… war der Geburtsort des Dadaismus, aber das „Cafe Voltaire“ war auch als Club, Galerie, Kneipe und Theater konzipiert.
Hugo Ball und Emmy Hennings gelten als Begründer des „Cafe Voltaire“ und der Kunstrichtung des Dadaismus. So ganz stimmt das aber nicht, wenn Wikipedia schreibt:
„… 1916 gehört Marietta zur Gründungsgruppe des „Cabaret Voltaire“ in Zürich, das als Wiege des Dadaismus gilt.“
Und hinter dieser „Marietta“ verbirgt sich die in München am Freitag den 10. März 1893 in der Gebäranstalt an der Sonnenstraße unehelich geborene Maria Kirndörfer.
Sie wächst bei Pflegeeltern auf, besucht die Klosterschule der „Englischen Fräulein in Burghausen“, in der auch Carola Neher zwischen 1906 und 1914 zur Schule ging und arbeitet anschließend al Kellnerin und Malermodell.
„Diese zierliche Kleine müsste einmal auf dem Podium stehen“ soll 1913 ein Unbekannter im „Simpl“ gesagt haben und so wird sie eher zufällig für die Bühne entdeckt.
Um es kurz zu machen, Klabund ist für ihren „Künstlernamen“ Marietta di Monaco verantwortlich und durch ihre Auftritte im „Simplicissimus“ lernt sie nicht nur Klabund, sondern auch Hugo Ball kennen. In meiner Klabund-Biographie schreibe ich:
„… Hugo Ball, Marietta und Klabund trafen sich häufig. Sie machten Scherzgedichte zu dreien, welche man als Vorläufer des Dadaismus bezeichnen könnte. Kaum waren sie allein im Cafe Stefanie oder auch nach dem Abendessen im Garten der Max-Emanuel-Brauerei, holten sie ihre Bleistifte hervor, um gemeinsame Verse aufs Papier zu fechten. Dazu erfanden sie ein Pseudonym und sagten, es wären Gedichte von „Klarinetta Klaball“.
Zurück in’s „Cafe Voltaire“ – Wikipedia schreibt:
„… Am 31. Mai 1916 führt sie (Marietta) dort zusammen mit Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco und Tristan Tzara das aufsehenerregende dadaistische Werk „Simultan Krippenspiel“ von Hugo Ball auf. Auch Hugo Ball als einer der wichtigsten Vertreter der in Fortführung des Expressionismus entwickelten avantgardistischen Kunst- und Literaturbewegung des Dadaismus bewegte sich wie Marietta zuvor in der Schwabinger Künstlerkolonie rund ums Simpl, wo bereits 1914 und damit das erste Mal in der Literaturgeschichte in einem von ihm und Klabund gemeinsam verfassten, von Marietta di Monaco vorgetragenen Gedicht der Begriff ‚Dada‘ auftaucht.“
Eröffnet aber wurde das Cafe Voltaire am 5. Februar 1916 Im Obergeschoss der Spiegelgasse 1, nur wenige Meter entfernt von der Spiegelgasse 14, in der damals Lenin wohnte. Wikipedia schreibt:
„… fanden dort allabendlich Veranstaltungen statt, bei denen zu Musik Manifeste, Lautgedichte, Tanz und dramatische Szenen vorgetragen wurden, unter anderem von und mit Hugo Ball, Emmy Hennings, Hans Arp, Richard Huelsenbeck, Marcel Janco, Tristan Tzara, Sophie Taeuber, Suzanne Perrottet. Zum weiteren Umkreis gehörten auch Walter Serner und Friedrich Glauser. An den Wänden hingen Bilder von Picasso, Arp, Macke, Marinetti, Modigliani und vielen anderen.“
Beliebt bei der Bevölkerung, aber auch in den Medien waren die Veranstaltungen gerade nicht, eigentlich unverständlich, denn hier präsentierte sich nicht nur Kunst in „neuem Gewand“, sondern das Kabarett war Treff- und Sammelpunkt der zahlreichen Exilanten, die aus ihren Krieg führenden Ländern fliehen wollten oder mussten. „Hugo Ball meinte später, seine Idee bei der Gründung sei gewesen, dass dort zahlreiche junge Menschen ihre Freiheit und Unabhängigkeit nicht nur leben, sondern laut proklamieren wollten“. (Wikipedia)
Auch Klabund tritt im „Cafe Voltaire“ auf – ein kurzes Gastspiel – für ihn aber wichtig, er trifft dort auf den Kreis der Kriegsgegner. An anderer Stelle habe ich geschrieben: „Aber sicher die wichtigste Rolle spielte der Freund Rene Schickele und so schreibt Fredi seht bald für dessen „Weiße Blätter“ und bekommt endlich die ersehnte Möglichkeit, sich öffentlich zu einer antikriegerischen und weltoffenen Position zu bekennen.“
Zwar gilt Zürich und das „Cafe Voltaire“ als der Gründungsort des Dadaismus, aber bereits im Sommer 1916 schwärmten „Dadaisten“ aus und gründeten in den Metropolen Paris, Berlin und New York Gruppen, ganz zu schweigen von Köln, Hannover und Genf und anderen Städten.
Wikipedia schreibt:
„… . Die zum Teil immer provokativer werdenden Aktionen der Dadaisten nutzten sich ab. Allgemein wird davon ausgegangen, dass 1922 das Ende der Bewegung einsetzte. Einige Dadaisten schlossen sich danach den Surrealisten an.“
Surrealismus beschreibt Wikipedia so:
„… Surrealismus bezeichnet eine geistige Bewegung, die sich seit den 1920er Jahren als Lebenshaltung und Lebenskunst gegen traditionelle Normen äußert. Sie findet bis in die Gegenwart sowohl philosophisch als auch in den Medien, Literatur, Kunst und Film ihren Ausdruck. Im Unterschied zum satirischen Ansatz des Dada werden gegen die herrschenden Auffassungen vor allem psychoanalytisch begründete Theorien verarbeitet. Traumhaftes, Unbewusstes, Absurdes und Phantastisches sind daher Merkmale der literarischen, bildnerischen und filmischen Ausdrucksmittel. Auf diese Weise sollen neue Erfahrungen gemacht und neue Erkenntnisse gewonnen werden. Das Wort „Surrealismus“ bedeutet wörtlich „über dem Realismus“ Etwas, das als surreal bezeichnet wird, wirkt traumhaft im Sinne von unwirklich.“
Warum Hugo Ball und Emmy Hennings sich sehr bald wieder aus dem „Cafe Voltaire“ zurückziehen, wird im Kapitel über das Paar zu lesen sein. Aber die Schließung Ende Juni 1916 erfolgte hauptsächlich wegen finanziellen Schwierigkeiten. In den Jahren danach wurden die Räumlichkeiten sehr unterschiedlich genutzt. Darüber habe ich allerdings nichts gefunden.
Erst im Jahre 2002 erwachte das Cafe aus seinem „Dornröschenschlaf“. Angeblich sollte in den ehemaligen Räumen eine Apotheke eröffnet werden.
Wikipedia schreibt dazu:
„… Als im Jahr 2002 die Umnutzung des Gebäudes des ehemaligen Cabaret Voltaire als Apotheke und Eigentumswohnung drohte, wurde das Gebäude von Künstlern wie Jan Theiler, Mark Divo, Mikry Drei, Lennie Lee und Dan Jones aus dem Umfeld der Künstlergruppe Kroesus (auch Fondation Kroesus) besetzt. Diese Künstler versuchten, die Dada-Bewegung als Neo-Dada wiederzubeleben, veranstalteten Ausstellungen, Konzerte, offene Bühnen, Dada-Messen mit Pastor Leumund, (gleich Jan Theiler) Lesungen, Workshops, Partys und Dadafestwochen. Durch die Besetzung rückte das Gebäude und sein kunsthistorischer Kontext erstmals in das Bewusstsein der Bewohner Zürichs. Die Besetzer wurden vertrieben, das Haus wurde geräumt und der Nutzung als eine regulär von der Stadt Zürich betriebene Kulturinstitution zugeführt. (…)
Mit dem seit 2004 in institutioneller Form bestehenden Cabaret Voltaire sind einige Post-Dadaisten wie Jonathan Meese lose assoziiert. Das neue Cabaret Voltaire entstand dank dem Einsatz von Dada-Freunden. (…) So konnte die Spiegelgasse 1 einer Professionalisierungsphase zugeführt werden. (…) Im Erd-, bzw. Untergeschoss wurde ein Ausstellungsraum – Krypta – und ein Shop eingerichtet. Im Obergeschoss befindet sich ein Café mit Veranstaltungsraum im historischen Hinterzimmer, der damaligen „Meierei“.
Das Cabaret Voltaire adoptiert heute Persönlichkeiten und feiert sie als Dadaisten, wie zum Beispiel Alexander Archipenko, Tatsuo Okada oder Michail Bakunin, dessen Grab im Bremgarten Friedhof in Bern sie mit anderen anonymen Sponsoren 2014 erhalten, und auch mit einer neuen Plakette des Schweizer Künstlers Daniel Garbade renoviert haben.
Finanzierung
Der Trägerverein finanziert den Betrieb teils von öffentlicher, teils von privater Hand. Die Stadt Zürich trägt die Mietkosten. 2008 ergriff die SVP (Schweizerische Volkspartei) das Referendum dagegen, dass die Stadt Zürich sich weiterhin am Betrieb des Cabaret Voltaire beteilige. Das Referendumskomitee „Zürich ist nicht gaga: Keine Steuergelder für Dada!“ erlitt jedoch eine klare Abfuhr. Bei der Abstimmung sprach sich eine deutliche Mehrheit der Stimmberechtigten für die Weiterbeteiligung aus, was das Weiterbestehen des Cabaret Voltaire garantierte.“
Aus einer Stellungnahme des Vorstand „Cabaret Voltaire“:
„… Das Museum Cabaret Voltaire ist der Ursprungsort der weltweit bekannten Dada-Bewegung. (…) Das Programm des Cabaret Voltaire lebte und lebt stark von der Besonderheit des Ortes: dem Saal für Aufführungen und Aktivitäten unterschiedlichster Art, dem Barbetrieb, den zugänglichen Räumen davor und darunter, dem Eingangsbereich, der die Tür zur Stadt und zugleich zur Welt bildete und bildet.
1916 war das Cabaret Voltaire ein Ort, an dem die damalige durch Krieg und Exil geprägte Gegenwart das Bedürfnis weckte, sich von den gegebenen Zeitumständen und ihren ideologischen Verengungen radikal (negativ) abzusetzen, um stattdessen neue Weisen der Kooperation und Kritik, experimentelle Formen der Aufführung und Inszenierung sowie neu entdeckte Medien der Reflexion und Dokumentation zu erproben. Dada war insgesamt keine Kunstrichtung, die sich in erster Linie mit der Vergangenheit sowie überhaupt mit dem bereits Bekannten befasste. Viel mehr setzte Dada in zuvor ungekannter Radikalität auf die Auseinandersetzung mit dem, was noch unbekannt war, mit dem, was gerade in der Gegenwart passierte oder noch passieren könnte, um daraus Ideen für die Zukunft zu entwickeln. (…)
Die damaligen Aktivitäten der Dadaist*innen bewegten sich allesamt in Spannungsfeldern: zwischen Kunst und Nicht-Kunst, Planung und Zufall, Sinn und Unsinn, Behauptung und Realisierung, lokalen Besonderheiten und internationaler Vernetzung, intensiven Livemomenten und – was oft vergessen geht – Bestrebungen nach Anerkennung und Dauer. Diese Spannungsfelder bestehen auch heute noch. Sie sind unauflöslicher Teil der fortlaufenden Geschichte von Dada. Das Programm des Cabaret Voltaire ist sich dessen bewusst, ortet diese Spannungen in ihrer jeweils aktuellen Ausprägung und arbeitet mit ihnen. Sie unterzieht sie so einem permanenten “Gegenwarts-Check”.
Im Zeitraum von 2004–2019 sind über 64 Ausstellung und unzählige Veranstaltungen und Aktionen realisiert worden, in denen Dada in seinen unterschiedlichen Formen und Inhalten befragt und aktualisiert wurde. In den 15 Jahren musste das Cabaret Voltaire immer wieder um seine Akzeptanz sowie sein Dasein kämpfen und es wurde zum bedeutenden Ort der philosophischen und künstlerischen Auseinandersetzung mit Dada und zum Ort der Kunst! (…)
Das Cabaret Voltaire ist Besucher*innen in seiner analogen Form im Stadtarchiv Zürich zugänglich, wo sich die Vielzahl aller Dokumente, AV-Medien, Publikationen sowie diverses, objekthaftes Ausstellungsmaterial der vergangenen 15 Jahre befindet.“