Das lasterhafte Leben des weiland weltbekannten Erzzauberers Christoph Wagner

Gewesenen Famuli und Nachfolgers in der Zauberkunst des Dr. Faust.
Ein altes deutsches Volksstück in einem Vorspiel und 5 Akten. Neu ans Licht gezogen von Klabund

Figuren des Vorspiels:
Kasperle
Kinder

Figuren der Akte:
Wagner
Kasper
Herzog von Parma
Herzogin
Montezuma, Kaiser der Inkas
Ima, seine Schwester
Cortez
Päpstin Jutta
Kardinal Bellarmin
Kardinalstaatssekretär
Wagners Mutter
Kupido
Kickelhahn

Fo – ein Götze
Vischnu – ein Götze
Jehova ein Götze

Kaspar – einer der > drei Rüpel
Melchior – einer der > drei Rüpel
Balthasar – einer der > drei Rüpel

Erster Oberpriester
Zweiter Oberpriester
Anna Backedudel
Gelehrter
Juwelenhändler
Mönch
Student
Maria
Erscheinung von Wagners Mutter
Der Tod
Erscheinung des Teufels
Statue der schönen Helena
Ein Mädchen
Hure
Stimmen guter und böser Geister
Stimmen von oben
Inkas
Gespielinnen der Ima
Spanische Soldaten
Masken aller Art
Gäste
Musikanten

Szenenfolge:
Vorspiel – Vor dem Kasperle-Theater
Erster Akt – Wagners Studierzimmer
Zweiter Akt – Erste Szene – Garten des Schlosses von Parma
Zweite Szene – Festsaal des Schlosses von Parma
Dritte Szene – Schlafgemach der Herzogin
Dritter Akt -Mexiko. Tropische Landschaft am Meer
Vierter Akt – Rom, Vatikan
Fünfter Akt – Straße, die am Friedhof vorbeiführt

Vorspiel:
Kasperle-Theater:
vor dem Theater stehen und sitzen viele Buben und Mädchen der Kasperle erscheint auf der Bühne
KASPERLE: Seid ihr alle do?
KINDER: Jo!
KASPERLE: Fehlt auch keiner?
KINDER: Nicht einer!
KASPERLE:: Hört zu!
KINDER: (untereinander): Gebt Ruh!
KASPERLE: Heute, Freitag den 4. November, wird auf die¬sem Schauplatz mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung eine extraordinär intrigante, vollkommen moralische Hauptaktion, das unvergleichliche und weltbekannte Stück präsentiert, genannt: Ex doctrina inleritus. Oder: Das lasterhafte Leben und schreckensvolle Ende des weiland vielbeschriebenen Erzzauberers und Schwarzkünstlers Christoph Wagner, gewesenen Famuli und Nachfolgers in der Zauberei des Doktor Faust, mit vortrefflicher Kaspers Lustigkeit von Anfang bis Ende.
In dieser Hauptaktion wird mit Verwunderung unter anderem zu sehen sein:
1. Der Höllenfürst in eigener Person, in mancherlei Ge¬stalt, assistiert von einem kleinen zottigen Teufel namens Kickelhahn.
2. Christoph Wagners Zauberei und Beschwörung der Geister.
3. Der Schauplatz eines fernen exotischen Landes, Mexiko genannt, mit echten Palmen, Bananen und Kokosnüssen.
4. Die schönsten Frauen der Welt, allesamt dargestellt von Demoiselle …
Die Person gibt auf den ersten Ranglogen 1 Mark, auf den andern Ranglogen 8 Schilling, Parterre 5 Schilling, Galerie 2 Schilling,
(klingelt)
Es wird vielleicht heißen, man führe ein altes, bekanntes Werk auf, wir versichern aber und wollen uns aller Gnade entzogen wissen, wenn die Ausarbeitung nicht auf eine neue und besondere Art eingerichtet, auch mit guten, bei keiner Vorstellung dieses Stückes noch gesehenen Auszierungen versehen. Es wird auch ein neuer Prologus vorgestellt und werden alle Komödianten sich die größte Mühe geben, in ihren verschiedenen Rollen zu exzellieren. — Wir versichern, daß heute niemanden weder die Zeit noch das Geld gereuen wird, (klingelt)
Das Spiel beginnt!

1. Akt
Figuren des ersten Aktes
Wagner
Kasper
Student
Der Tod
Wagners Mutter
Kickelhahn
Gelehrter
Vischnu einer der drei Götzen
Fo – einer der drei Götzen
Jehova – einer der drei Götzen
Juwelenhändler
Stimmen guter und böser Geister
Statue der schönen Helena

Wagners Studierzimmer
Schränke mit Büchern, physikalische, medizinische Geräte, ein Gerippe, Gipsabgüsse antiker Statuen, darunter eine Helena
WAGNER: Er ist also gewillt, in meinen Dienst zu treten, mir stets treu und gewissenhaft zu dienen?
KASPER: Zu Befehl.
WAGNER: Er sieht ein wenig derangiert aus. Warum hat Er keine ordentlichen Kleider?
KASPER: Ja, wo ich herkomme, da ist’s verboten, daß keiner keine Kleider anziehen darf, der keine hat; da ich keine Kleider hab, darf ich auch keine anziehn –
WAGNER: WO kommst du her?
KASPER: Aus der großen Welt und aus drei Städten, und das sind die drei größten Städte in der großen Welt.
WAGNER: Was sind das für drei große Städte? Paris, Wien, Konstantinopel?
KASPER: Die sind’s nicht. Die drei größten Städte sind Lumpendorf, Bettelhausen und Lausig.
WAGNER: Von diesen Städten hab ich mein Lebtag nichts sagen hören.
KASPER: Das glaub ich. Lumpendorf ist so eine große Stadt, die nimmt gar kein End, denn wo Ihr hinseht, da findet Ihr Lumpen genug. Aber ein berühmter Ort ist’s; denn in Lumpendorf, da gibt’s Leute, wenn man kein Geld hat, so führen’s einen gleich nach Bettelhausen, und von da hat man gar nicht weit zur Festung Lausig, wo’s einem armen Mann, der etwa aus Hunger gestohlen hat, weil ihn die Lumpen in Lumpendorf nichts haben verdienen lassen, lausig geht.
WAGNER: Also mach Er sich gleich an seinen Dienst. Ich habe noch eine ärztliche Visite. Die Pest ist wieder im Land.—
KASPER: Jawohl, Eure Pestilenz.
WAGNER: Staube Er hier das Arbeitszimmer tüchtig ab. Ich bin gleich zurück. (ab)
KASPER (abstaubend): Das ist ein Leben! Das ist ein Leben! Ist mir auch was Besseres an der Wiege gesungen worden, als den ganzen Tag alte Bücher und Klamotten abzustauben, daß man aus dem Husten nimmer heraus¬kommt. Ach du liebes Herrgöttle, alles für zehn Taler Lohn jährlich und zu Weihnacht ein Wams. Hätt ich doch meine geliebte Anna Backedudel geheiratet, ein Prachtweib, eine Seele, ein Herz, ein Mensch, zwei Kinder hatte sie, und eines war bestimmt von mir. Es geht doch nichts über ein geregeltes Familienleben. – Da liegt ein Buch aufge¬schlagen — da ist ein Buchstabe, der ist so groß wie unser Scheunentor zu Hause — a – aha — erstes Schnapittel: Wie kann man machen alte Weiber wieder jung- Sapperment, das muß ich lernen, (liest)
Man nehme – man nehme: das ist ein gutes Rezept – man nehme einen halben Schoppen Jungfernmilch, ein halbes Maß Flöhzungen, ein Dutzend gedörrte Fliegenschwänze, die Hälfte von einem halben Quentchen Weibertreu – Sapperment – Weibertreu – die Ware muß verdammt rar sein -(es klopft) Herrrrein!
(herein tritt ein jämmerlich aussehender ärmlicher Student)
Was ist denn das für eine Jammergestalt?
STUDENT: Ach Eure Magnifizenz –
KASPER: (großartig im Lehnstuhl, eine Hornbrille aufsetzend): Faß Er sich. Vor großen Männern wird man leicht verwirrt.
STUDENT: Rogo rogo hominibus sum pauper Studiosus.
KASPER: Himmel A … und Wolkenbruch. Laß Er sein Kauderwelsch. Hier wird nicht französisch parliert. Ein teutscher Jüngling nimmt des welschen Erbfeinds Zunge nicht ins ungewaschene Maul. Sprech Er deutsch, Kerl.
STUDENT: Ich bin ein armer Student und wollte Eure Eloquenz gebeten haben um ein kleines Viatikum –
KASPER: Bist du verstopft? Die Apotheke ist nebenan.
STUDENT: Ach, Herr, wenn ich Euch bitten dürft um ein kleines Almosen.
KASPER: Wie kommt es, daß du, ein Student, dich mit Bet¬teln befassest wie ein gewöhnlicher Landstreicher, he? (Student fährt zitternd zusammen) – Die Studiosen verdienen sich sonst ihren Unterhalt durch Musizieren. –
STUDENT: In der Musik bin ich noch ziemlich weit zurück. –
KASPER: Kannst du singen?
STUDENT: 0  ja, aber im Diskant war ich nicht sehr gut, dann hab ich den Tenor angefangen zu singen, und nun bin ich in den Baß wie in ein Faß gefallen, und da, wenn ich singe, werd ich gleich heiser, besonders heut geht so rauhe Luft.
KASPER: Ja, ich glaube selbst, es geht kein guter Wind, weil du einen schlechten Wind hast fahren lassen, Schweinekerl. Er wird dich gleich hinauswehn. – Aber wenn du mir ein schönes Lied singst, will ich dir was schenken. — (Student räuspert sich) So sing, zum Teufel. –
STUDENT (singt): Die Juden nehmen überhand,
Es kommt ein kalter Winter,
Es freut mich nur mein Hosenband,
Wir sind all Adams Kinder, Adams Kinder, (spricht)
Adams Kinder ist der Refrain.
KASPER: Was geht mich dein Schnetterengteng an. Du heulst ja zum Steinerweichen. Das soll Gesang sein? Hinaus! (jagt ihn mit einem Tritt hinaus. Student jammernd ab) So ein Stoffel. Den hat seine uneheliche Mutter im fünften Monat aus der Achselhöhle verloren. – (stäubt ab, kommt an die Statue der Helena) – Beim seligen Kupidel: ist das ein Weib von einem Weib, die Figur bei der Figur! Wenn ich die anseh, weiß ich erst, was für ein Geschlamp ich an meiner Anna Backedudel hatte.
(stäubt zärtlich ab, kommt an das Gerippe, das sich zu bewegen und zu sprechen beginnt)
DER TOD: Ich bin der Tod, der Menschenfresser. –
KASPER (erschreckt): Wärst du zu Haus geblieben, wär’s besser. —
DER TOD: Ich hab kein Haus. –
KASPER: So bleibst du draus. –
DER TOD: Ich bleib stets inn. –
KASPER: Versteh ein vernünftiger Mensch den Sinn.—
DER TOD: Bursch, du mußt sterben.
KASPER (faßt sich): Nur nicht so barsch! Blas mir gefälligst in den A…
DER TOD: Du beträgst dich nicht wie ein Herr von Welt. –
KASPER: Um mich so zu betragen, hab ich kein Geld.
Ich verspüre auch keine Lust zu sterben,
Fürchte die Habsucht meiner Erben,
Ein filziger Hut, drei Groschen Kurant,
Ein löchriges Wams, ist allerhand. —
Sagt, Herr von Tod, warum tragt Ihr keine Kleider?
DER TOD: Der Tod braucht keine Kli-kla-kleider.
KASPER: Dann braucht Ihr auch keinen Schni-Schna-Schneider.
DER TOD: Gott sei Dank!
KASPER: Li-la-leider! Denn Euer Gerippe schaut gräßlich drein,
Ihr werdet darin kein Mädchen frein.
Euch tat eine Hose, ein Rock ä la mode,
Ein Seidentuch und Zylinderhut not,
Und um den Zylinder ein wehendes Band,
Und rotes Glace um die Hand. Wie charmant!
Statt des Stundenglases schwingt den Pokal,
Dann schmeckt Euch das Leben erst! Teufel noch mal!
Statt der Hippe ein elegantes Rohr:
Dann kommt sich der Tod höchst lebendig vor!
(hilft ihm in herumliegende Kleider)
Hier Hose, Rock, Mantel, Stock und Hut. –
Verteufelt noch mal, das steht Euch gut!
(zeigt ihm einen Spiegel. Der Tod dreht sich eitel)
Ein ausgesprochen schöner Mann!
DER TOD: Wogegen man nicht viel sagen kann.
KASPER: Nur im Gesicht ein wenig dürr. –
Aber macht nichts. Ihr kriegt die Weiber schon kirr! –
DER TOD (stolzierend):
Wie mir die präsentablen Kleider passen,
Ein englisch Tuch, französischer Schnitt, –
Der Tod geht mit der Mode mit.
Für diesmal will ich dich laufen lassen
Und mir ein junges Schätzchen suchen,
So knusprig wie Rosinenkuchen.
(abgehend)
Ich bin der Tod, der Menschenfresser.
KASPER: Friß du Speck mit Klöße, das schmeckt besser!
(Wagner tritt auf)
WAGNER: Bist du fertig mit Aufräumen?
KASPER: Jawohl, Eure Malefizenz.
WAGNER: Laß mich allein!
(Kasper mit Handküssen zur Statue der Helena ab)
Immer zwischen zweien Feuern
Mußt du kämpfend dich erneuern:
Zukunft und Vergangenheit –
Niemals bist du, immer schwankst du
Und zu keinem Hieb gelangst du.
Hier der Schildspruch deiner Wehre,
Den des Zweifels Gott dir gönnte
Unterm lodernden Geschicke:
Jeder ist im Augenblicke,
Was er gern gewesen wäre,
Was vielleicht er werden könnte … (kleine Pause)
Wenn ich zu tief getrotzt, zu weit gewollt,
Wenn manche Scherbe in den Staub gerollt,
Die heiliger Opferschale angehörte,
Eh sie mein götterloser Arm zerstörte,
Wenn manche Blume, die auf Sommerbeeten
In Prangen stand, mein frevler Fuß zertreten,
Wenn mancher Falter, frohem Flug erkoren,
In meinen Händen seinen Schmelz verloren,
Wenn manche Frucht, die sonnenmählich reifte,
Ich vor der Zeit von ihren Ästen streifte, –
Verzeih mir! Doch du hast die Welt
Als Spielzeug deinen Kindern hingestellt.
Und Kinder suchen ihres Spielzeugs Wesen
Bald zu ergründen und den Sinn zu lesen.
Und geht es nicht auf gutem Wege immer,
So schlagen sie das Rätselwerk in Trümmer,
Daß ihnen so die Offenbarung werde.
Dies wußtest du – und gabst uns doch die Erde!
(es klopft)
Wer kommt? Ach, du bist es, Mutter.
WAGNERS MUTTER: Ja, mein Sohn, ich bin es. 0 mein Sohn, dieser Gang ist mir schwer geworden. Ich komme, dich zu warnen, wie es meine Pflicht als Mutter gebietet.
WAGNER: Wie meinst du das, Mutter?
WAGNERS MUTTER: Mein Sohn, mein Sohn, es geht üble Nach¬rede über dich um, du wollest dich dem Teufel verschreiben. 0 mein Sohn, sei nüchtern und wachsam! Denn dein Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und suchet, wie er dich verschlinge.
WAGNER: Geschwätz — nichts weiter.
WAGNERS MUTTER: Höre auf die Worte deiner alten Mutter! Jeden Pfennig hab ich für dich gespart, von frühmorgens bis Sonnenuntergang gearbeitet, mein Brot mit saurem Schweiß verdient, nur damit du studieren konntest. Denn deine Lehrer sagten, daß du einen höheren Geist besitzest. Willst du deiner Mutter Arbeit, Mühe, Sorgen so schmäh¬lich belohnen? 0 komm mit mir, auf unser kleines Bauerngut, nimm den Ackerpflug in die Hand, hilf mir das Feld deiner Ahnen bestellen, laß deine leere Gelehrsamkeit, laß Gold und Weiber fahren, und rette deine Seele aus dem Verderben des höllischen Pluhls!
WAGNER: Geh, Mutter, ich habe jetzt keine Zeit, deine Ermahnungen anzuhören. Ich bin zwar dein Sohn, aber ich bin kein kleines Kind mehr. Ich weiß, was ich will.
WAGNERS MUTTER: Du weißt nur, was er, der Teufel, will. Du bist verloren, Unglücklicher. Ich werde für dich beten, (ab)
WAGNER: Ich brauche dein Gebet nicht –
KASPER (eintretend): Eure Insolvenz werden verzeihen, wenn ich dero Studium unterbreche-
WAGNER (ärgerlich): Was willst du?
KASPER: Es ist ein vornehmer Gelehrter, der Euch zu sprechen wünscht und Euer Insuffizienz ein Traktat zu überreichen gedenkt.
WAGNER: Jetzt — zu dieser späten Stunde ein Besuch?
KASPER: Der Herr, stolz und voll vornehmen Gebarens, ließ sich nicht abweisen —
WAGNER: Führ ihn herein -(Kasper hinaus, läßt einen Gelehrten eintreten)
GELEHRTER: Ich bin entzückt und hochgeehrt, die Bekanntschaft Eurer Magnifizenz zu machen, deren Ruf weit über Wittenberg, weit über Deutschlands Grenzen hinaus selbst bis zum Papst nach Rom gedrungen ist –
WAGNER: Wer seid Ihr, Herr?
GELEHRTER: 0 – ein bescheidener Gelehrter, sein Name ist zu unbedeutend, als daß es sich lohnte, ihn auszusprechen –
WAGNER: Womit kann ich Euch dienen?
GELEHRTER: Ich bitte devotest, Euch meine Doktor-Dissertation, an der Hohen Schule zu Bologna eingereicht, übermitteln und widmen zu dürfen – als ein geringes Zeichen meiner Dankbarkeit für die weihevollen Stunden, die ich dem Studium der Schriften dero Magnifizenz verdanke –
WAGNER (nimmt das Buch entgegen, schlägt die Titelseite auf, liest verwundert): Der Schlüssel der Magie, Nigromantie und Schwarzkunst – Wer seid Ihr, Herr? (Gelehrter zieht sich unter vielen Verbeugungen in die Kulisse zurück)
(Wagner schlägt das Buch auf)
Das ist das Buch, nach dem ich lange fahndete,
Der Schlüssel der geheimen Wissenschaft,
Die Offenbarung aller dunklen Kräfte.
Ich will die Kraft des Pergaments erproben
Durch eine Zitation.
Denn die Planetenstunde ist mir günstig.
(schreibt magische Zeichen in die Luft)
Im Namen der mächtigen Dreizahl
Und Neunzahl, ihr gewogen,
Zum Himmel auf,
Zur Holl herabgezogen –
Die Erde auch inmitten
Wie Vater, Sohn und Geist;
Der Kreis nun abgeschnitten,
Der zum Quadrat sich weist.
Die Quadratur des Zirkels,
Perpetuum mobile.
Erscheint: Jehova Vischnu Fo!
Jesu Christ — apage!
(an der Wand das Kruzifix überm Studiertisch fällt klirrend zu Boden. Als Wagner aufblickt, stehen vor ihm drei Erscheinungen: die Götzen Jehova, Vischnu, Fo) Wer seid ihr, schreckliche Gestalten?
ALLE DREI: Wir sind die Fürsten der Hölle. Du hast uns beschworen und gerufen —
WAGNER: Wohlan – so will ich eure Tauglichkeit für meine Zwecke prüfen, ihr höllischen Majestäten. Du zu meiner rechten Seite, gelbe Fratze, bezopfter Bursche – wie heißt du, und wie schnell bist du?
FO (in chinesischer Tracht): Ich heiße Fo und bin so schnell wie die Schnecke auf dem Zaun.
WAGNER: Hinweg von mir, du Fürst der Faulheit! Fahre von hinnen!
Apage male spirilus!
(Fo schleicht langsam von dannen)
Du zu meiner linken Seite — wie ein jüdischer Handelsmann aus dem Ghetto anzusehen – wie heißest du?
JEHOVA (als Jude im Kaftan): Wie werd ich heißen? Jehova heiß ich!
WAGNER: Und wie schnell bist du?
JEHOVA: So schnell wie der Weg von den Wucherzinsen zum Zuchthaus.
WAGNER: Zu langsam! Entweiche!
Apage male spirilus!
(Jehova ab)
Und wie heißt du?
VISCHNU (ein Inder): Vischnu.
WAGNER: Und wie schnell bist du?
VISCHNU: Ich bin so schnell wie ein abgeschossener Pfeil.
WAGNER: Für mich zu langsam. Apage! Entweiche! (Vischnu schnell ab. Als die drei verschwunden sind, ent¬deckt man plötzlich einen kleinen zottigen Teufel, der übriggeblieben ist) (lachend) Ja, wer bist denn du?
KICKELHAHN (zieht höflich sein Hütchen mit der Feder): Mein Name ist Kickelhahn — ich bin der kleine Teufel Kickelhahn — falls Eure Magnifizenz von mir gehört haben sollten –
WAGNER: Nicht daß ich wüßte.
KICKELHAHN (dreht sein Hütchen in den Händen): Ja – ich bin auch noch ein junger, unbedeutender Teufel. Aber man wird einmal von mir hören! Ich werde Karriere machen. Man nimmt mich in der Hölle noch nicht ganz ernst — man verwendet mich zu allerlei Botengängen — ich muß den Oberteufeln die Stiefel putzen, was mir wenig Spaß macht. Es sind abscheuliche Burschen darunter — anmaßend, hochmütig, die auf einen kleinen Teufel wie unsereins her¬absehen – und dumm – dumm. Ihr macht Euch keinen Begriff, wie dumm die meisten Teufel sind.
WAGNER: Ich bin dir sehr dankbar für deine instruktiven Mitteilungen.
KICKELHAHN : Darf ich fragen, warum Ihr uns zitiert habt?
WAGNER: Nein, das darfst du nicht fragen –
KICKELHAHN: Wir Teufel sind sehr neugierig.
WAGNER: Wie schnell bist denn du, Kickelhahn?
KICKELHAHN: So schnell wie der Flug des schnellsten Vogels-
WAGNER: Schon schneller als die andern drei – aber gibt es denn keine schnelleren Geister in der Hölle, als ihr seid?
KICKELHAHN: 0 gewiß – da haben wir einmal den Erz- und Oberteufel, Seine feurige Pestilenz Herrn Mephistopheles –
WAGNER: So bringe ihn mir –
KICKELHAHN: Bedauere – so weit geht mein Einfluß nicht -er ist ein hoher Herr — er will gebeten sein — ruft ihn selbst -(Kickelhahn flink ab)
STIMME: Wagner! Wagner! Komm zu mir! Ich bin die Demut! Wahres Wissen macht demütig!
STIMME: Wagner! Komm zu mir! Ich bin die himmlische Liebe! Die Liebe macht selig schon auf Erden –
WAGNER: Wer seid ihr, unsichtbare Geister, die ihr meine Gedanken belauscht?
STIMME: Ich bin der Stolz! Komm in meine Arme! Die höchsten Ehrenstellen harren dein!
STIMME: Ich bin die Habsucht! Komm in mein Haus! Alles Gold sei dein!
WAGNER: Hinweg! Ihr lockt mich nicht!
STIMME: Ich bin die Wollust —
STIMME: Der Zorn –
STIMME: Der Neid —
ALLE BÖSEN GEISTER: Nimm uns in deinen Dienst, Wagner! In allen Lüsten sollst du schwelgen!
WAGNER: Wer seid ihr?
STIMMEN: Wir-
WAGNER: Seid ihr Männer?
STIMMEN: Keine Männer-
WAGNER: Seid ihr Weiber?
STIMMEN: Keine Weiber – Wir haben kein Geschlecht –
WAGNER: Seid ihr Seelen?
STIMMEN: Keine Seelen –
WAGNER: Seid ihr Leiber?
STIMMEN: Keine Leiber-
WAGNER: Seid ihr Verstorbene?
STIMMEN: Wir sind nicht gestorben –
WAGNER: Lebt ihr?
STIMMEN: Wir leben nicht –
WAGNER: Wer zeugt euch?
STIMMEN: Der, der uns ruft –
WAGNER: Welche Gestalt habt ihr?
STIMMEN: Jede Gestalt, in der man uns zu sehen wünscht —
Wir werden immer aussehen wie deine Gedanken, deine
Wünsche, deine Träume —
WAGNER: (aufbrausend): Hinweg von mir!
(vor dem Spiegel)
Wer bist denn du, der mit so häßlichem Gesicht
Aus dieses Spiegels fahlem Bilde spricht,
Noch grünlichgrau vom Lampenschirm verdunkelt?
Ich reiße ihn herab – und mich durchfunkelt
Ein Haß, wie ich ihn nie am Menschen sah,
Und haßerfüllt stehn alle Dinge nun im Spiegel da:
Mein Bett, mein Tisch, mein Glück – es hat die Wand
Sich wie der Spiegel weiß gespannt,
In dem es toll vorübertollt
In rot und blau und violett und gold.
Doch keine Farbe gibt sich mir gewiß,
Sie sausen funkelnd in die Finsternis,
Und hielt ich eben noch mein Herz so rot,
Schon tritt ein weißer Hengst es knirschend tot;
Den Hengst erlegt ein Schuß. Den Schützen trifft der Strahl –
Des Blitzes, auf dem Gott selber fuhr zu Tal.
Er sieht am Boden das zerstampfte Herz
Und lacht und wirft es himmelwärts.
Dort kreist es nun in wunderlicher Wonne
Als ewiger Trabant um dich, o Sonne!
(es schlägt zwölf Uhr) – (eine Gestalt ist eingetreten als Juwelenhändler gekleidet) Seid Ihr der, den ich brauche? brauche?
JUWELIER: Ich bin’s –
WAGNER: Wie schnell seid Ihr?
JUWELENHÄNDLER: Schneller als der menschliche Gedanke-
WAGNER: Was habt Ihr da für ein Kästchen?
JUWELENHÄNDLER: Juwelen. Ich bin Edelsteinhändler, Euer Gestrengen —
WAGNER: Zeigt mir Eure Schätze –
JUWELENHÄNDLER: Zu Diensten -(öffnet)
WAGNER (hält einen Ring ans Licht): Dieser grüne Smaragd –
JUWELENHÄNDLER: verspricht Reichtum –
WAGNER (nimmt einen andern): Der violette Amethyst –
JUWELENHÄNDLER: schützt vor Krankheit –
WAGNER: Der weiße Mondstein –
JUWELENHÄNDLER: hält Euch bei zarter Gemütsart –
WAGNER: Der Diamant –
JUWELENHÄNDLER: bringt seinem Träger Macht und Einfluß –
WAGNER: Aber dieser brennende Rubin – was ist mit ihm -tausend Flammen züngeln aus ihm – ich fühle magisch mich von ihm gezogen.
JUWELENHÄNDLER: Es ist der Ring der ewigen Jugend. Solang Ihr ihn am Finger habt, werdet Ihr nicht altern. Ihr werdet bleiben jung, strahlend, schön, wie Ihr heute seid.
WAGNER: Und der Preis dieses Ringes?
JUWELENHÄNDLER: 0, er ist wohlfeil. Er kostet nicht viel –
WAGNER: Wieviel?
JUWELENHÄNDLER: Eure Seele, wenn’s beliebt –
WAGNER: Was muß ich tun, um durch den Ring aller irdi¬schen Seligkeit: ewiger Jugend, Liebe und Macht teilhaftig zu werden?
JUWElENHÄNDLER: Ihr braucht nur einen kleinen Kontrakt zu unterschreiben — mit Eurem Blut —
WAGNER: So diktiert. Ich schreibe.
JUWELENHÄNDLER: (diktiert): Ich, Christoph Wagner, bekenne mit meiner eigenen Hand in Kraft dieses Briefes: Nach¬dem ich mir vorgenommen, die Elemente zu erforschen, aus den Gaben, die mir von oben herab gnädig beschert sind, solche Geschicklichkeit und Wissenschaft nicht erwachsen und solches von Menschen und Göttern nicht zu erlernen sei: so habe ich gegenwärtigem höllischen Geist mich untergeben, auch denselben solches zu berichten und zu lehren mir erwählt, der mir auch versprochen hat, in allem mir untertänig und gehorsam zu sein. Dagegen ver¬spreche ich ihm wiederum, daß er nach 11 Jahren, 11 Monaten, 11 Tagen, 11 Minuten, 11 Sekunden nach seinem Gefallen mit mir zu schalten und walten gute Macht haben solle, mit allem, es sei Seel, Leib, Fleisch, Gut in Ewigkeit. Dazu ich absage allem Heiligen, Hohen, Edlen, Guten, Wahren, absage Gott, dem Heiligen Geist, Christus, der Mutter Maria und dem himmlischen Heer insgesamt. Zu fester Urkunde und mehrerer Bekräftigung habe ich diesen Revers mit eigener Hand und mit meinem eigenen Blut geschrieben und unterschrieben. Christoph Wagner.
WAGNER: Die Welt ist mein –
JUWELENHÄNDLER: Und mein die Seele –
WAGNER: Ich brauche, um mich auszuleben, Das weiteste besonnte Feld.
Ich kann nicht an der dürren Einzelscholle kleben
Mein Acker ist die Welt.
Ich dulde auf den weiten Fluren
Die rote Rade bei den Garben gern.
Mir glänzt der rote Stern,
Wenn Winterstürme längst durchs Brachfeld fuhren.
Und fließt im Uberdrange des Geschehens
Viel Ziel- und Wesenloses ein —
Die Zeitenwinde, sie verwehen’s;
Es bleibt das schwere, goldne Korn allein.
(Pause)
Es wird schon hell. Die Vögel singen in den Zweigen. Mir ist so leicht. Es duftet nach Hyazinthen, Aurikeln, Primula veris. Ist Frühling? Ich habe Sehnsucht — nach Liebe — nach einer Frau —
JUWELENHÄNDLER: (deutet lächelnd auf die Statue der Helena): Hier habt Ihr eine Frau, die schönste Frau der Welt dazu; die schöne Helena –
WAGNER: In Stein –
JUWELENHÄNDLER: Der Stein wird leben – wenn Ihr wollt –
WAGNER: Ich will!
JUWELENHÄNDLER: Her mit dem Pergament, das Ihr mit Eurem Blut beschrieben, berühre ich den Stein, (berührt die Statue, die sich zu regen beginnt)
WAGNER: Sie lebt! Sie lebt! Das Wunder wird zur Wirklichkeit! Die Wirklichkeit zum Wunder!
JUWELENHÄNDLER: Sie ist in nichts gekleidet als in ihre unsterbliche Schönheit. Ich darf mich wohl empfehlen — (ab)
STATUE DER SCHÖNEN HELENA: Träum ich? Wach ich?
Bist du’s, der mich dem Leben,
Dem Licht,
Der Liebe wiedergab?
Ja, dir danke ich’s,
Daß meine sonnengierigen Augen
Das goldne Licht des Tags noch einmal trinken –
Noch einmal diese Füße
Von hier nach dorthin gehn,
Daß diese kalten weißen Lippen
Noch einmal brennendrot wie Mohn erglühn,
Daß diese Arme, ach, in dir
Noch einmal dich, geliebtes Leben, Umschlungen halten!
Wie finster wars und kalt in Tod und Stein:
So nimm mich, Zauberer, hin — denn ich bin dein.
WAGNER: Das Lachen hatt ich, Lieblichste, verlernt.
Du wirfst es neu mir zu — daß hell es rollt nun
Gleich einer Silberkette, und es tollt nun
Bis in die Nächte, die kein Gott besternt.
Und deine gütigzarten Hände lasen
Die Lichterperlen, die der Tag verschwendet.
Es hat die Nacht, die tote, sich gewendet,
Und Sonne flammt in zitternden Topasen.
(die Sonne ist strahlend aufgegangen)

(Vorhang)

2. Akt
Figuren des zweiten Aktes
Wagner
Kasper
Herzog von Parma
Herzogin
Kupido
Kickelhahn
Gäste,
Musikanten

Erste Szene

Garten des Schlosses in Parma
HERZOG VON PARMA: Der Tag, der endlich uns vereint, Geliebte, Ist angebrochen. Heller scheint Die Sonne heut zu strahlen —
HERZOGIN: Süßer duften Die Blumen.
HERZOG VON PARMA: Und ich schreite nicht,
Ich fliege taumelnd über diese liebe,
Geliebte Erde,
Der Biene gleich,
Die allzuviel des Blütensafts getrunken
Und nun den Weg zum Korbe nicht mehr weiß –
HERZOGIN: Hast du den Weg zu mir verloren?
HERZOG VON PARMA: Es führte jeder Weg mich noch zu dir –
HERZOGIN: Ich bin so glücklich, daß ich fast mich fürchte
Vor so viel Glück — es möchte einer
Der niederen Geister zwischen Erd und Himmel
Mir neidisch werden – und mit schweflem Blitze
In unserer Liebe Frühlingslandschaft fahren,
Die junge Saat mit Hagel zu vernichten.
HERZOG VON PARMA: Scheuch diese trüben Träume! Sieh, der Himmel Lacht blau auf unsre Seligkeit herab, Und keine kleinste Wolke ist zu sehen —
HERZOGIN: Gott wahre uns vor jeglicher Gefahr.
HERZOG VON PARMA: Fortuna trage uns auf Flügeln immerdar. (Kasper aus einer Hecke)
KASPER: 0 pardautz –
HERZOG VON PARMA (zur Herzogin): Erschrick nicht, liebes Herz, (zu Kasper) Wer bist du, Kerl? Was willst du?
KASPER: 0 steckt den Degen nur ein, Euer Hochniedriggeboren, ich kann kaltes Eisen auf den nüchternen Magen nicht vertragen.
HERZOG VON PARMA: Was hast du hier zu suchen?
KASPER: Ich suche meinen Herrn, mit Verlaub —
HERZOG VON PARMA: Und wie schreibt sich dein Herr?
KASPER: Mit Feder und Tinte aufs Papier, mit gütiger Permission. Ja, er schreibt nicht nur sich, sondern auch sonst allerlei dummes Zeug aufs Papier; denn er ist ein gelehrter Tropf, ein leerer, ein völlig ausgeleerter Kropf, wollt sagen: ausgelernter Kopf. Er ist ein Studierter, ein magischer Magistrat oder Magister.
HERZOGIN (lacht): Das ist ein lustiger Bursche –
HERZOG VON PARMA: Und wie nennt sich denn sein Herr?
KASPER (kratzt sich hinteren Kopf): Das — darf ich nicht verraten —
HERZOG VON PARMA: Mir darfst du’s schon sagen – ich bin der Herzog von Parma.
KASPER (aufgeregte Kratzfüße): 0 Eure erhabene Reminiszenz — ich würde es gern sagen, wenn ich’s dürft. Aber ich darf wirklich nicht. Mein Herr ist ein ganz Geheimer, Geheimnisvoller.
HERZOGIN: Willst du’s mir nicht sagen?
KASPER: 0, Frau Herzogin sind schön wie die Morgenröte und leuchten wie eine Heilige im Kirchenfenster — aber verraten darf ich den Namen meines Herrn nicht. Aber Sie können ihn leicht erraten, wenn ich’s Ihnen pantomimisch zeige. Und wenn Sie’s erraten, verrate ich’s ja nicht –
HERZOGIN: Also laß einmal deine pantomimischen Künste sehn –
KASPER (streckt den rechten Arm aus): Was ist das?
HERZOG VON PARMA: Das ist dein Arm.
KASPER: Richtig – und was ist das da vorn?
HERZOGIN (lächelnd): Eine Hand.
KASPER: Und wenn man diese Hand zumacht, so heißt man es — ?
HERZOGIN: Faust –
KASPER: Nun — bei dessen Famulus dien ich, beim Christoph Wagner. Er war der Knecht des Faust, wie ich der Knecht des Wagner bin. Deshalb hab ich auch noch eine glänzende Zukunft hinter mir.
HERZOGIN: Wie, der berühmte und weitbeschriene Christoph Wagner, der Schüler Doktor Fausts, ist sein Herr?
HERZOGIN: Wie, der berühmte und weitbeschriene Christoph Wagner, der Schüler Doktor Fausts, ist sein Herr?
HERZOG VON PARMA: Der große Gelehrte und Zauberer?
KASPER: Derselbe oder vielmehr: akkurat der gleiche. Die Hexerei und Zauberei, das hat er alles von mir gelernt
HERZOGIN: (lächelnd): Wagner von dir?
KASPER: Ganz gewiß. Perlikke perlakke humsti bumsti.
HERZOG VON PARMA: Was faselst du da?
KASPER: Das sind gewisse Zaubersprüche. Die ganze Hexerei besteht zum Teil aus Zaubersprüchen, zum Teil aus Geschwindigkeit. Geschwindigkeit aber ist keine Hexerei, und ein blindes Huhn legt auch manchmal ein Ei.
HERZOG VON PARMA: So. Dann gib doch mal ein Zeichen deiner Kunst.
KASPER: Sogleich. Oder vielmehr: sofort. Ich werde den atlantischen Ozean beschwören und alsbald wird Schloß und Umgegend hier tief unter Wasser stehn.
HERZOG VON PARMA (lächelnd): Das ist mir zu gefährlich. Zeig lieber etwas anderes –
KASPER: So werde ich einen großen Meteor zitieren, der soll aus heiterem Himmel herunterfallen und uns alle tausend Klafter tief in die Erde schlagen. Das ist ein eindrucksvolles Stück.
HERZOGIN (lächelnd): Da wäre ja mein Leben in Gefahr.
Und ich möchte noch recht lange glücklich leben. Nein, laß das lieber, das möcht ich lieber nicht sehn –HERZOG VON PARMA: Aber geh jetzt, bitte deinen Herrn und Meister zu uns in den Palast – daß er das Fest unserer heutigen Vermählung mit seiner Gegenwart beehre und verschöne.
KASPER: Das wird sofort geschehn, Eure Durchlaucht. Mein Herr wird nicht verfehlen, Sie zu beehren und zu verschönen. Aber wo bleibe ich?
HERZOGIN: Du kannst an der Tafel mit aufwarten –
KASPER (mit Kratzfüßen ab): Untertänigsten Dank! (Musik)
HERZOGIN: Im Festsaal stimmen schon die Musikanten die Instrumente.
HERZOG VON PARMA: Komm, liebes Herz. Das braucht es bei uns nicht.
Wir sind schon aufeinander abgestimmt,
Und unsrer Seelen holde Harmonie
Tönt wie ein Orgelkantus durch die Sphären.

(Vorhang)

Zweite Szene

Festsaal Bankett
Sitzordnung: Wagner — Herzogin – Herzog
WAGNER: (bringt einen Trinkspruch aus): Die kleinen Füße der graziösen Fraun Entzücken gern, wenn sie den Nacken streifen. Und wir ertragen wohl den goldnen Reifen, Der um das Herz sich schließt. Denn wir vertraun, Daß sie Erbarmen gnadenreich gewähren,
Und nicht zu schwer die Liebesgeißel saust — Der Lebensstrom, der in den Tiefen braust, Trägt uns nach Avalun auf Flügelfähren, (hebt den Pokal)
Das Füllhorn aller Seligkeiten schütte Phöbus herab auf Euch!
(setzt sich, zur Herzogin leiser) Ich bin entzückt, Daß mich die Gegenwart der Frau begnadet, Vor deren Reizen Venus selbst verblaßt, Vor deren Flammenblick die Sonne sich Beschämt und neidisch hinter Wolken flüchtet, Und die mit einem Lächeln ihrer Lippen Den ganzen Kosmos durcheinanderbringt, Daß die Planeten ihre Bahn verlassen Und ihr wie Pagen sanft die Schleppe tragen. (Herzogin errötet) (Zum Herzog)
Euer Wohl, Herr Herzog! Möge Eurer Hoheit
Das Glück des heutigen Tags in alle Ewigkeiten blühn
HERZOG VON PARMA:
Ich danke Euch. Ich bin sehr enchantiert,
In Parma Euch zu sehn, und hoffe nur,
Daß Ihr den Aufenthalt nicht allzu karg bemeßt.
WAGNER (leise zur Herzogin):
Der Mond, als er in einer Nacht Euch sah,
Da Ihr im Weiher badetet –
Hat sich in Euch verliebt –
Er nahm seither von Nacht zu Nächten ab
Und steht nur noch ein schmaler Strich am Himmel,
So sehr hat sich der Narr um Euch gegrämt —
HERZOGIN (zum Herzog): Habt Ihr auch nicht vergessen
Die Komödianten zu bestellen,
Daß sie mit Tänzen, munteren Sprüngen
Und einer artigen Komödie
Uns kurze Weil bereiten?
HERZOG VON PARMA:
Ich vergaß es nicht, mein Herz, – Herr Christoph Wagner
Versprach, für das Programm zu sorgen.
WAGNER: Ich werde nicht verfehlen,
Euch ein Spektakel sonderer Art zu zeigen —
(leise)
Wenn mich wie Südwind warm Eu’r Atem streift, Komm ich von Sinnen fast.
HERZOGIN: Wenn Ihr ein Magier seid, Wie die Frau Fama von Euch sagt: Laßt mich den Ätna sehn, Den tobenden Vulkan — Denn also sieht’s in meinem Herzen aus.
WAGNER: Für mich ist Euer Wille stets Gesetz -(die Musik, die ein Rondo intoniert hatte, bricht jäh ab. Alles starrt entsetzt dorthin, wo Wagner hinzeigt. Das Publikum sieht nichts)
HERZOG VON PARMA: Welch fürchterlicher Anblick! Brennt das Schloß?
HERZOGIN: Die Flamme steigt empor — die Lava stürzt herab, Im Feuerstrom die Landschaft zu ertränken — 0 gebt mir Kühlung! Löscht die Leidenschaft, Die mich verbrennt wie einen Span von Kien.
WAGNER (wischt mit der Hand gleichsam die Vision hinweg): Hinweg, du feuerspeiender Titan! Komm! Walle, welle, woge: Meer!
HERZOG VON PARMA: Ich sehe Segel taumeln im Orkan.
Das große Schiff dort — kentert.
WAGNER (leise): Das seid Ihr-
HERZOGIN: Die Blitze zucken und der Donner grollt.
Die Wogen rollen haushoch über mich dahin —
Ich bin ein Spielball nur der Elemente —
WAGNER: Wollt Ihr in die Vergangenheit noch sehn?
Ich zeig Euch gern, wie Judith Holofernes
Den Kopf abschlug –
HERZOGIN: Ich werde schwindlig. Laßt.
HERZOG VON PARMA: Genug der Gaukelein. Ich hätt sie nie geglaubt, Hätt ich sie nicht mit meinem Aug gesehn, (zur Herzogin) Du bist so blaß – du bist erschrocken, Kind, Wagner, laßt etwas Lieblicheres sehn, Damit wir fröhlich von der Tafel gehn. (Wagner winkt der Musik, die ein zärtliches Rondo anschlägt, aber nach den ersten Worten des auftretenden Kupido abtönt. Aus dem Hintergrund tritt Kupido)
KUPIDO (von einem Mädchen zu spielen): Ihr holdseligen Kreaturen, Ehren- und Liebreiche, durcheinander verknüpfte Gesellschaft, die ihr an diesem Ort versammelt, meine präsentierte Gestalt also begierlich anschauen tut: vielleicht kennt ihr mich nicht, sondern begehret solches zu wissen, wer ich sei. Wohlan, ich will es euch entdecken: Ich heiße Kupido, bin ein Sohn der Göttin Venus, selber ein Gott, und nicht zwar unter den gehörnten Faunen oder Waldgöttern, die in den dicken und finstern Wäldern ihre Zeit mit Tanzen und Springen, Heulen und Singen zu vertreiben pflegen. Auch bin ich nicht aus dem geringen Orden der niederen Götter, sondern unter den Gewaltig sten und Großmächtigsten der Allermächligste, der Gott der Liebe, ja die Liebe selbst. Durch die Spitzen meiner güldenen Pfeile, so auf dem Berge Ätna durch Antrieb meiner Mutter geschmiedet, muß es geschehen und erge¬hen, wie es mir gefällt, und ob sie gleich mit weichem Golde gespitzt, sind sie doch übernatürlicher Härte, und wo sie etwas berühren oder verletzen, macht bald im Blut die honigsüße Bitterkeit der Liebe sich bemerkbar, und kein Mensch kann ihr widerstehen. Ich bin zwar klein von Person, Leib und Ansehen, aber groß in meinen Wirkun-gen. Ich bin schwach, und doch der Allerstärkste. Ich mache zuschanden jeden Schild und Harnisch. Ich suche heim alle hohen Prinzen und Potentaten. Sie sind vor mir nicht sicher in ihren sonst unüberwindlichen Burgen und Palästen. Sie regieren viele tausend Menschen, herrschen über Länder, Städte, Dörfer— ich besitze keine Dörfer, Städ¬te, Länder, Schlösser und Paläste, und regiere doch in allem. Ich bin ganz allein, habe keinen Diener um mich und führe doch alle Kreaturen, vernünftige und unvernünftige, als meine Sklaven und Gefangenen in meinen Händen. Ja, und noch mehr, ich bin hier — und bin dort, bin allenthalben. Die Götter auf dem Berge Parnaß können vor mir nicht bestehen, der ich oft dem Mars sein blutiges Schwert, dem Neptun seinen Dreizack, Jupiter seinen Donnerkeil aus den Händen schlug mit dieser zarten Faust. Aber doch bin ich auch der Allerdemütigste, Allerfreund-lichste, Allerzärtlichste – hege keinerlei Standeshochmut und Standesvorurteil, konversiere mit den Personen des Mittelstandes, auch Bauern, Tagelöhnern und Bettlern wie mit den allerhöchsten Herrschaften. Um meine Reputati¬on und Autorität im richtigen Stand zu halten, dringe ich mit lieblicher und anmutiger Gewalt in die Herzen der Menschen, daß sie mich nicht sehen, hören, sondern allein fühlen müssen. Ich richte jetzt meinen Pfeil auf eine Person dieses Hofes, schnelle ihn vom Bogen – der Pfeil saust –
HERZOGIN (seufzt leise auf): Ach –
KUPIDO: Und hat sein Opfer schon gefunden. Da ich mein Ziel hier erreicht, verabschiede ich mich mit aller Devotion von den schönen Damen und eleganten Kavalieren. Groß ist die Macht des Kupido! Lebt wohl! (ab)
HERZOG VON PARMA: Scharmant, scharmant, wer war die reizende Aktrice?
HERZOGIN: Ich glaub, Kupido selbst in eigener Person –
HERZOG VON PARMA: Die Tafel ist aufgehoben.
WAGNER (der Herzogin den Arm reichend): Darf ich bitten, Fürstin?

(Vorhang)

Dritte Szene

Schlafgemach der Herzogin
Die Herzogin kommt mit allen Anzeichen des Entsetzens, aufgelösten Haaren, stierem Blick, rückwärts von links auf die Bühne getaumelt. Sie hat ein blutbeflecktes Schwert, das sie in der Mitte der Bühne fallen läßt
HERZOGIN: Mein Hirn ist voller Schlangen …
Geier fressen
Die Eingeweide mir … in meinem Herzen
Ein Nest von Ratten … spie das Meer
Wie einen Krake mich nach oben?
Hat der Totengräber,
Als er ein Grab grub,
Versehentlich mit einer Schaufel mich
Aus unterer Welt emporgeworfen?
Was da leuchtet —
Das grüne Auge –
Ist das der Mond? Ist’s nicht das geile Auge
Des Höllenfürsten? War ich je ein Mensch?
Ein Mensch, der durch den Garten ging, Von hier nach da,
Dem Amseln sangen, Hunde sprangen?
Dem Veilchen dufteten?
Hat diese Brust je Zärtlichkeit gefühlt?
Und diese mörderische Hand —
Hat einen Mann – gestreichelt!?
WAGNER (steht im Gemach): Bianka!
HERZOGIN: Wer ruft mich? Ruft den Namen,
Mit dem ich christlich am Altar getauft –
Das ist wohl lange her — Jahrtausende —
WAGNER: Bianka – süßes Satanskind –
HERZOGIN: Bin ich des Satans Kind? Wenn du es sagst,
Muß es wohl sein – ich trug
Den Himmel einst nicht nur in meinem Blick.
Nun bin ich in den Tartarus gestürzt –
WAGNER: Reich mir die Hand. Ich werde dich erheben
Zu jener eisigen Höh, auf der ich throne,
Dem Adler gleich, für den so Gut wie Böse
Nur ein Gelächter aus der Tiefe ist.
HERZOGIN (auf ihn zuschreitend):
Ich habe meinen Gatten – in – der – Hochzeitsnacht
Getötet — wie es Judith tat mit Holofernes.
Ich tat – nur – was Ihr wolltet, das ich täte.
Was – Ihr – gedacht – das – habe – ich – getan –
So – tat – ich – Eure – Tat –
WAGNER (sie in die Arme schließend):
Wenn die dunklen Schollen schwanken
Und die Erde schwanger ächzt,
Will ich fester dich umranken …
Zuckend bin ich selbst die Erde,
Von der Egge schwarz durchwühlt,
Von den Winden hart gekühlt,
Von den Raben plump umkrächzt,
Daß es endlich Winter werde …
Streu den Samen, nimm es wahr,
Wie die Vögel Samen schwangen,
Und im Frühling übers Jahr
Wird es glühen, wird es prangen,
Sind die herbstesschweren bangen
Wehn zu Blüten aufgegangen –
(trägt sie auf das Ruhebett im Hintergrund. Der kleine Teufel Kickelhahn ist plötzlich da und zieht kichernd die Vorhänge des Bettes zu)

(Vorhang)

3. Akt

Figuren des dritten Aktes
Wagner
Kasper
Montezuma, Kaiser der Inkas
Irna, seine; Schwester
Cortez
Kickelhahn
Erster Oberpriester
Zweiter Oberpriester
Inkas, Gespielinnen der Ima,
spanische Soldaten

Mexiko. Tropische Landschaft am Meer

IMA: Hierher den Ball! Gib schneller ihn zurück!
Hat euch der heiße Tag so trag gemacht,
Daß, da die Arbeit willig nun vollbracht,
Die Wäsche blendendweiß den Boden deckt,
Die Sonne nun das ihre helfen mag, –
Euch jede Lust zu muntrem Spiele fehlt?
GESPIELIN: Fürstin, du irrst, wir sind mit vollem Herzen
Beim Spiel, das uns den Kampf und Krieg ersetzt
Der Männer, die in allem uns voraus.
Doch waltet nicht in jeglichem Gemüt,
Im zarten weiblichen ein gleich unbändig
Verlangen nach des Lebens Hast und Wechsel,
Das du nicht nur in deinen Träumen hegst –
IMA: So laß uns jeden Sonnentag genießen,
Wie er erscheint. Er schwindet allzuschnell.
Die Schale, die ich an die Lippen setze,
Ist in zehntausendstel Sekunden leer –
Wer will den Ball?
GESPIELINNEN: Ich! Ich! Ich! Ich!
GESPIELIN: Du bist ihn mir noch schuldig!
IMA: Da nimm den Ball noch einmal. Fang ihn recht!
GESPIELINNEN: 0 weh, der Ball! Wo ist der Ball?
IMA: Er flog links über deine Schulter. Sucht ihn,
Ihr Mädchen! Dort im blühenden Gebüsch
Am Band des Pinienhains! Wer ihn mir bringt,
Dem sei mein Armring hier! Eilt! Eilt!
(die Mädchen suchen; plötzlich Schreie)
GESPIELIN: Zu Hilfe!
IMA: Was gibt’s?
GESPIELIN: Ein fremder Mann.
IMA: Ihr Hasenfüße!
Ein Schlänglein raschelte im dürren Laub,
Und eure Phantasie hört Männertritte.
Daß ihr auch immer gleich an Männer denkt.
Warum nicht eine Frau? Ihr seid verliebt!
(Getümmel)
GESPIELIN (mit allen Zeichen des Schreckens):
Kommt, Fürstin, laßt die Wagen uns besteigen.
Ihr ließet Wächter doch zurück, daß sie
Zur Stadt uns fahren.
IMA: Was nur fuhr in euch? Warum?
GESPIELIN: Ein fremder, weißer Mann hob sich vom Boden
Dort des Gebüsches, wo er augenscheinlich
Die Nacht gelagert, widrig anzusehn.
GESPIELIN: Mit struppigen Haaren!
GESPIELIN: Wilden Augen!
GESPIELIN: Flieht!
IMA: Und wenn dem so?
GESPIELIN: Ich fleh dich, Jungfrau, an:
Es könnten Räuber sein, die uns der Gott des Meeres
Im Zorne um versäumte Opfer sandte,
Aul seinen Fischen sicher sie geleitend,
Den silbernen Delphinen –
IMA: Sind’s denn viele?
GESPIELIN: Nein, nur ein einzelner —
GESPIELIN: Doch könnten’s viele sein –
IMA (lachend): Sind’s aber nicht –
Doch meinetwegen kommt und laßt den Mann,
Der keinem etwas tut. — Wo ist der Ball?
GESPIELIN: Ich hab ihn nicht –
GESPIELIN: Ich nicht –
GESPIELIN: Ich aber sah, daß er ihn trug –
IMA: Wer?
GESPIELIN: Er, der Unbekannte –
IMA: Ich muß ihn haben. Geh, Korina,
Zum fremden Mann und hole mir den Ball –
GESPIELIN: Fürstin – verzeih – ich fürchte mich – wer weiß,
Welch Unheil er in seinem Herzen brütet,
Der weiße Teufel.
IMA: Aber wenn es nun
Ein weißer Gott? Von jenen weißen Göttern,
Von denen unsere Priester uns erzählen,
Daß einst in grauen Zeiten weiße Götter
In unserem Lande herrschten? Daß nach Norden
Sie zogen, aber daß sie heilig schwuren,
Zurückzukehren, wenn die Zeit erfüllt?
GESPIELIN: Der Mann im Busch sah wie ein Gott nicht aus.
IMA: Hol mir den Ball!
GESPIELIN: Ich habe nicht die Kraft –
IMA: So geh ich selbst,
Da mir die treueste Gespielin
Den Dienst verweigert –
GESPIELIN: Tu es nicht!
GESPIELIN: Bleib! Bleib!
GESPIELIN (ausspähend):
Er lenkt den Schritt hierher, er naht.
GESPIELIN: Der Fremde,
Gleich ist er hier!
IMA (verächtlich): So lauft nur zu den Wagen,
Und laßt sie von den Dienern immer schirren,
Ich komme nach.
GESPIELINNEN: Wir holen schnelle Hilfe,
Wenn er dir ungebührlich naht, (ab)
IMA: Hündinnen –
(Wagner kommt langsam näher in der Tracht eines spanischen Konquistadors)
WAGNER (beugt das Knie): Wer bist du, holdeste Erscheinung, die
Wie Aphrodite aus den Wellen steigt?
Denn wahrlich, immer faß ich es noch nicht,
Daß fester Boden meine Füße netzt,
Da siebzig Tage mich das Meer behielt
Und ich schon meinte, daß es nichts als Meer
Mehr auf der Erde gäbe: daß wie einst
Zur Zeit der Sintflut unser ganzer Globus
Ertrunken und versunken wäre —
(Ima steht unbeweglich und antwortet nicht)
Nenn ich dich Mensch? Bet ich dich Göttin an?
Mich packt der Zweifel, ob der Unsterblichen
Nicht eine vom Olymp herniederschwebte —
Denn deine Schönheit faßt die Erde kaum,
Dem Wandersmanne doppelte Erquickung,
Der nie ein Weib gesehen, das dir gleich.
Segne mich, Göttin, zürne nicht dem Frevler,
Der deinen Pfad zum zweitenmal nicht kreuzt —
IMA: Steht auf und laßt mich knien – denn Pflicht der Gläubigen
Ist’s, vor den Göttern in den Staub zu sinken.
Doch knien Götter nicht vor Sterblichen.
Ihr seid der weiße Gott, von dem uns die Legende
Der Priester spricht! Seht mich im Staube knien!
Den Ball, den Ihr am Meeresufer fandet,
Gebt ihn als Erdball mir zurück!
WAGNER: Ich werf ihn in die Sonne!
IMA: Seht, er ward zur Sonne!
WAGNER: So fangt die Sonne!
IMA: Hier, ich fing sie schon!
(ab, Wagner ihr nach)
(zwei Inkas schleppen in einem Netz Kasper über die Bühne)
ERSTER INKA: Das ist ein sonderbarer Fisch, den wir da gefangen haben. Von dieser Sorte hab ich noch keinen gesehn –
ZWEITER INKA: Er lebt noch — er schnappt immer nach Luft –
ERSTER INKA: Wir werden ihn nachher ganz totschlagen, denn er soll noch heute gebraten und bei dem großen Festschmaus verzehrt werden. (Kasper zuckt im Netz wie ein Fisch)
ZWEITER INKA: Der Fisch gibt Töne von sich wie ein Mensch.
KASPER (schlägt die Augen auf): Wo – bin – ich – denn? -Was — ist — denn — mit — mir — geschehn?
ERSTER INKA: Wunder über Wunder! Der Fisch spricht!
ZWEITER INKA: Er richtet sich auf-
ERSTER INKA: Er geht auf seinen Flossen -(die Inkas und Kasper staunen sich gegenseitig an)
KASPER: Entschuldigen Sie gütigst: wer sind denn Sie, wenn ich fragen darf? (Erster Inka schlägt ihn)
Man wird doch noch fragen dürfen! Gestatten Sie mir eine mich bezügliche Frage: Bin ich tot oder lebendig?
ERSTER INKA: Du bist noch nicht ganz tot.
ZWEITER INKA: Aber wir werden dich schon nachher ganz tot schlagen. –
KASPER: Um aller Heiligen willen: warum denn?
ERSTER INKA: Weil du gebraten und verzehrt werden sollst –
ZWEITER INKA: Ich freue mich schon auf dein zartes, weißes Fleisch –
KASPER: Meine Anna Backedudel wollte mich auch immer aus Liebe fressen — hätte ich mich doch von ihr fressen lassen – dann braucht ich mich jetzt nicht von euch fressen lassen — euch Menschenfressern —
ERSTER INKA: Wir sind keine Menschenfresser — wenn wir dich fressen – denn du bist ja kein Mensch –
ZWEITER INKA: Das bilde dir nur ja nicht ein – du bist ein Fisch — wir haben dich im Meer gefangen – mit dem Netz — und im Meer leben nur Fische.
KASPER: Ja, wie ein rechter Stockfisch komm ich mir schon vor – ich muß aus dem Schiff meines spinneten Herrn ins Meer gefallen sein –
INKAS (haben sich das Net mit Kasper drin wieder aufgeladen): Vorwärts – zum Oberpriester – der wird uns diesen feisten Fisch danken -(ab)
(Wagner in goldener Rüstung zurück, macht unter einer breitblättrigen Palme halt, auf der Kickelhahn als Affe sitzt)
WAGNER: Hier ist das Paradies! Das goldne Zeitalter!
KICKELHAHN: Das goldne Zeitalter! Ihr werdet von dem Gold nicht viel übriglassen, wie ich euch kenne. Dieses Land hat zu viel Gold, und die Menschen hier sind zu anständig, als daß ihr sie in Frieden lassen könntet. Gold – Gold – Gold — ihr Menschen könnt nicht genug von dem gold-nen Sch.. .dreck kriegen – wir in der Hölle können so viel Gold gar nicht prägen, wie ihr Habsüchtigen braucht. Um fünf Batzen hat mancher schon seinen besten Freund er¬schlagen – warum sollt ihr nicht um viele tausend Tonnen Gold, die es besitzt, das edle Volk der Inkas ausrotten bis zum letzten Hauch von Mann und Roß?
WAGNER: Ich sah ein schönes Inkamädchen – mich dauern die schönen Kinder – aber politische, kulturelle Notwendigkeiten zwingen mich leider — man muß sie zivilisieren –
KICKELHAHN: Das heißt: mit Schnaps und Franzosenkrankheit beglücken —
WAGNER: Man muß sie zum allein selig machenden christlichen Glauben bekehren —
KICKELHAHN: Indem man das Kreuz über sie schlägt, ihnen das ihre nimmt, und sie dann totschlägt, oder umgekehrt. Erst meucheln, dann heucheln. Wir Teufel können noch allerlei von euch Menschen lernen.
WAGNER: Es ist ein wenig feucht hier. Sind Sümpfe in der Nähe?
KICKELHAHN: Ja, von der Sorte Sümpfe, wie der Sumpf war, in dem die Herzogin von Parma sich ertränkte –
WAGNER: Wo bleibt mein Diener?
KICKELHAHN: Gefangen von den Inkas.
WAGNER: Wo bleibt Cortez?
KICKELHAHN: Er ist zum Kaiser der Inkas, zum Knaben Montezuma, gegangen. Ihr könnt Euch darauf verlassen, daß er eine amüsante Teufelei aushecken wird, an der Ihr Eueren Spaß haben werdet. Er wird den Indianern vorreden, daß der Sonnengott persönlich – persönlich – auf die Erde niedergestiegen ist, und daß sie sich bereiten mögen, ihm zu huldigen –
WAGNER: Und wer ist dieser Sonnengott?
KICKELHAHN: Ihr! Seid Ihr’s nicht zufrieden, daß Euch der Teufel zum Gott macht? Mehr könnt Ihr billig nicht verlangen!
WAGNER: Mein Gott!
KICKELHAHN: Mein Teufel! (Cortez in silberner Rüstung tritt schnell auf)
CORTEZ: Sie werden gleich hier sein – das Lager ist benachrichtigt – auf ein Zeichen von Euch werden unsere spanischen Soldaten die Indios umzingeln — von den Fürsten und Obersten und Priestern darf auch nicht einer übrigbleiben —
(spanische Soldaten bringen einen Thronsessel, auf den Wagner sich niederläßt, neben ihm stehend Cortez; Kickelhahn im Baum kichernd. Eintönige Musik ertönt von Trommeln und Flöten — ein Zug von Inkas erscheint; an der Spitze die Oberpriester, danach der Kaiser Montezurna, ein schöner Knabe von siebzehn Jahren, neben ihm seine gleichaltrige Schwester Ima. Fanfaren der Spanier. Montezurna und die Inkas fallen vor Wagners Thron auf die Knie)
MONTEZUMA: Gott der Sonne
Gott des Glanzes
Gott der Liebe
Gott des Lichts
Sieh, wir heben unsere Hände Unsere Herzen
Voller Demut zu dir auf!
Leuchte, Leuchte unserer Tempel!
Strahle, Leuchte unserer Herzen!
Flamme, o entflamme unsere
Tugenden zum reinsten Licht!
Wärme unsere kalten Seelen!
Unseren Ackern
Rebenhügeln
Unseren Gärten
Unseren Müttern
Schenke ewige Fruchtbarkeit!
WAGNER: Steht auf. Warum zittert ihr? Ich bin nicht gekommen, euch Böses zu tun oder Gericht über euch zu halten. Eure Demut, eure Armut bewog mich, die höheren Regionen, die ich bewohne, zu verlassen und sichtbar Teil an euren Freuden zu nehmen – steht auf – freut euch des Glückes, das euch durch mich geworden ist -(die Inkas stehen auf)
IMA: Er ist’s, der aus den Fluten stieg
Die Sonne, die im Meere unterging,
Ging heut uns allen strahlend auf.
Der Gott – welch liebliche Erscheinung!
Mächtig wie der Löwe,
stolz wie der Perlhahn.
Sein Sonnenauge blendet mich –
INKAS IM CHOR: Gott der Sonne
Gott des Glanzes
Gott der Liebe
Gott des Lichts
Sieh, wir heben unsere Hände,
Unsere Herzen
Voller Demut zu dir auf!
MONTEZUMA: Nimm das Opfer unserer Felder.
IMA: Nimm das Opfer unserer Seelen.
INKAS IM CHOR: Nimm das Opfer deines Volkes gnädig an! (die Priester haben Weihrauch entzündet. Die Indianer legen Weihgeschenke, Perlen, Federn, Felle am Thron Wagners nieder)
WAGNER: Liebe Kinder! Ich bedarf nicht eurer Geschenke! Ich will mich laben an eurer Freude! Ich will froh sein mit den Frohen, betrübt mit den Betrübten, reich mit den Reichen — doch arm mit den Armen –
IMA: Ich will dir opfern, Gott, doch bin ich eine Jungfrau nur, besitze nichts, als nur mich selbst, ich opfere mich— (sinkt am Sessel nieder)
WAGNER: Wie schön du bist! Du könntest unter Göttern Göttin sein –
IMA: 0 du Mächtiger! 0 du Gütiger!
Dein Anblick erfüllt mich mit Wonne!
Angenehm ist mir deine Stimme
Wie der Gesang der Nachtigall,
Süß dein Angesicht wie die Morgenröte!
ERSTER OBERPRIESTER (seitwärts zu einem zweiten): Dieser goldstrotzende Gott – kommt mir verdächtig vor – ich, der ich gewohnt bin, mit Göttern umzugehen, kann ein leises Mißtrauen gegen ihn nicht unterdrücken.
ZWEITER OBERPRIESTER: Ich hörte von Fremdlingen – die weit im Süden an unseren Küsten sich gelagert – und unsere Völker unglücklich gemacht haben – sie sollen der wunderbaren Künste viele besitzen und erstaunliche Dinge aus¬üben. Sie sollen einen Menschen auf hundert Schritt Entfernung mit einem kleinen Rohr töten können, in dem Blitz und Donner verborgen sind, die sie vom Himmel stahlen —
ERSTER OBERPRIESTER: Wenn dieser weiße Gott ein weißer Teufel wäre — er einer von den Fremdlingen — seine Macht und Verwandtschaft mit der Sonne schreckliche Täuschung, er nur unsere Stärke und Burgen und Wohnungen erspähe, und nun eile, seine Gefährten herzubringen und uns zu unterjochen und unserer Schätze, unserer Herrscher, unserer Götter uns zu berauben?
MONTEZUMA: Laß mir die Schwester,
Meine Zwillingsschwester,
Die mein Geschwister und mein zärtliches Gemahl!
Laß mir mein Glück, Erhabener Fürst der Sonne,
Und nimm sie von der Erde nicht zu dir!
WAGNER (zu Ima): Wähl zwischen Gott und Mensch -(eintönige Musik. Aus den Reihen der Inkas treten immer mehr, die sich zu Reigen und Tanz ordnen) (Wagner hat plötzlich den Arm erhoben, die Musik bricht jäh ab. Die Tänzer erstarren in den Bewegungen. Eine dunkle Wand spanischer Soldaten steht da. Wagner läßt den Arm niedersausen. Im gleichen Moment stürzen die Spanier auf die Inkas, die sich wehrenden werden niedergestoßen)
INKAS: Weh uns! Weh uns! Wir sind verraten! (die gefangenen Inkas werden abgeführt. Auf der Bühne bleiben nur Wagner, Ima, Montezuma, Cortez)
CORTEZ (auf Montezuma zutretend): Komm mein hübscher Junge – ich habe hübsche Jungen sehr gern – du sollst mir heute nacht die Zeit vertreiben — und dann mein Jüngelchen — rück die Schlüssel zu den unterirdischen Schatzkammern heraus. Der weiße Gott braucht Geld — Geld – sehr viel Geld – noch mehr Geld als Liebe – und Anbetung.
MONTEZUMA (mit langem Blick zu Ima): Schwesterseele — (Cortez zerrt ihn hinaus)
(Ima hat einen Dolch gezogen, blickt auf Wagner, der sie anlächelt, sie will auf ihn zu – richtet in einer plötzlichen Eingebung den Dolch gegen sich und stößt ihn sich in die Brust)
WAGNER (vor ihr niederkniend): Ach, warum starb ich nicht, eh ich geboren ward?
KICKELHAHN (im Baum): Einmal fünf und dreimal zehn,
Viermal, wenn die Stern sich drehn,
Rappen traben
Dreizehn Raben
Flattern
Schnattern
Schnurren
Knurren
Murren
Wehn,
Wo die sieben kleinen Männlein
Mit den sieben kleinen Weiblein
Hinterm Weizen
Bei den Dreizehn
Hohen
Lichterlohen
Galgen
stehn –

(Vorhang)

4. Akt

Figuren des vierten Aktes
Wagner
Päpstin Jutta
Kardinal Bellarmin
Kardinalstaatssekretär
Kaspar einer der drei Rüpel
Melchior einer der drei Rüpel
Balthasar einer der drei Rüpel
Vischnu, Fo, Jehova, Kupido und sonstige Masken aller Art

Rom. Vatikan

KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Ich gebe mir die Ehre, Eurer Heiligkeit den großen Weisen und gottesgelehrten Theologen, den tief schürfenden Philosophen und gewaltigen Streiter der Ecclesia militans, der macht- und kraftvoll für sie kämpfte mit Schwert und Geist, ich gebe mir die hohe Ehre, Euch Christoph Wagner zu präsentieren -(Wagner tritt heran und küßt den Saum des päpstlichen Mantels)
WAGNER: Ich komme aus Mexiko, das ich mit Feuer und Schwert dem alleinseligmachenden Glauben unterwarf.
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Hm
WAGNER: Ich komme, Eurer Heiligkeit einen bekehrten Erd¬teil zu Füßen zu legen und tausend Tonnen Goldes.
PÄPSTIN JUTTA (in Mannstracht): Ich bin entzückt, Euch kennenzulernen. Ich begrüße und beglückwünsche Euch zu Euren militärischen und geistigen Siegen. Der Ruf Eures Ruhmes lief Euch voraus. In meinem Schlafzimmer sitzt auf einer silbernen Stange der fremde Vogel, der der Menschen Sprache spricht, der Papagei, den Ihr aus Mexiko mir sandtet. Er lernte längst den Namen Wagner sprechen. Ich hoffe, er wird den Vorzug haben, Euch selbst begrüßen zu dürfen. – Ihr seid ein Deutscher, Herr?
WAGNER: Aus Wittenberg.
PÄPSTIN JUTTA: Ich umfasse alle Schafe meiner Herde
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: (beiseite): Auch die deutschen
Schafe, die ganz besondere Schafe sind –
PÄPSTIN JUTTA: Mit gleich inniger Liebe –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR (höhnisches, leises Echo): Mit – gleich – inniger – Liebe —
WAGNER: Die Liebe ist die Kardinaltugend.
PÄPSTIN JUTTA: Und die Tugend der Kardinäle. Darf ich Euch meinen treuen Freund und Mitstreiter, Kardinal Bellarmin, vorstellen?
(Bellarmin und Wagner verneigen sich)
KARDINAL BELLARMIN: Wie gefällt Euch Rom?
WAGNER: Eure Eminenz, ich hoffe, Rom zu gefallen. Ich hatte noch keine Gelegenheit, es kennenzulernen, da ich vom Hafen Ostia, das Schiff hatte kaum Anker geworfen, sofort an den päpstlichen Hof eilte, Seiner Heiligkeit Bericht zu erstatten.
PÄPSTIN JUTTA: Wir sind Landsleute, Signor Wagner. Ich bin in Mainz geboren. In Fulda kam ich in das Kloster, wo ich meinen Freund Bellarmin kennenlernte und mit ihm gemeinsam die ersten Exerzitien unternahm. (Bellarmin verneigt sich) – Er ist mir treu geblieben bis auf den heutigen Tag –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR (beiseite): Jedoch der Papst nicht ihm –
PÄPSTIN JUTTA: Heut ist der heilige Dreikönigstag.
Heut feiern wir im Vatikan ein frohes,
Ein buntes Maskenfest. Es sei für diesen Tag
Die ernste Würde und der steife Ton,
Der sonst hier zwischen kahlen Mauern herrscht,
Es sei die Strenge, das Gesetz verbannt.
Mit heiteren Menschen will ich heiter sein,
Der ich so oft betrübt mit den Betrübten,
Arm mit den Armen.
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Und reich mit den Reichen –
Wollüstig mit den Lüsternen, Teuflisch mit Teufeln –
PÄPSTIN JUTTA: Heut soll die Glocke nicht zur Messe läuten,
Sie rufe heut zu Spiel, Gesang und Tanz.
Die Mönche mögen der Tonsur vergessen,
Die Nonnen nicht zu streng die Rosenkränze hüten.
Der Kardinäle Purpur sei für heute
Der rote Toskaneser – Christi Tränen sollen
Lacrimae Christi heut als Wein nur fließen. –
Nach alter Sitte werden vor dem Thron
Die heiligen drei Könige jetzt erscheinen:
Die Kaspar, Melchior und Balthasar –
(ein Zeremonienmeister klopft dreimal mit dem Stock. Es
erscheinen drei Rüpel als Kaspar, Melchior und Balthasar,
und singen🙂
ALLE DREI RÜPEL:
Wir sind die drei Weisen aus dem Morgenland,
Die Sonne, die hat uns so schwarz gebrannt,
Unsere Haut ist schwarz, unsere Seel ist klar.
Doch unser Hemd ist besch… ganz und gar.
Kyrieeleis.
ERSTER RÜPEL: Der erste, der trägt eine lederne Hos‘,
ZWEITER RÜPEL: Der zweite ist gar am A… bloß,
DRITTER RÜPEL: Der dritte hat einen spitzigen Hut,
Auf dem ein Stern sich drehen tut.
ALLE DREI RÜPEL: Kyrieeleis.
ERSTER RÜPEL: Der erste, der hat den Kopf voll Grind,
ZWEITER RÜPEL: Der zweite ist ein unehelich Kind,
DRITTER RÜPEL: Der dritte nicht Vater, nicht Mutter preist,
Ihn zeugte höchstselbst der heilige Geist.
ALLE DREI RÜPEL: Kyrieeleis.
ERSTER RÜPEL: Der erste hat einen Pfennig gespart,
ZWEITER RÜPEL: Der zweite, der hat Läuse im Bart,
DRITTER RÜPEL: Der dritte hat noch weniger als nichts,
Er steht im Strahl des göttlichen Lichts.
ALLE DREI RÜPEL: Kyrieeleis.
Wir sind die heiligen drei Könige,
Wir haben Wünsche nicht wenige.
ERSTER RÜPEL: Den ersten hungert,
ZWEITER RÜPEL: Den zweiten dürst,
DRITTER RÜPEL: Der dritte wünscht sich gebratene Wurst.
ALLE DREI RÜPEL: Kyrieeleis.
ERSTER RÜPEL: Ach, schenkt den armen drei Königen was.
ZWEITER RÜPEL: Lake aus dem Heringsfaß,
DRITER RÜPEL: Verschimmelt Brot, verfaulter Fisch,
Da setzen sie sich noch fröhlich zu Tisch.
ALLE DREI RÜPEL: Kyrieeleis.
Wir singen einen süßen Gesang
Den Weibern auf der Ofenbank.
Wir lassen an einem jeglichen Ort
Einen kleinen heiligen König zum Andenken dort.
Kyrieeleis.
Wir geben euch unseren Segen drein,
Gemischt aus Kuhdreck und Rosmarein.
Wir danken für Schnaps, wir danken für Bier. Anders Jahr um die Zeit sind wir wieder hier.
Kyrieeleis.
(alles klatscht in die Hände. Gelächter. Bravo)
PÄPSTIN JUTTA (lachend): Man soll die Heiligen bewirten! Sie haben von der langen Wanderschaft über die Milchstraße gewiß Durst –
ERSTER RÜPEL: Und einen rechtschaffenen dazu.
ZWEITER RÜPEL: Und Hunger auch.
DRTTER RÜPEL: Auch käme uns ein kleines Douceur oder Sing-Schling-Trinkgeld nicht ungelegen oder unerwartet. Sondern das gerade ungerade Gegenteil dürfte der wahrscheinlichen Wahrheit nahe kommen-
PÄPSTIN JUTTA: Gebt jedem eine Bouteille Wein, einen Handkäse und ein Handgeld -(die drei Rüpel unter Kratzfüßen ab) Wie gefielen sie Euch?
WAGNER: Ein wenig – rüpelhaft.
PÄPSTIN JUTTA: Das ist so ihre Art. Man darf von Hunden Nur fordern, daß sie bellen. Nachtigallen Und Lerchen mögen zwitschern.
KARDINALSTAATSSEKRETÄR (beiseite): Menschen lästern.
PÄPSTIN JUTTA: Wir sind in Rom nicht eben zart besaitet. Die süßen Töne, die die Geige singt, Entlockt man einem Schafsdarm
KARDINALSTAATSSEKRETÄR (beiseite): Oder Menschendarm, Wenn ihn die Folter aus dem Bauche dreht.
PÄPSTIN JUTTA: Die heilige Kirche ist sehr tolerant.
KARDINALSTAATSSEKRETÄR (beiseite): Vorausgesetzt, daß man sie anerkennt
Und nicht an ihrer letzten Weisheit zweifelt.
PÄPSTTN JUTTA: Heut ist ein Maskentreiben angesetzt.
Der Saal beginnt sich schon zu füllen.
Wir haben alle Götter heut zu Gast
Geladen –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR (beiseite): Alle Teufel ebenfalls –
PÄPSTIN JUTTA: Da ist Dionysos, weinlaubumrankt!
Und neben ihm Kupido als sein Page,
(droht Kupido)
Kupido, richte nicht den Pfeil auf mich,
Mein Herz ist noch vom letztenmal verwundet.
(auf Wagner weisend)
Auf diesen ziele!
WAGNER: Habe Mitleid, Kind.
Ich habe nichts, mein armes Herz zu schützen. –
Wer sind die Ungeheuer dort? Sie kommen
Mir sonderbar bekannt vor – so, als wäre
Ich ihnen schon in einem Traum begegnet —
PÄPSTIN JUTTA:
Seid froh, wenn es im Traum nur war — es sind
Drei heidnische, drei fürchterliche Götzen:
Der Inder Vischnu, der Chinese Fo,
Der Jude Jehova. – Mischt Euch ins Fest,
Vergnügt Euch da und dort. Ich will
Nur die Soutane auf den Bügel hängen.
(ab)
WAGNER: Dies ist der päpstliche Hof zu Rom? Würdet Ihr mir sagen, ich befände mich in einem vornehmen Gast¬- oder Tanzhaus, ich möcht es eher glauben. Die Priester sehen alle aus wie Kavaliere – zum Beispiel dieser Bellarmin –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Ist auch ein Kavalier-Und von der feinsten Sorte —
WAGNER: Wer sind die bezaubernd schönen Damen?
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Komtessen, Huren, Nonnen –
WAGNER: Bin ich bei Trost? Bin ich bei mir? Ihr zeigt mir wohl die Hölle?
KARDINALSTAATSSEKRETÄR:
0 – in der Hölle ist es nicht so unterhaltsam
Wie hier beim Papst in Rom –
WAGNER: Der Papst – ist jung?
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Erst fünfundzwanzig Jahr.
WAGNER: Ein engelhaftes Antlitz –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Hm
WAGNER: Dieser zarte Teint –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Hm
WAGNER: Die kleinen Hände –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Hm
WAGNER: Die schlanken Füße –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Hm
WAGNER: Wär’s nicht der Papst – und war er eine Frau: man könnt sich drein verlieben —
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Nun – man kann es –
WAGNER: Was kann man?
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Sich verlieben in den   Papst –
WAGNER: Als Frau?
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Als Mann!
WAGNER: Herr, ich begreif Euch nicht –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Der Papst ist –
WAGNER: Nun?
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Das, was er eben ist –
WAGNER: Laßt das Geschwätz –
KARDINALSTAATSSEKRETÄR: Der Papst ist eine -(in diesem Moment ist die Päpstin Jutta in der anmutigen Tracht eines italienischen Landmädchens aufgetreten, eine schwarze Maske vorm Gesicht)
PÄPSTIN JUTTA (zieht ihn zu sich heran): Nun, schöner Fremdling, wer seid Ihr? Wollt Ihr mit mir tanzen?
WAGNER: Wer seid Ihr, schöne Maske? Was verbergt Ihr Das edle Antlitz mit dem schwarzen Tuch, Das wie ein Leichentuch das Leben deckt? Laßt doch den Vorhang fallen, daß die reizendste Komödie ihren Anfang nehme!
(Bellarmin ist in Tracht eines italienischen Conte heran¬getreten)
KARDINAL BELLARMIN (drohend): Laß das Mädchen los!
WAGNER: Sie fing ja mich – und hält mich noch gefangen –
KARDINAL BELLARMIN: Es ist mein Mädchen! Laßt das Mädchen los!
PAPSTIN JUTTA: Mein Bellarmin – heut ist doch Karneval –
KARDINAL BELLARMIN: Du treibst es ärger als der Teufel.
KARDINALSTAATSSEKRETÄR (beiseite): Nun – bin ich sogar arg.
WAGNER: Im Karneval ist allerlei gestattet,
Was sonst verboten —
KARDINAL BELLARMIN: Ich gestatte nichts –
PÄPSTIN JUTTA: Du hast nichts zu verbieten –
KARDINAL BELLARMIN: Satansweib,
Mach mich nicht rasend –
PÄPSTIN JUTTA: Der Deutsche hier gefällt mir – denn er ist Mein Landsmann — ich will heute nacht mit ihm –
KARDINAL BELLARMIN: Was willst du heute nacht mit ihm?
PÄPSTIN JUTTA: Was gehts dich an? Such dir ein anderes Mädchen —
KARDINAL BELLARMIN (zieht den Degen): Wir werden sehn, wer recht behält —
WAGNER: So achtet Ihr die Heiligkeit des Ortes – ?
KARDINAL BELLARMIN: Die Heiligkeit des Ortes? Zieht, sonst sterbt!
PÄPSTIN JUTTA: Halt ein -(Bellarmin schüttelt sie ab)
WAGNER: Das Blut auf Euch!
(Wagner und Kardinal Bellarmin fechten. Publikum, das lachend herzuströmt, sieht unter Gelächter zu, da es ei¬nen Scheinkampf vermutet. Plötzlich sticht Wagner zu. Bellarmin bricht sterbend zusammen)
KARDINAL BELLARMIN: Ich – sterbe –
(alles weicht entsetzt zurück. Wagner hat den Degen fallen lassen. Auf der Bühne bleiben nur Wagner und Päpstln Jutta)
PÄPSTIN JUTTA (an der Leiche Bellarmlns): Mein Bellarmin, ich werde dir ein Leichenbegängnis wie einem Kaiser halten – hundert Mönche sollen dir in der vatikanischen Kapelle die Totenmesse lesen – unaufhörlich — hundert Stunden –
(Päpstin Jutta steht auf, reißt sich die Maske herunter und tritt lächelnd auf Wagner zu)
WAGNER (zurücktaumelnd): Der Papst – ist – eine – Frau –

(Vorhang)

5. Akt
Figuren des fünften Aktes
Wagner Kasper
Mönch
Anna Backedudel
Der Tod
Hure
Erscheinung von Wagners Mutter
Maria–
Stimmen von oben
Kickelhahn
Ein Mädchen

Straße, die am Friedhof vorbeifuhrt an der Friedhofsmauer eine Statue der Maria

EIN MÄDCHEN (kommt mit einem Korb Blumen, davon sie einige zu Füßen des Muttergottesbildes niederlegt):
Madonna, deine Sonnenaugen
Blenden so sehr.
Wirf deiner Gnade Schatten
Uber mich her.
Schöne bunte Kerzen
Weih ich dir und Bild und Seidenband,
Sünden und Schmerzen
Leg ich in deine Hand.
Viel tausend Rosenkränze will ich betend runden —
Nur: sieh den Korb hier, schnörkelhaft und zier:
Madonna, es sind meine Liebessünden, Madonna, laß sie mir!
(ab)
(Wagner und sein böser Geist in der Tracht von Wandermönchen)
WAGNER: Ich mußte fliehn in eines Bettelmönches Tracht, Der Pöbel hätte mich ermordet sonst.
MÖNCH: Seid froh, daß Ihr fliehen mußtet; sonst hätt Euch die Pest erwischt —
WAGNER: Daß dich die Pest!
MÖNCH: Der Papst zu Rom ist am Himmelfahrtstag, als er an der Spitze der Prozession auf einem weißen Esel ritt, unweit der Kirche des heiligen Klemens – mit einem gesunden Knaben niedergekommen. Die empörte Menge hat Mutter und Kind gesteinigt. – Es war Euer Kind, Wagner. (Wagner stöhnt auf) Es war Euer Meisterstück.
Satanas selber hätt es nicht besser zustande gebracht. Gott im Haupt seiner heiligen Kirche zu treffen! Es war ein Herzstoß! Die Kirche wird sich lange nicht davon erholen. Ich hörte die Cherubim und Seraphim im Himmel schluchzen und wehklagen. Die heilige Cäcilie spielte ein Trauercarmen auf der Orgel, daß es einem ordentlich durch Mark und Bein ging. Aber in der Unterwelt, in der Hölle: ein Jubel und Trubel, Tanz und Frohlocken. Wenn Ihr erst da unten seid, wird Pluto Euch zu seinem Kanzler und Erzkämmerer ernennen.
WAGNER: 0 du, mein gefallener Engel, erzähle mir vom Himmel, der mir immerdar verschlossen sein wird, und seinen Auserwählten, deren Freud und Herrlichkeit. Ach, daß ich noch imstande wäre, ein Kind der Seligkeit zu werden –
MÖNCH: Die himmlische Seligkeit ist so groß, daß, wenn sämtliche Menschenkinder von Anbeginn der Welt nichts weiter getan hätten als schreiben bis an der Welt Ende -sie dennoch nicht imstande wären, nur den kleinsten Teil dieser Freude zu beschreiben.
WAGNER: Wenn du ein Mensch wärst wie ich: was würdest du tun, um ein Kind der Seligkeit zu werden?
MÖNCH: Wenn eine Leiter von der Erde bis zum Himmel reichte und statt der Sprossen wären tausend Schermesser und scharfgeschliffene Schwerter, daß ich bei jedem Schritt fürchten müßte, zerschnitten zu werden – ich würde dennoch trachten, den obersten Gipfel zu erreichen, um nur eine Sekunde der himmlischen Seligkeit teilhaftig zu werden.
WAGNER (stöhnend): Wenn ich Hände wüßte,
Die meine Stirne streichelten,
Frieden in meines Hirnes Unrast schmeichelten,
Die das bänderbunt beputzte Gerüst
Meines Lebens füllten mit Mörtel und Stein,
Nie, nie wird meines Hauses Richtfest sein –
MÖNCH: Einst war ich ein Engel,
Ein Herr der himmlischen Heerscharen,
Von Gott über viele Geschöpfe gesetzt,
Von ihm also erleuchtet,
Daß ich der Planeten Glanz übertraf-
Vollkommen war ich in allen meinen Wegen
Und die Krone ewiger Herrlichkeit —
WAGNER: Was malst du mein entsetzliches Geschick?
MÖNCH: Aber ich erhob mich in Hoffart und Übermut
Und wollte wissen Gottes geheimstes Gesetz –
(Wagner stöhnt auf)
Da ward ich aus dem Sitz der Seligkeit verstoßen
Tief in die Tiefe
In den Höllenpfuhl
Und werde ewig brennen —
Wie du –
WAGNER (macht das Zeichen des Kreuzes): Fahr zur Hölle, höllisches Gespenst.
(Mönch hohnlachend ab)
Mir ward das Leben schal und ekel.
Ich sehe überall das Menetekel,
Und laufe durch die Gassen
Spießruten zwischen blassen
Getünchten Häusern hin und her.
Die Nacht weint dunkle Klagen,
Die wilde Wünsche wagen:
Ach, daß ich nicht ich selber wär!
HURE (kommt, singt):
Drei wilde Gänse,
Die flogen über See,
Da schoß der Jäger alle drei,
Und was einmal ins Wasser fiel,
Kommt nimmer in die Höh,
Kommt nimmer in die Höh …
Drei junge Mädels,
Die führte ein Kavalier aus.
Und wenn erst ein Mädel mal genascht,
Liebe genascht, Hiebe genascht,
Die kommt nicht mehr nach Haus,
Die kommt nicht mehr nach Haus …

Und ich pfeife auf meine Jungfernschaft,
Und ich pfeife auf mein Leben.
Der Kerl, der sie mir genommen hat
Um eins und um zwei und um drei bei der Nacht,
Der kann sie mir nimmer geben …
Der kann sie mir nimmer geben …

Geh, schenk mir doch ’n Fufziger,
Geh, schenk mir doch ’ne Mark,
Ich will mich mit Schnaps besaufen,
Ich will mir ’n Palast kaufen
Oder einen Sarg …
Oder einen Sarg …
WAGNER: Laß mich allein –
HURE: Laß uns zu zweien einsam sein —
Zeig mir die Hand – was ist das für ein Ring?
WAGNER: Ein glitzerndes, ein billiges Jahrmarktsding-
HURE: Doch mir gefällt der rote Glanz. Ist’s ein Rubin?
WAGNER: Es ist der Ring des Lebens – nimm ihn hin –
(Hure zieht ihm den Ring ab und läuft davon. Wagner fällt
in sich zusammen)
Weh mir – wie wird mein Haar so plötzlich weiß –
Wie schlottern meine Knochen – bin ich
Schon das Skelett des Todes?
Dieser trübe Blick
Sieht kaum drei Schritte weit.
Die Knie wollen brechen.
Die Sohlen brennen mir, als war ich tausend Meilen weit
gegangen.
Die Hände zittern. Eine glühende Kugel
Rollt mir im Hirn. Es wölbt mein Kopf
Sich bis zum Firmament. Der Schädel platzt
Und legt mein blutend Hirn den Fliegen frei,
Den Bremsen
Und den Sternen, die schon schwirren,
An meinem Aase sich zu mästen –
Weh mir — ich bin verloren —
Ein Pfennigstück von einem reichen Herrn im Kot.
Vergessen ganz von Gott, der mich gewollt —
Denn war ich ohne seinen Willen?
Was wollen diese Beulen an der Hand –
Die blauen Beulen, welche schillernd schwellen,
Wem gab ich meine Hand?
Der Hure! Die – Hure – war – die – Pest –
(stürzt ab)
(die Hure kommt wieder über die Bühne, ihr nach der Tod, gekleidet als Stutzer wie bei seinem Abgang im ersten Akt)
DER TOD: Ich will mir ein junges Schätzchen suchen
So knusprig wie Rosinenkuchen.
Sprech ich sie an? Wie mach’s ich nur?
HURE (sich umdrehend):
Entschuldigen Sie, ich bin eine Hur –
Sie brauchen sich nicht vor mir genieren
Und können ganz offen mit mir parlieren.
DER TOD (erschreckt): Wieso?
HURE (macht eine Bewegung des Geldzählens): Wieviel?
DER TOD: Weshalb?
HURE: Warum
Fragen Sie altes Gerippe so dumm?
DER TOD: Nun – altes Gerippe – ich bitte mir aus –
HURE: Wer nicht zahlen kann, der bleibt zu Haus –
DER TOD: Ich bin der Tod
HURE (nähertretend, ihn erkennend):
Jetzt erkenn ich dich erst; das ist mal ein Fest:
Ich bin deine Schwester —
DER TOD: Schwester?
HURE: Die Pest!
DER TOD: Ich bin entzückt, daß ich dich treff.
Wie geht’s, wie steht es, altes Reff?
HURE: Nun – altes Reff: bin noch aimabel
Und für ’ne Hure ganz passabel.
Aber bleiben wir hier am Friedhof nicht stehn, Begießen wir unser Wiedersehn —
Trinken wir eine Flasche Wein –
DER TOD (grinsend): Lacrimae Christi soll es sein –
(beide ab)
KASPER (singt hinter der Szene):
Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen:
Die Uhr hat zehn geschlagen.
Hütet das Feuer und das Licht,
Daß kein Unheil nicht geschieht.
Ehre sei Gott in der Höhe —
(kommt auf die Szene als Nachtwächter)
Wer ist denn das, der hier noch so spät des Nachts in den
Gassen herumläuft?
ANNA BACKEDUDEL: Ich bin’s.
KASPER: Daß Ihr’s seid, das seh ich. Aber wer seid Ihr?
ANNA BACKEDUDEL: Wer ist Er denn, daß Er’s Maul so voll nimmt?
KASPER: Ich bin der neue Nachtwächter, und wer des Nachts, wo ordentliche Bürger ins Bett gehören, auf den Straßen herumflanieret, der wird kraft meines Amtes arretiert und ins Hundeloch gesteckt.
ANNA BACKEDUDEL: Er ist der neue Nachtwächter? Ei schau einmal an! Er ist ein hübscher, ein stattlicher, ein wohl-affektionierter Mann.
(sie schnurrt an ihm herauf wie eine Katze. Kasper weicht zurück)
Nun, sei Er doch nicht so garstig. Ach, wenn ich an den alten Nachtwächter denke –
KASPER: Er soll sich bei einer tugendsamen Jungfrau die sappermentsche Franzosenkrankheit geholt haben und selig in der Frau entschlafen sein.
ANNA BACKEDUDEL: Er war ein Kavalier vom Scheitel bis zur Sohle. Er ist manchmal zu mir gekommen, und da hab ich einen guten Kaffee gekocht.
KASPER: Zichorienkaffee.
ANNA BACKEDUDEL: Nein: echten Bohnenkaffee, und da ist er manchmal die ganze Nacht bei mir geblieben.
KASPER: Bei Euch – die ganze Nacht?
ANNA BACKEDUDEL: Die ganze Nacht-o, ich habe Reize, die, wenn sie Euch offenbar wären, Euch nicht mehr losließen.
KASPER (schüttelt sich): Brrrr.
ANNA BACKEDUDEL: Will Er mich nicht heiraten? Ich hab ein kleines feines Häusel, hundert Täler sächsisch Kourant, und ich bin noch eine Jungfer.
KASPER (leuchtet ihr mit der Laterne ins Gesicht): Ihr noch eine Jungfrau?
ANNA BACKEDUDEL: I nu, ich habe sieben Kinder gehabt, aber noch keinen Mann.
KASPER: Ach du meine Güte.
ANNA BACKEDUDEL: I nu, meine Kinderchen verdienen alle schon ihr Brot, sie liegen mir nicht mehr auf der Tasche: Der Michel geht dreschen, die Liese geht waschen, der Gottlieb ist Knecht, die Lore ist schlecht, die Hanne ist Magd, der Franz, der backt. Nur der Kasper, der Lauser, ist nichts geworden.
KASPER: Ihr habt einen Sohn namens Kasper?
ANNA BACKEDUDEL: Gott sei’s geklagt, leider, von einem Lumpen namens Kasper, mit dem ich versprochen war vor zwanzig Jahren und der mich sitzen ließ wie eine Fliege am Fliegenpapier.
KASPER: Und wie heißt Ihr denn, wenn’s gestattet ist, zu fragen?
ANNA BACKEDUDEL (knixt): Anna Backedudel.
KASPER: Anna Backedudel – Anna Backedudel (leuchtet ihr wieder ins Gesicht) Himmel, A… und Wolkenbruch: Es ist meine Anne – Anne!
ANNA BACKEDUDEL: Woher wißt Ihr meinen Kosenamen?
KASPER: Anne, ich bin’s, dein Kasper ist aus der Fremde zurückgekommen.
ANNA BACKEDUDEL (fällt ihm um den Hals): Kasper!
KASPER: Hübscher bist ja nicht geworden. Ein bissei ramponiert schaust aus.
ANNA BACKEDUDEL: Aber meiner Seel, Kasper, die Seele ist die gleiche geblieben.
JCASPER: Die Seele, so so. Dann wollen wir denn also auf
das Ende unserer Tage einen Seelenbund schließen.
ANNA BACKEDUDEL: Ich bin ja so bescheiden,
Ich will nur, daß uns beiden
Ein ganz klein wenig Glück erblüh.
Ich will ja nicht, daß immer
Der Tag im blauen Schimmer
Erglüh.
Nur daß hin und wieder
Durchs Wolkendunkel
Zur Erde nieder
Ein schwach Gefunkel
In unseren Augen Freude wecke.
Ein winzig Häuschen möcht ich –
KASPER: So auf dem Lande dächt ich –
ANNA BACKEDUDEL: Für uns allein –
KASPER: Und einen kleinen Garten,
Um Obst darin zu warten –
ANNA BACKEDUDEL: Und Blumen –
KASPER: Und Gemüse –
ANNA BACKEDUDEL: Und eine kleine Wiese
Für eine Ziege –
KASPER: Und eine Kuh –
BEIDE: Und Ruhe, Ruhe, Ruhe, Ruh.
KASPER: Meiner Treu, aber daß du mir gleich sechs Kinder in die Eh bringst, die nicht von mir sind, das ist doch ein starkes Stück.
ANNA BACKEDUDEL: Wärst nicht zwanzig Jahre fortgeblieben, dann hättest die sechs selber machen können. Wir Frauen sind halt ein schwaches Geschlecht.
KASPER: Geh jetzt nach Haus, Anne, koch mir einen star¬ken Kaffee. Wenn ich die zwölfte Stunde abgerufen hab, komm ich zu dir.
ANNA BACKEDUDEL: Leb wohl, mein Zuckerkasper. KASPER: Auf Wiedersehn, mein Pfefferkuchenherz. (Anna Backedudel ab)
Herrgott, ist die Anne eine alte Schnudel geworden.
(er bläst und singt)
Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen,
Die Glocke hat elf Uhr geschlagen,
Ihr Junggesellen, geht hübsch sacht,
Daß die Haustür nicht so kracht,
Ehre sei Gott in der Höhe.
(Kasper ab)
(Wagner tritt auf. Die Turmuhr schlägt elf)
DUMPFE STIMME (anklagend): Wagner! Wagner!
HELLE STIMME (wehklagend): Wagner! Wagner!
(leiser Donner)
WAGNER: Weh mir! Wo find ich Trost? Wo find ich Hilfe?
Der Himmel grollt. Die Erde schwankt.
Die Hölle tut sich auf, mich zu verschlingen-
(fällt auf die Knie)
KASPER (hört man hinter der Szene singen):
Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen;
Die Glocke wird bald zwölf Uhr schlagen.
Bewahrt das Feuer und die Kohlen,
Der Teufel wird den Wagner holen,
Ehre sei Gott in der Höhe!
WAGNER: Keine Rettung? Nirgends Hilfe? Find ich sie bei den Lebenden nicht, so vielleicht bei den Toten -Hier ist der Eingang zum Friedhof – wie ruhen sie friedlich in dem Herrn, die Toten all – ach, könnt ich Ruhe finden, Frieden, Frieden, wie sie ihn gefunden haben, (versucht einen Grabstein zu entziffern) Wer liegt hier begraben? (buchstabiert)
Johanna Wagner – meine brave, gute Mutter – sie ist bei Gott-
(leiser Donner)
Vergaß ich die Kabbala? Die Geheimlehre des Todes und des Lebens? Das Herz aus dem Leibe eines verstorbenen, edlen, frommen Menschen schützt vor den Klauen des Teufels, wenn ihm dieser Talisman entgegengehalten wird. — Ein fürchterliches Mittel, aber das einzige, vor dem der Satan weichen muß. – Hier liegt eine Schaufel des Totengräbers – rasch – ans Werk – bevor die nächste, die letzte Stunde schlägt.
(er greift nach der Schaufel, beginnt zu graben)
(Donner. Der Geist der Mutter steigt aus dem Grabe)
ERSCHEINUNG DER MUTTER: Mein Sohn, was störst du meine Grabesruh?
WAGNER (die Schaufel entfällt ihm, er bricht schluchzend in die Knie): Mutter – Mutter!
ERSCHEINUNG DER MUTTER (streicht zärtlich über seinen Scheitel): Mein armes, wildes Kind! Mein armes Kind!
WAGNER: Kannst du mir verzeihen, Mutter?
ERSCHEINUNG DER MUTTER: Ich habe dir längst verziehen! Deine letzte Stunde naht, weihe sie reuig dem Himmel, auf daß dir Gott verzeihe –
WAGNER: Ich bin in den Klauen des Teufels, Mutter. Es gibt ein Mittel nur, ihn zu beschwören: das Herz eines verstorbenen, reinen Menschen –
ERSCHEINUNG DER MUTTER: So tu, was du so oft schon tatest, als ich noch lebte: reiß mir das Herz aus der Brust! Nimm mein Herz und halt es dem Teufel entgegen: vor dem Herzen der Mutter wird der Teufel weichen! (sie will ihm ihr Herz reichen, da beginnt die Turmuhr langsam zwölf zu schlagen)
STIMMEN VON OBEN: Wagner! Wagner! Du bist gerichtet!
WAGNER: Zu spät, Mutter! (die Erscheinung der Mutter versinkt)
STIMMEN VON OBEN: Wagner! Wagner! Du bist in alle Ewigkeit verdammt!
WAGNER: In alle Ewigkeit?! Weh mir! Ich kann nicht von der Stelle, Ich stehe wie angewurzelt am Boden. Vergangene Zeiten und die Bilder meiner Untaten jagen an meiner zagenden Seele vorüber. Brecht, Himmel! Sterne, kracht! Spritzt, schwefelgelbe Flammen!
Ihr Lichter jener Welt, ihr Sterne, fallt zusammen Und werft den ganzen Grund der harten Erde ein -Ich stürze, sinke schon – und fühl – der Hölle – Pein -(schon versinkend zu dem Marienbild am Friedhofstor, das aufleuchtet) Maria!
MARIA (spricht): Willkommen, lieber Sohn mein,
Du sollst mit uns selig sein.
Genommen sei von dir der Laster Last,
Weil du in deiner letzten Stund
Aus Herzensgrund
Nach mir gerufen hast!
ERSCHEINUNG DES TEUFELS:
Die Seele dieses Sünders ist mein —
MARIA: Sie wird dir ewig verloren sein.
Ich hab ihr meine Huld gegeben,
Dawider du darfst nicht streben.
(Teufel fauchend ab)
Freu dich, arme Seele, und sei getrost,
Du sollst werden aus deiner Pein erlöst,
Maria, die Himmelskönigin,
Ist gewesen deine Fürbitterin!
STIMMEN VON OBEN: Ehre sei Gott in der Höhe!
WAGNER: Nie warst, Madonna, du mir ein Phantom.
Ich fühlte dich wie eine ferne Schwester
Und baute meiner Sehnsuchtsschwalben Nester
In deinen kühlen, heiligen Dom.
Und meine Seele trieb verwunschne Blüten
Zu dir, die krank wie blaue Rosen sind.
Du wirst sie warten, wirst sie hüten
Vor rauhen Gärtnern und vor Welt und Wind.
Dir schwanken Wunsch und Ziel in gleicher Schale,
Dich tötet Nähe nicht wie andre Fraun.
Erlitten hab ich dich in Brunst und Graun:
Nun trägst du meiner Kreuzigung Wundenmale. –
GESANG VON OBEN: Die Kirchenglocken brommen,
Die heilig Nacht ist kommen.
Der höllsche Tag entfleucht,
Es tobten schwarze Schlangen,
Die Sonne war verhangen,
Nun glänzt des Sterns von Bethlehem Geleucht.
Er ist der erst, der funkelt,
Bald aber durch das Dunkel
Erscheint so Stern bei Stern.
Die Finsternis zerschlagen
Wie schwarzer Marmorschragen,
Und aus dem Sarge schwebt der heilig Geist des Herrn.
Er fährt zur Erde nieder
Mit rauschendem Gefieder.
Das Kindlein in der Wiege lacht.
Zu Häupten ihm die Taube
Regt ihre Schwingen. Glaube
Und Lieb und Hoffnung halten die seraphne Wacht.
(Vorhang fällt langsam)
(vor den Vorhang kommen von links Kickelhahn, von rechts Kasper)
KICKELHAHN: Der Teufel hat den Wagner, deinen früheren Herrn, geholt. Komm, Kasper, komm, ich soll dich auch holen. Du mußt dich mir verschreiben!
KASPER: Das laß ich halt bleiben!
KICKELHAHN: Ich werde dich verschlingen.
KASPER: Das wird dir schwer gelingen.
KICKELHAHN: Hu! Hu! Hu!
KASPER: Du! Du! Du! – Bange machen gilt nicht. Wer bist du denn eigentlich?
KICKELHAHN (zieht höflich sein Hütchen): Ich bin ein kleiner Teufel. Mein Name ist Kickelhahn.
KASPER: Hör mal, mein lieber Kickelhahn, das mit der Hölle, das wird sich zerschlagen –
KICKELHAHN: Du willst mich schlagen? Das laß lieber bleiben! Ich bin stärker als du!
KASPER: Dann ruf ich meine Frau, die Jungfer Anne, die wird dir dein Teufelsfell tüchtig gerben. Sie ist eine gelernte Lohgerberin.
KICKELHAHN (ängstlich): Nein, nein – mit deiner Frau will ich nichts zu tun haben. Mit den Weibern wird kein Teufel fertig. – Aber willst du mir nicht freiwillig in die Hölle folgen? Ich bringe dir ein schönes Kompliment aus der Hölle von deiner herzallerliebsten Großmama.
KASPER: So so. Ist’s die Möglichkeit? Was macht denn meine Frau Großmama in der Hölle?
KICKELHAHN: Sie tut nichts als heulen und zähneklappen –
KASPER: Du lügst wie gedruckt. Sagt der, sie tat mit den Zähnen klappen und hat keinen einzigen Zahn mehr im Maul gehabt. Sie müßte grade mit den A…backen klappen.
KICKELHAHN: Also du willst nicht mit in die Holl, deinen Herrn Wagner auch in der Holl bedienen?
KASPER: Fällt mir nicht ein. Ich weiß es schon, wie’s in der Hölle aussieht. Und außerdem bin ich Nachtwächter. Der Teufel holt keinen Nachtwächter.
KICKELHAHN: Wie sieht’s denn in der Hölle aus, du Neunmalweiser? Wenn du mir das genau sagen kannst, will ich dich für diesmal laufen lassen.
KASPER: Ich bin einmal im Traum in der Hölle gewesen. Sapperment, war das eine kuriose Wirtschaft in der Hölle! Da hab ich Krämer in Papier eingewickelt brennen sehen, die zu einem halben Viertel Kaffee zwei Lot Papier gewogen hatten. Die Schlächter und Metzger haben an den Hän¬den keinen Daumen gehabt und bekamen nur Knochen zu fressen, die sie den Leuten als Beilage zugewogen hatten. Die Weinhändler müssen dort ewig ihren eigenen Wein saufen, ohne doch ihren Durst löschen zu können. Die Feldherren führen gegeneinander Krieg – aber ohne Soldaten. Die armen Soldaten, die sie in den Tod geführt, sitzen auf dem Balkon, im Himmel, und schauen ihnen zu.
KICKELHAHN (abgehend): Du malst die Hölle, als ob du jahrelang selbst drin gewesen. Leb wohl! Ein ander Mal auf Wiedersehn!
KASPER: Auf Nimmerwiedersehn! (an die Rampe tretend)
Zuletzt habe ich noch Leute in der Hölle fortwährend springen gesehen, das waren die, die im Theater für den letzten Platz zahlten und nachher auf den zweiten und ersten über-stiegen. Nehmt’s euch zu Herzen, ihr da unten! (bläst in sein Nachtwächterhorn) Hört ihr Herren und Damen und laßt euch sagen: Des Spieles Ende hat geschlagen. So endet sich der wahre Bericht Von des Christoph Wagner Geschicht: Daraus ein Christ soll lernen wohl, Daß er die Hoffart fliehen soll, Nicht haben Lust an Zauberei
Und tausend Sünden nebenbei, Den Teufel abzusagen gar, Daß er nicht komm in solche Gefahr, Vielmehr sich sollt in Gottesfurcht üben Und Gott von ganzer Seele lieben. Dies wünsche ich von Herzens Grund Uns allen und mir zu dieser Stund, Daß wir mit Maria allzugleich Erlangen das ewige Himmelreich.
Geht friedlich und ordentlich jetzt nach Haus Und schlaft für den morgigen Werktag euch aus. Hat unser Spiel euch wohl gefallen, Erzählt es auch den andern allen, Wir bleiben euch rekommandiert, Von eurem Beifall enchantiert. Ihr habt geweint, ihr habt gelacht -(aus der Kulisse Stimme der)
ANNA BACKEDUDEL: Kasper! … Kasper … Die Suppe wird kalt!
KASPER: Ich komme ja schon! – Lebt wohl! Gute Nacht!

(Ende)

Nachwort

1587 zur Herbstmesse erschien bei Spieß in Frankfurt am Main das Volksbuch vom Doktor Faust. In wenigen Mona­ten war es schon derart volkstümlich geworden, daß be­reits im Januar 1588 drei Tübinger Studenten mit einer gereimten Bearbeitung hervortraten. Nach den Universi­tätsprotokollen von Tübingen scheint es auch, als ob die­se drei Tübinger Studenten die Autoren der ersten Faust­komödie gewesen seien, für die ihr Faust in Versen gewiß eine geeignete Vorlage bot. An der „Historia Fausti“ nahm ein frommes Bürgerpublikum sittliches Ärgernis, weshalb den Studenten von der Universitätszensur in Tübingen ver­boten wurde, „dergleich comedia“ weiter aufzuführen. Der Siegeszug des Faustspieles war aber weder durch obrig­keitliche Verbote noch durch den reaktionären Teil des Publikums aufzuhalten. In der Folge wurde das Volksschau­spiel vom Doktor Faust das meistgespielte und beliebteste Repertoirstück allerwandernden Komödianten- und Puppenspielertruppen. Sehr bald entstand auch die Legende von Christoph Wagner, dem Famulus Faustens, als zweiter Teil der Faustsage. Der Titel des ältesten, 1594 erschiene­nen Wagnerbuches lautet: »Ander Teil der Joh. Fausti Hi­storia, darin beschrieben ist Christophori Wagners, Fausti gewesenen Discipels, aufgerichteter Pakt mit dem Teufel. Neben einer feinen Beschreibung der neuen Inseln, was für Leute darin wohnen, was für Früchte darin wachsen, was sie für Religion und Götzendienst haben und wie sie von den Spaniern eingenommen werden.“ Die Dramati­sierung der Wagnersage war ebenfalls im Mittelalter bis in die Neuzeit sehr beliebt. Ein Frankfurter Theaterzettel vom 10. April 1742 berichtet von einer Frankfurter Aufführung:

„Mit gnädiger Bewilligung eines hochedlen und hochwei­sen Magistrates werden die allhier subsistierenden hoch­deutschen Komödianten heute Dienstags eine von uns noch niemals produzierte, durch und durch mit Lustbarkeit, Ari­en und Auszierungen des Theatri möglichst versehene Action produzieren, betitult: Das lasterhafte Leben und un­glückselige, ja schreckensvolle Ende Johannis Christophi Wagners, gewesenen Famuli und Nachfolgers in der Zau­berkunst des Fausti. – Ob es ein Gedicht oder die Wahr­heit sei, daß ein Doktor Faust in Rerum natura gewesen, will man hier nicht untersuchen, sondern nur die auf der­gleichen Lebensart billig folgende Strafe nützlich der Welt vor Augen stellen. Heute betritt das Theatrum Christoph Wagner, ein hinterlassener Diener Fausts, welcher nach dem Tode seines Herrn in denen magischen Büchern ge­lesen, endlich Selbsten mit dem höllischen Geist einen Kontrakt gemacht, unterschiedliche Zaubereien verübt, und endlich ein verzweifeltes Ende genommen“. Bei der Wallerotschen Truppe spielte den Wagner merk­würdigerweise ein „Frauenzimmer“. Viele der Szenen des Faust- und Wagnerspieles decken sich völlig. Wagner wie Faust beschwört die Geister, Wagner wie Faust schmaust „mit denen Studenten“ und zaubert eine schöne große Pa­stete aus der Erde und bohrt einen Tisch an, aus dem Wein herausfließt. Trotzdem kann man bei der Wagnersage nicht von einer bloßen oder blassen Imitation der Faustsage spre­chen. Sie ist, wie Carl Engel mit Recht sagt, »eine freie, neue, aus dem Stoff der Faustsage hervorgegangene Dich­tung«. Stofflich ganz unabhängig von der Faustsage ist die sehr originelle Reise Wagners nach Amerika. – Manche Parallele mit Faust- und Wagnersage weist die alte Legen­de von der Päpstin Jutta auf. Es ist zweifellos ein kühner Gedanke, die Päpstin Jutta mit Faust bzw. Wagner kurzer­hand zu konfrontieren – wobei der Volksdichter sich um die historische oder wenigstens legendäre Wahrheit den Teufel schert.

Er machte aus der Päpstin Jutta, die die Legende ins neunte Jahrhundert verlegt, eine Renaissanceerscheinung. Das alte Volksschauspiel von Christoph Wagner wird hier­in einer neuen Form dem Publikum unterbreitet, die das geistige Eigentum des Bearbeiters darstellt. Das Spiel will nicht mit dem gewaltigen Weltanschauungsdrama Goethes verglichen werden oder sich gar messen. Es will nur sei­nen bescheidenen Teil beitragen zur Neubelebung der deutschen Bühne, der neben zeitproblematischen Dramen großen und größten Stils dramatische Spiele (wie auch der »Kreidekreis« eines ist) not tun, die den Beschauer auf eine edle Art im Theater halten und unterhalten. -Für Philologen sei bemerkt, daß einzelne Dialogstellen aus alten Volksschauspielen wörtlich oder so gut wie wört­lich übernommen sind. So geht die erste Kasperszene des ersten Aktes auf die zweite Szene des fünften Aktes des alten Volksstückes „Der verlorene Sohn“ zurück. (Das sei­nerseits wohl auf den »Londoner verlorenen Sohn«, ein apokryphes Drama Shakespeares, zurückgeht.) Die zweite Kasperszene mit dem Studenten ist die Variation der siebten Szene des Volksschauspiels „Auterscheck und Ju­ratscheck“ oder „die Räuber in Siebenbürgen“ – ein Stück, das auf Schillers Räuber gewiß nicht ohne Einfluß geblie­ben ist. Aus dem im alten Spiel auftretenden Vater ist bei mir die Mutter geworden. Die Kasperszene des zweiten Aktes erinnert an eine ähnliche Szene des alten Spiels. Die Ermordung des Herzogs im zweiten Akt schien mir aus psycho- und bühnenlogischen Gründen notwendig. Durch Zufall entdeckte ich dann, daß in einer alten Bear­beitung des Volksschauspiels in Versen der Herzog eben­falls schon ermordet wird, allerdings durch Faust selbst:

FAUST: Wag dich nicht näher, eitler Tor!
Dein Weib, ich nehme es mit mir.
Ich bin der Faust und trotze dir.
HERZOG: Ha, Verwegener, das sollst du büßen!
(dringt auf Faust ein)
FAUST (mit einem Dolch):
Früher erreicht mein Dolch dich schon.
(er ersticht den Herzog)
So, jetzt liegst du zu meinen Füßen!

Die Kupidoszene des zweiten Aktes entnehme ich der „Comedia von der Macht des kleinen Knaben Kupidinis“ (Eng­lische Comedien und Tragedien, 1620). Die Kasperszene des dritten Aktes ist eine Variation einer Szene aus dem dritten Akt des Zauberspiels »Die Wasser- und Feuerpro­be«. Der vierte Akt ist völlig, der dritte im großen ganzen von mir neu geformt. Der fünfte Akt geht auf das Faust­spiel zurück. Die Szene mit der Anna Backedudel ist eine Art Einlage, um die Zeit zwischen den Glockenschlägen neun bis zwölf auszufüllen. Die Verse der Maria sind dem »Spiel von der Frau Jutta« entnommen, einige der letzten Verse des Kasper der gereimten Bearbeitung der Faust­sage (Tübingen 1588).

Die Schlußszene nach der Höllen- und Himmelfahrt ist ältesten Datums und stammt aus der Zeit, als die komi­sche Figur traditionell auch die Tragödien beschloß. Und nun: möge das deutsche Publikum diese Neuformung eines alten deutschen Spieles gnädig aufnehmen und möge das Motto des Wagnerspieles an ihm nicht zur Wahrheit werden: nimia doctrlna subinde Interüus sequilur — Möge ihm kein Untergang, möge ihm eine Auferstehung beschert sein!

Breslau, am Himmelfahrtstag 1925 – Klabund