Walter E. Heinrich

 

Quelle: Briefe an einen Freund von Ernst Heinrich Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln – Berlin 1965

Walther Heinrich wurde am 28. August 1872 in Berlin als Sohn eines Kaufmanns und früheren Leh­rers geboren.

Heinrichs Vater geriet Ende der achtziger Jahre in finanzielle Schwierigkeiten und wanderte nach Argentinien aus. Die Mutter blieb mit den Kindern in Berlin zurück und verdiente den Lebensunterhalt der Familie. Walter – der Älteste – verließ vor dem Erreichen der Prima die Schule und absolvierte eine Ausbildung zum Bankbeamten.

Sein Sohn Ernst Heinrich schreibt in einem Vorwort des Buches „Briefe an einen Freund“ über den Beruf des Vaters:

„… Es war für ihn ein Not- und Brotberuf, den er aufgab, sobald er sich für eine freie Tätigkeit ge­nügend gebildet hatte. Er wandte sich schon früh künstlerischen Fragen zu und begann, mit beschei­denen Mitteln eine eigene Sammlung von Gemälden, Zeichnungen und Kleinplastiken aufzubauen. Am stärksten beschäftigte ihn zunächst jedoch die Literatur. Wie so viele Größere seiner Zeit fühlte er offenbar, um eine moderne Formel zu gebrauchen, ein Unbehagen an seiner Zeit. Glanz und Gloria täuschten ihn wenig.“

Klabund und Walter Heinrich lernten sich durch einen Vetter Heinrichs kennen, den Crossener Kaufmann Max Doering, der die ersten geschriebenen Versuche von Fredi kannte. Aus dieser Bekanntschaft entwickelte sich ab etwa Ende 1910 eine Freundschaft, die bis zum Tode von Klabund vor allem Fredi in vielen Situationen half.

Im Portrait habe ich geschrieben, Heinrich sei oft genug auch „Kummerkasten“ gewesen, das gilt insbesondere auch, wenn Fredi mit der Einstellung seiner Eltern haderte. Ein Beispiel für das Vertrauen und die Offenheit gegenüber Heinrich ist der folgende Brief:

„… Crossen (O.), 17. III. 1911

Lieber Herr Heinrich,

ich fühle mich bis jetzt noch gar nicht gut, trotz guter Luft und guter „Ernährung“. Es ist doch im­mer so, dass man sich von dieser „Erholung“ in der Kleinstadt nachher in Berlin erst recht erholen muss. Wenn ich ein Backfisch wär‘, würd‘ ich sagen: tod­unglücklich. Aber es wird sich schon so einregnen: wenn ich erst wieder bei meiner Arbeit sitze („Ar­beit“! um Gottes willen kommen Sie damit meiner Mutter nicht, die hat mein Verhältnis zu der Dame für ein durchaus unanständiges und illegales er­klärt und kann sich in ärgerlichen und ausdauernden Anspielungen nicht genug tun) — wird mir schon wieder wohl werden. Etwas hab‘ ich auch schon getan: ein paar Novellen durchgesehen, (dabei manche ältere arg zusammengestrichen: meine Phantasie hat doch in einem Jahr gelernt, konziser zu „denken“). Den „Kakadu“ und den Brief aus der Kleinstadt werd‘ ich vielleicht zusammenarbeiten (nebst anderen Kleinstädtereien.) — Sexualiter ist mir auch elend zu Mute. Hier auf den Kriegspfad zu gehen, erfordert List und Spürsinn eines Siouxhäuptlings. — Jetzt zum Schluss hab‘ ich aber noch etwas Schönes für Sie, das in Ihr Lieblingsgebiet: die bildende Kunst fällt: In einer hiesigen Kunsthandlung, pardon: Gummiwarenhandlung steht im Schaufenster der Apoll von Belvedere in einer seltsamen, doch reiz­vollen Umzierung: er ist mit — Bruchband, Suspen­sorium und Knieschiene bekleidet!! Das heißt die Kunst dem Leben nutzbar machen. Mit den herzlichsten Grüßen

Ihr sehr ergebener Alfred Henschke.

„Es sollte auch nicht die vielfältige praktische Hilfe vergessen werden, die dem jungen Dichter durch Walther Heinrich zuteilwurde; sie reichte von per­sönlicher Fürsprache bei ihrem gemeinsamen Ver­leger Erich Reiß bis zu Ratschlägen bankfachmän­nischer Art, um die Klabund seinen Freund in den schwierigen Jahren der Inflation anging. Viele ein­fache Postkarten, die in der vorliegenden Brief Samm­lung nicht abgedruckt werden konnten, enthalten nichts als dringende Bitten um Vorsprachen beim Verlag, um Beschaffen von Büchern oder um persön­liche Aussprachen. Sie wurden ihm, wie es scheint, nur selten abgeschlagen.

Seinen Beruf als Bankbeamter behielt er bis nach der Inflation bei; sein künstlerischer Geschmack und seine Kenntnisse ermöglichten es ihm dann, für ein Kunstauktionshaus tätig zu werden. Selten blieben ihm mehr als die Abendstunden zur eigenen Verfü­gung. Aber wie viele widmete er nicht den jungen Leuten, die wie Alfred Henschke sein Urteil suchten! Seine Mutter und später seine Schwester machten die Honneurs des Hauses und ertrugen es auch, wenn die literarischen Dispute bis in die Nacht hinein dauerten“, so Ernst Heinrich.

Vergessen oder unterschlagen möchte ich aber keinesfalls die eigenen literarischen Veröffentlichungen von Walter Heinrich, die beileibe nicht unwichtig waren. Sein Sohn schreibt:

„… Walther Unus begann seine literarische Laufbahn mit dem „Schülertagebuch“, das Andre Gides Kampf­ansage in „Ecole, je te hais“ abwandelt. Er über­setzte dann Swinburne und Oscar Wilde, veröffent­lichte einen schmalen Band Gedichte unter dem Titel „Wege durchs Land“ und trat nach dem ersten Welt­krieg mit dem Zyklus von fünfzig sonettartigen Gedichten „Kain und Abel“ und einer Anthologie der „Deutschen Lyrik des Barock“ hervor. Anderes ist ver­streut in Zeitschriften erschienen. Erwähnenswert sind seine Aufsätze über Malerei; sie wurden u.a. in Westermanns Monatsheften, Velhagen & Klasings Monatsheften und im Kunstwart gedruckt.

Eine solche Aufzählung von literarischen Produk­ten, die heute vergessen sein dürften, vermag keine Vorstellung zu vermitteln von den Anregungen und der Atmosphäre, die Walther Heinrich zu geben wusste. Auf einem der Musikabende, zu denen er ge­gen Ende seines Lebens in seine Wohnung von Zeit zu Zeit einlud, bemerkte einmal jemand, er führe den Namen „Unus“ zu Recht; er sei doch einzigartig in der Förderung junger Künstler; man dürfe sich fragen, wie viele solcher Mäzene es noch in Berlin gäbe. In der Tat hat er oft sein Wissen, seinen Rat, seine Zeit und auch seine beschränkten Mittel jungen Menschen zuteilwerden lassen, die ihm künst­lerisch begabt schienen.“

Sohn Ernst Heinrich weiter:

„…Das Pseudonym „Walther Unus“, das er hinfort für seine literarischen Versuche benützte, darf als der Protest eines Einzelnen gegen die Macht des Staates und seiner Einrichtun­gen gewertet werden. Es rührt her von dem Einfluss Max Stirners, dessen Vorkämpfer und Biograph John Henry Mackay „(1864-1933) ihm gut bekannt war. In dem Namen „Unus“ scheint sich Stirners „Der Einzige und sein Eigentum“ zu spiegeln.

Im Grunde war Walther Heinrich ein konserva­tiver Mensch. Doch war er nicht blind gegen das Neue, das sich in ungestümen Werken der Jun­gen Bahn brach. Zwar kennen wir die Ratschläge nicht, die er dem jungen Henschke gab, weil fast alle seine Briefe verloren gegangen sind. Aber Klabunds Antworten verraten bisweilen die Mah­nungen des Älteren, etwa die Aufforderung zu ge­danklicher Zucht, die bei dem überschäumenden Temperament Klabunds häufig vonnöten gewesen sein mag.“

Und weiter:

„… Die hier zum ersten Mal veröffentlichte Auswahl von Briefen Klabunds an Walther Heinrich endet mit dem Tode von Klabunds Töchterchen im Jahre 1919. Damals erreichten sie eine Intensität und Tie­fe, die in den späteren kaum mehr zu finden sind. Zwei Gründe dürften diesen Sachverhalt erklären: Klabund scheint zu dieser Zeit einen Grad der Reife erlangt zu haben, der ihn in künstlerischen Fragen unabhängiger machte. Zum anderen hielt er sich nun öfter und für längere Zeit in Berlin auf: Ge­spräche ersetzten mehr als bisher den Briefwechsel.“