Der fremde Gast

Drama in einem Monolog

(Es ist dunkel auf der Bühne. Dann hört man Lachen und Sprechen. Margrit tritt durch die Portiere, knipst das elektrische Licht an und zieht den bleichen Herrn im Abendcape hinter sich her)

Margrit:

Kommen Sie … sehen Sie … hier wohne ich . ganz reizend, nicht wahr? Die Möbel und die Tapete … so einfach in Farbe und Linien … und doch diese leise Exzentrizität … Klaus hatte einen fabelhaften Geschmack … er hat die ganze Einrichtung in unserer Wohnung selbst entworfen … stunden­lang … tagelang … hat er sie mit den Möbelfabrikanten .. mit dem Tape­tenhändler … durchgesprochen .. wollen Sie nicht Platz nehmen? Aber so legen Sie doch ab! Wie, Sie wollen nicht? Sie wollen nur ein paar Augenblicke bleiben? (Sie sieht ihn an) Ich will hoffen . daß diese Augenblicke sich in die Länge ziehen … ich möchte Ihnen immer in die Augen sehen … ich weiß nicht, was mich zu Ihnen zieht und zwingt … daß ich mit Ihnen . . den ich doch erst seit heute kenne .. also einem mir völlig unbekannten Menschen den ganzen Abend zusammen tanze und lache und Sekt trinke … und doch das Gefühl einer … sonderbaren Verknüpfung … oder Verwandtschaft zwischen uns … sofort habe … sofort vom ersten Moment an … Was hat mich überhaupt veranlaßt, heute, am ersten Jahrestag seines Todes, auf den Ball zu gehen, zu lachen, zu tanzen und Sekt zu trinken? Sie werden viel­leicht denken, daß ich eine schlechte, eine leichtfertige und frivole Person sei … bin ich das? Ich habe das ganze Jahr mit Tränen verbracht … ich habe mir die Brust wie ein Klageweib zerschlagen . ich habe nicht einen untreuen Gedanken gehegt … aber heute abend, als ich vor sein Bild trete … und ihm Blumen bringen will … da … ist der Rahmen leer . . der Rahmen ist leer . . ganz leer … das Bild verschwunden .. Und denken Sie, von dem Moment konnte ich mir nicht mehr vorstellen, wie Klaus ausgesehen hatte … Ich versuchte angestrengt darüber zu grübeln, was für Augen er gehabt hatte .. wie die Farbe seiner Augen gewesen sei … ich versuchte, ihn zu sehen … es gelang mir nicht mehr … die Form seines Kopfes – ja, wie war sie eigent­lich? Sie war ungeheuer einprägsam . seine Stirn schien mir einmal unver­geßlich … und jetzt … jetzt hatte ich alles vergessen .. wenn ich an seinen Kopf dachte, sah ich plötzlich eine Runkelrübe oder einen Kürbis und was dergleichen Albernheiten mehr sind … ich versuchte, seinem Gang in seinem Arbeitszimmer zu lauschen … nachts, wenn er arbeitete, pflegte er immer ruhelos in seinem Arbeitszimmer auf- und abzuschreiten … auf und ab … und diese Schritte … habe ich das ganze Jahr noch gehört … in meinen ein­samen, schauerlich stillen Nächten … heute … da hörte ich den Schritt mit einem Male nicht mehr … ich konnte nicht mehr atmen … nun, der Anfall ging vorüber . . vielleicht bin ich hysterisch . alle Witwen sollen ja hyste­risch sein … und plötzlich wurde ich von einer unerklärlichen Lustigkeit er­griffen … ich lachte … lachte und drehte mich um mich selbst und tanzte durch alle Räume … und als ich im Schlafzimmer angekommen war … und mich im großen Spiegel sah . schwarz vom Kopf bis zu den Zehen … da nß ich mir die Trauerkleidung vom Leibe . und dann     dann … dann … begann ich in den Kommoden und Schränken zu kramen … meine schönste Spitzenwäsche … mein schönstes Crepe-de-Chine-Kleid zog ich hervor und schmückte mich wie eine Braut . ich probierte auch den Myrtenkranz vor dem Spiegel auf … den ich einst am Tage meiner Vermählung mit Klaus getragen . . und er stand mir so hübsch . wie damals da sah ich auf dem Nachttisch die Abendzeitung liegen und obenan die Anzeige des heutigen Balles im Deutschen Theater. Da klatschte ich in die Hände wie ein Kind, so freute ich mich … ja . tanzen wollte ich wieder einmal . tanzen .. tan­zen … bis ich umfiel . und ich nahm eine Taxe . und führ zum Ball und traf im Vorraum … in der Garderobe Sie! Sie traten zu mir heran … und obgleich Sie sich mir nicht vorstellten das haben Sie bis jetzt noch nicht getan … und mich nur ansahen … faszinierten Sie mich . . ja, Sie fas­zinierten mich. Sie lächeln vielleicht, was ich Ihnen für Geständnisse mache Klug ist so etwas von einer Frau nicht .. gewiß nicht … aber ich habe wohl keine Zeit mehr, klug zu sein … ja … Sie bezauberten mich durch Ihre elegi­schen Gesten, Ihre melancholischen Manieren, Ihre dunklen Augen und Ihre unsäglich blassen und schlanken Hände (nimmt seine Hand). Ich habe bei den Männern immer zuerst auf die Hände gesehen die Hände verraten einem leichter, was einer darstellt, als das Gesicht; denn seine Hände kann man nicht verstellen … Hände lügen nicht. Ja, ich liebe Ihre Hände … ich scheue es nicht, es zu sagen ... (sie küßt sie sacht). Zeigen Sie, drehen Sie die linke Hand um, ich will Ihr Schicksal lesen .. und vielleicht das meine. (Sie beugt sich über die Hand) Sie haben keine Lebenslinien . . wie sonderbar … als leb­ten Sie eigentlich gar nicht … also sind Sie eigentlich gar nicht da … und ich, ich bin vielleicht auch nicht mehr da . ach, was rede ich für lächerliches und törichtes Zeug zusammen .., ich habe wohl zuviel Sekt getrunken … ich bin das nicht mehr gewöhnt . seit einem Jahr habe ich keinen Sekt mehr getrunken … damals brachte ich ihm noch ein Glas Sekt an sein Sterbelager … der Arzt hatte es verordnet . damit es die Herztätigkeit belebe .. war­ten Sie, eine halbe Flasche muß noch da sein .. ich habe sie seitdem im Schlafzimmer so stehen gelassen … wie sie damals stand … ich werde sie holen … und wir werden zur Feier des Tages .. noch ein Glas Sekt trinken (Schnell ab ins Nebenzimmer und gleich zurück mit einer Sektflasche und einem Glas) Trinken Sie . . es ist das Glas, aus dem auch er getrunken hat … Sie wollen nicht, warum so abweisend, mein Freund? (hebt das Glas) Dann leere ich es: auf meine Liebe! ... (trinkt), wie schön das im Blut brennt … das Blut selber beginnt zu brennen … ich fühle, wie mir das Feuer zu Kopf steigt . jetzt brennt schon mein Haar … und meine Augen brennen … (Musik, Cho­pinwalzer, der später in einen Galopp übergeht) .. hörst Du die Musik? Wie süß! Komm, laß uns tanzen … (Sie tanzt Er steht unbeweglich) O wie Du mich halst … wie Du mich trägst . . ich schwebe wie ein silberner Vogel … ich ziehe wie eine Wolke … ich … vergehe vor Seligkeit. (Der Tanz wird immer schneller, bricht dann ab, im gleichen Moment stürzt sie nieder. Der Herr zieht seinen Zylinder, steht eine Sekunde unbeweglich, setzt den Zylinder wieder auf und entschwindet hinter der Portiere, während ein paar Takte Chopin noch einmal aufklingen)