Band Gedichte – Erschienen 1926

Woher?
Vom Meer.
Wohin?
Zum Sinn.
Wozu?
Zur Ruh.
Warum.
Bin stumm.

Ich würde sterben, hätt ich nicht das Wort,
Das meine flüchtigen Gedanken hält,
Das sie bewahrt für die und jene Welt;
Es schützt mich, daß mein Lebensbaum verdorrt,
Es reißt den Schreitenden zum Schweben fort.
Ich würde sterben, hätt ich nicht das Wort.

Gedichte (1926)

Ursprünglich sollte diese Gedichtband unter dem Titel „Glockenspiel“ erscheinen. Laut Guido v. Kaulla sind darin Gedichte aus den Jahren 1908 bis 1925 gesammelt, die Klabund zum größten Teil schon in früheren Publikationen veröffentlicht hatte. Er sah sie als eine Art Fazit  seiner bisherigen Veröffentlichungen, eingeteilt in „fünf Kreise“ und darin enthalten alle wichtigen Motive: Kriegskritik – Liebe und Erotik – wildem Lebenshunger und Todessehnsucht – Reiseeindrücken und seine Dar­stellung der modernen Großstadt.

„Erstmals nimmt Klabund hier in einen Gedichtband in größerem Umfang (teils fingierte) Übertra­gungen orientalischer Poesie auf, es handelt sich dabei jedoch durch­weg um Texte, die er bereits in „Li-tai-pe“ (Leipzig 1915), „Dumpfe Trommel und berauschtes Gong“ (Leipzig 1916), „Die Geisha 0-sen“ (München 1918), „Der Feueranbeter“ (München 1919) und „Das Blu­menschiff“ (Berlin 1921) der Öffentlichkeit bekannt gemacht hatte“, heißt es dazu in „Klabund – Werke in acht Bände“ im Band 4, herausgegeben von Christian von Zimmermann. Erschienen im Elfenbein-Verlag Berlin.

Erster Kreis

Ich kam ich gehe

Ich kam.
Ich gehe.
Ob je mich eine Mutter auf die Arme nahm?
Ob je ich meinen Vater sehe?

Nur viele Mädchen sind bei mir.
Sie lieben meine großen Augen,
Die wohl zum Wunder taugen.
Bin ich ein Mensch? Ein Wald? Ein Tier?

Der arme Kaspar

Ich geh – wohin?
Ich kam – woher?
Bin außen und inn′,
Bin voll und leer.
Geboren – wo?
Erkoren – wann?
Ich schlief im Stroh
Bei Weib und Mann.
Ich liebe dich,
Und liebst du mich?
Ich trübe dich,
Betrübst du mich?
Ich steh und fall,
Ich werde sein.
Ich bin ein All
Und bin allein.
Ich war. Ich bin.
Viel leicht. Viel schwer.
Ich geh – wohin?
Ich kam – woher?

Man soll in keiner Stadt

Man soll in keiner Stadt länger bleiben als ein halbes Jahr.
Wenn man weiß, wie sie wurde und war,
Wenn man die Männer hat weinen sehen
Und die Frauen lachen,
Soll man von dannen gehen,
Neue Städte zu bewachen.

Läßt man Freunde und Geliebte zurück,
Wandert die Stadt mit einem als ein ewiges Glück.
Meine Lippen singen zuweilen
Lieder, die ich in ihr gelernt,
Meine Sohlen eilen
Unter einem Himmel, der auch sie besternt.

Ironische Landschaften

Brauner Äcker welliger Zug

Brauner Äcker welliger Zug,
Draus zweiarmig eine Mühle wächst.
Ein paar Pflaumenbäume, wahllos hingekleckst,
Ruhn auf eines Hügels schlankem Bug.

In der Ferne seh ich ein paar Föhren,
Stolzen Wuchses, mit Giraffenbeinen,
Und sie scheinen
Mir dem Fiskus zu gehören.

Gleich einem Zuge grau zerlumpter Strolche

Gleich einem Zuge grau zerlumpter Strolche
Bedrohlich schwankend wie betrunkne Särge
Gehn Abendwolken über jene Berge,
In ihren Lumpen blitzen rote Sonnendolche.

Da wächst, ein schwarzer Bauch, aus dem Gelände
Der Landgendarm, daß er der Ordnung sich beflisse,
Und scheucht mit einem bösen Schütteln seiner Hände
Die Abendwolkenstrolche fort ins Ungewisse.

Hinter dem großen Spiegelfenster

Hinter dem großen Spiegelfenster des Cafés
Sitz ich und sehe heiß auf das Straßenpflaster,
Suche im Treiben der Farben und Körper Heilung meines sentimentalen Wehs,
Sehe viele Frauen, Fremde, bunte Offiziere, Gauner, Japaner, sogar einen Negermaster.
Alle blicken sie zu mir und haben Sehnsucht nach der Musik im Innern,
Wollen träumerisch- und sanfter Töne sich erinnern.
Aber ich, an meinen Stuhl gebannt und gebrannt,
Starre, staune nach draußen unverwandt,
Daß jemand komme, freiwillig, nicht gedrängt,
Ein blondes Mädchen… eine braune Dirne…
In rosa, gelber, violetter Taille…
… Oder meinetwegen eine dicke Rentierkanaille
Mit schmalzigem, verfetteten Hirne –
Nur daß er mir für fünf Minuten seine Gegenwart schenkt!
Ich bin so einsam! Einsamer noch macht mich die süße Operette…
O läg ich irgendwo in dunkler Nacht
Ein Kind in einem Kinderbette,
Von einer Mutter zart zur Ruh gebracht…

Schlaflose Nacht

Übermüdet, schlaflos lieg ich in den Decken,
Schon malt der junge Tag lichtgraue Flecken
Auf Ofen, Stuhl und Lampenknauf.
Das Fenster steht sperrangelauf.
Ein Hund läuft über den Asphalt, sein Halsband klappert.
Es tickt wo eine Uhr. Der Bäckerjunge tappert
Und schleppt im Sack Verschlafenheit und Bemme.
Von nebenan schwirrt, summt aus der Kaschemme
Ein trübes Lied auf trübgestimmter Zither.
Die Zunge jappt im Gaumen rauh und bitter,
Ich hole dürstend Glas mir und Karaffe –
Da ist die Sonne jenseit aufgetaucht,
Von rosagelbem Wolkendampf umraucht,
Und formt im Glase eine Goldagraffe,
Als wolle sie die letzten grauen Schlangen
Der Nacht mit einer goldnen Schlinge fangen.

Im Morgenrauen

Niemand weiß, wozu
Diese Felsenruh,
Diese Sträucherwildnis uns verliehn.
Segelschiff auf See,
Und im Wald das Reh
Möchten unsrem bleichen Blick entfliehn.

Keine Strasse weiht
Uns zur Zärtlichkeit,
Wenn das Morgengrauen sie betritt.
Lampen löschen aus.
Stehend schläft das Haus.
Und die Trambahnhaltestellen gehn wie Späher mit.

Schlauer Mörder schleicht,
Den kein Ruf erreicht.
Ach, ein Augenaufschlag täte gut!
Himmel sei bedankt!
Eine Wolke rankt
Rosa sich um unser blasses Blut.

Eine steife Magd
Garteneinwärts stakt, .
Und im schwangren Leib das Kindlein nickt.
Keine Glocke schlägt.
Gott ist unbewegt.
Nur die Taschenuhr am Herzen tickt.

Still schleicht der Strom

Still schleicht der Strom
In gleicher Schnelle,
Keine Welle
Krönt weiß die Flut.

Steil ragt die schwarze
Gurgelnde Tiefe.
Da ist mir, als riefe
Mich eine Stimme.

Ich wende das Auge
Und erbleiche:
Denn meine Leiche
Tragen die Wasser…

Auf der Ottomane

Liegst du auf der Ottomane,
Und die Pfeife in den Zähnen:
Darfst du schaukelnd dich im Kahne
Auf dem Meer des Nicht — mehr wähnen.

Silbern steigt der Rauch nach oben.
Mit den leisen weisen Kreisen
Fühlst du selber dich gehoben
Und im Wolkenreigen reisen.

Erde, Mond und Sonne sangen.
Alles geht in Rauch und Luft auf.
Alles geht in Hauch und Duft auf.
Du vergehst. Und bist vergangen.

Hamburger Hurenlied

Wir Hamburger Mädchens habens fein,
Wir brauchen nicht auf dem Striche sein.
Wir wohnen in schönen Häusern
Wohl bei der Nacht,
Ahoi!
Weil es uns Freude macht.

Es kommen Kavaliere, Neger und Matros,
Die werden bei uns ihre Pfundstücke los,
Sie liegen uns am Busen
Wohl bei der Nacht,
Ahoi!
Weil es uns Freude macht.

Madam kocht schlechtes Essen, Sami spielt Klavier,
Mit den Kavalieren tanzen wir,
Fließt ein Taler drüber,
Wird er Madam gebracht,
Ahoi!
Weil es uns Freude macht.

Eines Tages holt die Sitte uns hinaus,
und sie sperrt uns in das graue Krankenhaus.
Dann sind wir tot und sterben
Wohl bei der Nacht,
Ahoi!
Weil es uns Freude macht.

Ballade

Für Frank Wedekind

Mein Vater war ein Seebär,
Meine Mutter kam aus Holland her,
Sie hatte Blondhaar, wie Gold so schwer.

Mein Vater war ein grobes Schwein,
Meine Mutter war zart und klein,
Sie war zu schwach, sie sagte nicht nein.

Sie haßte ihn, daß er sie zwang,
Und gab ihm elf Monate lang
Zwei Taler wöchentlich zum Dank.

Und als ich dann zu Lichte kam,
Meine Mutter mich an ihre zarten Brüste nahm,
Mein Vater schlug sie krumm und lahm.

Ersäufen wollte er mich im Fleet,
Meiner Mutter Flehen war Gebet.
Er hat sich fluchend umgedreht.

Da lief sie in die Nacht hinaus,
Setzte in dunkler Twiete mich aus,
Ging in die Ulrikusgasse ins Freudenhaus.

Mich fand ein Irgendwer,
Wenn ich wüßte, wo meine Mutter wär,
Wär mir nicht oft das Herz so schwer.

In der Ulrikusgasse Nummer fünf spiel ich Klavier.
Vielleicht tanzt meine Mutter hinter mir,
Vielleicht schläft sie des Nachts bei mir…

Somaliweiber

Ich habe bei Somaliweibern
Die Nacht vollbracht,
An ihren braunen Leibern
Hat sich mein weisser Leib entfacht.

Er schlug wie eine Flamme
In ihren ebenhölzern Wald.
An jedem braunen Stamme
Hat er sich gierig hochgekrallt.

Bis sie müde lagen, lugen
Müde Tiger mit dem Blick des Rehs.
Sanft um ihren Leib die blauen Strähnen schlugen
Wie die Wellen des Nyassasees.

Apachen Abschied

Nacht verrann.
Müssen scheiden.
Lehre es mich, Mann –
Schwöre es mir, Mann:
Leiden will ich, leiden.

Warest doch so gut,
Wurdest immer besser –
Mein entzücktes Blut
Blinkt nach deinem Messer.

Hattest viele lieb,
Immer Himmel blau.
Deinen Mund nun gib
Einer andren Frau –
Ach, warum ich weine?
Vaterhaus im Forst …
Eule hoch im Horst …
Und ein junger Hirsch, der röhrt …
Du: dein Messer, es gehört
Mir alleine …

Trunkenes Lied

Ich will meinen Pelz versaufen,
Herr Wirt.
Ich will mir einen Knaben kaufen,
Der mein lieblicher Diener wird.

Der Pelz hält außen warm,
Der Wein heizt innen.
Hängt, eine Kette, euch in meinen Arm.
Das Leben ward noch nie begonnen.
Wir wollen’s beginnen.

Litaipe war ein großer Dichter und konnte prächtig
saufen.
Könnt ich’s ihm gleichtun.
Ich will mein Pferd verkaufen
Und will es gleich tun.

Die Philosophie ist eine Gottesgabe.
Es gab Philosophen, die nie einen Tropfen getrunken haben.
Glaubt ihr, daß sie im Grabe Weniger gestunken haben?

Ich will meine Schuhe in Zahlung geben;
Ich muß noch manchen Becher durch die Kehle seiben.
Ich kann ja auf allen Vieren nach Hause streben.
Meinetwegen kann ich auch ewig hier liegen bleiben.

Der himmlische Vagant

I

Ich bin gefüllt mit giftigen Getränken,
Ich speie Eiter, wenn ich wen besah;
Ich fluche jedem heiligen Hallelujah
Und will ein Pestgewand als frohe Fahne schwenken.
Ich stehle Geld wie Sand —
Ich werfe Brand ins Land,
Und dennoch, Wolke, wagst du dich zu schenken?

Ich bin verbittert und mit Gram verschlossen,
Und nur ein Messer öffnete mein Herz.
Faul stinkt mein Atem, meine Faust ist Erz,
Ich schlafe selig in verdreckten Gossen,
Ich reite nackt auf ungezähmten Rossen,
Ich bin bei Spiel und Wein Allein und ganz allein
Und von den Tränen fremder Fraun umflossen.

0 möcht ich einmal nicht als Licht mehr scheinen!
Und nicht mehr Stunde sein und Zeit der Nacht!
Ich habe meinen Sohn zu Tod gebracht;
Ich hüllte seine Gliederchen in Hemdenleinen,
Ich grub ein Grab ihm unter Pflastersteinen
-0 Wolke, wer du seist,
Ich grüße deinen Geist,
So wolle, Wolke, wolle für mich weinen!

II

Ich schlage schamlos in die Tasten.
Die Ampel tönt. Es zwitschert das Bordell.
Die schlanken Knaben bleich vom langen Fasten
Erheben kühl sich vom kastalschen Quell.

Sie werfen ab die wolligen Gewänder,
Die Hemden kurz, die Mutter einst genäht.
Sie schweben engverschlungne Negerländer,
In denen palmengleich die Liebe steht.

Es neigen sich mit ihren schmalen Mündern
Die Huren in den unerfahrenen Schoß,
Und sie empfangen von den blassen Kindern
Lächelnd ihr gutes oder schlimmes Los.

III

Ich lieb ein Mädchen, welches Margot heißt,
Sie hat zwei Brüste wie zwei Mandarinen.
Wenn wir der holden Göttin Venus dienen,
Wie gern mein Mund in diese Früchte beißt.

Ich lieb ein Mädchen, welches Margot heißt.
Sie wohnt in einem schmutzigen Bordelle,
Man zieht an einer rostigen Klingelschelle,
Worauf Madam den Gast willkommen heißt.

Ich lieb ein Mädchen, welches Margot heißt,
Bewandert in den Liebesdialekten,
Die schon die alten Phrygier entdeckten.
(Gebenedeit sei ihr antiker Geist!)

Ich lieb ein Mädchen, welches Margot heißt.
Doch wer sie liebt, muß sie zuweilen prügeln.
Es läßt sich leicht nicht ihre Wildheit zügeln,
Wenn man sie tändelnd nur als Eva preist.

Ich lieb ein Mädchen, welches Margot heißt.
Ich liebe diese ganz allein, nur diese.
Der Louis fand die passende Louise —
Bis man die Scherben auf den Müllplatz schmeißt …!

IV

Was du immer hältst in Händen,
Mädchen oder Buch.
Ach, wie bald wird es sich wenden,
Und die weißen Frauenlenden
Deckt ein schwarzes Tuch.

Asche wird die süße Zofe,
Lippe ist versteint.
Stoß das Fenster auf: im Hofe
Schnattern Gänse um die Kofe,
Und ein Bettler weint.

Deine Verse sind Gesaber
Eines hohlen Herrn.
Nichts als wennschon oder aber —
Häng dich an den Kandelaber
Unter Sturm und Stern.

Deine Beine mögen baumeln,
Und dein Haupt benickt
Welche weinwärts singend taumeln, —
Plötzlich von dem grellen traumhelln
Eulenschrei zerdrückt.

V

Ich bin gemartert von Gewissensbissen,
Daß ich noch nichts auf dieser Welt getan.
Mit ein paar Flüchen, ein paar Mädchenküssen,
Da hört es auf, da fängt es an.
Ich aber fühle Strom mich unter Flüssen,
Doch flösse ich bergauf und himmelan —
Das Aug, das ich zum guten Werk erhoben,
Es darf nur einer Dirne Brüste loben.

Wie oft, wenn ich mit den Kumpanen zechte,
Klang eine Trommel dumpf, die Buße bot.
Ich warf mich hin, auf daß mich einer brächte
Und stelle einsam mich ins Abendrot.
Der aber klapperte mit Würfeln, und die schlechte
Gesellschaft furcht ich, wenn Gelächter droht.
Ich bin so müde meiner Spielerein
Und möchte Mensch mal unter Menschen sein

Doch niemand ist, der meinen Worten traute,
Es wird mein Leichnam erst auf Lorbeer ruhn.
Ich reiße von der Wand die dunkle Laute,
Um doch in Tönen eine Tat zu tun.
Das Lied ist aus. Der grüne Morgen graute.
Im Hofe bellt der Hund, es kräht das Huhn;
Und während alle rings zum Tag erwachen,
Entschlaf ich trunken unter Wein — und Lachen.

VI

Herbst entbrennt im letzten Flore,
Und du hast mich heut verlassen.
Frierend erst im Kirchenchore,
Strolch ich einsam durch die Gassen.

Durch die Hosen pfeifen Winde;
Meine hohlen Zähne klappern.
Mit scharmantem Höckerkinde
Hör ich Polizisten plappern.

Klamm sind meine roten Hände,
Sie vermögen kaum zu schreiben:
Daß der Sommer nun zu Ende …
Daß selbst Dirnen mir nicht bleiben …

In verräucherter Taverne
Sitz ich weinend nun beim Weine.
Fange Fliegen. Träume Sterne.
Und ich bin so ganz alleine …

VII

Ach, verloren ist verloren —
Unaufhaltsam ziehn die Fluten.
Wer dahier zu spät geboren,
Kommt zu spät zu allem Guten.
Ja, ihn sollt der Teufel holen,
Selbst sein Weib: hat schon ein anderer.
Als ein kümmerlicher Wanderer
Tippelt er auf blanken Sohlen.

Ach, verloren ist verloren —
Laß die schwarzen Würfel fallen.
Einmal bist du doch erkoren,
Wenn die schrillen Flöten schallen.
Setz dein Sein auf eine Karte:
Weib und Kind und Gott daneben –
Nur im Tode darfst du leben,
Mors, entfalte die Standarte!

VIII

Und schick noch einmal deine Raben,
Die Raben, die Elias speisten.

Wir haben nichts mehr, was wir haben.
Die Drüsen faulen in den Leisten,
Den Abfall fraßen längst die Schaben.

Die Flöhe springen vom Skelette,
Die Glocken schweigen in den Strängen.
Die Wanzen wandern aus dem Bette.
Nichts bleibt uns als die Schädelstätte
Und als ein Kreuz, uns dran zu hängen.

Trinklied

Wirt, schlag aus dem Faß den Banzen
Wir wollen saufen und tanzen:
Mimi und ich.
Lahmer, du spielst Mundharmonika,
Und die zahme Elster schreit krakra.
Die Amseln flöten.

War das ein Tag! Wird das eine Nacht!
Auf den Neckarhügeln sind Sonnwendfeuer entfacht:
Unsere Herzen.
Mädchen, du lachst verschwenderisch!
Du bist atemlos! Komm ins Gebüsch!
Ich will dich umarmen!

Der feiste Wirt zapft an seinem Faß.
Der Lahme singt mit rostigem Baß.
Die Elster schreit.
Mädchen, ich spüre deinen Schoß
Als läge die Sonne vor mir bloß, Die Nacht leuchtet.

Ich streiche dir das Haar zurecht.
Der Wirt offeriert den gebratenen Hecht
Und goldenen Mosel.
Öffne das Auge!
Jetzt bist du sanft
Wie der Mond überm Wiesenranft,
Holde Dryade!

Einmal noch den Abend halten

Einmal noch den Abend halten
Im versinkenden Gefühl!
Der Gestalten, der Gewalten
Sind zuviel.

Sie umbrausen den verwegnen Leuchter,
Der die Nacht erhellt.
Fiebriger und feuchter
Glänzt das Angesicht der Welt.

Erste Sterne, erste Tropfen regnen,
Immer süßer singt das Blatt am Baum.
Und die brüderlichen Blitze segnen
Blau wie Veilchen den erwachten Traum.

Ich bin so alleine

Ich bin so alleine,
Wer ist denn bei mir?
Es sprechen die Steine;
Es lächelt das Tier.

Ihr Vögel habt Flügel;
Es drückt mich der Schuh.
Ihr Bäume, ihr Hügel,
O kommt auf mich zu!

Umarme mich, Tanne!
Ich sinke so hold.
O, tränke mich, Kanne
Des Mondes, mit Gold!

Wo werden wir rasten?
Das Dunkel weht kalt.
Wir liebten, wir hassten,
Nun wurden wir Wald.

Wenn ich in Nächten wandre

Wenn ich in Nächten wandre
Ein Stern wie viele andre,
So folgen meiner Reise
Die goldnen Brüder leise.

Der erste sagts dem zweiten,
Mich zärtlich zu geleiten,
Der zweite sagts den vielen,
Mich strahlend zu umspielen.

So schreit ich im Gewimmel
Der Sterne durch den Himmel.
Ich lächle, leuchte, wandre
Ein Stern wie viele andre.

Postfahrt nach Arosa

Auf dem Posthof scharren und schnauben die Gäule, die Peitsche
Knallt, und der Postillion schnalzt mit der Zunge dazu.
Dick und behäbig und schwer wie aus Urväter Gezeiten
Steht das gelbe Gestell, das nach Arosa mich führt.
Fröstelnd kriech ich hinein und drück in den rostbraunen Samt mich,
Nebel hüllen die Welt, und der Augustregen klatscht.
Rumpelnd gehts aus der Stadt. Im Zickzack und bunten Bogen
Steigt die Chaussee ins Gebirg; unten im Nebel dampft Chur.
-Sieben Stunden durchklopft, durchschaukelt, durchfroren … du gute
Alte, du schlechte Zeit! bin ich dir wirklich entwischt?
Als mein eigener Urgrossvater mit faltigen Zügen
Und vergichtetem Fuss hock ich verdriesslich im Eck …
Höher hinauf! Es sinkt der graue Schleier! Der Himmel
Tut über dunklem Tann seine Meeraugen auf.
Berge stehen riesig wie Elefanten. Wir rattern
Über den Pass. O sieh! Venus steigt mit uns empor!
Sei mir gegrüsst! O Stern! Ich spring aus der schwankenden Kutsche,
Schwing mich über den Kamm in dein goldnes Gefährt!
Passagiere! zu mir! ich weiss euch leuchtende Strassen,
Über der Furka hoch donnert mein Wagen im Blau …
Wirf mir die Zügel! Venus! O über die Liebe! Der Abend
Glänzt, und ich fahre sterntrunken ins dämmernde Nichts.

Am Luganer See

Durchs Fenster strömt der See zu mir herein,
Der Himmel auch mit seinem Mondenschein.
Die Wogen ziehen über mir dahin,
Ich träume, daß ich längst gestorben bin.
Ich liege auf dem Grunde alles Seins
Und bin mit Kiesel, Hecht und Muschel eins.

Blick ins Tal

Aroser Weisshorn; für Ernst L.

Lass, o lass mich niedersinken
Wie ein Tropfen Tau im Hain.
Berge blühen, Wipfel winken,
Und ich hin nicht mehr allein.

Spukt im Mond, ihr halben Helden!
Wind und Wolke lügen nicht.
Keine Glockenstrophen melden,
Wenn ein Enzianauge bricht.

Menschen hatten zarte Seelen,
Schon ein Nadelstich traf Blut …
Am Gestein sollst du dich stählen,
Und im Felsen werde gut!

Steinschlag soll das Tal entmannen,
Und die Lau es überwehn –
In Narzissen und in Tannen
Wird es himmlisch auferstehn.

Deutscher in Italien

Felder zwitschern. Menschen hirnumschlungen
Haben ihre Taten hingesungen,
Und der goldne Mond ist nicht verblüht.
Immer stand er über unsren Städten,
Wenn die Winde aus Italien wehten,
Himmelsfetzenblauumsprüht.

Manchen hat es übern Berg getrieben,
Südlichste Unendlichkeit zu lieben,
Und Venezia brach den Bann.
Liess in grünen stinkendsüssen Gassen
Ihren Fremdling Fremdestes umfassen,
Dass er jenes Weib nicht mehr vergessen kann.

Aber manchmal wallt es übermächtig,
Und die Adria erfunkelt nächtig,
Und des Blickes Stahl blitzt Mord.
Und der Rausch erhebt sich zum Gebete:
Meine Heimat! Meine grauen Städte!
O du Kälte! Klarheit! Nord! o Nord!

Der südliche Herbst

I

Es ist so sanft, durch diesen Herbst zu eilen
Und dieses Blau des Himmels zu betrachten,
Bei spielerischen Kindern zu verweilen
Und auf den guten Gang des Greises achten.

Ein Adler glitzert auf der Zitadelle.
Ein Leoparde raschelt Bellinzona.
Auf seinem gelben und gefleckten Felle
Reitet die schönste Frau der Welt: Ilona.

Sie lächelt. Und ich hebe meine Hände.
Sie winkt. Ich sinke seufzend vor ihr nieder.
Es scheint das ausgebreitete Gelände
Um ihre Brust gespannt als goldnes Mieder.

O lass die Landschaft von der Hüfte fallen!
Entferne doch den Himmel aus den Blicken![105]
Und sei ein Mensch! Die Abendglocken schallen.
Du darfst beglückt sein, Mensch, und darfst beglücken.

II

Noch sind voll grünem Laube die Platanen.
Die Reben hängen an den Stöcken schwer.
Die Menschen frieren in den Eisenbahnen
Voll Ahnung frühen Winters allzusehr.

Ja: morgen ist die letzte Traubenlesung;
Dann gibt der Winter uns den milden Wein
Und schenkt uns Wehmut und Verzweiflung ein.
Ich rieche dich im Laube der Verwesung …

III

Und so will ich, was ich werde;
Immer grösser grüsst der Mond.
Palmenbaum und dunkle Erde
Werden zarter sich gewohnt.

Silbersee zieht ohne Barke
Stromgleich durch verlassnes Laub.
Und des Winzers goldne Harke
Sank beseligt in den Staub.

Dass sich Brust an Brüsten dehne!
Gib den Winden ihren Lauf!
Einer Flöte Kantilene
Spielt zum Tanz der Motten auf.

Rote Rose, Winter witternd,
Kranke Frau im weissen Thron –
Heute starb, ich ahn es zitternd,
Meiner Küsse schönster Sohn.

IV

Der Mondschein glänzt wie deine Haut,
Dein schwarzes Haar ist weinbetaut.

Wer will den Wein? wer schuf die Hand?
Land wurde Leib, Leib wurde Land.

In braunen Augen wächst der Wald
Mit Reh und Baum zur Herbstgestalt.

Die Fliegen auch auf deiner Stirn
Im Flug der Liebe sich verirrn.

Ein jedes Gute findet leicht
In deinem Lächeln sich erreicht.

Ein jedes Elend fliesst als Blut
Aus deinem Schoss. Wird Kind. Wird gut.

Herbst

Es kommt der Herbst, es kommt der Herbst,
Die Schwalben ziehen schon dahin.
Die Sonne zuckt am Abend wie
Ein Auge, das sich rot geweint.

Es weht der Wind, es weht der Wind,
Er weht dein kleines Glück in Staub
Am Boden raschelt frühes Laub,
Ein letzter Glühwurm leuchtet noch.

Es ging das Glück, es ging das Glück,
Der Sommer war so voll davon.
0 süßer Leib du von Jasmin
Vergangen ist dein wilder Duft!

Es kommt die Nacht, es kommt die Nacht,
So dunkel ist es um mich her.
Den Mantelkragen hochgeklappt
Schleich müde ich die Gassen lang.

Der erste Schnee, der erste Schnee,
Ich setze zaghaft Schritt vor Schritt.
Du weiße Blüte, kaum erblüht:
Du wölkst ja schon, du welkst ja schon!

Es kommt der Herbst, es kommt der Herbst,
Die Frauen schreiten bleich im Tag.
Auf manchem Bildnis abends ruht
Ein Auge, das sich rot geweint.

Winteranfang

Alle Welt ist voll Wind.
Der Herbst fällt von den Bäumen.
Wir sind
In Träumen.

Der erste weisse Schnee …
Wer auf ihn tritt, tritt ihn zu Dreck.
Ich sehe weg,
Weil ich mein Herz seh.

Weihnacht in einer kleinen Stadt

Im Strome treibt ein leerer Kahn,
Der Ast zerspellt, kein Wimpel dran.
Im Weinberg hängt der Nebel dicht,
Vom Himmel fällt kein Sonnenlicht.
Wie Totenaugen starren stier
Die Fenster aus den Häusern hier.
Kein Mensch zu sehn, kein Hund, der bellt;
Die Stadt verwaist, verwest die Welt.

Auf Rabenflügeln naht die Nacht,
Im Dom Herr Jesus Christ hält Wacht.
Sein Aug aus Stein, aus Stein sein Bein,
Aus Stein sein Stab, sein Herz aus Stein.
Er steht schon an die tausend Jahr
Und steht noch viele tausend gar.
Vergeht die Stadt, verweht die Welt:
Er steht: Prophet und Hirt und Held.

Einmal aber wird es sein

Einmal aber wird es sein:
Gott Apollo löscht die Sterne,
Ferner wurde jede Ferne,
Und im Sand verrann der Wein.

Einmal wird der Wald verwesen,
Einmal wird das Licht vergehn,[372]
Und die Frauen, die so schön,
Sind gewesen… sind gewesen…

Küsse finden keinen Gatten.
Sinnlos taumeln die Gebärden;
Leise gute Ziegenherden
Weiden tot auf Schattenmatten.

Das Geläut der Uhr verstummte,
Mondes Antlitz ist verweint.
Und ein leeres Fenster scheint,
Wo die große Fliege brummte.

Im verwaisten Tannenhain
Steht der Engel der Vernichtung,
Tränen blühen auf der Lichtung,
Und ich werde nicht mehr sein.

Ich habe am lichten Tag geschlafen

Ich hab am lichten Tag geschlafen.
Es weint das Kind. Es blökt das Rind.
In meinem Weidenbaume trafen
Sich Leiseklug und Lockenlind.

Kaum weiß ich noch, warum ich lebe.
Vereist mein Blick. Mein Blut verstürmt.
Wenn ich die Brust im Atem hebe,
Sind Felsen über sie getürmt.

Die Schwester auch am Nebelhafen,
Sie bietet süße Brust dem Wind.
Vor klingender Taverne trafen
Sie Leiseklug und Lockenlind.

Den Sternen, die am Himmel pochten,
Warf Köcher ich und Becher hin.
Ich bin mit Mohn und Tod verflochten
Und weiß nicht mehr, ob ich noch bin.

Der Abend

O mag nun Abend mich halten!
Der Tage wolkige Ruh
Versank im Teich. Und in Falten
Deckt sein Antlitz sich zu.

Nun mögen die Fackeln entbrennen!
Und röter das Trunkene nun!
Wir werden einander erkennen
Und Schulter an Schulter ruhn.

Wir sind nicht sonnebeisammen
Uns ferner als Vogel und Firn.
Doch werden wir sterbend entflammen
In Leidenschaft und Gestirn.

Und dem ich Blut und Vernichtung
Ins bleicheste Antlitz spie:
Er steigt als Reh aus der Lichtung
Und sinkt vor mir in die Knie.

Nur du

Nur du
Es führt kein Weg so weit —
Und brichst du Stück für Stück
Die Brücken hinter dir —
Er führt zu dir zurück.

Und schlügst du alle Spiegel
Entzwei,
Es grinst aus jedem Tümpel dir
Dein Konterfei.

Und fliehst du deine Tage
Und wanderst in die Nacht —
Der Knabe bringt die Fackel,
Du hast sie angefacht.

Soll ich untergehn

Soll ich untergehn
Will ich munter gehn,
Niemand soll mein Bruder sein.
Türe fliegt im Wind
Und ein kleines Kind
Wird bei seiner großen Mutter sein.

Alles Leid: geschah. Zeit: war einmal da.
Raum: zerbrach, und Wasser fraß die Furt.
Ich bin nichts und hold
In mich eingerollt
Wart ich auf die Stunde der Geburt

Selbstvergessenheit

Der Strom – floß,
Der Mond vergoß,
Der Mond vergaß sein Licht – und ich vergaß
Mich selbst, als ich so saß
Beim Weine.
Die Vögel waren weit,
Das Leid war weit,
Und Menschen gab es keine.

(Li-tai-pe)

Ich hab ja ein Kind

Ich habe ja ein Kind,
Nun kann ich nicht mehr sterben,
Wenn meine Augen tot und blind,
Dann hab‘ ich einen Erben.

Alle meine Träume flattern
In meines Kindes Augen wieder mit blauen Flügeln auf,
Schießen zwitschernd um seines jungen Turmes sonnegoldnen Knauf,
Wenn dumpf schon ferne die Gewitter rattern.

Du wirst mich ganz erfüllen,
Und meine Unruh stillen,
Mein Kind… du überwindest mein Martyrium.
Wenn ich begraben werde,
Wirf du die erste Handvoll Erde
Auf meinen Sarg – und dreh dich lachend um.

Geh hin zum neuen Leben,
Mehr kann ich dir nicht geben,
Als was ich war… und ich war ich.
Mein Blut soll in dir singen,
In meine Tiefe dringen,
Wenn längst sich Wurm auf Wurm in meinen Schädel schlich

Abschied

Das Gestern, das mich flieht, kann ich nicht halten,
Das Heute drückt mich wie ein Frauenschuh.
Die kleinen Wandervögel schon entfalten
Die Flügel herbstlich ihrer Heimat zu.
Ich steige auf den Turm, die Arme weit zu dehnen,
Und fülle meinen Becher nur mit Tränen.

Ob ich, ihr großen Dichter, euer werde?
Ich bin gekrönt, wenn mich ein Vers von euch umflicht.
Und meine Füße stampfen wohl die Erde,
Doch ach zum Himmel tragen sie mich nicht.

Wer kann den Springbrunn mit dem Degen spalten?
Wie Öl schwimmt oben auf dem Wein die Not.
Das Gestern, das mich flieht, kann ich nicht halten.
Ich werf mich in ein steuerloses Boot,
Das Haar dem Winde flatternd preisgegeben,
Wird mich die Woge auf und nieder heben.

Zweiter Kreis

Ich kam aus lauter Liebe in die Welt

Ich kam aus lauter Liebe in die Welt.
Nun weiss ich nichts als Kolben, Schuss und Stich.
Ich wäre gern, wo man sich auch gefällt.
Ein Fisch, der blinkend aus dem Wasser schnellt.
Ein Mädchen, das zum schlanken Jüngling schlich.

O diese Müdigkeit der tapfren Glieder!
Der achtzehn Jahre fieberndes Allein!
War einmal ich bei meiner Schwester wieder,
Ich kniete zwischen ihren Händen nieder
Und würde nur noch Bruder sein.

Die deutschen Dichter

Ihr Weiser und Verweser unseres Schönen,
Laßt euch vom Waffenrausch nicht übertönen.
0 sorgt, daß unser Blut nicht rot erstarrt,
Und seid uns Dom und ewige Gegenwart.
Du, Günther, brauner Packan, bissig bellend.
Du, Hölderlin, die sanften Pfeile schnellend.
Du, Mörike, verträumte Pfarrhauslinde.
Du, Eichendorff, voll grüner Birkenwinde.
Du, Heine, blonder Jude, geistig handelnd.
Du, Conrad Ferdinand, auf Rhythmen wandelnd.
Du, Plalen: im unsterblichsten Sonette.
Du, Nietzsche, deutscher Pole, Glockenkette.
Und du, o ewige Früh- und Abendröte,
Du Turm, du Sturm, du erster Mensch, du: Goethe.

Zarenlied

Nach Adam Mickiewicz

Wenn ich nach Sibirien trotte,
Muss ich schwer in Ketten karren,
Doch mit der versoffnen Rotte
Will ich schuften … für den Zaren.

In den Minen will ich denken:
Dieses Erz, das wir hier fahren,
Dieses Eisen, das wir schwenken,
Wird zum Beil einst … für den Zaren.

Wähl ein Weib ich zur Genossin,
Wähl ich sie aus den Tataren,
Dass aus meinem Stamm entsprosse
Einst ein Henker … für den Zaren.

Bin ich dann ein freier Siedler,
Säe ich mit grauen Haaren
(Geigt schon nah der graue Fiedler …)
Grauen Hanf … nur für den Zaren.

Silbergraue Fäden rinnen
Fest durch meine Hand … in Jahren
Wird mein Sohn zum Strick sie spinnen …
Für den Zaren … für den Zaren

Der Morgen bläst

Der Morgen bläst in seine rote Trompete.
Das silberne Horn des Mondes verklang.
Graue Husaren reiten durch den Tau.
So süß die Zimbel der Nachtigall!

Die kahlen Bäume betreten büßend den Raum.
Ein Verwundeter schluchzt.
Rot steht ein Kreuz auf weißem Leinentuch.
Daran gekreuziget: der bleiche Tag.

Es jagen die Jünglinge

Es jagen
Die Jünglinge
Gegeneinander.
Mit ihrem Blute ist
Der Mohn betupft,
Die Wolke angemalt,
Der Fluß beglänzt.
Der Kugelregen
Rinnt und rinnt
Schon Tage —
Monde –
Jahrelang.
Ganz aufgeweicht der Boden:
Blaches Braun.
Kein Baum mehr Baum:
Die Händeäste abgehackt.
Kein Gras mehr Gras:
Verdorrt in Schlamm und Schmach.
Kein Dorf mehr Dorf:
Der Kirchturm brach ins Knie
Und betete zermalmt. Die Häuser flohn
In Kraterinneres.
Kahl kräht der Hahn auf Aas.
Das Schwein
Nagt an der Wange des Gefallenen,
Des Faust sich um des Mondes Sichel krampft,
Zu mähen Lug und Lüge,
Tand und Tod.

Ihr Jünglinge,
Wem opfert ihr die Brust?
Den blauen Blick?
De heilige Scham?

De Zukunft hüllt ihr Haupt,
Verhüllt es schwarz
Mit ihres Haares Pelz,
Und niemand kennt
Ihr Schicksal: sei es Falter oder Fels.

Ihr Jünglinge!
In jedem stirbt ein Herz,
Ob auch lebend mit den Leichen geh.
Der Mund lallt Leichtigkeit,
Die Sehne stockt —

O stopf mit Erde Schlund,
Gedärm und Glaube.

Ein jeder nagelt sich ans eigne Kreuz —
Er schleppt es selbst bis an die Schädelstätte.
Granate Geier lauert, wen sie fresse.
Der Schädel birst, und ein Gestirn zerplatzt.
Ein Haus zu Hause.
Eine schlanke Magd.
(Verheißung unterm Mieder: schwach gewölbt.)

Ein mütterlicher Abend.
Lampenluft.
Zehn Taler Löhnung.
Tanz im Grunewald.
Ein Mädchenlager unter Weiden.
Trunkener Teich.
Und Sonne, Wald und Wein und Freundlichkeit.
Ein Glockenruf, ein blauer Blumenhut
Und einst in weißer Wiege:
Jesuskind —
Dahin … dahin …
Auf ewig dies: dahin …

Ich war schon einmal in diesem Land daheim

Ich war schon einmal in diesem Land daheim.
Ich sah schon einmal jene polnische Kuppel.
Und jenen Baum. Und jene Wolke lag
Auch im Frieden an meinem Herzen.

Nur neigte sie sich sanfter. Und kein Rauch
Verscheuchte ihre blinkende Leidenschaft. Der Himmel rollte
Still wie ein Rad am Ackerwagen, und kein Geschrei war
Der Millionen entlaufenen Tiere.

O dieser Lärm! Der Mond selbst trommelt dumpf.
Die Sterne flöten nachts. Dem Tod am Morgen
Ist Licht nicht heilig. Seht: er schlägt der Sonne
Goldene Pauke.

Haus in W.
(für Bruno Frank)

In jeder Ecke lag ein Mädchen.
Die Kniee stiessen in die Luft.
Lag da, von vier Uhr früh bis drei Uhr nachts.
Lag eine Ewigkeit.

Mit einer zahmen Hundepeitsche knallte
Der violette Pole, wenn in seinen Hut
Ein Taler flog. Wie eine Lerche singend.

Das kleinste Mädchen lachte ernst wie Gott.
Ich bin nicht gut. Es liegt kein Freund bei mir.
Mein hübscher Freund ist tot.

Von vier Uhr früh
Bis drei Uhr nachts marschierten Heere deutscher
Soldaten durch die Tür. Marschierten singend
Berauscht und dunkel in die Ewigkeit.

Es war so gut ein Mensch zu sein

Man ist nicht tot. Man lebt nur unter der Erde.
Ein wenig feucht. Maulwürfen brav verbrüdert.
Wenn eine Granate gröhlt, springt man zum Himmel hoch.
Man möchte wieder einmal die Sonne sehn.

Mit Mäulern werfend Sand und grünen Saum
Der Wieseninbrunst. Raupentraum. Der Kies
Knarrt zwischen Zahn und Zahn. Und blinder Blick
Fühlt sich ans Herz der Höhle, herzgewölbt.

Es war so gut, ein Mensch zu sein. Mit Frauen
Im Blauen zu spazieren. Angeln am Fluss.
Die Kuckucksrufe zählen. Wein trinken.
Kinder haben und einen Glauben an Gott.

Das ist vorbei wie Mutterschrei am Grab.
Man möchte gehn, aber man hat kein Bein.
Man möchte denken. Aber das Hirn
Schaukelt an einer einsamen Buche im Wind.

Lied im Herbst

Wie Krieger in Zinnober
Stehn Bäume auf der Wacht.
Ich taumle durch Oktober
Und Nacht.

Blut klebt an meinem Rocke.
Mein Weg ist weit und lang.
Des Tales dunkle Glocke
Verklang.

Auf einem schwarzen Pferde
Reit ich von Stern zu Stern.
Die Sonne und die Erde
Sind fern.

Ich bin von vielen Winden
Zu Gott emporgereicht,
Werd ich den Frühling finden?
Vielleicht …

Der sterbende Soldat

Der Tod hat heute keine Geige mehr.
Er ist kein einzelner, der seine Sense schwingt.
Er hebt den Arm aus einem ganzen Heer
Voll brauner Russen, das nach Juchten stinkt.

Ich habe manche Nacht dem Mond geklagt.
Ich tastete mich nach der Mutter hin,
Und meinte: So wie sie ist Gott. Er fragt,
Ob ich bequem und gut gebettet bin.

Ich hätte gern noch mancherlei getan,
Im Herzen strömt der Fluss der ewigen Pflicht.
Doch hinter mir steht schon ein andrer Mann,
Und reiner flammt sein weisses Angesicht.

Ballade vom deutschen Landsknecht

Wir taten unsere Pflichten stumm mit grauen Mienen
Und pflügten schweigend unser Feld.
Nun schweifen wir wie Beduinen
Ach durch die Wüste dieser Welt.

Uns dörrte die verdorrte Sonne Flandern,
Der Polensumpf war uns nicht fremd.
Man hiess uns nach dem Goldnen Horne wandern,
Wir wuschen in der Drina unser Hemd.

Doch wenn des Frühlings heilige Mythe
Den Schnee um unsere Herzen schmilzt,
Steht eine Kiefer aus der Mark in Blüte
Zu unsern Häupten, dunkel und verfilzt.

O Deutschland unser, das du bist im Himmel!
Wir fühlen tausendfach dein Weh.
Und deiner Söhne grauestes Gewimmel
Ist Stein zu deiner ewigen Statue.

Die Kriegsbraut

Ich sage immer allen Leuten,
Ich wäre hundert Jahr…
Die Hochzeitsglocken läuten…
Es – ist – alles – gar – nicht – wahr.

Ich liebte einst einen jungen Mann,
Wie man nur lieben kann.
Ich habe ihm alles geschenkt,
Tirili, tirila –
Er hat sich aufgehängt
An seinem langen blonden Spagathaar…

Auf den Straßen wimmeln Geschöpfe:
Ohne Arme, ohne Beine, ohne Herzen, ohne Köpfe.
An der Weidendammer Brücke dreht einer den Leierkasten.
Nicht rosten,
Nicht rasten –
Was kann das Leben kosten?
Er hat eine hölzerne Hand,
Aus seiner offenen Brust fließt Sand.
Neben ihm die Schickse
Glotzt starr und stier.
Er hat statt des Kopfes eine Konservenbüchse,
Und sie ist ganz aus Papier.

Eia wieg das Kindelein,
Kindelein
Soll selig sein.

Mein Bräutigam hieß Robert.
Er hat ganz Frankreich allein erobert,
Dazu noch Rußland und den Mond,
Wo der liebe Gott in einer goldnen Tonne wohnt.

Als er auf Urlaub kam,
Eia, eia,
Er mich in seine Arme nahm,
Eia, eia.
Die Arme waren aus Holz,
Das Herz war aus Stein,
Die Stirn war aus Eisen,
– Gott wollt′s –
Wie sollt es anders sein?

Er liegt in einem feinen Bett… trinkt immer Sekt.
Eia popeia –
Er hat sich mit Erde zugedeckt,
Eia popeia –
Nachts steigt er zu mir empor.
Er schwankt wie im Winde ein Rohr.
Seine Augen sind hohl. Transparent
In der offenen Brust sein Herz rot brennt.
Seine Knochen klingeln wie Schlittengeläut:
Ich bin der Sohn des großen Teut!
Flieg, Vogel, flieg!
Mein Bräutigam ist im Krieg!
Mein Bräutigam ist im ewigen Krieg!
Flieg zum Himmel, flieg!
Fliege bis an Gottes Thron
Und erzähle Gottes Sohn:
– Vielleicht ihn freut′s, vielleicht ihn reut′s –
Millionen starben, Gott, wie du
Den Heldentod am Kreuz!
Noch ist die Menschheit nicht erlöst,
Weil Gott im Himmel schläft und döst.
Wach auf, wach auf, und zittre nicht,
Wenn der Mensch über dich das Urteil spricht!
Groß, Herr im Himmel, ist deine Schuld,
Doch größer war des Menschen Geduld.
Tritt ab vom Thron,
Du Gottessohn,
Denn du bist nur des Gottes Hohn:
Es flammt die himmlische Revolution.
Du sollst verrecken wie wir!
Tritt ab
Ins Grab,
Mach Platz
Der Ratz,
Dem Lamm oder sonst einem Tier!

Der Totengräber

Ich rede frisch von der Leber
Weg, zum Parlieren
Und Zieren
Ist keine Zeit.
Ein armer, wandernder, stellenloser Totengräber
Bittet um Arbeit.
Habt ihr keinen Toten zu begraben?
Keine Leiche im Haus?
Ei der Daus!
Keine Mutter? Keine Tochter? Keinen Mann?
Ich begrabe sie, so gut ichs kann.
Bei mir ist jeder gut aufgehoben,
Das Werk wird seinen Schöpfer loben.
Ich trage die Schaufel stets bei mir
Und begrabe Sie auf Wunsch im Garten hier.
Die Erde leicht und lau fällt

Auf Ihre Rippen
Wie Schnee.
Ein Grab ist schnell geschaufelt.
Die Lippen
Lächeln: Ade

Ich wandre immer hin und her,
Ob ich nicht Arbeit fände.
Mein Herz ist leer, mein Beutel ist leer,
Und leer sind meine Hände.

Denn wer mich sieht, der schlägt von fern
Um mich den Hasenhaken.
Die Mädchen schlafen und die Herrn
Nicht gern im Leichenlaken.

Ich bin ein verlorner Sohn. Ich frass die Treber
Der Fremde allzu lange Zeit.
Ein armer, wandernder, stellenloser Totengräber
Bittet um Arbeit.

Ich kehre in die Heimat zurück

Ich kehre in meine Heimat zurück.
Ich suche das Dorf, den traulichen Teich,
Die watenden Gänse, den deutenden Baum,
Das Wasser im Brunnen, das holdeste Haus.

Ich gehe des Weges und frage das Feld:
Wo blühen Lupinen? Wo zittert das Korn?
Der schlanke Wald? Er wanderte aus
In welche Gegend? In welches Herz?

Wo kreisen Störche, strebend im Rauch,
Der den Kaminen friedlich entstieg?
Wo klingen Birnen? Wo blüht ein Strauch
Rosen um liebes Fenster?

Wo find ich die Mutter im Reigen der Kühe?
Mein liebliches Mädchen? Ihr seidenes Tuch?
Ich suche die Heimat: zerrissen, zertreten,
Ich suche mich selber und finde mich nicht.

Gefängnis

I

Nun wird es wieder dunkel.
Kein Stern tritt mit Gefunkel
In meine Zelle ein.
Die Wände schier erblassen,
Und grüne Hände fassen
Nach mir wie zum Gespensterreihn.

Wie wird es morgen werden?
Kein Himmel hier auf Erden.
Die Nacht so sanfte Wellen schlägt.
Ich sinke wie verloren
Umhüllt von schwarzen
Floren In einen Fluß, der mich von dannen trägt.

II

Draußen singt ein Vogel in der Welt.
Draußen blüht ein blaues Frühlingsfeld,
Draußen geht ein Mädchen Arm in Arm
Osterlich geputzt mit dem Gendarm.
Draußen sitzen satt im Restaurant
Bürger bei Musik und Gabelklang.
Auf der Burg von Nürnberg spielt ein Kind
Mit den Wolken und dem Himmelswind.
Und der Untersuchungsrichter streicht
Seiner Frau das blonde Haar vielleicht.
Draußen lächeln sie einander an:
Greis und Säugling, Mädchen oder Mann.
Draußen lieben sie einander sehr:
Reh und Wiese, Sonnenschein und Meer.

III

Wie der Schneefuchs der Polarnacht
Streif ich einsam durch das Leben.
Keinem künftig hingegeben,
Weil die Einsamkeit nur wahr macht.
Fälschte nicht des Bruders Tritt ich?
Wünscht zum Ziel er meinen Rat sich?
Jeder suche seinen Pfad sich,
Und schon schwirrt des Geiers Fittich.

Ja: verzeiht dem armen Toren,
Dass er focht für seine Brüder.
Hier, die Waffen legt er nieder,
Denn ihr habt ihn nicht erkoren.
Blasser starrt der Mond und gelber,
Felsen folgen seinem Scheine.
Und vergebt mir, dass ich weine,
Denn nichts wollt ich für mich selber.

Es fällt ein Blatt

Es fällt ein Blatt. Es stürzt ein Baum.
Es steht der Mond. Es weht die Nacht.
Und über allem Traum und Raum
Ist eine Hoffnung sacht erwacht.

Sie sucht nach Rast. Ein Falter fast.
Sie stäubt dahin, sie glänzt dahin.
Und wer die Erde noch gehasst,
Betäubt geht und bekränzt er hin.

Du, dem das Blut zum Halse stieg,
Und der die goldne Sense schwang:
Die Stirne neig! Die Kniee bieg!
Der Gott geht seinen Donnergang!

An das Vaterland

(Auf einem Alpenpaß)

Willkommen, heiliges Land, der Heiligen Land,
Kerker der Bösen, Herberg der Gerechten!
Nimm deinen Sohn, der aus der Fremde kommt
Und Leid und Sorge unterm Mantel trägt,
(Ach keinen Edelstein, kein edles Gut,
Und ach, wer weiß, vielleicht kein edles Herz …)
0 nimm ihn gnädig auf! Und sei’s auch nur,
Daß einen Baum du ihm zum Sarge leihst.
Ich bin so müde, müde dieser, jener,
Ach aller Welten bin ich gänzlich satt.
Im Äther reckst du stolz dein Felsenhaupt
So frei, wie jene Freiheit, die du schenkst.
Du lohnst mit Blumensilber, Sternengold,
Dich denkt der Weise und dich schützt der Held.
Das Mädchen liebt dich. Gott hat dich geträumt.
Ich stehe auf dem Alpenpaß und blicke
Hinab zu dir. Es dämmert schon. Du schläfst.
Und Tränen stürzen mir aus meinen Augen,
Sie sammeln sich zu einem Bache, der
Mir weit voraus hinab zu Tale springt.
0 schenke mir die Erde wieder! Schenke
Mir so viel Erde nur, darauf, darunter
Zu ruhn —

Chinesische Kriegslyrik

Abschied

Unruhig scharrt das Pferd des Generals.
Unter den Säulen steht die junge Frau.
Sie reicht ihm das Gewebe eines Schals:
Purpur auf grau.

Wie viele Zärtlichkeiten hab ich drein verwoben!
Lies sie im Zelt …
Betrachtest du den vollen Mond am Himmel droben –
O denk an mich und meine kleine Welt!

O kehre nicht zu spät
An meine Brust zurück! Noch ist der Scheit entfacht
Bedenke, wie von Nacht zu Nacht
Der volle Mond vergeht –
Und wie er endlich, einer Greisin blasse Stirn, am
Himmel steht.

Der Werber

Sonne sank. Ich ging zur Ruh –
Als ein Werber schlich durchs Dorf auf feiger Lauer.
Äffisch kletterte ein altes Männchen über eines Hauses Mauer.
Eine alte Frau trat welker Stirne auf den Werber zu.

Und der Werber schrie ob der entflohnen Beute,
Und das Weib stand wie ein Stein und wüster Schrei,
Steil: Hört mich, ob Euch nicht Euer Handwerk reute!
Ich gebar drei Söhne … und der Kaiser nahm sie alle drei.

Ehegestern hat der Älteste geschrieben,
Ach, er lebt! Wie lange lebt er noch?
Seine beiden Brüder sind im Feld zur Erntezeit … geblieben,
Zogen, dumpfe Stiere, stampfend unters dunkle Joch.

Sucht, ob Ihr noch einen Mann im Hause findet!
Nur ein Enkel schleppt sich an der müden Mutter Hand.
Sie ist müde. Er hat Hunger. Und sie windet
Sich aus Ackerblumen ihrer Blöße ein Gewand.

Ich bin alt. Es klappern meine Knochen.
Doch ich will mich opfern, wenn Ihr wollt.
Reis will ich für die Soldaten kochen,
Und dem Feldherrn bin ich gerne hold. —

Eine Eule unterm Firste angte.
Schrei und Klage rauschten durch die Nacht wie Wellenschaum.
Als im Frührot ich zum Wanderstabe langte,
Saß ein altes Männchen wie ein Affe krähend auf dem
Aprikosenbaum …

(frei nach Thufu)

Krieg in der Wüste Gobi

Am Himmel die Plejaden tropfen Blut.
Blut sickert in der Wüste Gobi Sand.
Mit seiner Freundin nicht der Feldherr mehr auf weicher Matte ruht.
Sein Sichelwagen ist mit Schimmeln hell bespannt.
Von Feuer flammen alle Länder.
Eilboten jagen durch die Nacht.
In Fahnen hüllt der Mordrausch sich wie in Gewänder.
Der gelbe Sandsturm wirbelt in die Schlacht.
Fürst Lou-lans Haupt rollt unterm Schwerte.
Der Khane viele traf der Pfeil in Aug und Stirn.
Der Herbstreif fällt in der Soldaten Barte.
Schakale beißen sich um eines Menschen Hirn.
Gleich einem Silberschwarm von Vögeln schwingend,
Erreicht der Sieg den Kaiser in Stafetten.
Soldaten ziehen in die Heimat singend,
Und Frauen knien am Weg wie Statuetten.

(frei nach Litaipe)

Sieger mit Hund und schwarzer Fahne

Sieg, Sieg darf ich in meine Haare flechten.
O fieberte nicht in der Brust die offne Wunde!
Die schwarze Fahne in der Rechten,
Gehe übers abendliche Schlachtfeld ich mit meinem Hunde.

Er bellte, wenn er einen Feind gefaßt.
Ich zeige ihm die tote Brut:
Friß ihre Leidchen, wenn du Hunger hast,
Und sauf ihr Blut…

Er springt an mir empor, sein Blick sagt: Du.
Er leckt…und stillt die klaffendere Wunde.
Die schwarze Fahne in der Hand, schreit ich mit meinem Hunde.
Dem kommenden, dem neuen Tage zu.

(frei nach Thufu)

Winterkrieg

Ich träume von dem Regenbogen
Und den Gärten meiner Heimat Tjin.
Mimosen blühen gelb. Gazellen hüpfen.
Wohl ist Krieg. Aber Krieg von Sonne warm.

Wir frieren mit den Pferden am Wege fest.
Manchem werden eiserne Beine abgeschnitten.
In den Stiefeln. Augen erfrieren wie Glas.
Wohl dem, der unterm Schneeweiß schläft, zu Tod gebräunt.

Wir Bettler. Unsre Kleider sind zerfetzt.
Fels starrt wie Eis, und Eis starrt wie Gestein.
In Spiralen dreht sich zuckend der Paß.
Hündisch klettern wir den Mond hinauf.

Wie Maulbeerborke platzt die Haut.
Unser eignes Blut rinnt aufs Schwert.
Hörner klingen in dumpfer Qual.
Süßer sang ich zur Flöte einst.

Keiner Heimkehr bin ich mir bewußt.
Ein Tiger, aufgescheucht, schlägt mit dem Schweif,
Fletscht seine Zähne, weiß wie Reif, und dunkel
Rollt sein brüllender Ruf ins Tal.

Zeige jemand sein Herz! Vogel fällt vom Baum.
Trete hervor und zeige sein Herz. Wo ist rot ein Herz?
Tannen stehn beschneit, und auf den Zweigen
Hocken wir steif und krähn im Nebel des Bluts.

O Himmel! Heiliger! Hilf, verbrenne mich!
Laß Wintergewitter grau erdonnern — und wirf
Den Blitz in die erstarrt erhobene Stirne,
Daß ich aufsteige, Feuersäule, in Nacht.

Li-tai-pe

Dem König von Wu droht der Untergang

Ein Rabe schreitet dunkel auf dem First
Des Schlosses von Ku-su. Im Saale drinnen
Knieen vor dem Könige die Tänzerinnen.
„Si-schy“, er lächelt, „wie du mich verwirrst!“

Die Sonne sinkt. Die Wasseruhr jagt jach.
Der Mond steigt auf, im Strome zu versinken.
Die Sonne kehrt zurück. Die Gräser blinken.
Der Rabe steht noch immer auf dem Dach.

Klage der Garde

General!
Wir sind des Kaisers Leiter und Sprossen!
Wir sind wie Wasser im Fluß verflossen…
Nutzlos hast du unser rotes Blut vergossen …
General!

General!
Wir sind des Kaisers Adler und Eulen!
Unsre Kinder hungern … Unsre Weiber heulen …
Unsre Knochen in fremder Erde fäulen …
General!

General!
Deine Augen sprühen Furcht und Hohn!
Unsre Mütter im Fron haben kargen Lohn …
Welche Mutter hat noch einen Sohn?
General!
Schi-king

Der müde Soldat

Ein kahles Mädchen. Heckenblaßentlaubt.
Sie steht am Weg. Ich gehe weit vorbei.
So stehen alle: Reih in Reih,
Und Haupt an Haupt.

Was weiß ich noch von heiligen Gewässern
Und von des Dorfes Abendrot?
Ich bin gespickt mit tausend Messern
Und müde von dem vielen Tod.

Der Kinder Augen sind wie goldner Regen,
In ihren Händen glüht die Schale Wein.
Ich will mich unter Bäumen schlafen legen
Und kein Soldat mehr sein.

Schi-king

O mein Heimatland

Tschangan, o mein Heimatland,
Spielt man noch in dir das Spiel der Spiele?
Ach, der Kinder wurden wenig, und der Toten viele …
Im Palaste herrscht der Günstling Leid.
Eine spitze grüne Kappe trägt er –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Und ein silbergrünes Kleid.

Tschangan, o mein Heimatland,
Hoch im Norden klingen alle Felsen von Trompeten,
Und die Straßen stehn voll Kriegsgeräten.
Selbst der Bote mit der kaiserlichen Feder weilt –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Und die Stunde des Befehls enteilt.

Tschangan, o mein Heimatland,
Tiefer tauchen schon die Fische unter.
Bunter Herbst färbt mein Gewand nicht bunter …
Junger Schmetterling – auf meinen Flügeln trug –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Ich des goldnen Staubes einst genug …

Tschangan, o mein Heimatland –
Sah Soldaten durch das Osttor reiten,
Sah ein Blumenschiff im Nebel gleiten,
Und beseligt neigte ich mich einem Fächer zu –
Tschangan, o mein Heimatland! –
Hinter allen Wolken leuchtest du!

Thu-fu

Der weiße Storch

O unerhörte Qual des Bürgerkrieges,
In seiner Brüder Blut den Dolch zu tauchen,
Wenn ihre Städte als Ruinen rauchen.
Es droht die Nacht der Sonne selbst des Sieges.
O wann erscheint des Himmels wahrer Sohn,
Der eignen Knechtschaft Bande zu entwirren –
Daß wieder statt der Schwerter Verse klirren
Und ach der Frauen leichte Rebellion.
Dem Krater eines schwarzen Wolkenkreises
Entschwebt ein weißer Storch. Er schwebt. Er lenkt
Den Flug zu unsren Häusern. Niemand weiß es,
Auf wessen Dach er seine Flügel senkt.
Tschang-tü-tsi

Der Große Räuber

Der große Räuber bindet seinen Helm mit einem dicken Stricke fest.
Sein Säbel ist glatt wie Eis und leuchtet wie Firn.
Wenn er die harten Schenkel an den Schimmel preßt,
Stürmt übern Horizont ein schweifendes Gestirn.

Wer sich ihm stellt, muß es in zehn Sekunden büßen.
Was sind ihm hundert Meilen, die er doch in einer Nacht durchfuhr?
Er schüttelt nach dem Kampf den Staub von seinen Füßen.
Niemand weiß seinen Namen. Niemand weiß seine Spur.

Zuweilen besucht er den Prinzen Si-ling.
Er schnallt den Säbel ab und legt ihn über die Knie.
Der Prinz verehrt ihm einen geheimnisvollen Ring,
Und wie zwei beste Freunde fressen und saufen sie.

Drei Becher Wein sind wie ein Händedruck beliebt.
Viel leichter würdest du von einem Gott als ihm betrogen.
Wenn er schwitzt und der Wein seine Blicke trübt,
Fängt er Sterne wie Fliegen, umarmt einen Regenbogen.

Ein Hammer in seiner Hand genügt, ein Königreich zu retten.
Wie Donnerhall ist seines Namens Schrei.
Nach ewigen Herbsten noch fahren Kinder
entsetzt aus den Betten,
Träumen sie von Si-ling und Tschü-hai.

Um ihre Knochen schwebt des Opfers Duft.
Der Dichter ist beschämt. Die bleiche Stirn errötet.
Ruhmloser steigt er in die Gruft
Als der, der tausend Menschen tötet.

Li-tai-pe

Dritter Kreis

Auf dem Fluß

Ein Boot aus Ebenholz und eine Jadeflöte.
Ein Lied. Der Frühling. Eine schöne Frau.
Mein Herz blüht rot. Der Himmel blau
Und blau das Meer.

Ich zaubre auf der Freundin Wangen
Mit meinem Liede eine leise Röte:
Ich zaubre die Morgenröte
Her.

Es ist die Nacht mit uns … vergangen.
Ich weiß es nicht, wohin ich steure.
O ihr Unsterblichen, ich bin der Eure.

Frei nach Li-tai-pe

Soll ich kleine Lieder singen

Soll ich kleine Lieder singen,
Wie ich oftmals tat?
Sonne schon und Nachtigallenschwingen
Naht.

Unterm Schnee die Quellen rauschen
Schon dem Frühling zu.
Laß uns lächeln, laß uns lauschen!
Du!

Rinnt nicht auch in deinen Tränen
Schon der Mai?
Liebend Berge sich an Berge lehnen.
Sei!

Eine Tanne steht im jungen Triebe,
Wo der Marder schlich.
Winter wankt. Die Föhne stürmen. Liebe
Mich!

O gib

O gib mir deine Hände,
Der Frühling brennt im Hag,
Verschwende dich, verschwende
Diesen Tag.

Ich liege dir im Schoße
Und suche deinen Blick.
Er wirft gedämpft den Himmel,
Der Himmel dich zurück.

O glutend über Borden
Verrinnt ihr ohne Ruh:
Du bist Himmel geworden,
Der Himmel wurde du.

Die Luft ist voll von deinem Duft

Die Luft ist voll von deinem Duft
Die Luft ist voll von deinem Duft,
O süßer Leib du von Jasmin!
Die Uhr schlägt drei. Am Horizont
Die ersten rosa Wolken ziehn.

Die ersten rosa Wolken ziehn
Am Horizont. Die Uhr schlägt drei.
O süßer Leib du von Jasmin,
Die Luft ist voll von deinem Duft!

Wieder

Wieder willst du zu mir schleichen
Durch die dunkle Nacht.
Alle Kluggedanken weichen
Deinem wilden Unbedacht.
Und du bittest,
Daß ich wieder sei wie einst.
Littest
Du? – (Du weinst …)

Die unendliche Woge

Wie des Meeres Wellen
Auf und nieder wellen:
Also wogt unendlich mein Verlangen,
Dich zu fangen, zu umfangen.
Wie entflieh ich meinem Wahne?
Neige ich mich aus dem Kahne:
Immer seh den einzigen Gedanken
Ich im Meere auf und nieder schwanken.

Vergib mir

Vergib mir.
Ich tat,
Was Gott allein zu tun geziemt:
Nahm deine Hand für meine Hand,
Dein Herz für meines.
Mich verwirrte
Die schöne Nacht,
Der goldne Stern im Strauch
Und dann: der namenlose Duft der Linde.
Verzeih.

Erst dacht ich

Erst dacht ich, daß in deinem Auge ich am Ziele
Der ganzen Welt.
Nun sehe ich wie viele Ziele Mir noch gestellt.

Ich sinne tag- und stündlich,
Was hinter deiner Stirne brennt …
Ich weiß: da glänzt so unergründlich
Das ganze Firmament.

Wir im Welteninnen

Pflanze auf meine Lenden
Deiner Liebesküsse Raserei:
Sieh: mein Schrei
Brüllt wie eine Fackel auf zu Weltenbränden.
Lass die Sterne bleich ins Nichts verrinnen,
Lass die Erde sich in Asche modern,
Wir im Welteninnen
Werden wie die Hölle ewig lodern.

Wenn der Sommer kommt

Wenn der Sommer kommt, gehen die Frauen mit ganz
langsamen Schritten durch den Garten.
Ihre Füße träumen schwer, und ihre Brüste warten,
Dass jemand unversehens von hinten sich heranschleicht
und sie packt: ein Knecht, ein Strolch, ein Hirt,
Und ihre Wehrlosigkeit zur süssen Schande wird …

Fieber

I

Öfter kommen Chausseearbeiter
Und hacken Steine klein.
Und stellen eine Leiter
An und klopfen die Steine in meinen Schädel ein.
Der wird wie eine Straße so hart, Über die eine Trambahn, eine Mistfuhre, ein Leichen-wagen knarrt.

II

Nun willst du nichts mehr von mir wissen,
Du blonde Frau!
Ich liege in den Kissen
Verdorrt und grau.

Wo meine Knie die Decke bauschen,
in meinen Schenkeln lagst einst du.
Ach meine Fieberträume rauschen
Mir deiner Brunst Gelispel zu —

Ein feuchtes Tasten geht
Wie eine Kröte über meinen Leib,
Zu spät!
Mein Weib!

III

Schwester,
Das Fieber brennt.
Vögel bauen mondene Nester
Am Firmament.

Das rote Kreuz auf deiner Binde
Geschmiedet rot —
O Mutter, komm zu deinem Kinde
Zu deinem Tod –

Auf ein Mädchen in der Dämmerung warten

Auf ein Mädchen in der Dämmerung warten –
Krähen fliegen über goldnem Garten.

Menschen streifen wie erloschne Sterne
Durch das gläsern hingegossne Ferne.

Wenn ein Kind aus einem Hause schreitet,
Ist es wie Musik, die uns geleitet.

In den Fenstern, die wir leicht erraten,
Tanzen Ladenmädchen mit Soldaten.

Auf ein Mädchen in der Dämmerung warten –
Sybil geht in einem fremden Garten.

Ein junges Liebespaar sieht sich überrascht

Wie kam es, dass ich heut betroffen
Im Mondlicht stehen blieb?
Die Pforte eines Parkes sah ich offen,
Ein Jüngling hatte seine Freundin lieb.

Im Buchsbaum schwirrte eines Vogels Fittich,
Die Schnäbelnden erschraken, und es stob
Ins grelle Mondlicht hell der eine Sittich,
Indes der andere sich ins Dunkel hob.

Nahte ich als Held und Beter

Nahte ich als Held und Beter
Unter Stürmen und Zypressen,
Ach, vergossen! ach, vergessen!
Regen-schnitter! Leise-treter!

Mir versagts, dich zu begatten,
Da ich kindlich an dir hänge.
Wirf den Bastard der Gesänge
Zu den Molchen und den Ratten.

Welt schien Schein und Ampel weiland,
Deine Brüste goldne Glocken,
Nacht und Blut und weiße Flocken
Sinken elend auf mein Eiland.

Und du lächelst meiner Tränen,
Rufst zum süßesten Alarme.
Laß mich an die Steinwand lehnen,
Daß den Stein ich doch umarme.

Die Stunde steht

Die Stunde steht. Die Wunde brennt
Die Sonne sinkt vom Firmament.

Du bist bei mir. Ich bin bei dir.
Das Zimmer ist voll Goldgetier.

Hier kriecht es schwer, dort fliegt es leicht –
Wie ist die Wand so bald erreicht!

Dein kühler Mund auf meiner Stirn –
Die himmlischen Raketen schwirrn,
Die Seele stürzt. Ich weiß es nicht,
Warum mein Aug in Tränen spricht.

Die Schaukel

Frühlingsnacht.
An der Mauer steh ich, stumm gelehnt,
Echo lacht
Einem Lachen, das mich ferne wähnt …

Eine Flöte klingt.
Mir zu Füßen blinkt ein Tränensee.
Eine Schaukel schwingt
Bis zur Mauer fast, an der ich steh …

Auch du

Nun bist auch du von mir gegangen
Ohne Lust und Streit.
Dich trieb das flackernde Verlangen
Der endlichen Unendlichkeit.

Was du mir warst – wer darf es wissen?
Was du mir wirst – was kann es sein?
Du bist in tiefsten Kümmernissen
Mit Erde nur und dir allein.

Und böt ein Freund dir seine Hände
Zu Stütze dar und Glück.
Du fühlst nur, dass der Gruss dich bände,
Und stiessest lächelnd ihn zurück.

Wiegenlied für Irene

Einen Sommer lang
Goldne Glocke schwang,
Rief zu immer holderem Tag.
Schlugst das Aug du auf,
Lag mein Kuss darauf,
Und dein Herz in meinen Händen lag.

Einen Sommer lang
Lied und Lachen klang,
Und wir waren ganz vor Glück entbrannt.
Schlang und Eidechs kam,
Und gezähmt sie nahm
Süßigkeit aus deiner guten Hand.

Einen Sommer lang
Mit dem Engel rang
Ich, dass ewig dieser Sommer sei.
Ach, ich war zu schwach,
Und im Herbste brach
Sensenmann das Ährenglück entzwei.

Dieser Sommer war
Voll wie hundert Jahr,
Die des Gottes Gnadenblut durchdrang.
Schenke sein Geschick
Unsrem Kind ein Glück
Viele, viele, viele Sommer lang.

Die Elegie auf Irene

Ich gäbe alles, was ich je geschrieben,
Für eine Stunde deines Lebens hin.
Ich will ja nur die liebste Liebe lieben,
In der ich endlich voll vollendet bin.
Was ich an Versen in die Welt getrieben
Wie Lämmer — das war Kinderspiel und -sinn.
Du hast mir erst den wahren Wert gegeben:
In deinem Leben dürft ich mich erleben.

Es ist kein Trost dem Manne, dem der Bote
Die dunkle Nachricht übern Estrich rief.
Wie ist auf einmal Herbst? Woher der rote
Und wilde Weinbusch, der noch sommers schlief?
Sie tragen durch die Räume eine Tote,
Wo gestern sie noch leicht und lächelnd lief.
Ach, wem der Menschheit einziger Mensch geraubt
Wie der mit Erdenasche ganz bestaubt ist.

Mir bleibt nichts Anderes, als dich zu suchen
In Welt und Wiese, Winternacht und Wald.
Halt deinen Schatten ich hier bei den Buchen?
Ach ich umarme eine Fehlgestalt.
Ich atme dich in Düften und in Ruchen.
Ich hör ein Lachen, das aus dir erschallt.
Wo bist du, Engel? Gib ein goldnes Zeichen,
Daß meine Worte deinen Thron erreichen.

Ich weiß gewiß: es wird an einem Tage
ach dir die Sehnsucht mich zerreißen ganz,
Ich bin ja nur noch Tränenkrug und Klage,
Von deinem Glanz ein schwacher Widerglanz,
Ich wünschte, daß ich in die Wolken rage,
Dir nah zu sein beim edlen Engeltanz,
Erflehe doch von deinem Liebesgotte,
Daß er zu dir mich hebe aus der Rotte.

Wohin ich sehe, seh ich deine Linien:
Den Vogel dort bewegen sie im Flug,
Sie schmiegen sich an jene schwarzen Pinien
Und bilden jenen Rauch am Gotthardzug.
ich träumte Deutschland. Doch in Argentinien
Ist eine Kirche, die dein Bildnis trug,
den Madonnen italienischer Meister
Regiert dein Lächeln und das deiner Geister.

Der Gott, dem wir die Seligkeit verdanken,
Das höchste Glück versagte er uns doch:
In eins verschlungen wie die Rebenranken
Zu wandeln durch das Regenbogenjoch.
Warum nicht sanken unsre jungen schlanken
Leiber gemeinsam in das dunkle Loch?
An deinem Grabe ich das Unkraut rode.
Der Überlebende stirbt viele Tode.

Laß mich an meinen Schmerzen blasser siechen,
So sterb ich selig, Blondeste, an dir.
Wie schneckenhaft die trüben Tage kriechen!
Wie langsam blättert es sich im Brevier!
Werd ich im Busch den neuen Frühling riechen?
Der Winter winkt mit weißem Laken mir.
Die letzten Töne meiner Harfe stimm ich:
0 stille meinen Durst nach Tod und nimm mich!

Jeden Tag muß ich gewöhnen

Jeden Tag muß ich gewöhnen
Mich aufs neu an dieses Leben.
Glocken hin und wieder dröhnen,
Wolken auf und nieder schweben.

Und ein Strom von Tränen fließ ich
Aufwärts wie ein Regenbogen.
In den Himmel schon ergieß ich
Meine Wellen, meine Wogen.

Engel neigen ihre Wangen,
Kühlen ihrer Augen Brände.
Und der schönste kommt gegangen,
Und er netzt sich seine Hände.

Lied vom weißem Haupt

Wie der Schnee so weiß
Wie der Mond so weiß
Werden unsre Häupter einmal sein …
Heute in der Nacht
Bin ich aufgewacht,
Und ich fühlte, daß du nicht mehr mein.

Noch ein letztes Mal
Füll ich den Pokal,
Werf ihn dann zu Scherben in den Kot,
Dunkel weint der Fluß,
Weil ich scheiden muß,
Tränenlos besteige ich das Boot.

West und Ost getrennt,
Meine Wange brennt –
Mädchen, sprich, wenn es zur Hochzeit geht:
Liebster, schwöre mir:
Ich gehöre dir,
Bis dein Haupt in weißer Blüte steht
(frei nach Weng-Kiun)

Nun bin ich ohne Beschwerde

Nun bin ich ohne Beschwerde,
Nun bin ich ohne Leid;
Tief unter mir die Erde
Liegt wie ein Stern so weit.

Und was ich je gelitten
Um dich und deinen Tod,
Ist von mir abgeglitten
Wie Rauch im Abendrot.

Gesühnt ist meine Fehle.
Gott will mir Gutes tun.
Ich darf bei meiner Seele
Noch heut im Brautbett ruhn.

Der abgeschossene Pfeil

Der abgeschossene Pfeil kehrt nie zurück.
Nie mehr der toten Liebe Liebesglück.
Nie mehr wird ihre Hand in meiner ruhn,
Nie mehr ihr Lächeln lieb und zärtlich tun.
In meinem Herzen liegt bestattet, was
Durchsichtig blinkte wie kristallnes Glas.
Mein Becher, meine Schale, mein Pokal:
Ich trinke nur noch Schmerz aus dir und Qual!
Vor meinem Aug der Tränenschleier wallt.
Hafis ward müde. Hafis wurde alt.

(frei nach Hafis)

Alles, was geschieht

Alles, was geschieht,
Ist nur Leid und Lied.
Gott spielt auf der Harfe Trost sich zu.
Welle fällt und steigt.
Ach wie bald schon neigt
Sich dein Haupt im Tod. Dann lächle du.

Vierter Kreis

Der Urmensch

Er ging groß dahin
Unter grünem Himmel
Der Eisige.
Die heißen Winde
Schlugen vergeblich an sein Herz.
Die kleinen Paviane weinten,
Aber sein Ohr war verstopft mit moosigem Werg.

Am See im Zwielicht
Stand er zuweilen zwischen hohen Binsen
Die ihn verdeckten.
Er sah den Mondschwan im Nebel rudern
Und fröstelte.

Er streichelte am Tag die Sonne: Mutter!
Sie wärmte wortlos ihn an ihrer weißen Brust
Und säugte ihn, das große Kind: mit Licht.

Er schlief, gesättigt. Schmetterlinge spielten
Mit seinen Träumen. Seine Gletscherstirne
Lag auf dem blauen Kissen des Azur.

Der Schauspieler

Er sah,
Wie tausend Augen an ihm hingen,
Geflecht des Waldes,
Efeu und Lian.
Die Pappel spitzte
In Pagodenhimmel,
Wo Veilchen ihm aus Ohr und Nase blühn.
Er ragt, Gebäude der Besprechung,
Im schwebenden Kulissenwald.

Da fühlte er den Mörtel sich entfernen,
Da bröckelt Stein auf Stein aus seiner Wand,
Da welken Veilchen,
Da entkriechen
Die tausend Augen Schnecken gleich in sich.

Er stürzte flammend.
Feuer fiel,
Und aus der Asche
Stieg, Nebel, seine sterbende Gebärde.

Gespensternd stand Skelett im leeren Raum,
In dem wie Fliegen tote Blicke schwirrten.

Uns ist gegeben

Uns ist gegeben:
Ein wolkiges Lächeln,
Ein stürmisches Segel,
Ein waldiger Schatten,
Ein mildes Gestirn.

Wir binden die Blüten
Im Frühling. Wir heben
Die Früchte vom Baume
Und keltern den Herbst.

Und winket der Winter
Mit schwingenden Tänzen,
Und locken die Nächte
Mit tönendem Wein:

Uns zittern die Füsse,
Uns dämmern die Augen,
Uns sinken die Hände
Die leeren, die schweren –
Verschüttet am Boden
Rollt spielendes Blut.

Die Kinder verlachen
Die Tränen der Alten.
Sie deuten das Läuten
Verdunkelter Glocken
Am Abend als Hoffnung,
Am Morgen als Sieg.

Ich sah

Ich sah
Den goldnen Sperber
Aus der Sonne geschleudert
Wie Honig aus Waben.
Kleine Sonne
Kreiste er über den Iristeichen.
Die Wellen
Tropften von seinem Glanze.
Er hielt im Schnabel
Die tönende Triangel des Frühlings.

Frühlingsgewölk

Frühlingsgewölk. Die Stare
Singen schön.
Die ersten Regentropfen trillern
Am Dach.

Die Wetterfahne weht
Nach Süden.
Die kleine Wiese
Weiss viel.

Träum ich die Tanne?
Träumt die Tanne mich?
Es lebt und stirbt
Sich leicht.

Ode in den Bergen

O du des Himmels goldene Vergossenheit!
Vergessenheit –
Ziel auf, ziel auf
Und führe
Brennende Sohlen
Heim und heimwärts
Zu dir,
O Mutter Ebene.
Was soll mir rings getürmt der Gipfel Hass
Umgrollend meinen wolkenweiten Wurf?
Ach, immer such ich hinter Schnee und Tannen,
Hinter des Abendrotes Lungenbluten
Des Horizontes Unermesslichkeit.
Jagen will ich
Mit den Rossen meiner Blicke
Über grüne Heide,
Über blaues Meer …
Sonne soll mich stürzen,
Mond mich süchten,
Aber Freiheit! – Freiheit! – Freiheit!
Taumelnder
Seiltänzer
Schweb ich auf den Zacken
Des Valbellahornes –
Ach, und sehe
Berge nur und Berge, Berge, Berge,
Wände meines Zucht- und Unzuchthauses …
Träume, wendet mich:
Lasst die grosse Stadt in mir erblühen:
Autorattern, Hafen, Messer fackeln
Bauchende Fanfaren
Und Fabriken.
Herzen senden
Ihre Wege endlos in die Nacht.
Lulu lacht
Und weint
Und küsst – und küsst –

St. Bernhardin

I

Es werden Tage kommen
Sonnenlose ohne Gelächter.
Brachfelder. Kein Korn glänzt.

Leichen rollen in den Flüssen.
Die Eisenbahnen sind voll toter Fahrgäste.
Wer ein Herz hat, weint
Hingebückt über das Jaucheloch.

Eine Tanne
Steht noch – vielleicht.
Das Gehörn einer Gemse
Hängt am Abgrund.

II

Ein alter Berg.
Ein altes Weib.
Das Hospiz
Bröckelt.

Eis und Felsen
Schlafen.
Nur ein Windstoß
Wacht.

Aus dem Tale die Tiefe
Steigt lodernd.
Schon brennt ein Blumenbusch
Am Abhang.

Schon weht ein Glockenruf
Ein Ziegenbart.
Ein kleines Mädchen
Lächelt aufwärts.

III

Wenn ich wüßte warum —
Ich wüßte weniges.
Wenn ich wüßte woher —
Ich wüßte viel.

Die großen Meere – aber die kleine Quelle
Sah niemand im Alpendickicht.
Nur ein sterbendes Murmeltier
Netze die Lefzen.

Schluchze, Enzianblau!
Die Felsen tosen.
Das Wasser schmeckt eisern.
Himmel helmt mein Haupt.

Hier weint der letzte Schnee
Ins Moos.
Hier beben die Knie
Im Niedersturz.

Der Wind singt im Abendrauch,
Und ein Kind
Hinter Häusern.

Tierherbst

Schon balzt der Auerhahn,
In den Äckerrinnen frieren Kaninchen.
Eine Gemse stürzt in den Gießbach.
Der Frosch entschläft.

Der Frost bereift die Flügel der letzten Fliege.
Der Fuchs ersehnt den hellen Winterpelz.
Geläut der Bäume, wenn die Blätter klingen.
Schlange raschelt durch totes Laub zum Bruder Strahl.

Wolken stürzen sich weinend in die Arme.
Elend des Abschieds, wenn der Wind verweht.
Erinnerung beglänzt den Bescheidenen.
Der erste Schnee. Ich möchte sterben gehn.

Novemberelegie

Ich habe gestern ein Gedicht an dich geschrieben.
Ich saß am offenen Fenster.
Ich fröstelte.
Der Herbstwind wehte.
Er hat’s verweht.

Als du zu mir kamst,
Standen zwei alte Weiber im Hausflur.
Sie krächzten hinter dir her
Wie Krähen.
Du hüpftest wie eine Bachstelze stolz und zierlich.
Öde ist die Welt, ein braches Feld, und böse sind die
Menschen.

Küsse mich mit deinen braunen Augen
Und wirf die Arme
Wie weiße Fliederäste um mich
Und schenke mir, dem herbstlich taumelnden,
Den Sommer,
Schenke
Noch einmal Sommer mir
Und weiße Rosen,
Letztes Licht.

Da nun der Winter eisig reisig klirrt
Und weißer Schnee die Wege wirrt:
Wohin soll ich wandern?
Wo soll ich bleiben,
Ich Habenichts,
Weißnichts,
Kannnichts?

Ich liege schon im offnen Sarg.
Küss meine kalten Lippen,
Um die der Schneesturm stob,
Ein letztes Mal
Und schlag den Deckel zu
Und geh ins Leben
Und lächle deiner Tränen. Lebe!
Liebe!
Und sei geliebt! Gelobt! Bedankt!

Herbst

Schon hebt die tanzende Charite
Die selige Syrinx,
Und dem gelösten Haar entfällt
Ein Büschel Mohn.

Im Wasser spiegelt sich erstaunt
Der heilige Frosch.
Die letzte Schwalbe
Verweht nach Süden.

Ins brechende Blumenauge
Blickt der verwunderte Jüngling,

Unwissend, dass er die Blume brach am Taumorgen,
Da er die Freundin streichelte.

Er schreitet,
Der marmorne Henker,
Nackt
In die stygische Nacht

Nicht werde ich vergessen

Nicht werde ich vergessen deine Brust,
Die tönende Ampel,
Darin dein Herz leuchtet,
Du Samtene!
Oft
Wenn ich erwache des Nachts,
Sehe ich dich wie einen silbernen Delphin
Durch die Gewässer des Dunkels schwimmen.
Oder am Tage:
Aus dem Asphalt
Blüht ein Gesträuch,[135]
Und dein Duft
Wirft mich besinnungslos auf den Stein.

Oden auf Irene

Wie süß zu denken
Wie süß zu denken: die Göttin segnet mich.
Blonde Göttin! 0 goldne Hirtin des Hains!
Wippend treibst du Wolken in Vogelwind
Oder Sternkühe in Wiesennacht.

Dir scheint ein Seufzer voller Bedachtsamkeit,
Brunnenfiguren bilden dein zaubrisch Gefolg.
Steinerne Herzen, feixende Faune, tönern
In den Abend verklingender Hirtengesang.

Was deine Hände fassen, zittert bezähmt:
Roggen im Sommer oder Mänade im Herbst,
Wildes Wasser — im Wasser schöpftest
Du auch mich in deine gehöhlte Hand.

0 entlaß mich zu meinem Element!
Schon zerfließe ich zwischen deinen schlanken
Strahlenfingern: mich nimmt verbrüdert
Erde in ihre Fruchtbarkeiten auf.

Liebst du ewig?

Liebst du ewig?
Ich liebe heute,
Heute ist unsere Ewigkeit,
Heute ist unser Kometensturz,
Heute rollt der Schollenschwung
Irdischer Eiszeit
Über uns liebendes Land hinweg.
Möge der Sterne
Springbrunn zerstäuben,
Möge der Sonne
Strahlender Pfirsich
Schmelzend zergehn!
Heute liebte ich
Deine Liebe,
Heute lächeltest
Du mein Lächeln.
Heute liebten wir
Ewig uns.
Eine stürmische Stunde
war Alle Ewigkeit unser.

Noch spüre ich den Ruch

Noch spüre ich den Ruch
Von deinem Schoß
An meinen Fingerspitzen.
Noch schwebe ich,
Ein seliges Schiff,
Auf blondem Flusse
Ganz bekränzt.
Um meine Stirne
Schwirren Bienen bunt.
Die Blüte rauscht:
Lupinen! Fernes Feld!
Weit offen
Steht das Tor der nächsten Nacht.
Mein Herz:
Ja, tausendfach erglüht im Dunkeln
Herz neben Herz im milden Morgenwind.

0 sitze stumm

0 sitze stumm
Und höre meine Beichte:
Jeder von uns verließ schon eine Frau —
Der er Gift gab
Im Becher des Kusses —
Stellte sie nackt
Seinen Freunden zur Schau.
0 wolle Absolution erteilen
Der schönen Schmerzen schwarze Tänzerin!
Siehe: unser aller Tränen rinnen
Mit den deinen zu einem Ziele hin.

Dir dunkelt der Mond

Dir dunkelt
Der Mond,
Wenn hell am Schlitten die
Narzissensterne läuten.

Wohin lenkt uns der kleine
Silberne Kutscher?
Tausend Tannen laufen
An den Flanken des Schimmels.

Am Wege kniet ein Berg —
Du frommer Bauer!
Meervogel kreischt
Im Gletscherwind.

Die Kastanienkerzen

Die Kastanienkerzen
Sind entzündet
Und die Wolken
Im Mondlicht.
Hier meine Hand
Dir unters Herz gelegt
Zum Kinde.
Das leuchtet schon
Ein kleines Licht
Im Wald deines Schoßes.

Ich sah eine junge Ziege im Tal

Ich sah eine junge Ziege im Tal.
Ich sah ein braunes Reh im Wald.
Ich sah eine rote Wolke im See.
Ich sah einen Tausendfüßler vor meiner Tür.

Ich ging auf den Berg.
Der Berg war du.
Ich lief mit dem Adler durch die Luft.
Die Lüfte hingen an meiner Brust
Wie deine weißen Brüste so weich.

Ich rief die Sonne. Du stiegst empor.
Ich schrie zum Monde. Du küßtest mich gold.
Ich winselte nach Vernichtung: du
Lagst noch als Totengerippe auf mir.

Ich will singen

Ich will singen den Gesang meines Elends.
Sein Feuer hat verbrannt mein Herz.
Ich bin nur Asche noch
Im Winde.

Als ich ein Knabe war,
Ich wußte nichts von Tod.
Als ich ein Jüngling war,
Ich lernte Leid.

Als ich weinte um mein Weib
In den Novembernächten,
Ich sah:
Gott grub ein tiefes Grab.

Ich grub wohl tausend Klafter,
Ich fand mein Weib nicht mehr.
Sie ist durch die Erde geflogen
Wie Schwalbe durch Luft.

Dies ist des Menschen Los:
Er lebt nicht ohne Tod.
Er stirbt und tötet Ewig.

Er tritt die Raupe tot.
Er ißt vom Kalbe.
Er mordet ein Geliebtes mit
Gelächter.

Weh über die Weiber, daß
Sie uns gebaren!
Sie warfen uns wie Kot
In braunes Laub.

Ich habe verloren

Ich habe verloren mein Weib
Meinen Frieden.
Ich habe ihr
Das Grab geschaufelt,
Den Tannenkranz
Gewunden.

Ich habe verloren meinen Mond
Mein goldnes Herz.
Nun muß ich wandern
In der Nacht
Blindäugig
Dumpf.

Ich habe verloren den Gott
Meiner Väter.
Ich habe besudelt den Altar,
Das Kreuz
Zerspalten,
Die Heiligen
Verhöhnt.

Ich habe verloren die Sprache
Der Menschen.
Nun muß ich lallen
Leisen Laut.
Die Menschen lächeln
Meiner Seufzer.
Die klingen fremd
Wie Vogelwort.

Ich habe verloren mein Leben.
Ich bin tot.
Jeden Morgen
Steig ich aus dem Sarge,
Spei der Sonne
Ins Gesicht.

Umhalse mich

Umhalse mich. Ich friere.
Ich liege so allein in deinem Bett.
Mein Mund sucht deine Lippen,
Meine Hand deine Hüfte.

Ich sah zwei Liebende am See.
Ich sank am Boden hin.
Ich sah ein blondes Kind;
Ich starb den ersten Tod.

Nie wieder wärmt mich deine Wange,
Nie wieder lächelt deine Stirn.
Nie wieder werden wir nach Rosenkäfern haschen.
Nie wieder weinen einer in des andern Aug.

Um meine Füße flattern

Um meine Füße flattern
Die welken Blätter,
Des Herbstes braune Vögel.
Über den Wolken
Wandeln die weißen Berge.
Wo du weilest,
Mädchen,
Ist nicht Sternenstaub.
Kein Hauch meines Atems
Trifft dich.
Aber im hohlen Herzen mir
Ist dein Sarkophag
Errichtet.
Ewig streuen meine Hände
Erde auf dein Antlitz.

Meine kleine Schwester

Meine kleine Schwester
Hat der Wind begraben.
Meine kleine Schwester
Ist verweht.

Nachts am Fenster
Rüttelt sie und flüstert.
Möchte stürmisch
In die Welt zurück …

Die Birnen läuten im Chorgestühl der Baumkirchen

Die Birnen läuten im Chorgestühl der Baumkirchen.
Hangend am Gesträuch des Westwindes glaubte ich
ewig dem silbernen Geräusch.
Der Mond umarmt die sanfte Hyazinthe.
Ich weiß, was mir bestätigt ist,
Und wie die Stimmen der kleinen Gaukler nur tönen im
Turm und wie die Wasserrinnen klopfen so trostlos.
Singe doch, Wand! Rausche doch, Vorhang!
Und ihr Tassen und Teller, die sie in ihren Händen hielt,
Klappert, klappert!
Es singen am Fenster immer ein Mann und ein
Mädchen, Zwei Töne nur,
Und des Tages finde ich sie nicht.
Mein Zimmer ist voll Wind
Und meine Stirn voller Stürme.
Du rufst mich immer
Wie aus dem Stein hervor,
Du lächelst immer
Wie ganz vergangen.
Ich grabe mich in dein Gedächtnis,
Ich streichle deinen Schuh,
Ich schlafe in deinen seidnen Kleidern auf deinem Bett,
Ich weine nächtelang vor deinem Spiegel.
So oft umschlang er dich;
Ach, warum hielt der Glänzende dich nicht,
Dich nicht die Liebe?

Aus den Wiesen steigt der Nebel

Aus den Wiesen steigt der Nebel.
Im Horizont verströmt der Fluß.
Rote Weinblätter leuchten leise zu meinen Füßen,
Die sind so müde des ewigen Wegs.

Der halbe Mond liegt gekrümmt im Bauch des Himmels
wie ein ungeborenes goldnes Kind.
Es ist noch blind und weiß von der Erde noch nicht,
Auf der ein Mensch steht und in den Abend starrt:
Die Augen voll Glanz und das Herz voll Dämmerung.

Wenn erst der Wind wie der Kutscher des Brauer¬fuhrwerks mit der Peitsche knallt,
Wenn erst der weiße Frost an den Fenstern blüht –
Wenn der Buchs auf deinem Grabe verdorrt ist, bringe ich einen Strauß künstlicher Papierblumen,
Die schimmern wie geschminkte Frauen, die eine flüchtige Minute küßt.

Gib mir die Hand, Mann, wer du immer seist, der du mir
in der Dunkelheit des Heimwegs begegnest,
Und vergib mir, dass ich dich nicht lieben kann.
Grüße deine Frau, deine Kinder und die alte Großmutter
im Lehnstuhl.
Sag, du wärst dem steinernen Menschen begegnet im fallenden Herbstlaub.

Oden am Meer

I

In den Wimpern verfließt
Stern und rosiger Mond.
Über dem Meere bereits
Schaukelt die Barke des Lichts.

War gehoben die Brust
Wie die Woge der Nacht.
Unter den Wellen schlief
Herz, der silberne Fisch.

Brenne, liebender Tag,
Um die Schläfen wie Schaum.
Der Gestaltende neigt
Zu den Gestalten sich gern.

II

Kleiner silberner Sarg
Schaukelt auf Wellen des Monds.
Falter flügelt am Bug,
Lenkt die schwebende Fahrt.

Weiden streifen den Strom.
Fische schwärmen am Heck.
Rufer am Ufer schrein
Durch die gehöhlte Hand.

Abwärts flutet der Kahn,
Mit einer Barke kreuzt
Er im Delta. Sie rauscht
Stürmischen Segelns stromauf.

Da nun der Regen

Da nun der Regen rinnt
Und die Wolken wandern,
Bin ich bei niemandem
Denn bei mir.

Kein Baum, den ich nicht bog im Frühling,
Die zarten Blüten zu betrachten.
Ach im Gehäuse des Kelches
Sass der schwarze Wurm.

Früchte sind süss dem, der sie müh-selig zog;
Am herbstlichen Spalier die goldnen Birnen!
Den Greisen wärmt ein winterlicher Herd,
Den Jüngling die heisse Brust seines Mädchens.

Geh über die Brücke, wo der Fluss rauscht.
Blicke stromauf, stromab.
Was weisst du von dir?
Algen und Wasserspinnen treiben auf den Wogen.

Was ist einsamer

Was ist einsamer
Denn der Mensch!
Dem Herzen schlägt
Kein Echo.
Ungerufen
Ruft er die Götter —
Unerbeten
Steigt das Gebet
Stolzester Springbrunn
Zum Himmel,
Leuchtet und fällt.
Dein Mädchen,
Ehedem
So schön an dich geschmiegt,
Sinnt süß Verrat.
Die Arme
Wirfst du blutend in die Luft,
Umarmest
Lauter Leere.
Und der Wind
Trägt dein Geschrei dem Hohn der Götter zu

Die Hände vor dem Antlitz

Die Hände vor dem Antlitz
Träumt
Der Gott.
Seine Wälder sind tot,
Seine Berge in die Ebene gestürzt,[133]

Und ohne Lieder
Fliegen die Vögel.
Seine Priester schänden
Des Sterbenden Sanftmut.
Mit eisernen Sohlen geht der Mensch
Durch die Saaten.

ER beugt seine einsame Stirn
Zum Waldteich hinab.
Die Wellen rauschen über die Runzeln
Und füllen sein leeres Aug
Mit Tränen.

Ode an Crossen

Oft
Gedenk ich deiner
Kleine Stadt am blauen
Rauhen Oderstrom,
Nebelhaft in Tau und Au gebettet
An der Grenze Schlesiens und der Mark,
Wo der Bober in die Oder,
Wo die Zeit
Mündet in die Ewigkeit –
Denk ich deiner, wenn ein Mond am Himmel
Mir wie dir erglänzt
Und mir am Lid die
Goldne Träne eines Steines hängt.
Ach
Da ich jung war
Wie voll Träumens
Falterübertaumelt
Engerlingdurchwühlt
War die Erde!
Wie erschien
So Sonnentag wie Regentag
Gesegnet
Und von zweien Göttern
Vater Mutter.
Ward die wilde Welt so mild regiert.
Stand am Weg vorm Warenhause ein hölzern Hündchen,
Bellt es freudig, wenn ich kam, und maulte,
Daß es mir nicht folgen durft.
Große Männer auch in schweren Tressen,
Hehre Helden, die von Haus zu Haus
Das Geheimnis ihrer Sendung trugen,
Neigten freundlich oft den mähnigen Kopf,
Schenkten dem Erschauernden
Bunte Marken fremder Palmenländer
Und mich grüßte hold Liberia,
Senkte selbst Korea die Standarten.
Grell
Gewaltig
Führte Phöbus stets von Urbeginn die Zeiten
Führte mir die schnobenden die wütig stolzen
Sonnenrösser übern Heidehibbel hell hinauf.
An den Oderhügeln reifte Wein mit kleinen
Roten zottigen Trauben
Aus den Dörfern
Scholl Gebell Geboll der Hunde
Und es meldete ein Dorf dem andern
So den Wanderer weiter
Der durch Sand und Kiefern
Immerdar ins ewige Zion zog.
Hör ich nicht an meines Bodenzimmers Fenster
Fern den Regen klopfen, wie ein guter
Freund um Einlaß bittet? Ja ich biete
Regensturm dir stürmisch meine offne
Heiße Brust, daß du die wilde
Lust des Lebens
Süß mir kühlst!
immer waren Blitz und Donner schon dem Kinde
Seine liebsten Freunde.
Auf dem sorglich durch ein gläsern Dach vor Unbill
Regens oder Sonnenstich geschätzten
Weinumsponnenen Balkon
Sitzt in seinem weißen Leinenkittel
Seinem weißen Haar
Gütiger weiser Mann
Mein Vater
Hat die goldne Brille abgelegt, damit er
Besser so das Crossner Tagblatt lese,
Neben ihm die zarte zärtliche, die lächelnde
Mutter hegt im Schoße einen Korb
Und emsig
Steint sie Zwetschgen oder Kirschen aus.
Hoch im Himmel
Schwirrt ein Häher,
Der den Regenbogen dort im Westen
Wie ein grauer Blitz durchzuckt.
Vom Marienkirchturm
Fällt ein Schwarm von Nachtigallen
Mit den Abendglocken
In die Dämmerung.
Dir auch dir
Wanderer zwischen tausend Städten
Herzen
Seen
War auch einmal Heimat
Wird
Heimat wieder sein, wenn
Dumpf die Schollen kollern auf den Sarg, der deinen
Kleinen kindlich kümmerlichen
Leib der Erde wiedergibt, die ihn gebar
An der Grenze Schlesiens und der Mark,
Wo der Bober in die Oder,
Wo die Zeit
Mündet in die Ewigkeit –

Fünfter Kreis

Ganymed

Zeus sandte seinen Adler,
Dass er den schönen Knaben Ganymed
In seinen Fängen fange
Und zu ihm trage.
Der schoss aus dem Zenith
Des Mittags
Herab auf die Narzissenwiese,
Wo Ganymed schlief,
Der Gelockte,
Und von dem Adler träumte,
Der nach ihm stiess.
Er schrie im Traum.

Der Adler mit dem gebogenen Horn des Schnabels
Den Knaben am Gürtel griff,
Am schön von der Mutter gestickten.
Über Wolken und Winde und wehende Sterne
Er flog mit ihm
Und legte ihn
Dem Gott zu Füssen.

Aber der Gott,
Entzündet von der Anmut,
Die er geschaffen,
Er neigte sich und nahm den Knaben in seine Arme
Und küsste seine Wangen
Und küsste seine Wimpern
Und küsste seine Brust
Und küsste seine Kniee
Und küsste seine Lippen
Und küsste seinen Schoss.

Antinoos

Du Memnonsäule,
Singend im Licht!
Wenn du die Arme hebst,
An den Himmel gekreuzigt,
Sehnt sich der Blitz, in dich zu fahren,
Und der Donner grollt zärtlich um deine Locken.
Wie bin ich voll deiner summenden Gedanken:
Ein Bienenkorb,
Und deine Süsse ist meine tägliche Speise.
Als ich mich über dich bog in der Nacht,
Sass ein Sperber auf deiner Brust,
Den hatte Gott gesandt,
Deinen Traum zu bewachen.
Er sperrte den Schnabel gegen mich.
Du Weide am Strom,
In dem ich verfliesse!
Halte mit deinen Zweigen,
Mit deinen Armen den Freund,
Der zu dir emporwallt
Wie die Woge des Meeres
Im heiligen Sturm.

Helena

Helena bin ich, Tochter Ledas,
Dem Gotte selbst entstammt, der sich in mich verschloss,
Sich in der Lust zerstörerisch verlor,
Und seine Perlen in den dunklen Weiher warf.
Sie aber stiegen auf zur Oberfläche,
Sich in den Äther silbern zu ergiessen,
Als Sterne flammten sie im Blau empor,
Doch zarte Schnüre binden
Sie mit der Tiefe noch, die sie erzeugt.
Der Tiere Reigen, der Gestirne Schritt,
Sie tanzen mir im Gliederspiel des Leibes,
Und keiner liebte Gott, der mich nicht liebt.
Bin ich nicht sein Gefäss? Und dürstet ihn,
Er selber wohl verschmähte meine Lippen nicht.
Sie zu geniessen, sehnt sich Gott zum Leib.
Die Winde, die mich küssen,
Sie müssen Lippen haben.
Die Strahlen, die mich fassen,
Sie müssen Hände sein.
Und fliege ich zum Tanze
Ich tanze auf den Wolken,
Die Wolken müssen Schwäne
Des schwarzen Weihers sein.

Hiob

Und war kein Elend, das ihn nicht befiel,
Und keine Seuchen, die ihn nicht bestürzten.
Es faulte sein Getreide schon am Stiel,[8]
Ein Riff zerspellte seines Schiffes Kiel,
Und Tränen einzig seinen Abend würzten.

Sein Haus verbrannte. Seine Mutter ward
Von den Nomaden vor der Stadt geschändet.
Ein Sohn erhängte sich am ersten Bart.
Sein einziger Bruder hatte sich geschart
Der Räuberbande, die sein Vieh entwendet.

Und die die Bitternis versüsste: sie,
Die Frau aus Ebenholz und aus Granaten:
Ihr zweiter Sohn in Brünsten spiesste sie.
Mit ihren letzten Blicken grüsste sie
Den Gatten – welche wild um Rache baten.

Er aber kannte Rache nicht noch Hass,
So sehr der Schmerz sein Ackerland verwildert,
So unerschöpflich tief sein Tränenfass.
Er sang mit seinem frommen Pilgerbass
Dem Leben zu, dass sich um ihn bebildert.

Und hast du, Herr, wie Marmor mich zerschlagen,
Und gönntest du mir nicht die kleinste Tat:
Wie darf ich gegen deine Einsicht wagen
Auch nur die jämmerlichste meiner Klagen?
Du bist der Mäher und ich bin die Mahd.

Und sendest du auch Blitze, mich zu blenden,
Und machst du lahm den Leib, die Seele taub,
Und reisst du mir die Finger von den Händen:
Ich preise dennoch meiner Mutter Lenden
Und werde nimmer eines Unmuts Raub.

Dass einen Frühling ich im Licht erlebte,
Dass mir die Mutter süsse Kuchen buk,
Dass ich als Jüngling schön in Tänzen schwebte,
Dass ich am Teppich der Gedanken webte,
War dies nicht Glück und goldnes Glück genug?

Dass ich nur einmal durft mein Weib umarmen,
Dass ich nur einmal in die Sonne sah:
Dies ist soviel schon meines Gotts Erbarmen,
Dass ich der Reichste unter allen Armen –
Lob sei und Preis dem Herrn. Hallelujah!

Der schwarze Gott

I

Ich habe dich gerufen
Göttlicher
Dass du mir behütest
Mein Vieh und meine Kinder.
Im Morgen licht
Im Abendrauch
Bin ich gekrochen
Zu dir.
Ich habe gerufen
Ich habe geschrien
Aber du
Gingest gross
Vorüber.
Ich habe geschluchzt
Ich habe geweint
Nun hebe nicht die Hand
Und murmle:
Ich bin müde
Des vielen Tuns
An deinen Vätern.

Du in der Höhe
Vertiefe dich!

II

Gott den ich rufe
Schenk mir einen Sohn!
Ein Sohn muss es sein
Ein Sohn
Braun wie die Ameise
Und hurtig wie die Antilope
Duftend wie Salbei.
Dich allein Gott rufe ich
Jede Sonne
Jeden Mond.
Wenn der Morgenstern errötet
Bist du mein Gedanke
Wenn der Abendstern erbleicht
Bist du mein Sinn.
Ich rufe dich
Du lauschest mir
Gebieter der Wohlgerüche
Und der hüpfenden Lichter.
So hüpft mein Kind mir im Leib
Wie ein Stern in deiner Hand.

III

Ich bin ein Ewemann.
Ja du bist ein Ewemann.
Ich erzähle euch eine Geschichte.
Ja du erzählst uns eine Geschichte.
Eine Geschichte die wahr ist.
Eine Geschichte die wahr ist.
Hört!
Wir hören!
Es war einmal eine Spinne
Die spann ein Netz um den Mond.
Der zappelte darin wie eine goldene Fliege
Und brummte.
Sie saugte ihm alles goldene Blut aus dem Leib
Alles Licht
Bis er dunkel ward
Da ward er
Zur
Erde. –
Du lügst Ewemann.
Ich lüge nicht Eweleute.
Gestern hat mir eine uralte Frau diese Geschichte erzählt.
Sie hat mir geschworen dass sie wahr sei.

IV

Mädchen gräbt nach Zwiebeln.
Kadegénzule der grosse Wandrer
Geht vorbei
Pfeift und flötet
Lächelt auf der Laute.
Mädchen wendet sich
Und zeigt die Brüste
Zeigt die Zwiebeln:
Wanderer nimm die Zwiebeln aus der Hand
Eines schwarzen Mädchens
Deiner Magd.
Kadegénzule
Nimm die Zwiebeln!
O – a – he
Nimm die Zwiebeln!
Kadegénzule!

Mädchen schwarzes Mädchen meine Erde
Liegt so weit von hier wie Mond und Sonne.
Über tausend Hügel musst du schreiten
Findest abertausend tausend Hügel.
Hast den letzten Berg du überschritten
Schlankes Mädchen bräunliche Gazelle
Wird ein dunkler Wald dich rauh umarmen.
Und im Wald auf einem Thron von Wurzeln
Schwarzes Mädchen
Wurzel werk und Werk von wilden Wurzeln
Wirst du thronen sehen
O – a – he
Grossen Wandrer
Kadegénzule.

Wikinger

(für John von Gorsleben 1913)

Wir sind von einem fernen Nord geschwommen
Wie wilde Schwäne, südige Welt zu sehn,
Und sind zu Menschen gekommen,
An deren Schritten keine Flügel wehn.

Ihre Füße sind plump, ihre Haare sind schwarz,
Ihre Weiber sind dick wie Walrosse.
Wir schenken sie unserm Trosse.
Wir sind Bäume. Aus unsern blonden Bärten tropft Harz.

Wir schlingen die Möwe roh in unsern Rachen.
Unsere Drachen-
Schiffe
Und wir
Haben scharfen Zahn.
Wir hacken ihn ohne List und Kniffe
In feindlich Mensch und Tier.
Und in unsrer Gattin Galan.

Aber wenn wir an dem neuen Strande zechen
Und den Fraun im Spaß die Schenkel brechen –
Algenmoosumkränzt,
Sklaven sind die Gassen, wir sind Lorde:
Rauschts in unsern Augen blaue Fjorde,
Die das Nordlicht rosa überglänzt.

Dies ist das Lied, das Villon sang,

Dies ist das Lied, das Villon sang,
Als man ihn hängen wollte.
Er fühlte um den Hals den Strang,
Er sang das Lied den Weg entlang,
Der Schinderkarren rollte.

Hängt mich den Schurken zum Alarm
Nur hoch in alle Winde!
Wegweiser schlenkere mein Arm,
Er weist den Weg dem schlimmen Schwarm
Und manchem braunen Kinde.

Einst hat der Teufel mich gekirrt,
Nun hör ich Bäume singen.
Ich fühle Gott. Mein Auge schwirrt.
Mein Leib, mein armer Leib, er wird
Als Aveglocke schwingen.

Grabschrift für Francois Villon

Francois Montcorbier, genannt Villon,
Geboren Vierzehnhunderteinunddreißig,
Als Schüler faul, als Buhler strebsam fleißig,
Aus dunkelstem Paris, und darob lichtscheu.
Mit Faltern schwebend, Blüten blühend, pflichtscheu
Bekannt von Meung sur Loire bis Roussillon
Als Leibpoet des Herzogs von Bourbon
Und Leibpoet des letzten Straßenweibs,

Bedacht auf sondre Art des Zeitvertreibs,
Landstreicher, Gauner, Dieb, Zechpreller — und
Hündischer oft traktiert als der geringste Hund,
Um eines Haares Breite Mörder gar,
Mitglied der Bruderschaft der coquillards —
Liegt hier begraben: was er lebt und litt,
Teilt er euch in des Meisters Werken mit.
Lag seine Stirn im Kot, sein armer Leib im Kofen,
Aus seinem Munde klang ein goldner Chor von Strophen.
Die Hand, mit Blut befleckt, schrieb heiliges Gedicht.
Das erdendunkle Herz entzündet Sternenlicht.
Als er am Himmelstore angelangt,
Hat die Madonna selbst gebetet und gebangt.
Gottvater ließ ihn gnädig in den Himmel ein:
Weil du mich stets gesucht, sollst du willkommen sein.
Gefunden hast du mich. Du bist Poet nicht mehr.
Tritt als ein Engel in das selige Engelsheer.
Da lächelt Villon ernst – und schluchzt mit einemmal:
Ich komme aus der allertiefsten Hölle Qual,
Läßt du die Mörder, Diebe, Fälscher, Ehebrecher,
Die Dirnen, Räuber, Säufer, Fälscher, Degenstecher,
Die meine Brüder sind, nicht in den Himmel ein,
So soll die Seligkeit mir nicht vorhanden sein.
Nicht eine Stunde blieb ich selig, wenn ich wüßt,
Daß in der Holl ein armer Bruder leiden müßt.
Gottvater, lebe wohl! Ich will kein Heuchlerglück!
Zu meinen Brüdern kehr ich in die Holl zurück.
Und bin erst wieder hier, wenn die Posaune lehrt,
Daß Gott dem Ärmsten auch das himmlisch Reich gewährt.
Daß Gott dem Letzten auch ob seiner Tat nicht grollt,
Die ohne Gott nicht war — denn Gott hat ihn gewollt,
Schenk allen Erdenwandrern die ersehnte Ruh! —
Und hob die Hand zu Gott. Und sank der Tiefe zu.

Anna Feher

Laszlö Feher hat zwei braune Fohlen
Hinterm schwarzen Berg gestohlen.
Seine Peitsche knallt
Lustig durch den Wald –
Daß es bis zum hohen Rat erschallt.

Und der höchste Rat vernahm’s und ließ
Laszlö Feher werfen ins Verließ.
Sie entführten ihn
Bis nach Szegedin,
Wo in Kerkersnacht ihn Glück und Lächeln fliehn.

Anna Feher hört’s, die Blütendolde,
Und zu ihrem Kutscher sprach die Holde:
„Spann den Wagen an! Gold und Silber dann
Einen Sack voll drauf, daß ich ihn lösen kann.“

Und sie trabten rasch nach Szegedin.
Durch das Kerkergitter ruft sie ihn:
„Bruder, bist du wach?“
„Süße Schwester, ach,
Immer träum ich deiner Seele nach!“

„Bruder, weißt du, wie der Richter heißt,
Der mein Herz, der deines bald zerreißt?“
„Miklos Horväth“ – Und
Kaum entfloh’s dem Mund,
Ging zum Richter sie zur selben Stund.

„Miklos Horväth, gib den Bruder frei!
Dein dies Gold, dies Silber alles sei!“
„Gold hab ich wie Mist!
Lach der Frauenlist!
Doch ich geb ihn frei, wenn du mir willig bist!“

Anna Feher ging zum Bruder hin:
„Frei bist du, wenn ich ihm willig bin.“
„Falschheit aus ihm spricht.
Wort und Herz er bricht
Nimm die Unschuld, meine Schuld erläßt er nicht.“

Und sie bietet wie auf dem Altar
Ihren jungfräulichen Leib dem Unhold dar.
Plötzlich in der Nacht
Ist sie aufgewacht,
Weil es auf dem Hofe klirrt und kracht.

„Horch, was trappt und trippelt auf der Flur?“
„Meinen Gaul bringt man zur Tränke nur!“
Jetzt ein Schrei! Sie blieb
Zitternd wach. „Mein Lieb,
Schlaf – sie hängen einen Pferdedieb.“

Anna Feher wacht das Morgenrot heran,
Springt im ersten Strahl zum Kerker dann:
„Lust sprießt noch aus Leid,
Frei bist du, befreit!“
Keines Bruders Stimme gibt Bescheid.

Greiser Kerkermeister tritt herzu:
„Deinen Bruder suchst vergeblich du.
Wo das Feld gemäht,
Wo der Galgen steht,
Suche ihn, der schon im Winde weht!“

Und zum Richter wankt Anna Feher:
„Hunderttausend Flüche dir und mehr!
Brot werd dir zu Stein, Blut aus jedem Wein,
Und dein eigner Dolch dring dir ins Herz hinein!“

Er erbleicht: „So pflück dir einen Kranz,
Den zerrissenen binde ich dir ganz!“
„Bindst du noch so sehr, Her und hin und her:
Den zerrissnen bindst du nimmermehr … nimmermehr .

Die Geisha Osen in der Prozession des Oirans beim Fest der Kirschblüten zu Yeddo

Sie gehn wie Tiere: Katze, Hund und Reh,
Behängt mit roten und mit grünen Lappen.
Sie tappen
Mit zarten Pfoten durch den Blütenschnee.

Mir tut die Schminke wie ein Sargtuch weh.
Ich schleiche eingepfercht in ihre Herden,
Zerrüttet und mit fröstelnden Geberden,
Inmitten zweier bunter Tänzerinnen,
Die meine Müdigkeit als Aas umkreisen. –

Nun steh ich still. Und meine Hände weisen
Erschreckt und lächelnd nach dem Herzen innen …

Die Geisha

Schrei in der Nacht.

Wenn doch jemand bei mir läge!
Brauchte nicht mein Freund zu sein!
Alle dunklen Wege
Münden nächtens in die Liebe ein.

Ich habe Angst

Ich habe Angst.
Die dunkle Nacht!
O du verlangst.
Was mich noch dunkler macht!

Mir ist so leicht und doch so schwer –
Deine weiße Brust wogt über mich her.

Im Lack des Sakefasses

Im Lack
Des Sakefasses
Glänzt schon der junge Tag –
O laß es
Genug der Liebe sein!
Soll dich das Licht beschämen?
Im Dunkel nur darfst du mich nehmen …
Wird nicht im Licht der Weinrest trübe sein?

Der Morgen graut

Der Morgen graut
Auf Kasamori’s Schilfrohrhütten.
Bald bohrt der erste Strahl in meine Stirn sich wie ein Pfriem.
Mir graut
Vor ihm.
Nun muß ich gehn
Und sehn:
Ob Tee noch im Gefäß,
Ob Sake noch im Faß,
Ob Leben noch in meinen Lenden –
Ach!
Was schiert mich das …

Der Kessel singt

Der Kessel singt.
Mein Herz summt seine Melodie.
O nie
Begreif ich sie.
Was wohl das Dunkel bringt?
Wer kommt? Das Leben rann.
Ein Prinz? Ein alter Mann?
Und dann? Und dann??
Wenn früh der Morgen gelb durchs Fenster blinkt
Fällt fahl zu Boden meines Sangs Getön.
Ich flieh auf Higurashi’s helle Höhn.
O Licht! Nun bin ich wieder schön!

Der wilde Jäger

Das ist der kühne Jäger,
Den Falken auf der Faust jagd er durchs Feld.
Wir sind der Weisheit bedächtige Heger,
Er ist die wilde Welt,
Die wahre Welt,

Er gallopiert über die Steppe,
Sein Schatten folgt ihm fast zu spät.
Er tritt dem Fürsten auf die Mantelschleppe.
Was tut’s? Er ist die Majestät,
Die wahre Majestät,

Zwei Kraniche erlegt er mit einem Schuß.
Der Gelehrte hockt hinter verschlossenem Fenster vergreist und grau.
Aber seine Gattin sendet dem wilden Jäger einen Kuß.
Ihn liebt die schöne junge Frau,
Die wahre Frau.

Der Raubvogel

Er stelzt dahin im rauschenden Gefieder,
Der Vogel Ri, das Meer hat ihn getränkt.
Von deinen Schwingen schwingen Lieder.
Sein Schnabelkopf wippt auf und nieder,
Wenn Sonn und Sterne er wie Mücken fängt.

Die Gräser beugen sich vor seinen Krallen.
Das Kornfeld liegt enthalmt.
Die kleinen Leichen, die zum Raub ihm fallen,
Sie lassen noch ein letztes Lied erschallen
Zum Lobe ihm, der ihre Knöchel malmt.

Das Wasser trübt er. Und die Kühe trinken
Den schmutzigen Quell mit seligem Muh.
Die jungen Hasen, ehe sie versinken
Klaglos im Nichts: mit ihren großen Augen blinken
Sie ihm Vergebung zu.

Es tönt sein rauher Ruf noch vor der Mette,
Wenn er betaut im Morgenrote streicht.
Es reißt der Haushund an der Kette.
Die Kinder fahren schaudernd aus dem Bette,
Und Gott, der ihn geschaffen hat, erbleicht.

Die Ballade vom Schlaf der Kindheit

Scheuche nicht den Schlaf des Kindes
In der schwarzen Bucht.
In den Zweigen des erwachten Windes
Hängt er hell wie eine runde Frucht.

Sonne wärmt sich an des Nackens Spiegel,
Echo strahlt in der erfüllten Flut,
Venus wünscht sich leichte Flügel,
Wo er in des Spieles Barke ruht.

Jage nicht den Knaben in die Schule
Früh um sieben, wenn der Ofen kalt.
Hässlich hockt er an der Arbeit Spule
Und zerschmettert von des Lehrers Gramgewalt.

Sieh: an seinen langen schwarzen Wimpern
Hängt ein schmaler Schatten noch das Bild.
Und in seine wachen Qualen klimpern
Mondgesang und Schwert und Harfenschild.

Das Mädchen

Man wacht des Morgens holder atmend auf.
Die Sonne blinkt durch blasse Fensterscheiben.
Man wird in dieser Welt ein wenig bleiben.
Für Leben nimmt man manches Leid in Kauf.

Man zieht sich an. Man setzt sich zum Frühstück.
Dann geht man fröhlich in den Tag spazieren.
Nebel fällt. Und Schnee. Und es wird frieren,
Fröstelnd kehrt man in sein Haus zurück.

Am Kamin sitzt man im Dämmerschein.
Ein Mann ist plötzlich da und viele Kinder.
Eins ist schon Sekretär. So wird das Leben linder.
Dann kommt die Nacht und man schläft ein.

Der Greis

eine Blicke sind von Tränen schwer,
Meine Füße tragen mich nicht mehr.

Meine Hände sind zur Faust geballt,
Die sich zitternd um den Knüppel krallt.

Wären meine Arme nicht so schwach,
Wurf ich ihn dem blonden Knaben nach,

Der die Zunge grinsend nach mir bleckt.
Ich wollte, daß mit mir die ganze Welt verreckt …

Der Blinde

Sie nennen immer eine Farbe
Und nennen etwas rot und bunt,
Und golden sei die Garbe
Und blau des Himmels riesig Rund.
Was weiß denn ich von Rose, Mensch und Ziege?
Mir ist die Welt ein trübes Loch,
In das ich mit gebrochnen Gliedern kroch,
Und nun, ein stummer Stein, am Boden liege.
Sie sagen, ich hätte Augen. Wo,
Wo sind sie? Sie sagen immer: sehen,
Und meinen: mit Gedanken weit über die Wiese gehen.
Sie lachen mich aus: Blinder, sei froh,
Daß du die Welt nicht siehst, häßlich ist sie und schwarz.
Aber schwarz: was ist das? Ich wüßt es, wenn ich sehend wär.
Ich fühle nur dies: ich bin mir selbst so lastend schwer
Vom Baume meines Seins tropft meine Seele wie Harz.

Vier Gestalten

Als ich ein Kind war, was wusst ich von Weite und Leid?
Spielte mit den kleinen Fischen im Teich und tat die Salamander in Bann;
Stach mit Tannennadeln die leise gepeinigte Faust, verband sie hilfsbereit.
Weinte, wenn ich log und sah meinen Grossvater summend an.

Als ich ein Knabe war, litt ich an Scham und zerbiss meine Lippen einsam im Oderbruch.
Floh die Freunde. Und suchte der Bitterkeit erniedrigtes Glück.
O erniedrigt von dir zu sein, Margarete! Hob dein Taschentuch,
Das du auf dem Schulweg fallen liessest und gab es verblutet deinem Bruder zurück.

Als ich ein Jüngling war, erfuhr ich, dass Männer Weiber schlugen.
Löschte die Lampe der Welt. Streute Korn in den Sand. War entgeistertes Meer.
Meine Schmerzen lud ich den Frauenschiffen auf. Die trugen
Sie wie Kinder in ihrem Leib und gebaren im Hafen sie schwer.

Bin ich ein Mann? Ich sinke zurück an Erkenntnis und Sage.
Fische faulen im Teich, Freunde in früher Gruft.
Wäge Kind und Knabe und Jüngling auf himmlischer Wage,
Werf in die andere Schale mich selbst – und steige empor: leichter als Federflaum oder Rosenduft.

Ballade vom toten Kind

Wie ward mein Überfluss so karg!
Ich muss mich mein erbarmen.
Ich halte auf den Armen
Einen kleinen Sarg.

Es reichen sich die Hände
Geschlechter ohne Ende –
Wer endet? wer begann?
Ich bin nun Sinn und Sitte,
Und meine Hand ist Mittelshand,
Ich bin der Erde Mitte
Und bin der Mittelsmann.

Ich stehe an der Leiter,
Die in die Grube führt.
Und reich der Erde weiter
Das Herz, das ihr gebührt.

Schon stürmt es in den Lüften,
Der Frühling stürzt herein.
Es knien alle Berge,
Es brechen alle Särge,
Und aus den Veilchengrüften.

Wie Jesus Christus weiland
Steigt schon der neue Heiland
Und will dein Kindlein sein.

Des Dichters Mutter

Des Dichters Mutter liegt vor dir im Staube,
Maria, hohe Himmelskönigin,
Du bist mein Schild, mein Baldachin, mein Glaube,
Die ich um meinen Sohn voll Schmerzen bin.
Als einst die Welt versank, sandt Noah eine Taube
Mit einem Ölzweig übers Wasser hin.
Ich sende dies Gebet: für meinen Knaben,
Den alle Furien zerrissen haben.

Nichts will ich für mich selbst als seinen Frieden.
Ich lebe nur, weil mich sein Anblick hält.
Wär ihm ein sanftes Eheweib beschieden
In einer kleinen, aber guten Welt!
Doch seine Sehnsucht seh ich zischend sieden.
Er hustet Blut – und seine Stimme gellt.
Er wünscht voll glücklicher Gerechtigkeiten,
Die Menschen zur Vollkommenheit zu leiten.

Doch ist er herrisch. Und im Trotz entweiht er
Altar und Dom mit roher Rede Fluß.
Er steigt in Nächten auf die Himmelsleiter,
Weil er mit seinem Gotte ringen muß.
Er ist kein gegen Sünd und Zorn gefeiter,
Gefeit nicht gegen Würfelspiel und Kuß.
Doch hört ich, daß selbst Theophil gerettet,
Ob er sich gleich dem Teufel angekettet.

Ich bin ein armes Weib und ohne Wissen,
Ich weiß nur, daß auch du einst Mutter warst,
Als du von Krämpfen und von Wehn zerrissen
Herrn Jesum, unsern Heiland, uns gebarst.
Laß deine Füße, Mütterchen, mich küssen,
Und dich erflehn, daß meinen Sohn du scharst
In jenen Reigen englischer Gestalten,
Die deines Kleides goldne Schleppe halten.

Ein Brunnen

Rühre nicht an diesen Bronnen,
Der im Dunkel plätschernd stammelt,
Alle Sonnen, alle Wonnen
Hat er stumm in sich gesammelt.

Keinem wollte es gelingen,
Seine goldne Flut zu heben.
Denen nur, die selbst sich bringen,
Wird er hoch entgegenbeben

Der Springbrunnen

Im Stadtpark wird der Springbrunn angedreht.
Der Strahl schießt auf, tönt, steigt und steht
Für einen Augenblick,
Gehalten von der Sonnenfaust.
Und wie der Strahl dann in die Tiefe saust:
Wasser stieg auf, Glanz fällt zurück.

Der Turm

An diesen Hügel steingebannt
Steh ewig ich als Luginsland.
Der blaue Himmel mir zu Häupten,
Sternschnuppen, die ihr Gold zerstäubten,
Und Mensch und Hirsch und Strom und Knick
Sie leben nur für meinen Blick.
Hoch bin ich gegen sie gefeit,
Nie hat mich Wunsch und Tat entzweit,
In ihre Niederung zu steigen.
Dies mein Geschick: zu schauen und – zu schweigen.

Türmer und Taube

Lass mich fühlen, was ich glaube!
Lass mich glauben, was ich fühle!
Hebe dich, entsandte Taube,
Bis zu meinem Turmgestühle.

Körner streu ich unterm Bogen,
Wo der Schnee sie nicht beachtet.
Zeige schwebend dich gewogen
Dem, der deinen Herrn verachtet.

Gibt es Tauben nicht, die lachen?
Gibt es Tauben auch, die weinen?
Alt und älter muss ich wachen
In den Mond- und Sonnenscheinen.

Rufe ich des Nachts die Stunden –
Alles schläft im Stubenstickicht.
Nur die weissen Vagabunden
Wehn wie Winde durch das Dickicht.

Einmal soll ich Feuer blasen:
Doch ich will, dass Feuer werde.
Rötlich auf dem grünen Rasen
Tanzen Herrin, Hirt und Herde.

Bis das Licht zu den Gebälken
Meines Turms sich blühend windet,
Müssen Dorf und Stadt verwelken,
Und der Wald selbst steht entzündet.

Taube! Wolke! Flieh den Wächter!
Flieg zum Himmel, den ich kenne!
Schon schlägt feuriges Gelächter
Aus dem Mund mir und ich brenne.

Die Sonnenuhr

Wie bist du doch in eine Welt
Von Tag und Glanz hineingestellt!
Dich treibt der Strahlen Her und Hin
Erst zur Besinnung und zu Sinn.
Auf deines Bilds besonntem Runde
Zeigt grau der Zeiger Stund um Stunde.
Wie golden früh- und spätere Stunde funkelt!
Die gegenwärtige allein ist schattenschwarz umdunkelt.

Als Gott der Herr auf Erden ging

Als Gott der Herr auf Erden ging,
Da freute sich ein jedes Ding;
Ein jedes Ding, ob groß, ob klein,
Es wollte doch gesegnet sein.

Die Kreatur in ihrer Not,
Der Mensch in Kümmernis und Tod,
Der breite Strom, das weite Land,
Sie fühlten Gottes Gnadenhand.

Es hört der Frosch zu quaken auf,
Der Hund hält inn in seinem Lauf,
Der Regen hätt geregnet nicht,
Bevor ihn Gott gesegnet nicht.

Der hohe Turm verneigte sich,
Die Antilope zeigte sich.
Und Efeulaub und Wiesengrün
Erkannten und lobpriesen ihn.

Von aller Art der Mensch allein
Geriet in Schand und Sündenpein.
Hätt er nicht Gott so oft verkannt,
Er ging noch heute durch das Land.

Hätt er nicht Gott so oft gesteint,
Wir wären noch mit ihm vereint.
Die Erde wär das Himmelreich
Und jeder Mensch ein Engel gleich.

Mädchen und Madonna

Madonna, deine Sonnenaugen
Blenden so sehr,
Wirf deiner Gnade Schatten
Über mich her.

Schöne Kerzen
Weih ich dir und Bild und Seidenband.
Sünden und Schmerzen
Leg ich in deine Hand.

Viel tausend Rosenkränze will ich betend runden.
Nur: sieh den Korb hier, schnörkelhaft und zier –
Madonna, es sind meine Liebessünden,
Madonna, laß sie mir!

Weihnachtslegende

Ich bin durch Winter und Wald gegangen,
Eia Maria,
Ich bin durch den Winterwald gegangen,
Sah alle Tannen voll Sternen hangen,
Engel standen im Schnee und sangen,
Eia Maria.

Auf einer Lichtung im weißweißen Wald,
Eia Maria,
Erschien deine gebenedeite Gestalt,
Deine Augen strahlten solche Gewalt,
Daß ich mich zitternd am Baum gekrallt,
Eia Maria.

Du trugst auf deinen Armen lind,
Eia Maria,
Das himmlische, das irdische Kind,
Und dein Gefolge war Schnee und Wind,
Reh, Wiesel und Maulwurf blind,
Eia Maria.

Du zeigtest den Tieren deinen Sohn,
Eia Maria,
Die Menschen haben für ihn nur Hohn –
Da neigten sich Hirsch und Hase schon,
Der Wind wehte sanft, der Schnee fiel wie Mohn,
Eia Maria.

Du stiegest empor durch Tann und Farr,
Eia Maria.
Da beugten die Bäume sich mit Geknarr,
Da neigten die Felsen sich felsicht und starr,
Und da kamen auch Menschen – ein Kind und ein Narr –
Eia Maria.

Franziskus

Er war von Liebe wie ein Stern entbrannt.
Er gab sein Erbe an den Kirchenfiskus.
Tat ab des Kaufherrn prunkendes Gewand
Und nannte sich als armer Mönch: Franziskus.[16]

Die Tiere alle waren ihm vertraut
Und kamen treu auf seinen Ruf gesprungen.
Die Eselin war schön wie eine Braut,
Der Rabe hat ihm seinen Schmerz gesungen.

Und früh im Morgenrot die Nachtigall
Flog an die Gitterstäbe seiner Zelle.
Die Spinne warf auf ihn sich wie ein Ball,
Vor seinen Wimpern tanzte die Libelle.

Und wenn er flüsternd seine Sprüche sprach,
Und seine Hände Weihrauchfässer schwangen:
Voll Vögeln schwirrte jubelnd das Gemach,
Und aus den Wänden selbst die Lerchen sangen.

Und ging er auf die Gasse, sprach das Pferd,
Der Hund liess wedelnd seinen Knochen liegen.
Die Katze hielt ihn ihrer Freundschaft wert,
An seinen Schenkeln rieben sich die Ziegen.

Er sprach mit jedem Tier auf ird’scher Flur,
Und jedes Kindlein lallte: Lieber Vater!
Geliebter war er der geringsten Hur,
Der junge, blasse Kapuzinerpater.

Des heiligen Franziskus von Assisi Sonnengesang

Dir, Güte, Gott und Geist die Fackeln unsrer Andacht brennen.
Kein Mensch ist wert, deinen hohen Namen zu nennen.

Gepriesen seist du mit jeder Kreatur, die du schufest:
Mit dem Sonnengestirn zumal, unsrem Bruder, mit dem du die goldnen Tage rufest.

Du schufest es mit einem Augenblinken, wie auch den Mond,
Der fraulich-schwesterlich so blass am Himmel thront.
Gepriesen seist du, Herr, durch unsern Bruder, den Wind,
Dessen Gefährtinnen die leichten Wolken und die hellen und dunklen Stunden sind.

Gepriesen seist du, Herr, durch unsre Schwester, die Quelle,
Sie ist zart und keusch, aber heiter und klar und schnelle.

Gepriesen seist du, Herr, durch unsren Bruder, das Feuer.
Er hellt die Nacht, spendet Licht und Lust, und seine Kraft ist ungeheuer.

Gepriesen seist du, Herr, durch unsre Schwester und Mutter Erde.
Blumen blühen an ihrem Busen und Früchte trägt sie auf ihrem Rücken mit viel Beschwerde.

Gepriesen seist du, Herr, durch die da dulden und dienen.
Ihre Schwäche ist ihre Stärke. Du bist die Bienenkönigin.
Sie sind die Bienen.

Gepriesen seist du, Herr, durch unsren Bruder, den Tod.
Er hilft mit sanfter Hand uns in sein schwarzes Boot.
Das fährt uns zu dem hellsten Morgenrot,
An dessen amethystnem Himmel unvergänglich strahlt: dein Namen Amen.

Thufu an Litaipe

Man nennt dich unversiegbaren Tropfenfall
Himmelgleich –
Vor deiner Verse Hall
Zerspellt des Kriegers Speer, zerfällt des Kaisers Reich.

Du bist die Sonne, der wir im Zenit begegnen.
Du bist Gewitter, wenn die Wolke kracht.
Als Tränen läßt du deine Verse niederregnen –
Es liest sie der Unsterbliche im Mondschein bei der Nacht,
Lächelt und weint und meint, Er habe sie erdacht.

Laotse

Er ward von einer armen Magd empfangen
Auf hartem Ackerland.
Der grosse Wandrer kam gegangen
Und nahm sie bei der Hand.

Vor ihren Augen ward es finster,
In ihrem Herzen ward es licht.
Versinkend spielte sie noch mit dem Ginster,
Ein Junikäfer schlug ihr ins Gesicht.

Und als sie um sich sah, war sie erwacht.
Der Mond berührte blinkend ihren Jammer.
Und weinend ging sie durch die goldne Nacht
In ihre schwarze Mädchenkammer.

Neun Jahre trug durch Fron und Schweiss
Sie an dem Kind, das ihr erkoren.
Die Stunde kam. Sie hatte einen Greis
In silberweissem Haar geboren.

Sein Haupt war spitz und seine Haut war welk,
Dass sie erschrak, sooft sie ihn umherzte.
Vor seiner Stirne lag es wie Gewölk.
Er sprach, als wenn ein Vater mit ihr scherzte.

Sie sass bei ihm, nicht er bei ihr, und lauschte
Und trug ihr gross und kleines Weh
Ihm an sein Ohr, das muschelähnlich rauschte.
Und lächelnd streichelte sie Laotse.

Dreiklang

I

Ich leugne nicht, dass ich die Weisheit habe vom Herrn der sieben Hügel,
Von jenem, welchen man auch den Alten vom Berge nennt.
Fern aber sei es von mir wie fernste Ferne, meine Unvollkommenheiten, Unebenheiten, Unstimmigkeiten, Unsinnigkeiten zu entschuldigen mit meinem Hinweis auf den Erlauchten.
Sondern: was ich Gutes habe:

Solches ist von Ihm.
Was aber Torheit ist – dies ist ganz mir zu eigen.

II

Dreimal muss der Mensch sich wandeln, um eines zu werden:
Vom Menschen zum Tier
Vom Tier zur Blume
Von der Blume zum Stein.
Gott ist das steinerne Herz.
Ganz unbewegt: von Winden der Verzweiflung.
Ganz ungerührt: von Düften der Verführung.
Ganz unverrückbar.
Es gibt nur eine Wahrheit:
Die des Felsen.
Der Fels ist ewig wahr.

III

Die Nachtigallen singen heute wie vor tausend Jahren
Denselben Gesang.
Die Esel schreien heute wie vor tausend Jahren
Dasselbe Geschrei.
Jede Nachtigall lauscht der andern Nachtigall und weiss:
Nachtigall.
Jeder Esel horcht auf den andern Esel und weiss:
Esel.
Nur die Menschen haben tausend Sprachen heute wie vor tausend Jahren und sprechen mit tausend Zungen.
Jeder Mensch spricht seine eigene Sprache, und der andere denkt: Unmensch.
Wer Bruder sagt, dem wird erwidert: Feind
Wer Feind sagt, der wird begrüsst: Bruder
Ich und Du: das ist wie Feuer und Wasser
Ich und Du: das ist wie Berg und Tal.
Wehe:
Wir haben vergessen das erste Wort, das uns alle einte.
Wir haben verloren:
Den Sinn
Verhandelt:
Das Sein
Verwünscht:
Die Seele
Wir wollen zusammen schweigen
Mein Mensch
Vielleicht dass wir uns dann verstehn.

IV

Jeder soll sein:
Wie Es.
Das Sein: sinnlich
Der Sinn: sinn-voll
Die Seele: selig.
Ich will nicht werden du
Du sollst nicht werden ich.
Du und ich:
Wir sollen es werden.
Dies ist der heilige Dreiklang.

Wenn ich geh zu Gott

Wenn ich gehe zu Gott,
Trag ich in Händen das Wort.
Nimm es zurück! Ich tat,
Was du erwähltest, mit ihm:
Tötete mit dem Wort,
Zeugete mit dem Wort.
Nimm es zurück! Und schaff
Leicht mir die Hände und leer.
Müde ward ich der Macht.
Kränze klingen zur Stirn.
Um meine Schläfen der Schlaf
Rührt die Flügel bereits.
War am Anfang das Wort,
Ist es am Ende nun:
Logos lebt. Er erhellt
Wunder, Wesen und Welt.