Der Hitlerputsch & der Prozess

Aus Wikipedia:

„… Der Hitlerputsch (auch Hitler-Ludendorff-Putsch, Bürgerbräu-Putsch, Marsch auf die Feldherrnhalle und Bierkeller-Putsch genannt) war ein am 8. und 9. November 1923 unternommener gescheiterter Putschversuch der NSDAP unter Adolf Hitler und Erich Ludendorff sowie weiteren Beteiligten gegen die bayerische Landesregierung und nach Vorbild von Mussolinis Marsch auf Rom gegen die Reichsregierung. Die Zielsetzung des Umsturzversuchs bestand in der Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und der Errichtung eines nationalistischen Diktatorialregimes

In der Nacht zum 9. November 1923 versuchen Ludendorff und Hitler die Reichsregierung zu stürzen Quelle: Gemeinfrei

Auf die sozialistische bayerische Regierung Eisner und die Münchner Räterepublik hatten die „vaterländischen und nationalistischen“ Gruppen mit dem zunehmend radikaler formulierten Wunsch nach „Ordnung“ und mit deutlich verstärkten antidemokratischen Tendenzen reagiert. München entwickelte sich zu einer Hochburg der Rechten; hinzu kamen separatistische Bestrebungen. Die 1918 als Nachfolgeorganisation des bayerischen Zentrums gegründete Bayerische Volkspartei (BVP) behielt sich schon 1919 eine Abtrennung Bayerns vom Reich vor. Inflation, Not und die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebietes verstärkten die Unzufriedenheit. Zum Ausbruch des Konflikts kam es, als der neue Reichskanzler Gustav Stresemann im September 1923 den „passiven Widerstand“ der Regierung Cuno gegen die Ruhrbesetzung abbrach.

Wilhelm Cuno im Januar 1919 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-2002-0625-505 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5426147

Diesen „Verrat“ nahm die bayerische Regierung unter dem BVP-Ministerpräsidenten Eugen Ritter von Knilling zum Anlass, um von der „bayerischen Ordnungszelle“ aus auf eine „nationale Diktatur“ in Berlin hinzuarbeiten und gegen die französische Politik an Rhein und Ruhr vorzugehen.

Ritter Eugen von Knilling Quelle: Wikipedia

Dazu wurde in Bayern der frühere Ministerpräsident Gustav Ritter von Kahr zum diktatorischen Generalstaatskommissar ernannt: Er erklärte umgehend den Ausnahmezustand, setzte die Grundrechte außer Kraft und übernahm das Kommando von bayerischen Truppen der Reichswehr.

Gustav Ritter von Kahr (1920) Quelle: Wikipedia

Gustav von Kahr versuchte gemeinsam mit , dem bayerischen Landeskommandeur der Reichswehr, und Hans Lossows von Seißer, dem Kommandeur der bayerischen Landespolizei, seine republikfeindlichen Pläne in Angriff zu nehmen. Der Stellvertreter von Kahrs, von und zu Aufseß, drückte diese Intentionen am 20. Oktober 1923 in folgenden Worten aus:

„Es heißt für uns nicht: Los von Berlin! Wir sind keine Separatisten. Es heißt für uns: Auf nach Berlin! Wir sind seit zwei Monaten von Berlin in einer unerhörten Weise belogen worden. Das ist auch nicht anders zu erwarten von dieser Judenregierung, an deren Spitze ein Matratzeningenieur (Anm.: damit war Reichspräsident Friedrich Ebert gemeint) steht. Ich habe seinerzeit gesagt: In Berlin ist alles verebert und versaut, und ich halte das auch heute noch aufrecht.“

Hans Freiherr von und zu Aufseß Quelle: Von unbekannt – [1], PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=2809347
– Hubert Friedrich Karl von und zu Aufseß

Otto Geßler Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1968-100-04A / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5418790

Zum Eklat kam es am 18. Oktober. Nach einem Artikel gegen Friedrich Ebert und Hans von Seeckt, den Chef der Heeresleitung, forderte Reichswehrminister Otto Geßler das Verbot des NSDAP-Sprachrohrs „Völkischer Beobachter“. Otto von Lossow erhielt den Auftrag, dieses Verbot durchzusetzen. Dieser verweigerte jedoch die Ausführung des Befehls und wurde seines Amtes enthoben. Daraufhin unterstellte er die bayerische Division seinem alleinigen Kommando und vereidigte sie auf Bayern und seine Regierung. Damit war der offene Bruch mit der Weimarer Republik vollzogen.

Otto von Lossow Quelle: Wikipedia

Hitler hatte den Putsch bereits für den 29. September 1923 geplant wartete dann aber die turbulenten Entwicklungen in Bayern ab. Er wollte die neue Situation nutzen und die bayerische Regierung zum Sturz der Reichsregierung veranlassen. Am 30. Oktober 1923 rief er – ergebnislos – im Münchner Zirkus Krone zum Aufstand auf. Eine passende Gelegenheit bot sich, als Gustav von Kahr in Anwesenheit von Lossows, Seißers, Knillings, zweier weiterer Mitglieder des bayerischen Kabinetts und zahlreicher Prominenter aus verschiedenen nationalistischen Lagern im Bürgerbräukeller am 8. November 1923 über die Ziele seiner Politik sprechen wollte. Kahr begann in dem vollbesetzten Bürgerbräukeller um etwa 20 Uhr mit seiner Rede.

NSDAP-Versammlung im Bürgerbräukeller, ca. 1923 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1978-004-12A / Hoffmann, Heinrich / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5482932

Ludendorff hatte dem Kampfbund und den Offizieren der Infanterieschule den 8. November 20 Uhr 30 als „X-Zeit“ des Losschlagens angegeben. Etwa 30 Minuten nach Beginn betrat Hitler in Begleitung des SA-Kommandeurs Hermann Göring sowie weiterer Nationalsozialisten vom Vestibül aus den Saal, stieg auf einen Stuhl, feuerte mit einer Pistole in die Decke, erlangte Aufmerksamkeit, warnte, das Versammlungslokal sei von der SA umstellt, und verkündete, die „nationale Revolution“ sei ausgebrochen. Er bat das Triumvirat – Kahr, Lossow, Seißer – und den mittlerweile herbeigeholten General der Infanterie und ehemaligen Ersten Generalquartiermeister Erich Ludendorff in einen Nebenraum, während Göring eine Rede hielt. Unterdessen brachte Hitler Kahr, Lossow und Seißer – nach späteren Aussagen mittels Erpressung – auf seine Seite. Die Putschisten setzten die beiden übrigen im Bürgerbräukeller anwesenden Mitglieder des Kabinetts währenddessen im Saal fest. Hitlers Ziel war ein sofortiger Aufstand, wozu das Triumvirat ihm seine Unterstützung zusagte. Zurück im Saal, baten die drei die Anwesenden, Hitlers Staatsstreich zu unterstützen. Ein von Hermann Esser entworfenes Flugblatt der Putschisten erklärte:

„Proklamation an das deutsche Volk! Die Regierung der Novemberverbrecher in Berlin ist heute für abgesetzt erklärt worden. Eine provisorische deutsche Nationalregierung ist gebildet worden, diese besteht aus General Ludendorff, Adolf Hitler, General von Lossow, Oberst von Seißer.“

Nach dem Vorbild des „Marschs auf Rom“ der italienischen Faschisten um Benito Mussolini sollten die in Bayern stehenden Reichswehrverbände zusammen mit antidemokratischen Wehrverbänden nach Berlin marschieren („Marsch auf Berlin“) und dort die Macht im Deutschen Reich übernehmen.

Franz Xaver Schweyer, 1925 Quelle: Wikipedia

Ministerpräsident Eugen von Knilling, Justizminister Franz Gürtner, Innenminister Franz Schweyer, Landwirtschaftsminister Johannes Wutzlhofer, der Münchner Polizeipräsident Karl Mantel und weitere hochrangige Politiker wurden von 30 bewaffneten SA-Männern unter der Leitung von Rudolf Heß als Geiseln genommen und über Nacht im Privathaus des NS-Unterstützers Julius Lehmann im Süden der Stadt festgehalten.

Rudolf Hess Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-1987-0313-507 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5423766

Inzwischen besetzte nach 22 Uhr Ernst Röhm, vom Löwenbräukeller kommend, mit einem Sonderkommando das Wehrkreiskommando VII, den Amtssitz Lossows in der Schönfeldstraße. Die dortige Wache leistete keinen Widerstand, als Röhm erklärte, er habe den Auftrag, eine Ehrenwache für Ludendorff und Lossow bereitzustellen. Im Wehrkreiskommando fanden sich allmählich zusammen: Hitler, Ludendorff, Röhm, Ernst Pöhner, Hermann Kriebel und Friedrich Weber. Von Otto von Lossow nahmen die Verschwörer an, dass er in der Kaserne des 19. (Bayerisches) Infanterie-Regiment (Reichswehr) (Hitlers Einheit bei der Reichswehr, Loth-/Infantriestraße) wäre und dorthin seine Befehlsstelle des Wehrkreiskommandos verlegt hätte. Lossow war in der Telegrafenstelle im selben Gebäude mit den Verschwörern und beorderte regierungstreue Truppen nach München.

Hermann Kriebel Quelle: Wikipedia

Der inzwischen von dem Putsch benachrichtigte stellvertretende Ministerpräsident Franz Matt setzte sich noch am Abend mit einem Rumpfkabinett vorsorglich nach Regensburg ab, um die legitime Regierungsgewalt zu sichern. Noch in München erließ er einen an die Bevölkerung gerichteten Aufruf gegen den „Preußen Ludendorff“. Dieser Aufruf soll nach damaligen Zeitungsberichten wesentlich zur Überwindung des Putschversuches beigetragen haben. Die diskreditierende Behauptung der Nationalsozialisten, Matt habe vom Hitlerputsch während eines Abendessens mit Kardinal Michael von Faulhaber und dem Apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., erfahren, wurde von ihm selbst umgehend dementiert. In Regensburg angekommen, erteilte Matt für den Fall einer gewaltsamen Weiterung des Putsches allen regierungstreuen Einheiten der Polizei den Schießbefehl.

Um 2:55 Uhr nachts widerrief Gustav von Kahr, inzwischen in Kenntnis von der Abreise Franz Matts, im Rundfunk seine Zusage. Er erklärte die ihm, Lossow und Seißer „mit vorgehaltener Pistole abgepressten Erklärungen“ für null und nichtig sowie die NSDAP und die Bünde Oberland und Reichskriegsflagge für aufgelöst. Oberamtmann Wilhelm Frick wurde als Erster festgenommen.

Dennoch verkündeten am Freitagmorgen, den 9. November 1923, in München zahlreiche Plakate und Redner wie Julius Streicher und Helmuth Klotz den Sieg ihrer Bewegung. Selbst am Neuen Rathaus hing am Balkon eine riesige schwarz-weiß-rote Flagge. Julius Schaub nahm mit einem Stoßtrupp neun sozialistische Stadträte als Geiseln gefangen. Sie wurden in den Bürgerbräukeller gesperrt. Dessen ungeachtet rückten mit Panzerwagen verstärkte Verbände der Reichswehr und der Bayerischen Landespolizei gegen das Wehrkreiskommando vor, das Röhm mit 400 Putschisten vom Bund Reichskriegsflagge besetzt hatte.

Helmuth Klotz Quelle: https://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/1259

Bei einem Schusswechsel wurden zwei Soldaten der Reichswehr verwundet; Martin Faust und Theodor Casella starben dabei (als erste Putschisten).

Theodor Casella Quelle: http://www.dws-xip.pl/reich/nsdap/nsdap6.html

Vermittler versuchten Röhm zur Kapitulation zu bewegen; er stimmte aber erst um 11.45 Uhr einem Waffenstillstand und nur für zwei Stunden zu.

Theodor Oberländer (1952) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-23645-0002 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5349633

Um 12 Uhr marschierten Hitlers Anhänger, darunter auch Theodor Oberländer, unter Ludendorffs und Hitlers Führung vom Bürgerbräukeller ab. Ludendorff, der ebenso wie Hitler in Zivilkleidung ging und einen Hut trug, hatte das Kommando übernommen. Zu seiner Rechten ging Göring, zu seiner Linken Hitler und neben diesem Max Erwin von Scheubner-Richter.

Max Erwin von Scheubner-Richter Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 119-1930-01 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5415954

Ludendorff führte die Putschisten vom Bürgerbräukeller über die Ludwigsbrücke. Dort entwaffneten sie eine 30 Mann starke Abteilung der Landespolizei und marschierten weiter zum Marienplatz. Anschließend bog die Kolonne in die Weinstraße ein und zog dann durch die Theatinerstraße in Richtung Odeonsplatz. Nördlich vom Odeonsplatz lag das Wehrkreiskommando, wo sich Röhm verschanzt hatte. Der Kommandant der Landespolizei in der Residenz, Michael Freiherr von Godin, erhielt auf eine telefonische Anfrage durch Seißer den Befehl, das Heraustreten der Hitlertruppen auf den Odeonsplatz müsse mit allen Machtmitteln gestoppt werden.

Godin riegelte daraufhin mit seinen 130 Mann, die mit einer Kanone und Maschinengewehren bewaffnet waren, den Odeonsplatz ab. Daraufhin ließ Ludendorff die Marschierer rechts in die kurze Perusastraße einschwenken und gleich danach links in die Residenzstraße abbiegen. In Zehner- bis Sechzehnerreihen bewegten sich die Putschisten, „Die Wacht am Rhein“ und „O Deutschland hoch in Ehren singend, voran in Richtung Feldherrnhalle und durchbrachen eine Absperrkette der Polizei in der Residenzstraße.

Ulrich Graf (1920), Aufnahme aus dem Hauptarchiv der NSDAP im Bundesarchiv Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 119-1412 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5337538

Um 12.45 Uhr starben, von Schüssen getroffen, der Polizeikommandant Hauptmann Rudolf Schraut, sowie der Polizei-Oberwachtmeister Friedrich Fink, Polizei-Unterwachtmeister Nikolaus Hollweg und Polizei-Hilfswachtmeister Max Schoberth. Das Feuer der Polizisten tötete daraufhin Scheubner-Richter, der den eingehakten Hitler mit sich zu Boden riss. Der Leibwächter Ulrich Graf stellte sich vor ihn und fiel, von elf Kugeln getroffen, auf Hitler und Scheubner-Richter. Göring wurde in den Schenkel und in die Lende getroffen.

Die Putschisten warfen sich zu Boden, während die zahlreichen Zuschauer flüchteten. Die ganze Aktion dauerte weniger als eine Minute. Bei der Schießerei wurden vier Polizisten der Bayerischen Landespolizei, dreizehn Putschisten sowie ein unbeteiligter Schaulustiger getötet. Später starben bei der Erstürmung des besetzen Wehrkreiskommandos in der Schönfeldstraße durch die Bayerische Landespolizei noch zwei weitere Putschisten. Unter den Getöteten waren folgende Berufsgruppen vertreten: vier Polizisten, vier Kaufleute (darunter Klaus von Pape und Oskar Körner), drei Bankbeamte, ein Hutmacher, ein Oberkellner, ein Schlosser, ein Student, ein Diener (Kurt Neubauer), ein Rittmeister, ein Oberstlandesgerichtsrat (Theodor von der Pfordten), ein Ingenieur sowie der Diplomat und Mitinitiator Scheubner-Richter.

Ferdinand Sauerbruch, 1932 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-R45871 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5368423

Der Pater Rupert Mayer gab den Sterbenden auf dem Odeonsplatz die letzten Sakramente und sprach mit den Verwundeten. Zahlreiche Schwerverwundete wurden in die Universitätsklinik eingeliefert, wo sie unter der Leitung von Ferdinand Sauerbruch operiert wurden. Ludendorff, der unverletzt geblieben war, wurde am gleichen Tag festgenommen und nach einer Befragung von fünf Stunden und zwanzig Minuten um 22.20 Uhr gegen Ehrenwort wieder auf freien Fuß gesetzt.

Hitler entkam durch Flucht mit Hilfe eines Sanitätsautos; „die wenige Jahre später von ihm selbst verbreitete Legende, er habe ein hilfloses Kind aus dem Feuer getragen, ist schon vom Ludendorff-Kreis widerlegt worden, ehe er selbst davon Abstand nahm“. Bei dem Kind handelte es sich um den zehnjährigen Knaben Gottfried Mayr, der eine Schusswunde am Oberarm erhalten hatte und dem Hitlers Gefolgsmann Walter Schultze Erste Hilfe leistete. Hitler versteckte sich in Uffing am Staffelsee im Landhaus von Ernst Hanfstaengl, wurde jedoch am 11. November 1923 ebenfalls in Haft genommen. Die NSDAP wurde im ganzen Deutschen Reich verboten.

 

Ernst Hanfstaengl (1934) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-R41953 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5368413

Die getöteten Putschisten wurden zwischen 1933 und 1945 als „Blutzeugen der Bewegung“ geehrt und zugleich von der NS-Propaganda instrumentalisiert.

Prozess und Urteil

Hitler stand ab Frühjahr 1924 unter Hochverratsanklage vor dem Volksgericht in München. Obwohl für den Fall eigentlich das Reichsgericht in Leipzig zuständig gewesen wäre, hatte die bayerische Regierung den Fall an sich gezogen, um zu verhindern, dass die Machenschaften von Kahr, Lossow und Seißer ans Licht kamen, was dann im Prozessverlauf auch tatsächlich gewährleistet werden konnte. Hitler konnte sich im Laufe des nun folgenden „Hitler-Prozesses“ aufgrund seiner rhetorischen Fähigkeiten vom Angeklagten zum Ankläger hochstilisieren. Dabei deutete er unter anderem das Ereignis und Gedenken der Kriegsniederlage zum „eigentlichen Hochverrat“ um und instrumentalisierte es in seinem Sinn als „Aufruf zum Putsch und Auflehnung gegen die Landesverräter“.

Die Kriegsschule, in der der Prozess stattfand (Februar 1924) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-00287 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5478803

In einem Gutachten äußerte der Münchner Vize-Polizeipräsident Friedrich Tenner die prophetische Einschätzung: „Hitler (…) ist heute die Seele der ganzen völkischen Bewegung. Er wird große Massen (…) seiner Idee der NSDAP zuführen.“ Mit der Begründung, dass bei einem Mann, „der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler“ und der sich durch „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen“ auszeichne, das Motiv des Verrats nicht aufrechterhalten werden könne, wurde es vom Gericht ausdrücklich abgelehnt, Hitler als verurteilten Ausländer nach Verbüßung seiner Haftstrafe aus Deutschland auszuweisen, wie es § 9 des Republikschutzgesetzes zwingend vorsah. Hitler wurde zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt, mit der Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung schon nach sechs Monaten. Ludendorff stand ebenfalls in München vor Gericht, wurde jedoch „aufgrund seiner Verdienste im Weltkrieg“ freigesprochen.

Hitler Prozess

Aus Wikipedia:

„Der Hitler-Prozess bzw. Hitler-Ludendorff-Prozess war ein Hochverrats-Prozess im Jahr 1924 in München gegen Adolf Hitler und weitere Angeklagte nach dem gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsch.

Hitlers Festnahme

Hanfstaengl (links) mit Hitler und Hermann Göring im Sommer 1932 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-14080 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5415514

Nach dem gescheiterten Putsch vom 9. November 1923 flüchtete Hitler. Er wurde von Helene Hanfstaengl, deren Ehemann Ernst Hanfstaengl ebenfalls am Putsch beteiligt war, als Gast in Uffing am Staffelsee aufgenommen. Am nächsten Tag besuchte ihn Walter Schultze, um zusammen mit einem Assistenten Hitlers Arm einzurenken, der bei dem Putschversuch in München ausgerenkt worden war.

WalterSchultze Quelle: Wikipedia

Am Sonntag, den 11. November erhielt der Standortkommandeur der Landespolizei Weilheim in Oberbayern, Oberleutnant Rudolf Belleville, um 16.20 Uhr telefonisch den Befehl, Hitler in der Villa Hanfstaengl festzunehmen. In Uffing durchsuchte er mit zehn Landespolizeibeamten und einem Gendarmen zunächst eineinhalb Stunden die Villa von Hanfstaengls Mutter Katharina. Erst nach einem direkten Telefongespräch mit Helene Hanfstaengl wandte er sich zu deren Villa. Laut Hanfstaengls Memoiren entwand Helene dabei Hitler die bereits zur Selbsttötung an die Schläfe gehaltene Pistole. Kurz vor dem Eintreffen des Polizeikommandos diktierte Hitler noch sein politisches Testament.

Hitler ließ sich schließlich widerstandslos von Belleville, mit dem er übrigens persönlich bekannt war, verhaften. Das Kommando fuhr mit Hitler nach Weilheim zurück, und um 10.45 Uhr des nächsten Tages wurde Hitler von 39 Wachmännern in das Festungsgefängnis Landsberg eingeliefert.

Hitler in der Festung Landsberg Quelle: Privatbesitz

Vorbereitung des Prozesses

Hitler bezog die Zelle Nr. 7, in der zuvor bereits Anton Graf von Arco auf Valley inhaftiert worden war. Dort wurde er am nächsten Tag von dem Hilfsstaatsanwalt Hans Ehard verhört und war erst zum Sprechen bereit, nachdem der Protokollführer den Raum verlassen hatte. Hitler leugnete, Hochverrat begangen zu haben, da das „Verbrechen“ der Novemberrevolution noch ungesühnt sei. Gustav von Kahr, Otto von Lossow und Hans von Seißer hätten über Monate hinweg mit ihm den Umsturz vorbereitet. Ehards Aufzeichnungen aus dem Gedächtnis heraus wurden Grundlage der Anklage gegen Hitler. (…)

Es wurden vier Verfahren eingeleitet: 1.) gegen Hitler und die anderen Spitzen des Putsches, 2.) gegen den Stoßtrupp, 3.) gegen Karl Beggel und Hans Knauth wegen des Diebstahls von Banknoten aus den Druckereien und 4.) gegen die Schuldigen des Überfalls auf das St.-Anna-Kloster.

Der Prozess

Der Hochverratsprozess begann am Morgen des 26. Februars 1924 im Hauptlesesaal der Zentralen Infanterieschule mit 368 Zeugen, Korrespondenten aus aller Welt und Hunderten von Zuschauern mit reservierten Sitzen. (…)

Gerichtsverhandlung Kaserne der Infanterieschule Quelle: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Datei:Gerichtsverhandlung_Kaserne_der_Infanterieschule.jpg

Die zehn Angeklagten waren Adolf Hitler, Erich Ludendorff, Heinz Pernet, Friedrich Weber, Hermann Kriebel, Ernst Röhm, Ernst Pöhner, Wilhelm Frick, Wilhelm Brückner und Robert Wagner. Andere Putschisten wie Göring und Rudolf Heß fehlten, weil sie ins Ausland geflüchtet oder untergetaucht waren.

Als Staatsanwalt fungierte Ludwig Stenglein, mit dem Hilfsstaatsanwalt Hans Ehard und dem zweiten Staatsanwalt Martin Dresse. Den Gerichtsvorsitz übernahm der rechtskonservative Georg Neithardt, mit dem Richter August Leyendecker und den Schöffen Philipp Herrmann, Christian Zimmermann und Leonhard Beck an seiner Seite. Hitlers Verteidiger war der Rechtsanwalt Lorenz Roder. Die Anklageschrift bezeichnete Hitler als „die Seele des ganzen Unternehmens“. Neithardt ersetzte eigenmächtig ein belastendes Protokoll von Ludendorffs Vernehmung durch ein anderes, das besagte, dass er von den Putschvorbereitungen nichts gewusst habe; Ludendorff saß dementsprechend auch nicht in Haft.

Landgerichtsdirektor Georg Neithardt, Quelle: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Hitler-Ludendorff-Prozess,_1924

Neithardt vereidigte nur die Zeugen für die Verteidigung, nicht aber die Zeugen der Anklage. Die Angeklagten erklärten sich für „nicht schuldig“. Obwohl die Anklage „gegen Ludendorff et al.“ lautete, übernahm Hitler, der mit seinem Eisernen Kreuz Erster Klasse am Revers auftrat, die alleinige Verantwortung für den Putsch und behauptete unter stürmischem Klatschen der Zuschauer, es gäbe keinen Hochverrat gegen die „Landesverräter“ von 1918. Er lenkte den Vorwurf des Verrats zudem auf Kahr, Lossow und Seißer, die eigentlich seit Wochen dasselbe getan haben wollten, sich dann aber gegen ihn und das deutsche Volk gewandt hätten.

Die Zeugen Kahr, als verhinderter Diktator und Lossow, dem Kommandeur der bayerischen Bürgerkriegsarmee, beide inzwischen aus ihren Ämtern entlassen, sowie Seißer wurden von Hitler hart angegriffen. Der Vorsitzende ließ es meist zu, dass Hitler sie wiederholt in der Art eines Anklägers verhörte und ihre Aussagen diskreditierte, so dass der Staatsanwalt sie in Schutz nehmen musste. Seißer bezichtigte Hitler der Alleinschuld an dem Unternehmen und bestätigte damit den von diesem selbst erhobenen Anspruch. Der Angeklagte Pöhner nannte die Einrichtungen und Gesetze der Weimarer Republik als für ihn nicht verbindlich. Lediglich Hans Ehard schien ernsthaft auf eine Verurteilung hinzuarbeiten, doch seine Einsprüche und Anträge wurden immer wieder abgelehnt.

Hans Ehard (1961) Quelle: Von Bundesarchiv, B 145 Bild-F011950-0010 / Bedel / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5451168

25 Tage nahmen Zeugenaussagen und Diskussionen in Anspruch, von denen die Öffentlichkeit und die Presse großenteils „aus Gründen der Sicherheit“ ausgeschlossen waren. Am 27. März 1924 durften die Angeklagten abschließende Erklärungen geben. Hitler legte zuerst dar, dass er sich trotz seiner bescheidenen Herkunft berufen fühle, ein Volk zu regieren. Dann klagte er Ebert und Scheidemann des Landes- und Hochverrats an und verkündete seine Überzeugung von einer künftigen Vereinigung mit denjenigen, „die auf uns geschossen haben“. Zuletzt sprach er dem Gericht das Recht ab, einen Schuldspruch zu fällen:

„Mögen Sie uns tausendmal schuldig sprechen, die Göttin des ewigen Gerichtes der Geschichte wird lächelnd den Antrag des Staatsanwaltes und das Urteil des Gerichtes zerreißen; denn sie spricht uns frei.

Staatsanwalt Stenglein verband seinen Strafantrag mit vielen lobenden Worten an die Adresse Hitlers.

Die Laienrichter

Die drei Laienrichter am Volksgerichtshof, die am Hitler-Prozess mitwirkten, waren Leonhard Beck (* 6. Mai 1867 in Schwandorn), Philipp Hermann (* 21. Oktober 1865 in Nürnberg; † 10. Januar 1930 in München) und Christian Zimmermann. Den Forschungen von Andreas Stenglein zufolge spielten die drei Männer bei dem Prozess die „abwegigste Rolle“, indem sie dem vorsitzenden Richter gleich zu Prozessbeginn erklärten, dass sie einer Verurteilung Hitlers nur zustimmen würden, wenn die Strafe zur Bewährung ausgesetzt würde. Da das Gericht nur einstimmig entscheiden durfte, war der Vorsitzende gezwungen, entweder diesen „Kuhhandel“ mitzumachen oder den Prozess direkt platzen zu lassen. Das hätte aber bedeutet, das Verfahren an das ordentliche Gericht zu überweisen, was die damalige bayerische Regierung jedoch nicht wünschte. Dementsprechend erhielt Hitler, wie von den Schöffen gewünscht, nur die Mindeststrafe von 5 Jahren mit Bewährungszugeständnis und nicht die vom Staatsanwalt beantragten acht Jahre. Auf diese Weise hätten die drei Laienrichter, so Stenglein, dem Angeklagten Hitler „als Schlüsselfiguren“ den Weg an die Macht „wie niemand sonst“ geebnet. (…)

Verhandlungssaal Hitler-Ludendorff-Prozess Quelle: https://www.historisches-lexikon-bayerns.de/Lexikon/Datei:Verhandlungssaal_Hitler-Ludendorff-Prozess.jpg

Das Urteil

Am 1. April 1924 sollte das Urteil verkündet werden. Um zehn Uhr trafen die Angeklagten in der Infanterieschule ein und stellten sich zuerst den Fotografen. Die Offiziere trugen prunkvolle Uniformen, Ludendorff und Kriebel sogar Pickelhauben.

Die Angeklagten, von links nach rechts: Heinz Pernet, Friedrich Weber, Wilhelm Frick, Hermann Kriebel, Erich Ludendorff, Adolf Hitler, Wilhelm Brückner, Ernst Röhm, Robert Wagner (1. April 1924) Quelle:Von Bundesarchiv, Bild 102-00344A / Heinrich Hoffmann / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5478829

In dem überfüllten Saal verlas Neithardt das mit vier zu einer Stimme gefällte Urteil. In der Begründung wurde auf den „rein vaterländischen Geist und edelsten Willen“ der Angeklagten verwiesen. Der Tod der vier bayerischen Polizisten beim Putsch wurde nicht erwähnt. Mit Ausnahme von Ludendorff wurden alle Angeklagten für schuldig befunden, Brückner, Röhm, Pernet, Wagner und Frick aber nur wegen Beihilfe zum Hochverrat.

Heinz Pernet Quelle: Pinterest

Ludendorff protestierte gegen seinen Freispruch. Er erklärte:

„Ich empfinde diesen Freispruch als eine Schande für den Rock und für die Ehrenzeichen, die ich trage, gegenüber meinen Kameraden.

Diese Erklärung löste stürmische Heilrufe aus. Die Untersuchungshaft wurde von der Strafzeit abgezogen, so dass Frick, Röhm, Wagner und Brückner auf Bewährung freikamen. Hitler, Weber, Kriebel und Pöhner wurden zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft nebst Geldbuße von 200 Goldmark verurteilt. Nach sechs Monaten könne die Strafe wegen guter Führung in Bewährungsfrist umgewandelt werden. Die obligatorische Ausweisung Hitlers nach § 9 Absatz 2 des Republikschutzgesetzes wurde unter Verweis darauf, dass Hitler sich als Deutscher betrachte und viereinhalb Jahre im deutschen Heer Kriegsdienst geleistet und sich durch Tapferkeit ausgezeichnet habe, nicht angewandt.

Im Gerichtssaal erschollen „Bravo, Bravo!“- und „Heil! Heil!“-Rufe. Die Gefangenen empfingen Blumensträuße. Als sie sich am Fenster der Wachstube präsentierten, wo sie sich vor ihrem Abtransport nach Landsberg aufhielten, brach die Menge in der Blutenburgstraße in Jubel aus.

Am 20. Dezember 1924 wurden Hitler und Kriebel auf Bewährung aus der Haft in Landsberg entlassen, Pöhner und Weber, die ihre Haft später angetreten hatten, im Frühjahr 1925. (…)

Emil Maurice als SS-Oberführer mit dem „Blutorden“ Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1980-073-19A / Hoffmann / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5483050

In der Festung Landsberg diktierte Hitler seinen damaligen Mithäftlingen Emil Maurice und Rudolf Heß Teile des ersten Bandes seines Buches Mein Kampf. Nach neun Monaten wurde Hitler Ende 1924 „wegen guter Führung“ vorzeitig unter Auflagen aus der Haft entlassen.

 

Hitler, Maurice, Kriebel, Heß und Weber 1924 Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hitler,_Maurice,_Kriebel,_Hess,_Weber,_prison_de_Landsberg_en_1924.jpg