Schall und Rauch – Kleines Theater und Kabarett

Im Frühjahr 1901 wurde aus einer Laune heraus „Schall und Rauch“ in der Berliner Bellevuestraße geboren. „Gründungsmitglieder waren neben Max Reinhardt, Friedrich Kayssler, Martin Zickel, Else Heims und Richard Vallentin.

Das erste Programm bestand unter anderem aus der Trilogie „Don Carlos um die Jahrhundertwende“, aus drei Parodien auf Friedrich von Schillers Bühnenstück „Don Karlos“ und einem Stimmungsbild von einer Theaterprobe „Das Regiekollegium“ aus der Feder von Max Reinhardt – man parodierte Maurice Polydore Marie Bernard Maeterlinck ( 29. August 1862 in Gent – 6. Mai 1949 in Nizza), einem belgischen Schriftsteller und Dramatiker französischer Sprache, der 1911 den Literaturnobelpreis erhielt) und Gerhart Hauptmann . und das Publikum strömte dank des neuen Stils in „Strömen“.

Friedrich Kayssler (1898) Quelle: Wikipedia

Friedrich Martin Adalbert Kayssler, auch Friedrich Kayßler, geboren am 7. April 1874 in Neurode, Niederschlesien – 24. April 1945 in Kleinmachnow bei Berlin) war Schauspieler, Schriftsteller und Komponist. Friedrich Kayssler wurde bei Kriegsende vor seinem Haus in Kleinmachnow von sowjetischen Soldaten getötet.

Martin Zickel, geboren am 7. Dezember 1876 in Breslau – gestorben am 14. Juli 1932 in Berlin, war Regisseur und Theaterleiter. Er stammte aus einer Familie jüdischen Glaubens.

Martin Zickel, Friedrich Kayssler und Max Reinhardt, 1901 Quelle: Von unbekannter Fotograf der Epoche. – Zeitschrift „Berliner Leben“, Heft 3 (1901)., PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=8062899

Wikipedia schreibt über ihn:

„… Bereits als Student hatte Zickel mit Friedrich Kayssler, Josef Kainz und Max Reinhardt die Gruppe „Die Brille“ gegründet, die 1898/99 Spielabende mit satirischen Szenen, Improvisationen und Einaktern veranstaltete. Daraus entwickelte sich das Anfang 1901 eröffnete Kabarett Schall und Rauch, bei dessen Programmen Zickel oft selbst auftrat.“

Else Heims, auch: Else Heims-Reinhardt, geboren am 3. Oktober 1878 in Berlin – gestorben 20. Februar 1958 in Santa Monica Kalifornien) war Schauspielerin und Frau von Max Reinhardt. Ab 1896 arbeitete sie am Deutschen Theater in Berlin im Ensemble von Otto Brahm. Sie begleitete die Karriere ihres Mannes und seine Berliner Theatergründungen, wie das „Kleine Theater“ und das „Neue Theater“, die Gründung der „Schauspielschule Berlin“ und ihr Name stand auf dem Programmzettel der Eröffnung des Kabaretts Schall und Rauch am 23. Januar 1901.

Else Heims als Porzia in Der Kaufmann von Venedig (um 1920) Quelle: Wikipedia

Die Ehe scheiterte 1913, Wikipedia schreibt:

„… Bedingt durch das eheliche Zerwürfnis wurden ihr von Max Reinhardt und auch an anderen Häusern nach 1920 kaum noch Engagements angeboten. Unter Heinz Hilpert bekam sie 1933 noch eine Rolle in „Der zerbrochne Krug“. Heims hatte auch verschiedene, allerdings eher kleinere Rollen in Spielfilmen. In der Zeit des Nationalsozialismus musste sie über London in die USA emigrieren. Nach dem Krieg pendelte sie zwischen den USA und Europa.“

Richard Vallentin (1874–1908) war ein deutscher Schauspieler.

Am 1. Oktober 1901 zog das Theater aus der Bellevuestraße um – neuer Spielort in einem Saal des Viktoria-Hotels „Unter den Linden“, dessen Parkett vierhundert Sitze bot.

Schon in der Spielzeit 1902/1903 wurde aus dem „Schall und Rauch“ das „Kleine Theater“ und Reinhardt führte es als reine Schauspielbühne weiter.

Übrigens, der „Namensgeber“ des „Schall und Rauch“ war Herr Goethe. „Wo Rauch ist“, schreibt der Dichter, „ist auch Pfeuer, und wo Schall, auch eine Stimme.“ Und einem lungenkranken Christian Morgen­stern half man mit dem „Schall und Rauch“ aus finanziellen Nöten mit den Erlösen aus den anfangs unregelmäßigen Vorstellungen.

Christian Morgenstern 1910 Quelle: Wikipedia

Damit war die Bühne des „Schall und Rauch“ die erste ihrer Art in Deutschland, denn über die Eröffnung des „Simplicissimus“ in München schrieb ich: „In der Nacht vom 30. April zum 1. Mai 1903 zog ein etwas merkwürdiger „Festzug“ von der „Dichtelei“ in der Amalienstraße in Richtung Türkenstraße 57, dem der Dichter Frank Wedekind Laute spielend voranschritt.

Und im Obergeschoss der Spiegelgasse 1 in Zürich eröffneten Hugo Ball und Emmy Hennings am 5. Februar 1916 das „Cafe Voltaire“ und begründeten damit den Dadaismus. Alle drei dieser Bühnen sind bis heute ein Begriff geblieben, wenn es um Kabarett und Kleinkunstbühnen ging. So widmete z.B. die Plattenfirma Telefunken in den 60er Jahren eine Schallplattenreihe namens „Schall und Rauch“ Reinhardts Kleinkunstbühne, in der Chansons, Parodien und Stücke aus dem „Schall und Rauch“ – Programmen nachgespielt wurden.

In Max Reinhardts Großem Schauspielhaus wurde am 8. Dezember 1919 ein neues „Schall und Rauch“ unter der Direktion des Schriftstellers und Dramaturgen Rudolf Kurtz eröffnet und dort traf sich alles, was in dieser „Szene“ Rang und Namen hatte: Werner Richard Heymann, Friedrich Hollaender, Kurt Tucholsky, Klabund, Walter Mehring, Mischa Spoliansky, Joachim Ringelnatz und Blandine Ebinger.

Thomas Mann ordnete dieses kurze Ära des „Schall und Rauch“ nach Reinhardts Tod am 31. Oktober 1943 in New York folgendermaßen ein: „Am Anfang der Wiedergeburt des Theaters aus dem Geiste des Theaters stand die Parodie. Wir jungen Leute in München, Mitglieder eines akademisch-dramatischen Vereins, denen die Reinhardt-Leute ihre Don-Carlos-Parodie vorspielten, lachten Tränen.“

Kurt Wafner als Herausgeber ermöglichte 1985 eine Neuausgabe der Programmzeitschriften des „Schall und Rauch“ im Berliner Verlag „Der Morgen“ und In einem der Hefte ist „Eine Nachbetrachtung – Einfach klassisch – und noch mehr“ zu finden.

Den Verlag gibt es nicht mehr, Kurt Wafner ist leider gestorben und diese Hefte galten als verschollen. Aber im Antiquariat habe ich sie gefunden und diese „Nachbetrachtung“ übernehme ich, denn wer könnte die Zeit des zweiten „Schall und Rauch“ besser beschreiben als der „Zeitzeuge“ Kurt Wafner?

Emmy Hennings und Hugo Ball Quelle: Gemeinfrei

„Einfach klassisch!“ — und noch mehr

Eine Nachbetrachtung

Bücher, heißt es, haben ihre Schicksale. Auch diese Hefte. Sie entstanden mit Beginn jener aufregenden Jahre, die man später die „goldenen Zwanziger“ nannte und die auch mein erstes Lebensjahrzehnt bildeten. Sie begleiteten mich durch mehr als sechzig Jahre – überlebten Faschismus und Krieg, Haussuchungen und Bombennächte, Erdversteck, Verlagerungen und die letzten Kampftage in Berlin. Als die Faschisten den Vorhang zugezogen und Deutschland verdunkelt hatten, dienten sie als kleine Licht­quelle, boten jungen Menschen, die von den Nazis noch nicht „aus­gerichtet“ waren, ein wenig Glanz freier, humanistischer Gesinnung. Als dann die „Verdunklung aufgehoben“ war, wurden sie zur Fundgrube für Literatur- und Kunstfreunde. Die genossen den Reiz der Entdeckung, stießen auf längst vergessene, aber doch „irgendwie“ und „irgendwoher“ bekannte Namen.

Ich kam gerade noch zurecht, um ein Zeitgenosse von „Schall und Rauch“ zu sein – ich war ein Knirps, als dieser Stern am Kabaretthimmel verlosch. Aber in meiner Erinnerung leuchten ein paar Bilder auf: ein großes Säulengewölbe. An einer Wand Riesenpuppen, aber keine Kasperle-Figuren, keine Spielpuppen, hässlich mit Dickbäuchen und Knollennasen . . . Daneben Plakate mit einem komischen Geflecht aus Kuben, Rhomben, Strichmännchen, Maschinenteilen und Buchstaben: dadaistische Symbole – Faszination für einen Dreijährigen, der all diesen Wirrwarr zu verstehen versucht. Dann ist da eine Bühne; ein Mann und eine Frau, die, heftig gestikulierend, „Gedichte aufsagen“. Andere singen und tanzen. Und einer redet immer dazwischen und lässt die anderen alles noch einmal machen: Vormittagsprobe für eine Abendvorstellung des Kabaretts „Schall und Rauch“. Später fragte ich mich: Was an diesen Bil­dern ist Realität, was Vision, was nacherlebte Erzählung? Vielleicht ver­schmolz alles miteinander? Fest steht: Meine Mutter hatte mich zuweilen mitgenommen, wenn sie Vater in seinem kleinen Büro neben dem Keller­saal besuchte. Meist arbeitete er in einem anderen Büro im Deutschen Theater in der Schumannstraße – als Theatersekretär und Erster Buch­halter – unter der Leitung des Kaufmännischen Direktors Edmund Reinhardt. Von diesem Menschen, der ein Stück Theatergeschichte mit­geschrieben hat, wurde er mit der kaufmännischen Geschäftsführung des Kabarettbetriebes betraut. Vater war mit den Reinhardts verwandt — dank der Heirat seiner Schwester Maria mit Leo, dem jüngsten Bruder Max Reinhardts. Als Vater krank und abgerissen aus dem Krieg heimgekehrt war, wurde er von dem berühmten Schwager Max am Theater „unter­gebracht“. Übrigens arbeiteten dessen Schwäger und Brüder alle an seinen Bühnen (Leo war Leiter der Abonnement-Abteilung), und ich hörte oft zu Hause: „Der Onkel Max lässt keinen aus der Familie untergehen!“ Sein Familiensinn war sprichwörtlich; er unterstützte uns — über den Finanz­chef Edmund — noch, nachdem Vater 1923 gestorben war.

„Schall und Rauch“ bildete den Schlussakkord in Vaters 34jährigem Leben. Das ungezwungene, künstlerische Image, der leise Hauch von Boheme, Trinkfreundschaften mit Dichtern und Mimen – das alles be­geisterte diesen Menschen, der, wie Mutter behauptete, selbst eine „dichterische Ader“ gehabt habe. Verse und kleine Geschichten, Früchte stiller Stunden, sind bis auf einige Tagebuchaufzeichnungen verloren­gegangen – geblieben ist, was er für seine Nachkommen aufbewahrt hatte: diese Programmhefte.

Walter Mehring Quelle: Buchtitelbatt

Zuerst hatten die Hefte eine beinahe sakrale Bedeutung für mich – erinnerten sie doch an den Vater. Dann trieb mich kindliche Neugier, sie zu „entdecken“, und ich durfte vorsichtig in ihnen blättern. Das war aufregen­der, als ein Bilderbuch anzugucken, denn hier blieb manches ungelöst und bot der Phantasie großen Raum. Später, als mir Namen wie Tucholsky, Mehring, Klabund und Grosz vertraut waren — standen doch ihre Werke im Bücherschrank -, versuchte ich, Texte und Bilder aus „Schall und Rauch“ in die literarische Landschaft der zwanziger Jahre einzuordnen. Dabei blieb es nicht. Ich gehörte einer sozialistischen Jugendgruppe an, und Agitprop­aufführungen zählten zum Kern unseres Kulturlebens. Wir stellten ein kleines Kabarettprogramm zusammen: den Grundstock bildeten Beiträge aus „meinen“ Heften. So gingen — einfühlsam rezitiert – außer aufrüttelnden Versen von Weinert und Mühsam auch Klabunds „Harfenjule“ und Ringel­natz‘ „Kuttel Daddeldu“ über die Bühne.

Richard Huelsenbeck (1920) Quelle: Wikipedia

Auch an Dada wagten wir uns – für den Hausgebrauch. Wir beschworen eine Dada-Renaissance herauf — im Kleinformat, mit ganz intimem Zuschnitt. Glanznummer war Richard Huelsenbecks skurril-witziges „Ge­spräch über den Hut“ aus dem Dada-Heft, das wir szenisch „ausbauten“ und das uns viel Lacherfolg einbrachte. Affront gegen Spießbürgerei hieß unsere Devise, und wir griffen nach allem, was ihm diente. Die Anleihe bei Dada war ein fröhlicher Farbtupfer auf unserer Palette, den ich nicht missen möchte. Er verblasste bald, und ich ging über Dada hinweg wie auch jene Schriftsteller und Maler, deren politisches Engagement, deren Klugheit und Talent mich fesselten: Herzfelde, Heartfield, Mehring und Grosz.

Nahe stand mir auch Erich Mühsam. Ich bewunderte seinen revolutio­nären Geist, seine warmherzige Menschlichkeit. Ich las seine Kampf­gedichte ebenso aufmerksam wie die frechen, spritzigen Bänkellieder und Kabarettverse. Wie urteilte er über „Schall und Rauch“? Danach wollte ich ihn fragen. Die Gelegenheit bot sich – im Dezember 1932. Er hielt uns zum Gruppenabend ein Referat über die Novemberrevolution und die Jahre danach. „Schall und Rauch“ passte zu diesem Thema. Als ich ihm die Hefte zeigte, war er sichtlich überrascht. Er kannte dieses Kabarett ja nur aus Berichten, denn während es in Berlin von sich reden machte, saß er als „Hochverräter“ im Kerker. „Ich hätt schon in diesem Reigen mitgemacht“, sagte er, „denn politisches Kabarett ist gut. Aber es darf nicht an den Arbeitern vorbeigehen.“ Und er verglich „Schall und Rauch“ mit seinen Kabarett- und Bohemejahren in München. Die Boheme, meinte er, habe zwar versucht, sich aus den gesellschaftlichen Zwängen zu befreien, aber nie die Kraft gefunden, zu den Massen vorzudringen. Und jetzt, angesichts der faschistischen Gefahr, müsse auch die Kunst mehr denn je die Arbeiter mitreißen. Er versprach uns ein Referat über Kunst und Proletariat. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Erich Mühsam wurde eines der ersten Opfer der Faschisten.

Erich Mühsam mit Mitgliedern der Münchner Räteregierung in Festungshaft, um 1920 Quelle: Von unbekannt – Eingescannte Kopie des Bildes im Archiv Helms, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=154279

Reichstagsbrand. Die „Nacht der langen Messer“. Tausende von Anti­faschisten wurden aus ihren Wohnungen geholt, verschleppt, gefoltert, er­schlagen. Unsere Bücherregale leerten sich. Die Hefte teilten das Schicksal all der anderen „gefährlichen“ Literatur: Sie mussten „weggebracht“ werden. Zuerst schienen Verstecke im Keller ausreichend zu sein, dann, nachdem die Nazis am 10. Mai 1933 Kultur und Geist auf den Scheiter­haufen geworfen hatten, suchten wir nach sicheren Orten. Auf dem Grundstück eines scheinbar ungefährdeten Freundes grub ich die Hefte mit anderen Schriften neben der Laube ein – wenige Tage bevor die Gestapo dort Haussuchung hielt, aber glücklicherweise nichts Verdächtiges fand.

Mitte der dreißiger Jahre half ich in einer der wenigen „unpolitischen“ Kultur- und Wandergruppen Laienspiele und literarische Abende zu inszenieren. Unter allen möglichen Vorwänden gelang es uns, Nazibarden fernzuhalten und „unpolitische“ Autoren wie Hauptmann, Kleist und den „Dichter Unbekannt“ — Heine — ins Programm zu nehmen. Ich wagte nun, die „Schall und Rauch“-Hefte wieder in meiner Nähe zu behalten, und abermals dienten sie dazu, unser Repertoire zu verbessern. Auf einem „Berliner Abend“ las ich die „Harfenjule“ und zum Thema Seemanspoesie unbeanstandet den „Kuttel Daddeldu“.

Als die Luftangriffe auf Berlin zunahmen, trennte ich mich abermals von meinen Kostbarkeiten und brachte sie mit dem größten Teil meiner Bibliothek ins Exil nach Seelow. Bald waren sie dort noch mehr gefährdet. Wenige Tage vor dem Sturm der Roten Armee auf die Seelower Höhen fuhr ich auf abenteuerlichen Wegen in diese Stadt, die nun „Frontstadt“ war, und brachte mit Koffer und Rucksack das Wertvollste nach Berlin zurück: Die Hefte waren darunter. Und sie blieben am Leben!

„Paule ist in Stimmung. Paule ist Paul Graetz, die ungeheuerlichste Berliner Schnauze im schmächtigsten Körper. Der wird jetzt nur mal so improvisieren. Aus dem Stegreif. Zieht sich eine aus Luft gemachte Chauffeurkappe schief übers Ohr und verpasst als Berliner Taxichauffeur einem Fahrgast aus der Provinz eine Lektion über unsere große neue Republik – „Hab ick Republik jesacht? Entschuldigen Sie das harte Wort. Sollten Sie zufällig auf der Straße wat knallen hörn, beruhigen Se sich, mein Herr, das sind bloß Jewehre. Das is bloß Noske. Der übt sich bisken mit lebende Zielscheiben, sind aber bloß Arbeiter“ -. Und so geht der frei er­fundene Monolog pausenlos, Pointe auf Pointe.“ So erinnert sich Friedrich Hollaender an den unvergessenen Kabarettisten und dessen Auftritt bei „Schall und Rauch“.

Friedrich Hoelländer Quelle: Autogrammkarte

Was Paule Graetz so bissig karikierte, war bittere Wirklichkeit in jenen ersten Monaten, nachdem Wilhelm II. getürmt war und die neuen Herren — oder waren es noch die alten? — wieder „Ruhe und Ordnung“ herstellten.

Und eben dies war mit der Anlass, dass es dieses neue Kabarett gab — ein politisch-literarisches Kabarett, das erste seiner Art nach dem ersten Welt­krieg.

Kabaretts waren nach der verunglückten Revolution wie Pilze aus der Erde geschossen, aber ihre Pointen kitzelten das Publikum meistens unter­halb der Gürtellinie. Und nun – statt der Zote Zeitkritik! Die Themen lagen ja in der Luft, besser auf der Straße. Dort machten sich jetzt die „Noskes“ breit, später die Kapp-Putschisten. Und die Morde an Liebknecht und Luxemburg waren noch nicht vergessen, auch nicht die neuen Fememorde – irgendwo „in dem düsteren, stehlenden, schießenden und schiebenden Berlin“, wie Joachim Ringelnatz so treffend seine zeit­weilige Wirkungsstätte benannte.

Die Zeit schrie nach Satire! So drückte es Kurt Tucholsky einmal aus. Im Januar 1919 fragte er im „Berliner Tageblatt“: „Warum sind die Witz­blätter der Deutschen, ihre Lustspiele, ihre Komödien und Filme in der Regel so langweilig und so mager?“ Und er forderte: Die Satire müsse wieder „beißen, lachen, pfeifen und die große, bunte Landsknechts­trommel trommeln lernen, gegen alles, was stockt Und träge ist“ Dieser Ruf blieb nicht ungehört. Hatte auch er zur Gründung von „Schall und Rauch“ beigetragen? Die Initiative kam von Max Reinhardt. Er gab das Geld, stellte die Räume, Ausstatter und Schauspieler zur Verfügung. Sein Verdienst ist es, dass die richtigen Leute kamen.

Kurt Tucholsky zu seinem 50. Geburtstag

Reinhardt hatte den ehemaligen Zirkus Schumann erworben und „ein Theater der Massen für die Massen“ daraus machen wollen; das Große Schauspielhaus. Am 29. November 1919 wurde es mit der „Orestie“ von Aischylos/Vollmoeller eröffnet. In den Kellerräumen des Hauses, den ehe­maligen Zirkusstallungen, hatte sich „Schall und Rauch“ niedergelassen – gleichsam „als der I-Tupf auf dem Wort: Großes Schauspielhaus“, wie es im „Prolog“ von Heft 1 der Programmhefte heißt. Reinhardts Chef­ausstatter Ernst Stern hatte den recht nüchternen „Riesenschuppen“ mit roter Farbe, orientalischen Dekors und Einbauten künstlerisch und akustisch aufgewertet, und am 8. Dezember 1919 öffnete „Schall und Rauch“ unter der Direktion des Dramaturgen Rudolf Kurtz seine Pforten zur Premiere. In diese Zeit fällt auch die Geburtsstunde der Programm­hefte. Das Premierenpublikum konnte mit der Eintrittskarte zusammen bereits das erste Heft erwerben.

Friedrich Hollaender Quelle: Gemeinfrei

„Ein politisch-literarisches Cabaret“, witzelte Hollaender in seinen Memoiren, „… schön, gut, fein . . . Politisch versteh ich, literarisch ver­steh ich, Cabaret, das ist doch, was diese Yvette Guilbert im vorigen Jahr­hundert . . .? Alle drei Sachen auf einmal? Klingt wie: Hering ist gut, Schlagsahne ist gut – wie gut muss das erst zusammen schmecken.“ Nun, dem Hauskomponisten von „Schall und Rauch“ ist’s ja dann gut be­kommen. Die Köche dieses Kabaretts wussten das Menü so schmackhaft zuzubereiten und geschickt zu servieren, dass es dem Gast nicht im Halse steckenblieb. Es sei denn, das war beabsichtigt. Und Abwechslung war Trumpf. „Schall und Rauch“ war kein Wortkabarett, wie wir es heute fast ausschließlich vorfinden. Es lebte von der Vielfalt. Spielszenen, Chansons, Couplets, Film, Puppenspiel und Tanz – alles wurde geboten. Glanzstück der Premiere war das satirische Puppenspiel „Einfach klassisch!“, Text von Walter Mehring, Musik von Friedrich Hollaender. Von dieser Attraktion sprach Berlin noch lange nach der Eröffnungsvorstellung. Eine „Orestie mit glücklichem Ausgang“ nannte man das Stück, aber die Helden der griechischen Tragödie stolzierten vollgefressen mit Stock und Frack daher. Sie waren zum Lachen, gewiss, aber dass diese skurrilen Figuren – Visionen aus meiner Kindheit – auch zum Hass gegen jene anregten, die sie verkörperten – Schieber und Militaristen, die Totengräber der Revolution -, das ist jenen Männern zu danken, die sie schufen: George Grosz, der sie entwarf, und John Heartfield, der sie modellieren half.

Und dann der Zeichner Walter Trier mit seinem Karikaturenfilm! Der Name lässt aufhorchen. Man denkt an Kästners hübsche Kinderbücher, die er illustrierte. Der Film – so etwas gab es bisher im Kabarett noch nicht – nahm den „Arbeiterpräsidenten“ Ebert auf die Schippe. Ob die Zeichnung „Der Spatzenschreck“ im Heft, die offenbar Noske karikiert, auch mit dem Film zu tun hat, ist nicht bekannt. Gewiss aber ist damit die zeitkritische Treffsicherheit des Künstlers belegt. Klabund mit Grotesken, Gustav von Wangenheim, später mit dem Arbeitertheater eng verbunden, mit Pierrot-Liedern, Hans Heinrich von Twardowski mit Parodien – sie alle standen auf der Bühne, voller Erwartung, wie das Publikum ihre Werke aufnehmen würde. Von Paule Graetz, der mit Tucholskys Chanson „Der alte Motor“ ebenfalls einen Makel dieser Zeit – Schieber- und Spekulantentum — mit bösem Spott bedachte, wurde schon gesprochen – aber was wäre das „Schall und Rauch“ ohne seine Diseusen gewesen?

Gussy Holl Quelle: Wikipedia

Gussy Holl, die „silberblonde elegante Hexe“, wie sie ein Kritiker nannte, war eng befreundet mit Tucholsky. Der sagte von ihr: „Sie kann alles, hassen und lieben, streicheln und schlagen, singen und sprechen – da ist kein Ton, der nicht auf ihrer Leier wäre … sie singt irgendeine kleine Dummheit, und die Leute bekommen weiche Augen —, sie lacht, und eine unbändige Heiterkeit breitet sich aus.“ Mit Pfiff und Schmiss sang sie „Zieh dich aus, Petronella, zieh dich aus!“

Theobald Tigers Persiflage auf die Nackttanzwelle. Gussy Holl, die vor allem Texte von Tucholsky, Mehring und Klabund interpretierte, brachte ganz neue Töne auf die Kabarett­bühne. Auch Blandine Ebinger, „ein schmächtiges Figürchen“, deren „oft umwerfend drollige Komik von einem leicht melancholischen Hauch umweht“ wurde, trug ihre Chansons in einem neuen Kabarettstil vor. Das fand auch Alfred Kerr, der „das Linienspiel“, „Kabarettinstinkt“ und „ein körperliches Ausdrucksgenie“ als das Wesentliche ihrer Vortragskunst bezeichnete. Die Ebinger verhalf hauptsächlich den geschliffenen, temperamentvollen Liedern ihres späteren Mannes Friedrich Hollaender zum Erfolg – so seinem Dirnen-Chanson „Tritt mir bloß nich auf die Schuh“ – zum Teil im Programmheft abgedruckt.

Blandine Ebinger

Für die Ebinger und für Hollaender, den lebhaften, einfallsreichen Hauskomponisten und „Mann am Klavier“, begann der Weg zum Erfolg auf der kleinen Bühne am Schiffbauerdamm. Ebenso für Annemarie Hase, auch für Trude Hesterberg, die dann bald ein eigenes Kabarett grün­dete. Die Komponisten und Pianisten Mischa Spoliansky und Werner Richard Heymann – später bekannte Revueschöpfer – debütierten eben­falls im „Schall und Rauch“. Und Valeska Gert, die Schöpferin des kabaret­tistischen Ausdruckstanzes. Sie war sehr eigenwillig und rebellierte gegen den konventionellen „bürgerlich-gemüthaften Stil“. „Ich brannte vor Lust, diese Süßigkeiten zu zerstören“, schrieb sie in ihren Erinnerungen, später, als sie vor den Nazis in die USA emigriert war und in New York das Kabarett „Die Bettler-Bar“ betrieb. Zeitungen der zwanziger Jahre schrieben, sie sei „prickelnd wie Champagner, steige zu Kopf wie schwerer Wein, sei frisch wie der Wald, klar wie Glas und giftig wie ein Fliegenpilz“.

Mischa Spolianski ca. 1914 Quelle: Wikipedia

So etwa lief allabendlich das Programm über die Bühne: abwechslungs­reich, voller Schwung und Originalität. Sicherlich wird die gute Absicht, Politisches und Literarisches vereint mit künstlerischem Anspruch an den Mann zu bringen, manchmal am Unverständnis des bürgerlichen — aber zahlenden — Publikums gescheitert sein, doch Kursänderungen fanden nicht statt. Wohl aber häufige Schläge der reaktionären Presse. Wie auch immer: „Schall und Rauch“ war im Gespräch in Berlin, denn dort war „was los“. Und „fast immer“, schrieb eine Zeitung, „wenn in „Schall und Rauch“ die Stimmung zum Sieden gebracht wurde, knallte es auch draußen — nur war’s dort gefährlicher“. In der Tat: Einige Male wurden auf der Weidendammer Brücke Besucher, die ins „Schall und Rauch“ wollten, von Gewehrschüssen der Konterrevolutionäre erschreckt.

„Schall und Rauch“ hatte zwei Väter: das erste Berliner Kabarett gleichen Namens – Max Reinhardts Sprungbrett zum Weltruhm als Schau­spieler und Regisseur – und das Züricher „Cabaret Voltaire“ — Schmiede der Avantgarde, des Dadaismus. Beider Einflüsse auf Inhalt und Form des neuen Unternehmens — auch seiner Programmhefte — sind unverkennbar.

Im Jahre 1900 gründeten Reinhardt und seine Freunde – Schauspieler, Literaten, Maler – einen Verein, um zum Spaß kleine Parodien auf­zuführen. Sie nannten ihn „Die Brille“, eine Anspielung auf die Kurzsichtigkeit der Spießer. Die Mitglieder – die Sehenden – versuchten sie zu heilen. Die erste Aufführung hatte Bombenerfolg, und man beschloss Wiederholungen vor zahlendem Publikum.

Schall und Rauch Ausgabe März 1920 Heft 4

So kam es am 23. Januar 1901 – wenige Tage nachdem der „Überbrettl“-Vater Ernst von Wolzogen in der Alexanderstraße sein „Buntes Theater“ eröffnet hatte — zur ersten öffentlichen Veranstaltung im Künstlerhaus in der Bellevuestraße. Sie fand so großes Echo, dass nun in unregelmäßigen Abständen weitere Vorstellungen folgten. Die dienten unter anderem auch dazu, dem lungenkranken Dichter Christian Morgen­stern aus finanziellen Nöten zu helfen. Da der Name „Die Brille“ der Mannschaft wohl nicht zugkräftig genug erschien, suchte sie nach einem neuen und fand ihn — bei Goethe. „Wo Rauch ist“, schrieb der Dichter, „ist auch Pfeuer, und wo Schall, auch eine Stimme.“ So wurde „Schall und Rauch“ geboren. Die führenden Köpfe waren Max Reinhardt, Friedrich Kayßler und Martin Zickel. Sie schmiedeten die Texte, agierten und conferierten auf der Bühne, die nun bereits von einem festen Schauspieler-Ensemble belebt wurde. Satirische Szenen und Persiflagen bildeten das Repertoire. Da wurden vor allem Erscheinungen des Theater- und Kunstbetriebes durch den Kakao gezogen; geltungssüchtige Regisseure ebenso wie ein unverständiges Publikum, die „Überbrettelei“ jener Tage und die Herrschaftsansprüche diverser Kunstrichtungen vom Naturalismus bis zum Symbolismus. So machte man sich zum Beispiel mit der berühmt ge­wordenen „Don Carlos“-Version über die unterschiedlichen Stilarten und mit den beiden Standardfiguren Serenissimus und Kindermann über die Borniertheit der kleinen Potentaten lustig. Diese Szenen riefen schallendes Gelächter hervor und hervorragende Kritiken vor allem der linken Presse. Thomas Mann hielt 1944 in seiner Gedenkrede auf Max Reinhardt Rück­schau: „… am Anfang der Wiedergeburt des Theaters aus dem Geiste des Theaters stand die Parodie. Wir jungen Leute . . . lachten Tränen.“ Mit den beiden vertrottelten Typen näherte sich diese Bühne schon der politischen Satire, wie sie ja im zweiten „Schall und Rauch“ hauptsächlich gepflegt wurde. Reinhardts erstes „Schall und Rauch“ – inzwischen hatte es sich im Hotel „Arnim“ Unter den Linden etabliert — lebte etwa eineinhalb Jahre, fast ebenso lange wie das zweite. Woran starb es? Einmal am Publi­kum. Das verstand oft nicht die parodistischen oder satirischen Anspielungen auf Theatergeschehnisse und Künstlerfehden, denn es glich nicht mehr dem Kreis der intellektuellen Stammbesucher in den ersten Monaten. Reinhardt, nun Chef dieses Unternehmens, versuchte es mit neuen Mitteln: Die Parodie wurde vom Einakter verdrängt, das Kabarett wich dem Kammerspiel – auf einer neuen Bühne, die Reinhardt erworben hatte: dem Kleinen Theater Unter den Linden. Der zweite Grund: Die große Liebe des erfahrenen Theatermannes gehörte von jeher dem ernsthaften Bühnenstück, und so war dieser Schritt, der in den Folgejahren zu weltbekannten Inszenierungen wie Gorkis „Nachtasyl“ führte, durchaus folgerichtig. Für Reinhardt bedeutete er den Aufstieg, für das erste „Schall und Rauch“ aber den Niedergang.

Die Auferstehung fand rund neunzehn Jahre später statt. Und wieder sollte, nach Reinhardts Willen, die Parodie das Rückgrat des Abend­programms bilden. Zum Beispiel mit dem bereits erwähnten Puppenspiel „Einfach klassisch!“. Und wer 1901 über Durchlaucht Serenissimus und dessen Adjutanten Kindermann gelacht hatte — im Programm des zweiten „Schall und Rauch“ begegnete er ihnen wieder — in einer Neubelebung. Als ein Vorfahr der Programmhefte „Schall und Rauch“ kann man Reinhardts gleichnamige Textbuchveröffentlichung ansehen, die 1901 erschien, aber über eine reine Wiedergabe der Spielszenentexte nicht hinausging.

Starke Impulse erhielt „Schall und Rauch“ auch vom Züricher „Cabaret Voltaire“ und der damit verbundenen Dada-Bewegung. Während des ersten Weltkrieges, am 2. Februar 1916, öffnete dieses Unternehmen seine Pforten und wurde, wie die Presse zu melden wusste, „eine Züricher Sensation“.

Walter Mehring schrieb über die „Geburt des Dada“: „Doch damals, als die Geistesnot gerade am höchsten war und als die Muttersprachen der Vaterländer den Gipfel der Plattitüden und die Tiefe der Banalität erreicht hatten, verkündete in der neutralen Spiegelgasse in Zürich der dämonengläubige Hugo Ball mit einer Schar weniger Unabhängiger über den Krieg und die Vaterländer hinweg die Fröhliche Botschaft Dada. . . allen Schützengräben, allen Stacheldraht- und Zensurverhauen zum Trotz…“

Aristide Bruant, fotografiert von Nadar (1898) Quelle: Von Nadar (* 6. April 1820; † 21. März 1910) – Universität Frankfurt, Bild-PD-alt, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=3804481

Wie die Züricher Dadaisten ihre epochalen Botschaften auf der Bühne und im Saal ans Publikum brachten, lassen uns einige Stimmungs­bilder nacherleben. So schildert der Dadaist und spätere Filmautor Hans Richter: „… Soireen wurden gegeben, moderne und alte Musik wurde ge­spielt, alles durcheinander: Cendras, van Hoddis, Hardekopf und Aristide Bruant, ein Balalaika-Orchester und Werfel, Delaunay wurde gezeigt und Erich Mühsam vorgetragen.“ Dazu „Verse ohne Worte“ – sogenannte Lautgedichte – und das alles gemischt mit Höllenlärm, mit Klingeln, Hupen und Liebesseufzern. Ein Spektakel, dessen Sinn der Unsinn (nicht die Dummheit!) sein sollte, mit Requisiten von Kuhglocken bis zu abstrakten Negermasken. – Periodische Schriften in der Art der „Schall und Rauch“-Programmhefte gaben die Züricher nicht heraus, wohl aber den Sammelband „Cabaret Voltaire“ (Herausgeber Hugo Ball) mit „künst­lerischen und literarischen Beiträgen“ von Tristan Tzara, Richard Huelsenbeck und anderen. Dieser Mediziner-Dichter und der Schriftsteller und Maler Raoul Hausmann verbreiteten den Dadaismus auch in Berlin.

Mitarbeiter des kurzlebigen Journals Chemarea Quelle: Wikipedia

Noch vor Kriegsende – im April 1918 – wurde hier der Club Dada ge­gründet, der bis etwa 1920 mit mehreren teils recht spektakulären Ver­anstaltungen, Ausstellungen, mit Büchern und Zeitschriften von sich reden machte. Zu den Wortführern zählten außer Huelsenbeck und Hausmann auch Wieland Herzfelde, der bereits in seinem Malik-Verlag und in seiner Antikriegszeitschrift „Neue Jugend“ dadaistischen Ten­denzen das Tor geöffnet hatte, zählten sein Bruder, der Grafiker und Foto­monteur John Heartfield, der Zeichner George Grosz und der noch völlig unbekannte Walter Mehring. Sie alle waren mit dem Kabarett „Schall und Rauch“ verbunden und Autoren der Programmhefte. Seinen richtigen Höhenflug erreichte der Berliner Dadaismus mit der „Ersten inter­nationalen Dada-Messe“, die im Juni 1920 in der Bildergalerie des „Finanz-Dadas“ Dr. Otto Burchard am Lützowufer eröffnet wurde. Diese Monster-Schau avantgardistischer Kunst überraschte Freunde und Gegner Dadas mit dem Riesenangebot von 174 Exponaten. An deren Erschaffung waren außer den schon genannten auch die begabte und ideenreiche Malerin Hannah Hoch beteiligt, die ihre „Dadaistischen Puppen“ – auch im Programmheft abgebildet – ausstellte. Diese Messe und der mit großem rebellischem Eifer hergestellte Messe-Katalog spiegeln sich auch in einigen Programmheften wider. Die wären wohl ohne dieses aufregende Kunst­spektakel kaum denkbar gewesen. Die öffentliche Meinung reichte von „Hosianna!“ bis „Steinigt sie!“, und selbst der allem Neuen sehr auf­geschlossene Tucholsky schrieb nicht gerade begeistert im „Berliner Tageblatt“: „Kleinere Literaten bemühen sich ein wenig krampfhaft, den Bürger zu schrecken und in anderer Leute Heiligtümer zu spucken . . . Die Ausstellung sieht aus wie ein ganz putziger Kramladen…“

Der Berliner Dadaismus war eine ganz spontane, progressive Reaktion auf die Niederschlagung der Novemberrevolution, auf den Geist von gestern in der Weimarer Republik. Deshalb waren seine Wortführer aggressiver als ihre Freunde, die „Publikumsbeschimpfer“ aus dem ehe­maligen „Cabaret Voltaire“. Auch die Dadaisten an der Spree wollten den Bürger schrecken – oft mit den Mitteln des Klamauks und Klimbims – , aber sie schössen schärfer, zielten besser und drückten sich verständlicher aus. Sie wollten nicht nur Überlebtes zerstören, sondern Bestehendes ver­ändern helfen. Darum bejahten sie die junge Sowjetrepublik, den Kommunismus und versuchten das Verhältnis des Künstlers zum Proletariat neu zu formulieren. Kunst als Waffe im Klassenkampf! – diese Idee, die später u. a. Friedrich Wolfs Programm für eine sozialistische Dramatik erfüllte, hatte eine ihrer Wurzeln auch in der Dada-Bewegung.

Schall und Rauch Ausgabe 6 – Mai 1920

Herzfelde urteilte 1925 in seiner Schrift „Die Kunst ist in Gefahr“: „Der Dadaismus war keine „gemachte“ Bewegung, sondern ein organisches Produkt, entstanden als Reaktion auf die Wolkenwanderer-Tendenzen der sogenannten heiligen Kunst, deren Anhänger über Kuben und Gotik nach­sannen, während die Feldherren mit Blut malten . . . Der Dadaismus war der mit Grölen und höhnischem Gelächter vollzogene Durchbruch aus einem engen, überheblichen und überschätzten Milieu, das, zwischen den Klassen in der Luft stehend, keinerlei Mitverantwortlichkeit dem Leben, der Allgemeinheit gegenüber kannte. ..“

Herzfelde und die anderen kommunistischen Künstler lösten sich zwar schon Anfang der zwanziger Jahre vom Dadaismus, aber unbestritten ist, dass die proletarische Kunst recht nahrhafte Säfte aus ihm gesogen hat. Heartfields Kunst der Fotomontage, der Collage wäre ohne dessen dadaistisches „Vorspiel“ wohl kaum möglich gewesen. Adolf Behne schrieb: „Die Photomontage wurde von den Dadaisten . . . frech und höhnisch benutzt, um der Gesellschaft den Spiegel vor die Nase zu halten.“ Und Egon Erwin Kisch bemerkte: „John Heartfield übernahm vom Dadaismus seine Arbeitsmethode und fügte diese Methode, die dem Klassenkampf diente, in sein Schaffen ein…“

Die Dada-Welle schwappte auch in den Keller des Kabaretts „Schall und Rauch“ und in die Programmheft-Redaktionsstube. Das war sicherlich nicht ganz im Sinne des Hausherrn Max Reinhardt. Zwar sollte man auch in seinem „unseriösen“ Souterrain-Betrieb der Zeit kritisch zu Leibe gehen – Spaß mit politischen Anzüglichkeiten, gut. Ein Schuss Antibürgerlichkeit als erfrischenden Gegensatz zur bürgerlichen Kunst in den oberen Räumen des Hauses – und alles heiter, locker, mit Ulk und Augenzwinkern – sehr gut! Aber die karnevaleske Ausgelassenheit und zuweilen Bilderstürmerei der Dadaisten lag seiner Kunstauffassung doch sehr fern. Nah lag ihm die Parodie – ähnlich wie sie 1901 über seine Bühne ging. Darum die heitere Orestie „Einfach klassisch!“ als Auftakt und Paradestück, zur Neu­belebung einer einstigen Pioniertat. …

Franz Werfel Quelle; Wikipedia

Weit empfänglicher für einen Hauch von Dada waren dagegen Reinhardts langjährige Mitarbeiter, die Dramaturgen Rudolf Kurtz (der erste „Schall und Rauch“ – Direktor) und Heinz Herald (Stellvertreter und Chef der Programmhefte). Unter ihrem Einfluss fanden Kabarett und Kabarettzeitschrift ihr Profil. Beide Männer waren „Avantgardisten“ in Reinhardts Bühnenbetrieb: Kurtz, ehemals Kabarettist, Lustspielautor und Lyriker, hatte mit Essays auf den italienischen Futuristen Marinetti auf­merksam gemacht, und Herald setzte sich als Sekretär des von Reinhardt gegründeten Theatervereins „Das junge Deutschland“ lebhaft für eine un­konventionelle, größtenteils expressionistische Bühnenkunst ein (Unruh, Werfel, Arnold Zweig u. a.), deren Werke er meist selbst inszenierte. Ihrer Allianz mit Reinhardts ebenfalls neuen Ideen zugänglichen Bühnbildnern und -ausstattern Ernst Stern und Paul Erkens und mit den Dadaisten Herzfelde, Heartfield, Grosz, Mehring ist wohl dieses ganz besondere Fluidum zu danken, in dem sich bissige Zeitsatire mit scheinbar belang­losem (dadaistischem) Ulk verband. Kabarett und Programmhefte wurden gleichermaßen Agitationsforum und Experimentierfeld auch für die Berliner Dadaisten. Für Mehring zum Beispiel, der, in Anlehnung an die Lautgedichte aus dem „Cabaret Voltaire“, seine dadaistischen Ragtime-Ge­dichte – Mixturen aus mehreren Sprachen – vortrug, für Hannah Hoch, deren Puppen ebenfalls Nachkommen der Züricher Marionetten und Masken zu sein schienen. Sprachen-Ragtime und Songs gegen Noske und Konsorten, das waren nur zwei Seiten derselben Medaille. Sie hat ihren Wert für uns behalten. Ihr Glanz spiegelt sich auch in den Heften wider.

Wie kam es zu diesen Heften, diesem originellen Zwitter aus Programm und Zeitschrift, wie ihn wohl kein anderes Theaterunternehmen in die Welt setzte? Man betrachte Zeit und Umfeld: Walter Mehring nannte ein­mal das Jahrfünft nach dem ersten Weltkrieg „Deutschlands papierenes Zeitalter“. Wer eine Idee hatte, eine Weltanschauung und etwas Geld, der gründete eine Zeitschrift. Und die politischen und ökonomischen Span­nungen – die Inflation fraß sich durchs Land – bildeten ja einen frucht­baren Nährboden für einen jungen Blätterwald. „Jetzt darf jeder reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, charakterisierte George Grosz die „lärmenden“ Monate nach dem Krieg, und es fehlte nicht an Engagierten, die zu diesen Spachrohren griffen, um zum Kampf gegen soziales Unrecht aufzurufen. So Hausmann und der linksrevolutionäre Schriftsteller Franz Jung in ihrer „Freien Straße“, in „dada 3“, so Herzfelde, Heartfield, Grosz, die die kämpferische Tradition der „Neuen Jugend“ mit Zeitschriften wie „Die Pleite“, „Der Gegner“, „Der blutige Ernst“ und mit „Jedermann sein eigener Fußball“ fortführen wollten. Letzteres als Halbmonatsschrift ge­plante Bilderblatt erschien im Februar 1919, von Herzfelde geleitet, von Heartfield gestaltet, und wollte mahnen: Lasst euch nicht treten, bewegt euch selbst! Aber wie den anderen Blättern war auch dieser aggressiven Zeitschrift kein langes Leben beschieden. Es erschien nur die Nummer 1, dann fiel sie der Zensur zum Opfer. Eine Anklage Herzfeldes und seiner Freunde wegen „Verächtlichmachung der Reichswehr und Verbreitung unsittlicher Schriften“ folgte. Sie führte jedoch dank dem Gutachten des Mediziner-Dichters Gottfried Benn zum Freispruch.

In dieser publizistisch fruchtbaren Landschaft konnte auch ein relativ unscheinbares Pflänzchen wie die Programm-Zeitschrift „Schall und Rauch“ gedeihen. Die richtigen Männer waren gefunden: Grosz/Heartfield, die zur Gestaltung die nötige Erfahrung und das weltanschauliche Rüstzeug zum Umgang mit politisch-satirischen Blättern besaßen, und Chefredakteur Heinz Herald. Auch er hatte „Presseerfahrung“ – dank der langjährigen redaktionellen Betreuung der „Blätter des Deutschen Theaters“, einer „Hauspublikation mit allerlei dem Repertoire angepassten literarischen und historischen, gut bebilderten Beiträgen, die reinhardt­feindliche Zeitschriften als besondere Herausforderung empfanden: als Eingriff in ihr Ressort“, wie sie Gottfried Reinhardt, der Sohn des großen Theatermannes, einmal beschrieb. Heraids Initiative ist es wohl letztlich zu danken, dass eine solche publizistische Rarität wie die Zeitschrift „Schall und Rauch“ zustande kam.

Emile Goudeau Quelle: Wikipedia

Eine Rarität gewiss. Zwar hatte sie Vorläufer während der Anfangsjahre des Kabaretts in Frankreich – in der von Rudolphe Salis herausgegebenen und dem Schriftsteller Emile Goudeau redigierten Wochenschrift „Le Chat Noir“, die für Salis‘ gleichnamiges Montmartre-Cabaret warb, und in der Kabarettzeitschrift „Le Mirliton“, mit der Aristide Bruant auf sein verwegenes „Verbrecherlokal“ gleichen Namens aufmerksam machen wollte -, aber in Deutschland hatte es so etwas bisher noch nie gegeben. Erst Mitte der zwanziger Jahre gab das „Kabarett der Komiker“ eine Programmzeitschrift, „Die Frechheit“, heraus, die wohl mit der Publika­tion „Schall und Rauch“ vergleichbar ist, aber deren Witz und Geist niemals erreichte.

Wie die redaktionelle Arbeit ablief, lässt sich nur vermuten. Die Redaktionsstube befand sich wohl in den Büroräumen des Kellers. Dort stellte Herald die Beiträge zusammen und ließ sie vom Künstlerischen Bei­rat bestätigen. Die drucktechnische Anordnung, wie es im Impressum heißt (wir würden heute typografische Gestaltung sagen), besorgten Grosz/Heartfield, und für die Herstellung und Verbindung zur Druckerei war offenbar Paul Erkens verantwortlich, der als Technischer Leiter des Kabaretts fungierte und mit eigenen Zeichnungen und Titelgestaltungen in den Heften hervortrat.

Auch mein Vater war nicht ganz unbeteiligt. Nicht nur Bilanzen, Lust­barkeitssteuerbelege und Weinrechnungen gingen durch seine Hände, son­dern auch Autorenpost und Manuskripte. Er wird in dieser Zwerg­redaktion als eine Art Redaktionssekretär tätig gewesen sein. Die Ver­mutung liegt nahe, da einige Originale – aus welchem Grund auch immer – in seinem Nachlass „hängengeblieben“ sind. Vielleicht war zum Abdruck kein Platz mehr im Heft. Manuskripte von Mehring und Klabund sind darunter; von diesem ein Brief, flüchtig hingehauen auf seiner kuriosen Schreibmaschine mit Frakturschrift: „Lieber Herr Herald, anbei noch Manuskripte, die fremdsprachigen kämen vielleicht für die DADA-Nummer in Betracht. Wie wär’s einmal mit einer Sondernummer Klabund: wo alles, auch die Zeichnungen und der Umschlag, von mir?“

Dann folgten Namen und Adressen von Schriftstellern, die Klabund dem Chefredakteur offenbar als Mitarbeiter vorschlagen wollte. Darunter Ivan Göll, Gottfried Benn, Mynona, Hardekopf und Max Herrmann-Neiße. Von letzterem erschienen einige Gedichte in den Heften; eine Klabund-Sondernummer hat es nie gegeben. Aber die beigefügten Texte in der Manier von Marinetti und Tzara verraten, dass Klabund, vom Dadais­mus längst abgerückt und bereits ein „gedruckter“ Autor seriöser Verse, durchaus noch Dada-Späßen zugänglich war. Davon zeugt auch das Ge­dicht „Reinhardt et circenses“, in dem er „den großen Zauberer“ und dessen “Schauspielhaus“-Publikum gehörig auf die Schippe nimmt und das er spaßigerweise statt mit „Klabund“ mit „Klamauk“ unterschrieb.

Tristan Tzara (1896-1963) Quelle: http://members.peak.org/~dadaist/Deutsch/NurText/tzara.html

Die Leser dieser Zeitschrift sollten sich nicht nur über Abendprogramme orientieren, sondern ein bisschen mehr erfahren – über die Künstler und Dichter und deren Werk, selbst wenn es nicht im Rampenlicht zu sehen oder zu hören war. „Visitenkarten“ also; man las sie und konnte sich einen Reim darauf machen, was einen abends erwarten würde. Programm ja, aber Zeit­schrift auch. Und die sollte durchaus ihr literarisches und bildkünstlerisches Eigenleben führen. Man wollte werben und orientieren, aber auch nicht mit der Tür ins Haus fallen, den amüsierbereiten Besucher nicht verschrecken -bevor er seinen Platz belegt und seinen Wein bezahlt hatte. Darum sanftere Töne in den Heften als auf der Bühne; deshalb nicht immer die aggressivsten Texte, sondern auch solche von politisch – und auch künstlerisch – un­verbindlichem Zuschnitt: Ulk und Jux – auch ohne „tiefere Bedeutung“.

Und gewiss waren nicht allein ökonomische Bedenken im Spiel, sondern auch Furcht vor dem Rotstift des Zensors. Wie begründet sie war, lässt uns Ignaz Wrobel in seinem programmatischen Artikel „Politik im Cabaret“ wissen. Er weist darauf hin, wie „böse“ die Politiker altpreußischer Prägung wurden, wenn die „heilig ernste Sache ihrer Politik ins Cabaret heruntergezogen“ wurde, und dass man „lieber zehn Ferkeleien durch­gehen ließ als einen politischen Witz“. Und wenn der über die Bretter ging, war’s „schon schlimm“, aber wenn er gar gedruckt stand, noch „schlimmer“.

Wo lag es näher als bei „Schall und Rauch“, dass ein besonders bissiges Wort, ein allzu spitzer Zeichenstrich die Heiligtümer der bürgerlichen Gesellschaft beschädigte? Denn in keinem anderen Kabarett zu Beginn der zwanziger Jahre sah man so viele namhafte links orientierte und politisch engagierte Künstler und Schriftsteller beisammen wie in dieser kleinen Spielstätte am Schiffbauerdamm.

Die wichtigsten von ihnen kamen auch in den Heften zu Wort: So John Heartfield und George Grosz, „der Maler mit dem „bösen Blick“, der mit seziermesserscharfen Strichen das Gesicht der herrschenden Klasse kunst­gerecht abbalgte. . .“ (Mehring). Seine schockierenden Strich-Attacken, die unverkennbar auch den Zeichenstil Walter Mehrings und Paul Erkens beeinflussten, und Heartfields desillusionierende Fotomontagen hatten – dargestellt an den einprägsamen Orestie-Puppen, den dadaistischen Bühnendekorationen und den sehr zeitbezogenen Arbeiten in den Programmheften – maßgeblichen Anteil an der typischen „Schall und Rauch“-Atmosphäre. Walter Mehring trug auf seine Weise dazu bei. Der 23 jährige debütierte im „Schall und Rauch“ und wurde – neben Klabund – sein Hausdichter. Er entwickelte ein ganz bestimmtes Kabarettgenre: die Großstadtballade, das satirisch-politische Chanson, dem er expressio­nistische und dadaistische Stilelemente beifügte.“ In „Schall und Rauch“ tönte und dampfte Walt als Conferencier, als Dichter, Anreger und Spöt­ter. Missliebig wie das kaiserliche Exerzierreglement war ihm die verkorkste Republik.“ So schildert ihn Hans Richter.

Hans Richter Quelle: Autogrammkarte

Ein „großstädtisch weltoffener, aller Spiesserei feindlicher Poet“ wie Mehring war auch der pazifistische Dichter Klabund. Auch er hasste die neuen Unterdrücker und war wie jener „ein Villon von der Spree“, ein Nachfahre Bellmans, Günthers, Heines, inspiriert auch von Morgenstern und Wedekind. Seine Bänkellieder, so Tucholsky, „pfeifen, brüllen, schreien und orgeln nach Musik …“ Aber während alle Arbeiten Mehrings zum Kabarett drängten, war Klabund vielseitiger. Seine Grotes­ken zum Beispiel, hintergründig, verfremdet, weisen eher auf den von Alfred Kerr „entdeckten“ Verfasser philosophierender, elegischer und emotional aufwühlender Dichtungen und Nachdichtungen hin.

Und dann Kurt Tucholsky, der Mann mit den fünf Namen, eine der stärksten Säulen von „Schall und Rauch“. Ihn kannten die Leute schon. Viele hatten seine „Weltbühnen“-Artikel gelesen, hatten über „Rheins­berg“ geschmunzelt oder über den „Ulk“ gelacht, dessen Chefredakteur er zu dieser Zeit war. Sein Ruf nach Satire war nicht rhetorisch. Er schoss selbst seine satirischen Pfeile ab, und er fand ein geeignetes Forum im „Schall und Rauch“. George Grosz schrieb in seinen Memoiren über ihn: „Er war einer der wenigen, die den wirklichen Berliner Witz ver­standen . . . ein Erbe Glasbrenners und des vormärzlichen Humors“ Seine Pfeile drangen wohl dem Gegner am tiefsten ins Fleisch, trafen am genauesten die Ereignisse, die sich vor den Türen des Kabaretts „Schall und Rauch“ abspielten. Und wie er das „aus dem Ärmel schüttelt“, wie er sich mühen muss, damit sich „Reim und Gedankengang glücklich vereinen“, er­klärt er anschaulich in seinem Bericht aus der Dichterwerkstatt „Das Couplet“.

Ein Charakteristikum dieser Hefte sei erwähnt: Die meisten Beiträge sind Erstveröffentlichungen. So Klabunds „Harfenjule“, die dann erst in dem 1927 erschienenen gleichnamigen Buch enthalten war; so auch einige der pointierten Parodien Twardowskis – . . . „sehr witzige kleine Literaturessays kritischen Inhalts, vorgetragen im Ton des verulkten Poeten“ (Tucholsky) -, die man ebenfalls zuerst in der Programm-Zeit­schrift las, bevor sie 1920 in seinem Buch „Der rasende Pegasus“ er­schienen. Das trifft auf Zeichnungen von Grosz, auf Fotomontagen von Heartfield ebenso zu wie auf das Dada-Heft vom Mai 1920, das als Vor­ankündigung der Dada-Messe und ihres Katalogs bezeichnet werden darf, und auf Ringelnatz-Verse. Aber von dem singenden Seemann später. Er war der Star der zweiten Ära „Schall und Rauch“.

Baron Hans von Wolzogen Quelle: http://www.walchenseemuseum.de/heimatkunde-im-walchensee-museum/weitere-beruehmte-urfelder/baron-hans-von-wolzogen.html

Die eigenwillige Nummerierung der Hefte lässt erkennen: Genaugenommen existierten zwei zweite Kabaretts „Schall und Rauch“. Nummer 1 bestand vom Dezember 1919 bis Mai 1920 unter der Direktion von Rudolf Kurtz und Heinz Herald (Schriftleiter der Zeitschrift), Nummer 2 vom Septem­ber 1920 bis April 1921 unter der Direktion und Schriftleitung des Kabarettdichters und Conferenciers Hans von Wolzogen, Sohn des „Überbrettl“-Vaters. Zwischendurch herrschte offenbar eine herrschaftslose Zeit. Der Bühnenbetrieb ging zwar weiter, aber die Herausgabe der Programm-Zeitschrift geriet ins Stocken. So kam das Kuriosum zustande, dass für eine Nummer – Heft 7/1920 – ein „fremder“ Chefredakteur ver­antwortlich zeichnete: Peter Panter. Und dass statt einer Nummer 8 – erst im September – ein Heft 1, 1. Jahrgang erschien, mitten im Jahr. Das letzte je erschienene Heft der Zeitschrift „Schall und Rauch“ trägt die Nummer 6 (der zweiten Zählung) und datiert vom Februar 1921. Ein März-Heft kam nicht mehr zustande; offenbar zeichnete sich der Untergang dieser Bühne schon zu deutlich ab.

Weshalb wechselten Kabarett und Kabarettzeitschrift ihre Chefs? Der Grund mag im Wechsel der obersten Leitung zu finden sein. Bereits im Sommer 1920 trug sich Max Reinhardt mit dem Gedanken, seine Berliner Bühnen zu verlassen — denn seine Hoffnungen mit dem Massentheater hatten sich nicht erfüllt. Außerdem hatte er mit ökonomischen Miss­erfolgen zu kämpfen. Am 1. Oktober hielt er vor den Kollegen eine große Abschiedsrede und übergab die Direktion an seinen Chefdramaturgen Felix Hollaender. (Nach zwei Jahren kehrte er zurück.)

Felix Hollaender Quelle: Von unbekannt – Peter Thiel: Literarisches Jahrbuch. Hoursch & Bechstedt, Köln 1903, S. 53, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=7203197

Die Monate davor aber, da der Hausherr dabei war, seine Koffer zu packen, sind wohl „Schall und Rauch“ nicht gut bekommen. Doch im September trat Wolzogen, der neue Chef, auf den Plan und nahm das Steuer in die Hand. Er hob das Kind, das schon laufen konnte, noch einmal aus der Taufe.

Diese etwas eigenwillige Neugründung eines schon bewährten Unter­nehmens richtete dann auch einige Verwirrung unter den Chronisten an. So bringt zum Beispiel Friedrich Hollaender in seinen Memoiren ver­schiedene Fakten durcheinander, als er die Zusammenkunft der zweiten Gründer-Runde so schildert, als wäre sie die erste. Auch eine Berliner Kabarettpublizistin nennt in ihren Büchern unterschiedliche Gründungs­daten – von denen keines stimmt. Ebenso stimmt nicht, dass Ringelnatz zu­sammen mit den Puppenspielern in einem Programm aufgetreten sei. Als dieser Mann aus München die Bretter von „Schall und Rauch“ eroberte, spielte man „Einfach klassisch!“ von Walter Mehring gar nicht mehr. Streiten mag man darüber, ob Mehring oder Wolzogen Ringelnatz vom „Simplicissimus“ weg nach Berlin geholt hat. Vielleicht sollte man beiden das Verdienst zubilligen, diesen Künstler für die Stadt an der Spree ge­wonnen zu haben!

Zwar hatte der ehemalige Hausdichter der Kathi Kobus schon einige Er­fahrung mit Vortragskunst auf kleiner Bühne, aber in „Schall und Rauch“ erhielt er den letzten Schliff. Ringelnatz verlieh mit seinen herz­erfrischend witzig-skurrilen „Turngedichten“ und dem „Kuttel Daddeldu“ diesem Kabarett noch einmal Glanz und Gloria. Er fand dort seinen eigenen, ringelnatzigen Stil, so dass ihn ein Kritiker treffend als „den Kaktus unter den Kabarettisten“ bezeichnete. Während eines Auftritts besuchten ihn Paul Wegener und Asta Nielsen.

Asta Nielsen fotografiert von Alexander Binder, 1920

Die berühmte Filmkünstlerin schilderte die erste Begegnung mit Ringelnatz, mit dem sie später gut be­freundet war: „Er war kein Rezitator im eigentlichen Sinne des Wortes, aber die Stimmung, die seine Person ausstrahlte, und das verschleierte, ein­tönige Organ, das in sonderbarem, singendem Rhythmus seine genialen Verse aufsagte – begleitet von kaum angedeuteten, aber sehr bezeichnen­den Bewegungen mit den knochigen Händen -, waren von solcher Wirkung, dass sie die Zuhörer … in Ekstase versetzten,“ Begeistert von diesem Künstler war auch der Verleger Alfred Richard Meyer, genannt Munkepunke, der selbst im „Schall und Rauch“ eigene Gedichte vortrug. Er veröffentlichte 1920 die „Turngedichte“ und den „Kuttel Daddeldu“ — einige von ihnen wurden, von Erkens zeitgemäß und treffend illustriert, zur gleichen Zeit in den Ringelnatz-Heften abgedruckt – und ebnete damit dem jungen Dichter den Weg auch zum literarischen Erfolg. – Ringelnatz hatte nicht nur Freunde. Die reaktionäre Presse beschimpfte ihn, und manche Dame verließ empört den Saal, denn seine nicht immer salon­fähigen Verse waren denn doch allzu starker Tobak fürs Publikum. Aber der rezitierende Seemann änderte seinen Kurs nicht und attackierte weiter den Ungeist von gestern und die Spießbürgerei seiner Zeit.

Ein paar Monate gelang es Wolzogen noch, sein Versprechen, das er den Lesern auf seiner richtungweisenden „Ersten Seite“ gegeben hatte, zu er­füllen und das Publikum „in möglichst kulturvoller Form zu unterhalten“, dann segelte „Schall und Rauch“ immer weiter in das seichte Fahrwasser eines belanglosen Amüsierlokals. „Ein Cabaret ohne Angriffsfreudigkeit, ohne Kampfeslust ist lebensunfähig“, schrieb Friedrich Hollaender. „Es ist das gegebene Schlachtfeld, auf dem mit den einzig sauberen Waffen ge­schliffener Worte und geladener Musik jene mörderischen aus Eisen in die Flucht geschlagen werden können.“

Schall und Rauch Ausgabe Nr. 6 Februar 1921

Nur kurze Zeit lebte „Schall und Rauch“, aber dafür sehr wach, sehr kämpferisch und kritisch. Diese Hefte, herübergerettet in unsere Tage, wollen ein wenig davon mitteilen. Und auch vom Berlin der frühen zwanziger Jahre mit all ihren morbiden Begleiterscheinungen: Schiebertum, Laster und Perversität, dem mondänen Nachtleben auf der einen, Armut und Hunger auf der anderen Seite. Einst wollten sie, unverwechsel­bare Mixtur aus Programm und Zeitschrift, humorvoll auf die Abende bei „Schall und Rauch“ einstimmen, zugleich aber kritisch die Wunden der Zeit aufdecken helfen. Heute sind die Hefte eine bibliophile Rarität. Sie spiegeln ein Stück Berliner Kabarettgeschichte und bereichern die deutsche Literatur- und Theaterhistorie um viele originelle Nuancen.

Berlin, März 1983 Kurt Wafner

Reinhardt et circenses

Max mein Max: erst jetzt beginnt der Reigen,
Da der Zirkus ward dein eigen
Den dein Geist zum Spielplatz sich erkor –
Und es steht uns allerlei bevor.

Wo auf kiesbestreutem Zirkusrunde
Man dressierte Esel sah und Hunde,
Wird nun Hamlet nach dem Mörder spüren,
Ödipus die Großmama verführen.

Bleibt der Zirkusbau auch nicht beim Alten:
Die dressierten Esel sind erhalten …
Publikum bestaunt das Prunkidyll,
Und es brüllt: J-a, wenn Reinhardt will …

Klamauk (Mit „Klamauk“ unterzeichnetes Original-Typoskript von Klabund)