Der Graben

Der Graben

Aus Wikipedia:

…ist ein Gedicht der Gattung Chanson, geschrieben von Kurt Tucholsky unter seinem Pseudonym Theobald Tiger im Jahre 1926. Tucholsky zeigt darin die Sinnlosigkeit des Kriegs auf und kritisiert soziale und gesellschaftliche Missstände.

Entstehung

Im Jahr der ersten Drucklegung dieses Gedichtes (1926) ist Deutschland dem Völkerbund beigetreten. Nur zwei Monate später, am 20. November 1926, wurde „Der Graben“ in der Zeitung „Das Andere Deutschland“ gedruckt. Für Tucholsky war klar, dass die Völkerversöhnung nicht nur Sache der Politik ist, sondern vor allem das eigentliche Volk betrifft. In „Der Graben“, das den Ersten Weltkrieg thematisiert, zeigt er unter anderem die Sinnlosigkeit des Kriegs auf. Als Hitler an die Macht kam, wurden viele Zensuren vorgenommen, wodurch auch dieses Chanson verdrängt wurde, welches zuvor großen Anklang bei der Bevölkerung gefunden hatte.

Text

Mutter, wozu hast du deinen Sohn aufgezogen?
Hast dich zwanzig‘ Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er dir in deinen Arm geflogen,
und du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Mutter, für den Graben.

Junge, kannst du noch an Vater denken?
Vater nahm dich oft auf seinen Arm.
Und er wollt dir einen Groschen schenken,
und er spielte mit dir Räuber und Gendarm.
Bis sie ihn dir weggenommen haben.
Für den Graben, Junge, für den Graben.

Drüben die französischen Genossen
lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen,
und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
Alte Leute, Männer, mancher Knabe
in dem einen großen Massengrabe.

Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
In die Gräben schickten euch die Junker,
Staatswahn und der Fabrikantenneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
für das Grab, Kameraden, für den Graben!

Werft die Fahnen fort!
Die Militärkapellen spielen auf zu euerm Todestanz.
Seid ihr hin: ein Kranz von Immortellen –
das ist dann der Dank des Vaterlands.

Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne,
schuften schwer, wie ihr, ums bißchen Leben.
Wollt ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
übern Graben, Leute, übern Graben -!

Interpretation

Mit dem Titel des Werks deutet Tucholsky schon darauf hin, dass der Krieg nicht in Köpfen von Generälen und Politikern stattfindet, sondern ganz direkt im Graben und auf dem Schlachtfeld. Mit der ersten Strophe wird auch klar, dass er einfache Leute ansprechen will, sprich Familienmitglieder von Kriegsopfern. In der ersten Strophe wird die Mutter angesprochen, in der zweiten Strophe wendet er sich an den Sohn, der seinen Vater verliert. Typisch für Tucholskys Lyrik ist das Erwecken von Gefühlen über Erinnerungen. Er spricht in der zweiten Strophe von Ereignissen aus der Kindheit und weckt dadurch ein Bild des Friedens und Verbundenheit, womit er den Leser näher ans Geschehen bringt.

In der dritten Strophe findet der Übergang vom Individuellen zum Allgemeinen statt. Während sie sich direkt auf den Graben richtet, impliziert der Verfasser eine Generalisierung der Menschen: Alle haben sie ihr Blut vergossen / Und zerschossen ruht heut Mann bei Mann. Kurt Tucholsky gibt diesen zwei Zeilen eine mehrfache Bedeutung. Die Bedeutungslosigkeit des Einzelnen im Krieg wird hervorgehoben und gleichzeitig verweist er auf die zahlreichen Opfer, die der Erste Weltkrieg forderte.