrer Nähe befand, bot ihr zu gleicher Zeit das Weihwasser dar und sagte leise zu ihr: Wenn etwa ein böser Geist Sie plagt, Madame, so verscheuchen Sie ihn damit.

Sie bezog diese Äußerung nur auf das umlaufende Gerücht von der Erscheinung des Apothekers. Eine lebhafte Röte überzog ihr Gesicht, und sich einbildend, dass der ihr zugeschobene Zettel desgleichen von dem spukenden Geiste sei, der sie so sehr beschäftigte, ward sie von der Ungeduld befangen, ihn zu lesen, und fand darin, nachdem sie sich an einen dazu gelegenen Ort begeben und ihn geöffnet hatte, die nachstehenden Zeilen:

Soll mein armer Geist noch lange Zeit unwissend dessen bleiben, Madame, was in Ihrem Herzen seinetwegen vorgegangen ist? und tragen Sie gar kein Verlangen, Ihren getreuen Anbeter sichtbar werden zu sehen? Er ist Ihnen schon erschienen, ohne dass Sie ihn erkannten. Sie werden ihn, ehe Sie sich von hier entfernen, noch einmal in derselben Gestalt sehen, die er für Sie angenommen hat. Fürchten Sie sich nicht, dass er Ihnen mit seinem Äußern einen entsetzenerregenden Anblick darbiete, und kommen Sie, wofern Sie seine nähere Bekanntschaft wünschen, in die Tuilerien.

Der Chevalier, welcher sich solchergestalt in ihre Nähe gestellt hatte, dass er sie beobachten konnte, ohne von ihr wahrgenommen zu werden, hatte das Vergnügen, sie seinen Brief mit ungemeiner Aufmerksamkeit lesen zu sehen. Er erkannte selbst, dass sie nach allen Seiten verstohlen umherblickte, um sich zu überzeugen, ob sie auch von niemand beaufsichtigt würde. Da es ihm darauf ankam, ihr Herz zu erforschen, bevor er sich ihr entdeckte, so hielt er sich noch eine Weile vor ihr verborgen, um ihre Unruhe länger hinzuhalten. Als er sich dann aber ihren Augen absichtlich bloßstellte und ihr in den seinigen seine Gesinnung zu verstehen gab, erkannte die schöne Witwe in ihm, sobald ihre beiderseitigen Blicke sich begegneten, denselben jungen Mann, der an der Kirchtür gegen sie des Geistes gedacht hatte. Ein tiefes Erröten verkündigte die Regung ihres Innern auf ihrem Angesicht. Sie erinnerte sich auf der Stelle, ihn schon vor dem Tode des Apothekers öfters gesehen zu haben; und diese Erinnerung, verbunden mit dem Ausdrucke der auf sie gerichteten Blicke des Chevaliers, brachten in ihrem Geiste eine solche Verwirrung hervor, dass sie, je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger die Geheimnisse erriet.

D’Argencourt erwies ihr, als sie die Kirche verließ, dieselbe Höflichkeit, wie bei ihrem Eintritte, fügte einige doppelsinnige Worte dazu und vermehrte nur dadurch ihre Unruhe, indem er selbst ungeduldig den Abend erwartete, um zuzusehen, welchen Erfolg die Zusammenkunft in den Tuilieren haben werde, und sehr richtig Schloss, dass sie ihm keinen zuverlässigeren Beweis ihrer Neigung geben könnte, als wenn sie sich daselbst einfände.

Die Witwe ermangelte nun auch zwar in der Tat nicht des Vorsatzes, sich das Vergnügen eines Abendspazierganges nach den Tuilieren zu geben; ein unvorhergesehener Unfall störte aber einigermaßen d’Argencourts davon vorgehegte Erwartung. Der alte reiche Advokat nämlich, ihr Hauswirt, der die Geschäfte der jungen Witwe führte und ebenfalls Witwer war, hatte sich in den Kopf gesetzt, sie sei eine ihm angemessene Partie, und wollte sie heiraten. Er machte ihr mit Eifer und Ausdauer seine Aufwartungen, und sie nahm so viele Rücksichten auf ihn, ihn nicht geradezu kurz abzufertigen, weil sie eben seines Rates und seiner Feder zu bedürfen glaubte. An diesem Abend kam er nun zu der Stunde bei ihr an, als sie sich anschickte, ihren Spaziergang anzutreten. Da er seinen Wagen vor der Tür hatte, so konnte sie nicht umhin, auf sein Anerbieten einzugehen, sie nach den Tuilieren zu fahren. Sie nahmen noch eine Nachbarin der Witwe und ihre Zofe mit und waren nicht so bald in der Hauptallee angelangt, als der Chevalier, der sie stehenden Fußes erwartet hatte, seine Geliebte mit so zärtlichen Blicken grüßte, dass sie allmählich anfing, einen Teil der Wahrheit zu ahnen, die ihr bisher verschleiert geblieben war, und die Überzeugung zu gewinnen, der Chevalier möge wohl eben selbst der vorgebliche Geist des Apothekers gewesen sein. Die sie nunmehr bewältigende Scham über das Angedenken dessen, was er getan und gesehen hatte, war so stark, dass sie bei der ihr eigenen Sprödigkeit eine Zeitlang alle Fassung in sich selbst verlor. Sie errötete einmal über das andere, wiewohl glücklicherweise keiner ihrer Begleiter sich ihres Zustandes versah. Als sie zuletzt mit denselben ausgestiegen und ein wenig über sich gekommen war, führte sich der Chevalier unter einem schicklichen Vorwande in ihre Gesellschaft ein und begann mit ihr eine Unterredung, deren Vergnüglichkeit die Gegenwart des mürrischen Rechtsgelehrten noch dadurch erhöhte, dass dieser dem jungen Krieger mannigfachen Anlass lieh, sich über ihn zu belustigen. Es kostete d’Argencourt nicht große Mühe, die junge Witwe auf eine versteckte Weise mit Andeutungen und halben Worten in Kenntnis zu setzen, dass sie sich in ihrer Annahme, die in ihm denjenigen sah, der ihr jenen verfänglichen, dem unruhigen Geiste des Apothekers schuld gegebenen Dienst geleistet habe, nicht trüge, und da sie bereits eine ernstliche Neigung zu ihm gefasst hatte, so verzieh sie ihm am Ende in ihrem Herzen die Verwegenheit. Der scharfe Verstand, den er in dem Gespräche verriet, das er mit ihr führte, gefiel ihr wohl. Sie fand sein äußeres Wesen zuvorkommend und liebenswert, und die energische Liebesglut, welche seine Augen auf sie ausstrahlten, zündete auch in ihren Gefühlen für ihn eine Flamme an, die sie, wenn sie auch selbst gewollt hätte, nicht imstande gewesen sein würde, wieder auszulöschen.

Der Spaziergang währte ziemlich lange, und zwar länger als der alte Advokat, der sich dabei nicht wenig langweilte, gewünscht hätte, bis die einbrechende Nacht endlich zur Rückkehr und zum Abschiede nötigte, bei dem sich der Chevalier heimlich von seiner Geliebten die Erlaubnis erbat, sie besuchen zu dürfen, und mit einem Händedruck von ihr vernahm, wie gern sie ihm diese Bitte zugestand.

Sobald der eifersüchtige Advokat die schöne Witwe nach Hause zurückgebracht hatte, konnte er nicht unterlassen, ihr mannigfache Vorwürfe über ihre allzu frei und lebhaft geführte Unterhaltung mit einem Unbekannten zu machen. Er erreichte aber freilich damit nichts anderes, als dass er sich der jungen Dame umso unangenehmer darstellte, je entschiedener er sie also ihrer innerlichen Neigung selbst bewusst werden ließ.

Als ihr nun der Chevalier bereits des nächsten Tages seinen Besuch abstattete, brachte das Liebespaar nicht lange Zeit mit unergiebigem Wortwechsel zu, sondern kam vielmehr bald dahin überein, dass der lästige Nebenbuhler d’Argencourts gänzlich beseitigt werde. Madame Grasset verlobte sich nämlich mit d’Argencourts noch bei eben dieser Zusammenkunft, nachdem sie die Nacht vorher über ihr ferneres Schicksal mit sich selbst einig geworden war. Wer weiß, inwiefern sie nicht allein schon durch ihre übergroße Verschämtheit sich hatte bestimmen lassen, ihre Hand einem Manne zu reichen, der schon so weit wie an jenem Abende den Willen ihres Schicksals zufolge mit ihr vertraut geworden war.

Eifersucht bis in den Tod

Ein Edelmann von sehr altem Geschlecht aus dem Gebirge von Burgos, namens Bernardo de Salazar, kam wegen eines in seinem Vaterlande mit dem Tode seines Gegners geschlichteten Zweikampfe nach dem Königreiche Valencia und wurde um seines guten Rufes und Betragens willen bei der Hofhaltung des Senor Don Carlos de Borja, Herzogs von Gandia als Kavalier angestellt. Nachdem er einige Jahre seine Pflichten getreulich erfüllt hatte, erwarben ihm seine vortrefflichen Eigenschaften die Zuneigung einer Edeldame der Herzogin, und er verheiratete sich mit ihr, indem er sich also an seine neue Heimat mit festeren Banden fesselte. Er zeugte in dieser Verbindung eine Tochter, die in dem fünfzehnten Jahre ihres Alters das schönste Mädchen des ganzen Königreichs geworden war. Viele junge Edelleute des Herzogs trugen Verlangen, sie als Gattin zu besitzen, und bemühten sich eifrig um ihre Hand; ihre Ansprüche wurden jedoch von ihrem Vater insgesamt unter dem Vorwande zurückgewiesen, dass sie noch in einem zu frühzeitigen Alter stehe, um verheiratet und aus der väterlichen Obhut entlassen zu werden.

Die Anbeter der schönen Marcela vernachlässigten zwar darum keinesfalls ihre Bewerbungen oder gaben sie auf; Bernardo de Salazar vereitelte sie aber durch den in sich vorgefassten Beschluss, seine Tochter einem sehr reichen leiblichen Vetter von sich in Aguilar de Campo zuzuwenden, der von seinen Eltern ein Vermögen von mehr als vierzigtausend Dukaten in Ländereien und Einkünften geerbt hatte und also einer der reichsten Männer seines Ortes zu nennen war.

Marcela erreichte ihr zwanzigstes Lebensjahr, und ihr Vater begann mit anderen Verwandten, die ihre Vermählung mit dem Vetter behandeln sollten, um ihretwillen Briefe zu wechseln. Das dem Vetter zugeschickte Bild des jungen Mädchens erleichterte den Abschluss des Vertrages wesentlich. Der nachgesuchte Erlass von Rom kam binnen drei Monaten an, und mittlerweile bereitete man die Hochzeit vor. Der Bräutigam war als ein echter Gebirgler nicht eben sehr galant, und seine Körpergestalt erhöhte seine guten Eigenschaften nicht, denn sie war sehr unansehnlich und überdies durch eine Wulst in den Schultern entstellt, die, nach seiner Aussage, infolge eines Falles angeschwollen war, von denen aber, die ihn von Jugend an gekannt hatten, für einen Höcker angesehen ward. Er war also nicht allein bucklig, sondern es saß ihm auch der Kopf so tief in den Schultern, dass er sich kaum zwei Finger breit darüber erhob. Seine Beine ersetzten diesen Mangel an Schönheit nicht, denn sie waren im höchsten Grade krumm; und es erschienen diese Gebrechen nur in bezug auf seinen Verstand geringer, weil der dem Körper an Kürze und Beschränktheit glich und sogar mit den Elementen der Höflichkeit und Sitte ziemlich unbekannt geblieben war. Welchem Ungeheuer sollte also Marcelas Schönheit hingeopfert werden! Welchen Teufel suchte man zur Begleitung dieses Engels aus! Nur in dem einen Punkte war er klug, dass er nicht nach Gandia zur Hochzeit kommen wollte, sondern verlangte, seine Braut in seine Heimat geführt zu sehen, was ihm wahrscheinlich zur Verheimlichung seiner Missgestalt wohlwollend angeraten worden war. Er wich von dieser Bedingung nicht ab, sondern bestand so lange und fest wie ein König darauf, dass sein Schwiegervater und Vetter ihm seine Braut in das Gebirge übersende, bis Bernardo de Salazar seinem Starrsinne nachgab und, weil er bei Lebzeiten der mächtigen Brüder des von ihm Getöteten nicht öffentlich in Aguilar erscheinen durfte, heimlich dahin zu reisen beschloss.

Er verließ mit Marcelen Gandia und langte nach mehreren Tagereisen bei der Vaterstadt des Bräutigams an. Marcala sah dem Ende ihrer Wanderschaft mit keinem großen Vergnügen entgegen, denn sie schloss aus der geringen Gefälligkeit ihres zukünftigen Gatten auf einen Mangel an Verstand, wo nicht gar auf einen Überfluss an körperlicher Gebrechlichkeit seinerseits. Dem Willen ihres Vaters gehorsam und unterworfen, verleugnete sie am Ende aber allerdings den ihrigen und fügte sich darein, in Begleitung ihrer Mutter ihrem körperlich und geistig ihr unbekannten Verlobten entgegenzuziehen. Sie machten vier Meilen vor Aguilar halt, wo Bernardo de Salazar zurückzubleiben beabsichtigte, und erwarteten, von Lorenzo de Santillana eingeholt zu werden; der Bräutigam entschuldigte sich aber mit vorgeblicher Krankheit und Bettlägrigkeit.

Salazar fasste nun den Entschluss, zur Zusammenkunft mit seinem Eidam selbst nach Aguilar zu gehen, und sendete Frau und Tochter in Begleitung einiger ihnen entgegengekommener Verwandten dahin voraus. Sie wurden zur Belustigung des ganzen Ortes von dem Bräutigam im Bett mit Freuden empfangen, erkannten aber bald nach seinen ersten Äußerungen seine Sinnesbeschaffenheit und fühlten darüber beide umso schwerere Betrübnis, als diese Heirat eben gar nicht im Willen der Mutter gelegen hatte. Am gleichen Abend fand ein glänzendes Gastmahl statt, woran die nächsten Verwandten mit ihren Frauen teilnahmen, und wozu auch Bernardo de Salazar heimlicherweise kam. Mutter und Tochter hofften viel von dem Eindrucke, den der Anblick des von ihm zu seinem Tochtermanne erkorenen Menschen auf ihn machen werde; er war jedoch dermaßen von der Begierde nach dessen Besitztume eingenommen und so eingebildet auf dessen Person, dass er seine Gebrechen sogar wie Vollkommenheit betrachtete. Die Nacht verging unter Besuchen von Anverwandten, und am anderen Tage fand die Hochzeit statt, die der schönen Marcela und ihrer Mutter nicht wenige Tränen kostete. Der Bräutigam befand sich dabei äußerst elend, und es schienen ihm die acht Tage, während denen er seine Schwiegereltern bei sich behielt, tausend Jahre zu sein. Ja, seine Gäste wurden ihm am Ende so zur Last, dass er ihnen mit finsteren Blicken zu verstehen gab, es würde ihm Freude machen, ließen sie ihn allein.

Die Schwiegermutter nahm die Unlust des unhöflichen Eidams wahr und drängte Salazar zur Rückreise nach Gandia, wiewohl es sie auf der anderen Seite bekümmerte, ihre Tochter in der Gewalt eines ihr so unähnlichen Menschen lassen zu müssen. So versündigen sich die Eltern, die aus kleinlicher Selbstsucht ihre Töchter gewaltsam mit Menschen zur Ehe zwingen, bei denen sie lebenslänglichen Tod erleiden, und von denen sie nur der Tod befreien kann. Salazar kehrte mit seiner Gattin nach Gandia zurück, und sein Schwiegersohn behandelte ihn beim Abschiede unfreundlich genug, dass er schon einiges Leidwesen und Besorgnisse um das künftige Schicksal seiner Tochter empfinden konnte. Bei der Ankunft der schönen Marcela beeiferten sich alle namhaftesten Bewohner Aguilars, sowohl Damen als Edelleute, sie zu besuchen, und wurden alle von ihren Reizen entzückt, wie von ihrer Anmut und Höflichkeit bezaubert. Die müßige Jugend des Ortes war ganz voll des Lobes der schönen Valencianerin, wie man sie nannte, und ihre Schönheit ward unaufhörlich besungen und mit Abendständchen gefeiert. In dem guten Santillana stöberte man dadurch eine solche Staubwolke von Eifersucht auf, dass er ganz das Bewusstsein seiner selbst verlor. Er gab sich im allgemeinen zwar wenig mit Denken ab, aber was diesen Umstand anlangte, so konnte er doch nicht wohl umhin, sich bedachtsam zu Gemüte zu führen, wie sehr die Natur ihn an Körper und Geist vernachlässigt habe, und wie unwürdig er mithin sei und von den anderen erachtet werden möge, eine so vollkommene, von dem ganzen Orte mit Recht gefeierte Schönheit als Gatte zu besitzen. Infolge dieser Betrachtung fing er nach und nach an, wachsam zu werden, seine Frau am Ausgehen zu verhindern, die ihr zugedachten Besuche abweisen zu lassen, und sogar seinen Verwandten den Zugang in sein Haus zu untersagen. Er erhöhte somit in der armen Frau das Gefühl ihres Unglücks dermaßen, dass ihre Schönheit von Tag zu Tag abnahm. Sie durfte kaum in die Messe aus dem Hause gehen, und alsdann nur mit verhülltem Gesicht und in Santillanas eigener Begleitung, der sie unterwegs fortwährend bei der Hand führte und in der Kirche keinen Augenblick von ihrer Seite wich. Marcela empfand weniger schmerzlich ihre häusliche Abgeschlossenheit von allen Besuchen und allen Freuden der Welt und Geselligkeit als das geringe Vertrauen, das ihr unfeiner Gatte in sie setzte, und die Ängstlichkeit, mit der er sie behütete, von irgendjemand gesehen und etwa zum Leichtsinn oder zur Kränkung seiner Ehre verführt zu werden. Sie teilte dies und die Beschwerden, die er ihr unaufhörlich auferlegte, einige Male schriftlich ihren Eltern mit, und es bereute besonders Salazar, sie zu einer solchen Ehe gezwungen zu haben. Eines Tages in der Kirche geschah es, dass Santillana einen der Liebhaber, die seine Frau verfolgten, während der Messe gähnen sah, und dass auch Marcela – so wie denn der, welcher gähnen sieht, gewöhnlich mitgähnen muss – einige Male dasselbe tat, was ihren Gatten gleich zu dem Verdacht verleitete, dies möge ein zwischen beiden verabredetes Zeichen sein, und ihm genügte, sie bei der Rückkehr nach Hause mit seiner Eifersucht aufs äußerste zu belästigen. Es konnte nicht fehlen, dass auf diese Weise immer eines aus dem anderen hervorging, was der armen Marcela die empfindlichsten Kränkungen verursachte und die Nachbarn, sobald sie es erfuhren, auf Kosten der törichten Leidenschaft ihres Ehemannes belustigte.

Die bitteren Klagen, in die Marcela sich über ihr betrübtes und verzweifeltes Leben schriftlich gegen ihre Eltern ergoss, zogen Bernardo de Salazar eine schwere Krankheit zu, die ihn so hart ergriff, dass sie sein Leben beendigte. Seine Gattin liebte ihn so sehr und empfand seinen Verlust so tief, dass auch sie, vierzehn Tage nach seinem Begräbnis, zum großen Leidwesen ihrer fürstlichen Herrschaften, die sie sehr wertschätzten, ihren Geist aufgab. Da nun Salazar einiges Vermögen hinterließ und Marcela seine einzige Erbin war, so benachrichtigte man Santillana zugleich von dem Tode seiner Schwiegereltern und von der Erbschaft seiner Frau. Habsüchtig und geldgierig, wie er war, freute er sich dieses Erbes ungemein, und da er einsah, dass er, wenn er nach Gandia reise, um es anzutreten, seine Frau allein zurücklassen müsse, so beschloss er sie mit sich zu nehmen. Der schönen Marcela war diese Reise nicht wenig angenehm, und sie nahm sich vor, in Gandia alles zu tun, was sie vermöge, um sich der Gesellschaft eines so unerträglichen Mannes zu entledigen, wobei sie namentlich auf die Gewogenheit der herzoglichen Familie rechnete. Sie langten in Gandia an – und es muss hier zuvörderst erwähnt werden, dass Santillana seit seiner Geburt Aguilar auf keine Meile im Umkreise verlassen hatte –, stiegen im Hause eines Verwandten Marcelas ab, der sie mit Freuden bei sich aufnahm, und wurden noch an demselben Abende im Namen der Fürstlichkeiten von einem Pagen bewillkommt. Santillana erwiderte diese Höflichkeit mit der ihm eigentümlichen Sprache, die von dem schönen Pagen sogleich aufgenommen und im Palaste zu allgemeinem Ergötzen mit vielem Geschick nachgespottet wurde.

Zwei Tage nach ihrer Ankunft wünschte Marcela dem Herzoge und der Herzogin aufzuwarten, und es begleitete sie ihr plumper Ehegemahl, so wohl aufgeputzt, als es sein Äußeres und seine Herkunft gestatteten; denn obwohl Aguilar ein sehr gebildeter Ort, ist, so war es dort doch noch nicht eingeführt, nach der Mode zu gehen.

Santillana ward von dem Herzoge, dessen ältestem Sohne und dem anwesenden Großmeister des Ordens von Montesa mit Ehren empfangen, indem ein jeder, so gut er es konnte, das Lachen derbarg, das ihm seine komische, widerwärtige Gestalt und seine ungeschliffenen Manieren erregten. Marcela ging dagegen, sobald sie dem Herzoge die Hand geküsst hatte, in das Gemach der Herzogin, die ihr sehr huldreich begegnete und sich nicht wenig über die Abnahme ihrer Schönheit und über die große Gewalt des Kummers verwunderte, und versäumte denn bei dieser Gelegenheit nicht, ihrer Exzellenz mit deren Damen ihre Leiden seit ihrer Verheiratung zu schildern und sich über deren Fortdauer zu beklagen, ohne dass ihr ein Mittel gegeben sei, Santillana dahin zu bringen, von seiner auf den nichtigsten Gründen beruhenden Eifersucht abzulassen.

Als sie darauf mit ihrem Gatten in ihre Wohnung zurückgekehrt war, besprachen und betrübten sich die vornehmen Herrschaften über das, was ihnen die junge Frau von der hässlichen Sinnesweise Santillanas mitgeteilt hatte, und der Herzog nahm es auf sich, des anderen Tages ernstlich mit ihm zu reden, um zu versuchen, ob er vielleicht zur Besserung und Sinnesänderung gegen seine Gattin zu bewegen sei. Er ließ ihn deshalb zu sich rufen. Wenngleich dem guten Gebirgsbewohner eben nichts an Besuchen im Palaste gelegen war, so kam er dennoch des Herzogs Befehlen nach. Der Herzog erwartete ihn allein in seinem Kabinett, und als er sich mit ihm unter vier Augen sah, erinnerte er ihn an die Verpflichtungen, die ein Ehemann habe, seine Gattin ehrenvoll zu behandeln, sobald sie sich ihm liebenswürdig erweise und ihm keinen Anlass gebe, argwöhnisch auf sie zu sein, sagte ihm, was ihm von seinem Betragen gegen sie zu Ohren gekommen sei, und bat ihn, seine Aufführung fortan zu ändern, mit dem Bemerken, dass er ihn auf einem anderen Wege dazu vermögen werde, erführe er späterhin jemals das Gegenteil über ihn. Santillana fühlte sich in der Tat eingeschüchtert, als er sich von einem großen Herrn in einer Sache, worin er so wenig, jener aber so viel Recht hatte, ausgescholten sah. Er entschuldigte sich indessen mit den allerdümmsten Gründen, die ihn seine Ungeschicklichkeit im Augenblick auffinden ließ, ohne imstande zu sein, seine törichte Hartnäckigkeit irgend zu beschönigen, und beurlaubte sich damit von dem Herzog.

Da Santillana ein Dummkopf vom Kopf bis zu den Füßen war, so verstand er durchaus nicht, sich gegen seine Frau zu verstellen, sondern erboste sich, in der Voraussetzung, dass ihn dieser Verweis infolge von Marcelas Beschwerden betroffen habe, dermaßen gegen sie, dass er ohne die Rücksicht auf seine Wirte und Verwandten, Hand an sie gelegt haben würde. Der Herzog erfuhr das Geschehene alsobald und teilte es seinen Söhnen mit, um sich mit ihnen zu besprechen. Einige waren der Meinung, dass auf eine Ehescheidung hingewirkt werden solle, andere, dass die Herzogin Marcela auf einige Zeit zu sich nehmen möge, um zu versuchen, ob er sich noch bessere. Der Großmeister von Montesa aber, ein kluger junger Mann und Freund der Kurzweil, wünschte einen Scherz mit Santillana getrieben zu sehen und hoffte, auf diesem Wege Marcela am ehesten zu helfen. Er eröffnete seine Ansicht seinem Vater und seinen Brüdern und veranlasste den Herzog, zu beschließen, dass sein Plan versuchsweise ins Werk zu richten sei. Vor allen Dingen war es notwendig, zwischen Santillana und seiner Frau wieder Frieden zu stiften. Die gastfreundlichen Verwandten nahmen dieses Amt auf sich, vollbrachten es anderen Tages und schlugen, zur Feier der Versöhnung, eine Lustfahrt auf dem Meere vor. Santillana weigerte sich erst, darauf einzugehen, weil das Meer keine Balken habe; auf die Bitten und Vorstellungen aller übrigen Verwandten, dass gar keine Gefahr sei, gab er aber endlich fast wider Willen nach. Zwei große Fischerbarken von dem flachen Strande Gandias wurden ausgerüstet und mit einem Vorrate kalter Speisen zum Vesperimbiß versehen. Die See ging ruhig, man fuhr frisch hinein, und die Ruder trübten die flüssige Bläue mit Geschäftigkeit, bis man über eine Meile weit meereinwärts gefahren war.

Der Großmeister hatte alle seine Diener zu der Posse angestellt, und ungefähr dreißig von ihnen, als Mohren verkleidet, auf eine mitten im Meere vor Anker liegende Brigantine geschafft, deren Wimpel mit halben Monden ausgeschmückt waren. Santillana bestürmte die Gesellschaft mit Bitten, nach dem Lande zurückzufahren, da sie aber große Vorsicht beobachteten, so wagten sie sich, je mehr er bat, desto tiefer in die See hinaus.

In kurzer Zeit kam ihnen die sowohl bestellte Brigg zu Gesicht, dass sie sie wirklich für einen algerischen Kaperer gehalten haben würden, wären sie nicht hinlänglich auf sie gefasst gewesen. Die Schiffer huben an zu schreien: Ans Land! ans Land! Weh uns Armen! Das Schiff ist ein maurisches. – Santillana entfärbte sich, als er diesen Ruf hörte, und wagte kein Wort zu sprechen. Es fehlte nicht viel, so hätten die ihn Umgebenden den Betrug durch ihr losbrechendes Gelächter entdeckt, ein jeder tat aber fast das Unmögliche der Verstellungskunst, indem er äußerliches Entsetzen über dies unvermutete Ereignis zu erkennen gab und Gott anrief, ihn aus der offenbaren Gefahr zu befreien. Die Frauen verbargen ihr Gesicht in ihre Schnupftücher und schienen Tränen zu vergießen, und es herrschte allgemein die größte Verwirrung. Die Brigantine holte in diesem Augenblick die beiden Barken ein und feuerte, unter dem Kriegsgeschrei der Mauren, blindgeladenes Geschütz auf sie ab, dessen Donner kaum an Santillanas Ohren schlug, als er, auf den Boden der Barke niederstürzend, zu heulen und um Erbarmen zu schreien begann. Die Brigg enterte die eine Barke, auf welcher sich Santillana mit seiner Frau befand, und einige vermeintliche Mohren sprangen sofort hinein und schleppten die Frauen unter Umarmungen mit sich fort. Einige Männer, die sich zum Widerstande anschickten, wurden alsbald entwaffnet und gebunden und mit den übrigen und dem fast besinnungslosen Gebirgsbewohner auf die Brigg geschafft, wo man den Frauen allerdings nichts antat, die Männer jedoch, weil dies in der herbstlichen Jahreszeit eben noch erträglich war, bis aufs Hemd entkleidete und beraubte.

Die Brigantine kreuzte den ganzen Abend im Meere hin und wieder, und Santillana ward im untersten Raume aufbewahrt, damit er den Weg, den sie nahm, nicht erkenne. Der sorgenvolle Gebirgsbewohner weinte und wehklagte zum Erbarmen, ohne dass ihn eine Menschenseele tröstete. Am meisten bekümmerte es ihn, dass er sich seiner Gattin beraubt und sie, wie er nicht anders glauben konnte, in die Gewalt der Mohren gefallen sah. Die Nacht brach ein, und die Brigantine strich die Segel, indem sie das sämtliche Ruderwerk in der Nähe des Landes oberhalb der Küste von Gandill ruhen ließ, wo sich ein wenig landeinwärts eine Meierei befand. Es fing alles an zu rufen: Land! Land! damit Santillana es vernehme, und seine Gefährten verkündeten ihm, sie befänden sich am Strande von Algier, in der Nähe eines Landhauses, worin der König sich aufhalte. Der Unglückliche wusste nichts anderes zu tun als zu weinen. Die Mohren stiegen in dem kleinen Boote an Land und führten den vor Misshandlungen zagenden Santillana und die übrigen vermeintlichen Gefangenen mit sich nach dem Landhause, wo, ihrer Aussage gemäß, der König sie erwartete, um die gemachte Beute in Augenschein zu nehmen. Allen anderen voraus schritt der über seinen Fang anscheinend sehr erfreute Befehlshaber der Brigg, dem das Schiffsvolk je zwei und zwei folgte. Sie gelangten auf diese Weise in die Meierei und fanden am Eingange eines Saales vier Mohren als Türhüter, die sie baten, vor König Mohammed Jafar erscheinen zu dürfen. Der eine der Mohren leistete diesem Geheiß Folge, während die anderen drei an ihren Plätzen verweilten, und kam bald mit der Nachricht zurück, der König erwarte sie. Der Zug der Mohren und Gefangenen bewegte sich also in derselben Ordnung, wie er gekommen war, weiter bis in das Gemach des falschen Königs, dessen Rolle der Kammerdiener des Großmeisters, ein Mensch von der trefflichsten Laune, spielte. Er war in einen engen, scharlachroten maurischen Talar gekleidet, worüber er einen blauen Regenmantel trug. Seinen Kopf bedeckte ein großer, von verschiedenfarbig gestreiftem Nesseltuche dick gewundener Turban. Er war groß von Körper, schwarzbraun, mit starkem Knebelbart versehen und wie dazu geschaffen, die Figur zu spielen, die er auf eine sehr natürliche Weise vorstellte. Er saß auf zwei Polstern von grünem Sammet, die auf einem großen Fußteppich lagen, und um ihn herum standen einige Mohren. Selim, so wurde der Befehlshaber der Brigg genannt, trat zuerst auf ihn zu, verbeugte sich vor ihm auf mohammedanische Art und redete ihn dann in einer selbstgebildeten Sprache an. Als er mit seinem unverständlichen Geschwätz zu Ende war, umarmte ihn der König und befahl ihm, beiseitezutreten. Darauf wurden die für gefangen geltenden Leute vorgeführt, die der König in spanischer Sprache einzeln nach Vaterland und Gewerbe befragte. Als die Reihe den erblassenden Santillana traf, trat er mit Ungewissen Schritten vor und verwunderte sich nicht wenig, den ungläubigen König so geläufig in seiner Muttersprache sich ausdrücken zu hören. Der König fragte ihn: Wo bist du her, Christ? Die Worte halb verschluckend, stammelte er: Ich bin aus dem Gebirge von Burgos, Herr. – Was ist dein Gewerbe? fuhr der König fort. – Ich bin ein Edelmann, erwiderte Santillana. – Nach meinem Bedünken, sagte der König, ist der Adel doch kein Gewerbe in deinem Lande, womit man sein Brot verdient, sondern wohl eine Erbschaft des Blutes tugendreicher Vorfahren. – Da sich der gute Gebirgsmann, wie schon gesagt, nicht eben auf das Denken verstand, so war ihm die Erklärung des Begriffes Adel zu hoch gegeben und ging an seinem nur das Wort Erbschaft festhaltenden Ohre vorüber. Er sagte also: Senor, seit dem Tode meiner Eltern, gottseligen Angedenkens, habe ich keine andere Erbschaft als die meiner Frau gehoben, die mir überdies so teuer zu stehen gekommen ist, dass ich mich, indem ich sie kaum angetreten habe, in Euer Gnaden Gefangenschaft befinde. – Er fing bei diesen Worten so bitterlich zu weinen an, dass sich der König, trotz seiner Verstellungskunst, kaum bezwingen konnte, nicht zu lachen und dadurch den angefangenen Scherz zu verderben. Du bist verheiratet? fragte der König. – Euer Gnaden zu dienen, antwortet Santillana, wofern es Hochdenenselben, die ich nicht zu benennen weiß, recht ist, dass ich hier in Algier bin. Wie! rief der König aus, deine Frau ist in diesem Lande? – Um meiner Sünden willen, ja, Sennor! Die Herren Mohren haben sie als Gefangene mit hierhergeschleppt, ohne mich sie wiedersehen zu lassen, und uns von Tisch und Bett geschieden, als wären sie ein geistliches Gericht. – Ist sie jung oder alt? sagte der König. – Das wird sie besser als ich sagen können, entgegnete Santillana; die Frauen haben es aber nicht gern, dass immer mehr Jahre zu ihrem Alter kommen, wiewohl es mir doch scheinen will, in der kurzen Zeit unserer Ehe schon einige Jahre verheiratet zu sein. – Ist sie unter dem Trupp? sprach der König, zum Befehlshaber der Brigg gewendet. – Er bejahte es. – Ich werde mich freuen, sie zu sehen, fuhr der Schelm fort. – Der Hauptmann ließ Marcela sogleich vor den König führen. Er betrachtete sie aufmerksam, und sie blickte nicht vom Boden auf, indem sie über ihre uneigentliche Haft sehr niedergeschlagen schien. Als der König sie eine lange Weile angeschaut hatte, sprach er: Deine Schönheit, Christin, ist erstaunlich und ganz gewiss die höchste, die ich jemals gesehen habe. Ist es möglich, dass man in deinem Lande schöne Frauen so gering achtet, sie an Männer von so schlecht beschaffener Art, wie dein Gemahl da ist, wegzuwerfen, derweil sich Fürsten glücklich schätzen würden, dich zur Gefährtin zu haben? – Aufmerksam hörte Santillana den Worten des Königs zu, und, wie die Eifersucht ihn immerdar beunruhigte, so nahm er gleich an, der König müsse an seiner Frau Gefallen finden, und sprach, um in dessen Augen nicht niederen Standes zu erscheinen: Herr, meine Frau ist schön und weiß, dass sie es ist, was mir nicht gefällt; ich aber bin so hohen Standes wie irgendeiner, denn es gibt in dem ganzen Gebirge kein besseres Geschlecht als das meinige. – Nun wohl, sagte der König, so mögt Ihr es Euch genügen lassen, ein guter Chronist Eures Adels zu sein, während ich, der ich derzeitiger Gebieter Eures Weibes bin, mich zu bemühen gedenke, sie zur Annahme unseres Glaubens zu bringen, damit sie die Meinige werde. – So lange ich lebe, soll dies nicht geschehen, rief Santillana vom Zorn überwältigt aus. – Wie! Was! sagte der König, in meiner Gegenwart erkühnt sich ein elender Christensklave, der mir angehört, solche Reden zu führen? Holla, Hauptmann! laß ihm eine Tracht Prügel mit einem indianischen Rohre auszählen. – Mit Schreck und Betrübnis vernahm Santillana diesen strengen Beschluss, und die Mohren säumten keinen Augenblick, nach dem Willen ihres Königs, Santillann trotz seines Sträubens zu greifen und ihm die Hände auf den Rücken zu binden. Unter Vergießung reichlicher Tränen stürzte er vor dem vermeintlichen König auf die Knie nieder und flehte: Herr König und Herzog von Algier, oder wie Ihr Euch sonst nennen mögt, widerruft den gestrengen Urteilsspruch, den Ihr gegen mich erlassen habt, und vergebt wir meine Unehrerbietigkeit. Die Eifersucht allein sprach aus mir, und wessen sich diese Leidenschaft bemächtigt, der behält selten seine gesunden Sinne bei. – Je, je, du bist eifersüchtig auf mich? meinte der König, das wollte ich eben hören, um zu wissen, wie du zu behandeln seist. Den Spruch widerrufe ich zwar, aber ich verwandle ihn in Peitschenhiebe auf den Teil, den man gemeiniglich an den Schulknaben zu geißeln pflegt.

Hier standen die spaßhaften Ungläubigen nicht länger an, sondern schleppten ihre Beute im Umsehen, wie höllische Geister eine arme Seele, an einen geheimen Ort, wo sie ihn so weit entkleideten, dass er wie ein bußfertiger Sünder stehen blieb, und ihn mit ebensolcher Lust als Genauigkeit züchtigten, indem der arme Teufel so laut schrie, dass er die Ohren aller Umstehenden betäubte und auch nicht wenig seine mitleidige Frau betrübte, die nimmermehr in den Scherz gewilligt haben würde, hätte sie seine Folgen vorausahnen können.

Nachdem die Strafe an ihm vollzogen worden war, führte man den Schuldigen abermals vor den König, der ihn solchergestalt anredete: Die über dich verhängte Züchtigung ist von hoher Bedeutung, denn sie soll anderen nichtswürdigen Sklaven so wie dir eine Warnung sein, sich gegen einen wohlwollenden König so wie ich nicht zu viel herauszunehmen. – Hätte Santillana Verstand gehabt, so würde er den Betrug erkannt haben; aber den an und für sich schon einfältigen Tropf hatte die Bestürzung, sich gefangen und geprügelt, seine Gattin der Willkür des Königs preisgegeben zu sehen, aller Besinnung beraubt. Der König fuhr zu reden fort: Inzwischen dich meine Diener abstraften, habe ich dein Weib zu überreden gesucht, ihren Glauben abzuschwören und sich mit mir zu vermählen; aber sie zeigt sich so widerspenstig, die Ehre zu erkennen, die ich ihr antue, dass ich beschlossen habe, sie, die nicht gutwillig meine Gemahlin werden will, mit Gewalt zu meiner Kebsfrau zu machen. – Santillana fragte, was eine Kebsfrau sei, und man sagte ihm, dass dies eine von den Freundinnen oder Geliebten wäre, die sich der König in seinem Serail hielte. Darüber verlor der Gefoppte aber gänzlich die Geduld und schrie: Du ungerechter König, du Tyrann, der du dir nach anderer Gut gelüsten lässt, töte mich lieber, als dass du vor meinen Augen meiner Frau den Schimpf antust, sie zu deiner Beischläferin zu machen. Eine so vollkommene, so seltene Schönheit sollte ihre Ehre verlieren! Ich kann darüber wohl mein Leben einbüßen; aber ehe ich das mit ansähe, ermordete ich nicht bloß einen König, sondern hundert Könige, die eine solche Dreistigkeit begingen. Möge sich Eure anonyme Größe mäßigen, und sich nicht mit Gewalt anmaßen, was ihr nicht im Guten gegeben wird! Begnüge sie sich mit den Kebsweibern, die sie hat, und lasse sie Marcela außerm Spiele! – Hochverrat! Hochverrat! brüllten die Mohren auf, und der König sagte, als er die Bewegung des Volkes sah: Abermalige Empörung des Sklaven gegen seinen Herrn zieht ihm eine abermalige Strafe zu. Du sollst geschoren und als Ruderknecht auf einer meiner Galeeren geschnallt werden. Wohlan! ruft einen Bartscherer herbei und lasst ihn scheren, wie man Galeerensklaven schert. – Zum zweiten Male sah sich der Gebirgsbewohner in den Händen der Mohrenschar, die ihn durchaus entkleidete, nachdem sie ihn geschoren hatte, und ihm dann ein Hemd und ein Paar Hosen von grober Leinwand sowie eine Jacke oder einen Kittel von scharlachrotem Fries überzog, auch eine Mütze von dem nämlichen Zeug aufsetzte, so dass er mit seinen Fußschellen nebenbei ganz das Ansehen eines Rudersklaven gewann. Der Unglückliche wusste nicht, wie ihm geschehen war. Er fing von neuem zu jammern an, brachte die ganze Nacht in einem Keller zu, der die Stelle eines unterirdischen Gefängnisses vertrat, worin die Mauren damals ihre Sklaven aufzubewahren pflegten, und wurde unaufhörlich von den Mohren bedroht, nächsten Tages an die Galeerenbank befestigt zu werden. Kein Schlaf kam in seine Augen. Von tausend Ängsten bedrängt, stellte er sich das Leben vor, das ihn erwartete, und das ihm von seinen Wächtern mit tausend Schrecknissen geschildert ward.

Der von dem traurigen Santillana nicht eben sehr ersehnte Tag brach an und brachte ihm den Befehl, vor dem vermeintlichen Könige zu erscheinen. Er traf seinen Gebieter auf eben dem Platze wie vorigen Tages an und, zu seinem gewaltigen Erstaunen, ihm zur Seite seine ziemlich zufrieden blickende Frau. Der König sagte: Sieh her, Christ, wie gegen Beharrlichkeit kein Ungehorsam aushält, und wie aller Widerstand am Ende weicht: Marcela, dein Weib, hat schon zu meinem Glauben geschworen und ist entschlossen, weil sie von dir mit deiner Eifersucht vielfältig gekränkt und beleidigt worden sei, hier in Algier mit mir verbunden zu bleiben. Erkenne nun, was dein wunderliches Betragen angestiftet hat. – Sobald Santillana diese Worte vernommen hatte, fragte er Marcela, ob der König die Wahrheit gesprochen habe. Sie schwieg still, und der König entgegnete: Santillana, Schweigen bejaht. Ergib dich in Geduld und verrichte deinen Dienst auf der Galeere, wie es sich gehört. – Der Gebirgsbewohner stürzte seiner Länge nach bewusstlos zu Boden, so sehr ergriff ihn der Schmerz. Als er nach einer Weile wieder zu sich kam, fing er aus Trostlosigkeit an, sich Bart und Haare auszuraufen. Die Art, wie er dies tat, würden den Umstehenden viel zu lachen gegeben haben, wenn ihnen nicht die ernsteste Haltung in ihren Rollen zur Pflicht gemacht worden wäre. Also wurde Santillana auf die Brigantine geschafft und ihm bedeutet, dass man nur die Ankunft der Galeeren erwarte, um ihn nebst den übrigen Sklaven dahin abzuliefern. Der Befehlshaber der Brigg schien Mitleid mit ihm zu hegen und sagte ihm, um ihn zu trösten und nicht ganz verzweifeln zu lassen, solange er seiner Obhut anvertraut bleibe, wolle er ihn nicht zwingen, das Ruder zu führen, bis der König vielleicht andere Bestimmungen über ihn treffe. Es vergingen acht Tage, und nach ihrem Ablauf wurde Santillana wieder vor den König beschieden. Er fand ihn in der Gesellschaft seiner neben ihm auf einem gleichen Polster sitzenden Gattin und schloss daraus, dass die Hochzeit beider schon vorüber sei. Gleich nach ihm sah er zwei Diener des Herzogs von Gandia als vermeintliche Gesandte desselben eintreten. Diese erklärten dem Könige, wie es dem Herzoge sehr nahe gehe, Untertanen von sich als Sklaven in seine Gewalt gekommen zu wissen, und wie er ihn deshalb ersuche, ihm das für alle zu entrichtende Lösegeld zu bestimmen. Der König erwiderte ihnen: er wisse zwar sehr wohl, dass die Gefangenen insgesamt angesehene Leute wären, wolle aber desungeachtet zufrieden sein, wenn ihm seine Exzellenz zwölftausend Stück Dukaten für sie zahlen lasse. Die Gesandten gingen auf sein Verlangen ein; der König fügte jedoch gleich hinzu, dass in diesem Vertrage die schöne Marcela nicht mit inbegriffen sei, denn er nehme sie unwiderruflich von allen anderen aus, weil er von ihr wisse, dass sie freiwillig nicht wieder zu ihrem Ehegatten zurückkehren werde, der ihr mit seiner maßlosen Eifersucht gar zu sehr das Leben verbittere. Wenn sie nur deswegen und aus keinem anderweitigen Gelüst bei Eurer Gnaden bleiben will, sagte Santillana, so erbiete ich mich, von heute an nicht mehr eifersüchtig zu sein oder mich wenigstens nicht so gegen sie zu erweisen und alles zu tun, was sie von mir verlangt, werde ich nur dafür mit ihr aus der Sklaverei erlöst.

Der König befahl, einen Gerichtsschreiber herbeizubringen, an dem es der Himmel hier nicht ermangeln ließ, und Santillana diktierte ihn eine rechtskräftige Urkunde folgenden Inhalts in die Feder:

„»Ich, Lorenzo de Santillana, wohlbekannter Edelmann aus dem Gebirge von Burgos, ehelich verbunden mit Marcela de Salazar, meiner Verwandten, und derzeitiger Sklave des …“, hier fragte er den König zu allgemeiner Erlustigung um seine Titel und Würden und fuhr fort, als sie ihm genannt worden waren, „ … des Sennor Muhammed Jafer, Königs von Algier, tue hiermit kund und zu wissen, dass ich ferner nicht mehr wie seither meine vorgenannte Ehegattin mit Eifersucht verfolgen und belästigen, sondern still und ruhig ohne die böse, verteufelte Leidenschaft leben will, und dass ich Seine Hoheit den Herrn König berechtige, mich im Übertretungsfalle durch seine Mohren abholen zu lassen, wo ich immer bin, und mich als seinen Sklaven bei Wasser und Schiffszwieback mit Misshandlungen zu halten, wie ich sie bereits von ihm erfahren habe, und wie die blauen Flecke meines Sitzfleisches sie offenbaren können. Zur Bekräftigung dessen dient meine eigenhändige Unterschrift.“

Mit Abfassung dieser Schrift beschäftigt, hatte er nicht auf die Mienen der anwesenden, vor Lachen fast berstenden Zeugen acht. Sie waren also imstande, sich wieder zu fassen, und er vollzog sein Versprechen, das er dem Könige einhändigte. Der König ergriff Marcelas Hand, übergab sie Santillana und erinnerte ihn nochmals daran, dass er wieder in seine Gewalt verfiele, sobald er seinem Versprechen zuwiderhandele. Santillana erneuerte seine Zusagen auf das bestimmteste, und es wurden darauf die Gefangenen den Gesandten des Herzogs übergeben, in einige Barken geladen und in der Richtung nach Gandia zur See abgeführt.

Der Herzog und die Herzogin und deren Söhne waren bereits von dem Scherz unterrichtet, den man mit dem dummen Santillana getrieben hatte. Die Barken liefen nach einigen zur See gemachten Umwegen an den Strand von Gandia und setzten die ganze Gesellschaft an das Land, das von ihr mit derselben Inbrunst geküsst wurde, als ob sie in Wahrheit aus der algerischen Sklaverei erlöst worden wären. Sie wurden alle vor den Herzog und die Herzogin gebracht, die sich die Geschichte von Santillanas Gefangenschaft in seinem zierlichsten Spanisch von ihm erzählen ließen und sich ungemein darüber belustigten, und der Herzog riet ihm, nur ja seines dem Könige von Algier gegebenen Versprechens gewissenhaft eingedenk zu bleiben. Santillana sprach: Exzellenz braucht mir das nicht weiter zu Gemüt zu führen, ich lasse das Worthalten meine eigene Sorge sein, denn sie haben mich dort so übel zugerichtet, dass ich den König und seine Mohren in langer Zeit nicht vergessen werde, ich müsste denn ein wahrer Dummkopf sein. – Die fürstlichen Herrschaften belachten den albernen Tropf abermals und gaben ihm, wie den übrigen, Urlaub, nach Hause zu gehen. Santillana nahm seine Geschäfte wieder auf, um sie zu Ende zu führen und kam seinem Versprechen pünktlichst nach.

Marcela benutzte die ihr also zuteil gewordene größere Freiheit dazu, ihren Freundinnen auswärts Besuche abzustatten. Santillana kehrte jedoch innerlich mit desto stärkerer Heftigkeit zu seiner eifersüchtigen Gemütsart zurück und verzehrte sich, weil er sie nicht zu äußern wagte, dergestalt, dass er in eine gefährliche Krankheit verfiel, die sein Leben beendigte. Marcela, als seine gesetzmäßige Erbin, trat den Besitz seines ganzen Vermögens an und suchte sich nach Ablauf eines Jahres einen Gemahl nach ihrem Sinne aus, mit dem sie ein zufriedenes und heiteres Leben führte bis an ihr seliges Ende.

Die Flucht aus dem Vaterhause

In Englands Marken lebte vor Zeiten ein reicher Ritter, dem seine Frau eine einzige, Laurea genannte und mit siebzehn oder achtzehn Jahren so überaus schöne Tochter geboren hatte, dass die Natur sich vorgesetzt zu haben schien, in ihr ein Muster zu bilden, welches alle Reize und Schönheiten des Landes in sich vereinige.

So wie nun die Mutter dieser Jungfrau ihr natürlicherweise mit zärtlicher Liebe zugetan war, empfand auch der gute Mann, ihr Vater, so große Freude über ihr anmutiges Wesen, dass er, aus Besorgnis, sie dereinst von sich lassen zu müssen, beschloss, sie mit einem alten Lord, seinem Nachbar, einem an Kenntnissen und Gütern reichen Manne, zu verheiraten, in der Hoffnung, dieser werde sie in Gemäßheit seines höheren Alters am besten zu behandeln verstehen, und bei der Nähe ihrer beiderseitigen Besitzungen möge sie ihm auf seine alten Tage also auch besser Trost und Pflege angedeihen lassen.

Die Liebe aber hatte schon dieses kindliche Herz in Besitz genommen und des Mädchens Neigung, fernab von dem Greise, dem jungen liebenswürdigen Lord Barns zugewandt, der auch seinerseits so sehr im Verlangen der Liebe zu ihr befangen war, dass er nirgends als in ihrem Anschauen Ruhe fand, in ihrem Dienst bereit war, zu leben und zu sterben. Solchergestalt brachten die beiden Liebenden so viele Tage und Stunden heimlicherweise damit zu, die Sehnsucht ihrer Herzen einander zu erkennen zu geben, dass ihre Seelen zu einer einzigen verschmolzen zu sein schienen. Der Vater hatte zwar nur eine schwache Erinnerung an den Zustand der Liebe aus seiner Jugend her in sich bewahrt und gedachte um deswillen unveränderlich der Ausführung seines vorgesetzten Planes, indem er dem Einverständnisse des zärtlichen Paares aus allen Kräften entgegen war; die immerdar wachsame Liebe wusste aber die Zeit und Gelegenheit zur Befriedigung ihrer Wünsche so wohl zu erspähen, dass die jungen Leute viel mehr Stunden, als er sich träumen ließ, und ganze Nächte in süßer Vertraulichkeit und zärtlichen Gesprächen zusammen verlebten und bei sich alle Mittel und Wege erwogen, dem kalten Liebesfeuer des alten, der Jungfrau aufgedrungenen Lords zu entfliehen. Laurea wünschte nichts sehnlicher, als durch die Ehe mit dem Manne verbunden zu werden, von dem sie ihr Glück und ihre Zufriedenheit erwartete. Als sie demnach den beharrlichen Willen ihres Vaters erkannt hatte, sie gegen ihre Neigung zu vermählen, und als der Hochzeitstag bereits anberaumt worden war, beschloss sie, lieber tausendfachen Tod zu erleiden, als ihr Jawort zu geben und somit die ihrem Freunde schon seit langer Zeit verpfändete Treue zu brechen. Die Liebenden versiegelten sich gegenseitig mit einem langen innigen Kusse ihre Versprechungen und ordneten ihre Flucht auf den nächstkommenden Morgen an, um an irgendeinem verborgenen Orte ihre eheliche Verbindung zu vollziehen.

Der getroffenen Abrede zufolge stellte sich Lord Barns zu rechter Zeit und Stunde mit einer zahlreichen, für den Fall des Verrates oder der Entdeckung wohlbewaffneten Dienerschaft vor dem Hause seiner Geliebten ein, nahm sie, die zur Abreise fertig seiner harrte, hinter sich auf seinen tüchtigen Hengst und verteilte seine Leute, um ja von keinem Unfalle überrascht und aufgehalten zu werden, wie jemand, der sehr zu verlieren besorgt, was er mit großer Mühe erworben hat, rechts und links, vor- und rückwärts aus seiner Nähe, damit sie ihm von allen Seiten Schutz und Verdeckung verliehen. Er selbst trat mit seiner Geliebten seine Flucht durchaus nicht eilig an, denn weil er ihrer zarten Jugend und Gesundheit durch die Erschütterung eines scharfen Trabes zu schaden fürchtete, so ließ er sein Pferd gemächlich querfeldein schreiten, ohne sich auf einem gebahnten Wege oder in einer gewissen Richtung zu halten und etwa achtzuhaben, ob er auch immer von den Seinigen umgeben sei.

Er mochte eine lange Strecke durch Wald und Feld geritten sein, ohne einen Zufluchtsort gefunden zu haben, als er in einem dichten Gebüsche an der Landstraße ein Haus wahrnahm, das einer Herberge für Reisende ähnlich sah. Er lenkte sein Pferd dahin, stieg mit der Dame ab und führte sie in Erwartung des Mittagessens nach einem oberen Zimmer, um sie ausruhen zu lassen.

Unglücklicherweise hatten vier bewaffnete Bauerlümmel, den Wald durchstreifend, den Ritter mit seinem schönen Fräulein, das sie für eine gefügige Dirne aus der Stadt hielten, in das Wirtshaus einkehren sehen. Von einer Hochzeit zurückkehrend, auf der sie sich die Magen vollgestopft und das Hirn durch Rebensaft umnebelt hatten, verlangten sie nichts mehr, als mit dem ersten besten anzubinden und in Händel zu geraten. Sobald sie nun in dieser Stimmung des Wirtes ansichtig wurden, bestürmten sie ihn mit der Frage, wohin das eben mit ihrem Schatze bei ihm abgestiegene Dämchen gekommen sei? – Warum fragt ihr mich nach ihr? antwortete der Wirt. – Weil wir ihr Gesellschaft leisten und uns mit ihr in ihrem Gewerbe vergnügen wollen. – Was! rief der Wart aus. Ich glaube, dass ihr von Sinnen oder närrisch geworden seid. Es ist Mylord Barns, der die Dame hierhergebracht hat, und, wie ich glaube, muss sie seine Verwandte sein. Ich bitte euch, eures Weges zu gehen und mein Haus nicht mit solchen Reden in Unehren zu bringen. Hätte sie Mylord mit angehört, es entstände gewiss und wahrhaftig Unheil daraus, denn es ist ein Herr, dem das Herz auf dem rechten Flecke sitzt und der lieber sein Leben darangeben, als eine einzige Beleidigung dulden würde. Es sind ja in der Stadt Orte genug, wohin ihr euch wenden könnt.

Der brave Gastwirt bestrebte sich auf alle mögliche Weise, dem verwegenen Vorhaben der vier Trunkenbolde zu steuern. Die Hitze des Weins hatte aber ihre Begierden dermaßen angereizt und ihren Verstand so sehr befangen, dass sie weder auf seine Vorstellungen noch auf die Gefahr der Strafe achteten, sondern fortwährend gewaltsam in das Haus zu dringen drohten und mit Flüchen und gotteslästerlichen Schwüren bekräftigten, sie würden die Türe der Stube sprengen, in der sich die Dirne befände, wenn man sie ihnen nicht freiwillig überlieferte.

Über die Halsstarrigkeit der vier Kerle entrüstet und besorgend, auf die Dauer nicht ihrer wilden Heftigkeit widerstehen zu können, begab sich der Gastwirt zu dem Edelmanne in dessen Zimmer und hinterbrachte ihm ihre seltsamen Drohungen, indem er ihn ersuchte, selbst im Guten mit ihnen zu sprechen, da es ihm unmöglich sei, sie zu besänftigen. Als ein wohlerfahrener Mann stellt sich ihnen der Lord entgegen und fragt sie mit Leutseligkeit, was ihr Begehren von ihm sei? Die wilden Burschen gaben mit Anmaßung und Verwegenheit zur Antwort, sie wollten die von ihm im Hause verborgene Dirne zu ihrer Kurzweil haben, und er möge sie ihnen dann wenigstens überlassen, sobald sie in seinem Besitz gewesen sei. Wie, ihr Leute? entgegnete der Edelmann, ist euch mein Stand und Herkommen so unbekannt, dass ihr nicht wisst, wie ich schwerlich jemals eine übelberüchtigte Frau begleiten möchte, der ich von Jugend auf mit dem Könige erzogen worden bin? Unmöglich scheint es mir, dass ihr niemals von meinen Waffentaten unter der Anführung so tapferer Feldherrn gehört haben solltet! Und überdies versichert euch mein Wirt als Ehrenmann, dass das unter meinem Schutze hier befindliche Fräulein eine Verwandte von mir ist und einem so vornehmen Hause angehört, dass ihr sie, wie ich von eurer Rechtlichkeit überzeugt bin, gewiss nicht beleidigen werdet. Wenn ihr mir das Vergnügen machen wollt, mit mir zu Mittag zu essen, so werdet ihr meine Dienerschaft sehen, die alsbald ankommen muss, und euch dann mit eigenen Augen überzeugen, dass ich euch nicht belogen habe.

Alle diese höflichen und milden Worte vermochten indessen die vier Bösewichter nicht zu begütigen. Im Gegenteil, je mehr ihnen Lord Barns zuredete, desto höher schwoll ihre verzweifelte Raserei an, und sie erklärten ihm geradezu: der Edelmann, dessen Namen er sich anmaße, sei nicht gewohnt, allein und auf solche Weise über Land zu ziehen, und er möge nur nicht viel widersprechen und sich weigern, sondern die Dirne kurz und gut herausgeben, sonst würden sie sie ihm wider seinen Willen mit Gewalt und mit dem Schwerte in der Faust abnehmen.

Der brave Lord übersah zwar nicht, welchen ungleichen Kampf er allein gegen viere zu bestehen haben würde, er hatte aber schon so viele Gefahren und Schlachten ritterlich durchfochten, dass er, als er jetzt diese letztere Drohung vernahm und die Entschlossenheit der Trunkenen sah, in seinem Zorne viel lieber sein Leben daransetzen als seine Dame der geringsten Kränkung ihrer Ehre preisgeben wollte. Um sich desto besser verteidigen zu können, zog er sich auf der Stelle nach seinem Zimmer zurück und ward an dessen Eingang zwar von seinen Gegnern allerwärtsher wütend angefallen, bekämpfte sie aber mit so außerordentlicher Kraft und Geschicklichkeit, dass er sie allesamt verwundete und in die Flucht schlug.

Nichtsdestoweniger erreichte ihn sein widerwärtiges Geschick, als er die fliehenden Schelme zu ungestüm und hitzig verfolgte, dergestalt, dass er die sehr schmale Stiege hinab in die Spitze seines Dolches stürzte und von einem der Flüchtigen, der, den Kopf zurückwendend, seinen Unfall wahrnahm, mit der Partisane durchstochen ward.

Die Mörder scharrten den Leichnam des augenblicklich Verscheidenden in dem Garten des Wirtshauses ein und stürzten, nachdem sie dies jammervolle Geschäft beendigt hatten, wie heißhungrige Wölfe in das Zimmer der schönen Laurea hinauf, die, über solchen Überfall aus ihrem Schlummer erwachend und über das rohe und verstörte Wesen und Aussehen der Fremden entsetzt, nach ihrem Geliebten dringend um Hilfe schrie.

Das zarte, blendend weiße Antlitz der Jungfrau, der Ausdruck von Angst und Schrecken, der sich darin malte, veranlasste die Mörder allerdings, in einer gewissen Regung von Mitleid ihr Trost zuzusprechen. Jedoch nur an die Gesellschaft von Edelleuten gewöhnt und jetzt in der Gewalt der vier nach Wein und Speisen höchst ekelhaft riechenden Landstreicher, deren einer sie dahin, der andere dorthin zerrte und zog, erwiderte sie auf ihre Äußerungen kein einziges Wort und brachte sie dadurch von neuem in Zorn, indem sie ihr unter rohen Flüchen erklärten: ihr Buhle habe bereits von ihren Händen den Tod erlitten, und sie möge also, da ihr nicht im mindesten zu hoffen stehe, jemals wieder mit dessen Liebkosungen erfreut zu werden, ihnen selbst zu Willen sein.

Bei der entsetzlichen Nachricht vom Tode ihres Freundes stieß das arme Mädchen einen so schweren Seufzer aus, dass sie damit ihre Seele aushauchen zu müssen glaubte. Sie versuchte sich mit den Namen ihres Vaters und ihrer Verwandten und Freunde zu helfen: aber sie predigte der übermäßigen sinnlichen Lust der Mörder umsonst Vernunft.

In der Hoffnung, eher einen einzigen als alle viere zusammen sich durch sanfte Worte günstig zu stimmen, beschwor sie sie nunmehr mit gefalteten Händen, ihr die Gunst zu erzeigen, sie jedes Mal mit dem einen allein zu lassen, der bei ihr bleiben wolle. Das Gesindel erwies sich bereitwillig, diesen Wunsch zu befriedigen, und nachdem sie den allerabscheulichsten Mörder ausersehen hatte, um ihn zuerst zu gewinnen, sagte sie zu ihm: Obgleich ich als Eure Sklavin und Gefangene in Euren Händen bin, finstrer Mann, ohne Euch im geringsten bekannt zu sein, so beschwöre ich Euch doch, da von Euch das ganze Schicksal meines Lebens abhängt, aus freiem und eigenmächtigem Willen mit einem trostlosen Weibe Erbarmen zu tragen, indem Ihr die Verteidigung ihrer Ehre unternehmt, die Euch von den größten Häusern Dank und Lohn verdienen wird, während ihr Euch sonst nur mit ihr selbst ins Verderben stürzt, wenn Euch das wenige Vergnügen, was Ihr bei der gewaltsamen Entehrung eines edlen Weibes haben könnt, vorzüglicher erscheint. Bedenkt Ihr, der Ihr mir zu der Errettung meiner Ehre der Geeignetste erscheint, dass meine Schändung nicht allein mit dem äußersten Rachedurste bis zu einem schmählichen Tode von den Meinigen geahndet werden wird, sondern dass die Strafe, die Euch Euer Gewissen für eine so gottlose Tat bereiten müsste, Euch auf ewig in den grässlichen Abgrund der Hölle schleuderte.–

Diese mit einem unversiegelten Strome von Tränen begleiteten Worte übten auf die gesunde Vernunft des mit ihrem Hause wohlbekannten Barbaren eine solche Gewalt aus, dass er sein Unterfangen augenblicklich aufgab. Entschlossen, Hand an seine Waffen zu legen, bereitete er sich schon vor, sie zur Beschützung der Jungfrau gegen seine Gefährten zu führen, die, über die lange Unterredung ungeduldig, 129 anfingen, wider die Tür zu stoßen und ihn zu ermahnen, sie einzulassen, als der die Sünder oft mit dem Auge der Gnade in ihrer Notdurft anschauende Herr mit der trostlosen Dame himmlisches Erbarmen trug. Denn indem der eine Mörder im Begriff stand, sich gegen dreie zu verteidigen, trug es sich zu, dass die Diener des Lord Barns, die ihren Gebieter lange an allen Orten und Enden gesucht hatten, zufälligerweise in die Waldherberge gelangten, wo ihnen der Wirt sogleich die betrübte Kunde von dem Edelmanne zu wisset tat, und wo sie als gute und getreue Knechte die vier Verbrecher gewaltsam ergriffen, in Banden schlugen und der Gerechtigkeit überlieferten, die durch eine grausam vergeltende Hinrichtung ein abschreckendes Beispiel an ihnen stiftete.

Die arme, ihren Eltern wieder zugeführte Laurea erkannte, welcher Argwohn und Verdacht ihren guten Ruf betreffen konnte, und ward so zu dem Entschlusse bewogen, teils aus Verdruss über die schlechte Behandlung, die ihr von Seiten ihrer Verwandten angedieh, teils aus ewigem Leidwesen über den Verlust ihres Geliebten, dessen Tod ihr Lebensglück vernichtet hatte, nimmermehr den Bund der Ehe mit einem anderen zu schließen, sondern sich dem Himmel gänzlich anheimzugeben. Demzufolge stahl sie sich eines Tages heimlich aus dem Hause fort und nahm den Nonnenschleier, indem sie, gegen den Willen ihres alten Vaters, allen Bitten und Vorstellungen, mit denen man sie bestürmte, zum Trotz, ihre übrigen Lebenstage der Erfüllung eines strengen Klostergelübdes widmete.

Bestrafte Untreue

In dem Herzogtume Brabant lebte ein junger Edelmann namens Girard, der bei dem Herrn des Landes in Diensten stand und für ein Edelfräulein desselben Hauses, namens Katharina, in Liebe entbrannt war.

Der wohlgebildete Jüngling fand Gelegenheit, seiner Dame zu erklären, was er für sie fühle, und so geschah es im Laufe der Zeit, als Katharina ihm eine günstige Antwort gegeben hatte, dass beide Liebenden ein Herz und eine Seele wurden. Wie denn nun aber die Liebe des öfteren die Augen ihrer Diener zu blenden pflegte, so übersah auch dieses junge Paar, dass sein vertrautes Verhältnis, nachdem es etwas länger als zwei Jahre gedauert hatte, nicht mehr wie anfangs im verborgenen fortbestand, sondern in dem Palaste zum öffentlichen Geheimnis geworden war und männiglich daselbst zur Unterhaltung diente.

Eine junge Freundin Katharinens sagte ihr endlich, dass die Sache mittels jener bösen Neidharte, die sich immerdar um Dinge bekümmern, die sie nicht betreffen, zur Kenntnis ihrer beiderseitigen Gebieter und ihrer eigenen Eltern gekommen sei. Ach! was ist da zu machen, meine liebe Schwester und Freundin? fragte Katharina. Rate mir, ich bitte dich, oder ich bin ein verlorenes, unglückseliges Weib. – Bei diesen Worten drangen Tränen aus ihren Augen und rannen über ihre Wangen bis auf das Kleid nieder. Als ihre gute Freundin dies sah, betrübte sie sich äußerst über ihren Schmerz und sagte, um sie zu trösten: Es ist töricht von dir, Schwester, deshalb so schwer zu trauern, denn man kann dir gottlob nichts vorwerfen, was deine Ehre kränkt. Wenn du dir die Liebesdienste eines Edelmannes hast gefallen lassen, so ist dies etwas, das kein Ehrenhof verbietet, sondern vielmehr die wahre Rittersitte, deren du nicht Ursache hast dich zu schämen, und um derentwillen dich in der Tat kein Mensch auf Erden schelten kann. Indessen würde ich es um der Gerüchte willen, die über deine Minne bestehen, allerdings für geraten halten, dass Girard auf eine unverdächtige Weise in Frieden und vielleicht unter dem Vorgeben von seiner Herrschaft schiede, eine große Reise anzutreten oder in den Krieg zu ziehen. Er ginge dann in der Stille an einem anderen Hof in Dienst und wartete die Zeit ab, bis der Himmel eure Liebe begünstigte, indem er dir mittlerweile durch Botschaften Nachricht von sich gäbe und ebenso über dein Empfinden unterrichtet würde. Eine solche Trennung, glaube mir, fuhr sie fort, stört eure Liebe nicht im mindesten, wenn sie aufrichtig ist, sondern befestigt sie im Gegenteil nur, indem sie das zweifelhafte Urteil eurer Augen, worauf sie seither beruhte, ihrer Prüfung unterwirft.

Katharina dankte ihrer Freundin für diesen guten Rat und pries ihn als einen sehr verständigen. Auch hatte sie nicht so bald die Gelegenheit gefunden, ihren geliebten Girard insgeheim zu sprechen, so vertraute sie ihm, dass ihre Liebe sowohl ihren Eltern als ihren Gebietern verraten sei, und stellte ihm nicht nur die Gefahren, die sie demzufolge bedrohten, sondern auch die einzige Abhilfe vor, die ihr dagegen von ihrer Freundin genannt worden war.

Vorher schon halb und halb des über ihn hereingebrochenen Unheils sich bewusst, das ihn härter betraf, als geschehen sein würde, wäre etwa die ganze Welt außer seiner Dame zugrunde gegangen, entgegnete Girard ihr die Worte: Ich bin Euer getreuer und ergebener Knecht, meine süße Freundin, der nächst Gott nichts auf Erden so sehr liebt als Euch. Ihr mögt mir heißen und gebieten, was Euch gefällig ist, und Ihr werdet jederzeit finden, dass ich Euch mit Freuden gehorche. Wollet jedoch bedenken, dass mir nichts Schlimmeres zustoßen kann, als aus Eurer Nähe scheiden zu müssen, und dass die erste Nachricht, die Ihr nach unserer Trennung von mir erfahren werdet, ganz gewiss keine andere ist als die meines durch den Gram um Euch herbeigeführten kläglichen Todes. Desungeachtet will ich Euch lieber mein Leben aufopfern und den Tod erleiden, als ein noch so langes Euch missfälliges Dasein führen. Vernichtet, tötet oder verbannt mich also, und tut mit mir in allem, wie es Euch gut deucht. – Als die besorgte, kummervolle Katharina, die in ihrem Herzen eine wahrhafte Liebe zu ihrem Freunde trug, ihn dermaßen sich betrüben sah, hätte sie sich fast erboten, ihn auf seiner Reise zu begleiten, wenn die große Kraft der Tugend, womit sie Gott begabt hatte, nicht in ihr gewesen wäre und sie bewogen hätte, geduldig abzuwarten, ob ihr vielleicht in der Zukunft ein Ersatz für das jetzt Verlorene verborgen sei. Sie erwiderte also: Mein Freund, es ist notwendig, dass du mich verlässt. Ich bitte dich, bleibe derjenigen eingedenk, die dir ihr Herz zu eigen gegeben hat. Damit du den Mut habest, deinen Wünschen und Neigungen entgegen, zu tun, was die Vernunft von dir fordert, verspreche ich dir und versichere dich bei meiner Liebe, dass ich nimmermehr mit meinem Willen eines anderen Mannes Gattin sein werde, solange du mir deine Treue unversehrt erhältst. Zum Zeichen und zur Beglaubigung dessen gebe ich dir hier diesen mit schwarzen Tropfen überschmelzten goldenen Fingerreif. Und wenn man mich jemals sollte anderwärts vermählen wollen, werde ich mich dieses Zwanges solchergestalt erwehren, dass du mit mir zufrieden sein und erkennen sollst, wie ohne Falsch ich dir treu zu bleiben gedenke. Geh hin, und sobald du eine neue Stätte deines Bleibens gefunden hast, laß mich von dir wissen und erwarte getrost, dass du auch von mir Nachricht empfängst. – Ach! meine werte Gebieterin, sprach Girard, ich sehe wohl ein, dass ich dich auf eine Zeitlang verlassen muss, und bitte nur Gott, dass er dir mehr Freuden schenken möge, als er mir zu gönnen scheint. Du hast mir durch dein Versprechen eine so hohe und unverdiente Gunst erzeigt, dass ich dir gar nicht genugsam und mit nichts anderem als mit dem nämlichen Versprechen meinerseits dafür danken kann, indem ich dich zugleich inständigst bitte, dir meinen geringen Willen für eine bessere Tat gefallen und gelten zu lassen. Lebe wohl, meine Augen grüßen dich zum letzten Male mit dem, was meiner Zunge die Sprache raubt. – Mit diesen Worten küßte er sie und sie ihn auf das brünstigste, und ging ein jedes in sein Zimmer, wo es seinen Schmerz in Klagen laut werden ließ und Tränen der Liebe vergoss. Zur Stunde, da sie sich öffentlich zeigen mussten, zwang sich ein jedes anders auszusehen, als ihm um sein trostloses Herz zumute war. In wenigen Tagen erlangte Girard von seinem Gebieter seinen Abschied nicht um deswillen ohne große Mühe, weil er sich etwa in seinem Dienste hätte Fehler zuschulden kommen lassen, sondern weil Katharinens Angehörige sich mit ihrer Liebe zu ihm unzufrieden bezeigten, der lange nicht so reich wie sie und nicht aus so gutem Hause war, und weil sie befürchteten, dass die Jungfrau ihn heiraten möchte, wie es allerdings nicht geschah. Also reiste Girard ab und kam nach mehreren Tagereisen nach Barrois, wo er in dem Paläste eines Großen ein Unterkommen fand und sogleich seiner Dame von sich Nachricht gab, die sich darüber sehr erfreute und ihn durch den rückkehrenden Boten wiederholt ihrer Treue versicherte.

Es ist hier zu wissen, dass alsbald nach Girards Abreise aus Brabant verschiedene Edelleute, Knappen sowohl als Ritter, sich an Katharinen mit dem Bemühen drängten, ihre Gunst und Gewogenheit zu erwerben, die, während Girard ihr diente, ihr nicht genaht waren, weil sie wussten, dass sie ihm den Vorzug gab. In der Tat verlangten nun auch deren einige sie von ihrem Vater zur Ehe, und wie denn ihm vorzugsweise einer zu seinem Eidam genehm war, so berief er seine Vertrauten und seine schöne Tochter vor sich, gab ihr sein Alter und die große Freude zu bedenken, die er empfinden würde, könnte er noch bei seinen Lebzeiten ihr Schicksal in dieser Welt entschieden sehen, und schloss mit der Erklärung: jener ihm sehr wohl anstehende Edelmann habe sie von ihm zur Ehe begehrt, und er sei willens, wenn irgend sonst auch seiner Freunde Rat dahin ausfiele und seine Tochter ihm gehorchen wolle, auf dessen ehrenvollen Antrag einzugehen.

Alle Freunde und Verwandten des alten Herrn priesen und billigten diese Verbindung außerordentlich, in Ansehen der Tugenden, Reichtümer und anderweitigen Vorzüge des edlen Freiers. Als nun aber die Reihe an Katharinen kam, auch ihren eigenen Willen kundzugeben, versuchte sie freilich, sich damit zu entschuldigen, dass sie gar nicht heiraten möge, oder wenigstens diese Heirat unter mancherlei Ausflüchten ins Ungewisse zu verschieben. Am Ende sah sie sich jedoch dahin gebracht, sich entweder die Ungunst ihrer Eltern, Freunde, Verwandten und Gebieter zuzuziehen oder ihr ihrem Freunde Girard angelobtes Wort zu brechen. Da mittels dessen sie doch für den Augenblick die Ihrigen zufriedenstellen und ihrem Geliebten treu bleiben könnte. Sie sagte: »Mein vielgestrenger Herr und Vater! Ich möchte Euch um keinen Preis in der Welt ungehorsam sein; aber ich vermag auch ein Gelübde nicht zu brechen, dass ich Gott, meinem Schöpfer, getan habe, dem ich noch mehr als Euch zu eigen gehöre. Es ist nämlich der Fall mit mir, dass ich in meinem Herzen und vor Gott den Vorsatz gefasst habe, nicht sowohl gar nicht als vielmehr jetzt nicht zu heiraten, bevor mir der Himmel diesen oder einen anderen Stand als den angewiesen habe, der mit zu meiner armen Seele Heil vonnöten ist. Ich bin zwar nichtsdestoweniger, um Euch eben nicht zu betrüben, gern bereit, den Himmel um seinen Ratschluss geradezu zu befragen; es müsste Euch aber nur wohlgefällig sein, mir zu gestatten, eine Wallfahrt zu dem heiligen Nikolaus von Varengeuille zu tun, dem ich meine besondere Verehrung gewidmet habe.« – Sie tat diesen Vorschlag, um unterwegs ihren Geliebten zu sehen und ihm ihre Not und Drangsal zu klagen. Ihr Vater war nicht wenig erfreut, den guten Willen und die weise Antwort seiner Tochter zu vernehmen. Er bewilligte ihr Verlangen und wollte auf der Stelle die Vorbereitungen zu ihrer Abreise treffen, indem er in Gegenwart seiner Gemahlin zu seiner Tochter sprach: »wir geben ihr den und jenen Edelmann zur Begleitung mit. Isabeau, Marguerite, und Jeaneton reichen zu ihrer Bedienung hin.“ – „Ach! gnädiger Herr Vater,“ warf ihm Katharina ein, „dem soll nicht also geschehen, wenn es Euch gefällt. Ihr wisst, dass der Weg zum heiligen Nikolaus schon an sich nicht allzu sicher ist, geschweige denn für Leute, die mit großem Gefolge reisen oder gar für ein Frauengeleite. Das muss man wohl bedenken. Dann könnte ich auch nicht ohne bedeutenden Aufwand an Ort und Stelle gelangen, und wenn wir auf der Straße etwa an Geld und Gut ausgeplündert würden oder gar meine Ehre Schaden erlitte, so wäre dies doch ein großer Übelstand. Ich möchte es also, vorausgesetzt, dass es Euren Beifall hätte, für rätlich halten, Ihr ließet mir eine männliche Kleidung verfertigen und vertrautet mich der alleinigen Obhut und dem Geleite meines Oheims, des Bastards, an. Ich reiste selbander mit ihm auf zwei kleinen Pferdchen in größerer Sicherheit, gleichwie auch billiger, und wurde also viel getrosteren Mutes als in großem Gefolge sein.“

Der ehrbare Herr dacht‘ ein wenig dem Rate seiner Tochter nach, befragte seine Hausfrau, was sie davon halte, und kam mit ihr dahin überein, dass die Rede eines tief begründeten Sinnes nicht ermangele. Nachdem darauf die Vorbereitungen zur Reise rasch hintereinander getroffen worden waren, begab sich die schöne Katharina, in zierlicher deutscher Tracht, nur von ihrem Oheim, dem Bastard, begleitet, auf den Weg und langte an dem Ziele ihrer Wallfahrt an. Als sie nun bereits die Rückreise angetreten hatten und neben anderen Gesprächen eben Gott dankten, dass er ihnen bis dahin nur Erfreuliches habe zustoßen lassen, redete Katharina ihren Oheim folgendermaßen an: »Mein Oheim, lieber Freund! Ihr wisst, wie es von mir, der alleinigen Erbin meines Vaters, abhängt, Euch viel Gutes zu erweisen, und ich sage Euch, dass ich von Herzen gern bereit bin, dies zu tun, wenn Ihr mir in einer kleinen Sache, die ich unternommen habe, insofern dienen wollt, als ihr mir gestattet, mich in den Palast jenes vornehmen Barons von Barrois zu begeben, bei dem sich Girard aufhält, und mir darin womöglich für einige Tage Aufnahme zu verschaffen. Wir lernen also das Land kennen und wissen was Neues zu erzählen, wann wir zurückgekommen sind. Dass ich meine Ehre dort behüte, so wie es einem rechtschaffenen Mädchen zusteht, daran zweifelt nicht.«

Der Oheim wusste, dass die Tugend seiner Nichte Katharina keine Obhut erforderte, und da er überdies hoffte, durch sie in der Folge eine bessere Lage zu gewinnen, so sagte er ihr seine Dienste in ihrem Unternehmen zu, indem er mit ihr, die nicht aufhören konnte, ihm zu danken, übereinkam, sie Conrad zu nennen.

Als sie nun binnen kurzem an dem von Katharinen ersehnten Orte anlangte, kehrte der Oheim mit den Pferden in einer Herberge ein und wandte sich Conrad demnächst allein an den Haushofmeister des Barons, der ehemals Schildknappe gewesen war und ihn als Fremden ehrenvoll und höflich bewillkommnete. Conrad fragte ihn, ob sein Herr nicht einen jungen Edelmann in Dienst nehmen möge, der auf Abenteuer umherziehe, um die Welt zu sehen. Der Haushofmeister fragte dagegen, aus welchem Lande er komme, und er erwiderte, dass er aus Brabant sei. Nun wohl, sagte jener, Ihr mögt zu Mittag essen, und über Tisch rede ich Euretwegen mit dem Herrn. – Er führte den Reisenden in ein schönes Gemach, ließ den Tisch decken, ein gutes Feuer anfachen, eine Suppe mit einem Stück Hammelfleisch und weißen Wein in Erwartung des Mittagessens auftragen und begab sich sodann zu seinem Herrn, dem er erzählte, dass ein junger Edelmann aus Brabant in der Absicht gekommen sei, ihm zu dienen, vorausgesetzt, dass er seiner benötige. Er hatte jedoch den Pflichten seines Amtes an der herrschaftlichen Tafel nicht so bald Genüge getan, als er auch schon zu Conrad zurückkehrte, um gemeinschaftlich mit ihm zu Mittag zu speisen, und zu Conrads Gesellschaft Girard mitbrachte, weil dieser gleichfalls aus Brabant gebürtig sei. Da ist ein Edelmann aus Eurem Lande, sagte er zu Conrad. Ich freue mich seiner Bekanntschaft, erwiderte dieser, und Girard hieß ihn willkommen, wiewohl er seine Dame nicht wiedererkannte.

Während ihrer gegenseitigen Höflichkeitsbezeigungen wurde das Essen aufgetragen, und darauf setzte sich der Haushofmeister mit den beiden jungen Leuten nieder. Dem verkleideten Conrad währte diese Mahlzeit überaus lange, denn er hoffte, mit seinem Freunde nachher ein frohes Wiedersehen zu feiern, da er gar nicht zweifelte, dass dieser ihn alsbald an seiner Sprache sowohl wie an dem, was er ihm über Brabant zu sagen gedachte, wiedererkennen werde, wenngleich alles ganz anders kam und Girard zu Conrads höchlichem Erstaunen auch schon während des Essens sich nach keiner Menschenseele in Brabant erkundigte. Nach Tische nahm der Herr des Hauses den jungen Conrad in seine Dienste auf, und der Haushofmeister verordnete als ein denkender Mann, dass Girard und Conrad als Landsleute Stubengenossen würden.

Sie gingen also beide Arm in Arm von dannen, um nach ihren Pferden zu sehen, und was ferner Girard anlangte, so schwieg er beharrlich über Brabant still.

Der arme Conrad oder die schöne Katharina fing daher schon allmählich an zu besorgen, ihr Name möge von Girard auf sein altes Sündenregister gestellt worden sein, weil er, wenn dem anders gewesen wäre, sich doch gewiss nicht würde haben enthalten können, wenigstens über das vornehme Haus, worin sie lebte, Erkundigungen einzuziehen. Sie verhehlte ihm indessen die große Herzensangst, die sie bedrängte, und suchte im stillen mit sich einig zu werden, was sie tun, ob sie sich ihm noch länger verbergen und ihn mit verfänglichen Fragen auf die Probe stellen oder ob sie sich ihm gleich zu erkennen geben sollte. Am Ende entschloss sie sich dazu, noch länger Conrad zu bleiben und zuzusehen, wie es mit Katharinens Andenken in Girards Herzen beschaffen sei. Der Abend strich wie der Mittag hin, und Girard und Conrad plauderten miteinander, als sie in ihr Zimmer gekommen waren, mancherlei; es gefiel jedoch dem armen Conrad nichts von alledem sonderlich. Als er nun sah, dass sein Gefährte durchaus kein Wort vorbrachte, was ihm nicht in den Mund gelegt wurde, so fragte er ihn, aus welchem Hause er in Brabant sei, wie er hierhergekommen und was sich daselbst seit der Zeit, dass sie ihr Vaterland verlassen, neues zugetragen habe. Girard antwortete, wie er es für gut befand, und Conrad fragte ihn ferner, ob ihm nicht der oder jener Edelmann bekannt sei? Bei St. Johannes! ja, erwiderte Girard, als ihm Conrad seinen derzeitigen Gebieter nannte, den kenne ich recht wohl; sagte aber nicht, dass er jemals in dessen Haus gekommen sei, geschweige denn dort gewohnt habe. – Man sagt, fuhr Katharina fort, es soll sehr schöne Damen in dem Palaste geben. Habt Ihr keine von ihnen kennengelernt? Nicht näher, meinte er, und ich bekümmere mich gar nicht um sie. Lasst mich schlafen, ich vergehe hier vor Schläfrigkeit. – Wie könnt Ihr doch nur schlafen, sprach sie, solange von schönen Mädchen die Rede ist? Das ist ein Zeichen, dass Ihr nicht verliebt seid; Girard antwortete aber hierauf kein Wort, sondern schnarchte wie ein Ratz.

Die arme Katharina wusste nun wohl so ziemlich, woran sie war, aber sie gedachte ihm noch eine schärfere Prüfung zu.

Am anderen Morgen sprach ein jeder von dem, was ihm am Herzen lag, Girard von Hunden und Vögeln und Conrad von schönen Mädchen in Brabant und am Orte selbst. Nachmittags wusste Conrad Girard von den anderen zu entfernen und sagte zu ihm, als er mit ihm allein war: Barrois missfiele ihm schon sehr stark, denn er finde, Brabant sei doch ein ganz anderes Land, wodurch er ihm zu verstehen gab, sein Herz zöge ihn gewaltig nach Brabant hin. Auf diese Äußerung entgegnete Girard: Was seht Ihr denn wohl in Brabant, das nicht auch hier wäre? Habt Ihr hier nicht ebenso viele und große schöne Wälder zur Jagd, ebenso schöne Flüsse, Ebenen, nicht minder wohl zur Ergötzlichkeit mit Vögeln gelegen, ebenso viel Wildbret und andere wünschenswerte Dinge als dort? – Ach, was ist das alles! rief Conrad aus: sind doch die Frauen von Brabant ganz andere als diese hier, und gefallen sie mir ebenso wohl und mehr als Euer Jagen und Vogelstellen! – Bei Sankt Johann! das ist etwas anderes, sprach Girard, Ihr mögt, wie ich höre, gewaltig verliebt in Eurem Brabant sein? – Meiner Treu! antwortete ihm Conrad, warum sollte ich es Euch verhehlen? Ja, ich bin in der Tat verliebt. Um deswillen zieht mich auch mein Herz so gewaltsam und stark dahin, dass ich Euern Barrois sicherlich eines Tages einmal werde verlassen müssen, denn es wird mir auf die Dauer unmöglich fallen zu leben, ohne meine Dame wiederzusehen. – Sonach ist es eine Torheit, mein Freund, sagte Girard, dass Ihr sie verlassen habt, wenn Ihr nicht Unbestand oder Kraft zur Genüge in Euch fühlet, sie zu vergessen und die Herrschaft über Eure Sinne und Vernunft wieder an Euch zu reißen! – Dieses Gespräch führten sie vor der Hand nicht weiter, sondern sie kamen davon ab und griffen es nicht eher als nach dem Abendessen wieder auf, als sie miteinander zu Bett gegangen waren. Alsdann würde Girard freilich auch an nichts anderes als wieder an Schlaf gedacht haben, wenn nicht Conrad ein langes schmerzliches Geklage angestellt hätte, das er damit beschloss: Ach, Girard! wie vermöget Ihr nur neben mir so sehr nach Schlaf verlangen, der ich von solcher Sehnsucht und solchem Kummer wach erhalten werde, dass es zu verwundern steht, wie es Euch sogar nicht einmal ein wenig rührt. Glaubt mir, wenn es eine ansteckende Krankheit wäre, die mich befallen hätte, Ihr kämt nicht mit heiler Haut wieder aus meiner Nähe fort. – Beim Gotte der Liebe! sprach Girard, ich sah noch in meinem Leben keinen so törichten Verliebten! Meint Ihr denn etwa, dass ich niemals verliebt gewesen sei? Ich weiß wahrhaftig auch, was es damit auf sich hat, und habe das mit durchgemacht wie Ihr; aber ich trieb das Ding nimmermehr so weit, darüber Schlaf und Besinnung zu verlieren, so wie Ihr jetzt tut! Glaubt Ihr wohl, dass Eure Dame sich auch so anlassen wird wie Ihr? Oh, mitnichten! mitnichten! – Ich bin dessen gewiss, sagte Conrad, sie ist mir zu treu gesinnt, um mich zu vergessen. – Ei was! warf ihm Girard ein, Ihr mögt sagen was Ihr wollt, ich glaube nimmermehr, dass eine Frau jemals ihre Treue halten kann, nur verliebte Gecken bilden sich noch so was ein. Ich habe ebenso geliebt wie Ihr und liebe eine Dame gegenwärtig noch recht sehr. Die Wahrheit zu gestehen, kam ich eigentlich wegen einer Liebschaft von Brabant fort, denn zur Zeit meines Scheidens stand ich gar sehr in der Gunst eines schönen, guten und edlen Mädchens, von der ich nur mit großem Leidwesen ließ, und deren Verlust mir einige Tage lang gewiss nahe ging, wenn ich mich darob gleich nicht so gebärdete wie Ihr und auf Schlaf und Speise ihrethalb verzichtete. Als ich mich nun aber einmal von ihr geschieden sah, da tröstete ich mich natürlich über das, was sich nicht ändern ließ, damit, dass ich mir bei einer anderen Zutritt verschaffte, und so habe ich es, Gott sei Dank! jetzt wieder so weit gebracht, dass ich von einem recht schönen Mädchen, das ich liebe, wieder geliebt und begünstigt und meiner alten Liebe, wie meines Kummers, ledig bin. – Wie ist es aber möglich, sprach Conrad, dass Ihr die andere so schnell vergessen und verlassen konntet, wenn Ihr sie einst von Herzen lieb hattet. Ich vermag nicht zu begreifen und einzusehen, wie das zugehen kann? – Es ist nichtsdestoweniger geschehen, entgegnete Girard, begreift es, wie Ihr es imstande seid. – Das ist die Treue nicht wohl gehegt, blieb Conrad dabei, was mich betrifft, ich würde lieber tausendmal sterben, wenn es möglich wäre, als gegen meine Dame eine so große Falschheit begehen, und Gott möge es mich nicht erleben lassen, dass ich jemals auch nur den Gedanken einer Untreue an ihr fasse. – Desto schlimmer für Euch, sagte Girard, wenn Ihr in der Albernheit beharrt. Ihr werdet also niemals glücklich und zufrieden werden, sondern nur immer träumen und brüten, ohne Genuss davon zu haben, und auf Erden vertrocknen wie ein schönes Kraut im Ofen. Ja, wenn Ihr Euch denn mit aller Gewalt zum Selbstmörder macht, so wird Eure Dame am Ende über Euch lachen, falls Euer Jammer Euch das Glück beschert, zu ihrer Kenntnis zu gelangen. – Wie? fragte Conrad: So seid Ihr vor Zeiten auch in der Liebe erfahren gewesen? Nun, dann ersuche ich Euch, mich zu unterweisen, auf was für Art ich mich ebenso von einem Übel heilen kann, wie es Euch gelungen ist. – Lasst Euch sagen, sprach Girard, ich führe Euch morgen zu meiner Dame, eröffnet ihr, dass wir Freunde und Genossen sind, und bittet sie, dass sie ihre Gefährtin für Euch gewinnt. So zweifle ich denn ganz und gar nicht, dass Ihr bald gute Tage haben werdet, wenn Ihr wollt, und dass Eure Schwermut allmählich von Euch schwinden soll, wenn ihr die Nahrung entzogen wird. – Das würde mir alles recht wünschenswert sein, erwiderte Conrad, wenn ich nur nicht meiner Dame die ihr zugeschworene Treue brechen müsste. Indessen will ich versuchen, wie es damit gehen wird. – Nach diesen Wechselreden wandete sich Girard um und entschlief, und Katharina fühlte sich durch die offenbare Untreue und Verräterei dessen, den sie mehr als alles in der Welt liebte, innerlich zu Boden gedrückt, dass sie sich aufrichtig den Tod wünschte. Desungeachtet fasste sie sich, verleugnete alle weiblichen Schwächen und waffnete sich mit männlicher Kraft. Ja, am anderen Morgen hatte sie sogar die Ausdauer, mit derjenigen, die ihren geliebten Girard ihr entrissen, eine lange Unterredung zu bestehen und ihr Herz und ihre Augen zu zwingen, Zeugen der Vertraulichkeit zu sein, mit der sich die Liebenden in ihrer Gegenwart unbedenklich begegneten. Derweil die Dame nun mit ihrer Gefährtin im Gespräche begriffen war, sah Katharina von ungefähr den Ring in ihrem Zimmer liegen, den sie beim Abschiede ihrem ungetreuen Liebhaber zum Andenken geschenkt hatte. Sie besaß Geistesgegenwart genug, sogleich einen Entschluss zu fassen, nahm den Ring, wie um damit zu spielen, auf eine schlaue Weise in die Hand, betrachtete ihn hin und wieder und steckte sich ihn endlich an den Finger; worauf sie, wie seiner uneingedenk, baldigst aufbrach und von dannen ging.

Unmittelbar nach dem Abendessen des nämlichen Tages begab sich Katharina zu ihrem Oheim und sprach zu ihm: Wir sind gegenwärtig lange genug in Barrois gewesen. Es ist Zeit, wieder abzureisen. Seid morgen früh mit Tagesanbruch fertig und bereit, ich werde es gleichfalls sein. Auch unterlasst nicht, Sorge zu tragen, dass alle unsere Sachen wohl aufgepackt sind. – Kommt Ihr nur so früh, als es Euch gut dünkt, entgegnete der Oheim, Ihr sollt nichts weiter zu tun finden, als Euer Pferd zu besteigen. – Von diesem Ausgange in ihr Zimmer zurückgekehrt, benutzte Katharina die Abwesenheit Girards, der unterdessen bei seiner Dame weilte, setzte sich nieder und erinnerte ihn nicht nur in einem langen Briefe, den sie ihm schrieb, an ihre gegenseitige Liebe in Brabant sowie an die Schwüre, die er ihr bei seiner Abreise verpfändet hatte, sondern schilderte ihm auch, wie man sie trotz ihres Widerwillens habe mit einem anderen vermählen wollen, weshalb sie ihre Zuflucht zu einer Wallfahrt genommen, um ihre eigenen Schwüre zu sichern und ihn wiederzusehen. Danächst fügte sie die Erklärung gegen ihn hinzu, dass sie, von seinem Treubruche durch Worte und Taten hinlänglich überzeugt, ihres ihm gegebenen Wortes sich für erledigt halte und in ihr Vaterland zurückkehre, wohin sie keinen größeren Wunsch mit sich nehme als den, den allerwortbrüchigsten Mann auf Erden nimmer wiederzusehen, der da sogar schon ihren glücklicherweise von ihr wiedererlangten Ring veruntreut habe, und schloss mit der Bemerkung: er könne sich zwar rühmen, drei ganze Nächte an ihrer Seite geruht zu haben, er möge dies aber immerhin laut und öffentlich tun, sie fürchte sich dessen nicht.

Diesen mit ihrer ihm wohlbekannten Hand geschriebenen Brief unterzeichnete sie mit ihrem Namen Katharina und richtete die Aufschrift: »An den ungetreuen Girard«. Sie brachte die ganze Nacht schlaflos zu, und so wie sie nur den Tag aufdämmern sah, stand sie leise von ihrem Bette auf, kleidete sich so geräuschlos an, dass Girard nicht im mindesten davon geweckt wurde, nahm ihren Brief, den sie gefaltet und verschlossen hatte, und steckte ihn in den Ärmel von Girards Wams, indem sie ihn Gott anempfahl und bittere Tränen des Schmerzes über den schlechten Streich, den er ihr gespielt hatte, vergoss.

Girard schlief ohne sich zu rühren weiter, und Katharina kam zu ihrem Oheim, der ihr in Bereitschaft stehendes Pferd ihr übergab, bestieg es und langte wohlbehalten in Brabant an, wo sie mit vielen Freuden empfangen wurde.

Man kann sich leicht vorstellen, wie viele Fragen über die Begebnisse der Reise an sie gerichtet wurden; indessen hütete sie sich wohl, was sie auch alles darauf erwiderte, nicht ihr vernehmlichstes Abenteuer gegen andere zu erwähnen. Was Girard betrifft, so wachte er am Tage der Abreise Katharinens ungefähr erst um zehn Uhr morgens auf. Da er seinen Genossen Conrad an seiner Seite vermisste und ihn auch nicht mehr im Zimmer sah, so sprang er rasch aus dem Bette, in der Meinung, es sei schon spät. Indem er sich nun aber ankleidete und mit dem einen Arme in sein Wams fuhr, stieß er einen Brief aus dem Ärmel heraus. Voller Verwunderung, weil er sich bewusst war, keinen darin verborgen zu haben, hob er das Schreiben auf und sah, dass es versiegelt und: „An den ungetreuen Girard“ überschrieben war.

Hatte er sich vorher gewundert, so war er jetzt über die Maßen erstaunt, erbrach den Brief nach einigen Augenblicken und fand, als er nach der Unterschrift sah, dass diese lautete: »Katharina, benannt Conrad«. Er wusste zwar noch nicht, was er von alldem denken sollte; aber er überlas den Brief nichtsdestoweniger. Indem er las, stieg ihm das Blut in den Kopf, erbebte ihm das Herz. Er wechselte des öfteren die Farbe, und auch sein ganzes Äußere veränderte sich. Wie hart es ihm auch ankam, so setzte er sich doch von dem Inhalt des Briefes in vollständige Kenntnis und erfuhr also, dass seine Treulosigkeit derjenigen, die ihm so wohl gewollt hatte, nicht mehr verborgen war. Ja, das schlimmste bei der Sache war, Katharina hatte diese Kenntnis nicht etwa durch andere Zuträgerei, sondern durch ihren eigenen untrüglichen Augenschein erlangt. Es musste ihn überdies wohl außermaßen verdrießen, drei Nächte hindurch neben ihr in einem und demselben Bette geschlafen zu haben, ohne es zu ahnen. Er knirscht vor Wut und ist nahe daran, rasend zu werden, als er sich durch seine eigene Schuld so betrogen sieht. Nach mancherlei Bedenken weiß er nichts anderes zu tun, als ihr zu folgen. Er nimmt also, in der Hoffnung, sie einzuholen, seinen Abschied von seinem Herrn, begibt sich auf den Weg, den Fußtapfen ihrer Pferde folgend; erreicht aber Brabant erst, nachdem sie schon dort eingetroffen ist.

Girard kam so zur rechten Stunde in der Vaterstadt seiner Geliebten an, dass er ein Zeuge ihrer Hochzeit sein konnte, die er gehofft hatte, sich durch Schmeichelreden, Küsse und Liebesblicke leicht zu versöhnen. Als er sich Katharinen zu nähern versuchte, drehte sie ihm den Rücken zu, und gleich wie es ihm an diesem Tage nicht gelang, ihr ein einziges Wort zu sagen, also war er auch an keinem der darauffolgenden glücklicher. Er trat einmal auf sie zu, um sie zum Tanz zu führen; aber sie wies seine Aufforderung vor den Augen vieler Menschen zurück; obwohl sie gleich danach, als ein anderer Edelmann die Spielleute aufspielen ließ und ihr die Hand reichte, zu ihm herniederstieg und vor Girards Augen mit ihm tanzte.

Auf diese Weise verlor der Ungetreue seine Dame, und wenn es seinesgleichen noch mehr gibt, so mögen sie sich in diesem Beispiele, das sich wirklich zugetragen hat, spiegeln. Und möge es ihnen ergehen wie ihm!

Die drei Geduldproben

Es lebte in Mantua dereinst ein Edelmann namens Aloisio, aus dem Hause Canossa, in großem Wohlbehagen und Ansehen. Er hielt immerdar offene Tafel und ermangelte niemals der guten Freunde, die bei ihm zusprachen. Er hatte bereits sechzig Jahre im ledigen Stand gelebt, als einige seiner Freunde ihm zuredeten, zu heiraten. Es kostete ihm zwar viele Überwindung, diesen Entschluss zu fassen; indessen ergab er sich am Ende in ihren Wunsch. Die Frau, die man ihm zuwendete, hieß Lukrezia; sie war schön, edel geboren und noch jung genug, um mit Kindern gesegnet zu werden.

Aloisio hatte zwar trotz seines Alters noch ein stattliches Ansehen, war aber Lukrezien in der Tat nicht mehr jung und rüstig genug. Sie beklagte sich darüber gegen ihre Mutter und erklärte ihr rund heraus, dass sie eine solche Lebensart ohne Liebhaber nicht länger führen könne.

Die Mutter war eine ehrbare Frau, die zu ihrer Zeit ihrem Eheherrn die Treue nimmermehr gebrochen, und erstaunte, ihre Tochter in einem solchen Zustand zu sehen. Sie erzürnte sich höchlich über ihre Torheit und stellte ihr die Gefahren, denen sie sich aussetzte, auf das eindringlichste, wiewohl vergebens vor. Lukrezia bat und beschwor sie, ihr ein Mittel anzugeben, das sie von ihrem Übel heile und ihre Ehre errette. Widrigenfalls, sprach sie, sehe ich mich gezwungen, meine Ehre und mein Leben auf das Spiel zu setzen, denn ich ertrage die Glut nicht länger, die mich verzehrt. –

Die Mutter verzweifelte, als sie den Entschluss ihrer Tochter sah und glaubte schier aus Betrübnis darüber sterben zu müssen. Desungeachtet versuchte sie noch eines, um sie von dem Pfade des Verbrechens abzulenken; denn als sie alle ihre Vorstellungen scheitern sah, sprach sie: Meine Tochter! du bist also fest entschlossen, das heilige Band der Ehe zu zerreißen und eine Untreue an deinem Gemahl zu begehen. Ich kann dir zwar, was mich betrifft, nicht genugsam ausdrücken, wie missvergnügt dies mich macht. Da es sich jedoch hierbei um nichts Geringeres als um deine Ehre und dein Leben handelt, so muss man ja wohl oder übel Maßregeln ergreifen, die deiner innerlichen Leidenschaft, deinem guten Rufe unbeschadet, Genüge tun. Zuvorderst also kommt es darauf an, dass du dir einen Liebhaber aussuchst, der kein unbesonnener junger Mann, sondern ein kluger, schweigsamer Mann sei. Dann musst du dich aber auch wohl hüten, mehr als einem Manne deine Gunst zu gewähren. – Ich habe meine Augen bereits auf einen Mann geworfen, der zu unserem Zwecke tauglich ist, antwortete Lukrezia. Er steht in den besten Jahren und gilt hier im Hause für einen Heiligen. Ich meine den Kaplan, von dem mein Gatte eine so gute Meinung hegt, dass er ihn mir zu meinem Beichtvater geben will. Er hat mich von Zeit zu Zeit auf eine Weise angesehen, aus der ich wohl erraten möchte, dass er mir zugetan ist, und ich musste mich sehr irren, wenn er mich nicht liebt. – Ich kann nicht leugnen, meine Tochter, sagte die Mutter, dass sich gegen diesen Mann allerdings nichts einwenden lässt; obgleich ein solcher Umgang mit Frauen nachgerade nicht in den Beruf eines Kaplans schlagen dürfte. Sieh dich aber nur vor, dass du dich mit ihm nicht übereilst, und gedulde dich noch eine kleine Zeit. Prüfe zunächst die Sinnesart deines Mannes und merke wohl auf, wie er sich dabei benehmen wird, wenn du ihm irgendeinen schlimmen Possen spielst. –

Es ist hier zu wissen, dass in Aloisios Garten ein schöner Lorbeerbaum stand, den er mit seiner eigenen Hand gepflanzt hatte. Dieser Lorbeerbaum war in einer geringen Anzahl von Jahren so groß gewachsen, und Aloisio hatte seine Zweige und Äste so wohl ineinander verschlungen und geflochten, dass sie auch gegen die allerstärkste Sommerhitze ein undurchdringliches Laubdach bildeten. Er bewirtete deshalb seine Freunde in der schönen Jahreszeit häufig unter diesem Baume und pflegte für gewöhnlich die heißesten Tagesstunden in seinem Schatten zuzubringen. Lukrezia wusste, wie wert und teuer dieser Baum ihrem Gatten war, und nahm sich vor, seine Geduld vor allem damit auf die Probe zu stellen, dass sie ihn fallen ließe. Eines Tages, als er mit einigen Freunden auf der Jagd war, ließ sie den Gärtner vor sich rufen und befahl ihm, den Lorbeerbaum auf der Stelle umzuschlagen. Der Gärtner weigerte sich zwar dessen lange Zeit; sie ließ aber nicht eher ab, in ihn zu dringen, bis er nach ihrem Willen tat und kleine Reisigbündel daraus machte, die sie ihm gebot, auf den Boden zu tragen.

Sobald Aloisio von der Jagd zurückkehrte, ging er geradeswegs in sein Zimmer, um Wäsche und Kleider zu wechseln. Lukrezia stellte sich an, um ihn besorgt zu sein, und ließ also gleich eines der Bündel Lorbeerreis zum Einheizen herbeibringen. Ihr Gatte wunderte sich wohl über dieses Reis, doch konnte er eben nicht ahnen, von welchem Stamme es gehackt war. Als er in den Garten kam, entdeckte er, was dem schönen Lorbeerbaume widerfahren, und geriet darüber in solchen Zorn, dass er beinahe die Geduld verlor.

Nichtsdestoweniger hatte Lukrezia die Kühnheit, ihm in diesem Zustande lachenden Mutes vor Augen zu treten. Mein Schatz, sagte sie, ich habe befohlen, den Lorbeerbaum umzuhauen, wenn du die Tat bestrafen willst, so musst du deinen Unwillen an mir auslassen. Ich habe nicht etwa im Sinne gehabt, dich zu beleidigen, ich tat es nur, um mich dir gefällig zu beweisen. Wir hatten kein trockenes Reisholz mehr zu Hause, und da es seit einigen Tagen kalt geworden ist, so dachte ich, bei deiner Rückkehr von der Jagd würde dir ein gutes Feuer heilsam sein. Der Lorbeer, wie du wissen wirst, brennt auf der Stelle, er mag noch grün oder schon getrocknet sein, und aus diesem Grunde gab ich dem Gärtner das Geheiß, den Baum umzuhauen. – Du hast sehr unrecht daran getan, erwiderte Aloisio, und ich kann fast nicht anders glauben, als dass es in böser Absicht geschehen ist. War denn auf keinem anderen Wege dürres Reisig zu erlangen, als durch Umschlagen eines Baumes, den ich für sich allein weit höher als den ganzen übrigen Garten schätze? Indessen ist dem Übel einmal nicht mehr abzuhelfen, und so bleibt mir nichts übrig, als dich zu warnen, mir in Zukunft jemals wieder einen solchen Streich zu spielen. Es würde mir schwer fallen, dir so etwas noch einmal nachzusehen.

Lukrezia ließ es desungeachtet mit ihrem Gemahle nicht dabei bewenden und stellte seine Geduld auf eine abermalige Probe. Aloisio hatte eine Hündin, die er außerordentlich liebte. Die Mutter sprach zu der Tochter, es reiche noch nicht hin, ihren Mann mit einem Baum geprüft zu haben, wahrscheinlich würde er sich viel mehr darob erzürnen, wenn er seine teure Florine, eben diese Hündin, einbüßte. Lucrezia versprach, den Versuch zu machen, und schmeichelte sich, ihren Zweck zu erreichen.

Eines Nachmittags, als Aloisio mit einigen seiner Freunde eben ausgegangen war und Florinen mit sich genommen hatte, ließ Lukrezia das Zimmer prächtig ausschmücken und eine kostbare Decke über das Bett breiten. Darauf zog sie eines ihrer besten Kleider an und setzte sich mit einem Buche in der Hand, ihren Mann erwartend, beim Feuer nieder.

Weil es draußen sehr kalt war, so geschah es, dass Herr Aloisio bald wieder heimkehrte, und mit seinen guten Freunden rings um das Feuer herum Platz nahm. Ganz kotig, wie sie war, sprang die Hündin auf das Bett und besudelte die schöne Decke über und über, was inzwischen Lukrezia nicht zu beachten schien. Bald nachher sprang sie aber wieder auf den Boden und streckte sich, wie sie gegen alle Anwesenden ihre Liebkosungen geäußert hatte, auf Lukreziens kostbares Kleid hin, dass sie ebenso schmutzig wie vorher die Decke machte. Da entriss Lukrezia in demselben Momente den Händen ihres Gatten einen Dolch, den er der Gesellschaft vorzeigte, und brachte der Hündin mit dieser Waffe zwei bis drei sowohl abgemessene Stiche bei, dass sie auf der Stelle tot umsank.

Aloisio hatte bei dem Anblicke mit sich zu kämpfen, dass er an sich hielt. Als sie sich wegen ihrer raschen Tat mit der Unreinlichkeit des Hundes entschuldigen wollte, befahl er ihr, stillzuschweigen, und sagte nur zu ihr, sie nehme sich allzu große Freiheiten heraus. Du sinnst auf nichts anderes, fügte er hinzu, als darauf, wie du mich kränken willst; aber du kannst versichert sein, dass du deine Absicht nicht erreichst. – Mit diesen Worten brach er von der Sache ab und leitete das Gespräch mit den Anwesenden auf einen anderen Gegenstand.

Nachdem Lukrezia ihrer Mutter von dieser anderen Verwegenheit, die sie begangen, Bericht erstattete, sprach die Matrone zu ihr: Auch damit ist es noch nicht genug, denn so wie du die duldsame Gemütsart deines Joannes mit dem Ermessen hast, was er von Pflanzen und Tieren zumeist liebte, musst du ihn nun ein drittes Mal an vernunftbegabten Wesen in Versuchung bringen. Gelingt dir dieses letzte Wagestück ebenso gut wie die beiden ersteren, so werde ich dann zusehen, was sich sonst für dich tun lässt. – Wohlan denn, Mutter! sagte Lukrezia, auch noch dieser letzte Versuch werde gemacht; ich hoffe aber, dass du mich danach nicht länger ohne Beistand lässt. – Der Sankt-Ludwigs-Tag, an dem Aloisio geboren war, nahte, und es war seine Gewohnheit, seinen Freunden und Verwandten zu diesem Feste ein prachtvolles Gastmahl zu geben. Lukrezia harrte auf diesen Tag mit Ungeduld, denn sie gedachte an ihm zum dritten Male gegen ihren Gatten zu freveln.

Sobald die Gäste bei Tafel saßen, befestigte sie einen Zipfel des Tischtuches mit Geschick an einem Bund Schlüssel, das ihr am Gürtel hing. Dies getan, sprang sie plötzlich von ihrem Stuhle auf und eilte, wie um noch etwas zu besorgen, das Tischtuch mit sich fortziehend, vom Tische hinweg, indem sie also alles, was darauf gestanden hatte, zu Boden riss. Man stelle sich vor, was bei dieser Tat, die sogar einen Salomo würde in Wut versetzt und einen Hiob ungeduldig gemacht haben, aus Aloisio wurde! Er war auf das augenscheinlichste hoch aufgeregt, wenn ihn auch die anwesende Gesellschaft abhielt, seinem Zorne freien Lauf zu lassen. Man gab der Sache eine lustige Wendung, und Lukreziens Bosheit wurde nicht allein anfänglich als ein Zufall, sondern sogar, nach einer kleinen Weile, als ein Übermaß von Zärtlichkeiten gegen ihren Gatten ausgelegt, denn wie dieser sie fragte, zu welchem Ende sie aufgestanden, antwortete sie: es sei um seinetwillen geschehen, weil sie wahrgenommen, dass ihm sein Messer fehle, das sie ihm selbst habe holen wollen; worauf nun die ganze gastliche Versammlung in Bewunderung dieser verbindlichsten Aufmerksamkeit ausbrach und Aloisio als den glücklichsten Ehemann in Mantua pries.

Aloisio, der ein Mann von vielem Verstande war, freute sich, seine Gäste die große Störung so heiter gestimmt hinnehmen zu sehen, und trug selbst das seinige dazu bei, den Unfall von einer scherzhaften Seite darzustellen. Er ließ die Tafel unverzüglich wieder besetzen, und die Anzahl der neu aufgetragenen Speisen war wirklich so groß, dass der erste Gang nur verschwunden zu sein schien, um den anderen desto mehr hervorzuheben. Freude und Fröhlichkeit bemächtigte sich aller Eingeladenen, und Aloisio hatte das Ansehen, ebenso aufgeräumt zu sein als die anderen.

Er hatte indessen die Verwegenheit seiner Frau nicht vergessen und nicht minder den Lorbeerbaum und Florine noch in frischem Angedenken. Sein Scharfsinn ließ ihn die allmähliche Steigerung in den Versündigungen Lukreziens wohl erkennen, und er konnte nicht umhin, dahinter ein Geheimnis zu ahnen.

Lukrezia dagegen meinte nicht anders, als dass sie wohlgetan und ihre Absicht völlig erreicht habe. Sie freute sich schon innerlich darauf, sich nach den verschiedenen Prüfungen nunmehr ungestraft einen Liebhaber erwählen zu dürfen. Als sie aber am anderen Morgen aus ihrem Bette aufstehen wollte, befahl ihr Aloisio, liegen zu bleiben. Ich habe Gelegenheit gehabt, seit einiger Zeit zu bemerken, sagte er zu ihr, dass du eine zu große Überfülle von Blut in dir hast, und deswegen mich entschlossen, dir etwas davon abzapfen zu lassen. Du begehst alle Tage neue Torheiten und Ausgelassenheiten und findest Vergnügen daran, mich zu beleidigen. Was du dir erst gestern noch erlaubtest, hat mir das Andenken an meinen lieben Lorbeerbaum und an meine Hündin erneut. Diese deine drei Vergehungen sind mir das Empfindlichste gewesen, was du mir bis jetzt anhaben konntest; wer weiß aber, was du mir sonst noch widerfahren ließest, wenn ich dem nicht vorbaute. Entschließe dich also dazu, einen tüchtigen Aderlass auszustehen; ich bin überzeugt, dass du dadurch ruhiger und demütiger werden wirst.

Nachdem er dies gesprochen hatte, ließ er ungesäumt einen Wundarzt in seine Wohnung holen, gebot, ein ziemliches Feuer im Zimmer anzufachen, und forderte Lukrezien auf, das Bett zu verlassen und in einem Lehnstuhl Platz zu nehmen. Sie leistete ihm willigen Gehorsam, und der Wundarzt öffnet ihr auf ihres Gatten Geheiß eine Ader, die so lange, in Aloisios Gegenwart, offen bleiben musste, bis er die Überzeugung gewonnen hatte, dass ein fernerer Blutverlust ihr Leben in Gefahr bringen würde. Darauf ließ er ihr dieselbe Ader am anderen Arme öffnen und nicht eher wieder zubinden, als bis die Beklagenswerte halbtot in Ohnmacht gesunken war.

In diesem Zustande wurde sie zu Bett gebracht, wo sie in kurzem wieder zu sich kam. Aloisio hatte unterdessen seine Schwiegermutter holen lassen, die auch sogleich ankam und ungefähr erraten mochte, was vorgefallen war. Nun, liebe Tochter, sagte sie halblaut mit einem heimlichen Lächeln zu Lukrezien, bist du noch aufgelegt, einen Liebeshandel anzuspinnen? Ich bin bereit, dir mein Wort zu halten. – Ach, Mutter! entgegnete Lukrezia mit schwacher, ersterbender Stimme: ich bin hin, es ist um mich geschehen. Meine Glut ist erloschen, ich denke an keinen Liebhaber mehr.

Die Tochter des Wesirs

Das Königreich Kaschemir wurde eine Zeitlang von einem Fürsten namens Aladdin beherrscht, der eine Tochter hatte, die ohne Widerrede die vollkommenste Schönheit des Orients gewesen sein würde, wofern ihr der Sieg nicht durch die Tochter eines Wesirs streitig gemacht worden wäre. Im ganzen Morgenlande sprach man von nichts als von den Reizen dieser beiden Prinzessinnen. Viele Könige entzündeten sich auf den bloßen Ruf ihrer Schönheit hin in Liebe zu ihnen und dachten daran, sie zur Ehe zu verlangen. Es war zwar schwer zu entscheiden, welche von beiden den Vorzug vor der anderen verdiene; aber war es nun Vorurteil, oder hatte die Tochter des Wesirs, vielleicht weil sie sich nicht so stolz und menschenfreundlicher als ihre Nebenbuhlerin betrug, die Herzen der Menge gewonnen, kurz, es gaben alle Parteien ihr Stimme zu ihren Gunsten ab.

Die Tochter des Königs versank in eine tödliche Schwermut und Mattigkeit, als sie sah, dass Ghulnaz, die Tochter des Wesirs, ihr vorgezogen ward. Ihr bestürzter Vater berief seine Ärzte zu sich, und diese versicherten, das Übel der Prinzessin rühre von einem geheimen Kummer her. Der König bat seine Tochter inständig, ihm ihr Herz zu erschließen. Er schwur ihr feierlich, ihr jede Bitte zu bewilligen, die sie irgend an ihn stellen möge, gesetzt auch, dass sie ihn die Hälfte seines Landes koste. Aladdins Tochter hatte nicht nur nicht das Herz, ihm ihren niedrigen Neid einzugestehen, sondern hatte sich ihn sogar gern selbst verhehlt. Indessen, von den Zeichen väterlicher Zärtlichkeit und von dem tiefen Schmerz gerührt, den sie in ihm wahrnahm, konnte sie am Ende nicht widerstehen und bekannte ihm, dass Ghulnaz die Ursache ihres Übelbefindens sei, das nicht eher gehoben werden würde, als bis diese verhasste Nebenbuhlerin aus ihrer Nähe entfernt wäre.

Aladdin bestrebte sich, seine Tochter zu trösten, und gab ihr die Zusicherung, dass in kurzem nichts mehr von der Veranlassung ihres Kummers gehört werden solle. In der Tat ließ er seinen Minister zu sich kommen und sagte zu ihm: Wesir, ich sehe mich zu meinem Bedauern genötigt, dir zu befehlen, deine Tochter zu verkaufen. Ich weiß wohl, dass dies deinem Herzen nahe geht; aber es handelt sich dabei um das Leben meiner Tochter, und ich erwarte also, dass mir dein Diensteifer, den du mir jederzeit dargetan hast, dieses Opfer bringt. –

Das Herz des Wesirs betrübte sich hierüber ungemein und schwankte eine Weile zwischen Liebe und Ehrgeiz hin und wider. Am Ende aber erstickte der Ehrgeiz die Stimme der Natur. Allerdings wohnte ihm noch so viel Scham inne, dass er es nicht über sich gewann, seine Tochter den Blicken aller öffentlich auszustellen, und um sich also diese Schmach zu ersparen, geriet er auf den Gedanken, sie in einen Korb zu stecken. Darauf ließ er einen öffentlichen Ausrufer zu sich holen und redete ihn folgendermaßen an: Geh und verkaufe diesen Korb für vierzig Asper, aber nur unter der Bedingung, höre wohl, dass der Käufer sich dazu versteht, ihn unbesehen zu nehmen. – Der Ausrufer gab sich Mühe, dem Auftrage des Wesirs zu entsprechen, aber es blieb vergebens, denn die beim Kaufe festgestellte Bedingung schreckte alle etwaigen Kauflustigen ab. Ein Wasserträger, ein junger Mensch, der mutiger als andere war und sich einbildete, es möge ein Geheimnis dahinter verborgen sein, erbot sich endlich zu dem Wagnis, lieh die geforderte Summe Geld von einem Kaufmanne, seinem Freunde, bezahlte sie und trug den Korb nach Hause.

Wer vermöchte nun wohl das freudige Erstaunen zu schildern, das ihn ergriff, als er daselbst den Korb schleunigst öffnete und in ihm ein Mädchen vorfand, dessen Anblick ihn wahrhaft bezauberte! O schöne Huri! sprach er: denn du bist sicherlich eines der himmlischen Wesen, die zum Troste der Auserwählten in jener Welt bestimmt sind, durch welch ein seltsames Geschick bist du in diesen Korb geraten? – Die Tochter des Wesirs, die sich nicht zu erkennen geben wollte, antwortete: Du siehst eine Unglückliche vor dir, die das Schicksal verfolgt. Ich bin deine Sklavin und klage nicht darüber. Du wirst in mir all die Unterwürfigkeit und Treue antreffen, die ich dir schuldig bin.

Die Schönheit und die Reize der Tochter des Wesirs waren so gewaltig, dass ihr Gebieter auf der Stelle für sie entbrannte und von ihnen durchaus befangen wurde. Ghulnaz war seine Sklavin, und er konnte mit ihr nach seinem Willen tun. Aber seine Liebe flößte ihm zugleich eine Zartheit der Empfindung ein, die sich weit über seinen Stand erhob. Hätte ihn sein Ansehen und seine Gewalt zu seiner Glückseligkeit verholfen, so würde er sie nicht für vollkommen erachtet haben, er wollte sie einzig und allein nur seiner Liebe verdanken. Er fasste also den Entschluss, Ghulnaz ihre Freiheit wiederzugeben und sie dann durch die Bande der Ehe mit sich zu vereinigen; bevor er aber noch diesen Plan ausführte, wollte er sie auf die Probe stellen, um sich zu überzeugen, ob sie auch das Los verdiene, das er ihr in Gedanken zubereitet hatte. Er brachte sie in das Haus seiner Mutter, die in einer eine Tagereise von Kaschemir entlegenen kleinen Stadt wohnte. Liebe Mutter, sagte er zu dieser, ich habe mit dieser Sklavin, die ich hier deiner Obhut anvertraue, gewisse Absichten. Unterhalte und unterrichte sie und prüfe sie, ob sie auch ebenso weise als schön ist. – Darauf verabschiedete er sich von seiner Mutter und von Ghulnaz und versicherte ihnen, dass er in kurzem wiederkehren würde. Die schöne Sklavin erwarb sich bald die Zuneigung der Mutter des Wasserträgers, und ihre Sanftmut und Gefälligkeit in allen Dingen gefielen dieser dermaßen, dass sie das Mädchen so lieb gewann, als ob es ihre eigene Tochter gewesen wäre. Die gute Alte, die ein mühseliges und dürftiges Leben führte, hatte immer alles mit Geduld ertragen. Seitdem sie nun aber Ghulnaz bei sich hatte, kränkte es sie auf das schmerzlichste, sie ihr Elend teilen zu sehen, und sie hatte sich alle Schätze der Welt wünschen mögen, um ihr ein ihrer würdigeres Schicksal bereiten zu können.

Das liebenswürdige Mädchen seinerseits fühlte sich von der hilflosen Lage derjenigen, die ihr so offenbare Beweise so vieler Güte gab, gerührt und nahm sich vor, ihr zu helfen. Sie gab ihr also einen Diamanten, den sie verborgen hatte, als ihr grausamer Vater sie in den Korb gesteckt, und hieß der Alten, ihn für zweitausend Zechinen zu verkaufen. Da der Diamant sehr schön war, so fand die Alte in wenigen Augenblicken einen Käufer und kehrte mit dem Gelde zu der zurück, die sie ihre liebe Tochter nannte.

Ghulnaz mietete für sich und ihre Pflegerin ein bequemeres und geräumigeres Haus, das sie mit seinem Gerät versah, und schon begann sie sich über ihr Unglück zu trösten und sich in den Stand zu schicken, in den es sie geworfen hatte, als ein anderes neues Elend sie des Mitleids noch viel würdiger machte, als sie vorher gewesen war. Sie führte zwar das einsamste Leben von der Welt und ging nur äußerst selten und nicht anders als verschleiert aus, aber desungeachtet durchdrang der Ruf ihrer Schönheit die kleine Stadt, in der sie lebte. Es verliebte sich auf das leidenschaftlichste ein Jüngling in sie, dem es nicht an Dreistigkeit fehlte, ihr seine Wünsche zu erklären. Da es nun aber dem frechen Burschen mit seiner Liebe nicht so gut glücken wollte, als er erwartet hatte, erzürnte er sich darüber dergestalt, dass sich seine Liebe in Hass verwandelte und ihn zu dem Entschlusse antrieb, sich an der Jungfrau für ihr Verschmähen zu rächen. Er wanderte geradeswegs nach Kaschemir und sagte zu dem Wasserträger, als er ihm begegnete: Wie sehr bedaure ich dich doch, dass, derweil du eine undankbare Sklavin so gut und menschenfreundlich ernährst und dich deswegen hier plagst und abmühst, sie in einem strafwürdigen Überfluss schwelgt, der ihr von dem Sündenlohn zufließt, den sie von ihren Liebhabern empfängt!

Der in Zorn geratene Wasserträger untersuchte nicht, ob der Neuigkeit, die er empfing, irgend Wahres zugrunde lag, und verließ Kaschemir, um seine Rache zu nehmen. Die Anständigkeit des Hauses, das seine Mutter bewohnte, die Zierlichkeit des Gerätes darin, kurz alles deutete ihm Verrat an: er tritt ein. Die nichts argwöhnende, schuldlose Ghulnaz steht auf, ihm entgegenzugehen: er lässt ihr dazu keine Zeit, er stürzt auf sie los und senkt ihr einen Dolch in den Busen, den er unter seinem Gewande verborgen trug, ja, will sogar noch einen zweiten Streich nach ihr führen, da er sieht, dass sie nicht auf den ersten zu Boden sinkt, wiewohl sie entsetzt vor ihm flüchtet und sich zum Fenster hinabstürzt.

Ein Hebräer, der über diese Straße geht, sieht ein in seinem Blute gebadetes Mädchen darauf liegen, erhebt es vom Boden und führt es in seine Behausung. Mittlerweile war die Mutter des Wasserträgers, die das benachbarte Gemach bewohnte, auf das Geschrei ihrer Ghulnaz herbeigesprungen. Sie erblickt ihren Sohn mit Wut in den Augen und mit dem blutgefärbten Dolche in der Hand. Mein Sohn, ruft sie aus: gegen wen solchen Zorn? Wo ist Ghulnaz? – Er erwiderte: Dieses Eisen hat mich zur Stelle an einer Undankbaren gerochen, die mich verriet. – O wehe dir! in welchem Irrtum bist du befangen? rief die bestürzte und bitterlich weinende Alte: Oh, wie viele Tränen wird es dich kosten! Ungerechterweise hast du die liebenswerteste und tugendreichste Jungfrau von allen, die es auf Erden gibt, getötet. – Hierauf erzählte sie ihm, mit welcher Großmut Ghulnaz sie dem Elend entrissen hatte. Der Wasserträger überließ sich nunmehr dem allerheftigsten Schmerze. Er stürzt auf die Straße, in der Meinung, seine geliebte Ghulnaz noch zu finden, aber sie war verschwunden. Er läuft durch die Stadt allerwärts hin und wider, und es zeigt sich ihm keine Spur von ihr.

Unterdessen ließ der Hebräer einen Wundarzt holen, der die Wunde der Tochter des Wesirs sorgfältig untersuchte und sein Gutachten abgab, dass sie nicht tödlich sei. Auch trog er sich nicht, denn in kurzer Zeit hatte sie Gesundheit und alle ihre Reize wiedergewonnen. Der Hebräer vermochte nicht, sie mit gleichgültigen Augen anzusehen, und erklärte ihr seine Leidenschaft wie jemand, der ein Recht zu haben glaubt, deren Befriedigung zu erwarten. Ghulnaz schauderte vor der ihr drohenden Gefahr, und da sie sich mit so äußerster Strenge bewacht sah, dass sie unmöglich fliehen konnte, entschloss sie sich, sich in das Meer zu stürzen, das die Mauern ihrer jetzigen Behausung bespülte, indem sie dafür hielt, dass der Verlust des Lebens nichts gelte, wenn sie nur ihre Ehre rette. Damit sie diesen Gedanken zur Ausführung bringen könnte, war es notwendig, dass ihr Liebhaber sich von ihr entfernte. Deswegen stellte sie sich an, in seine Wünsche zu willigen, und verlangte nur von ihm, dass er zuvor ins Bad ginge.

Der Hebräer ging. Ghulnaz öffnet das Fenster und wirft sich unverzagt in die See. Drei Brüder, die in dieser Gegend fischten, sehen sie mit den Wogen kämpfen, fassen sie als erfahrene Schwimmer bei ihrem Gewande, legen sie in ihre Barke nieder und landen mit ihr an einem Wiesengrund auf der anderen Seite der Stadt.

Durch die Sorgfalt der drei Brüder ins Leben zurückgerufen, fand sich die Tochter des Wesirs einer weit größeren Gefahr ausgesetzt, als die gewesen, der sie entronnen war. Ihre ausbündige Schönheit machte den lebhaftesten Eindruck auf die drei Brüder und entzündete zwischen ihnen einen hartnäckigen Streit, demgemäß ein jeder sie für sich verlangte. Sie waren schon nahe daran, miteinander handgemein zu werden, als der Zufall einen Jüngling zu Pferde in ihre Nähe führte, den sie zum Schiedsrichter erkoren. Der Jüngling ließ sich den Gegenstand ihres Zwistes von ihnen auseinandersetzen und sagte dann: Nur allein das Glück ist imstande, zwischen euch Recht zu sprechen. Ich werde nach drei verschiedenen Seiten hin drei Pfeile abschießen: wer von euch zuerst einen wiederbringt, der soll die Jungfrau besitzen. –

Dieser Vorschlag dünkte den drei Fischern so verständig, dass sie, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, ihn gelten ließen. Der Reiter spannt den Bogen, schießt die drei Pfeile, einen nach dem anderen, nach drei verschiedenen Punkten ab, und die drei Brüder rennen im schnellsten Laufe, ein jeder in der Hoffnung, sein Ziel am ersten zu erreichen. Der Reiter sieht sie weit entfernt, springt vom Pferde, hebt Ghulnaz hinauf, schwingt sich vor ihr wieder in den Sattel und jagt mit ihr im gestreckten Galopp von den Fischern hinweg nach seinem Dorfe. Ihr Schicksal brachte es nun einmal so mit sich, dass Ghulnaz einen jeden Mann, der sie sah, in Liebe für sich entzünden sollte.

Der Reiter hatte also seinen Fuß kaum wieder zur Erde gesetzt, so erklärte er ihr seine glühende Leidenschaft. Sie sah ein, dass sie sich von diesem neuen Angriffe nur mit List würde erretten können, und gab also kein Zeichen von Unwillen darüber kund, sondern hörte die verliebten Worte ihres Freiers geduldig an. Sie schien sogar Gefallen daran zu finden, indem sie ihn nur so viel bat, die Befriedigung seiner Sehnsucht bis zur Nacht aufzuschieben. Es kommt mir ein neuer Gedanke in den Sinn, sagte die Tochter des Wesirs, er ist seltsam, es ist wahr, aber er kann Eure und meine Ruhe sichern. Es weiß noch niemand etwas von meiner Ankunft an diesem Orte, leihet mir einen Eurer Anzüge als Mann. Sagt aus, dass ich ein aus der Fremde zurückgekehrter Verwandter von Euch sei, und da also niemand in mir ein Weib ahnen wird, so habt Ihr keine Nebenbuhler zu befürchten. – Außer sich vor Freude über einen so klugen Anschlag, gab ihr der Jüngling hierauf eines seiner Kleider, und sobald sie es angelegt hatte, sprach sie zu ihm: Nun will ich Euch aber auch beweisen, dass ich nicht bloß in Euren Augen ein Mann scheine, sondern mich in der Tat wie ein solcher zu betragen und ein Pferd so gut wie wenige zu bändigen weiß. – So spricht sie, und zu der nämlichen Zeit schwingt sie sich mit Leichtigkeit dem Pferd des Jünglings auf den Rücken. Sie tummelt es ein paarmal hin und wider, und derweil er ihren edlen Anstand rühmt und bewundert, entfernt sie sich von ihm immer mehr und mehr, gibt dem Pferde die Sporen und jagt so schnell von dannen, dass sie wie ein Blitz aus den Augen des versteinerten Reiters verschwindet. Aus Besorgnis, verfolgt zu werden, galoppiert sie den ganzen übrigen Tag und die ganze Nacht weiter, ohne zu wissen, welchen Weg sie eingeschlagen habe.

Als die ersten Strahlen der Sonne am Horizonte emporleuchteten, gewahrte sie vor sich eine große Stadt, auf die sie zuritt. Wer beschreibt aber ihr Erstaunen, als die Bewohner derselben ihr entgegengezogen kamen und zu ihr sprachen: Unser König ist gestern Abend gestorben und hat keinen Thronerben, wohl aber einen letzten Willen hinterlassen, in dem er zur Vermeidung von Bürgerkriegen bestimmt, dass der sein Nachfolger auf dem Throne sein solle, der heute Morgen beim Eröffnen der Tore dieser Stadt der erste davor sei. – Ghulnaz empfing mit einer plötzlich angenommenen majestätischen und leutseligen Haltung die Huldigungen ihrer neuen Untertanen, die sich nichts davon träumen ließen, dass sie mit einem Weibe zu tun hatten. Sie ritt unter dem freudigen Zujauchzen des Volkes durch die Straßen und nahm den Palast in Besitz, der der gewöhnliche Aufenthalt des Königs dieses Landes war.

Also auf den Thron gelangt, begann sie, sich die Wohlfahrt ihres Staates aus allen Kräften angelegen sein zu lassen. Sie setzte erleuchtete und rechtschaffene Wesire ein und trug die eifrigste Sorgfalt, dass jedermann Gerechtigkeit widerfuhr. Ihre Untertanen bewunderten die Weisheit ihrer Herrschaft und segneten ihr Geschick, das ihnen einen so viel mehr mit ihrer als mit seiner eigenen Glückseligkeit beschäftigten König zugeteilt habe.

Die schöne Ghulnaz hatte ihr Zepter bereits einige Zeit geführt, als sie eines Tages an den Toren ihrer Stadt einen prachtvollen Sessel aufrichten und, als dies geschehen war, ihr Bildnis malen ließ, das sie dem Maler ohne nähere Angabe ihrer Gründe befahl, in der Kleidung einer Königin vorzustellen. Dieses Bildnis wurde auf den Sessel gestellt, und mehrere hie und da in dessen Nähe verborgene Kundschafter erhielten den Auftrag, einen jeden vor sie zu bringen, der im Anschauen des Bildes etwa Seufzer ausstoßen oder sonstige Anzeichen von Schmerz offenbaren würde. Mittlerweile vermochte sich der Wasserträger über den Verlust seiner geliebten Sklavin nimmermehr zu trösten und irrte von einer Stadt zur anderen, um womöglich eine Spur von ihr aufzufinden. Eines Tages bei diesem Sessel anlangend, ermaß er mit seinen Augen nicht so bald die Ähnlichkeit des Bildes mit den ihm in sein Herz eingeprägten Zügen seiner Geliebten, als er tief aufseufzte. Die Bewaffneten ergriffen ihn und brachten ihn vor Ghulnaz, die er in der männlichen Tracht nicht wiedererkannte, und die ihm mit zürnendem Angesicht gebot, die Ursache anzugeben, aus der er beim Anblicke jenes auf dem Sessel aufgestellten Bildnisses Tränen vergossen habe? Vom Kopfe bis zu den Füßen zitternd, trug er ihr die Geschichte seines Unglücks vor, und Ghulnaz ließ ihn einsperren.

Nach Verlauf einiger Tage führte der Zufall die drei Fischer zu demselben Sessel; sie erkannten das Bildnis derjenigen, die sie aus dem Meere errettet hatten, und insofern dieser Anblick ihre noch nicht erloschene Liebesflamme aufs neue entzündete, konnten sie sich nicht enthalten, aufzuseufzen. Sie wurden ebenfalls vor Ghulnaz gebracht, die sie desgleichen gefangen setzen ließ, nachdem sie dieselbe Frage, wie an den Wasserträger, an sie gerichtet hatte. Der Reiter und der Jude ermangelten am Ende ebenso wenig, bei dem Bilde zu erscheinen, und da sie ihre innere Zärtlichkeit gleich jenen an den Tag gaben, so teilten sie ihr Los.

Als sie nunmehr alle im Kerker beisammen waren, befahl die Tochter des Wesirs, sie alle miteinander vor sie zu führen. Ganz bewegt sagte sie zu ihnen: Wenn jene Jungfrau, die der Gegenstand eurer Sehnsucht und Leidenschaft ist, jetzt vor eure Augen träte, würdet ihr sie wohl wiedererkennen? – Als sie diese Worte gesprochen hatte, warf sie den königlichen Mantel von sich und erschien vor ihnen in Weiberkleidung. Alle sechs fielen vor ihr auf die Knie nieder und baten sie um Gnade und Vergebung der Vergehungen gegen sie, wozu ihre grenzenlose Liebe sie verleitet habe. Die Tochter des Wesirs hob sie mild und gütig zu sich empor, nahm den Wasserträger bei der Hand, ließ ihn neben sich auf ihrem Throne niedersitzen und bekleidete ihn mit den Zeichen der königlichen Würde. Sodann die Großen des Reiches um sich versammelnd, erzählte sie ihnen die Geschichte und bat sie, denjenigen als ihren König anzuerkennen, der bereits ihr Gebieter gewesen sei. Einige Tage später machte sie ihn zu ihrem Gemahl und feierte mit ihm eine königliche Hochzeit. Der Hebräer, die drei Fischerbrüder und der Reiter wurden mit Schätzen beladen wieder nach Hause geschickt, vermochten sich aber trotz all derselben nimmermehr über ihren Verlust zufriedenzugeben.

Die alte Törin

Die verwitwete Frau von Kupferberg hatte schon zum sechzigsten Male ihren Geburtstag gefeiert und wollte doch noch Anspruch auf Schönheit und Anmut machen. Nichts war komischer anzusehen, als die kleine, ungestaltete Frau, gestützt auf eine mit Gold beschlagene Krücke, geputzt mit modischen Stoffen wie ein junges Mädchen von sechzehn Jahren. Ihre Gestalt stand in dem auffallendsten Gegensätze zu dem Flitter, womit sie sich behängt hatte. Falsches Haar bedeckt das natürliche, das zu sehr ihr Alter verraten haben würde. Die Tour ist mit einem kleinen Kopfputz nach der neuesten Mode übersetzt, das runzlige Gesicht mit dicker Schminke belegt, und hier und da sind einige Schönpflästerchen angeheftet. Sie will mit ihren unstet blinzelnden Augen lachen und verdreht sie nur, indem sie durch diese Anstrengung tropfenweise ein klares Wasser daraus ablöst, das in den Augenwinkeln alter Leute oft als ein Zeichen ihres abnehmenden Gesichtes steht und vertrocknet. Sie lässt gern einen langen knöchernen Hals, oder einen kleinen, vor einem Vierteljahrhundert vielleicht reizend gewesenen Fuß sehen, und glaubt ungeachtet der Zahl ihrer Jahre noch immer die Herzen der jungen Männer zu bezaubern, indes ihr Spiegel ihr Tag für Tag deutlich und zu ihrem größten Verdrusse sagt, dass ihr ganzes Wesen ihnen ein Spott oder ein Greuel sein muss. Da Frau von Kupferberg nun überhaupt auf mancherlei Art von der traurigen Wahrheit überzeugt ward, dass sie wenigstens nicht mehr die nämliche sei, die sie vormals war, und da sie wohl oder übel bemerken musste, wie nach und nach ihre jungen und zuletzt auch ihre alternden Anbeter verschwanden, so fasste sie den Entschluss, mittels der Toiletten ihren verfallenen Körper in eine bessere Form zu bringen. In ihrem zusammengekniffenen welken Munde wurden künstliche Zähne in die entstandenen Lücken gesetzt, und durch ein Treibwerk bekam ihr Busen eine Elastizität, wie bei den jüngsten Mädchen. Geld, Mühe und Schmerzen wurden nicht geschont, wenn sie dadurch ein frischeres, jugendlicheres Ansehen erlangen konnte. Sie schmeichelte sich, hinter die Schliche der Natur gekommen zu sein und ihren Taufschein Lügen strafen zu können. Ihre Eigenliebe machte ihr weis, einem jeden zu gefallen, der sie sah. Alle, die mit ihr ein paar Worte sprachen, waren ihrer Meinung nach schon ihre Liebhaber, und so fand sie immer und überall Beweggründe zu Trost und Beruhigung über etwaige Kränkungen.

Die Frau von Kupferberg hatte eine einzige Tochter. Anstatt dass sie diese wie eine zärtliche Mutter hätte lieben sollen, hatte sie vielmehr einen tödlichen Hass auf sie geworfen. Der Grund dieses Hasses ist leicht einzusehen. Die Gegenwart dieser Tochter musste ihr immer höchst unangenehm sein, weil man von deren Alter ungefähr auf das Alter der Mutter schließen konnte. Die arme Sophie sollte deshalb fast mit Gewalt aus dem mütterlichen Hause entfernt werden. Man rühmte ihr oft das Angenehme, Reizende der Stille und Einsamkeit eines Klosters, ohne dass man sie jedoch bewegen konnte, sich wirklich darein vergraben zu lassen. Frau von Kupferberg hätte ihrer Tochter gern die Hälfte ihres Vermögens überlassen, wenn sie nur niemals in ihrer Gesellschaft erschienen wäre. Das beste Mittel, sie so bald als möglich loszuwerden, wäre freilich gewesen, sie zu verheiraten; allein das war nicht tunlich, weil die Alte fürchtete, bald darnach Großmutter genannt zu werden.

Sophie ertrug alles mit Geduld. Ihr Charakter war ebenso liebenswürdig wie ihre Person. Sie verdiente in der Tat ein besseres Schicksal, und Frau von Kupferberg war einer solchen Tochter nicht wert. Der Graf von Limbach, ein so wie wenige seines Standes und Alters verständig zu preisender junger Edelmann, ward von den Vorzügen und Vollkommenheiten des Fräuleins gerührt. Seine vornehme Geburt und sein großer Reichtum, machten ihn vornehmlich bei den Frauen angesehen und beliebt. Junge und alte empfindsame Weiber und Kokotten bemühten sich um die Wette, ihn in ihre Netze zu locken. Er fand einmal Gelegenheit, das Fräulein Sophie in einem Hause zu sehen, wo er vielen Zutritt hatte. Sie liebten sich einander beide von dem ersten Augenblick an, da sie sich sahen. Der Graf sagte ihr seine Empfindungen, seine Wünsche, bat um Erhörung. Sophie errötete, stellte sich anfänglich, gleichgültig zu sein, gestand ihm aber am Ende eben ihre wahre Gesinnung: dass sie nur allein für ihn leben würde, dass er aber vor allen Dingen die Einwilligung ihrer Mutter haben musste. Der Graf wollte sich augenblicklich zu den Füßen derjenigen stürzen, von der sein ganzes Glück abhing, ihr seine Verhältnisse schildern und sie bitten, seinem Liebesbunde mit ihrer Tochter ihren mütterlichen Segen zu verleihen. Sophie hielt ihn indessen auf. Eine Übereilung, sagte sie zu ihm, kann hier leicht alles verderben, lieber Graf. Ich fürchte, meine Mutter willigt nie in unsere Verbindung ein. – Tränen rannen bei diesen Worten von Sophiens blühenden Wangen herab. Der Graf beschwor sie, sich ihm näher zu erklären. Sie schilderte ihm mit töchterlicher Schonung ihre Mutter, wie sie war. Der Graf sann auf eine Rettung aus dieser Verlegenheit hin und her und wollte fast vor Schmerz vergehen, da sich ihm gar kein Ausweg zeigte. Endlich gab die Liebe Sophien ein Hilfsmittel an die Hand. Wir können uns alle Tage sehen, sagte sie zu dem Grafen, allein Sie müssen sich entschließen, meiner Mutter den Hof zu machen. Ein wenig Verstellung und Verleugnung Ihrer wahren Empfindungen, ein wenig zärtlichere Aufmerksamkeit gegen sie, als Sie ihr ohnedies als meiner Mutter erweisen würden, öffnet Ihnen unser Haus und setzt uns beide in den Stand, in fortwährendem gegenseitigen geheimen Verkehr Mut und Ausdauer zu finden, einen zukünftigeren Augenblick zur Erfüllung unserer Wünsche abzuwarten. – Entschlossen, wie der junge Graf wohl gewesen wäre, seiner Liebe alle, auch die schwersten Opfer zu bringen, ging er bereitwillig auf diesen Plan der Geliebten ein und traf mit ihr bei dieser nämlichen Zusammenkunft auch noch die näheren Verabredungen. Er fand bald Gelegenheit, sich in den Häusern Eingang zu verschaffen, welche Frau von Kupferberg am meisten zu besuchen pflegte. Er überhäufte die eitle Alte mit Artigkeiten und zuvorkommender Gefälligkeit. Seine Blicke schienen sie überall zu suchen, sobald er von ihr gesehen zu werden vermutete. Er sprang vor ihr her, unterhielt sie mit empfindsamen Gesprächen, seufzte ihr etwas vor, drückte ihr die Fingerspitzen und küßte ihre Hände. Die gute Dame glaubte ihn sehr bald bis zum Närrisch werden in ihre Reize verliebt. Er sah sie mit der Lorgnette von oben bis unten an, ließ sich absichtlich auf kleine Zänkereien mit ihr ein, um eine Versöhnung anstellen zu können, kurz, er spielte die Rolle des Verliebten so gut als der beste Schauspieler unserer Zeit. Einmal bot ihr der Graf seine Dienste an, um sie nach ihrem Wagen zu führen. Sie sind ein kleiner Spitzbube, sagte sie zu ihm ganz leise mit ihrer den komischen Eindruck ihrer Eigentümlichkeit unendlich erhöhenden tiefen baßartigen Altstimme: Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, so nehmen Sie heute mit einem schlechten Abendessen bei mir vorlieb. – Man kann sich leicht vorstellen, mit welchem Ausdruck der Freude der Graf dies annahm. Die Alte war von ihrem Wahne, der Gegenstand seiner Entzückungen zu sein, beseligt und merkte im geringsten nicht auf die Blicke, die sich der Graf und Sophie zuwarfen. Sie bat ihren vermeinten Anbeter, sie oft mit seinen Besuchen zu beehren. Auf diese Art ward der Graf bei der Mutter seiner Gebieterin eingeführt und hatte immer erneute Gelegenheit, sie zu sehen.

Das Benehmen der Frau von Kupferberg gegen den Grafen würde jedem anderen als ihm lautes Lachen abgenötigt haben. Zuweilen hörte sie ernsthaft seine Unterhaltungen an, dann erkünstelte sie ein gewisses flüchtiges Wesen und bestrebte sich, den jungen Mädchen nachzuahmen; oft antwortete sie bloß mit Seufzern und schmachtenden Blicken. Sie biss sich in die Lippen, presste sich die künstliche Brust empor, sang dem Grafen wohl auch in einem Tone, der sich nicht beschreiben lässt, um ihn noch mehr zu bezaubern, ein neues Liedchen vor. Kurz, die Lächerlichkeiten der alten Frau überstiegen fast das Glaubliche und flößten jedem rechtlichen Manne, besonders auch dem Gegenstand ihrer Bemühungen, wahres Mitleiden ein, den noch überdies die lästige und unedle Verstellung schwer betrübte, mit der er sich den Anblick und jedes Lächeln seiner Geliebten erkaufen musste. Er erwartete ängstlich den Augenblick, wo er mit Sophie allein sein konnte, um sich wegen des traurigen Zwanges schadlos zu halten, der ihm auferlegt ward. Einmal, als sie vermuteten, dass Frau von Kupferberg ausgegangen sei, unterhielten sich die jungen Leute miteinander von ihrer Liebe. Der Graf beklagte sich über die lange Dauer seiner Rolle; Sophie sprach ihm Mut zu, sie fortzuspielen, und fügte hinzu, wie sie nichts sehnlicher wünsche, als so bald als möglich sein Glück zu machen. Der Graf warf sich ihr ganz hingerissen zu Füßen, ergriff eine von ihren Händen, bedeckte sie mit Küssen und Tränen, und in dem nämlichen Augenblick trat die Mutter ins Zimmer.

Wenn es ja möglich ist, sich die Bestürzung und Wut der betrogenen Alten vorzustellen, so muss man sich die heftigsten Leidenschaften vereinigt denken, um sich einen Begriff von ihrer Lage zu machen. Die beiden Liebenden standen unbeweglich, wie vom Blitz getroffen da. Mit feurigen Augen, aus denen der höchste Grad des Zornes hervorstrahlte, betrachtete sie lange die Unglücklichen. Ihr betrügt mich also! rief sie endlich aus. Treuloser Graf, dem ich leider nur zu günstig gesinnt war, Sie können eine andere mir vorziehen? Gehen Sie, Ihr schlechter Geschmack rächt mich hinlänglich an Ihnen. – Ich bete Ihre Tochter an, sagte der Graf, und stürzte vor ihr auf die Knie, vergeben Sie mir, was ich verbrochen habe. Meine innigste Achtung gehört Ihnen an, aber die reizende Sophie hat meine ganze Liebe und Zärtlichkeit gefesselt. – Frau von Kupferberg wollte den Grafen nicht weiter anhören, sie benahm ihm alle Hoffnung, dass er jemals ihre Einwilligung in die Verbindung mit Sophie erlangen könne, und befahl ihm zugleich, sie und ihr Haus zu verlassen. Er sah sich genötigt, zu gehorchen, und entfernte sich verzweiflungsvoll von Sophien. Sobald er fort war, ließ die aufgebrachte Alte anspannen und vorfahren. Sie stieg in den Wagen, und ihre Tochter musste bei ihr Platz nehmen. Weder Bitten noch Tränen des armen jungen Mädchens rührten die eifersüchtige Mutter, sie brachte sie wirklich in ein Kloster, das zehn Meilen von Wien lag.

Der Verdruss und die mancherlei Kränkungen, welche die verliebte Alte in dieser Angelegenheit ausgestanden hatte, griffen sie nicht eben empfindlich an, und sie vergaß bald alles wieder. Der Graf war jetzt in ihren Augen ein junger Geck ohne Verstand und Geschmack. Sie glaubte, es würde sich bald genug ein anderer Liebhaber, ein besserer Kenner als der erste finden, der ihre Verdienste und Reize zu bemerken und zu schätzen verstehen würde. Die Entfernung ihrer Tochter hielt sie für die beste Vorbereitung dazu. Um den glücklichen Sterblichen, der aus ihr einen Abgott machen würde, desto eher anzutreffen, wendete sie noch mehr Kunst und Fleiß auf ihren Anzug und verdoppelte ihre Bemühung, ihr Gesicht so jugendlich zu machen, als Farbe, Kreide und Wasser es nur machen wollten. Sie ward dadurch zehnmal lächerlicher als vorher. Ihr Bestreben, mit Gewalt zu gefallen, fiel jedermann auf. Man sah auf der Straße, in der Kirche, in allen Gesellschaften, wo sie sich einfand, allein auf sie, und keines wusste, ob es seinen Sinnen trauen könnte, eine Frau in ihrem Alter noch als Närrin zu sehen. Am Ende machte man sich auf ihre Kosten lustig, selbst die Straßenjungen folgten ihr in langen Zügen, um den geputzten Affen in der Nähe anzuschauen. Anstatt dass sie die Verachtung hätte merken sollen, die ihre wunderliche, würdelose Erscheinung zuwege brachte, glaubte sie in der Tat ernstlich, dass man sie bewundere. Wenn jemand sie auslachte, wo sie vorbeiging, hielt sie es für ein liebreiches Lächeln. Wenn man in ihrer Gegenwart heimlich sprach, bildete sie sich in ihrer Eigenliebe ein, dass man sich ihr Lob zulispelte. Wenn ein lautes Gemurmel entstand, so oft sie sich im Schauspiel oder auf einem Spaziergang erblicken ließ, konnte nur das Erstaunen über ihre Reize der Grund desselben sein.

Indessen lebte Sophie im Kloster, ohne weder von ihrer Mutter etwas zu hören, die sie vergessen hatte, noch von ihrem Liebhaber, der sich vergebens alle mögliche Mühe gab, zu erfahren, wo sie hingekommen sei. Sie würde vor Betrübnis gestorben sein, wenn nicht eine würdige Klosterfrau alle Pflege und Sorge für sie getragen hätte. Dies schätzbare Frauenzimmer tröstete sie und führte ihr in Gedanken eine bessere Zukunft vor. Wenn ein Unglücklicher beklagt wird, wenn er sieht, dass die Erzählung seiner Leiden einen andern rührt, dann bekommt er einen gewissen Mut, seine Seele erheitert und erweitert sich, und er vergisst schon halb seinen Kummer. Die betrübte Sophie erfuhr eben diese Wirkung von der Teilnahme ihrer Trösterin.

Die Mutter Angelika, so hieß die würdige Klosterfrau, welche die schöne Einsiedlerin so lieb gewonnen hatte, war alt und grau. Sie hatte Frau von Kupferberg sehr genau gekannt, beide waren in der Jugend miteinander aufgewachsen und hatten damals unter sich eine genaue Freundschaft errichtet. Gewisse Familienunglücksfälle nötigten Angelika, den Schleier zu nehmen, mit Betrübnis trennte sie sich von ihrer Freundin. Frau von Kupferberg, an die Welt gefesselt, vergaß sehr bald die Nonne Angelika, ja sogar den Namen des Klosters, wo sie sich aufhielt. Wenn sie gewusst hätte, dass sie ihre Tochter in solche Nähe ihrer Jugendfreundin brächte, so würde sie nach aller Wahrscheinlichkeit lieber ein anderes Kloster für sie gewählt haben, weil es ihr höchst unangenehm sein musste, eine alte Freundschaft zu erneuern, die beweisen konnte, wie lange sie schon gelebt hatte.

Die Torheiten und Ausschweifungen der Frau von Kupferberg nahmen immer mehr zu als ab. Täglich erdachte sie neue Weisen, sich zu kleiden. Die auffallendsten Moden waren ihr die erwünschtesten, und sie trug sie gewöhnlich schon, wenn sie noch kein Mensch in Stadt und Land kannte. Ein armer Edelmann, namens Lenau, bemerkte mittlerweile schon längst mit Vergnügen die Schwäche dieser sechzigjährigen Schönheit und fasste den Entschluss, von ihr seinen Vorteil zu ziehen. Der Ritter Lenau lebte bloß von dem, was ihm seine Industrie einbrachte. Er war einer der zahllosen Menschen, welche die Kunst verstehen, alle zu betrügen, mit denen sie zu tun haben. Seinen eigentlichen wahren Charakter verbarg er vor jedermann und widersprach sich nicht. Man sah ihn mit den größten Spielern spielen, denen er öfters große Summen abgewann, um, wie er sagte, einen anderwärts gehabten Verlust wieder zu ersetzen. Er war ein Freigeist in Worten und Taten mit Wüstlingen, die ihm sehr teuer die Vergnügungen bezahlen müssten, die sie in seiner Gesellschaft genossen. Er war Pietist, Herrnhuter und Frömmling, wenn er es mit Schwärmern zu tun hatte, die stets die Liebe Gottes im Munde führen und von der Liebe der Menschen nichts wissen; allein seine heuchlerische Miene täuschte sie, und er wusste ihre Börse manchmal zu schröpfen. Überdies hatte dieser irrende Ritter ein festes und gewisses Einkommen von Frauen, die ungeachtet ihres Alters törichterweise noch für schön und jung gehalten werden wollen und sich freuen, wenn noch einmal einer kommt und ihnen die Ehre antut, sie zu lieben oder sich wenigstens in sie verliebt zu stellen. Solche Frauen sehen das Opfer ein, das ihnen die Männer bringen, und sind auf Erkenntlichkeit bedacht; alle Bedürfnisse, die nötigen und überflüssigen, befriedigen sie ihren Anbetern gern, und wenn ja eine durch Zufall diese Sitte nicht wissen sollte oder aus Geiz sich stellte, sie nicht zu wissen, so kann ein kluger Mensch ihr ganz unbemerkt seine Wünsche beibringen; es wird ihm ein Leichtes sein, selbst die Geizigste zur Verschwenderin zu machen und ihrem Geldbeutel so oft zuzusprechen, als er will. Der Ritter Lenau war kein Neuling in diesem Geschäft und machte sich auf die alte Dame große Rechnungen.

Er ließ sich bei ihr einführen, war liebenswürdig, galant und wusste der Frau von Kupferberg so viele Süßigkeiten vorzuschmeicheln, dass er in kurzer Zeit bei ihr die Stelle eines Hausfreundes bekleidete. Die Fortschritte, wozu sie ihm selbst Gelegenheit gab, die zärtlichen Blicke, die sie ihm zuwarf, machten ihm Mut, ihr seine Liebe zu entdecken. Die Alte ward zum Schein rot, zwang sich eine kleine Weile zu widerstehen, gestand ihm aber bald nachher seinen Sieg. Der Ritter war schon zu weit gegangen, als dass er, wenn er auch gewollt, hätte zurücktreten können, und so musste er mit erheucheltem Entzücken alle Liebkosungen eines Gegenstandes dulden, den er abscheulich fand. Der bequemen Weite seines Gewissens wurden die wenigen Vorwürfe eben nicht sehr fühlbar, die er sich dann und wann vielleicht über die ehrlose Rolle machte, die er unternommen hatte durchzuführen. Frau von Kupferberg glaubte infolge dieser glänzenden Eroberung steif und fest an die Gewalt ihrer Reize und ließ sich nicht einfallen, dass Lenau bloß aus Eigennutz für sie seufze. Die Zerstörungen, welche die Zeit bei ihr angerichtet hatte, hatten den Geschmack am Vergnügen noch keineswegs bei ihr ausgelöscht. Sie wünschte zu genießen und nötigte alsbald den Ritter, die Pflichten eines zärtlichen Liebhabers gegen sie zu erfüllen. Sie war ihm für die Dienste, die er ihr als solcher leistete, nichts weniger als undankbar. Sie überhäufte ihn mit Geschenken, die der Ritter alle mit einer Miene empfing, die ihr sagte, wie beschämt er über ihre Großmut und die Unfähigkeit, einer so teuren Hand etwas abzuschlagen, sei. Er beteuerte, weiter nichts von ihr annehmen zu können; allein so oft sie ihm etwas gab, sagte er dasselbe, indem er alles nahm. Als er gewahrte, dass ihre Freigebigkeit etwas nachließ, verstand er die Kunst, sie wieder in Gang zu bringen, und wendete tausend Listen, tausend Betrügereien mit so gutem Erfolge gegen sie an, dass er fast der unumschränkte Herr ihres Vermögens ward.

Wenn die Alte ihre Schwachheiten verborgen gehalten hätte, so würde sie damit nicht aller Welt ein Gespött und Ärgernis geworden sein. Sie verlangte aber, dass der Ritter ihr immer zur Seite ginge, sie nahm ihn, um eben Aufsehen zu machen, mit sich ins Schauspiel, auf die Spaziergänge. Sie stellte sich, als wenn sie an öffentlichen Orten ihm etwas ins Ohr sagte, lachte laut auf, wenn er ihr etwas sagte, stützte sich vertraulich auf seinen Arm und trieb mit ihm die seltsamsten Possen aller Art. Einmal musste sie eine gewaltige Demütigung ausstehen, ein Schalk fragte sie nämlich, ob dieser junge Mensch, den sie so zärtlich zu lieben scheine, ihr Sohn sei.

Es ist schon gesagt worden, dass der Graf von Limbach vergeblich nachgeforscht hatte, den Namen des Klosters zu erfahren, in dem seine geliebte Sophie verborgen worden war. Die Kenntnis ihres Aufenthaltsortes an sich allein konnte ihm freilich auch nicht viel helfen, wenn er nicht Hoffnung hatte, ihre Mutter auf andere Gedanken zu bringen. Er hatte die Frau von Kupferberg in verschiedenen Häusern angeredet; sie wollte jedoch weder unmittelbar von ihm selbst, noch mittelbar von denjenigen, welche ein gutes Wort für ihn einzulegen gesonnen waren, irgendetwas von ihm und seinen Absichten hören. Der arme Graf wusste sonach gar nicht, was er anfangen sollte, verwünschte sein unglückliches Schicksal und nahm endlich Postpferde, um auf eines seiner Güter zu fahren und sich in ländlicher Stille seiner Betrübnis zu überlassen. Indem er durch eine Landstadt fuhr, stieg er zufälligerweise vor einem Nonnenkloster ab. Eine glückliche Vorempfindung oder vielmehr die Liebe, die diesmal seine Führerin war, erregte in ihm das Verlangen, in die Kirche zu gehen. Man sang eben die Vesper. Eine gewisse Stimme schien ihm so bekannt zu sein. Zitternd näherte er sich dem Gitter des Chores. Wie groß waren seine Bestürzung und Freude: er erblickte unter mehreren anderen Pensionärinnen seine ewig teure Sophie!

Die Vesper deuchte ihn unendlich lang zu sein. Kaum war sie aus, so flog er nach dem Sprechzimmer und verlangte das Fräulein von Kupferberg zu sprechen. Sie erschien, ohne an das Vergnügen zu denken, das ihrer wartete. Sie schrie laut auf, als sie ihren Geliebten erkannte, und die Überraschung und plötzliche Freude hätten ihr bald eine Ohnmacht zugezogen. Nachdem sie sich einander alles Zärtliche gesagt hatten, was solche Liebenden notwendigerweise auf dem Herzen haben müssten, eilte Sophie zu der Mutter Angelika, damit auch ihre Freundin sich mit ihr freuen und einen Mann kennenlernen möge, von dem sie ihr so oft gesprochen hatte. Der alten Nonne gefiel der Graf ausnehmend wohl. Sie versprach, ihr Möglichstes zu tun, um Frau von Kupferberg zur Einwilligung in die Verbindung ihrer Tochter mit demselben zu stimmen.

Der Graf, der nunmehr das Ziel seiner nächsten Wünsche erreicht hatte, gab natürlich gleich den Plan, auf seine Güter zu reisen, auf. Er blieb in dem Landstädtchen und besuchte täglich seine Sophie. Beide Liebenden erwarteten mit Schmerzen die Frucht von Angelikas Bemühungen. Die Nonne schrieb verschiedene Briefe, aber jedes Mal ohne den gewünschten Erfolg. Die Frau von Kupferberg beharrte in ihren immer kälter und kürzer werdenden Antworten dabei, dass es ihr leid täte, ihr in dieser Sache keinen Beweis ihrer Freundschaft geben zu können, da sie ihren unabänderlichen Entschluss einmal gefasst hätte und um keinen Preis jemals wieder aufgeben könnte. Zwei Monate verflossen, indessen über den Liebeshandel der beiden jungen Leute unablässig verhandelt worden war. Der Graf äußerte seinen Schmerz durch Klagen. Sophie sagte kein Wort und war im Grunde noch übler daran als der Graf. Die Mutter Angelika ermahnte beide zur Geduld und stellte ihnen vor, dass sie sich ganz in den Willen des Höchsten ergeben müssten.

Frau von Kupferberg beunruhigte sich wenig über den Kummer ihrer Tochter und über die Leiden des Grafen, so oft auch Angelika Gelegenheit nahm, ihr wegen ihrer Weigerung die bittersten Vorwürfe zu machen. Der Ritter Lenau erfuhr alles, er war ihr Gebieter, ihr Abgott. Je mehr er ihr kostete, je liebenswürdiger erschien er in ihren Augen. Der ehrbare Gegenstand ihrer närrischen Liebe, der Urheber ihrer Verirrungen und Ausschweifungen erwartete nächstens den Zeitpunkt, sie völlig zugrunde gerichtet zu haben, um sie alsbald zu verlassen und ihre Torheit zu verlachen. Sein Missgeschick verriet seinen Plan noch vor der Ausführung. Er ließ im Zimmer seiner alten Geliebten unversehens ein Papier aus der Tasche fallen, als er abends nach Hause ging. Sie nahm es in der Absicht auf, es ihm wiederzugeben. Es war ein Brief von einem Freunde des Ritters. Aus Neugierde wollte sie doch den Inhalt wissen. Sie las folgendes:

„Du meldest mir, mein Bester, dass du auf alle mögliche Art die arme Kupferberg ausziehst und alles anwendest, um sie je eher je lieber aufs Trockene zu setzen und dich dann gänzlich von ihr loszumachen. Ich bitte dich, tue ja alles, was du kannst. Man sagte sich schon allerlei ins Ohr, warum du mit diesem Schattenbilde so lange umgegangen bist. Deine Freunde haben wirklich Mühe, dich gegen alle Beschuldigungen zu verteidigen. Eigentlich müsstest du schon längst die Alte an den Bettelstab gebracht und ihr die letzte Feder ausgerupft haben, sonst verdient wenigstens so ein altes Geschöpf einen so jungen, liebenswürdigen Menschen, wie du bist, nicht.“

Frau von Kupferberg knirschte mit den Zähnen und gedachte vor Ingrimm zu sterben. Sie machte dem Ritter die kränkendsten Vorwürfe, zeigte ihm den unglücklichen Brief, zerriss ihn und warf ihm die Stücke ins Gesicht. Der Ritter stand versteinert da, wusste anfänglich nicht, was er sagen sollte; endlich kam er wieder zu sich selbst, sah die Frau von Kupferberg von Kopf bis zu Füßen an, lachte ihr mit der größten Kälte ins Gesicht und ging.

Die bedauernswerte alte Dame hatte sich noch nicht völlig von ihrem Zorn wieder erholt, als sie einen Brief bekam, der ihr Gelegenheit zum Nachdenken verschaffte. Er war von der Klosterfrau Angelika. Die gute Nonne, die sich der Sache ihrer Kinder, so pflegte sie sie zu nennen, von Herzen annahm, war nicht wenig betreten, beinahe alle Hoffnungen aufgeben zu müssen, Sophiens Mutter auf günstigere Gedanken zu bringen. Noch ein Mittel wollte sie versuchen, da die vorigen fehlgeschlagen waren. Dies ist in der Kürze der Inhalt des wichtigen Schreibens:

„Sie verfehlen die Hälfte Ihres Alters, ich weiß nicht eigentlich warum; allein Sie müssen doch Gründe dazu haben. Ich kenne Sie von Ihrer Kindheit an, es hängt bloß von mir ab, deutlich zu beweisen, dass Sie schon lange über den Frühling Ihrer Jahre hinaus sind. Ich melde Ihnen also hiermit, dass, wenn Sie nicht je eher je lieber in die Heirat Ihrer Tochter mit dem Grafen von Limbach willigen, ich überall öffentlich bekanntmachen werde, dass Sie älter als sechzig Jahre sind. Sie sind 1724 geboren, haben sich 1756 verheiratet, und jetzt schreiben wir 1790; die Berechnung Ihres Alters hält danach nicht schwer. Ich bin leicht imstande, Beweise meiner Behauptungen beizubringen. Glauben Sie mir, es liegen zu dem Ende schon Briefe an diejenigen meiner Freundinnen in Bereitschaft, die die ärgsten Schwätzerinnen sind. Wenn ich binnen drei Tagen keine befriedigende Antwort habe, so weiß in der nächstfolgenden Woche ganz Wien vielleicht besser als Sie selbst, wie alt Sie sind. Stellen Sie sich vor, welcher Schimpf dies für Sie sein würde!

Die Klosterfrau Angelika.“

Sobald die Alte diesen Brief gelesen hatte, war ihr Entschluss auf der Stelle gefasst. Sie ließ anspannen und fuhr nach dem Landstädtchen, in dem das Kloster lag. Ich willige in Ihr Verlangen, rief sie der Mutter Angelika zu, als sie dieselbe sah. Ihr Rat scheint mir so annehmbar zu sein, dass ich die Absicht hege, meinethalb noch heute meine Tochter mit dem Grafen zu vereinigen. – Der Graf trat jetzt ins Zimmer, und Angelika kündigte ihm zu ihrer größten Freude sein Glück an. Er fiel seiner Schwiegermutter zu Füßen und sagte ihr tausend Dank für den kostbaren Schatz, den sie ihm anvertrauen wolle. Sophie verließ das Kloster, die Hochzeit ward vollzogen, und das liebende Paar schwamm in Seligkeit. Frau von Kupferberg unterstand sich nicht, ihre alte Freundin zu bitten, verschwiegen zu sein. Die Klosterfrau merkte, was in ihrem Herzen vorging, und gab ihr beim Abschiede die Versicherung, dass sie sich noch immer in der Welt für eine Frau von dreißig Jahren ausgeben könne, ohne befürchten zu dürfen, ihr Geheimnis verraten zu sehen.

Das Köstlichste im Menschen

Auf seinem Zuge durch sein Land geschah es dereinst dem Sultan Saladin von Babylon, dass er irgendwo mit seinem großen Gefolge nicht in einer Herberge Platz fand und für seine eigene Person in dem Hause eines seiner Vasallen untergebracht wurde.

Als der Ritter seinen Herrn und Gebieter also bei sich sah, bemühte er sich zugleich mit seiner Gattin und seinen Söhnen auf das eifrigste, ihm in allen Dingen dienstlich zu sein. Da nun aber der Teufel unablässig geschäftig ist, den Menschen zu verderben, so legte er es dem Sultan in den Sinn, uneingedenk dessen, was er wirklich hätte lieben sollen, eine unerlaubte und zwar so heftige Liebe auf diese Edelfrau zu werfen, dass er sich soweit verleiten ließ, mit einem falschen Günstlinge bereits zu ratschlagen, wie er zu der Befriedigung dieser Liebe gelangen könne. Es sollte doch jedermann Gott bitten, die Mächtigen vor dem Willen, Böses zu tun, zu bewahren, denn man mag dessen wohl versichert sein, dass es ihnen niemals an jemand fehlen wird, der ihnen dazu rätlich und dienstlich ist. Auch Saladin ermangelte eines solchen falschen Freundes nicht, der ihm den Rat gab, den Gatten der schönen Frau zu sich zu entbieten und ihm viele Wohltaten zu erweisen sowie auch Land und Leute ihm anzuvertrauen, um ihn sodann einige Tage später in seinem Dienste nach einem weit entfernten Orte zu senden, und in seiner Abwesenheit seine Wünsche zu befriedigen.

Dem Sultan gefiel dieser treulose Rat sehr wohl, und er befolgte ihn. Der Ritter entfernte sich auf sein Geheiß mit Freuden, in der Meinung, bei seinem Gebieter hoch in Gunst zu stehen, und Saladin stattete einen Besuch in seinem Hause ab. Sobald die gute Frau die Ankunft des Sultans erfuhr, bewillkommte sie ihn um der Wohltaten willen, die er ihrem Manne erwiesen, sehr freundlich und tat mit allen den Ihrigen, was sie nur irgend ersinnen konnte, ihn zu vergnügen und ihm zu dienen. Nach aufgehobener Tafel begab sich Saladin in sein Gemach und forderte seine schöne Wirtin vor sich, die in der Meinung, dass er noch etwas bedürfe, alsobald zu ihm kam. Da erklärte ihr Saladin nun, dass er sie liebe. Sie verstand, was er damit sagen wollte, zwar ohne Schwierigkeit, aber sie gab sich das Ansehen, ihn nicht zu verstehen, und antwortete ihm: Sie bitte Gott, dass er ihn segnen möge, und Gott wisse, ob sie ihm dankbar sei und ihm alles Gute wünsche, wie es sich für sie schicke, da er ihrem Manne und ihr so viele Wohltaten erwiesen habe. Saladin sprach darauf: Auch abgesehen von alledem liebe und begünstige er sie mehr als jedes andere Weib, ja, und gab ihr endlich mit klaren Worten zu verstehen, welcher Art eben seine Liebe zu ihr sei. Als die gute Frau, die nicht allein sehr ehrbar, sondern auch äußerst verständig war, dieses hörte, erwiderte sie: Herr! wie sehr ich auch ein Weib geringer Art bin, so weiß ich doch, dass die Liebe nicht in der Macht des Menschen, sondern der Mensch in der Macht der Liebe steht, und kann ich mir wohl denken, dass Ihr die Wahrheit sagt, wenn Ihr, wie Ihr tut, vorgebt, eine große Liebe zu mir zu empfinden. Aber so gut ich eben dieses weiß, so gut weiß ich auch, dass die Männer, und zunächst unter ihnen die Gebietenden, wenn sie ihr Herz einem Weibe geschenkt haben, immerdar bereit sind, ihren Willen zu tun, wiewohl sie sie gleich nachher, wann die den ihrigen getan hat, verspotten und geringschätzen, wie sie es verdient. Ein solch unglückliches Los nun, fürchte ich, würde auch das meinige sein, Herr, wenn ich Eure Wünsche erhörte. – Saladin fing hierauf an, sie zu widerlegen, und versprach ihr goldene Berge für ihre Gunst, bis sie mit einem Male zu ihm sagte: wenn er ihr verspräche, ihr keine Gewalt anzutun und ihren Ruf zu schonen, so wolle sie alle seine Wünsche erfüllen, sobald er ihr eine Bitte, die sie ihm vorlegen werde, erfüllt habe. Saladin wendete zwar ein, er besorge, sie werde ihn bitten, dass er seiner Wünsche nicht wieder gegen sie eingedenk sei; sie sagte aber, sie werde das ebenso wenig wie etwas, das er außerstande sei zu vollbringen, von ihm begehren. Saladin gab nunmehr sein Versprechen, und sie küßte ihm Hand und Fuß und sagte: das, was sie von ihm wünsche sei, dass er ihr diese Frage beantworte: Was ist das Köstlichste, das der Mensch in sich hegt, zugleich die Mutter und die Krone aller seiner Tugenden? – Nachdem er dies vernommen, dachte Saladin auf das reiflichste darüber nach, wusste der edlen Frau aber keine Antwort zu erteilen, um seines Versprechens willen sagte er dagegen zu ihr, er wolle es bei sich in Überlegung ziehen, und sie wiederholte ihm, dass sie zu jeder Zeit, wann er ihr die Lösung dieser Frage brächte, bereit sein würde, sich seinem Willen zu unterwerfen; in welcher Weise denn ihr Verhältnis zueinander vorderhand auf sich beruhen blieb. Saladin kehrte zu den Seinigen zurück und fing die Sache fortan von einer anderen Seite an, indem er die Frage allen seinen Weisen vorlegte. Die einen meinten: das sei Wahrheit für eine andere Welt, man müsse sich damit aber nur in Geduld fassen, so werde sie auch schon für diese ihre Früchte tragen. Die anderen äußerten sich: das Köstlichste im Menschen sei die Aufrichtigkeit, denn man könne aufrichtig sein und dabei doch immer feige, karg, unehrbar, ungesittet oder was man sonst sein wolle, ohne, wie gesagt, der Aufrichtigkeit Eintrag zu tun; und auf diese Weise kamen sie von dem Hundertsten aufs Tausendste, ohne im mindesten des Sultans Frage zu lösen. Da nun Saladin zuletzt erkannte, dass in seinem ganzen Reiche kein Mensch war, der ihm hätte Bescheid geben können, so nahm er, um desto bequemer die Welt zu durchstreifen, zwei Jongleure mit sich und zog über das Meer nach dem Hofe des Papstes, wo alle Christenheit zusammenströmt, und legte allda seine Frage vor. Indessen hier so wenig wie am Hofe des Königs von Frankreich und bei allen den anderen Königen, die er nach und nach besuchte, fand er eine Antwort darauf. Er brachte auf diesen Reisen so lange Zeit zu, dass er am Ende bereute, sich jemals auf die Sache eingelassen zu haben; weil es für einen großen Mann allerdings ein Schimpf sein würde, etwas einmal Angefangenes, es musste denn eine Sünde oder ein Unrecht sein, nicht zu Ende zu führen und etwa aus Furcht oder Ermüdung darauf zu verzichten. Und in diesem Sinne wollte denn auch Saladin durchaus nicht, ohne es erreicht zu haben, von dem Ziele ablassen, in dessen Verfolgung er von seiner Heimat geschieden war.

Da trug es sich eines Tages zu, dass er, mit seinen Spaßmachern seines Weges dahinziehend, auf einen Edelmann traf, der, auf der hohen Jagd begriffen, soeben einen Hirsch erlegt hatte. Der Edelmann hatte sich vor kurzem ein Weib genommen und hatte zu Hause einen alten Vater, der zu seiner Zeit der beste Ritter seines Landes gewesen, jetzt aber vor Alter erblindet war und das Haus nicht mehr verlassen konnte, wenn er gleich einen so großen und vollkommenen Verstand besaß, dass das Alter ihn noch keineswegs hatte schwächen können. Der junge Edelmann zog von seiner Jagd freudigen Mutes heimwärts und fragte die Fremden, wohin sie gingen und wer sie wären, worauf diese sich für Jongleure ausgaben. Der Jüngling war sehr froh, als er dies hörte, sagte ihnen, er kehre munter und guter Dinge von seiner Jagd zurück, und bat sie, gesetzt sie wären gute Jongleure, mit ihm zu kommen und seine gute Laune durch ihre Kunst noch erhöhen zu helfen. Die Reisenden erwiderten ihm darauf: sie wären sehr eilig, denn sie hätten ihr Vaterland schon vor langer Zeit verlassen, um die Lösung einer Frage zu erforschen, die ihnen bis jetzt noch immer unbeantwortet geblieben wäre, und sie hätten nun endlich ihren Rückweg angetreten, weshalb sie also die Nacht nicht bei ihm zubringen könnten. Der junge Edelmann fragte sie nunmehr so lange, bis sie ihm sagten, was sie in der Fremde zu erfahren gesucht hatten, und als er es wusste, sagte er, wofern ihnen sein Vater darin keinen guten Rat geben könnte, würden sie solchen bei keinem Menschen auf Erden antreffen, und vertraute ihnen, was für ein Mann sein Vater sei. Saladin aber, den der Jüngling ebenfalls für einen Jongleur ansah, ließ sich durch das, was er über den alten Mann von ihm hörte, sogleich bestimmen, mitzugehen. Sie kamen in dem Hause des Alten an, und sein Sohn erzählte ihm, wie froh und zufrieden er nicht nur seiner Jagd, sondern auch deswegen sei, dass die Jongleure mit ihm gekommen, die, um die Lösung einer Frage zu finden, die Welt durchzögen. Auch bat er seinen Vater, ihnen nach seinen besten Einsichten raten zu wollen, wie er ihnen bereits versichert habe, dass, wenn er ihnen die Beantwortung ihrer Frage nicht gebe, kein Mensch es zu tun vermöge. Der alte Ritter erkannte also aus dem, was er hörte, dass der Fremde kein Jongleur sei, und erwiderte seinem Sohne, er wolle, sobald sie gegessen hätten, seine Antwort auf die Frage erteilen. Der Jüngling hinterbrachte das Saladin, und Saladin freute sich. Nachdem die Tafel abgedeckt war und die beiden Jongleure ihr Amt verrichtet hatten, sprach der Alte zu ihnen: sein Sohn habe ihm zu wissen getan, sie durchzögen die Welt der Beantwortung einer Frage halber, die sie doch bei niemand fänden, und forderte sie auf, ihm diese Frage zu nennen. Saladin gab ihm die Frage auf, und der alte Ritter lieh ihm ein aufmerksames Ohr und verstand sie wohl. An der Sprache des Fremden erkannte er, dass er den Sultan von sich hatte, bei dem er dereinst eine geraume Weile gelebt, und der ihm viele Wohltaten und viele Gnaden hatte zuteilwerden lassen. Er sagte zu ihm: Freund! das erste, was ich Euch erwidere, ist, dass ich weiß, wie bis zu diesem heutigen Tage noch niemals solcherlei Jongleure wie Ihr über die Schwelle meines Hauses traten. Sodann aber sollt Ihr wissen, dass, wenn ich gerade herausreden wollte, ich Euch, der mir so vieles Gute erwiesen hat, recht wohl kennen möchte. Indessen will ich davon für jetzt weiter kein Wort fallen lassen, bis ich mit Euch unter vier Augen bin, damit keinem anderen Euer Geheimnis offenbar werde. Was Eure Frage betrifft, so sage ich Euch, dass das Köstlichste, was ein Mensch in sich hegen kann, und was zugleich die Mutter und die Krone aller seiner Tugenden, die Scham ist. Denn aus Scham erduldet der Mensch den Tod, das allergrößte Übel, das es gibt, und aus Scham unterlässt er alles, was nicht schicklich ist, wenn ihn auch eine noch so große Lust dazu antreibt; die Scham ist ebenso der Anfang und die Krone aller Tugenden, wie dagegen die Unverschämtheit Wurzel und Gipfel aller Laster ist. – Als Saladin diese Erklärung der Frage hörte, leuchtete es ihm gleich ein, dass es die rechte war, und dass es sich darum wirklich so verhielt, wie der alte Ritter sagte. Er ward deswegen über die Maßen froh und nahm von dem Vater und dem Sohne, die ihn so gastfrei bewirtet hatten, Abschied. Ehe er inzwischen noch das Haus verließ, zog ihn der alte Ritter beiseite und sagte ihm, dass er wisse, er sei Saladin, und dass ihm vieles Gute von ihm widerfahren, auch leistete er und sein Sohn dem Sultan noch viele Dienste auf die Art, dass sich kein anderer ihrer versah. Nach diesem schickte sich nun Saladin an, so schnell als möglich nach seinem Lande zurückzueilen, und als er ankam, war des jedermann äußerst froh und beging seine glückliche Rückkehr mit Festlichkeiten.

Nachdem diese vorüber waren, war das erste, was Saladin tat, dass er die schöne Frau besuchte, die ihm die Frage aufgegeben hatte. Sie nahm ihn sehr wohl auf und bewirtete und bediente ihn, und Saladin speiste mit ihr. Er hatte sich aber kaum vom Tische erhoben, so begab er sich in sein Gemach und beschied die junge Edelfrau zu sich. Sie erschien vor ihm und Saladin erzählte ihr, wie weit umher er in der Welt gewandert sei, nach einer sicheren Lösung der Frage suchend, die sie ihm gestellt und die er nun endlich gefunden habe, um dafür die Erfüllung ihres Versprechens von ihr einzutauschen. Sie entgegnete: So möge er denn die Gnade haben und vorerst sein Versprechen halten, ihr die Frage, die sie ihm gestellt, zu beantworten. Fiele diese Antwort befriedigend aus, so wolle auch sie nicht anstehen, ihre gegen ihn übernommene Verpflichtung zu lösen. Hierauf versetzte ihr Saladin seinerseits, er freue sich ungemein, sie also reden zu hören, und was seine Antwort auf ihre Frage betreffe: so sei das Köstlichste, was der Mensch in sich haben könne und was die Mutter und die Krone aller Tugenden sei, die Scham. – Das ehrbare Weib war mit dieser Lösung ganz zufrieden und sagte: Ihr habt mir hiermit Euer Versprechen eingelöst, o Herr! sagt mir nun aber auch gefälligst, ich bitte Euch, der Wahrheit gemäß, wie es einem Könige geziemen will, ob es nach Eurem Dafürhalten in der Welt einen vorzüglicheren Menschen als Euch geben kann? – Saladin antwortete: durch das, was sie ihn zu sagen nötige, beschäme sie ihn zwar in keinem geringen Grade; da er ihr aber einmal als König die Wahrheit aussagen sollte, so erkläre er ihr allerdings, wie er die Meinung hege, dass er etwas Besseres als andere und also auch kein anderer ihm irgend vorzuziehen sei. – Die junge Edelfrau hörte diese seine Rede, stürzte auf ihre Knie vor ihm nieder und brach hochaufgeregt in die Worte aus: Da habt Ihr mir zwei große Wahrheiten angesagt, o Herr! Die eine, dass Ihr der vorzüglichste Mensch auf Erden seid, die andere, dass die Scham das Köstlichste im Menschen sei. Damit Ihr nun aber auch die erste dieser Wahrheiten bestätigt und der beste der auf Erden lebenden Menschen wirklich seid, so flehe ich zu Euch, dass Ihr gnädigst das Köstlichste im Menschen, die Scham, in Euch aufnehmen und Euch dessen, was Ihr zu mir sagtet, schämen wollt. – Sobald Saladin ihre kühne Rede begriffen hatte, wie dieses ehrbare Weib mit Hilfe ihrer Tugend und ihres hohen Verstandes es einzuleiten gewusst, ihn zur Erkenntnis seines tiefen Irrtums zu bringen, dankte er Gott. Und wenn er ihr zuvor schon mit sinnlicher Liebe zugetan gewesen war, so liebte er sie von nun an nur desto reiner und inniger und uneigennütziger, wie ein guter Herr die Seinigen lieben soll. Er berief ihren Gatten auf der Stelle in ihre Nähe zurück und überschüttete fernerhin beide mit Huld und Gnade und Ehren jeder Art, so dass man sie vor vielen seiner Untertanen glücklich preisen durfte.

Die Zähmung der Widerspenstigen

In einer gewissen Stadt in Spanien lebte ein angesehener Mann, der hatte einen Sohn, den besten Jüngling, den es in der Welt geben konnte, aber nur nicht reich genug, um so viele und große Taten zu verrichten, als ihm sein hoher Mut eingab, und um deswillen schwer bekümmert, also den Willen, aber nicht die Macht zu besitzen.

In derselben Stadt gab es nun auch einen weit geehrteren und reicheren Mauren als den Vater dieses Jünglings, der hatte eine einzige Tochter, die sehr verschieden von dem Jüngling war. Offenbarte nämlich dieser gute und löbliche Sitten, so hatte die Tochter des Ehrenmannes deren ebenso schlechte als verkehrte, und es wollte also niemand auf der Welt diesen Teufel heiraten.

Da trat der gute Jüngling eines Tages vor seinen Vater und sagte: Er wisse recht wohl, dass er nicht so reich sei, dass er davon mit Ehren auskäme, und dass er deswegen entweder ein elendes kümmerliches Leben führen oder seine Heimat verlassen müsse. Wenn es ihm also genehm sei, wolle er doch lieber als beides sich durch eine vorteilhafte Heirat aus seiner unglücklichen Lage zu ziehen suchen. – Der Vater antwortete: Dagegen habe er nicht das mindeste und werde sich vielmehr freuen, wenn sich eine solche Heirat für ihn fände. So sprach denn der Sohn weiter: Wofern er also es zufrieden sei, möge er sich doch bemühen, dass jener reiche Maure ihm seine Tochter zum Weibe gebe. – Als der Vater das hörte, verwunderte er sich sehr und fragte, wie er auf den Gedanken gekommen sei, da doch kein einziger Mann, und selbst der ärmste nicht, der sie kenne, sie zum Weibe haben möge. – Der Sohn aber beharrte bei seiner Bitte, dass er ihm den Gefallen tun möge, sich für ihn um das Mädchen zu bewerben. Er beschwor ihn fortwährend darum so dringend, dass der Vater am Ende, wie seltsam er es auch fand, nachgab, alsbald zu jenem braven Manne ging, der sein besonderer Freund war, und ihm hinterbrachte, was zwischen ihm und seinem Sohne vorgefallen, der es nun einmal wagen wolle, wenn es ihm recht sei und wenn er sie ihm gebe, seine Tochter zu heiraten. – Der brave Mann hatte diese Worte nicht so bald gehört, so sagte er zu seinem Freunde: Bei Gott! Freund, wenn ich das täte, würde ich dir einen gar schlechten Dienst leisten, denn du hast einen gut gearteten Sohn, und es wäre eine große Falschheit von mir, wenn ich in sein Unglück oder in seinen Tod willigte; denn ich bin gewiss, dass, wenn er meine Tochter zur Frau nähme er sterben oder ein Leben führen würde, das schlimmer als der Tod wäre. Glaube nicht etwa, dass ich dies bloß sage, um dir dein Verlangen abzuschlagen. Denn wenn du durchaus darauf bestehst, so bin ich es am Ende gern zufrieden, dass dein Sohn sie heiratet und ein anderer als ich sie in sein Haus aufnimmt. – Des Jünglings Vater sagte nunmehr seinem Freunde für diese beifällige Antwort seinen Dank und bat ihn, da sein Sohn einmal auf diese Heirat seinen Sinn gerichtet, ihm also seine Tochter zuzugestehen.

Die Hochzeit erfolgte darauf, die Braut wurde in das Haus des Bräutigams eingeführt, und da, der maurischen Sitte gemäß, an dem Hochzeitsabende das junge Paar allein speist, so machte man ihnen ihren Tisch zurecht und überließ sie bis zum nächstkommenden Tage sich selbst. Väter, Mütter und Verwandte des Bräutigams und der Braut blieben mittlerweile freilich sehr besorgt und erwarteten beinahe nichts anderes, als den Bräutigam wo nicht gar tot, doch übel genug zugerichtet wiederzusehen. Sobald die Brautleute miteinander allein im Hause waren, setzten sie sich zu Tisch; bevor sie aber noch ein Wort sagen konnte, sah der Bräutigam sich rings auf dem Tische um und blickte sodann auf seinen Hatzhund, der daneben lag, indem er etwas heftig zu ihm sagte: Allano! reich uns Wasser her. – Der Hatzhund tat es nicht, und nun begann er zornig zu werden und hieß ihm heftiger noch einmal, Wasser herbeizubringen. Das Tier tat es natürlicherweise auch diesmal nicht, und sowie sich der Bräutigam dessen versah, sprang er wütend von seinem Sitze auf, legte Hand an sein Schwert und drang damit auf den Hund ein. Der Hund floh von dannen, als er ihn auf sich zukommen sah, und er sprang hinter ihm drein und verfolgte ihn eine Weile über Tische und Stühle hinweg, bis er ihn erreichte. Darauf schnitt er ihm Kopf und Beine ab, zerstückte ihn ganz und gar und befleckte nicht nur Zimmer und Zimmergerät über und über mit Blut, sondern setzte sich endlich, selbst noch ganz blutig und ingrimmig wieder an den Tisch.

Hier sah er abermals rings um sich, nahm ein Schoßhündchen wahr und befahl ihm, ihm Wasser in die Hand zu reichen. Das Hündchen tat es nicht, und er sagte: Wie? du treuloser Verräter! hast du nicht gesehen, wie ich den Hatzhund behandelte, weil er nicht tun wollte, was ihn ihm gebot? Ich sage dir, wenn du mir noch einen Augenblick trotzest, so ergeht es dir ebenso wie ihm! – Als er aber sah, dass das Tierchen nicht tat, was er von ihm wollte, so sprang er empor, fasste es bei den Hinterpfoten und schleuderte es wider die Wand, worauf er es ebenfalls kurz und klein zerhieb und ihm noch weit größere Wut bewies als dem Hatzhunde. Wild und mürrisch und seines Zornes kaum noch Meister, kehrte er an den Tisch zurück und sah wieder trotzig um sich her. Seine Frau war über das, was sie ihn tun sah, außer sich vor Staunen und Bestürzung und sagte kein Wort. Darauf, als er sich nach allen Seiten umgesehen, nahm er sein Pferd, das einzige, das er besaß, im Hause wahr und rief ihm stürmisch von ferne zu, es solle ihm Wasser bringen, was das Pferd nicht tat. Da er es nun seinem Befehle nicht gehorchen sah, so sprach er: Wie, du stolze Bestie! meinst du, weil ich kein anderes Pferd als dich habe, werde ich ruhig mit ansehen, dass du nicht tust, was ich dir heiße? Ich will dich ebenso jämmerlich umbringen wie die anderen, und alles was auf Erden lebt und nicht tut, was ich haben will, dem soll es um nichts besser ergehen. – Das Pferd blieb ruhig stehen, und so wie er sah, dass es nicht tat, was er ihm geboten, rannte er zu ihm hin, schlug ihm den Kopf herunter und hieb es mit der höchst möglichen Wut, die er kundgeben konnte, in hundert Stücke entzwei. Dadurch nun aber, dass die Frau ihn auch dies einzige Pferd, das er hatte, vor ihren Augen töten sah und ihn sagen hörte, so solle es mit allem geschehen, was seine Gebote nicht vollbringe, wurde sie belehrt, dass mit ihm nicht zu spaßen sei. Sie wurde von solcher Furcht befangen, dass sie nicht mehr wusste, ob sie noch lebendig oder schon tot sei. Er kehrte aus dem Pferdestalle ebenso trotzig und grimmig und blutig wie vorher zu Tische zurück und schwur, wenn er hundert Pferde, Männer und Weiber im Hause hätte, und sie befolgten seine Befehle nicht, so sollten sie alle hundert des Todes sein. – Sodann setzte er sich nieder, blickte nach allen Seiten um sich und behielt mittlerweile das blutige Schwert auf dem Schoße. Indem er nun aber seine Augen also hin und wider schweifen ließ und damit nichts Lebendiges mehr in seiner Nähe ersah, richtete er sie mit Wildheit auf seine Frau und sprach zu ihr, zornwütig und den blanken Degen in der Faust haltend: Steh auf und reiche mir Wasser zur Hand! – Die Frau, die nichts anderes erwartete, als dass er sie ganz zerfleischen werde, stand eiligst auf und brachte ihm Wasser, indem er zu ihr sagte: Ha, Gott sei Dank! dass du tatest, was ich dir befahl, denn sonst würde ich in der Wut, in die mich das Getier versetzt hat, mit dir wahrhaftig ebenso wie mit ihnen umgegangen sein. – Hiernächst forderte er sie auf, ihm zu essen zu geben, und sie tat es zitternd vor Furcht. So brachten sie die ganze übrige Nacht miteinander zu, sie sprach kein einziges Wort, tat aber alles, was er ihr befahl. Nachdem sie eine Weile geschlafen, sagte er zu ihr: Wegen des Ärgers, den ich vorhin gehabt, kann ich gar nicht fest schlafen, habe acht, dass mich morgen früh niemand stört und trage mir für ein gutes Essen Sorge. – Als nun der helle Tag angebrochen war, versammelten sich Eltern und Verwandte vor der Türe, und da sie niemand im Hause sprechen hörten, besorgten sie fast schon, der Bräutigam möge tot oder verwundet sein, und dies zwar umso mehr, sobald sie erst allein die Braut ohne den Bräutigam an der Türe erscheinen sahen. Die Braut aber hatte sie ihrerseits kaum erblickt, als sie ganz leise und furchtsam auf sie zukam und zu ihnen sagte: Ihr Unbesonnenen, was tut ihr! Wie könnt ihr wagen, der Türe so nahe zu kommen und den Mund dabei aufzutun? Schweigt! oder ihr seid alle mit mir des Todes. –

Die Eltern und Verwandten waren sehr erstaunt, dies zu hören, und sobald sie erfuhren, wie das junge Ehepaar die Nacht zusammen verbracht, priesen sie den Jüngling ungemein, der die Führung seines Hausregimentes so trefflich in die Hände genommen. Von diesem Tage an war die junge Frau äußerst folgsam und bereitete ihrem Mann ein glückliches Leben. Einige Tage darauf wollte zwar der Schwiegervater das nämliche tun wie der Schwiegersohn und schlug aus diesem Grunde ebenfalls ein Pferd tot; seine Frau aber sagte zu ihm: Laß du das man bleiben, mein Guter! du kommst ein wenig spät auf diese Sprünge, wir kennen einander schon zu gut.

Der belehrte Liebesschulmeister

In der Familie der Savelli in Rom gab es zwei Freunde und Verwandte, deren einer Bucciolo, der andere Pietro Paolo hieß und die beide wohlgeboren und mit Glücksgütern gesegnet waren. Diesen kam es in den Sinn, nach Bologna zu gehen und da zu studieren, und der eine wollte sich dem geistlichen, der andere dem weltlichen Rechte widmen, weshalb sie denn von den Ihrigen Abschied nahmen und sich auf die genannte Universität begaben, wo sie sich eine geraume Zeitlang ihrer Studien befleißigten. Da nun das geistliche Recht von minderem Umfange ist als das weltliche, so lernte Bucciolo, der jenes hörte, früher aus als Pietro Paolo mit diesem. Er wurde entlassen und sagte zu seinem Freunde: er kehre nach Hause zurück. Pietro Paolo erwiderte ihm: Ich bitte dich, laß mich hier nicht allein und warte den Winter über auf mich, so gehen wir zum Frühlinge miteinander heim. Du magst inzwischen irgendeine andere Wissenschaft erlernen und brauchst ja deswegen deine Zeit nicht zu verlieren; mit welchem Vorschlage zufrieden, Bucciolo wartete.

Hierauf trug es sich zu, dass Bucciolo, um seine Zeit nicht zu verlieren, zu seinem Lehrer ging und zu ihm sagte: Ich habe mir vorgenommen, hier noch auf meinen Freund und Verwandten zu warten und möchte gern, dass du mich mittlerweile in irgendeiner anderen schönen Wissenschaft unterweisest. – Der Lehrer antwortete, dass er dazu bereitwillig sei und bat den Schüler, ihm nur die Wissenschaft zu nennen, die er erlernen möchte. – Bucciolo sprach: Lieber Meister, ich lernte gern, wie und auf welche Weise man sich verliebt. – Der Meister erwiderte fast lachend: Das ist recht hübsch von dir, und du hättest keine Wissenschaft erwählen können, mit der ich mehr als mit eben dieser zufrieden wäre. Geh nur nächsten Sonntag früh in die Kirche der Minoriten, wenn alle Frauen dort versammelt sind und siehe zu, ob darunter eine ist, die dir gefällt; hast du sie gefunden, so folge ihr bis zu ihrer Wohnung und komm alsdann wieder zu mir; das soll deine erste Lektion sein, die ich dir aufgebe. – Bucciolo ging, fand sich des kommenden Sonntagmorgens bei den frommen Brüdern ein, wie sein Lehrer ihm geheißen hatte und musterte die anwesenden zahlreichen Frauen so lange mit seinen Augen durch, bis er unter ihnen eine wahrnahm, deren große Schönheit ihn bald vorzugsweise reizte. Als die Dame aus der Kirche ging, ging ihr Bucciolo bis zu ihrer Wohnung nach, die er sich merkte, und die Dame sah ihrerseits, dass der Student sich in sie verliebt hatte. Bucciolo ging zu seinem Lehrer zurück und sagte: Ich habe getan, was Ihr mir anrietet, und eine gefunden, die mir gar wohlgefällt. – Der Meister hatte darob eine ungemeine Freude und verspottete den unerfahrenen Bucciolo mit seiner Wissenschaft und Lernbegierde, indem er zu ihm sagte: Du musst nunmehr alle Tage zwei-, dreimal ehrbar vor ihrer Wohnung vorübergehn, und wenn du nur deine Augen allerwärts hast und Achtung gibst, dass dich niemand mit ihr liebäugeln sieht, so magst du deine Lust daran immerhin büßen. Hast du ihr aber also erst zu verstehen gegeben, wie du es mit ihr meinst, so komme wieder zu mir, das ist die zweite Lektion. – Bucciolo verließ seinen Lehrer und fing nun an, behutsam an dem Hause seiner Schönen vorüberzuwandeln, bis dieselbe erkannte, dass er es um ihretwillen tat. Sie warf deshalb fortan auch ihre Augen auf ihn, und als Bucciolo sich dessen versah und vorsichtigerweise wagte, sich gegen sie zu verneigen, so erwiderte sie seinen Gruß immer und immer aufs neue, woraus Bucciolo annehmen zu dürfen glaubte, dass er wiedergeliebt sei. – Er verkündete seinem Lehrer dieses sein gutes Glück, und der entgegnete: Das ist alles recht schön, ich bin mit dir zufrieden, du hast deine Sachen seither gut gemacht. Jetzt denke nur daran, dass du einen jener Leute, die in Bologna mit Schleiern, Börsen und anderen Dingen hausieren gehen, zu ihr schickst, und laß ihr durch ihn sagen, dass du gänzlich ihr zu Diensten seiest und niemand auf der Welt lieber habest als sie, für die du alles hingeben und vollbringen wollest. Du wirst ja hören, was sie dir darauf sagen lässt, und sobald du ihre Antwort erhalten hast, komme wieder zu mir und hinterbringe mir sie, ich werde dir schon sagen, was du alsdann weiter zu tun. – Bucciolo begab sich hinweg und machte eine Hausiererin ausfindig, die zu seinem Endzwecke tauglich war. Ihr könnt mir einen außerordentlichen Dienst leisten, sprach er zu ihr, für den ich Euch so gut bezahlen will, dass Ihr mit mir zufrieden sein sollt. Die Frau antwortete: Ich will recht gern tun, was Ihr von mir fordert, denn ich lebe nur von dem, was ich mir verdiene; und darauf gab ihr Bucciolo zwei Gulden mit der Erklärung: Nun, so bitte ich Euch, dass Ihr mir heute auf die Straße Mascarella zu einer jungen Frau geht, die Madonna Giovanna heißt und die ich über alles in der Welt liebe und dass Ihr mich ihr mit den Worten empfehlt, ich sei bereit, alles für sie zu tun, was ihr angenehm sein könne und wozu Ihr so viele Schmeicheleien und Süßigkeiten fügen mögt, als Euch nur irgend einfallen wollen. – Die Alte versicherte ihm, er solle sie nur machen lassen, sie werde nach bestem Vermögen für ihn handeln, und Bucciolo sagte schließlich zu ihr, sie solle immerhin gehen, er erwarte sie auf der Stelle. Die Alte packte schleunigst einen Korb voll Waren zusammen und ging damit zu dem jungen Frauenzimmer, das sie vor ihrem Hause sitzend fand und zu dem sie, nachdem sie es begrüßt hatte, sagte: Madonna, ist Euch etwas von meinen Waren gefällig? Habt die Güte und sucht Euch aus, was Ihr braucht. – Sie nahm zu gleicher Zeit neben ihr auf der Bank Platz und begann ihr bald Schleier, bald Börsen, bald Schnuren, Spiegel und andere Dinge vorzuzeigen. Dem jungen Frauenzimmer gefiel am Ende, nachdem sie vielerlei davon in Augenschein genommen hatte, vor allem anderen eine Börse wohl, und sie sagte, wenn ich Geld hätte, würde ich sehr gern diese Börse kaufen. – Die Verkäuferin entgegnete Madonna, dessen bedarf es ganz und gar nicht; nehmt, was Euch von meinem Krame irgend wohlgefällt, es ist mir alles schon bezahlt. – Die junge Frau verwunderte sich über diese Worte und über die besondere Freundlichkeit der Alten und fragte sie: Was wollt Ihr damit sagen, gute Frau, was bedeuten diese Worte? – Die Alte sprach darauf ganz weinerlich: Ach! lasst Euch nur sagen, Madonna, dass mich ein Jüngling, namens Bucciolo, zu Euch geschickt hat, der Euch liebt und mit ganzer Seele ergeben ist, denn es ist nichts auf der Welt, das er nicht für Euch tun würde, wenn es in seiner Macht stände, der Euch sagen lässt, dass ihm Gott keine größere Gnade erzeigen könne, als wenn er ihm ein Gebot von Euch zukommen ließe. Ich, meines Teils, habe noch niemals einen wohlerzogenern Jüngling als ihn gesehen, und ich bin der Meinung, dass der arme Mensch noch gar verschmachten wird, so große Sehnsucht hat er danach, mit Euch ein Wörtchen zu sprechen. – Die junge Frau errötete über diese Worte im ganzen Gesicht und sagte, zu der Alten gewendet: Wenn mich nicht die Rücksicht auf meine Ehre davon abhielte, so wollte ich dich übel genug zurichten. Schämst du dich nicht, du Niederträchtige, einer ehrbaren Frau solche Worte zu hinterbringen? Gott möge dich dafür strafen! Sie nahm zu gleicher Zeit das Querholz der Türe zur Hand, um sie selbst zu züchtigen und drohte ihr, wenn sie sich jemals wieder vor ihr blicken ließe, sie nicht so wohlfeilen Kaufes entkommen zu lassen. Die Alte nahm also behende ihren Kram zusammen, machte sich in großer Angst vor den ihr angedrohten Schlägen auf und davon und glaubte sich nicht eher in Sicherheit, als bis sie wieder bei Bucciolo angelangt war. Als Bucciolo sie vor sich sah, fragte er sie, was sie ihm Gutes brächte und wie seine Sache stände? – Schlecht steht sie, antwortete die Hausiererin, denn sie will weder etwas von dir hören noch sehen und hat mir eine Angst eingejagt, wie ich in meinem Leben keine empfunden habe, denn hätte ich mich nicht über Hals und Kopf aus dem Staube gemacht, so würde sie mich geschlagen haben. Ich wage mich ganz gewiss nicht wieder zu ihr und rate dir wohlmeinend, dass du sie dir aus dem Sinne schlägst. – Bucciolo wurde von diesen Nachrichten ganz niedergeschlagen und ging stracks zu seinem Lehrer, dem er klagte, wie es ihm ergangen sei. – Der Lehrer tröstete ihn und sprach: Fürchte nichts, Bucciolo, kein Baum fällt auf den ersten Schlag; wandele du nur diesen Abend wieder so lange bei ihr vorüber, bis sie dich gesehen hat, und gib Achtung, was für ein Gesicht sie dir macht und ob sie dir böse ist oder nicht; das laß mich alsdann wissen. Bucciolo tat nach seinem Geheiß und ging nach der Wohnung seiner Schönen, die, als sie ihn kommen sah, sofort ein kleines Mädchen im Hause zu sich rief und zu ihr sagte: Gehe dem jungen Manne dort nach und sage ihm in meinem Namen, er solle diesen Abend zu mir kommen ich hätte mit ihm zu reden. – Das Mädchen hinterbrachte Bucciolo diese Botschaft, und er wunderte sich wohl darüber, sagte aber doch dagegen, er werde sehr gerne kommen und ging mit seiner frohen Nachricht gleich zu dem Meister zurück. Der Meister staunte darob höchlich und fasste, er wusste nicht, wie es kam, den Argwohn, dieses Frauenzimmer könne wohl gar seine eigene Gattin sein. Er sagte zu Bucciolo: Vortrefflich, und willst du zu ihr gehen? – Allerdings, meinte Bucciolo. – So sorge nur dafür, fuhr der Meister fort, dass du den rechten Weg nicht verfehlst. – Das soll geschehen, erwiderte Bucciolo und ging.

Seine Schöne war, ihm unbewusst, in der Tat seines Lehrers Frau, und dieser war eben eifersüchtig, weil er während des Sommers in dem Schulhause schlief, um seinen Schülern noch des Abends Vorlesungen zu halten und seine Frau deswegen mit ihrem Hausmädchen allein lassen musste. Er sagte zu sich: Ich möchte doch nicht gern, dass der Bursche auf meine Kosten klug geworden wäre; aber wissen will ich es. – Als daher Bucciolo am Abende wieder zu ihm kam und sagte: Meister, jetzt geh ich hin, so erwiderte er ihm: Geh und sei klug. – Bucciolo blieb dabei, er solle ihn nur machen lassen und ging, mit einem guten Panzer bekleidet, einen Dolch an der Seite und ein tüchtiges Schwert unterm Arme, keineswegs unbedacht, von dannen. Sobald er fort war, machte sich zwar auch der Meister hinter ihm drein, Bucciolo aber ahnete nichts, sondern klopfte an, als er die Wohnung erreicht hatte, und die Schöne öffnete sie ihm. Der Meister sah zu seinem Entsetzen, dass es seine eigene Frau war, und nahm sich vor, seinen Schüler umzubringen; er rannte daher nach der Schule zurück, versah sich mit Dolch und Schwert und kehrte voll Ingrimm in der Absicht wieder an Bucciolo seine Rache zu nehmen, weshalb er denn in wilder Hast ebenfalls an den Eingang pochte. Die Frau saß neben Bucciolo am Feuer, argwöhnte, als sie den Lärm hörte, gleich, dass es ihr Mann sei, und verbarg Bucciolo unter einem großen Haufen Wäsche, die noch nicht getrocknet war und die sie einstweilen auf einer Diele unter einem Fenster zueinander geworfen hatte. Darauf an den Eingang sich begebend, fragte sie: Wer ist da? – Der Meister antwortete: Mache nur auf, du kannst es dir wohl denken, schlechtes Weib, das du bist. – Die Frau öffnete die Türe, und da sie ihn mit dem Schwerte bewaffnet sah, rief sie aus: O wehe mir! Lieber Mann, was ist das? – Der Meister sprach: du wirst recht gut wissen, wen du im Hause hast. – Ach, ich Arme! entgegnete sie: Was sprichst du da? Bist du bei Sinnen? Suche das Haus durch und mache mit mir, was du willst, wenn du einen Menschen findest. Sollte ich denn wohl jetzt erst auf solcherlei Dinge kommen, die ich nie begangen habe? Hüte dich, dass du dir nicht von dem bösen Feinde etwas vorspiegeln lässt, das dich um deine Seele betrügt. – Der Meister ließ eine Kerze anzünden und begann im Keller zwischen den Fässern zu suchen, stieg dann empor und suchte die Kammer durch, unter dem Bette, durchstach den Strohsack von allen Seiten und ließ, mit einem Worte, auch den kleinsten Winkel des Hauses nicht undurchforscht, ohne dass er doch Bucciolo finden konnte. Seine Frau leuchtete ihm mittlerweile immer mit dem Lichte in der Hand dazu und sagte viele Male: Lieber Mann, schlage das Kreuz über dich, der Feind Gottes hat dich ganz gewiss versucht und dir eine Sache vorgespiegelt, die nimmermehr geschehen ist, denn wenn nur ein einziges Haar an mir nach so etwas verlangte, so brächte ich mich ganz gewiss selber um; darum bitte und beschwöre ich dich, laß dich nicht betören. – Wie nun der Meister sich endlich überzeugte, dass Bucciolo nicht im Hause sei, so maß er den Reden der Frau nach und nach Glauben bei, blies bald darauf seine Kerze aus und ging wieder nach dem Schulhause. Er war nicht so bald fort, so riegelte die Frau, die Türe von innen zu, zog Bucciolo unter der Wäsche hervor, fachte ein helles Feuer an, bei dem sie ein leckeres Abendessen bereitete und brachte endlich in Bucciolos Armen eine glückliche Nacht zu, nachdem sie sich mit ihm unter Lust und Lachen an Speise und Trank gütlich getan hatte. Als der Morgen anbrach, stand Bucciolo auf und sagte: Madonna, ich muss nun von Euch scheiden, habt Ihr mir noch irgendetwas zu gebieten? – O ja, antwortete sie, dass du diesen Abend wiederkommst. – Das soll geschehen, erwiderte Bucciolo, nahm Abschied von ihr und ging zur Schule zurück, wo er zu seinem Lehrer sagte: Ich habe Euch einmal eine lächerliche Geschichte zu erzählen! – Der Lehrer sagte: So! – Und Bucciolo fuhr fort: Wie ich nämlich gestern Abend bei dem Weibe bin, siehe! da kommt der Mann nach Hause, sucht sich halbtot nach mir und findet mich doch nicht aus. Sie hatte mich unter einen Haufen Wäsche gesteckt, die noch getrocknet werden sollte und wusste den Alten so gut zu beschwatzen, dass er endlich das Feld wieder räumte und uns in guter Ruhe beieinander ließ. So haben wir nun einen fetten Kapaunen miteinander verzehrt und süße Weine dazu getrunken, und uns unserer Liebe erfreut, bis es tagte. Ihr könnt Euch wohl denken, dass ich müde bin, da ich die ganze Nacht nicht geschlafen habe, und drum will ich mich jetzt niederlegen und den Tag über ausschlafen, denn ich habe ihr versprechen müssen, diesen Abend wieder zu ihr zu kommen. – Der Meister sagte darauf bloß zu ihm: Wenn du wieder hingehst, so kommst du vorher wohl noch einen Augenblick zu mir? – Herzlich gern, versicherte ihm Bucciolo, indem er ihn verließ, und der Meister war vor Zorn und Betrübnis dermaßen außer sich selbst geraten, dass er alle Besinnung verloren hatte und den ganzen Tag lang nicht imstande war zu lesen. Er lieh sich einen Panzer und eine Pickelhaube und gedachte dem Liebespaare auch diesen Abend wieder einen Besuch zu. Als es an der Zeit war, begab sich der sorglose Bucciolo zu ihm zurück und sagte: Meister, ich gehe jetzt. – Der Meister sprach: Gehe nur und komme morgen früh wieder und erzähle mir, wie es dir ergangen ist. – Bucciolo antwortete: Das will ich tun und machte sich ungesäumt nach dem Hause der jungen Frau auf den Weg. Der Meister aber wappnete sich und folgte ihm dahin auf dem Fuße nach. Die Frau hatte ihren Liebhaber erwartet, machte ihm schnell auf, ließ ihn ein und verschloss den Eingang wieder hinter ihm, bei dem der Meister aber sofort auch anlangte und mit großem Geschrei und Gepoche Einlass begehrte. Die Frau löschte rasch das Licht aus, stellte Bucciolo hinter sich und machte die Tür auf, zu gleicher Zeit ihren Mann mit dem einen Arme umschlingend und mit dem anderen, ohne dass er sich dessen versah, Bucciolo hinausschiebend. Hierauf begann sie nun aber ihrerseits laut zu rufen: Zu Hilfe! zu Hilfe! der Meister ist toll geworden, indem sie ihn fortwährend fest an sich gedrückt hielt. Die Nachbarn rannten auf dies Geschrei herzu, und da sie den Meister also gewappnet sahen und hörten, wie die Frau ihnen immerfort zurief: Haltet ihn fest, er ist über das viele Studieren übergeschnappt, so bedachten sie sich und glaubten wahrhaftig, dass er von Sinnen gekommen sein müsse. Ei, Meister, huben sie an ihm zuzureden, was soll das heißen? Geht zu Bette und ruht Euch aus, äschert Euch doch nicht zu sehr ab. – Der Meister sprach: Wie kann ich mich wohl ausruhen, da das schändliche Weib einen Mann bei sich im Hause hat, den ich selber habe hereinschleichen sehen? – Ach, du meine Seele! rief die Frau, du kannst die Nachbarsleute fragen, ob sie jemals etwas Übles von mir gesehen haben? – Die Männer und Frauen aus der Nachbarschaft, die zugegen waren, antworteten alle auf eine Weise: Meister, gebt Euch nicht mit solchen Gedanken ab, in der ganzen Stadt ist keine bessere und ehrbarere Frau, die in so gutem Rufe stände als die Eurige. – Der Meister aber sprach: Ich weiß doch, dass ich einen habe hineingehen sehen, und dass er drinnen ist. – Unterdessen kamen zwei Brüder der Frau, und sie fing auf einmal an zu weinen und sagte: Liebe Brüder, mein Mann ist närrisch geworden und behauptet, ich hätte einen Mann im Hause verborgen, um dessentwillen er mich umbringen will; ihr wisst ja aber doch am besten, ob ich die Frau darnach bin, die solche Streiche begeht. – Die Brüder sprachen: Wir begreifen nicht, wie Ihr unsere Schwester so verunglimpfen könnt, und was Euch jetzt gerade einfällt, unzufriedener als andere Male mit ihr zu sein, da Ihr schon so lange Zeit gut miteinander auskommt? – Das will ich Euch gleich sagen, schrie der Meister: Es ist einer im Hause drin bei ihr, ich habe ihn gesehen. – Nun, so lasst uns ihn doch suchen, schlugen die Brüder vor; und wenn wir ihn finden, so soll sie ihre Strafe erhalten, an die sie denken soll. – Einer von ihnen rief darnach auch die Schwester vor sich und sagte zu ihr: Gestehe die Wahrheit, hast du einen fremden Mann im Hause bei dir? – Die Frau erwiderte: Weh mir! was sagst du da? Christus behüte mich davor; sollte ich jetzt erst anfangen, so etwas zu tun, was ich bei uns zu Hause im Leben nicht tat! Schämst du dich nicht, mir das zu sagen? – Der Bruder begnügte sich mit dieser Antwort und schickte sich mit dem Meister an, das Haus zu durchsuchen. Der Meister machte sich zunächst an den Haufen Wäsche und durchwühlte ihn, in der Einbildung, mit Bucciolo zu kämpfen, den er darin verborgen wähnte, mit solchem Ingrimm, dass seine Frau daher den Anlass nahm, zu äußern: Hatte ich nicht recht, euch zu sagen, dass er närrisch geworden sei? Seht nur, wie wütig er mit der unschuldigen Wäsche umgeht, die ihm doch gar nichts angehabt haben kann. – Die Brüder konnten nicht umhin, ihr beizupflichten, und als sie alle Winkel durchsucht, die es nur im Hause gab, und keine verdächtige Spur gefunden hatten, so sprach der eine zu dem anderen: Der hat den Verstand verloren; und der andere sagte: Meister, Ihr tut, meiner Treu! nicht wohl daran, diese unsere Schwester zu einem ehrlosen Weibe zu machen. – Der Meister aber, einmal aufgebracht, wie er war, und recht wohl wissend, was er wusste, geriet deswegen mit den Brüdern in einen heftigen Wortwechsel und reizte dieselben durch sein blankes Schwert, das er nicht aus der Hand legte, dergestalt, dass sie am Ende ein jeder sich mit einem tüchtigen Stocke versahen und den Meister so lange prügelten, bis sie ihre Stöcke kurz und klein geschlagen hatten. Sodann ketteten sie ihn überdies wie einen Rasenden an und sagten von ihm, er müsse vor lauter Studieren ein Narr geworden sein, indem sie ihn die Nacht in diesem Zustande verbringen ließen und sie ihrerseits auch in dem Hause ihrer Schwester zubrachten. Des nächsten Morgens ließen sie den Arzt rufen, und der ließ ihm an der Feuerseite ein Bett bereiten und befahl: man solle niemand mit ihm reden lassen, ihm auf nichts antworten und ihn so lange fasten lassen, bis er wieder bei Verstande wäre; was denn auch alles pünktlich vollzogen wurde. Durch Bologna verbreitete sich das Gerücht, der Meister habe sich überstudiert, und jedermann bedauerte ihn deshalb. Der eine sagte, er habe es schon gestern kommen sehen, denn der Meister sei ganz unfähig gewesen, seinen Vortrag zu halten; ein anderer wollte bemerkt haben, wie er mit einem Male ein anderer Mensch geworden sei, und also erklärte man ihn einstimmig kurz und gut für einen Narren und stattete ihm als solchem Beileidsbesuche ab. Bucciolo wusste von allem dem nichts und kam in der Absicht zur Schule, dem Meister auch seine jüngsten Erlebnisse mit-* zuteilen, wo er dann die ihn betreffende seltsame Neuigkeit erfuhr. Er erstaunte und betrübte sich darob und begleitete die anderen nach des Meisters Wohnung. Wie fiel er aber da nicht beinahe aus den Wolken, als er erkannte, wie es um die ganze Sache beschaffen stand. Nichtsdestoweniger trat er mit den anderen allen, um keinen Verdacht zu erwecken, ein.

Im Saale anlangend, sah er den Meister völlig erschöpft in Banden zu Bette liegen, und näherten sich ihm alle seine Schüler, um ihn mit einigen Worten ihrer Teilnahme zu versichern. Als die Reihe an Bucciolo kam, sagte derselbe zu ihm: Lieber Meister, Ihr tut mir leid wie ein Vater, und wenn ich Euch in irgendetwas gefällig sein kann, so gebietet über mich wie über einen Sohn. – Der Meister erwiderte: Bucciolo, ziehe mit Gott von dannen, ich habe dein Lehrgeld für dich bezahlt. – Seine Frau fügte hinzu: Achtet nicht auf das, was er sagt, Herr, denn er faselt und weiß selber nicht, was er spricht. Bucciolo aber ging zu Pietro Paolo hinweg und sprach zu ihm: Lieber Bruder, gehab dich wohl, ich habe nunmehr in Bologna genug gelernt, – worauf er sich ohne Säumnis auf den Weg machte und mit seinem guten Glücke heim nach Rom reiste.