Cromwell

(Zwei erhaltene Szenen des verschollenen Dramas)

Erster Akt, erste Szene

(Hofkapelle. Die Leiche Jakobs des Ersten ist aufgebahrt. Links und rechts ein je Fackelträger und ein Offizier der Leibgarde in Gala mit gezogenem Degen völlig regungslos. Weihrauch. Orgelklang.
Karl tritt durch einen Vorhang schnell in den Raum Der Orgelklang verstummt jäh. Karl schreitet die paar Stufen zur aufgebahrten Leiche empor und betrachtet, den Hut in der Hand, einen Moment den Vater. Dann reißt er einem der Fackelträger die Fackel aus der Hand und leuchtet dem Leichnam ins Gesicht)
KARL: Tot? Völlig tot? Mausetot? Bewegte sich nicht soeben spöttisch dein Mundwinkel? Du machst dich über mich lustig, he? Was grinst du? Schein¬tot? Und morgen wieder heidi – und wohlauf getrunken den funkelnden Wein, wohlauf geliebt das strahlende Weib -7 Du hast mir ein hübsches Erbe hinterlassen, Gesalbter des Herrn! Die Erbschaftssteuer kostet mehr, als das ganze Erbe wert ist. War England je in solcher Verwirrung? Hast du dich heimlich aus dem Staube gemacht .. vor dem, der dich aus dem Staube ge¬macht hat: Gott? Du warst schwach, alter Herr, zu schwach, deine Theorien richtig zu praktizieren. Despot mit dem Maul Du hattest Furcht vor deiner eigenen Angst – und deshalb warst du tapfer. Krieg, Bürgerkrieg, am heimischen Herd brodelt ein dampfendes Süppchen. Du hattest einen zu fei¬sten Hintern. Du hocktest zu gern auf ihm. Du gingst nicht gern auf deinen kleinen dicken Beinen. Du hattest Plattfüße und einen platten Verstand. (Von rechts kommt etwas geschlichen in der fahlen Dämmerung, plötzlich steht es im grünlichweißen Licht. Karl schreckt zurück – vor einem rothaarigen Burschen mit blatternarbigem Gesicht)
KARL: Wer da?
GRIFFITH: Parole: Lang lebe Karl des Ersten Majestät von England! (Er springt mit kurzen Sprüngen die Stufe zur Leiche empor, hebt einen Arm der Leiche empor, der hölzern niederfällt, zum König zurück, dreimalige höfische Verbeugung von drei Seiten) – Ich bin der Eure! Erkennen Majestät mich nicht wieder?
KARL: Euer Gesicht empfiehlt euch.
GRIFFITH: Sehr schmeichelhaft!
KARL: Es ist das ausgesuchteste Galgengesicht, das mir je vorgekommen!
GRIFFITH: Sehr schmeichelhaft!
KARL: Diese pockennarbige Fratze!
GRIFFITH: He-he!
KARL: Dieser Gang eines pipskranken Hahnes!
GRIFFITH: Hi-hi!
KARL: Diese rote Teufelsperücke, die aussieht, als sei sie dem Teufel selbst vom Kopf gestohlen!
GRIFFITH: Ho-ho!
KARL: Wie sind euch die fünf Jahre Galeere bekommen?
GRIFFITH: Ich sehe mit Freuden, daß Eure Majestät die Gewogenheit haben, sich meiner bescheidenen Person endlich zu erinnern Habe ich doch die fünf Jahre Galeere nicht ohne Zutun Eurer Majestät verbracht, will sagen, habe ich gleichsam Euch diesen Stempel auf dem Rücken, diese Schwielen an den Fäusten und dieses ewige Summen im Hirn zu danken Mir ist immer, als summten tausend Bienen mir im Kopf herum und vor meinen Augen hängt immer ein zarter rosa Schleier: der Himmel, die Sträucher, die Häuser, die Fratzen der Menschen, selbst Euer Majestät königlicher Mantel: alles ist ein wenig mit Blut befleckt, bespritzt.
KARL: Die Galeere hat euch nachdenklich über euch selbst gemacht. Ihr seid aus euch heraus und in der Welt herumgekommen, habt fremde Länder gesehen, Palmen, Papageien, Affen –
GRIFFITH: und Menschen, Menschen, Menschen – überall Menschen, die das reine Antlitz der Erde schänden, wohin man auch kommt. Ich habe einen schwindsüchtigen Affen auf der Galeere gehabt. Ich liebte ihn.
KARL: (höhnisch) Ihr liebtet?
GRIFFITH: (unbeirrt) Ich liebte ihn. Er liebte mich. Wir fraßen zusammen Nüsse. Dann starb er und wurde im Weltmeer begraben
KARL: Für einen Affen ein reichlich großes und ansehnliches Grab
GRIFFITH: Es hätte auch für mich noch Platz gehabt Ich war zu feige.
KARL: Dem Leben anderer Menschen gegenüber hattet ihr immer weniger Bedenken, es auszulöschen.
GRIFFITH: Ja, ich habe eine gute Lunge, eine vortreffliche Puste und blase für mein Leb¬oder Sterbenstag gern Lebenslichter aus (Tritt nahe an Karl heran) In wessen Auftrag, Eure Majestät, blies ich denn einmal ein Lebenslicht aus, ein ganz kleines Lichtlein nur, das euch aber doch zu hell flackerte?
KARL: Schweig, wenn dir dein Leben lieb ist!
GRIFFITH: Ist mir nicht lieber als mein Tod: nämlich hundsföttisch-gleichgültig. Aber die Majestät sollte die kleinen Dienste nicht vergessen, die ihr ein armseliger Henkersknecht einst geleistet. Lebte der erstgeborene Prinz noch, so würde er heute herrschen: nicht Ihr. Wer gab dem Prinzen Blei zu kosten, das sein schwacher Magen nicht vertrug? Wem also habt Ihr Euren Thron zu danken, he?
KARL: Schweig, Kerl!
GRIFFITH: Verfluchte Zeit, da die gute Tat ihren Lohn in sich selbst suchen muß!
KARL: Du überschätzest das Gute und Böse deiner Taten
GRIFFITH: (mit einem Wink nach hinten) Um jenem einen Passagierschein in die andere Welt auszustellen, kam ich zu spät . Wer war so beflissen, Euch zu dienen – oder solltet gar Ihr selbst den Mut gefunden haben – ä la bonheur – gratu-lor! gratulor!
KARL: Halt dein Maul, Höllenhund! Seine Majestät Jakob von England erstickte bei einem Galadiner an einem Putenknochen –
GRIFFITH: Und ein Arzt war nicht so schnell aufzutreiben – gottgesegnete Pute! –
KARL: Schweig!
GRIFFITH: O, ich habe geschwiegen. Und ich werde weiter schweigen. Bon camerade. Bon camerade. Ich habe Euch vor Gericht und auf der Galeere nicht verraten. Ich dachte mir: alles hat seine Zeit. Wart‘ nur dein Stündlein ab. Einst, wenn Karl des Ersten Majestät von England den Thron besteigt, wird es schlagen. Nun: er hat bestiegen. Es hat geschlagen: voilä! Euch zuliebe trug ich fünf Jahre statt eines Hemdes ein paar Putzlumpen am Leibe. Die Läuse fraßen mich schier bei lebendiger Haut und die Ratten waren nachts Liebkind zu mir. Sie spielten so zärtlich mit meinen Zehen, daß sie einige bis auf die Knochen abgenagt haben.
KARL: Werde ein anständiger Mensch, Griffith!
GRIFFITH: Dieser Rat von Euch? Es geschehen noch Zeichen und Wunder!
KARL: Es weht kein guter Wind hier für euch Macht euch auf die Socken!
GRIFFITH: Auf die Socken? Auf die Strümpfe9 Auf die Schuhe? Ich habe nichts an den Beinen als Klumpen Drecks von der langen Wanderung. Und kein guter Wind? Sturm? Regen? Fische sind am springlebendigsten bei schlechtem Wetter – warum nicht ich?
KARL: Geht nach Rom, tut Buße!
GRIFFITH: Das sagt Ihr – ein Lutheraner?
KARL: Auch Luther ging nach Rom.
GRIFFITH: Gern ging ich nach Rom, wenn Eure Heiligkeit mich begleiten, denn auf dem Weg der Buße und Reue gehören wir zusammen.
KARL: Beichte mir – ich absolviere dich nach protestantischem Glauben
GRIFFITH: Ich habe einen Mord begangen im Auftrag des Königs von England.
KARL: (schlägt über ihn das Kreuz) Absolvo te! (Schnell ab)
GRIFFITH: (bleibt verblüfft zurück) Es gibt Menschen, die vom Teufel besessen sind. Ich zum Beispiel. Allerlei widerliche freche Teufel treiben in mir ihr Spiel. Aber was für ein armseliger Schurke bin ich gegen den, der da ging. Er wäre imstande, in einen Teufel zu fahren und ihn noch teuflischer zu machen. (Entdeckt auf dem Boden ein Tuch, hebt es auf) Ein Nasentuch. (Hebt es an die Nase) Oh, wie es duftet! Das Nasentuch einer erlauchten, vornehmen Dame – Pariser Parfüm – sie hat es bei der feierlichen Aufbahrung verloren – die Königin?? (Zieht tief den Duft des Tuches ein) Einmal aus dem Dreck heraus, aus dem Sumpf, darin man steckt, einmal festen Boden unter den Füßen haben. Einmal weiß gekleidet, gebadet, geölt, gesalbt, bei dem duftenden strahlenden Leib einer edlen Frau in Kissen liegen, liebend – und geliebt. Zum Teufel, ich kenne keine andere Liebe als … (Er betrachtet das Tuch) Es ist eine Krone drein gestickt.
(Die Zofe der Königin erscheint in der Kapelle und sucht am Boden)
GRIFFITH: Guten Morgen, schönes Kind!
ZOFE: (erschrickt) Was wollt Ihr? –
GRIFFITH: Sucht Ihr – mich?
ZOFE: Ich bin schon entsetzt, euch zu finden. Da sei Gott vor, daß ich euch auch noch suchte! Ich suche ein Tuch, das die Frau Königin heute in der Lithurgie verlor.
GRIFFITH: Sie war gerührt über das Salbadern ihres Herrn Bruders, des Kardinals, schneuzte sich und wischte sich die Tränen ab.
ZOFE: Ihr habt das Tuch gefunden? Gebt es her!
GRIFFITH: (schwenkt es wie eine Fahne) Ich geb es her – doch nur der Majestät persönlich. Ich bin ein armer Teufel, ewig auf der Wanderschaft, suche eine bescheidene, kleine, feste Anstellung, bin viel heruntergekommen in der Welt, will sagen, herumgekommen, weiß allerlei Wissenschaften und kenne mancherlei Kün¬ste. (Macht ein paar Sprünge) Tanzen (macht die Gebärde des Flötens), Flöten, Geometrie, Astrophysik, Chiromantik, Equilibristik und Katechismus und Idolatrie.
ZOFE: Mein Gott, seid Ihr gelehrt!
GRIFFITH:
Aber auch in der Brust des Gelehrten und Weisen schlägt ein menschlich fühlendes Herz. (Kommt ihr näher)
ZOFE: Ihr macht mich fürchten.
GRIFFITH: Kommt in den Seitengang dort. Ich mache mit euch nichts anderes, als was man mit hübschen drallen Personen zu machen pflegt, wie Ihr eine seid. (Zieht sie mit sich fort)
ZOFE: Ihr seid stark!
GRIFFITH: So stark wie sieben Hengste und sieben Stiere und sieben Enteriche. Komm!
ZOFE: Das Tuch! Das Tuch!

Auf dem Themsedamm.

(Herbst, entblätterte Sträucher, Nebel, Regen)

CROMWELL: Die Verzweiflung ist mir so nah wie das Kind im Mutterleib der Mutter Nach wieviel Monaten, Tagen, Stunden werde ich niederkommen? Ein Ende mit sich machen – ehe man den Anfang mit sich gemacht. – Ich kannte einen Komödianten, der spielte den Cäsar nur unter der Bedingung, daß sein Direktor ihn so lange auf der Bühne sterben ließ, als er nur wollte Und er starb wirklich prächtig .. wohl 10 Minuten lang – ich werde auch einmal auf der Bühne sterben, aber es hat noch Zeit, viel Zeit… (Beugt sich zum Wasser)
Ich könnte hier herunterspringen – aber aus der Tiefe glotzt mir schon wieder mein vermaledeites Kürbisgesicht entgegen. Unten wartet schon wieder jemand auf mich – ich.
Ich kann mir nicht entgehen – Herrgott im Himmel, hilf, daß ich da oben bei dir mich wenigstens nicht wiederfinde! (Ab)
GRIFFITH: (kommt) Hier ist er entlanggegangen. Die Spur des Fuchses ist nicht zu verfehlen. Füchslein! Füchslein! Der Wolf ist dir auf den Fersen! 5000 Pfund für einen Fuchsbalg – das nenn ich ein nettes rundes Sümmchen. Davon läßt sich leben. Was fang ich nur mit dem vielen Geld an – also: für 1000 kauf ich mir ein Gut, nicht zu groß, nicht zu klein. Dann heirate ich ein Weib, eine Dame, eine Edeldame: nicht zu groß, nicht zu klein, nicht zu mager, nicht zu fett, gut durchwachsen, dann baue ich zur Sühne meiner Sünden eine Kirche, nicht zu groß, nicht zu klein – werde ein anständiger Mensch, d.h.: nicht zu groß, nicht zu klein – errichte mir ein Grabmonument, nicht zu groß, nicht zu klein, mit der Inschrift: Hier ruht der ehrenwerte Sir Griffith. Er stand mit beiden Beinen fest im Leben. Wanderer, eile vorüber, wenn du nicht von sei¬ner Leiche noch einen Tritt haben willst. – (Cromwell plötzlich im Nebel neben ihm) Hoppla –
CROMWELL: Verzeihung, Mylord –
GRIFFITH: Verzeihung, Mylord –
CROMWELL: Der Nebel ist so dicht, daß man die Hand nicht vor Augen sieht –
GRIFFITH: Scheußlich, dieser Londoner Nebel.
CROMWELL: Ein ungesundes Klima in dieser Stadt –
GRIFFITH: Man lebt nicht sehr lange –
CROMWELL: Besonders Schurken leben hier nicht lange –
GRIFFITH: Ist das eine Anspielung, Mylord7
CROMWELL: Ich habe nicht die Ehre, Sie zu kennen, Mylord –
GRIFFITH: So werden Sie mich kennen lernen, Mylord – (zieht seinen Degen) Halali zum fröhlichen Jagen!
CROMWELL: (zieht ebenfalls) Straßenräuber!
GRIFFITH: Landesräuber!
CROMWELL: Taschendieb!
GRIFFITH: Throndieb!
CROMWELL: Meuchelmörder!
GRIFFITH: Heuchelmörder!
CROMWELL: Steh, Feigling!
GRIFFITH: Falle, Held! (Sie haben die ganze Zeit gefochten, jetzt sticht Cromwell zu, Griffith bricht zusammen)
GRIFFITH: Nie wurden 5000 Pfund auf so schmähliche Art verloren.
CROMWELL: Falschspieler, wer hat dich gedungen – mit mir um den Einsatz deines Lebens zu spielen -?
GRIFFITH: Nicht zu groß, nicht zu klein – hier ruht der ehrenwerte Sir Griffith (Stirbt)
CROMWELL: Griffith?! Der Vertraute des Königs??? Karl Stuart: Du hast dein letztes atout verspielt…