Brennendes Herz – Klabund, Legende und Wirklichkeit

Der Schriftsteller Karl Heinz Kramberg schrieb eine Kritik des Buches „Brennendes Herz – Klabund, Legende und Wirklichkeit“ von Guido von Kaulla.

Guido von Kaulla: Brenndes Herz Klabund. Legende und Wirklichkeit. Mit 28 Illustrationen. Werner Classen Verlag. 212 Seiten, 23,50 DM.

Der Dichter Klabund, bürgerlich Alfred Henschke („keineswegs: Hentschke“), geboren 1890 in Crossen/Oder, an der Tuberkulose ge­storben 1928 in Davos, hat seine zweite Frau, die Schauspielerin Carola Neher, zwar in einer Münchner Trambahn, aber „keineswegs in der Linie 8″ kennengelernt. Es war die Ringbahn 2 a. Guido von Kaulla liebt das Wort „keineswegs“ und braucht es immer wieder, um richtig zu stel­len, was es an falscher Nachrede über seinen Dichter und Helden so gibt. Keineswegs sei es auch wahr, daß Walter Mehring die Bekannt­schaft zwischen Klabund und Fräulein Neher eingefädelt habe, keineswegs!

Guido von Kaulla hat sich seit seiner Gymna­siastenzeit mit „Fred“ forschend und liebend be­schäftigt, und da er über ein großes Henschke-Archiv verfügt, kann er mit vielen Zitaten und Dokumenten belegen, was er von Klabund weiß.

Er weiß zum Beispiel genau, daß der Verdacht, Klabund habe seinen acht Jahre jüngeren Kolle­gen („keineswegs Freund!“) Bertolt Brecht, der wie er an den Seminaren Arthur Kutschers teilnahm, hie und da plagiiert, „keineswegs“ zu­treffen kann. Eher sei – „Der kaukasische Krei­dekreis“ kam auch viel später als der Klabundsehe – der umgekehrte Sachverhalt möglich oder wahrscheinlich gewesen, was ja bei Brechts deliziösem Begriff vom geistigen Eigentum an­derer kaum verwunderlich wäre. – Im kritischen Nachwort zu ihrer weitgespannten Anthologie „Klabund, der himmlische Vagant“ (1968) wies Marianne Kesting auf die Parallelität von Ent­wicklungen und Motiven im Frühwerk Brechts und im Lebenswerk Klabunds hin, ohne einem der beiden den Vorwurf des Plagiierens zu ma­chen. Sie sieht das objektiv. Aber Klabunds Bio­graph überzeugt gerade nicht durch kritische Analysen literaturnotorischer Phänomene, son­dern durch die eifrige und eifernde Parteinahme, die ein Amateur, ein wahrhaft Liebender, für den Gegenstand seiner Zuneigung aufbringt. Er nähert sich seinem Gegenstand mit dem Her­zen, und ich bin überzeugt, daß dieses Organ bes­ser als jedes andere geeignet ist, um das poetische Werk und die romantische Laufbahn eines Künstlers zu sichten, dessen Elan zur Liebe wie zur Kunst aus der Krankheit zum Tode erwuchs und dessen lyrische Sprache nicht vom Logos, sondern vom freien Einfall, vom zarten und hef­tigen Bilderspiel vokalischer Assoziationen be­stimmt war.

Die biographischen Materialien, die Guido von Kaulla sichtet und sammelt und in einer mehr temperamentvollen als stilistisch wohlsortierten Vortragsweise zur Sprache gebracht hat, erge­ben schwerlich das, was man die Chronik eines Lebens nennen könnte. Es sind Mosaiksteine zu einem imaginären Porträt, das der Leser in sei­nem Kopf zusammensetzen kann – und dies mit wunderlichem Gewinn. Denn was sich da ergibt, ist das Psychogramm eines späten deutschen Ro­mantikers, eines Vagabunden in Animo, eines Byron en miniature, dessen zeitlebens jünglings­hafte, nie ganz erwachsene Erscheinung in ei­nem Mausoleum der Literaturwissenschaft ganz und gar fehl am Platz wäre.

Klabunds fragiles Genie, wie dieser Biograph es sieht und empfindet, war das Genie der Betö­rung, ein herzbetörender Tor. Guido von Kaullas Buch lehrt, wie vernünftig es sein kann, den Ef­fekt der Betörung als Maß des Verstehens zu nehmen, wie weise es- ist, voreingenommen für die lebendige Gestalt eines Künstlers zu sein, der auch post mortem an Realität nur zurückläßt, was der erotische Moment ihm eingeben konnte. Der Biograph beschreibt nicht, er zitiert seinen Dichter, auch, wenn er im Holterdiepolter des Re­ferierens mit seinem „Keineswegs stimmt das“ Lebenswirklichkeit und Literatenlegende pole­misch abzugrenzen versucht. Er zitiert Klabund, wenn er dessen Verse und Prosa gebraucht, um biographische Fakten poetisch zu deuten, und er zitiert den „Geist“ seines Helden, wenn er dessen Projektionen in Menschen beleuchtet, die Kla­bund liebten oder die seine unstete Liebe be­rührt hat.

über das lebendige Verhältnis des Biographen zu seinem Objekt schweigt Kaulla sich aus. Er teilt nur mittelbar, so aber viel, von seiner per­sönlichen Faszination mit.

Guido von Kaulla schreibt keineswegs“ gut. Die Qualität seiner Niederschrift ist nicht an der Qualität ihres literarischen Gegenstandes zu messen. Aber sie teilt dessen Qualität, ich wiederhole das, intensiv mit. Ein schöneres Denk­mal hat es für Klabund nicht gegeben, auch wenn der Biograph zu bescheiden ist, sein Buch als Memoire zu verstehen. Er hat die Verschämt­heit der Liebe und hält deshalb am Ende sogar mit jenem Urteil zurück, das den Wert des ge­liebten Gegenstandes in der Welt und vor der Nachwelt definiert. Statt dessen zitiert er den schönen Epitaph, den Gottfried Benn für den jüngeren Freund am Grab in Crossen sprach, und das ergreifend kollegiale Dichterbekenntnis, das der in politicis nachtblinde Hanns Johst, als er die Todesnachricht erhielt, für Klabund abge­legt hat.

Bestimmt ist es „keineswegs“ wichtig, darüber zu streiten, welche Trambahnlinie es war, die der Sänger der „Lieder für Irene“ und der Nach­dichter der chinesischen Kriegslyrik, der Autor balladesker Kinoromane wie „Bracke“ und des fi­ligranen Monologstücks „Marietta“ in einer für ihn vielleicht entscheidenden Stunde benutzt hat; Aber es ist wichtig, daß dieses Buch da ist. Denn es wird höchste Zeit, eine Nachkommenschaft daran zu erinnern, daß Klabund lebt.

K. H. Kramberg