Nachdichtungen chinesischer Lyrik von Klabund
Erschienen im Erich Reiss Verlag – Berlin 1921
Der toten Freundin
Ich habe diese Verse Dir diktiert.
Du hast den Pinsel sorgsam noch geführt,
Mit deinen zarten Pfirsichblütenhänden
Das Bild zu enden, zu vollenden.
Nun weilst du längst am dunklen Totenstrand.
Der Pinsel sank aus der geschäftigen Hand.
Mir sank das Haupt. Ich steige vom Kothurne
Und häng mein letztes Lied an deine Urne.
Die Sittsame
Steige nicht mehr von der Weide
Übern Zaun in die Rapunzeln.
Willst du, daß ich Arges leide?
Nachbarn möchten boshaft schmunzeln.
Schwing dich nicht vom Maulbeerzweige
Übern Zaun in unsre Gründe.
Glaubst du, daß mein Bruder schweige?
Und ich weiß, es ist doch Sünde.
Ach, zerbrich des Zaunes Latten
Nicht und laß die Sandel leben!
Dem nur, den ich meinen Gatten
Nennen darf, bin ich ergeben.
Schi-king
Ruderlied
Und der Herbst hat sich erhoben,
Und die wilden Gänse toben.
Führ das Ruder, lieber Bruder,
Eh in Asche du zerstoben.
Laß, o laß die Chrysanthemen,
Laß, o laß die blassen Schemen!
Führ das Ruder, lieber Bruder,
Und die Wogen laß uns zähmen.
Nimm ein Weib nach deiner Weise
Auf die wilde Wogenreise.
Führ das Ruder, lieber Bruder,
Eh der Kiel zerbarst im Eise.
Kaiser Wu-ti
Lied vom Weißen Haupt
Wie der Schnee so weiß,
Wie der Mond so weiß
Werden unsre Häupter einmal sein …
Heute in der Nacht
Bin ich aufgewacht,
Und ich fühlte, daß du nicht mehr mein.
Noch ein letztes Mal
Füll ich den Pokal,
Werf ihn dann zu Scherben in den Kot.
Dunkel weint der Fluß,
Weil ich scheiden muß,
Tränenlos besteige ich das Boot.
West und Ost getrennt,
Meine Wange brennt –
Mädchen, sprich, wenn es zur Hochzeit geht:
Liebster, schwöre mir:
Ich gehöre dir,
Bis dein Haupt in weißer Blüte steht…
Weng-kiun
Der zarte Vogel
Am Ufer, hinter Weiden, blüht ein Haus.
Ein zartes Mädchen sieht zur Tür hinaus.
An der Voliere steht der Mandarin.
Ein zarter Vogel singt und hüpft darin.
Verschließ den Käfig! Hüte gut das Haus!
Sonst fliegt der Vogel in den Wald hinaus!
Mei-scheng
Die Verlassene
Ich bin so voll von Liebe und bewegt
Von Winden wie ein Baum, der Blüten trägt.
Die Pfirsichblüten schneien vom Geäst,
Es blüht mein Baum zum heiligen Frühlingsfest.
Nun steigt der kühle Herbstwind aus der Bucht.
Ich stehe kahl und trage keine Frucht.
Es regnet Asche. Meine Wange glüht.
Der Pfirsichbaum hat allzusehr geblüht.
Ein Mädchen aus Mo-ling
Der Fächer
Wie fiel im Sommer Reif auf meines Dorfes Dächer ?
So weiß wie Reif und Schnee ist dieser Seidenfächer.
Ihn schickt ein Mädchen aus der Landschaft U,
Er fächle dir Erinnerungen zu …
Wenn einst der Reif in deinen Gärten liegt
Und Winterwind die dürren Äste biegt –
Bedarfst des Frühlingsfächers du nicht mehr…
O sprich:
Wirfst du ihn dann so achtlos weg – wie mich ?
Pang-tschi-yü
Die Brandstifterin
Ich grüße Euch vom Pferde, o scharmante,
Bezaubernde Prinzessin im Gesträuch!
Ich trug mein Herz, das allzu licht entbrannte,
Behutsam wie ein Windlicht nun zu Euch.
In Eurer Hand hat sich der Mond gefangen,
Euch fliegt die Blume zu, wenn Ihr sie pflückt.
Um Eure Stirn die Himmelswinde sangen,
Die Gräser, die Ihr streift, sind zart beglückt.
Die Wolke des Unsterblichen ist Euer
Wie eine Glocke schwingendes Gewand.
Die Residenz setzt Euer Blick in Feuer.
Seht, auch der Hie-koh ist schon ganz verbrannt …
Ein Hie-koh-Lied
Sie gedenkt des fernen Gatten
Mir tat die Helligkeit der Lampe weh…
Ich löschte sie. Nun blinkt der Mond im See.
Mir ist ein bittrer Tränentrunk kredenzt,
Auf dessen Grund dein goldnes Antlitz glänzt.
Wang-seng-yu
Lotos und Mädchen auf dem Teich
Lotosblatt und Frauenkleid,
Lotosblüte, Mädchenblüte,
Weit im Teiche schwimmt dein Boot,
Und ich kann nicht unterscheiden
Mensch und Blume von euch beiden,
Weil ihr ineinander loht:
Lotosblatt und Frauenkleid,
Lotosblüte, Mädchenblüte …
Wang-tschang-li
Die drei Frauen des Mandarinen
Die rechtmäßige Frau spricht:
Der Krug ist gut gefüllt. Das Mahl bereit.
Reicht mir den Arm mein Gatte zum Geleit?
Die Nebenfrau spricht:
Der Becher winkt. Die Gans lockt zum Verbleib.
Wer kinderlos, nimmt sich ein zweites Weib.
Die Dienerin spricht:
Der Wein schmeckt süß. Noch süßer das Konfekt.
Wohl weiß ich, was mein Herr am liebsten schleckt …
Der Mandarin spricht:
Kein Wein im Glase, keine Gans im Schacht –
Ist’s recht, daß ihr mich alten Mann verlacht?
Tschau-hong
Auf dem Flusse Tschu
Blick ich aus dem blassen Kahne
Nieder in die Wasserwildnis:
Zwischen Schilf und Wolkenfahne
Schwimmt des Mondes goldnes Bildnis.
So in meiner Seele funkelt
Die Geliebte groß und prächtig.
Sonne tags den Mond verdunkelt:
Riesig strahlt er mitternächtig.
Thu-fu
Der Kaiser
Das goldne Licht des sonnenhaften Thrones
Fällt auf der Majestät gefurchte Mienen.
Um die Gestalt des hohen Himmelssohnes
Stehn in Ergebenheit die Mandarinen.
Er blickt, dieweil er leitet Licht und Land,
Durchs offne Fenster in den Blütenreigen.
Ein Blumenantlitz ist ihm zugewandt.
Ein Fächer winkt. Der Kaiser hebt die Hand
Und schreitet zwischen Köpfen, die sich neigen.
Rückkehr in das Dorf Ki-ang
Am Neujahrstag erbat ich Audienz.
Der Kaiser war wie immer mir gewogen.
Er gab mir Urlaub. Urlaub bis zum Lenz.
Zu Weib und Kindern bin ich heimgezogen.
Im Westen geht die rote Sonne unter.
Die Spatzen lärmen irgendwo am Tor.
Ich bin am Ziel. Aus Sträuchern lächelt bunter
Bewimpelt wie ein Schiff mein Haus hervor.
Mein Weib! Mein Kind! Da bin ich endlich wieder!
Ihr findet Worte nicht und Tränen nur.
Der Bürgerkrieg zerreißt des Landes Glieder,
Und Galgen stehn statt Bäume auf der Flur.
Ich mußte blutend tausend Meilen rennen,
An tausend Galgen sah ich mich verwehn.
Es wird schon Nacht. Komm, laß die Lampe brennen
Und laß uns schweigend in die Augen sehn …
Einbruch der Hunnen
Der Yu-tschan-Ritter trägt eine Ziegenfellmütze und reitet ein Präriepferd.
Aus seinem grünen Aug ein Blitzstrahl fährt.
Er ist nicht geschaffen zum Ackern und Kärrnen.
Er spannt den Halbmond wie einen Bogen und schießt mit Sternen.
Die Hunnen kamen gezogen vom Baikalsee,
Von des Yang-tschi-tschang-Gebirges ewigem Schnee,
Mit Troß und Roß, mit Weib und Kind,
Mit Ochs und Rind, mit Sturm und Wind.
Sie fressen das rohe Fleisch in sich hinein.
Sie schwanken trunken im Sattel vom geraubten Wein.
Die Raben zu ihren Häuptern krächzen. Die Frauen singen.
Der Sirius blinkt in ihren roten Klingen.
An den Mond
Ich sitz beim Becher hier im Hag
Und warte, daß der Mond erscheinen mag.
Ein Strahl erglänzt. Geheim beginnt ein Chor.
Es hält der Mond mir seinen Spiegel vor.
Wer bin ich, Mond, und wer bist du?
Ich bin der Taumel. Und du bist die Ruh.
Der goldne Hase braut das Elixier
Des ewigen Lebens – braut er’s mir?
Jahrtausende schon sahen auf den Mond,
Wo Göttin Tschang-ngu unvergänglich thront.
O wandle, Göttin, daß dein Schleier walle,
Ein Strahl aus deinem Aug in meinen Becher falle…
Das Haus im Herzen
Ein wildes Feuer hat mein Haus verschlungen,
Ich hab mich an den großen Fluß gerettet
Und eine schwarze Barke losgekettet,
Im Strome treibend meinen Schmerz gesungen.
Der Mond zog vor sein Antlitz eine Wolke,
Die Berge sind vor mir ins Knie gebrochen.
Aus meinem Leide stieg ein Lied zum Volke:
Die Bonzen haben meinen Spruch gesprochen.
Schon wollt den Schmerz ich mit dem Dolche merzen,
Da durft ich eine goldne Barke schauen
Und eine Frau darin … in ihrem Herzen
Will ich ein neues Haus mir auferbauen …
Thu-fu
Der wilde Jäger
Das ist der kühne Jäger,
Den Falken auf der Faust jagt er durchs Feld.
Wir sind der Weisheit bedächtige Heger,
Er ist die wilde Welt,
Die wahre Welt.
Er galoppiert über die Steppe,
Sein Schatten folgt ihm fast zu spät.
Er tritt dem Fürsten auf die Mantelschleppe.
Was tut’s? Er ist die Majestät,
Die wahre Majestät.
Zwei Kraniche erlegt er mit einem Schuß.
Der Gelehrte hockt hinter verschlossenem Fenster,
vergreist und grau.
Aber seine Gattin sendet dem wilden Jäger einen Kuß.
Ihn liebt die schöne junge Frau,
Die wahre Frau.
Ein junges Liebespaar sieht sich überrascht
Wie kam es, daß ich heut betroffen
Im Mondlicht stehen blieb?
Die Pforte eines Parkes sah ich offen,
Ein Jüngling hatte seine Freundin lieb.
Im Buchsbaum schwirrte eines Vogels Fittich.
Die Schnäbelnden erschraken, und es stob
Ins grelle Mondlicht hell der eine Sittich,
Indes der andre sich ins Dunkel hob.
Trunkenes Lied
Ich will meinen Pelz versaufen,
Herr Wirt.
Ich will mir einen Knaben kaufen,
Der mein lieblicher Diener wird.
Der Pelz hält außen warm;
Der Wein heizt innen.
Hängt, eine Kette, Euch in meinen Arm!
Das Leben ward noch nie begonnen. Wir wollen’s beginnen.
Tschau-tschi war ein guter Dichter und konnte prächtig saufen.
Könnt ich’s ihm gleichtun!
Ich will mein Pferd verkaufen,
Und will es gleich tun.
Die Philosophie ist eine Gottesgabe.
Es gab Philosophen, die nie einen Tropfen
getrunken haben.
Glaubt Ihr, daß sie im Grabe
Weniger gestunken haben?
Ich will meine Schuhe in Zahlung geben;
Ich muß noch manchen Becher durch die Kehle
seiben,
Ich kann ja auf allen Vieren nach Hause streben,
Meinetwegen will ich auch ewig hier liegen bleiben.
Li-tai-pe
Gemeinsame Lektüre
Die zarte Inbrunst mag sich so entfalten:
Du blätterst Blatt um Blatt in einem Buche.
Und plötzlich mußt du leise innehalten:
Du bist betäubt von einem süßen Ruche,
Der aus den Seiten dir entgegenschlägt.
Du bist von einem holden Hauch bewegt –
Als nun die Freundin, deren Herz sich regt,
Die Wange sacht an deine Wange legt.
Fest der Jugend
Zum Tanz! Zum Tanz! Schon stürzt herbei
Der Mond, der goldne Tänzer.
Und unsere Brust zerreißt im Schrei
Der Lust: Noch sind wir Lenzer!
Der Mond hat unser Haar gebleicht
Und nicht das graue Alter…
Ein Liebespaar sich seitwärts schleicht,
Und um die rote Lampe streicht
Verliebt ein schwarzer Falter.
Einsamer Trinker am Meer
Die Sonne ruht auf Baum und Bucht.
Gefallne Blätter betten sich im Winde.
Ein Vogel sucht sein Nest. Ein Fräulein ihr Gesinde.
Und eine Wolke schläft in dunkler Schlucht.
Mein Herz ist einsam, weil es keinen Reim hat.
Ich sitz am Meer. Im Schaum erblühn Gedanken,
Die sich zur Oleanderlaube ranken.
Ich sitz und trink. Weit draußen liegt die Heimat.
Beim vollen Becher
Song-tschang ging auf dem Berg King-hau in Strahlen auf.
Was blieb von dem Unsterblichen? Ein Haufen Asche.
Ngan-ki stieg schon als Mensch zu heiligen Malen auf.
Er ließ das Netz zurück. Der Fisch ging durch die Masche.
Ein Blitz bei Nacht: die Dauer unsres Lebens.
Die Zeit läuft über unser Steingesicht
Wie Licht und Schatten. Und die Sonne sticht,
Der Schatten läßt gefrieren uns. Vergebens
Erwartest du Genossen dir zum Weine.
Denn niemand kommt. Der Becher glänzt. Du bist alleine.
Li-tai-pe
Tempel in der Einsamkeit
Heilige Stille, die mich hier umfängt
Wie die Mutter ihren Sohn.
Nur der Glocke und des Stromes Ton
Schwanken sanft, ein Zweig, mit Tau behängt.
Dicht am Wasser die Pagode
Überragt den Mond,
Der im Strome thront,
Welcher singt wie Pe-ya’s Ode.
Schweigen will ich künftig,
Denn die Worte sind wie billige Perlen.
Heilige Fichten! Heilige Erlen!
Schweigen will ich mit euch künftig!
Bekenntnis
Über alle Stränge will ich schlagen,
Alles Enge in die Weite tragen.
Tiger brachen liebend in die Knie,
Wenn ich zu dem Himmelsvater schrie.
Kröten kamen sanft zu mir gekrochen,
Und der Koch mag nicht mehr Hühnchen kochen.
Berge stürzen stumm in sich zusammen,
Tausend Sonnen werden nächtlich flammen,
Wenn mir meine größte Tat gelang:
Daß ich meine Hoffart niederzwang
Und dem letzten Mörder mich vereinte,
Den der Pöbel vor den Toren steinte,
Ach, nicht wissend, daß ein Bruder falle.
Mörder, Mörder, Mörder sind wir alle.
Dem König von Wu droht der Untergang
Ein Rabe schreitet dunkel auf dem First
Des Schlosses von Ku-su. Im Saale drinnen
Knien vor dem Könige die Tänzerinnen.
»Si-schy,« er lächelt, »wie du mich verwirrst!«
Die Sonne sinkt. Die Wasseruhr jagt jach.
Der Mond steigt auf, im Strome zu versinken.
Die Sonne kehrt zurück. Die Gräser blinken.
Der Rabe steht noch immer auf dem Dach.
Klage einer Prinzessin, die einem Tatarenfürsten anverlobt wurde
Der wilde Gänserich der Mongolei
Läßt wild ertönen seinen Hochzeitsschrei.
Des Südens Rebhuhn, das er sich erkor,
Schreckt scheu und schüchtern aus dem Rohr empor.
Im Norden fällt der Schnee, der Gletscherwind
Betäubt des Südens heißes Sonnenkind.
Not droht und Tod. Das Feuer bald verschwält,
Wenn Süden sich dem Norden anvermählt.
Ach, stürbe ich, ehe mich, von Frost bereift,
Der Schneegemahl zum eisigen Brautbett schleift.
Zu Schiff
Die jungen Flötenspielerinnen schreiben
Die goldnen Noten in die blaue Nacht.
Die Dschunken schwanken trunken in der Gracht.
Die Bise wird uns an die Wiese treiben.
Der Gott, der auf dem gelben Storche reitet,
Lädt mich zum Ritt auf weißer Möwe ein.
Und ich erhebe mich im heiligen Schein,
Der weiß vom Mond zum Meer herniedergleitet.
Die Flöte tönt. Mit meinem Lied erschütter
Die heiligen fünf Hügel ich. Es muß
Der hohe Baum zersplittern im Gewitter. –
Stromaufwärts donnert der bestürzte Fluß.
Improvisation
Pfirsichblüte,
Wie süß du duftest,
Bunte Trösterin,
Wenn die Regenfee
Sich über dich beugt
Und ihre Tränen
Dich benetzen.
An die Göttin Ma-ku
Jenseits des grünen Meeres
Wohnt die Göttin Ma-ku.
Sie schöpft es in ein leeres
Gefäß immerzu.
Die See umstürmt das Eiland.
Der Walfisch schnaubt. Kein Schiff
Trägt mich zu meinem Heiland
Durch Woge, Blitz und Riff.
Ein Vogel mit blauem Gefieder
Schwebt über das Meer. Kiwitt.
Ich gebe ihm meine Lieder
Und meine Sehnsucht mit.
Improvisation für Tai-tsun, die Geliebte des Kaisers Ming-hoang-ti
Blume
Frau
Dem Kaiser ist ein Lächeln eingegraben
Eisernes Lächeln
Unvergänglich
Seit er dich sah.
Die Jahreszeiten fliehen an dir vorüber
Auf jagenden Rossen;
Du bleibst dir gleich
Dir treu.
Auf der Nordseite der Terrasse
Beugst du die jungfräulichen Brüste über das
Blumengeländer
Eine Blume zwischen den Lippen.
Geleit
Ich geb dir bis zum Ostertor
Das schmerzliche Geleite.
Du reitest in den Frühlingsflor.
Ich schreite, schreite, schreite.
Dort windet sich der Weg am Berg.
Du singst, indes ich schweige.
Du bist nur du, ich bin mein Werk.
Ich steige, steige, steige.
Dein Sinn ist leicht, wie Wolken sind,
Du fliegst durch tausend Reiche.
Dein Pferd ist schneller als der Wind.
Ich schleiche, schleiche, schleiche.
Leb wohl! Auf Wiedersehn – vielleicht:
Beim ewigen Lautenstimmer.
Du hast die Herberg bald erreicht,
Ich – nimmer, nimmer, nimmer.
An der Flußmündung
Die Wellen im Mondlicht glänzen wie tausend Fische
Auf dem Wege zum Meer.
Ich treibe im Kahn, und mit dem Ruder wische
Ich zärtlich einige Lotosblüten zu mir her.
Mich schmerzt ein jeder Atemzug – das Heute wie das Gestern,
ich fluche meinem Ruhm, dem Wein, dem Fraß, den goldnen Tressen.
Da haben die Lotosblumen im Winde zu flüstern sich vermessen:
Vergiß die Traurigkeit! Wir sind dir gut wie Schwestern!
Selbstvergessenheit
Der Strom – floß,
Der Mond vergoß,
Der Mond vergaß sein Licht – und ich vergaß
Mich selbst, als ich so saß
Beim Weine.
Die Vögel waren weit,
Das Leid war weit,
Und Menschen gab es keine.
Li-tai-pe
Das nächtliche Lied und die fremde Frau
Ich hörte eine Stimme durch die Nacht,
Die hat mein Reisigherz zur Glut entfacht.
Sie sang im Strom. Sie sang auf einem Boot.
Der Mond hing hoch und apfelsinenrot.
Da schwieg das Lied, das Boot trieb wie versteint.
Und eine leise Stimme hat geweint.
Ich sah das Schiff. An seinem Mastbaum stand
Ein junges Weib, dem Monde zugewandt.
Sie stand am Mast und sah hinauf zum Licht.
Ich rief sie an, doch hörte sie mich nicht.
Sie stand am Mast, mit Mondenlicht bestaubt,
Und sprach kein Wort und schüttelte das Haupt.
Pe-kiü-y
Auflösung
Die Stadt Hsien-yang erblüht im Mai.
Gelag und Tanz. Ich bin dabei!
Es komme, wie es kommen mag.
Ich bin dabei: Tanz und Gelag.
Die Freundin flicht sich einen Kranz.
Ich bin dabei: Gelag und Tanz.
Ich liege auf den Kissen und
Bin gut und glücklich ohne Grund.
Ja, ohne Grund – so wie das Meer.
Ich bin von Wein und Weisheit schwer.
Doch immer leichter wird mein Sinn,
Ich ahne, daß ich nicht mehr bin.
Ich bin durch Liebe, Sang und Wein
Ins Paradies gegangen ein.
Ich bin nicht mehr. Ich bin nicht mehr.
O Glück! O Tanz! O Glanz! O Meer!
Auf dem Fluß
Ein Boot aus Ebenholz und eine Jadeflöte.
Ein Lied. Der Frühling. Eine schöne Frau.
Mein Herz blüht rot. Der Himmel blau
Und blau das Meer.
Ich zaubre auf der Freundin Wangen
Mit meinem Liede eine leise Röte:
Ich zaubere die Morgenröte Her.
Es ist die Nacht mit uns … vergangen.
Ich weiß es nicht, wohin ich steure.
O ihr Unsterblichen, ich bin der Eure.
Improvisationen
1.
Die Libelle schwebt zitternd und schillernd über dem Teich.
Der liegt glatt und regungslos. –
So bebt mein Herz
An deinem Herzen.
2.
Das Pfauenauge tanzt von Blume zu Blume.
Die Weinbergschnecke braucht eine Woche von der Rose bis zur Narzisse.
Deine Liebe ist die Liebe des Pfauenauges,
Meine Liebe ist die Liebe der Weinbergschnecke.
3.
Ich sah einen Raubvogel über dem Garten kreisen.
Der Hund bellte. Die Hühner wurden unruhig.
Da sah ich dich am Fliederzaun winken.
Meine Augen verschleierten sich. Mein Blut rauschte.
4.
Der Himmel blüht wie eine dunkle Dolde.
Der Fluß fließt durch die Nacht. Das Herz tickt.
Jenseits des Stromes wandert ein Licht über die Heide:
Ein Arzt, der zum Kranken eilt, oder ein Jäger
oder mein Mädchen, das zum Nebenbuhler schleicht.
Schmetterlinge
Schmetterlinge in den Lenzen:
Ist der Schmelz auf euren Schwingen
Das, wovon die Dichter singen?
Süßer Seele leises Glänzen?
Anonymus der Sammlung Thang-schi-yie-tsai
Reise durch die Sommernacht
Schöne Dämmrung, deine Kühle
Breit ich ihr und mir zum Pfühle;
Diese laue Sommernacht
Ist zum Reisen wie gemacht.
Und ich hab das Dach vom Wagen
Sachte, sacht zurückgeschlagen,
Daß der volle Mond den Schlaf
Meines holden Mädchens traf.
Brust und Erde atmen wohlig.
Sinnend lausch dem Goldpirol ich.
Hoch vom Bambus tropft der Tau
Auf die Stirne meiner Frau.
Im Morgengrauen
Mich fröstelt kalt. Der Docht verglüht.
Ich wurde alt. Ich wurde müd.
Durchs Fenster in mein Zimmer bricht
Die Morgenröte und sieht mich nicht.
Sie tanzt, ein eitles Weib, vorbei
Und spiegelt im Spiegel ihr Konterfei.
Die Hofdamen
Des Mittags Schweigen liegt auf der Terrasse.
Es ist so still. Die Blumen duften leise.
Und schattenhaft bewegen sich zwei blasse
Gestalten unterm Oleanderkreise.
Die eine hebt den Kopf, versucht zu sprechen,
Daß nicht ein unterdrückter Schrei sie sprenge.
Da stutzt sie, schweigt – um einen Zweig zu brechen.
Ein Papagei hüpft schillernd vom Gestänge.
Thu-hing-yu
Das Erfrorene Herz
Der Sperling pickt die letzten Vogelmieren.
Schon läßt ein kalter Wind die Bäche frieren.
Ach, käme doch der Frühling bald! die Quellen,
Wie würden hurtig sie zu Tale schnellen!
Die du mich doch nicht frieren sehen willst:
Komm, meine Sonne, daß mein Schneeherz schmilzt…
Herbstliche Elegie
Der Unsterbliche meißelte am Marmorbild des
Himmels, daß Splitter stiebten
Und auf die Erde fielen. Die liegen nun auf den Gräsern als Reif.
Wir wollten schlafen gehen, aber der Vogel Greif
Erschreckt uns mit dem Ruf nach der Geliebten.
Die Lampe lischt. Die bleichen Sterne scheinen.
Von meinem Herzen sind so viele Splitter abgesprungen,
Ich hab so viele Lieder in die Welt gesungen,
Nicht eines fand ein Echo bei der Einen …
Die Unbestechliche
Ihr wißt es wohl, ich habe einen Mann,
Und dennoch bietet Ihr mir Perlen an.
Ich ließ die Perlen schimmern auf der Haut
Des Halses, und ich träumte mich als Braut…
Es ist mir untertan viel Traum und Troß.
Mein Schloß steht mauerdicht am Kaiserschloß.
Mein Gatte führt die Lanze und das Schwert
Und hat in manchen Schlachten sich bewährt.
Verzeiht, Durchlaucht, gewiß… ich zweifle nicht,
Daß Eure Neigung rein wie Sonnenlicht.
Doch schwur ich Treue dem gewählten Mann,
Die ich nicht brechen will noch brechen kann.
Ich gebe Euch die Perlen hier zurück,
Und Tränen perlen weiß in meinem Blick.
Warum hat Gott, den jedes Schicksal rührt,
Euch, als ich frei, nicht an mein Herz geführt?
Tschang-tsi
Das Blumenschiff
Im Meere hinter Brandungsschaum und Riff
Schwimmt wie ein Kormoran das Blumenschiff.
Ich bin nicht gegen seinen Duft gefeit.
Ich heb den Arm. Das Schiff ist allzu weit.
Mimosen hängen traubengleich am Bug.
Ein Fächer schlägt den Takt zum Ruderzug.
Ich werfe eine Blume in das Meer,
Die treibt nun auf den Wellen hin und her.
Vielleicht, daß, wenn der Wind sich abends dreht,
Er meine Blume bis zur Barke weht…
Su-tung-po
Die Schaukel
Frühlingsnacht.
An der Mauer steh ich stumm gelehnt.
Echo lacht
Einem Lachen, das mich ferne wähnt…
Flöte klingt.
Mir zu Füßen blinkt ein Tränensee.
Eine Schaukel schwingt
Bis zur Mauer fast, an der ich steh…
Der Bauer und die Erde
Wie eine Wolke weißer Schmetterlinge
Befällt der Schnee den Acker und die Schwinge.
Der Bauer legt den heiligen Spaten nieder,
Sonnt am Kamine die erstarrten Glieder.
Er schnallt sich enger um die Brust den Riem,
Die Erde schläft den Winterschlaf gleich ihm.
Doch wenn des Frühlings laue Tage blaun:
Wird er ihr neue Saaten anvertraun.
Die Saat wird sprossen, sein Gedanke blühn,
Die Erde himmlisch ihm entgegenglühn.
Und nieder stürzt er auf die braunen Schollen,
Die ihm wie Frauenbrüste brustwärts rollen.
Su-tung-po
Die unendliche Woge
Wie des Meeres Wellen
Auf und nieder wellen:
Also wogt unendlich mein Verlangen,
Dich zu fangen, zu umfangen.
Wie entflieh ich meinem Wahne?
Neige ich mich aus dem Kahne:
Immer seh den einzigen Gedanken
Ich im Meere auf und nieder schwanken.
Der zahme Vogel
Ich habe einen zahmen Vogel. Streichelst du
ihn mit zarten Händen,
Glaubt er aus Furcht vor deiner Liebe zu verenden.
Du läßt ihn frei ins freie Waldrevier.
Er springt
Zurück in deinen Käfig, singt
Und singt –
Von dir.
Su-tung-po
Das Weidenblatt
Die junge Frau des goldnen Fensterrahmens,
Ich liebe sie nicht wegen ihres Namens,
In dem die Mandarinenpauken schallen …
Sie ließ ein Weidenblatt ins Wasser fallen …
Der Ostwind, der von Veilchendüften schwanger,
Ich lieb ihn nicht, weil er am Blumenanger
Stieß in des Frühlings strahlende Trompete,
Ich lieb ihn, weil das Blatt er zu mir wehte.
Das kleine Weidenblatt, ich lieb es nicht,
Weil es von Sprossen, Blühen, Treiben spricht,
Nicht, weil es mit Parfümen zart bespritzt ist …
Ich lieb es, weil ein Name drein geritzt ist …
Tschan-tiu-lin
Der Orangenzweig
Zum Mädchen, das in ihrer Kammer näht,
Ist plötzlich süß ein Flötenton geweht.
Durchs Fenster fällt ein Schatten auf ihr Knie
Von dem Orangenbaum und streichelt sie.
Ist es des Liebsten Hand? Und dünkt ihr nicht,
Daß er ihr bald Orangenblüten flicht?
Tin-tun-ling
In den Wind gesungen
Wenn ich, an ihren Brüsten hingesunken,
Den heiligsten der Tränke tief getrunken:
Komm, Drache Tod, laß mit dem letzten Hauch
Uns in die Luft vergehn wie blauer Rauch,
Und laß uns noch nach hunderttausend Jahren
Vereint als Sturmwind durch die Lüfte fahren!
Li-hung-tschang