Zeitschrift „Revolution“

Klabund – Das Herz der Lasker

Else Lasker-Schülers Kunst ist sehr verwandt mit der ih­res Freundes, des blauen Reiters Franz Marc. Fabelhaft gefärbt sind alle ihre Gedanken und schleichen wie bunte Tiere. Zuweilen treten sie aus dem Wald in die Lichtung: wie zarte rote Rehe. Sie äsen ruhig und heben verwundert die schlanken Hälse, wenn jemand durchs Dickicht bricht. Sie laufen nie davon. Sie geben sich ganz preis in ihrer Körperlichkeit.

Else Lasker-Schüler trägt ihr Herz an einer goldenen Ket­te um den Hals. Sie ist ohne Scham: jeder darf es betrach­ten. (Aber sie fühlt nicht, wenn es wer betrachtet. Und es ist ihr gleichgültig.) Sie liebt nur sich, weiß nur von sich. Die Objekte ihres Herzens … sind Bleisoldaten, mit de­nen sie spielt. Aber sie leidet an diesen Bleisoldaten; und wenn sie von ihnen spricht, bluten die Worte aus ihr heraus.

(aus: Revolution l, 1913)

Klabund – Allerlei Mittel

Wenn man Zeitungsnachrichten trauen darf, bereitet die Regierung einen großen Schlag vor. Einen Schlag gegen die zunehmende Zucht- und Kinderlosigkeit. (Einen Schlag ins Wasser.) Eine adlige Stiftsdame, in der Wilhelmstraße als politischer Beirat geschätzt, scheint ihn ersonnen zu haben. Nämlich: es gibt allerlei Mittel, welche die Kon­zeption verhindern. Besonders (besonders) in die Arbei­terschaft haben sie Eingang gefunden. (Die höheren Krei­de haben sie – vielfach – nicht nötig. Sie bekommen sowieso keine Kinder.) Die Arbeiterschaft ist durch Annoncen und Broschüren aufgereizt. (Deshalb kriegen sie keine Kinder mehr: wegen der Broschüren.) Man beantragt: der Verkauf dieser Mittel (die Zurschaustellung der Annoncen, die Versendung der Broschüren) wird gesetzlich strengstens bestraft. Auf diese Weise muß das Volk ja hecken, wohl oder übel. (Kalkuliert die adlige Stiftsdame.) In Parenthese: danach scheinen uneheliche Kinder, bisher vom Staat als Biester behandelt, ein gesuchter Artikel zu werden. Der Staat braucht Menschen, und zu diesem Zweck wendet er allerlei Mittel an … Aber die Arbeiterschaft hat auch allerlei Mittel zu Gebote, dem Staat zu widerstehen. Sie bäumt sich auf. Sie will keine Kinder mehr (weil der Staat sie will …). Sie revolutioniert. Eine stumme, langsame aber beharrliche Revolution. Sie hat den Willen zur Kinderlosigkeit. Was Regierungsräte über den Geburtenrückgang quatschen, ist Unsinn: der Proletarier sei zu bequem, zu luxuriös geworden, um Kinder zu halten. Er verwende sein Kapital (Kapital!) für ’s Amüsement. Die Arbeitslöhne seien unerhört gestiegen … Ihr Biederen: was nützt eine (in der Statistik) noch so fabelhafte Lohnaufbesserung, wenn sie durch eine (noch fabelhaftere) Steigerung der Lebensmittelpreise absolut illusorisch gemacht wird? Der Proletarier will keine Kinder mehr – nach seinem Bilde. Der Staat aber braucht Arbeiter. Schon jetzt sind 10 % der niederen Arbeiter … Ausländer. Der Proletarier kriegt keine Kinder mehr … Wird die Regierung den Prozentsatz der Ausländer erhöhen? Auf 20 % Auf 30 % Videant Konsules! Der Proletarier will keine Kinder mehr (weil die Regierung sie will). Er wird sie zwingen, mit ihm zu verhandeln. Es gibt allerlei Mittel!

Jenes geplante Gesetz aber ist lächerlich, brutal, unerhört schädlich, da es nach einer ganz anderen Seite wirken muß als man beabsichtigt… Jene konzeptionsverhütenden Mittel sind ja zugleich die besten Präservative gegen die Geschlechtskrankheiten. Will die Regierung die Syphilis noch heimischer bei und machen? Einen Haupthelfer der Unfruchtbarkeit, die Gonorrhöe, freundlichst unterstützen? Die Kinder die dann herauskommen: dazu kann sich der Staat gratulieren. Die werden zu nichts zu verwenden sein, nicht einmal zu Regierungsräten und Stiftsdamen. Höch­stens als Füllmaterial der Irrenhäuser.

(aus: Revolution 1, 1913)

Die Enthüllung

1

… Den Menschen Klabund schuf ich eines Tages in ernst­haft selbstparodischer Laune, gab ihm aber soviel von mei­nem Blute, daß er neben und über mir zu leben begann und ganz zum Spiegel meiner Kunst- und Weltanschau­ung wurde. Klabund wurde ich. Ich wurde Klabund. Es ist das absolute Recht meines Dichters – und darin stimme ich glücklich mit Alfred Kerr überein — nicht nur Ver­ne, sondern auch Gestalten zu erdichten, denen er diese Verse zuspricht. (Ob ich wirklich zeitweise als Vagabund gelebt habe, ist für die Wertung meiner Verse sehr gleich-gültig). Ich nehme das Recht zur Maske nicht als erster in Anspruch. Die Literaturgeschichte bietet berühmte Bei­spiele genug. Ossian ist eine Fiktion – werden dadurch seine Verse schlechter? Des Usedomer Pfarrers Meinhard: „Bernsteinhexe“ ist eine Fiktion – Werthers Leiden und alle Brief- und Ichromane ebenfalls. Klabund heißt ethymologisch soviel wie Klabautermann. Klabautermann, das ist jenes närrische Meergespenst, das den Schiffern in nebligen Nächten Unheil kündend er­scheint. Und derart erschien auch Klabund dem „Reichs­boten“, der „Täglichen Rundschau“, dem Kunstwart, der Aktion und manchem anderen.

2

Am 27. Juli dieses Jahres, nachmittags halb drei, wurde ich entlarvt. Ein schöner warmer Himmel blaute über Mün­chen, wir saßen im Hofgarten: Hans W. Fischer (der Dichter des „Flieger“), Erich Mühsam, Leybold, ich, ein junger Mann aus Hannover, eine junge Dame aus Hamburg. Ich sagte: „Wenn Sie es noch nicht wissen sollten – ich bin Klabund. Machen Sie beliebigen Gebrauch davon.“ (All­gemeine Ergriffenheit).

3

Montag Abend im Ratskeller. Stammtisch des „Krokodils“. Anwesend sind (außer mir): Frank Wedekind, Karl Henckell, Franz Dülberg, Erich Mühsam, der Engländer Funduklian, der Schauspieler Schnell. Ich sagte: „Wenn Sie es noch nicht wissen sollten – ich bin Klabund“. (Allge­meine Ergriffenheit).

Herr Dülberg versucht sich sofort in Anagrammen auf den Namen: Klabund. Er bekommt zum allgemeinen Erstau­nen nur zwei heraus: Alfred Henschke und Jucundus Fröh­lich. Man hatte sich auf mehr gefaßt gemacht.

4

Die Entlarvung schreitet mit Riesenschritten weiter. Schon m 9. November bringt Stx in der Täglichen Rundschau ie verfängliche Frage: Klabund ist nicht Klabund? Und am 15. November folgt die Aktion. (Das nennt man prompte Berichterstattung).

5

Zum Teufel, was für eine langweilige Sippe! Jetzt kommt sie damit, 4 (vier) Monate nachdem ich mich selbst als Klabund defloriert hatte.

Die Aktion polemisiert, zum ersten Mal in der Klabund-Angelegenheit, sehr witzig. (Die Repliken im Frühjahr waren erschreckend geistlos). Sie schreibt Orchinal statt Ori­ginal und stellt ein Hurenlied (von Klabund) neben ein Horenlied (von Alfred Henschke). Sie scheint von Jucundus Fröhlich, von dem die Tägliche Rundschau am 9. November berichtet, nichts zu wissen oder will sich diese Enthüllung auf die nächste Nummer aufsparen. Man muß mit seinen Sensationen sparsam umgehen. Aber bitte: nicht zu lange auf Lager legen! Sie werden sonst ranzig. — Jedenfalls muss ich es bedauern, daß die Aktion neben die toten Helden vom „Marineluftschiff L III“ (von Alfred .Henschke) und „Es hat ein Gott mich ausgekotzt“ (von ‚Klabund) nicht noch das „Lied vom patentierten Hosen-knopfkaffee“ (von Jucundus Fröhlich) gesetzt hat. Die Wirkung wäre überraschend gewesen und es hätte sich noch klarer als jetzt gezeigt: daß Klabund eben doch Klabund, Alfred Henschke — Alfred Henschke und Jucundus Fröh­lich -Jucundus Fröhlich ist (und bleibt)

6

Verehrteste: ich habe das Recht, alles zu sein, was ich will und kann. In Literatur und Leben. Ich bin Klabund. Ich bin Alfred Henschke. Ich bin Jucundus Fröhlich. Und ich bin noch vieles andere. Und wenn ich mich morgen als portugiesische Jungfrau auftue, die, in Uruguay beheima­tet, von einem portugiesischen Vater und einer indiani­schen Mutter geboren, die schönsten spanischen Sonette schreibt, so dürft ihr auch nichts dawider haben. Denn ich werde, im Bedarfsfalle, diese portugiesische Jungfrau voll und ganz sein. Voll und ganz.

7

Gewiß, Herr Pfemfert, „Klabund kann bedeutend an­ders wenn er anders unterzeichnet“. — Ich nehme es als mein Verdienst in Anspruch, „anders zu können“, und als mein gutes Recht, „anders zu unterzeichnen“. Sie schreiben: „Die meisten (jungen Leute) waren für Kla­bund“. Sie sind es jetzt noch, Herr Pfemfert. Verse wer­den durch „Enthüllungen“ nicht schlechter. Und nicht nur junge Leute sind für mich. Auch ältere Leute: Frank We­dekind zum Beispiel. Klabund ist doch etwas mehr als ein Bierulk. (Was man von Ihrer Replik nicht behaupten kann).

8

Liebe Aktion! Lieber Reichsbote! Liebe Kunstwärter! Liebe Tägliche Rundschau! Summa: meine lieben Feinde: seid für Eure treue Mitarbeit an meinem Werk bedankt. Ich bitte, sich vorkommenden Falls meiner wieder zu erinnern. Achtungsvoll: Klabund.

9

Am 27. November findet in Berlin der Prozeß „wegen Ver­breitung unzüchtiger Schriften“ gegen Alfred Kerr und mich statt. Es wäre nie zum Prozeß gekommen, wenn nicht Denunziation die Staatsanwaltschaft zum Einschreiten ge­zwungen hätte.

10

Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern!

(aus: Revolution 1, 1913)

Im Herbst 1913 soll die Zeitschrift „Revolution“ erscheinen, Herausgeber der Schriftsteller Hans (eigentlich Ernst) Leibold, mit dem Klabund eine enge Freundschaft pflegt. Kennen gelernt haben sie sich an der Münchner Universität. Fredi wird die „Revolution“ verschiedentlich nutzen, u.a. für eine Huldigung für Else Lasker-Schüler und für einen Artikel gegen die arbeiter­feindliche Einstellung der Regierung, die den Verkauf von Ver­hütungsmitteln erschweren will. Bei letzterem wird er wohl als „Betroffener“ geschrieben haben.

Die Zeitschrift Revolution & Hans Leibold

aus Wikipedia

Hans Leibold – geboren am 2. April 1892 in Frankfurt am Main; gestorben am 8. September 1914 in Garnison Itzehoe – war ein deutscher expressionistischer Dichter. Sein schmales Werk wurde zu einer Inspirationsquelle des literarischen Dadaismus. Seine absurden Texte und Gedichte bedeuteten einen wichtigen Schritt in der Entwicklung des Frühexpressionismus.

Leben

Leybold ist in Frankfurt am Main geboren und in Hamburg aufgewachsen, wo sein Vater von 1899 bis 1919 Direktor der städtischen Gaswerke war. Er macht 1911 das Abitur an der Oberrealschule St. Georg. Seinen Militärdienst leistete er im Feldartillerie-Regiment in Itzehoe und war zuletzt Unteroffizier und Reserve-Offiziersaspirant.

Er begann im Wintersemester 1912/13 das Studium der Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte in München, wo er mit der Schwabinger Vorkriegsboheme und späteren Größen des Dadaismus zusammenkam: Richard Huelsenbeck, Emmy Hennings, Klabund, Johannes R. Becher und vor allem mit Hugo Ball, der ein Freund wird. Ball und Leybold verfassten unter dem Kürzel „Ha Hu Baley“ gemeinsam Gedichte.

Leybolds Sprache wurde von Karl Kraus und von Alfred Kerr beeinflusst, philosophisch von Friedrich Nietzsche. Er publizierte sehr viel in der politisch-literarischen Zeitschrift „Die Aktion“ und gab eine eigene Publikation heraus und fünf Nummern einer eigenen Zeitschrift, der Revolution, in der er auch die Anschauungen seiner Freunde verbreitete. Leybold geht nach dem Scheitern der Zeitschrift Anfang 1914 nach Kiel. Leybold war mit Käthe Brodnitz (1884–1971) befreundet.

Er wird bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 eingezogen und schon bald vor Namur schwer verwundet. Drei Tage nach seiner Rückkehr zum Regiment erschoss er sich in der Nacht vom 7. zum 8 September. Für Gründe ist man auf Vermutungen angewiesen, aber eine (eingebildete?) Syphilis-Erkrankung könnte der Auslöser für die Tat gewesen sein.

Hans Leybold veröffentlichte etwa sechzig Artikel und Gedichte. Ein schmaler Band aller laut Herausgeber auffindbaren Glossen und Gedichte, Fotografien und Briefen, dazu Nachrufe, erschien erst 1989.

Ausgaben

„Gegen Zuständliches; Glossen, Gedichte, Briefe“. Postscriptum, Hannover, 1989. Herausgeber und Nachwort (Seiten 101 bis 112) von Eckhard Paul. Diese Sammlung erschien in der Reihe: „Edition Randfiguren der Moderne“. Herausgeber: Karl Riha und Franz J. Weber.

„Gedichte“. Potsdam : Degener 2012 ISBN 978-3-95497-008-7

„Gedichte, Prosa, Glossen“ : (e. Ausw.) ; Gemeinschaftsarbeiten mit Hugo Ball. Mit d. „Totenrede“ von Hugo Ball als Nachw. Hrsg. von Karl Riha u. Franz-Josef Weber. Siegen : Univ. – Gesamthochsch. 1985

Hans Leybold. „Versensporn“ – Heft für lyrische Reize Nr. 44. Hrsg. von Tom Riebe. Edition POESIE SCHMECKT GUT, Jena 2021, 100 Exemplare.