Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat

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Die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 (RGBl. I, S. 83) war eine Notverordnung im nationalsozialistischen Deutschland. Sie wurde erlassen, nachdem in der Nacht zuvor das Reichstagsgebäude in Berlin gebrannt hatte. Wegen der Bezugnahme auf den Reichstagsbrand nennt man die Verordnung auch Reichstagsbrandverordnung.

Die nationalsozialistisch-deutschnationale Regierung unter Adolf Hitler behauptete, die Kommunisten hätten das Gebäude in Brand gesetzt und damit zur Revolution aufrufen wollen. Auf diese Weise begründeten sie die Verordnung, die die Bürgerrechte außer Kraft setzte. Tausende von Gegnern der Reichsregierung wurden verhaftet. Die Reichstagsbrandverordnung war, neben der Verordnung vom 4. Februar und dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, eine der wichtigsten Grundlagen der Diktatur der Nationalsozialisten.

Inhalt

Die weitreichende Regelung wurde als Notverordnung von Reichspräsident Paul von Hindenburg nach Artikel 48 (Notstand) der Weimarer Reichsverfassung erlassen. Angeblich diente sie „zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte“.

Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Hausdurchsuchungen und von Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen wurden für legal erklärt. Die „Reichstagsbrandverordnung“ bot die juristische Grundlage zunächst für eine Welle von Verhaftungen gegnerischer Kandidaten zur bevorstehenden Reichstagswahl und fortan für Eingriffe der beschriebenen Art gegen alle Personen und Vereinigungen, deren Existenz oder Tätigkeit für die beabsichtigte Umgestaltung Deutschlands im nationalsozialistischen Sinne als hinderlich angesehen wurde.

Der zweite Teil der Verordnung gab dem Reich das Recht, in die Regierung der Länder einzugreifen. Er bildete die Grundlage für die Gleichschaltung und Zentralisierung des gesamten staatlichen Gefüges des Deutschen Reiches in der Folgezeit, da er jegliche föderalistische Reservatrechte in Gänze zur Disposition stellte.

Die vom Reichspräsidenten erlassene Verordnung wurde von Reichskanzler Adolf Hitler, Reichsminister des Innern Frick und Reichsminister der Justiz Franz Gürtner gegengezeichnet.

Die verfassungsmäßig zweifelhafte Verordnung ebnete den Weg von der Weimarer Republik zur totalitären Diktatur.

Fünf Tage später fand die Reichstagswahl vom 5. März 1933 unter den Bedingungen der Reichstagsbrandverordnung statt.

Vorgeschichte

Kurt von Schleicher, Hitlers parteiloser Vorgänger im Amt des Reichskanzlers, drohte in einer Rundfunkrede am 15. Dezember 1932 der Kommunistischen Partei mit dem Erlass einer „scharfen“ Verordnung:

„(…) Die zur wirtschaftlichen Beruhigung notwendige Ausschaltung aller absichtlichen Störungen hat in der Vergangenheit leider eine große Zahl von Ausnahmebedingungen nötig gemacht. Ich gestehe offen, dass ich es für verhängnisvoll halten würde, wenn wir in Deutschland auf die Dauer nicht ohne diese scharfen Bestimmungen auskommen könnten. Ich habe deshalb den Herrn Reichspräsidenten gebeten, die zweifellos eingetretene Beruhigung zum Anlass zu nehmen, um derartige Ausnahmebestimmungen aufzuheben, um endlich einmal wieder zu normalen Rechtsverhältnissen zurückzukehren. Der Herr Reichspräsident will diesem Vorschlag im Vertrauen auf den gesunden Sinn der ordnungsliebenden Bevölkerung entsprechen, hat dabei aber zum Ausdruck gebracht, dass er nicht zögern würde, eine scharfe Verordnung zum Schutze des deutschen Volkes zu erlassen, falls er sich in seinen Erwartungen getäuscht sieht. Den gewerbsmäßigen Unruhestiftern ebenso wie einer gewissen aufreizenden, die Atmosphäre vergiftenden Presse darf ich in diesem Zusammenhang warnend zur Kenntnis bringen, dass eine solche Verordnung fertig im Schubkasten liegt und in der Tat in ihrer Lückenlosigkeit eine ausgezeichnete Arbeit darstellt. Ich hoffe, dass ihre Anwendung ebenso wenig nötig werden wird, wie der Einsatz der Reichswehr. Ich möchte aber auch die staatsfeindliche kommunistische Bewegung nicht im Zweifel darüber lassen, dass die Reichsregierung auch vor drakonischen Ausnahme-Bestimmungen gegen die kommunistische Partei nicht zurückschrecken wird, falls sie die Lockerung der Zügel zur vermehrten Verhetzung der Bevölkerung missbrauchen sollte. (…)“

Auf dieser Linie liegt die vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 4. Februar 1933 erlassene und von Reichskanzler Hitler, Innenminister Frick und Justizminister Gürtner gegengezeichnete Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes, durch die die Versammlungs- und Pressefreiheit erheblich eingeschränkt wurde. Die Reichstagsbrandverordnung ging hingegen weit über die Pläne Schleichers hinaus.

Der Text der Verordnung folgte dem bereits zu Beginn der Weimarer Republik entwickelten Muster der Notverordnungen des Reichspräsidenten für den Ausnahmezustand,[3] das auch später immer wieder zur Anwendung kam, zuletzt, nun jedoch bereits unter dem bloßen Vorwand der Störung von Sicherheit und Ordnung, aus Anlass des Preußenschlages am 20. Juli 1932. Wesentliche Neuerung der Reichstagsbrandverordnung war jedoch, dass nun die Gewalt nicht auf das Militär übertragen wurde, sondern bei der Reichsregierung blieb bzw. ihr, was Landeszuständigkeiten betraf, zusätzlich übertragen wurde.

Rechtliche Wertung

Bereits 1941 bezeichnete Ernst Fraenkel in seinem Buch Der Doppelstaat die Reichstagsbrandverordnung als die „Verfassungsurkunde des Dritten Reiches“, da sie anstelle der ausgesetzten Verfassung zur rechtlichen Grundlage des nationalsozialistischen Regimes wurde. Sie begründete gemeinsam mit dem Ermächtigungsgesetz den dauerhaften zivilen Ausnahmezustand und damit jene unkontrollierte Machtfülle, mit der alle späteren staatlichen Maßnahmen legitimiert wurden.

Nach dem Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung waren bei der Anordnung und Umsetzung von Notverordnungen folgende Grundsätze zu beachten:

Die öffentliche Ordnung musste „erheblich“ gefährdet sein.

Die Wiederherstellung der Ordnung musste das Ziel des Ausnahmezustands sein.

Die Beschränkung von Grundrechten war nur „vorübergehend“ erlaubt.

Ob die Anwendung der Verordnung vom 28. Februar 1933 diesen Auflagen entsprach, ist strittig:

Ob eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung vorlag, unterlag der Beweiswürdigung durch den Reichspräsidenten.

Der Ausnahmezustand wurde durch seine „erweiterten Interpretationen“ benutzt, um die Ordnung im Sinne der Regierung und nicht der Verfassung wiederherzustellen.

Die Verordnung sah kein Ende der Grundrechtsbeschränkungen vor, diese sollten „bis auf weiteres“ gelten.

Damit konnte das NS-Regime seiner Herrschaft eine scheinbare Legalität verleihen.

Ausweitung des § 5

In § 5 enthielt die Verordnung eine Liste von Verbrechen, die nicht länger mit lebenslanger Freiheitsstrafe, sondern nunmehr mit der Todesstrafe zu ahnden waren. Am 29. März 1933 wurde der Geltungszeitraum dieses § 5 durch das Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe („Lex van der Lubbe“) rückwirkend ausgedehnt, so dass er bereits auf Delikte seit dem 31. Januar 1933 angewendet werden konnte. Dies verstieß gegen das Rückwirkungsverbot, welches seit der Zeit der Aufklärung zu den grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaats gehörte. Eine solche rückwirkende Geltung von Strafgesetzen war indes bereits in der Weimarer Republik keine Seltenheit, da schon die Republikschutzverordnung des Reichspräsidenten Ebert und das Republikschutzgesetz von 1922 eine – zeitlich sogar unbegrenzte – Rückwirkung von Strafvorschriften, die teilweise auch Todesstrafe androhten, etabliert hatte.

Anwendung

Die Verordnung wurde zunächst im Kampf gegen die Kommunisten als Legitimation verwendet, so, wie es ihr Einleitungssatz suggerierte: „Auf Grund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfassung wird zur Abwehr kommunistischer staatsgefährdender Gewaltakte folgendes verordnet“. Da aber in der Verordnung selbst keinerlei Beschränkung des Wirkungskreises auf Kommunisten erwähnt wurde, konnte der Anwendungsbereich beliebig erweitert werden, und somit verlor das gesamte deutsche Volk alle oben genannten Grundrechte. Ebenso wurde die Verordnung zum Verbot von Publikationen angewendet. Ein Beispiel ist das 1938 erfolgte Verbot des „Prediger und Katechet“, worüber ein Handzettel des Verlages Erich Wewel detailliert informiert.

Aufhebung

Die in § 5 erlassenen Strafvorschriften wurden im Kontrollratsgesetz Nr. 55 vom 20. Juni 1947 explizit aufgehoben.