Synagoge in Crossen

  1. November als Datum des Synagogenbrandes bestätigt.

Zeugen meldeten sich – Ende 1938 noch zahlreiche jüdische Familien in Crossen

Erfreulicherweise ist unser Heimatblatt noch immer ein Mittel, dass zur Klärung geschichtlicher Ereignisse beiträgt.

So meldeten sich zum Bericht „Synagogenbrand am 10. November 1938″ (Nr. 2/2002. i Seiten 2-3) zwei Leserinnen telefonisch beim Verfasser. Sie bestätigten, dass das jüdische Bethaus zu Crossen erst am Morgen nach der „Reichskristallnacht“ niederbrannte. Auch an der Bobermündung erhielten somit die Nationalsozialisten die Anweisungen für die Brandstiftungen erst in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938. Frau Charlotte Paul geb. Neumann ging in jener Zeit werk­täglich vom Elternhaus an der Lerchengasse zu ihrem Arbeitsplatz bei der Kreis Handwerkerschaft am Markt (Kettenhaus). Dabei wählte sie stets nach dem Überqueren der Oderbrücke den kürzesten Weg durch die Gasse „Hinter dem Rathaus“. Sie kam somit am Morgen des 10. November 1938 unmit­telbar an der brennenden Synagoge vorbei. Am Abend des Tages und in der Folgezeit passierte sie dann jeweils die Ruine bzw. das bald frei geräumte Grundstück.

Frau Gertrud Hampe geb. Weißert war 1938 im vierten Grundschuljahr. Sie erinnert sich an die drei jüdi­schen Mitschülerinnen Traugott (Elternhaus an der Landhausstraße bzw. am Sichdichfür), Doris Schlesinger (Vater ein bekannter Arzt, Praxis in der Glogauer Straße) und Vera Grün­thal (Vater führte ein Schuhgeschäft am Markt neben dem Rathaus.) Diese Mädchen mussten am 10. November 1938 morgens den Unterricht verlassen. Das hing, davon ist Frau Hampe überzeugt, mit dem Synago­genbrand zusammen. Sie kann sich jedoch nicht mehr erinnern wie der Vorgang von den Lehrern begründet wurde. Frau Hampes Informationen bestätigen, dass bis Ende 1938 mehrere jüdische Fami­lien noch keine Gelegenheit gehabt oder auch keine ausreichenden Gründe gesehen hatten, in einer Großstadt wie Berlin unterzutauchen bzw. vor den Verfolgungen und dem sich anbahnenden Massenmord zu flie­hen. Die drei Mädchen kamen übrigens nach einigen Tagen noch für einige Zeit in die Mädchenvolksschule zurück. Wie sich durch Kontakte in der Nachkriegs­zeit und durch Geschichtsforschung ergab, überlebten vor allem zahlreiche jüngere Deutsche jüdischen Glaubens aus den mär­kischen Städten die Verfolgung durch natio­nalsozialistische Gewaltherrschaft. Es gab internationale Hilfsorganisationen, die ih­nen die Ausreise, meist über England nach Israel oder in die USA ermöglichten.

Hanns-Ulrich Wein

Die Nationalsozialisten zerstörten die Synagoge
Feuerwehr schützte nur die Nachbarhäuser –
Jetzt Nordwestecke des  Bahnhofs

Wer bei einem Besuch in Crossen/Krosno einen Spa­ziergang durch die Altstadt macht, kann von der Grün­anlage an der Nordwestecke des Busbahnhofs einen geschichtsträchtigen Ausblick genießen. U. a. schaut er auf die St. Andreas-Berg-Kirche jenseits der Oder und auf mehrgeschossigen Wohnbauten darüber nahe der einstigen „Wilhelmshöhe“. Er steht aber auch dort, wo von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Beginn ih­rer Verfolgung durch das Hitler-Regime die jüdischen Bürger der Stadt ihre Gottesdienste feierten.

Die Chronisten Matthias und von Obstfelder hielten kein Wort und kein Datum über den Bau der Synagoge fest. Das darf wohl als ein Zeichen der Vorein­genommenheit auch im 19. Jahr­hundert gegenüber den mit Mehr­heit nach den polnischen Teilun­gen aus Preußens damaligem Osten, vor allem aus der Posener Gegend, zugewanderten Famili­en gewertet werden. Die Verfas­ser des Bandes „Kreis Crossen“ der Reihe „Die Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg“ merk­ten in der Frühzeit der Weimarer Republik zumindest an. dass der jüdische Tempel an der Ecke Sichdichfur/Hinterm Rathaus in der ersten Hälfte des 19. Jahr­hunderts erbaut worden sein dürfte. Das ist möglich, es kann aber auch erst kurz nach 1850 gewesen sein.

Dem 1920 geboren Verfasser dieses Beitrags ist der Sakralbau noch in guter Erinnerung. Er hat auch das Innere einmal besichtigt.

Hitlers Machtergreifung führte Studienrat Berloge (Apo- , std) ihn und seine Mitschüler im Religionsun­terricht dorthin. Zum Lobe des Crossener Realreformgymnasiums ist also fest­zuhalten, dass dessen Kolle­gium trotz aller zeitbedingten Vermittlung von National- und Rassebewusstsein sich erfreu­lich lange ein gewisses Maß an Toleranz be­wahrte.

Anders die alten und jüngeren örtli­chen „Kämpfer‘ für den National­sozialismus. Diese folgten willig der für den 9. November 1938 aus­gegebenen Parole, überall in Deutschland die Synagogen zu zer­stören. So stand denn auch der Crossener Tempel am Abend des genannten Datums in Flammen. Die Freiwillige Feuerwehr rückte an, verhinderte aber lediglich, dass das Feuer auf die Nachbarhäuser übergriff. Ein leerer Platz, der nach der Erinnerung des Verfassers befe­stigt wurde, erinnerte an die Schandtat – bis Alt-Crossen Mitte Februar 1945 in dem von den So­wjetsoldaten planmäßig entfachten Feuersturm versank.

Durch die nach diesem Brand von 1945 end­lich mögliche direkte Fernstraßenverbindung vom Markt zur Oderbrücke wurde mit ‚Gulles Bergeine weitere historische Stätte Crossens beseitigt. Das war eine kleine Grünanlage mit Blumenbeet gegenüber vom Synagogen-Ein­gang im Winkel zwischen Hindenburgstraße und der Gasse Hinterm Rathaus. Der Volksmund benannte sie nach dem Kaufmann Gulle. Dessen Haus wurde abgerissen, als um 1904 mit dem Bau der Stahloderbrücke die neue Brückenstraße, 1915 in Hindenburgstraße umbenannt, entstand. Diese Zufahrt degradier­te die zuvor zur alten Holzbrücke führende Dammstraße zu einer verkehrstechnischen Nebenrolle.

An Hindenburgs Siege bei Tannenberg und an den Masurischen Seen erinnerte auch eine auf Gulles Berg aufgestellte Beutekanone. Sie wurde bereits Anfang der 20er Jahre entfernt. Der Verfasser hat sie nie bewusst gesehen, nur von ihr vernommen.

In der Gegenwart besteht ganz in der Nähe ei­ne polnische Gedenkstätte, ein Findling mit ei­ner Schrifttafel. Wer letztere studiert, dem fal­len vor allem die Jahreszahlen 1109 und 1959 ins Auge. Die polnischen Neubürger haben diesen Gedenkstein also 1959 aufgestellt, um die 750-jährige Zugehörigkeit des Landes an der mittleren Oder zu Polen zu dokumentieren. Der Tafeltext spielt auf die Kämpfe zwischen dem polnischen Herzog Boleslaw widerstand mit seinen Mannen nachweislich um 1109 bei Glogau einem Heer Heinrichs V, der mit die­sem Feldzug die polnische Lehnsabhängigkeit vom Heiligen Römischen Reich Deutscher Na­tion festigen wollte.

Die Tafelinschrift erweckt bewusst den Ein­druck, dass Polen damals den Oderabschnitt zwischen Crossen, (Kuh-) Beuthen und Glogau Im Besitz hatte und behauptete.

Bekanntlich setzte die deutsche Ostsiedelung in Schlesien und den nördlich angrenzenden Gebieten so etwa 100 Jahre nach der Zeit Boreslawa III. unter dem Herzog Heinrich I., dem Bärtigen und seiner Frau. Der heiligen Hedwig ein.

Der Crosnoer Gedenkstein von 1959 ist somit ein Beleg dafür, wie Geschichtsdaten den unterschiedlichsten Zwecken dienstbar gemacht werden können.

H.U. Wein