Der Diener in Rot

Eine Szene

Figuren
Lilly
Bertold
Arved
Ein Diener in Rot

Das Zimmer ist vollständig dunkel zu halten. Allein ein gelblich beleuchteter Tisch in der Mitte mit Stühlen, Zube­hör usw. bleibt sichtbar. Rechts ein Fenster. In der Mitte des Hintergrundes eine Tür. Wenn sie aufgeht und der Diener tritt herein, bringt er von außen Licht mit. Der Diener ist in Rot gekleidet.

Wenn der Vorhang sich hebt, stehen Arved und Bertold rechts sich gegenüber. Arved hat die Hände auf dem Rücken.

ARVED Nun?

BERTOLD Links!!

(Arved zieht die linke Hand vor sich und öffnet sie.)

BERTOLD Schwarz!

ARVED Du!!

BERTOLD  (lehnt sich an den Tisch): Gib mir … die … Ku­gel. – (Arved tut es. Bertold betrachtet sie. Geht ans Fenster. Sieht hinaus.)

BERTOLD Ach … Der erste Schnee …

ARVED Ja, der Winter stellt sich heuer sehr früh ein.

BERTOLD Vor acht Tagen haben wir noch im Freien geses­sen, im Isartal draußen.

ARVED Lilly trug eine weiße Bluse und lachte sehr viel.

BERTOLD Sie brökelte den Kuchen klein und fütterte eine lahme Krähe, die weiß Gott woher gehumpelt kam.

ARVED Ich glaube, sie war zahm, aber Lilly behauptete, .sie wäre von der Pappel herunter in ihren Schoß gefallen und hätte sich aus purer Verliebtheit in sie Flügel und Beine gebrochen.

BERTOLD Das unvernünftige Tier! Warum saß es auch auf einer Pappel. Ich habe noch nie gehört, daß Krähen auf Pappeln sitzen.

ARVED Für gewöhnlich nicht. Aber wenn Lilly es will.

BERTOLD Und dabei hat sie gar keinen Willen! Sie wirkt nur dadurch, daß sie da ist. Und bringt die Menschen zu den größten Torheiten.

ARVED Wie Exempla beweisen.

BERTOLD Es ist selig, für sie verrückt zu sein.

ARVED Und um ihr Schicksal Kugeln rollen zu lassen.

BERTOLD (betrachtet die schwarze Kugel wieder): Glaubst du, daß diese Kugel auch ihr … Schicksal entscheidet?

ARVED Ich möchte … es … glauben …

BERTOLD Da drüben in den ersten Bäumen … sitzt eine Krähe …

ARVED Vielleicht ist es die vom … Isartal …

BERTOLD Sie friert … warte, ich werde die schwarze Kugel nach ihr werfen.

ARVED Sie wird aber nicht in einen liebenswürdigen Schoß fallen, wenn du sie triffst.

(Bertold hat das Fenster geöffnet, wirft die Kugel hinaus.)

BERTOLD Nein, höchstens aufs Pflaster.

ARVED Sie fliegt davon!

BERTOLD Aber bloß bis zum nächsten Baum. Das Vieh ve­xiert mich. Wo hast du … die … weiße Kugel?

ARVED Ich gebe sie nicht gern … von mir. (Holt sie aus der Tasche.)

BERTOLD Du bist abergläubisch?

ARVED Nein. Aber man soll sich nicht in Versuchung füh­ren.

BERTOLD Gib die Kugel!

ARVED Da … (Gibt sie.)

BERTOLD  (wirft die weiße Kugel; jubelnd): Er fällt vom Baum. Die weiße Kugel hat ihn getroffen.

ARVED Meine Kugel …

BERTOLD Ob er tot ist?

ARVED Er peitscht mit den kranken Flügeln das Pflaster.

BERTOLD Ich werde den Diener schicken. Er soll ihn uns heraufholen. (Klingelt.)

(Das Zimmer geht auf. Der Diener tritt ein.)

BERTOLD Gehen Sie herunter auf den Platz und bringen Sie den kranken oder toten Vogel herauf, der da unter der Linde liegt.

DIENER  (verbeugt sich): Jawohl, gnädiger Herr. (Ab.)

ARVED Ich möchte solch einen Diener haben: so still, so … ehrlich.

BERTOLD Und vor allem so taub gegen Dinge, die ihn nichts angehen – du kannst ihn behalten, ich vermache ihn dir.

ARVED Wenn er nicht kündigt.

BERTOLD Warum?

ARVED Du hattest ein gutes Gewissen!

BERTOLD Und du?

ARVED Ich habe dann ihn. Er wird mich verteufelt oft an dich erinnern.

BERTOLD Du hast recht. Vielleicht würde es auch Lilly unangenehm berühren, wenn sie dich mit Erinnerungen geplagt sieht.

ARVED Und sich selber mit der Gegenwart!

BERTOLD Wie leicht wird da der Diener Zukunft! (Der Diener tritt ein mit dem Vogel.)

DIENER Gnädiger Herr, der Vogel.

BERTOLD Legen Sie ihn auf den Tisch.

DIENER Jawohl, gnädiger Herr.

BERTOLD Ist er tot?

DIENER Ich weiß nicht, gnädiger Herr.

BERTOLD Sie können gehen! (Diener ab.)

ARVED Er hat beide Beine gebrochen.

BERTOLD Er ist schon gar nicht mehr warm. (Fühlt ihn an.)

ARVED Was willst du mit ihm tun?

BERTOLD Du könntest ihn ausstopfen lassen und Lilly in meinem Namen als Abschiedsgeschenk verehren.

ARVED Lilly schlüge ihn noch einmal tot.

BERTOLD Vielleicht diesmal mit der schwarzen Kugel. (Diener herein mit Tablett, Gläsern, Rheinwein.)

BERTOLD Was wollen Sie?

DIENER Ich bringe nur den Wein, den der gnädige Herr befohlen.

BERTOLD Warum klopfen Sie nicht an?

DIENER Ich dachte, gnädiger Herr, ich brauchte nun nicht mehr anzuklopfen, um Wein zu bringen. (Ab.)

ARVED Er hat sogar Geist, dein Diener.

BERTOLD Aber den pflegt er, wie der eigensinnige Kranke den Arzt, erst in kritischen Momenten zu rufen.

ARVED Rheinwein?

BERTOLD Natürlich.

ARVED  (schenkt ein): Erlaube …

BERTOLD (schmerzlich): Ja, richtig, du bist ja von jetzt ab der Gastgeber.

ARVED  (erschrocken): Verzeih.

BERTOLD Aber wozu! Du hast recht. Stoßen wir an. Auf-Lilly.

ARVED  (stoßen an, sehen sich in die Augen): Auf Lilly!

BERTOLD Sag, wann hast du sie eigentlich zuerst kennen gelernt? Und wie?

ARVED Vor zwei Jahren, im Winter, ging ich eines Nach­mittags im Englischen Garten spazieren. Plötzlich sah ich zufällig neben mir auf dem Rasen, im Schnee, die Spuren eines Frauenschrittes, der unbekümmert querfeldein lief, wahrscheinlich um den Weg abzukürzen. Ich folgte ihm und traf Lilly. Und du?

BERTOLD Ich spielte eines Tages mit einer Dame, die mir vorher noch unbekannt war, im Klub Tennis. Wir zingelten. Auf einmal bemerkte ich, daß wir mit unseren Schlägern nur noch ganz mechanische Bewegungen machten, daß gar kein Ball mehr zwischen uns flog und daß wir mit un­seren Augen spielten. Die Dame war Lilly.

ARVED Die Dame wurde Lilly.

BERTOLD Aber nicht durch unsere Kraft! Man sagt immer, die Frauen wären weich und zart. Das ist nicht wahr. Sie lassen sich nicht gestalten. Sie sind hart. Wie Findlinge. Aus denen lassen sich auch keine Statuen meißeln. Frau­en sind überhaupt wie Findlinge. Von den Gletschern ei­ner fernen vergangenen Welt zu uns getragen, weht deren Kälte und Eisluft um sie. Und keine Sonne wärmt die At­mosphäre, die Frauen verströmen. (Der Diener tritt ein.)

BERTOLD  (ärgerlich): Was wollen Sie schon wieder?

DIENER Gnädiger Herr, ich bringe den Revolver.

BERTOLD Warum klopfen Sie nicht an?

DIENER Die Türe hat sich von selbst geöffnet … vor dem Revolver, gnädiger Herr.

BERTOLD Legen Sie den Revolver auf den Tisch.

DIENER  (tut es, legt ihn neben den Vogel): Er ist schon ge­laden und entsichert, gnädiger Herr. Zur Not sind zwei Schüsse drin, gnädiger Herr.

BERTOLD Ich brauche Ihren Rat nicht. Gehen Sie.

DIENER Ich habe Ihnen keinen Rat geben wollen, gnädiger Herr.

ARVED So gehen Sie doch. Sie irritieren mich.

DIENER Diener sind dazu da, zu irritieren, weil sie immer gerade in den Augenblicken zu Menschen werden, die dazu am wenigsten geeignet scheinen.

BERTOLD Gehen Sie.

DIENER Sehr wohl, gnädiger Herr. (Ab.)

BERTOLD Wieviel Zeit haben wir noch?

ARVED  (sieht auf die Uhr; erschrocken): Fünf Minuten!

BERTOLD Wir haben die Zeit gut genützt. Wir haben von ihr gesprochen.

ARVED Und von dem Diener!

BERTOLD  (spielt mit dem Revolver auf dem Tisch): Was hast du nun gegen ihn?

ARVED Er ist mir mit der Tat auf einmal zu lebendig gewor­den.

BERTOLD Du kannst ihn ja, wenn er erst dein Diener ist, austreiben.

ARVED Womit?

BERTOLD Zum Beispiel: mit dem Revolver hier.

ARVED Den er gebracht hat.

BERTOLD Lieber Freund, den Revolver bringt stets ein an­derer. Und meistens schon geladen. (Der Diener tritt ein.)

DIENER Gnädiger Herr, eine Dame wünscht Sie zu spre­chen.

BERTOLD (sieht auf die Uhr): Wenn sie ihre Angelegenheit in zwei Minuten vorbringen kann, lasse ich bitten.

DIENER Gnädiger Herr, so viel Zeit braucht es nicht. (Öff­net die Tür: Lilly tritt ein.)

LILLY Guten Abend, Bertold! Guten Abend, Arved! (Be­stimmt, langsam.) Wer hat den Brief hier geschrieben?

BERTOLD Ich, Lilly.

ARVED Und ich.

BERTOLD Er sollte erst morgen früh ankommen.

DIENER Ich habe ihn eine Post früher in den Kasten ge­steckt, als ich sollte.

ARVED Sind Sie noch da?

DIENER Wie Sie sehen. Und ich hoffe, mich noch weiter an der Affäre zu beteiligen.

LILLY  (liest): „Einer von uns beiden kann nur mit dir zu­sammen auf der Welt leben. Wir wissen, daß du uns beide liebst, und wir erleichtern dir die Wahl, indem wir sie selbst treffen. Mit Hilfe der schwarzen und der weißen Kugel.“ — Wer hat die weiße Kugel?

DIENER  (tritt vor): Ich! (Öffnet die Faust und zeigt die wei­ße Kugel.) Ich fand sie bei der toten Krähe.

LILLY  (zum Diener): So gehöre ich Ihnen.

DIENER  (langsam): Der Revolver hat zwei Kugeln, aber nur zwei schwarze.

LILLY Ihr braucht euch nicht zu erschießen, Bertold, Arved. Ich erlasse euch die Kinderei. Ihr seid ja schon tot, da ihr euch in meinen Augen lächerlich machtet.

DIENER Gnädiger Herr, soll ich die Sicherung wieder ein­schieben?

(Arved steht wie gelähmt am Tisch.)

(Bertold fällt gebrochen in einen Sessel.)

BERTOLD  (stöhnend): Drehen Sie das Licht ab. Es blendet.

DIENER  (in die Kulissen): Lassen Sie den Vorhang fallen!

(Vorhang.)