Alfred Polgar – Ja und nein – Kritiken zu Klabund Werken

Darstellungen von Darstellungen

Herausgegeben von Wolfgang Drews – erschienen im Rowohlt-Verlag Hamburg

Der Kreidekreis — In diesen ehrwürdigen Reiskuchen wur­den, um ihn auch erwachsener Infantilität genießbar zu machen, von Dichter und Regisseur viel ostasiatische Spezereien und Gewürze hineingetan. Für späteuropäisches Empfinden liegt ja wirklich der Reiz des Spiels weniger in dem, was es erzählt, als im exotischen Tonfall der Erzählung und in den optischen Gesten, die sie begleiten. Die Inszenierung Karl­heinz Martins bekennt auch ganz deutlich, daß ihr die Emballage als eigentlicher Inhalt, die Schale als Kern der Sache gelte. Phantasie, Witz, Radikalismus des einfallsreichen Theatermannes leben sich hier, auf leicht und luftig geglie­derter Bühne, in üppigen Chinoiserien aus. Es gedieh eine Arbeit, ach, was für eine Arbeit!, die barbarische, kindliche und kunstästhetische Gesichtspunkte unter einen Stil zu brin­gen trachtete. Gerätschaften aus Märchen-Asien, Kostüme, strotzend von Bizarrerie, die scharf sakkadierten Gebärden, das Gehüpfe und Miauzen der Spieler, zierlich-steife Kulissen und Hintergründe wie aus dem Lackschächtelchen geben dem Spiel das Ultra-Chinesische, Figuren von burlesker Tücke oder Einfalt beleben es, und wie ein unendlicher Faden zieht sich durch alle szenischen Muster der Bodenwiesersche Tanzverein, zieht sich sogar sehr, begleitet (als Chor, der keine Stimme, aber viel Hand und Fuß hat), alles was geschieht und nicht geschieht mit beredsamen Rumpf- und Gliederverdrehungen und erfüllt zudem die Aufgabe, Randleisten um einzelne Szenenbilder und Schlußvignetten unter sie zu tanzen. Es ist hübsch, aber sehr umständlich und gibt dem «Kreidekreis» weit größere Peripherie, als seinem geistigen Radius entspräche.

Reinhardt hat den Kreidekreis zarter nachgezeichnet. Unter seinen Händen verflüchtigte sich das bißchen dramatische Substanz lyrisch, und alles geriet so sanft, hold, blumig, daß dem Zuhörer ganz weich im Herzen und im Magen wurde. Zierliche Musik umsummte, ein Ton-Mücken-Schwarm, die Vorgänge. Holzstäbchen klapperten, es klang wie das Klop­fen eines Morseapparats aus einem nahen chinesischen Post­amt, tuschfarbene Heinzelmännchen huschten, und viel lieb­liches China-Zeremoniell sorgte für Langeweile des Abends. Im Deutschen Theater hatte das Spiel den Tee-Geschmack, den es ja gewiß haben soll. Martin tat mehr Rum hinein. Fräulein Elisabeth Bergner genießt rechtens so gewaltigen künstlerischen Kredit, daß das Parkett sich von ihrer hohen Kunst betäubt zeigt, auch wenn diese sich gar nicht mani­festiert. Wie zum Beispiel hier, im «Kreidekreis», in dem Elisabeth Bergner drei Stunden lang mit einem einzigen Ton — er klingt wie das Wimmern eines Kätzchens, das in den Brunnen gefallen ist — auskommt. Doch war sie sehr rührend, und der gute Prinz Hans Thimig verliebte sich auf den ersten Blick in ihre Gebrechlichkeit, die ihre Stärke ist. Warum er bei der Versteigerung der Zarten die Augen schloß, weiß ich nicht. Wenn er das beim «Tanz der gefangenen Nachtigall» getan hätte, also schön. Aber bei der Lizitation? In Wien wurde Haitang um tausend Goldtaels erstanden, in Berlin, wo alles teurer ist, kostete sie dreitausend. Klopfer zahlte das mit der linken Hand. Er ist kein Knauser, gab auch dem Mandarin Ma die ganze Fülle seiner schauspielerischen Potenz. Den Berlinern, satt der rauhen Töne, die die Zeit gebar, gefiel die Legende von dem allerchristlichsten Chinamädchen heraus gut, und es war auch ein ganz großer Erfolg für Reinhardt. Doch kann ich nicht glauben, daß er eine rechte Beziehung hat zu solcher Art von Komödie, einem Gespinst aus Seide und Kunstseide, das sich für den Zuschauer sehr leicht zur Schlafmütze verwebt.

Carola Neher in Wien ——

In einer verwahrlosten Aufführung von Shaws „Caesar und Cleopatra“, beschämend schon durch die Sprech-Unkultur, die sie offenbarte — Caesar redet Kaugummi, Ruffio bellt, laut und deutlich spricht nur der Souffleur, im ägyptischen Verein geht es zu, daß man’s verstehen würde, wenn der Nil sofort austräte — in dieser Aufführung des Burgtheaters also, für die im Wiederholungsfalle, dem Fremdenverkehr zuliebe, hoffentlich gelten wird: Fremden ist der Eintritt verboten, erschien als Cleopatra Frau Carola Neher aus Berlin, eigent­lich aus München, ganz eigentlich aber aus Graz. Jung, hübsch, sehr apart schlank wie die beliebte (in solchem Fall zum Ver­gleich unvergleichlich taugende) Gerte und biegsam wie diese, mit einem nervösen, von lebhaft rundfunkenden Augen be­lichteten, von einer kleinen, frechen Nase pointierten Katzen­gesicht. Carola Neher hat die Begabung, fraulichen Reiz als künstlerische Qualität geltend zu machen („enharmonische

Verwechslung“, wie die Musiker sagen). Der Cleopatra gibt sie vieles, was der Figur taugt: das Ungezähmte, das Kind­lich-Heitere und -Gefährliche, Temperament als Rassezei­chen, das Quellkühle und Grausame eines naturnahen Ge­schöpfs. Auch das Herrische geht ihr leicht von Herz und Lippe. Das Spiel der Frau Neher rückt die kleine Königin gleichsam in ein ungedämpftes Licht, das Züge und Linien der Figur überschärft. So bekommt diese manchmal etwas Hartes, Nüchternes (das man hier als «berlinerisch» empfindet). Dar­über hilft die geschmeidige Anmut der Darstellerin, ihre Klug­heit, ihr körperlicher Humor, sozusagen: der Mutterwitz ihrer Bewegung, allemal hinweg. Die Stimme splittert im Affekt, aber Carola Neher spricht sehr klar, kultiviert, unterstützt die Rede durch ausdrucksvolle Mimik und freies Gebärden­spiel. Ob sie viel Herz hat, weiß ich nicht; in den Vorder­grund drängt sich dieses Organ keinesfalls. Ihre Drolerien sind reizend, zuweilen nur scheinen sie wie bewußte Zutat. Daß Carola Neher eine echteste Theaterbegabung ist, daß ihr Spiel Geist hat und Grazie, war gerade an diesem, von beiden sonst völlig verlassenem Shaw-Abend nicht zu über­sehen. Sie wird es beim Theater in Wien trotzdem, oder bes­ser: eben deshalb, nicht leicht haben.

Klabund: „X Y Z“

Ein Spiel en trois. Personen: Frl. Y, Herr X, Graf Z. („Der eine hieß Gribl-Grabl, der andere aber hatte keinen Namen, und das war das Feine an ihm!“ H. C. Andersen.) Fräulein Y, die tun kann, was sie will — sie ist nämlich von Beruf Komtesse und hat keine andern Sorgen als erotische —, heiratet erst den Proleten, der ihr vortäuscht, Graf, dann den Grafen, der ihr vortäuscht, Diener zu sein, schließlich, da der Graf ihr zu dumm ist, wieder den Proleten. Der Wechsel, hin und zurück, vollzieht sich leicht, im Wort­umdrehen. Die Ereignisse treten ein wie Marquis Posa künftig zu König Philipp: unangemeldet. Die Situationen machen sich nicht breit, sondern schmal, und holde Abkürzung waltet. Das Spiel verlächelt die Schwerfälligkeiten des Lebens, zumal in Liebes- und Heiratssachen; es ist voll Ironie gegen die Wichtigtuereien der Kausalität.

Wenn Klabund sagt, Frl. Y „heiratet“, so hat das Wort kein bürgerliches Gewicht. „Nimmt“ wäre richtiger. Es geht in diesem unbeschwerten Spiel gar nicht um Heirat und Liebe oder derlei, obgleich an diese Vokabeln im Zwiegespräch oft gerührt wird. Es geht lediglich um Partnerschaften. Um eine zweite Stimme im Duo, um einen Kameraden für Vierhändige. Frl. Y braucht mehrere. Heute den, morgen jenen, übermorgen beide. Liebt sie den X, den Z? Sie liebt, glaube ich, das Alphabet. Viele Spiele sind in ihr, wollen den rech­ten Gegenspieler. Und einer kann nicht alles. Klabund gibt einen Beitrag zur Biologie der neuen Frau. Sie lebt in einer dünnern Luft als ihre Mütter, viele Meter überm Sentimentalen. Sie macht kein Wesens aus dem Zeitvertreib, den pathetischere Jahrhunderte Liebe nannten (und mein alter Freund Gustav Schönaich: Nervenscherze). Machen wir Männer auch keins! ruft der Dichter. Er ist milde, spöttisch, überlegen. Er toleriert, was er nicht ändern kann. Der Schwä­chere gibt nach.

Sein kleines Spiel hat Witz und Witze. Es ist sehr leicht, Schaum aus des Theaters vollem Glase, der dramatische Nähr­wert also gering. Zum Beschluß seiner Komödie zieht Kla­bund einen verbindenden Schnörkel um sie und das Leben. Ein Blumensteg aus Worten, gewissermaßen, hebt die Tren­nung zwischen Bühne und Parkett auf. Oben gehupft wie unten gesprungen. Wenn ich nicht irre, ist das schon einmal oder tausendmal dagewesen.

Herr Aslan bewährt sich, im Wiener Akademietheater, als Lust­spieler in Moll; sein Humor ist weich gefüttert. Herr Treßler nimmt die Sache gradaus so ulkig, wie sie gemeint ist. Carola Neher, Ursache und Wirkung des Abends, bezau­bert durch ihr Temperament, ihre Grazie in allen Lagen und Lebenslagen. Das Voraussetzungslose, Unbedingte der Figur trifft sie mühelos. Es sdieint, sie hat es. Miene, Ge­bärde, Tonfall spiegeln die Freiheit, in der solche Jugend erwuchs. Vielleicht ist Fräulein Y großer Gefühle, Gefühle von ewiger Dauer, nicht fähig. Aber wie lang dauert denn schon die Ewigkeit? Ein paar Jahre, wenn’s hoch geht. Frau Neher tanzen zu sehen, ist ein Vergnügen. Auf weichem Lager, zwischen Kissen von überzeugend symbolischer Form, turnt sie behende und possierlich. (Der Dialog ist Springschnur: anmutig-flink über ihn weg und unter ihm durch.) Mit der Liebe spielt sie furchtlos wie das Kind mit dem bösen Hund: siehe, er tut ihm nichts! Sie ist leichter als das Leben: es trägt sie.

Willst Du Dir noch einen vergnüg­ten Abend machen (ich meine im Theater)? Versuch’s bei „XYZ“, einem Lustspiel von Klabund, das kaum lebte, kri­tikgesegnet, wäre der Dichter nicht tot. Es wird elegant und witzig dargestellt: von dem reizenden Edthofer, dem origi­nellen Lovric und Maria Bard, für die ich rechte Adjektiva nicht bei der Hand habe. Also sage ich nur, daß sie bezau­bernd ist, und, im froh-anmutigen Wirbelspiel von Wort, Blick, Gebärde, Bühne wie Zuschauer belebt durch den Sprit einer humorstarken, komödischen Begabung. Der Erfolg war groß. So groß, daß Frau Bard eigentlich bangen müßte vor der nächsten Probe auf seine Haltbarkeit. Über Gipfel weht scharfer Wind, besonders im Berliner Hochgebirg, eine mo­mentane Schwäche in den Beinen: Du liegst drunten. Und weil wir gerade davon reden und ich Dein weiches Herz kenne, warne ich Dich vor „Romeo und Julia“ im Berliner Theater, obwohl Dir dort eine von Meisterhand verbröselte Auffüh­rung reichlich Gelegenheit gäbe, Dich kritisch aufzutun, eine Inszenierung, die selbst jene, welche dem großen Regisseur grundsätzlich Beifall klatschten, nötigte, diesmal es so zu tun, daß sie die Hände über’m Kopf zusammenschlugen. (Ent­schuldige, mit meiner Aufregung, die vielen Relativsätze.) Nein, Du sollst Fräulein Bergner als Julia nicht sehen, denn es ist ein erschütternder Anblick, wie diese subtile, lichter-reiche Intelligenz-Spielerin — auch hier, wo sie versagt, in Augenblicken berückend fein und süß — matt und wandermüde in das unerreichbare Land der Leidenschaft strebt, durch das Flammenspiel als armes Flämmchen geisternd, das jeden Augenblick zu verflackern droht. Leb‘ wohl. Wenn Du in Berlin einen Wiener siehst, der im­merzu hier bleiben will, sag‘ ihm, ich bewundere seine See­tüchtigkeit.“