Cecil

Eine Szene
Meinem Freunde Cecil.

Figuren
Colmar
Margot

Ein Zimmer in Lila. In der Mitte des Hintergrundes und rechts je eine Tür. Colmar, im Sessel ruhend, raucht eine Zigarette. Margot steht, in Hut und Mantel, vor ihm.

MARGOT: Ich weiß, seit wann du wie ausgewechselt bist!
COLMAR: Nun?
MARGOT: Seit wann du immer Zigaretten rauchst und im Lehnstuhl liegst, wenn ich komme, und keine Hand rührst, mir aus dem Jackett zu helfen.
COLMAR: Nun??
MARGOT: Und dich langweilst, wenn ich da bin …
COLMAR: Nun???
MARGOT: Seit Cecil auf der Bildfläche erschienen ist.
COLMAR: So?
MARGOT: Ich weiß es genau!
COLMAR: So??
MARGOT: Du behandelst ihn, als ob er ein Mensch wäre …
COLMAR: So???
MARGOT: Sogar besser.
COLMAR: Das gehört sich auch so.
MARGOT: Besser als mich!
COLMAR: Daran bist nur du schuld.
MARGOT (schreiend): Dabei ist er ein Hund!
COLMAR: Das ist sein Ehrentitel.
MARGOT: Ein Hund!
COLMAR: Bitte, schrei nicht so, er könnte es hören. Er liegt im Nebenzimmer krank.
MARGOT: Wahrscheinlich hat er zu viel Konfekt gefressen … dein Liebling.
COLMAR: Er hat den Anfall bekommen, nachdem du zum letztenmal hier warst. Ich glaube, du hast ihm vergifteten Kuchen gegeben.
MARGOT: Ach – willst du mich vielleicht für die Krankheit des blöden Tieres verantwortlich machen?
COLMAR: Gewiß.
MARGOT: Das … das … ist … unerhört.
COLMAR: Warum? Du hast den Hund erst ins Haus geschleppt. Es ist deine Schuld, daß er krank geworden ist.
MARGOT: Du!
COLMAR: Wenn der Hund nicht hier im Hause wäre, wäre er doch auch nicht krank. Das ist doch sonnenklar.
MARGOT. Ich möchte dich hassen.
COLMAR: Hunde haben Sympathien und Antipathien … wie Menschen … und außerdem einen feineren Geruch wie sie.
MARGOT: Ist mein Parfüm vielleicht aufdringlich? Das wirfst du mir vor, der du sogar deine Tinte parfümierst!
COLMAR: Es kommt wohl auf das Parfüm an. Und Cecil kann deins halt nicht vertragen. Trotzdem du ihn wahrscheinlich erst damit angelockt hast … jene Nacht …
MARGOT: Und deshalb willst du mich aus dem Hause haben, um die empfindsame Nase des empfindsamen Tieres nicht zu beleidigen.
COLMAR (steht auf): Ich habe auch eine Nase.
MARGOT: Colmar … woher … liebst du den Hund?
COLMAR: Ich habe die … Vorliebe für den Hund von dir übernommen. Damals.
MARGOT (schluchzend): Jene Nacht!
COLMAR (erzählend, blickt starr ins Leere): Wir gingen eines Morgens um fünf Uhr von einer Festlichkeit nach Hause. Die Straßen lagen leer und gelb wie ausgehöhlte Bananenschalen. Du hast dich eingehakt, ich gehe vor mich hin, weiß gar nicht, daß du da bist, und schicke meine Seele auf müde Träume spazieren – da höre ich plötzlich hinter mir einen Tritt, der mit dem unseren doppelten Takt hält, d.h. wir laufen einen, er läuft zwei Schritte. Ich frage dich: wer ist das, hinter uns? Du wirst verlegen, zitterst, sagst: niemand.
MARGOT: 0 hätte ich ihn damals bei Namen genannt!
COLMAR: Ich will mich nicht umdrehen, laß die trippelnden, weichen Sohlen ruhig mich bis vor meine Wohnungstüre begleiten. Als ich das Haustor aufschließe, steht ein Hund neben mir, hebt nervös das rechte Vorderbein und sieht mich aus verschwollenen Augen an, als hätte er sehr viel geweint. Seine weiße Haut war über und über mit Schmutzflecken bespritzt. Er stand da, wie viele Frauen vor der Wohnungstür stehen, die man aufschließen soll… und man weiß nicht recht …
MARGOT: Es ist zum Lachen …
COLMAR: Du lachtest damals nicht, als ich dich fragte: Sollen wir den Hund mit uns ins warme Zimmer nehmen? -Des Hundes Augen richteten sich mit kühler Bestimmtheit bald auf dich, bald auf mich. Da wußte ich, daß du den Hund mitgebracht hattest.
MARGOT: Ich wollte dich … prüfen!
COLMAR: Eine gefährliche Probe! – Drin in der Wohnstube steckte ich die Lampe an, und er sprang auf einen Stuhl.
MARGOT: Von nun an sahst du mich nicht mehr!
COLMAR: Da saßen wir uns stundenlang gegenüber, und je tiefer ich in seine Augen sah, desto menschlicher offenbarten sie sich mir … nein … besser als menschlich.
MARGOT: Während ich einsam im Bett mit meinen Zähnen die Kissen zerriß.
COLMAR: Am Morgen … so lange hatten wir uns fast unbewegt gegenüber gesessen … und die Frühsonne warf die Silhouette des Hundes an die Wand wie auf Goldgrund … liebte ich ihn.
MARGOT: Wie … eine Frau …
COLMAR: Nein … mehr! Denn wir hatten gar keine Frage oder Antwort aneinander … wir waren beide zusammen eins.
MARGOT: Der Hund … dein Bruder!
COLMAR: Frauen haben immer Fragen an einen zu stellen: Was wird morgen sein? Was war gestern? Und sie bezweifeln sogar das Heute, indem sie ein Fragezeichen dahinter setzen: Wenn das Heute schon so ist, wie könnte es noch sein? Wenn ich „heute“ sage, meine ich es so …
MARGOT: Hat das der … Hund auch gesagt?
COLMAR: 0 das ist ja das Wundervolle an ihm: er spricht nicht, er braucht nicht zu sprechen. – Wenn die Frauen nicht sprechen, sondern nur lächeln könnten, wären sie vollkommen.
MARGOT (höhnend): Und Cecil … lächelt.
COLMAR: Nein … Er hat einmal geweint, ehe er zu mir kam. Nun kann er nicht mehr lächeln, nur noch … sehen. Willst du in seine … Augen sehen? Sie haben sich verändert, seit sie nicht mehr auf dir ruhen. Sie schillern nicht mehr unbeständig. Sie blicken!
MARGOT (angstvoll): Ich … ich … weiß … nicht. Was … hast … du … vor.
COLMAR: Was zitterst du auf einmal so? Hast du Angst vor … dem … Hund?
MARGOT: Ja … das heißt … (zieht einen Revolver aus der Tasche, verbirgt ihn vor Colmar) nein!
COLMAR: Der Tierarzt kommt jeden Tag zweimal. Er sagt Cecils Zustand habe sich bedeutend gebessert und der Anfall würde sich nicht wiederholen. Sagt der Tierarzt.
MARGOT: Kann ich … Cecil … sehen. Ich will ihm abbitten.
COLMAR: Er liegt hier rechts im Zimmer in einem Korb auf Watte. (Öffnet die Tür nach rechts. Beide blicken in das andere Zimmer. Der Revolver zittert in Margots Hand.) – Siehst du ihn?
MARGOT: Noch … nicht …
COLMAR: Er öffnet die Augen …
MARGOT: Jetzt! Jetzt!
COLMAR: Man muß sich zusammennehmen, wenn man ihnen standhalten soll.
MARGOT: 0 Gott! (Will den Revolver heben.) Ich … ich … kann nicht.
COLMAR: Cecil!
MARGOT: (hebt den Revolver gegen Cecil. Er kehrt sich fast mechanisch gegen sie selbst. Sie drückt ab. Ein Knall. Sie stürzt auf der Schwelle nieder): Er hat mir … die Kehle … durchgebissen.
COLMAR: Margot … (Neigt sich über sie.) Sie ist tot, Cecil. Sie hat dich nicht ertragen können, Cecil … mein Hund.