Bald nach der Jahrhundertwende Kino im „Reichsadler“

Die Schaedestr. Führte zum Odertor und zum Schloss – Brausefabrik mit der Apotheke verbunden

Die vorausgegangene Plauderei zum Thema „Von Crossener Häusern und Familien“ in der August-Nummer 1983 endete mit einer Beschreibung des Schaede-Hauses des Friseurs und Seifenhändlers Sokolowski Zum Ge­denken an den Wohltäter der Stadt hat­te die hier in die alte Roßstrasse ein­mündende und vom Markt kommende Geschäftshauszeile den Namen Schaedestraße. Doch das war eine Benennung jüngeren Datums. Im vorigen Jahrhun­dert hieß diese Passage Oderstraße, weil man durch sie auf dem kürzesten Wege vom Markt zum Odertor, auf den Damm und zur Oderbrücke kam. Vor dem großen Stadtbrand von 1708 und im Mittelalter, als noch das Rat-und Kaufhaus mitten auf dem Markt­platz stand, verlief hier von der Roß­strasse bis zum Münzplatz durchgehend die Schloss- bzw. Burggasse. Sie führte ja auch geradewegs von West nach Ost zum Schloss, also zur früheren Burg.

Die beiden Eckgrundstücke am Westende der Schaedestraße waren stattliche Gebäudekomplexe. Dage­gen hatten die auf beiden Seiten fol­gende zwei Grundstücke relativ ge­ringe Ausmaße. Sie grenzten nur an diese eine Straße. Auf der Nordseite erreichten die Parzellen dahinter dann wieder die Crossener Normalität. Sie gingen bis zur nächsten Parallelstraße, in diesem Falle also bis zur Landhaus­straße, durch. Das galt genauso für die sich anschließenden Grundstücke am Markt. Anders auf der Südseite. Hier lag nur noch ein drittes möglicherweise- se winklig geschnittenes Grundstück ausschließlich an der Schaedestraße. Ostwärts anschließend begann dann gleich der dreigliedrige Nippesche Eckhauskomplex am Markt.

Nicht weniger markant als das Schaedehaus, vielleicht durch die Besitzerfamilie noch „berühmter“ war das gegenüber liegende Eckgebäude von Dr. Alfred Henschke. Es beher­bergte um die Jahrhundertwende wohl noch nicht allzu lange Zeit die könig­lich privilegierte Adler-Apotheke, Der Apotheker und hoch angesehene Bürger muss schon frühzeitig neben den Arz­neimitteln Getränke für die verschie­densten Zwecke angeboten haben. Denn in einer Anzeige im Adressbuch von 1913 bezeichnet Dr. Henschke sein Ge­schäft auch als Niederlage für Rot-, Weiß-, Trauben-, Beeren- und Schaum­weine. Ferner firmiert er als Fabrik künstlicher ,,Mineralwässer“ und weist er auf sein Lager an Säften und natür­lichen Mineralwässern hin. Die Getränkefabrik war im Gebäudeteil an der Roßstraße (später Dr. Henschkestr.) untergebracht. Hier wurden Selter sowie rote, gelbe und grüne Brause produziert und in Mengen kastenweise verladen. Das bei den Kindern der Stadt behebteste Produkt war Dr. Henschkes „Sinalco-Kristall“. Man bekam dieses schäumende farblose Ge­tränk in den 20er Jahren in allen Loka­len für 25 Pfennig die Flasche.

Wein nicht nur kaufen, sondern auch gleich trinken konnten die Bürger im sich der Apotheke anschließenden Doppelgrundstück (durchlaufende Num­mern 121/22), das dem Tabakwaren­fabrikanten, auch Tabakspinner ge­nannt, Oskar Müller gehörte. Er besaß einen Weinberg über dem Lorenzsteg und betrieb eine Tabakhandlung mit Ausschank. Senior-Mitarbeiter Frie­drich Waschinsky legt dafür seine Hand ins Feuer, dass Müllers selbst gekelterter Wein gar nicht schlecht schmeckte. Des Hausbesitzers Töchter waren nicht nur, sondern sind noch stadtbekannte Persönlichkeiten. In Müllers Doppelhaus wirkte und wohnte ferner der Schuhmachermeister Au­gust Böhme, dessen Töchter in Crosse­ner Büros Karriere machten.

Im nächsten Haus (Nr. 120) be­trieb zunächst so erinnert sich Frie­drich Waschinsky. der Textilkaufmann Opitz sein Geschäft, ehe er sich an der anderen Straßenseite niederließ. Der „Heimatgruße“-Redakteur verbindet dieses Haus gedanklich mit dem Da­men- und Herrenfriseur-Salon von Fritz Apelt, der auch durch das Adressbuch von 1926 belegt ist. Vielleicht erzählt uns jemand aus dem Leserkreis, wer dieses Geschäft nutzte, nachdem Apetts an den Markt umgezogen waren. Dehnte Walter Reinicke die Nippe-Geschäftsräume bis hierher aus? Haus­besitzer war er jedenfalls schon 1926.

Das folgende Eckhaus (drei zusam­mengewachsene Grundstücke mit den Nummern 117 bis 119) beherbergte Crossens größtes Textilgeschäft und gehörte zum Markt. In den Oberge­schossen enthielt es mehrere Wohnun­gen mit Fenstern natürlich auch zur Schaedestraße, Der Ortschronist Dr. von Obstfelder, der Grundstücksmakler Glücklich sowie die Oberpostsekretäre Faber und Wirth wohnten hier laut Adressbuch.

Nun zur Nordseite. Gleich neben Schaede-Sokolowski war eine Bäckerei. Unser ältester Mitarbeiter spricht von Bäckermeister Müller. Der wohnte als Rentner auch noch 1926 in diesem Haus Nr. 152. Seinen Betrieb dürfte er jedoch frühzeitig verpachtet haben. Denn in einer Anzeige von 1913 fir­miert die Bäckerei und Konditorei als „Otto Müller Nachfolger, Inhaber Ju­lius Berger“. Meister Berger, der später der Gasse von der Roß- zur Graben­straße den Namen gab, muss somit hier kürzere Zeit tätig gewesen sein. Den meisten Crossenern ist das Geschäft gewiss jedoch als „Bäckerei Schulze“ bekannt. Fritz Schulze produzierte hier mindestens von den frühen 20er Jahren ab Brot und Kuchen.

Im östlich anschließenden Haus Nr. 153 führte nach Friedrich Waschinskys Erinnerung ursprünglich ein Herr von Kobbe eine Drogerie. Dieser ver­kaufte um 1903 Haus und Geschäft an Dr. Alfred Henschke, der die Dro­gerie an seinen Mitarbeiter Bruno Knigge verpachtete. Unklar bleibt bei dieser Darstellung, wie die Drogenhandlung zum Firmennamen „A. Böh­me“ kam, der durch Fotos des Hauses und durch das Adressbuch überliefert ist. Als Bruno Knigge als Wut zur „Hohenzollemhöhe“ ging, übertrug Dr. Henschke das Geschäft seinem Sohn Hans. Schließlich hat hier wohl Drogist Müller (Schloßstr.) eine Filiale eingerichtet.

Grundstück Nr. 154 ist über die Zeiten hinweg im Besitz der Familie Köhler gewesen, die hier eine Eisen­warenhandlung betrieb, aber auch Jagdgeräte und Sportartikel verkaufte. Über diese schrieb unser Senior-Mit­arbeiter: „Die Frau von Hermann Köh­ler, des Geschäftsinhabers in meiner Jugendzeit, war eine Schwester des Zeitungsverlegers Richard Zeidler, Köhlers hatten zwei Töchter. Die älte­re wurde Opernsängerin. Das Geschäft übernahm der Sohn Erwin.“

Im folgenden Laden wurden in Friedrich Waschinskys Jugendzeit Töpferwaren und Keramik-Artikel ver­kauft. Das Haus (Nr. 155) erwarb dann der Textilkaufmann Paul Opitz, der wie schon ausgeführt, von der anderen Straßenseite kam. Sein Geschäft ent­wickelte sich hier beachtlich. Das Hausgrundstück muss mehrere Wohnungen umfasst haben. Im Adressbuch von 1926 sind vier Mietparteien mit den Namen Lehmann, Rarack, Büttner und Kipper festgehalten.

Das letzte zur Schaedestraße gehö­rige Grundstück war das des Hotels „Reichsadler“, dessen Wirt Paul Geis­ler hieß. Es handelte sich um eine weit bekannte und gut besuchte Gaststätte. Der im Hintergebäude zur Landhausstraße hin im ersten Obergeschoß ge­legene Saal wurde für viele Vergnügen genutzt. Der älteste „Heimatgrüße“-Mitarbeiter teilte mit, dass hier wie übrigens auch im Schützenhaus schon 1903 Filmvorführungen stattfanden. Wenn das zutrifft, so begann der „Kin­topp“ die Crossener frühzeitig in sei­nen Bann zu ziehen. Nach dem „Großen Brockhaus“ wurde die Filmtechnik zwar schon vor der Jahrhundertwende erfunden, aber der erste einigermaßen passable Spielfilm entstand mit Henny Porten in der Hauptrolle erst 1911. Der „Reichsadler“-Saal entwickelte sich unter einem speziellen Pächter zu den ,,Capitol-Lichtspielen“. Deren Name prangte dann auch ganz groß unter den Fenstern des zweiten Obergeschosses an der Straßenfront, so dass diese Crossener „Traumfabrik“ vom Marktplatz aus nicht zu übersehen war.