Der himmlische Vagant

Zur Erinnerung an den Dichter Klabund/ Von Guido von Kaulla

Am 4. November wäre Klabund, der als Dich­ter des “Kreidekreis“ und des Eulenspiegelromans .Bracke“ bekannt wurde, sechzig Jahre alt geworden.

„Von allem, was heute jung ist und Verse macht, wird nur einer bestehen: Klabund“, schrieb 1913 Frank Wedekind. Nun — von den „Jungen“ jener Zeit be­stehen auch noch Werfel, Trakl, Stadler, Benn und der schon 1912 verstorbene Heym. Neben ihnen wurde Klabund von der Mitwelt vielfach nur für einen „mit Nuditäten bluffenden Feuilletonisten“, einen politi­schen „Konjunkturbuben“ und betriebsamen Epigo­nen gehalten. Seine Zeile „Ich würde sterben, hätt‘ ich nicht das Wort“ parodierte man denn auch in ein: „Er würde sterben, hätt“ er nicht die Wörter.“ Prasselndes Feuerwerk neben stiller Flamme: das war des Landes nicht der Brauch.

Freilich erschwerte sein einem ständigen Ausver­kauf ähnelndes Herumschleudern von über 70 Verlagspublikationen vielfältigster Erscheinungsformen und Inhalte den kritischen Überblick. Da gab es etwa Insel- und Reclambändchen neben dem gewichtigen „Lesebuch“ und der in billigem Zeitungssatz gedruck­ten „Harfenjule“. Da waren unter anderem seine kongenialen Nachdichtungen chinesischer Lyrik, Samm­lungen von Erzählungen und Grotesken (zum Bei­spiel „Der Kunterbuntergang des Abendlandes“), „lyrische Porträts“ des Francois Villon und der „Geisha Osen“, fiebernde Beichten wie der Roman „Spuk“ und rasant vorwärtsstürmende, leidenschaft­liche historische Phantasien wie jene von der Gottes­geißel „Pjotr“ und der Familie der „Borgia“. Neben­einander fand man Ladenhüter und Kostbarkeiten, ab­geschmacktes Geschwafel, selbstironische Clownerie und dichterische Innerlichkeit, politische, sozial bestimmte Chansons und krassen Klamauk, Brünstiges und Inbrün­stiges, fand man gefühlsstarke Sonette und kesse Bänkellieder, unverwelkliche Blüten und rasch zerfasernde Papierblumen (notabene auch in seinen vielen dramatischen Bemühungen). Aber der „freie“ Schriftsteller Klabund freute sich der verlegerischen Nachfrage und über­ließ die Siebung auf Anthologiereife meist der Nach­welt, die allerdings mit der zuletzt vor zwanzig Jahren posthum edierten Gedichtauswahl noch keine repräsentative Lösung fand. Dennoch war er kein „for­ciertes Talent“, sondern einer von den Dichtern, die (in Benns Sprache) „der Menschheit zu dienen glau­ben, indem sie dem Worte dienen“. Er war weniger ein zeitgetriebener „Denkspieler“ als ein Wortspieler mit unmittelbarer Liedkraft. Seit 1933 war der Lyri­ker Klabund unbekannt; allem was heute jung und lyrischer Dichtung ausgeschlossen ist, wäre ein Atmen auch mit Klabunds stärksten Versen wieder zu wün­schen.

Der Dichter wurde als Alfred Henschke, Sohn eines Apothekers, am 4. November 1890 in Crossen an der Oder geboren. Dieser unprätentiöse und hilfreiche, fieberhaft inspiratorisch lebende und arbeitende Mann war von Natur sehr lebensfroh. Melancholien brachte erst‘ der früh spürbare Schatten des Todes. Immer wieder mußte er zur Eindämmung seines schweren tuberkulösen Leidens in Höhenluft. In Davos ereilte ihn am 14. August 1928 der Tod. Vielleicht wäre Klabund ein längeres Leben bei dauernder kurgemäßer Lebensführung beschieden gewesen, aber dies war ihm unmöglich. Das innere Gesetz dieser anima candida, dieses „Revolutionärs der Seele“ und „Schwär­mers der Tat“, hieß: als Vagant das Leben zu durch­streif eo.

Klabunds Verbundenheit mit der Natur war stärker als alle seine vielfältigen menschlichen Bindungen. Von diesen stand seine erste Ehe mit der zarten, an der Geburt des Kindes verstorbenen Irene Heberle – „Ich gab ihr Sinn, sie gab mir Gesinnung“ – dem Franziskanischen in seinem Lebensgefühl am nächsten. Hin­zu kam das Erlebnis aller Erschütterungen seiner Zeit: des Expressionismus, des Weltkrieges, des Taoismus, des Pazifismus und der Revolution. Die geistige Ver­wandtschaft dieses realistischen Romantikers mit J. Chr. Günther, Bellmann, Eichendorff, Brentano und Hille ist unverkennbar. In seinem Glaubensbekenntnis, den Literaturgeschichten „in einer Stunde“, bezeich­nete er mit der Schillerabwandlung „Die Welt­geschichte ist auch das Weltgedicht“ den Schwerpunkt seiner geistigen Existenz.

Für eine Schauspielerin – Von Klabund

Manchmal denke ich an dich,
Sybil Smolowa,
Manchmal denke ich an dich
Und verschenke mich –
Lächerlich
Wie billig —
An dich,
Sybil Smolowa,

Manchmal träume ich nach dir,
Sybil Smolowa,
Manchmal träume ich nach dir,
Manchmal schäume ich nach dir
Wie ein Überfluß, Sybil Smolowa,
Manchmal bete ich für dich,
Sybil Smolowa,

Manchmal bete ich für dich
Und betrete dich
Wie man einen Wald betritt:
Alle Bäume wandern mit,
Alle Vögel, alle Schlangen
Sind an meinen Fuß gefangen,
Und ein Mond steht weiß wie deine Stirne da,
Sybil Smolowa.
Unveröffentlichtes Gedicht aus einem Brief an die Schauspielerin Sybil Smolowa, geschrieben am 26. Juli 1915 im „Hause „Waidmannsruh’n“ Bad Reinerz.