Tageszeitung „Vossische Zeitung“

Stirbt das Drama?

Immer mehr Stimmen werden laut, die den Untergang des Dramas und des Theaters in seiner gegenwärtigen Form ankündigen oder gar schon feststellen. Daß unsere Zeit keiner Tragik fällig ist, ist eine alte Be­hauptung. Neu ist die Anklage, daß das Drama selbst sich als Kunst-form überlebt habe. Voreilige Grabredner beerdigen es, um Kino, Ra­dio, Operette, Revue, Boxkämpfe als seine Erben zu proklamieren. Im Glauben, daß dieses Problem eine Lebensfrage deutscher Kultur be­rühre, haben wir eine Anzahl Berufener befragt, ob auch sie an den nahen Untergang des Dramas glauben. Hier folgen die Antworten der Künstler und Künstlerinnen, deren Namen für die Ehrlichkeit ihrer Zuversicht bürgen.

Klabund

Gibt es in Deutschland überhaupt noch eine Gemeinschaft, aus der ein wirkliches und wahres Theater wachsen kann, wie aus der englischen Gesellschaft des elisabethanischen Zeitalter das große englische Drama, wie aus der griechi­schen Demokratie die griechische Tragödie, wie aus dem Rokoko das französische Lustspiel, aus der katholischen Gemeinschaft des deutschen Mittelalters das Mysterienspiel wuchs? Es gibt keine Gemeinschaft mehr in Deutsch­land, nur eine Allgemeinheit. Krieg, sogenannte Revolu­tion, Inflation und Deflation haben den bürgerlichen ge­bildeten Mittelstand, den Träger des Theatergedankens bis 1914, zerschlagen, zerschmettert und atomisiert. 1919, als mit dem Umschwung der Expressionismus hochkam, gab es noch einmal für ganz kurze Zeit ein Gemeinschaftsge­fühl im Theater (obwohl diese Gemeinschaft schon klei­ner war als die bürgerliche Gemeinschaft, die Hauptmann, Sudermann, Fulda aus sich heraus für sich geschaffen hat­te), damals siegte Tollers »Wandlung«, siegten Sternheim und Georg Kaiser.

Was aber kam danach? Die Revolution versandete. Der Mittelstand verfiel und verkam gänzlich. Für die neue Schicht der „Schieber“ etablierte sich das Kabarett, das, von ihnen reich dotiert, eine kurze Blütezeit erlebte. (Schall und Rauch, Wilde Bühne, Größenwahn.) Die Gesellschaft war zerschlagen, und nun begannen die einzelnen Teile für sich, sich zu „sammeln“. Um die Volksbühne gruppier­ten sich die bildungsbeflissene Arbeiterschaft, Kleinbür­gertum und versprengte Reste des ehemaligen Mittelstan­des. Andere Kolonnen suchten beim christlichnationalen Bühnenvolksbund Unterschlupf. Daneben warb das revolutionäre Proletariat für seinen Proletkult, die Völkischen erstrebten ein Nationaltheater. Das Amüsierpublikum er­fand die Revue. Eine kleine Schar Intellektueller suchte durch Dorngestrüpp den Weg des neuen Dramas. Resümieren wir kurz: wir haben in Deutschland heute ein halbes Dutzend etwa gleichstarker divergierender Tenden­zen beim Theater. Wir haben kein Publikum, sondern Publi-kümmer. Was dem einen recht ist, ist dem andern unbillig.

Die Dramen, die heute geschrieben werden, treffen im­mer nur auf eine Schicht des Theaterpublikums, während sie die andern Schichten gar nicht berühren. Es gab im letzten Jahr nur zwei Dramen, die zufällig alle Schichten gleichmäßig trafen: „Heilige Johanna“ und „Kreidekreis“. Der Erfolg der „Sechs Personen“ war schon ein viel be­schränkterer: ein Erfolg wie „Juckenack“ war ein ausge­sprochener Volksbühnenerfolg. Die „Gesellschaft“ hatte ihren riesigen Erfolg nur bei der Berliner und der Wiener Gesellschaft, dank der prachtvollen Inszenierung durch Reinhardt. In der Provinz, wo es diese Gesellschaft nicht mehr gibt, ist das Stück auch bei guter Aufführung überall abgefallen. In England, wo die Gesellschaft noch ziem­lich intakt ist, haben solche Gesellschaftsstücke (die von Maugham z. B.) immer noch ihr großes Publikum. Die Gesellschaft schafft sich ihr Theater. Das sieht man ganz klar in Russland, wo es ein radikales Theater gibt, weil es ein radikales Publikum gibt. Bei uns ist das radi­kale Publikum in einer winzigen Minorität. Ein Theater wie das Deutsche Theater in Berlin sollte die Kammer­spiele von den Kammerspielereien befreien, die keinen Menschen mehr interessieren, und sollte eine Experimen­tierbühne daraus machen, ein Premierentheater, das je­den Sonnabend ein neues Stück der jungen Generation herausbringt. So wird man ihr, ihrem Publikum, uns allen helfen.

Die Mitglieder des Bühnenvolksbundes, die Anhänger des völkischen Theaters kann man nicht zu Brecht und Bronnen zwingen. Man mag das bedauern, aber es ist nun einmal so. Die jungen Dramatiker, die für ein neues Theater sind, sie müssen vor allem für eine neue religiöse oder soziale Gemeinschaftsform sein, denn nur aus ihr wird sich das neue Drama gebären.

(aus: Vossische Zeitung, 4. April 1926)

Die „Vossische Zeitung“

Aus Wikipedia:

Die Vossische Zeitung war eine überregional angesehene Berliner Zeitung, deren Erscheinen 1934 wegen erheblicher Druckausübung durch den NS-Staat eingestellt werden musste. Sie vertrat die Positionen des liberalen Bürgertums. In der Berliner Presselandschaft nahm sie eine historisch begründete Sonderrolle ein: Sie war – über ihre direkten Vorgänger – die älteste Zeitung der Stadt. Der Name geht auf den zwischenzeitlichen Inhaber Christian Friedrich Voß von 1751 bis 1795 zurück, war aber erst seit 1911 offiziell.

Anfänge des Zeitungswesens in Berlin

Als sich im 16. Jahrhundert regelmäßige Postverbindungen entwickelt hatten, wurden schriftliche oder mündliche Nachrichten aus entfernten Orten durch berittene Postboten übermittelt, sie trafen zunächst bei den Postmeistern ein; in Cölln bei Berlin war das der kurfürstlich-brandenburgische Post- und Botenmeister Christoff Frischmann. Er sammelte die bei ihm einlaufenden Neuigkeiten und gab sie in handschriftlichen Kopien von Fall zu Fall weiter – an den kurfürstlichen Hof, an interessierte Gelehrte und wohlhabende Bürger. Schließlich wurde die Nachrichtenbeschaffung systematisiert, Frischmann erhielt den Auftrag, im ganzen „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“ Kontakte zu pflegen und an allen wichtigen Orten Nachrichten zu sammeln. Seine ersten gedruckten Zeitungen kamen im Jahre 1617 heraus, das älteste erhaltene Exemplar trägt die Nummer 36 und liefert Nachrichten aus dem Zeitraum vom 16. August bis zum 5. September. Die Zeitungen erschienen in einem, nicht immer regelmäßigen, Wochenrhythmus, hatten jeweils acht Seiten im Format Kleinoktav (ein Buchformat, 18,5 cm hoch) und wurden nach der Lektüre meist an den nächsten Leser weitergegeben.

Christoff Frischmann und sein Bruder Veit nannten ihre Zeitungsausgaben zunächst „Avisen“, danach „Berliner Botenmeister Zeitung“. Die Exemplare von 1618 enthielten schon regelmäßig Korrespondenzen aus Amsterdam, Den Haag, Köln, Rom, venedig, Prag und Wien. Häufig griffen Zensoren in die Berichterstattung ein, insbesondere wegen der pro-evangelischen Haltung während des Dreißigjährigen Krieges – der katholisch-kaiserliche Hof zu Wien veranlasste den brandenburgischen Kurfürsten, dagegen vorzugehen. Zeitweilig konnte das Blatt daher nicht erscheinen. Von der ständigen Sorge um die Existenz seiner Zeitung zermürbt, überließ Veit Frischmann die Konzession 1655 seinem Drucker Christoph Runge, der dem Blatt 1658 einen neuen Titel gab: „Berliner einkommende Ordinar- und Postzeitungen“. 1704 erwarb der Buchdrucker Johann Lorentz die Zeitung von Runges Witwe, sein Privileg wurde von König Friedrich I. umgehend bestätigt. Lorentz nannte die nach wie vor einzige Zeitung Berlins nun „Berlinische Ordinaire Zeitung“.

Umstrittenes Monopol

Die komfortable Monopolstellung war wenig später bedroht. Der Ende 1704 aus Süddeutschland zugezogene Buchdrucker Johann Michael Rüdiger erhielt vom König die Genehmigung, ein „Wöchentliches Diarium“ herauszugeben. Lorentz erhob Einspruch und gewann den Rechtsstreit nach zwei Jahren – die neue Konzession wurde zurückgezogen. Nach 1713 veränderte sich die Lage abermals. Friedrich Wilhelm I. (der Soldatenkönig) hatte seine Regierungszeit begonnen, hergebrachte Privilegien wurden überprüft und Lorentz nur noch mit einer eingeschränkten, jederzeit widerrufbaren Genehmigung ausgestattet. Nun unternahm der Sohn des alten Konkurrenten, Johann Andreas Rüdiger, einen neuen Versuch. In einem Brief an den königlichen Hof wies er darauf hin, dass der Buchdrucker Lorentz sein Privileg „lange Jahre bisher umsonst genossen“ habe; durch erhebliche Geld- und Sachleistungen konnte er den König veranlassen, Lorentz’ Zeitungs-Konzession mit Wirkung vom 25. Februar 1721 zu annullieren und ihm selbst zu übertragen. Rüdiger gab die Zeitung, jetzt als „Berlinische Privilegirte Zeitung“, ohne Unterbrechung und ohne wesentliche Änderungen heraus, sodass für die Leser die Kontinuität gewahrt blieb.

Die verschiedenen Änderungen der Besitzverhältnisse haben zu Unklarheiten hinsichtlich des „Geburtsdatums“ der Vossischen Zeitung geführt. Manche Quellen nennen das Jahr 1721. Das Blatt selbst feierte sein 200-jähriges Jubiläum im Jahre 1904 und nannte das entsprechende Gründungsdatum zuletzt auch auf seiner Titelseite. Beide Anfangsdaten beziehen sich auf die Herausgeber-Familie Rüdiger. Meist wird der Altersangabe aber das (fast) ununterbrochene Bestehen der Zeitung seit 1617 zugrunde gelegt, als Christoff Frischmann sie erstmals herausgab.

Kronprinz Friedrich, der spätere König Friedrich II. (Friedrich der Große) empfand die Zeitung als langweilig. Weil sein Vater, König Friedrich Wilhelm I. verfügt hatte, dass keinerlei Meinungsäußerungen, schon gar keine kritischen gedruckt werden durften, enthielt das Blatt nur belanglose Meldungen, vorwiegend von Festen bei Hofe, von Empfängen, Kriminalfällen und Hinrichtungen. Auch gab mangelnde Konkurrenz keinerlei Anlass, die journalistische Qualität des Blattes zu verbessern. Doch bereits am zweiten Tag nach seiner Thronbesteigung 1740 beauftragte Friedrich II. seinen Buchhändler Ambrosius Haude, in Berlin zwei neue Zeitungen herauszugeben, eine in deutscher, die zweite – die sich nur ein Jahr lang hielt – in französischer Sprache. So erschienen im Juni 1740 die „Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen“, die spätere Spenersche Zeitung. Während der Regierungszeit Friedrichs II. wurden dann, in den Jahren 1750 und 1783, noch zwei weitere Zeitungen zugelassen, darunter die Gazette littéraire de Berlin.

Zur Frage der Pressezensur hatte der König schon früh die Meinung geäußert, dass die „Gazetten, wenn sie interessant seyn sollen, nicht geniret werden müsten“. 1742 erfolgte die Aufhebung der Zensur. Die wurde zwar schon während der ersten Schlesischen Kriege wieder praktiziert und 1749 auch formal wieder eingeführt, allerdings mit dem königlichen Auftrag, die Eingriffe in die Pressefreiheit so gering zu halten, wie es unter Kriegsbedingungen möglich erschien. Die Berliner Blätter erfreuten sich zu dieser Zeit größerer Freiräume als die Zeitungen anderer deutscher Länder und konnten das Gedankengut der Aufklärung, dem sich auch Friedrich II. verpflichtet fühlte, nahezu ungehindert verbreiten.

Von Voß bis Ullstein

Nachdem Johann Andreas Rüdiger 1751 ohne männlichen Erben gestorben war, übernahm sein Schwiegersohn, der Buchhändler Christian Friedrich Voß die Zeitung. Sie wurde jetzt dreimal wöchentlich herausgegeben, hatte jeweils vier Seiten, wurde in 150–200 Exemplaren gedruckt und nur in Buchhandlungen verkauft. Sehr bald hieß das Blatt bei den Berlinern nur noch „die Vossische“, im Volksmund auch die „Tante Voß“. Ihr wirklicher Titel war seit 1785 „Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen“, 1806 kam der Kopfvermerk „Im Verlage Vossischer Erben“ hinzu. Dies bezog sich ursprünglich auf Voß’ Tochter Marie Friederike, die mit Karl Gotthelf Lessing, einem Bruder des Dichters Gotthold Ephraim Lessing, verheiratet war. Sie hatte die Zeitung nach längerem Rechtsstreit 1801 übernommen und so in den Besitz der Familie Lessing (Carl Robert Lessing) gebracht, die das Unternehmen fortführte.

Um 1800 erschien die Zeitung mit 16 Seiten, seit 1802 mit einem Wirtschafts- und Anzeigenteil, der sehr positiv aufgenommen wurde – sie war also umfangreicher und vielseitiger geworden, blieb aber wegen der nun wieder strengen Zensur, die keine Kritik an den Grundsätzen von Religion, Staat und öffentlicher Ordnung erlaubte, journalistisch recht oberflächlich. Während der Napoleonischen Kriege flüchteten die Herausgeber der Zeitung – ebenso wie König Friedrich Wilhelm III. – nach Breslau in Schlesien. Dort erschien das Blatt vorübergehend als „Schlesische privilegirte Zeitung“. Zwischen 1824 und 1875 – längst wieder in Berlin – wurde sie täglich herausgebracht, danach zweimal am Tag.

Das Blatt vertrat die Interessen des liberalen Bürgertums. Es setzte sich seit 1843 für die Abschaffung der Pressezensur ein und stand in der Revolution von 1848 eindeutig auf Seiten der freiheitlichen Kräfte. An der Beerdigung der „Märzgefallenen“, der 183 zivilen Opfer vom 18. März 1848 in Berlin, nahm die gesamte Redaktion teil. Aus Anlass der Aufhebung der Pressezensur im selben Monat wurde in Berlin ein Extrablatt der Freude herausgebracht (Zitat „Unter allen Rechten, deren Erfuellung uns geworden, und die wir hoffen, ist der befreite Gedanke das edelste, denn in ihm liegt das Unterpfand fuer alles Kuenftige). Im Verlauf der konservativen Gegenrevolution allerdings, nachdem im November 1848 demokratische Zeitungen verboten und Druckereien geschlossen worden waren, relativierte die Vossische Zeitung ihre progressive Haltung und musste sich dafür auch Kritik und Spott gefallen lassen.

Noch um die Jahrhundertmitte war die Zeitung Markt- und Meinungsführerin in Berlin, verlor aber in den nächsten Jahrzehnten diese Position. Häufige Differenzen zwischen den Anteilseignern blockierten die technische und journalistische Entwicklung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts behauptete die „Vossische“ zwar eine solide Stellung am Berliner Zeitungsmarkt, erreichte aber bei weitem nicht die Auflagen der neuen Massenblätter aus den Verlagshäusern Ullstein, Scherl und Mosse.

Die Besitzverhältnisse waren komplizierter geworden; die Firmenanteile gehörten nun verschiedenen Angehörigen der Familien Lessing und Müller und wurden später teilweise von den Zeitungsunternehmern Rudolf Mosse bzw. August Huck übernommen. Schon 1910 hatte das Blatt den Namen „Vossische Zeitung“ erhalten, der bisherige Haupttitel blieb nur noch als Unterzeile erhalten. Kurz vor seinem Tode 1911 beteiligte sich der Zeitungsverleger August Huck an einem Konsortium, das sich die Anteile der Lessingschen Erben an der „Vossischen Zeitung“ sicherte. Am 24. November 1913 übernahm das Berliner Verlagshaus Ullstein & Co. für fünfeinhalb Millionen Mark die bisher in Familienbesitz befindliche Vossische Zeitung. und ab 1. Januar 1914 erschien die Vossische Zeitung im Ullstein Verlag.

Nach dem Ende der Monarchie in Deutschland war der Hinweis auf das königliche Privileg gegenstandslos geworden; 1918 fiel er weg – die letzte der zahlreichen Titeländerungen. Die Blätter des Ullstein-Verlages sprachen sich jetzt für die Republik aus, in einem Leitartikel der Vossischen Zeitung wurde die schnelle Einberufung einer repräsentativen Nationalversammlung gefordert.

Während der Weimarer Republik galt die Zeitung als Sprachrohr demokratischer und liberaler Kräfte. Auch bot sie liberal orientierten russischen Emigranten eine Plattform. Auf ihrer Titelseite veröffentlichte die Zeitung einen langen Nachruf auf den von Zaristen in Berlin ermordeten ehemaligen Senator Wladimir Dmitrijewitsch Nabokow, einen westlich orientierten Zarengegner. Auch erschien in ihr die deutsche Übersetzung des Romans „König, Dame, Bube“ von dessen Sohn Vladimir Nabokov.

Obwohl die „Vossische Zeitung“ über einen umfangreichen Nachrichtenteil und über einen qualifizierten Mitarbeiterstab verfügte, kam sie nie über eine Auflage von 75.000 Exemplaren. Zwischen 1914 und 1933 soll sie einen Verlust von rund 30 Millionen Goldmark gemacht haben.

Erzwungenes Ende

Am 31. März 1934 stellte der Ullstein Verlag das Erscheinen der Zeitung ein. Sieben Tage zuvor hatte der Verlag in einer kurzen Notiz auf der Titelseite – „An die Leser der Vossischen Zeitung“ – erklärt: „Die Aufgabe eines Blattes vom Stil der Vossischen Zeitung ist nach unserer Ansicht beendet. So haben wir denn aus freien Stücken den schmerzlichen, aber folgerichtigen Entschluss gefasst, die Vossische Zeitung aufzugeben und sie nach dem Ende des Monats nicht mehr erscheinen zu lassen“. Diese zurückhaltende Formulierung lässt die Dramatik der damaligen Situation nicht erkennen. Tatsächlich hatten die Zensurbehörden des NS-Staates die Arbeit der Zeitung schon seit längerem erheblich beeinträchtigt, zahlreiche missliebige Journalisten, unter ihnen viele Juden, waren aus ihren Stellungen vertrieben worden. Wenige Wochen später wurde der Ullstein-Verlag, einschließlich seiner damals noch erscheinenden Zeitungen, im Franz-Eher-Verlag arisiert.

Prominente Mitarbeiter

Bedeutende Persönlichkeiten hatten als Autoren für die Vossische Zeitung gearbeitet. Von 1751 bis 1755 war Gotthold Ephraim Lessing als Rezensent tätig, Christian Friedrich Voß hatte ihm die Redaktion des „Gelehrten Artikels“ übertragen, zudem gab Lessing 1751 für ein Dreivierteljahr die Monatsbeilage „Neuestes aus dem Reiche des Witzes“ heraus. Der Schriftsteller und Romancier Willibald Alexis war vorübergehend Mitarbeiter des Blattes und unterstützte es im Vorfeld der bürgerlichen Revolution von 1848 in seinem Kampf für die Pressefreiheit. Ab 1826 schrieb der Musikkritiker und Dichter Ludwig Rellstab für die Vossische Zeitung, wie zuvor schon sein Vater, Johann Carl Friedrich Rellstab, der dort zwischen 1806 und 1813 gearbeitet hatte. Der mit Fontane befreundete Historiker Johann David Erdmann Preuß lieferte in den Jahren 1860–1865 etliche Beiträge zur Geschichte Friedrichs des Großen und seines Hofes. Zwischen 1870 und 1890 schrieb Theodor Fontane selbst Theaterkritiken über die Aufführungen des Berliner Schauspielhauses für die „Vossische“, sein zeitweiliger Kollege und späterer Nachfolger war der Schriftsteller Paul Schlenther. Im Jahre 1908 wechselte der stellvertretende Chefredakteur E. M. Grunwald nach Konstantinopel, wo er die Chefredaktion des neugegründeten Osmanischen Lloyd übernahm, der vom Auswärtigen Amt, dem Bankhaus S. Bleichröder und den Geldgebern der Bagdadbahn finanziert wurde.

Hermann Bachmann, der 1892 in die Redaktion eintrat, war ab 1895 Stellvertreter des Chefredakteurs Friedrich Stephany; 1900 wurde er Chefredakteur. Ab 1914 teilte er die Redaktionsleitung mit dem Ullstein-Verlagsdirektor Georg Bernhard, der die Zeitung stark prägte, aber erst 1920 Bachmanns Nachfolger wurde. Er war Chefredakteur bis 1930.

1911 bis 1914 verantwortete Doris Wittner die Frauenbeilage der Zeitung. Wichtigster Leitartikler zwischen 1887 und 1918 war Isidor Levy. In den 1920er Jahren leitete Richard Lewinsohn – unter dem Pseudonym Morus auch Mitarbeiter der „Weltbühne“ – die Wirtschaftsredaktion, Monty (Montague) Jacobs wurde bekannt als Feuilletonist und Theaterkritiker. Im Frühjahr 1924 ging Kurt Tucholsky als Korrespondent der Vossischen Zeitung und der „Weltbühne“ nach Paris. Paul Schlesinger schrieb unter dem Kürzel Sling zwischen 1921 und 1928 seine beispielhaften Gerichtsreportagen und begründete damit ein neues journalistisches Genre. Ab November 1928 wurde der Roman Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque als Vorabdruck in der Vossischen Zeitung veröffentlicht.