Paul von Hindenburg

 

Liebermann Portrait von Paul von Hindenburg

Straßen, Parks und Plätze – Luftschiffe und Kriegsschiffe – Briefmarken – Schützenscheiben – Brücken und öffentliche Einrichtungen – Schulen und Kasernen – wohl kein „Soldat“ wurde je so geehrt und verehrt wie Paul von Hindenburg.

Die Reihe lässt sich beliebig fortsetzen und das kommt noch. Wie aber kommt dieses „Phänomen“ zustande?

Und warum fällt mir beim schreiben dieser „Auszeichnungen“ ausgerechnet Kurt Tucholsky und sein Pseudonym Ignaz Wrobel ein, der 1931 in der Zeitschrift „Die Weltbühne“ einen Artikel publizierte mit dem Titel: „Soldaten sind Mörder“.

Kindheit und Jugend 

Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg wurde am 2. Oktober 1847 in Posen geboren.

Über die Stadt schreibt Wikipedia:

“…Ursprünglich ein polnischer Bischofssitz, wird Posen erstmalig 968 erwähnt. Am 30. Januar 1793 marschierten preußische Truppen in Posen ein. Die Stadt gehörte danach zum Gebiet der neuen Provinz Südpreußen des Königreichs Preußen.

„… Am Ende des Ersten Weltkrieges traten starke ethnische Spannungen in der Stadt auf. Die polnischsprachige Mehrheit sah in der sich abzeichnenden militärischen Niederlage des deutschen Kaiserreiches eine Chance für eine Eingliederung der Stadt in den wiedergegründeten polnischen Staat. Ihr Großpolnischer Aufstand, vom 27. Dezember 1918 bis Februar 1919, der sich von der Stadt Posen aus auf die Provinz ausdehnte, erreichte sein Ziel: Posen und weite Teile der preußischen Provinz Posen wurden im Zuge des Versailler Vertrages dem restaurierten polnischen Staat ohne vorherige Volksabstimmung angegliedert. In den Jahren 1919 bis 1923 verließen 50.000 der etwa 60.000 Deutschen die Stadt. (…)

Das schwer beschädigte Rathaus von Posen nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 Quelle: Wikipedia

Paul von Hindenburg entstammte väterlicherseits einer ostpreußischen Adelsfamilie. „Er wurde als Sohn des preußischen Offiziers und Gutsbesitzers Hans Robert Ludwig von Beneckendorff und von Hindenburg (1816–1902) und seiner bürgerlichen Ehefrau Luise Schwickart (1825–1893) geboren.

Übrigens, erstmalig erwähnt wird der Name Beneckendorff Ende des 12. Jahrhunderts – die Familie lebt in der Altmark, soll aber aus Schwaben stammen und der „Stammvater“ Asmus von Beneckendorff war im 15. Jahrhundert als Raubritter in der Gegend von Naugard berüchtigt, wo er vorzugsweise Kaufleute aus Danzig ausplünderte. In den folgenden Jahrhunderten taten die Mitglieder der Familie sich vor allem als Soldaten in den Armeen wechselnder Herren hervor.

Wikipedia:

„… Als Sohn eines preußischen Offiziers beschritt Hindenburg ebenfalls die militärische Laufbahn. Nach jeweils zweijährigem Besuch der Bürgerschule (Grundschule) und des evangelischen Gymnasiums in Posen besuchte er von 1859 bis 1866 die Kadettenanstalt in Wahlstatt (heute Legnickie Pole, Polen) im damaligen Landkreis Liegnitz und ab Ostern 1863 die Hauptkadettenanstalt in Berlin.“

ehem. Klosterkirche Wahlstatt Quelle: Von PetrusSilesius – photo taken by PetrusSilesius, CC BY-SA 2.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=359128

Die obige Beschreibung seiner Schulzeit in Posen ist wohl falsch, denn Hindenburg gibt als Schulort Glogau an.

Paul von Hindenburg – Aus meinem Leben – schreibt über diese Zeit und daraus Auszüge:

„… An einem Frühlingsabend des Jahres 1859 sagte ich als 11 jähriger Knabe am Gittertor des Kadettenhauses zu Wahlstatt in Schlesien meinem Vater Lebewohl. Der Abschied galt nicht nur dem geliebten Vater sondern gleichzeitig meinem ganzen bisherigen Leben. Aus diesem Gefühl heraus stahlen sich Tränen aus meinen Augen. Ich sah sie auf meinen „Waffenrock“ fallen. „In diesem Kleid darf man nicht schwach sein und weinen“ fuhr es mir durch den Kopf; ich riss mich empor aus meinem kindlichen Schmerz und mischte mich nicht ohne Bangen unter meine nunmehrigen Kameraden.

Soldat zu werden war für mich kein Entschluss, es war eine Selbstverständlichkeit. Solange ich mir im jugendlichen Spiel oder Denken einen Beruf wählte, war es stets der militärische gewesen. Der Waffendienst für König und Vaterland war in unserer Familie eine alte Überlieferung.

Unser Geschlecht, die „Beneckendorffs“, entstammt der Altmark, wo es urkundlich im Jahre 1280 zum ersten mal auftritt. Von hier fand es, dem Zuge der Zeit folgend, über die Neumark seinen Weg nach Preußen herauf. Dort waren schon manche Träger meines Namens in den Reihen der Deutschritter als Ordensbrüder oder „Kriegsgäste“ gegen die Heiden und Polen zu Felde gezogen. Später gestalteten sich unsere Beziehungen mit dem Osten durch Gewinn von Grundbesitz noch inniger, während diejenigen mit der Mark immer lockerer wurden und Anfang des neunzehnten Jahrhunderts ganz aufhörten.

Beneckendorff-Wappen Quelle: Wikipedia

Der Name „Hindenburg“ trat erst 1789 zu dem unsrigen. Wir waren mit diesem Geschlecht in der neumärkischen Zeit durch Heiraten in Verbindung getreten. Auch die Großmutter meines im Regiment „von Tettenborn“ dienenden und in Ostpreußen bei Heiligenbeil ansässigen Urgroßvaters war eine Hindenburg. Deren unverheirateter Bruder, welcher zuletzt als Oberst unter Friedrich dem Großen gekämpft hatte, vermachte seine beiden, in dem schon mit der ostpreußischen Erbschaft zu Brandenburg gekommenen, später aber Westpreußen zugeteilten Kreise Rosenberg gelegenen Güter Neudeck und Limbsee seinem Großneffen unter der Bedingung der Vereinigung beider Namen. Diese wurde von König Friedrich Wilhelm II. genehmigt, und seitdem wird bei Abkürzung des Doppelnamens die Benennung „Hindenburg“ angewendet.

Gut Neudeck um 1860, Sammlung Alexander Duncker Quelle: https://www.wikiwand.com/de/Ogrodzieniec_(Kisielice)

Die Güter bei Heiligenbeil wurden infolge dieser Erbschaft verkauft. Auch Limbsee musste, der Not gehorchend, nach den Befreiungskriegen veräußert werden. Aber Neudeck ist heute noch im Besitz unserer Familie; es gehört der Witwe meines nächstältesten Bruders, der nicht ganz zwei Jahr jünger als ich war, so dass unsere Lebenswege in treuer Liebe nahe nebeneinander herliefen. Auch er wurde Kadett und durfte seinem Könige lange Jahre als Offizier in Krieg und Frieden dienen.

In Neudeck lebten zu meiner Kinderzeit meine Großeltern. Jetzt ruhen sie, wie auch meine Eltern und viele Andere meines Namens, auf dem dortigen Friedhof. Fast alljährlich kehrten wir bei den Großeltern, anfänglich noch unter beschwerlichen Postreisen, als Sommerbesuch ein. (…)

Nach dem Tode meiner Großeltern zogen meine Eltern 1863 nach Neudeck. Wir fanden also von da ab dort, in den uns so vertrauten Räumen, das Elternhaus. Wo ich einst in jungen Jahren so gern geweilt hatte, da habe ich mich später oft mit Frau und Kindern von des Lebens Arbeit ausgeruht.

So ist denn Neudeck für mich die Heimat, der feste Mittelpunkt auch meiner engeren Familie geworden, dem unser ganzes Herz gehört. Wohin mich auch innerhalb des deutschen Vaterlandes mein Beruf führte, ich fühlte mich stets als Altpreuße.

Rathaus Posen (1910) Quelle: Von Bundesarchiv, ZLA 7 Bild-0001 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5335773

Als Soldatenkind wurde ich 1847 in Posen geboren. Mein Vater war zu der Zeit Leutnant im 18. Infanterie-Regiment. Meine Mutter war die Tochter des damals auch in Posen lebenden Generalarztes Schwickart.

Das einfache, um nicht zu sagen harte Leben eines preußischen Landedelmannes oder Offiziers in bescheidenen Verhältnissen, das in der Arbeit und Pflichterfüllung seinen wesentlichsten Inhalt fand, gab naturgemäß unserm ganzen Geschlecht sein Gepräge. Auch mein Vater ging daher völlig in seinem Berufe auf. Aber er fand hierbei immer noch Zeit, sich Hand in Hand mit meiner Mutter der Erziehung seiner Kinder – ich hatte noch zwei jüngere Brüder und eine Schwester – zu widmen. (…)

Beide Eltern bestrebten sich, uns einen gesunden Körper und einen kräftigen Willen zur Tat für die Erfüllung der Pflichten auf den Lebensweg mitzugeben. Sie bemühten sich aber auch, uns durch Anregung und Entwickelung der zarteren Seiten des menschlichen Empfindens das Beste zu bieten, was Eltern geben können: den vertrauensvollen Glauben an Gott den Herrn und eine grenzenlose Liebe zum Vaterlande und zu dem, was sie als die stärkste Stütze dieses Vaterlandes anerkannten, nämlich zu unserm preußischen Königstum. (…)

Das Los des Soldaten, zu wandern, führte meine Eltern von Posen nach Köln, Graudenz, Pinne in der Provinz Posen, Glogau und Kottbus. Dann nahm mein Vater den Abschied und zog nach Neudeck.

Von Posen habe ich aus damaliger Zeit nur wenig Erinnerung. Mein Großvater mütterlicherseits starb bald nach meiner Geburt. (…)

Ludwik Mierosławski, Porträt aus den frühen 1840er Jahren Quelle: Von unbekannt – nicht angegeben, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=2904757

Im Jahre 1848 hatte der polnische Aufstand auch auf die Provinz Posen übergegriffen. Mein Vater war mit seinem Regiment zur Bekämpfung dieser Bewegung ausgerückt. Die Polen bemächtigten sich nun vorübergehend der Herrschaft in der Stadt. Zur Feier des Einzugs ihres Führers Miroslawski sollten alle Häuser illuminiert werden. Meine Mutter war außerstande, sich diesem Zwange zu entziehen. Sie zog sich in ein Hinterzimmer zurück und tröstete sich, an meiner Wiege sitzend, mit dem Gedanken, dass gerade auf diesen Tag, den 22. März, der Geburtstag des „Prinzen von Preußen“ fiel, so dass die Lichter an den Fenstern der Vorderzimmer in ihrem Herzen diesem galten. 23 Jahre später war das damalige Wiegenkind im Spiegelsaale zu Versailles Zeuge der Kaisererklärung Wilhelms I., des einstigen Prinzen von Preußen.

Unser Aufenthalt in Köln und Graudenz war nur von kurzer Dauer. Aus der Kölner Zeit schwebt mir das Bild des mächtigen, jedoch noch unvollendeten Domes vor.

In Pinne führte mein Vater nach damaligem Brauch vier Jahre hindurch als überzähliger Hauptmann eine Landwehrkompagnie. Er war dienstlich nicht sehr beansprucht, so dass er sich gerade in der Zeit, in welcher sich mein jugendlicher Geist zu regen begann, uns Kindern besonders widmen konnte. Er unterrichtete mich bald in Geographie und Französisch, während mir der Schullehrer Kobelt, dem ich noch heute eine dankbare Erinnerung bewahre, Lesen, Schreiben und Rechnen beibrachte. Aus dieser Zeit stammt meine Vorliebe für Geographie, welche mein Vater durch sehr anschauliche und anregende Lehrart zu wecken verstand. Den ersten Religionsunterricht erteilte mir in zum Herzen redender Weise meine Mutter.

Immer mehr entwickelte sich in diesen Jahren und aus dieser Art der Erziehung ein Verhältnis zu meinen Eltern, das zwar ganz auf den Boden unbedingter Autorität gestellt war, das aber zugleich auch bei uns Kindern weit mehr das Gefühl grenzenlosen Vertrauens als blinder Unterwerfung unter eine zu strenge Herrschaft wachrief. (…)

Glogau Ehemaliges Schloss heute Museum Quelle: Von Zetem – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0 pl, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=21643802

In die Glogauer Zeit fällt mein Eintritt in das Kadettenkorps. Ich hatte dort vorher je zwei Jahre die Bürgerschule und das evangelische Gymnasium besucht. Wie ich höre, hat man mir in Glogau dadurch ein freundliches Andenken bewahrt, dass eine an unserm damaligen Wohnhaus angebrachte Tafel an meinen dortigen Aufenthalt erinnert. Ich habe die Stadt zu meiner Freude wiedergesehen, als ich Kompagniechef im benachbarten Fraustadt war. (…)

Das Leben in dem preußischen Kadettenkorps war damals, man kann wohl sagen, bewusst und gewollt rauh. Die Erziehung war neben der Schulbildung auf eine gesunde Entwicklung des Körpers und des Willens gestellt. Tatkraft und Verantwortungsfreudigkeit wurden ebenso hoch bewertet als Wissen. In dieser Art der Erziehung lag keine Einseitigkeit sondern eine gewisse Stärke. Die einzelne Persönlichkeit sollte und konnte sich auch in ihren gesunden Besonderheiten frei entwickeln. Es war etwas von dem Yorkschen Geiste in jener Erziehung, ein Geist, der so oft von oberflächlichen Beurteilern falsch aufgefasst worden ist. Gewiss war York gegen sich wie gegen andere ein harter Soldat und Erzieher, aber er war es auch, der für jeden seiner Untergebenen das Recht und die Pflicht des freien selbständigen Handelns forderte, wie er selbst diese Selbständigkeit gegen jedermann zum Ausdruck brachte. Der Yorksche Geist ist daher nicht nur in seiner militärischen Straffheit sondern auch in seiner Freiheit einer der kostbarsten Züge unseres Heeres gewesen.

Ludwig Yorck von Wartenburg, Gemälde von Ernst Gebauer, 1835, Gemälde von Ernst Gebauer, 1835 Quelle: Wikipedia

Für die humanistische Bildung anderer Schulen, soweit sie sich vorherrschend mit den alten Sprachen beschäftigt, habe ich nur wenig Verständnis. Der praktische Nutzen für das Leben bleibt mir unklar. Als Mittel zum Zweck betrachtet, nehmen meiner Meinung nach die toten Sprachen im Lehrplan viel zu viel Zeit und Kraft in Anspruch, und als Sonderstudium gehören sie in spätere Lebensjahre. Ich wünschte, auf die Gefahr hin, für einen Böotier gehalten zu werden, dass in solchen Schulen auf Kosten von Latein und Griechisch die lebenden Sprachen, neuere Geschichte, Deutsch, Geographie und Turnen mehr in den Vordergrund gestellt würden. Muss denn das, was im dunklen Mittelalter das einzige war, an welches sich die Bildung anklammern konnte, wirklich auch noch in heutigen Tagen in erster Linie stehen? Haben wir uns nicht seitdem in harten Kämpfen und schwerer Arbeit eine eigene Geschichte, eine eigene Literatur und Kunst geschaffen? Bedürfen wir nicht, um im Weltverkehr unsere Stellung richtig einnehmen zu können, weit mehr der lebenden als der toten Sprachen?

Aus dem eben Gesagten soll keine Missachtung des Altertums an sich herausklingen. Dessen Geschichte hat im Gegenteil von früher Jugend an auf mich eine große Anziehungskraft ausgeübt. Vornehmlich war es die der Römer, welche mich fesselte. Sie hatte für mich etwas Gewaltiges, fast Dämonisches, ein Eindruck, der mir in spätem Lebensjahren bei dem Besuche Roms besonders lebhaft vor Augen trat und sich unter anderm darin äußerte, dass mich dort die Denkmäler der alten ewigen Stadt mehr anzogen als die Schöpfungen italienischer Renaissance.

Roms kluges Erkennen der Vorzüge und Mängel völkischer Eigentümlichkeiten, seine rücksichtslose Selbstsucht, die im eigenen Interesse kein Mittel Freund und Feind gegenüber verschmähte, seine geschickt aufgemachte tugendhafte Entrüstung, wenn die Feinde einmal mit gleichem vergalten, sein Ausspielen aller Leidenschaften und Schwächen innerhalb der feindlichen Völker, wie es in so kluger Weise ganz besonders den germanischen Stämmen gegenüber angewendet wurde und hier mehr nutzte als Waffengebrauch, fand nach meinen späteren Erfahrungen sein Spiegelbild und seine Vervollkommnung in der britischen Staatsweisheit, der es gelang, all diese Seiten diplomatischer Kunst bis zur höchsten Verfeinerung und Welttäuschung auszubauen.

Hindenburg als Kadett in Wahlstatt 1860 Quelle: https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=2904757

Meine Jugendhelden suchte ich bei aller Verehrung des Altertums nur unter meinen eigenen Volksgenossen. Offen und ehrlich spreche ich meine Auffassung dahin aus, dass wir nicht so einseitig und undankbar sein dürfen, über der Bewunderung für einen Alcibiades oder Themistokles, für die verschiedenen Katos oder Fabier so manche derjenigen Männer ganz zu übersehen, die in der Geschichte unseres eigenen Vaterlandes eine mindestens ebenso wichtige Rolle gespielt haben wie jene einst für Griechenland und Rom. Ich habe traurige Wahrnehmungen in dieser Beziehung leider wiederholt im Gespräch mit deutscher Jugend gemacht, die mir dann bei aller Gelehrsamkeit doch etwas weltfremd vorkam.

Vor solcher Weltfremdheit bewahrten uns im Kadettenkorps unsere Lehrer und Erzieher, und ich danke ihnen das noch heute. Dieser Dank gebührt vornehmlich einem damaligen Leutnant von Wittich. Ich war ihm, als ich nach Wahlstatt kam, durch einen Verwandten empfohlen worden, und er nahm sich meiner stets besonders freundlich an. (…)

Unter der harten Schulung des Kadettenlebens hat unser Frohsinn nicht gelitten. Ich wage es zu bezweifeln, dass sich das frische jugendliche Toben, dem natürlicherweise die gelegentliche Steigerung bis zum tollen Übermut nicht fehlte, in irgend welchen anderen Bildungsanstalten mehr geltend machte, als bei uns Kadetten. Wir fanden in unseren Erziehern meist verständnisvolle, milde Richter.

Ich selbst war zunächst keineswegs das, was man im gewöhnlichen Leben einen Musterschüler nennt. Anfangs hatte ich eine aus früheren Krankheiten zurückgebliebene körperliche Schwächlichkeit zu überwinden. Als ich dann dank der gesunden Erziehungsart allmählich erstarkte, hatte ich anfänglich wenig Neigung dazu, mich den Wissenschaften besonders zu widmen. Erst langsam erwachte in dieser Beziehung mein Ehrgeiz, der sich mit den Jahren bei gutem Erfolge immer mehr steigerte und mir schließlich unverdientermaßen den Ruf eines besonders begabten Schülers einbrachte. (…)

Friedrich-Wilhelm und Viktoria ca 1858 Quelle: Wikipedia

In mein erstes Kadettenjahr fiel im Sommer 1859 ein Besuch des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich, und seiner Gemahlin in Wahlstatt. Wir sahen fast alle bei dieser Gelegenheit zum ersten Male Mitglieder unseres Königshauses. Noch nie hatten wir beim Parademarsch unsere Beine so hoch geworfen, noch nie bei dem sich hieran anschließenden Vorturnen so halsbrecherische Übungen gemacht als an diesem Tage. Und von der Güte und Leutseligkeit des Prinzenpaares sprachen wir noch lange Zeit.

Im Oktober des gleichen Jahres wurde zum letzten Male der Geburtstag König Friedrich Wilhelms IV. gefeiert. Unter diesem schwergeprüften Herrscher habe ich also die preußische Uniform angelegt, die bis an mein Lebensende mein Ehrenkleid bleiben soll. Ich hatte die Ehre, der verwitweten Gemahlin des Königs, der Königin Elisabeth, im Jahre 1865 als Leibpage zugeteilt zu werden. Die Taschenuhr, die Ihre Majestät mir damals schenkte, hat mich in drei Kriegen treulich begleitet.

König Wilhelm I. Quelle: Wikipedia

Ostern 1863 wurde ich nach Sekunda und hierdurch nach Berlin versetzt. Das dortige Kadettenhaus lag in der neuen Friedrichstraße unweit des Alexanderplatzes. Ich lernte nun zum ersten Male Preußens Hauptstadt kennen und durfte jetzt endlich bei den Frühjahrsparaden mit Aufstellung Unter den Linden und Vorbeimarsch auf dem Opernplatz sowie bei den Herbstparaden auf dem Tempelhofer Felde meinen Allergnädigsten Herrn, König Wilhelm I., sehen.

Einen ebenso erhebenden als ernsten Ton brachte in unser Kadettenleben der Beginn des Jahres 1864. Der Krieg gegen Dänemark brach aus, und ein Teil unserer Kameraden schied im Frühjahr von uns, um in die Reihen der kämpfenden Truppen zu treten. Mich selbst verhinderte leider noch das jugendliche Alter daran, zu der Zahl dieser Vielbeneideten zu gehören. Mit welch heißen Wünschen die ausziehenden Kameraden von uns begleitet wurden, bedarf keiner Schilderung.

Über die politischen Gründe, die zu dem Kriege führten, zerbrachen wir uns den Kopf noch nicht. Aber wir hatten doch schon das stolze Empfinden, dass in das matte und haltlose Wesen des Deutschen Bundes endlich einmal ein erfrischender Wind gefahren war, und dass die Tat wieder mehr gelten sollte als das Wort und die Aktenbündel. Im übrigen verfolgten wir mit glühendem Interesse die kriegerischen Ereignisse, wohnten freudig klopfenden Herzens der Einbringung der eroberten Geschütze und dem Siegeseinzug der Truppen als Zuschauer bei und glaubten zu dem Gefühl berechtigt zu sein, einen Teil jenes Geistes in uns zu haben, der auf den dänischen Kampffeldern unsere Truppen zum Erfolge führte. War es zu verwundern, wenn wir seitdem kaum den Tag erwarten konnten, der uns selbst in die Reihen unserer Armee führen sollte?

Bevor dies geschah, wurde uns noch die Ehre und das Glück zuteil, unserm König persönlich vorgestellt zu werden. Wir wurden zu dem Zweck in das Schloss geführt und hatten dort Seiner Majestät Namen und Stand des Vaters zu nennen. Kein Wunder, dass da mancher in der Aufregung erst kein Wort hervorbrachte und dann die Worte durcheinander warf. Hatten wir doch noch nie unserm greisen Herrscher so nahe gegenüber gestanden, ihm noch nie so scharf in das gütige Auge geblickt und seine Summe gehört. Ernste Worte sprach der König zu uns. Er ermahnte uns, auch in schweren Stunden unsere Schuldigkeit zu tun. Bald sollten wir Gelegenheit haben, dies in die Tat umzusetzen. Manche von uns haben ihre Treue mit dem Tode besiegelt.

Im Frühjahr 1866 verließ ich das Kadettenkorps. Allezeit bin ich seitdem dieser militärischen Erziehungsanstalt auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen und Neigungen dankbar und treu ergeben geblieben.“

Hindenburg als Leutnant Quelle: https://i1.wp.com/deutsche-schutzgebiete.de/wordpress/wp-content/uploads/2018/10/Hindenburg_als_Kadett_in_Wahlstatt_1860.jpg?ssl=1

Diese Auszüge sind mir deshalb wichtig, weil sie zeigen, in welchen „Welten“ sich das Leben abspielte, wenn man aus solchen Familien stammte. Einen weiteren Kommentar dazu will ich mir verkneifen, denn da kämen eine Menge Gründe zusammen, warum dieser Mann mit dieser Ausbildung und letztendlich auch Gesinnung als Reichspräsident völlig ungeeignet war. Direkter ausgedrückt, für eine Demokratie war er eine „Katastrophe“.

Als Leutnant wurde er im April 1866 in das 3. Garderegiment zu Fuß aufgenommen. Das Regiment nahm am so genannten „Deutschen Krieg“ zwischen Preußen und Österreich teil und nach Kriegsende bezog es am 23. September 1866 die Kaserne am Waterlooplatz in Hannover als neue Garnison. Ab 1878 war es dann in der Kaserne Wrangelstraße in Berlin stationiert. Am 1. Oktober 1911 wurde dem Regiment eine Maschinengewehr- Kompanie angegliedert, eine völlig neue „Waffeneinheit“, der im I. Weltkrieg eine immense und tödliche Bedeutung zukam.

Parade auf dem Waterlooplatz (um 1840) Quelle: Wikipedia

In den Erinnerungen Hindenburgs – Aus meinem Leben“ schreibt er über das Endes des Krieges und über die Jahre bis zum Ausbruch des nächsten – des deutsch-französischen:

„… Am 2. September überschritten wir in Fortsetzung des Rückmarsches die böhmisch-sächsische Grenze, dann am 8. September auf der Chaussee Großenhain-Elster die Grenze der Mark Brandenburg. Eine Ehrenpforte begrüßte uns. Durch sie kehrten wir unter den Klängen des „Heil Dir im Siegerkranz“ in d\e Heimat zurück. Mit welchen Gefühlen, bedarf keiner Erläuterung.

Am 20. September war der feierliche Einzug in Berlin. Die Paradeaufstellung erfolgte auf dem jetzigen Königsplatz, damals einem sandigen Exerzierplatz. Wo jetzt das Generalstabsgebäude steht, befand sich ein Holzhof, der mit der Stadt durch einen mit Weiden besetzten Weg verbunden war. Krolls „Etablissement“ gab es dagegen bereits. Vom Aufstellungsplatze weg rückte die Einzugstruppe durch das Brandenburger Tor die Linden herauf zum Opernplatz. Dort war der Vorbeimarsch vor Seiner Majestät dem König. Blücher, Scharnhorst und Gneisenau sahen von ihren Postamenten zu. Sie konnten mit uns zufrieden sein!

Gebhard Leberecht von Blücher, Gemälde von Ernst Gebauer, um 1815 Quelle: Wikipedia

Zum Einrücken in die Paradeaufstellung hatte sich mein Bataillon am Floraplatz versammelt. Dort wurde mir vom Kommandeur der Rote Adlerorden 4. Klasse mit Schwertern mit der Weisung überreicht, ihn sofort anzulegen, weil die neuen Auszeichnungen beim Einzug getragen werden sollten. Als ich mich ziemlich ratlos umsah, trat aus der Menge der Zuschauer eine ältere Dame heraus und befestigte mit einer Stecknadel das Ehrenzeichen auf meiner Brust. So oft ich in spätem Jahren, sei es zu Fuß, sei es zu Pferde, über den Floraplatz kam, stets gedachte ich in Dankbarkeit der freundlichen Berlinerin, die dem 18jährigen Leutnant dort einst seinen ersten Orden angeheftet hat.

Nach dem Kriege wurde dem 3. Garderegiment Hannover als Friedensgarnison zugewiesen. Man wollte dadurch wohl der bisherigen Hauptstadt eine Aufmerksamkeit erweisen. Ungern gingen wir hin, als aber nach 12 Jahren die Scheidestunde durch Versetzung des Regiments nach Berlin schlug, da war wohl keiner in dessen Reihen, dem die Trennung nicht schwer wurde. Ich selbst hatte die schöne Stadt, die ich schon 1873 verlassen musste, so lieb gewonnen, dass ich mich später nach meiner Verabschiedung dorthin zurückzog.

Bald hatten wir in dem neuen Standort Bekanntschaften angeknüpft. Manche Hannoveraner hielten sich freilich aus politischen Gründen gänzlich zurück. Wir haben die Treue gegen das angestammte Herrscherhaus nie verurteilt, so sehr wir von der Notwendigkeit der Einverleibung Hannovers in Preußen durchdrungen waren. Nur da, wo das Welfentum im Verhalten einzelner   seinen   Schmerz   nicht   mit   Würde   trug,   sondern   sich in Ungezogenheiten, Beleidigungen oder Widersetzlichkeiten gefiel, sahen wir in ihm einen Gegner.

Immer mehr lebten wir uns im Laufe der Jahre in Hannover ein, das in glücklichster Weise die Vorteile einer Großstadt nicht mit den Nachteilen einer solchen vereinigt. Eine rege, vornehme Geselligkeit, welche später, nach dem französischen Kriege, dadurch ihren Höhepunkt erreichte, dass Ihre Königlichen Hoheiten der Prinz Albrecht von Preußen und Gemahlin dort jahrelang weilten, wechselte mit dem Besuch des vorzüglichen Hoftheaters ab, der dem jungen Offizier für ein Billiges ermöglicht war. Herrliche Parkanlagen und einer der schönsten deutschen Wälder, die Eilenriede, umgeben die Stadt; an ihnen konnte man sich in dienstfreien Stunden zu Fuß und zu Pferde erfreuen. Und nahmen wir an den Manövern in der Provinz teil, anstatt zu den Herbstübungen des Gardekorps nach Potsdam zu fahren, so lernten wir allmählich ganz Niedersachsen vom Fels zum Meer in seiner anmutenden Eigenart kennen und schätzen. Der kleine Dienst spielte sich auf dem Waterlooplatz ab. Dort habe ich drei Jahre hintereinander meine Rekruten ausgebildet und in einer der an diesem Platz gelegenen Kasernen meine erste Dienstwohnung, Wohn- und Schlafstube, innegehabt. Noch jetzt versetze ich mich gern, wenn ich diesen Stadtteil betrete, in Gedanken in die goldene Jugendzeit zurück. Fast alle meine damaligen Kameraden sind schon bei der großen Armee versammelt. Meinen mehrjährigen Kompagniechef, Major a. D. von Seel, durfte ich jedoch noch kürzlich wiedersehen. Ich verdanke dem jetzt mehr als 80jährigen unendlich viel; war er mir doch ganz besonders ein Vorbild und Lehrer in strengster Dienstauffassung.

Eilenriede Radweg, Stein um 1900 Quelle: Wikipedia

Im Sommer 1867 besuchte Seine Majestät der König zum ersten Male Hannover. Ich stand bei der Ankunft in der Ehrenkompagnie vor dem Palais im Georgspark und wurde von meinem Kriegsherrn durch die Frage beglückt, bei welcher Gelegenheit ich mir den Schwerterorden verdient hätte. In spätem Jahren, nachdem ich mir noch das Eiserne Kreuz für 1870/71 erworben hatte, hat mein Kaiser und König die gleiche Frage noch manchesmal bei Versetzungs- und Beförderungsmeldungen an mich gerichtet. Stets durchzuckte es mich dann mit ebensolchem Stolz und ebensolcher Freude wie damals.

Immer fester fügten sich die staatlichen, militärischen und sozialen Verhältnisse Hannovers ineinander. Bald sollte sich auch diese neue Provinz auf blutigen Schlachtfeldern als ebenbürtiger Bestandteil Preußens bewähren!“

In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 1870 erfolgte die Mobilmachung zum „Deutsch-Französischen Krieg“, Wikipedia schreibt:

„… Das Regiment marschierte am 30. Juli aus und verlegte über Bingen am Rhein an den Versammlungsort des Gardekorps südlich von Worms. Von hier aus trat es am 4. August den Vormarsch an und überschritt vier Tage später die Grenze zu Frankreich. In den Morgenstunden des 18. August 1870 erreichte das Regiment Doncourt und kam am selben Tag in der Schlacht bei Gravelotte zum Einsatz. In den verlustreichen Kämpfen verlor es 37 Offiziere und 1065 Mann. Aus den Resten des II. und Füsilier-Bataillons wurden daher zwei Kompanien gebildet. Das Regiment nahm dann am Vormarsch auf Paris teil und erreichte die französische Hauptstadt am 19. September. In der Folge wirkte es im nordöstlichen Abschnitt an der Einschließung und Belagerung mit. Dabei wurden das I. Bataillon sowie die 9.–11. Kompanie am 21. Dezember bei einem Ausfallgefecht bei Le Bourget in Kämpfe verwickelt. Zu weiteren Kampfhandlungen kam es danach nicht mehr. Nach dem Friedensschluss nahm das Regiment am 16. Juni 1871 am feierlichen Einzug des Gardekorps in Berlin teil.“

Gemälde von Carl Röchling „Tod des Majors von Hadeln“ Gravelotte Quelle: Gemeinfrei

Und Paul von Hindenburg erinnert sich an diesen Krieg:

„… Bei Ausbruch des Krieges 1870 rückte ich als Adjutant des 1. Bataillons ins Feld. Mein Kommandeur, Major von Seegenberg, hatte die Feldzüge von 1864 und 1866 im Regiment als Kompagniechef mitgemacht. Er war ein kriegserprobter   altpreußischer   Soldat   von   rücksichtsloser   Energie unermüdlicher Fürsorge für die Gruppe. Unsere gegenseitigen Beziehungen waren gut.“

Übrigens, Am 18. Januar 1871 repräsentierte Hindenburg sein Garderegiment bei der Kaiserproklamation im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles. Er schreibt:

„… Die Mitte des Januar brachte dann für mich ein besonderes Erleben. Ich wurde mit einem Sergeanten als Vertreter des Regiments zur Kaiserproklamation nach Versailles entsandt. Den Befehl hierzu bekam ich am 16. Januar abends. (…)

Die Feier am 18. ist genugsam bekannt. Sie war für mich reich an Eindrücken. Am erhebendsten und zugleich ergreifendsten wirkte selbstredend die Person meines Allergnädigsten Königs und Herrn. Seine ruhige, schlichte, alles beherrschende Würde gab der Feier eine größere Weihe als aller äußere Glanz. Die herzenswarme Begeisterung für den erhabenen Herrscher war aber auch bei allen Teilnehmern, welchem deutschen Volksstamme sie auch angehörten, gleich groß. Die Freude über das „Deutsche Reich“ brachten wohl unsere süddeutschen Brüder am lebhafteren zum Ausdruck. Wir Preußen waren darin zurückhaltender, aus historischen Gründen, die uns unsern eigenen Wert zu einer Zeit schon hatten erkennen lassen, in der Deutschland nur ein geographischer Begriff war. Das sollte fortan anders werden!

Am Abend des 18. waren die in Versailles anwesenden Generale zur Tafel bei Seiner Majestät dem Kaiser in der Präfektur befohlen. Wir übrigen waren Gäste des Kaisers im Hotel „de France“. (…)

Am Tage nach meinem Besuch in Paris hatte das Gardekorps die hohe Ehre und unendliche Freude, vor seinem Kaiser und König auf den Longchamps in Parade zu stehen. In alter preußischer Strammheit defilierten die kampferprobten Regimenter vor ihrem Kriegsherrn, auf dessen Befehl sie jederzeit bereit waren, erneut ihr Leben für den Schutz und die Ehre des Vaterlandes einzusetzen. Zu einem wirklichen Einzug in Paris, wie er vorher andern Armeekorps beschieden gewesen war, kam es für uns nicht mehr, weil inzwischen der Präliminarfriede abgeschlossen war und Deutschland den in ehrlichem Kampfe besiegten Gegner nicht den Kelch der Demütigung bis auf die Neige leeren lassen wollte.

Kaiserproklamation im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles Fassung für das Berliner Schloss, Quelle: Wikipedia

Festlich begingen wir dann auch vor Paris am 22. März den Geburtstag Seiner Majestät. Es war ein herrlicher, warmer Frühlingstag mit Feldgottesdienst im Freien, Salutschießen der Forts und Festessen der Offiziere und Mannschaften. Die frohe Aussicht, nach treu erfüllter Pflicht nun bald in die Heimat zurückkehren zu können, ließ die Stimmung doppelt gehoben sein. (…)

Der Einzug in Berlin erfolgte diesmal vom Tempelhofer Felde aus. Vertreter aller deutschen Truppenteile waren neben dem Gardekorps hierbei beteiligt. Die Hoffnung auf einen siegreichen dritten Einzug durch das Brandenburger Tor, die ich nicht meinetwegen sondern um meines Kaisers und Königs und um des Vaterlandes willen lange im innersten Herzensgrunde gehegt hatte, sollte nicht in Erfüllung gehen!“

Über weitere „Verwendung“ in der „Heimat“ schreibt er:

„… Ich verblieb für die nächsten Jahre noch im Truppendienst, folgte dann aber meiner Neigung zu einer höheren militärischen Ausbildung, bereitete mich zur Kriegsakademie vor und fand im Jahre 1873 Aufnahme in diese.

Das erste Jahr entsprach nicht ganz meinen Erwartungen. (…) Erst die beiden letzten Jahre und die Kommandierung zu andern Waffen in den Zwischenkursen brachten dem vorwärtsstrebenden jungen Offizier volle Befriedigung. Unter Anleitung hervorragender Lehrer (…) und im Verkehr mit reichbegabten Altersgenossen, wie den spätem Generalfeldmarschällen von Bülow und von Eichhorn sowie dem späteren General der Kavallerie von Bernhardi, erweiterte sich der Gesichtskreis wesentlich.

Alexander von Preußen Quelle: Wikipedia

Nicht wenig trug hierzu auch das vielseitige gesellige Leben Berlins bei. Ich hatte die Ehre, zu dem engern Kreise Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Alexander von Preußen herangezogen zu werden, und kam dadurch nicht nur mit hohen Militärs sondern auch mit Männern der Wissenschaft sowie des Staats- und Hofdienstes in Berührung.

Nach Beendigung meines Kommandos zur Kriegsakademie kehrte ich zunächst für ein halbes Jahr zum Regiment nach Hannover zurück und wurde dann im Frühjahr 1877 zum Großen Generalstab kommandiert.“

Wikipedia ergänzt:

„… Von 1873 bis 1876 besuchte er die Kriegsakademie in Berlin, die er mit der Qualifikation für den Generalstab verließ. 1877 wurde er in den Großen Generalstab versetzt und im folgenden Jahr zum Hauptmann befördert.

1881 diente er im Generalstab der 1. Division in Königsberg und wurde zum Major befördert. 1888 zählte er zu den Offizieren, die den aufgebahrten Leichnam des verstorbenen Kaisers Wilhelm I. als Totenwache flankierten.“

Gertrud von Hindenburg 1920 Quelle: Wikipedia

Ab 1879 wurde Hindenburg auf seinen „Wanderungen“ in der militärischen Laufbahn nach oben von einer Frau begleitet, denn am 24. September 1879 heiratete er Gertrud von Sperling (1860–1921).

Gertrud Wilhelmine von Beneckendorff und von Hindenburg (4. Dezember 1860 in Magdeburg – 14. Mai 1921 in Hannover) war nicht nur adelig, sondern auch Philanthropin. Sie war die Tochter des preußischen Generalmajors Oskar von Sperling (1814–1872) und dessen Ehefrau Pauline von Klaß.

Generalmajor Oskar von Sperling Quelle: Wikipedia

Philanthropie könnte man übersetzten mit menschenfreundlichem Denken und Verhalten, Wikipedia:

„… Als Motiv wird manchmal eine die gesamte Menschheit umfassende Liebe genannt, die „allgemeine Menschenliebe“. Materiell äußert sich diese Einstellung in der Förderung Unterstützungsbedürftiger, die nicht zum Kreis der Verwandten und Freunde des Philanthropen zählen, oder von Einrichtungen, die dem Gemeinwohl dienen. Das Bild der Philanthropie prägen vor allem in großem Stil durchgeführte Aktionen sehr reicher Personen.

Der Begriff stammt aus der Antike. Damals bezeichnete der Ausdruck meist eine wohlwollende, großzügige Einstellung Vornehmer, Mächtiger und Reicher gegenüber ihren wirtschaftlich schwächeren Mitbürgern. Zur Philanthropie gehörten auch bedeutende freiwillige Leistungen wohlhabender Bürger für das Gemeinwohl. Die Wohltäter steigerten damit ihr Ansehen, sie konnten Dankbarkeit und öffentliche Ehrungen erwarten. In erster Linie erhoffte man vom Herrscher, dass er sich durch Milde und Hilfsbereitschaft als Menschenfreund bewähre.

Im allgemeinen Sprachgebrauch wird heute Philanthropie oft auf ihren materiellen Aspekt beschränkt und mit Bereitstellung privater finanzieller Mittel für gemeinnützige Zwecke gleichgesetzt. Dabei denkt man in erster Linie an Großspenden und an die Errichtung von Stiftungen. Die Mittel kommen vor allem der Bildung, der Forschung, dem Gesundheitswesen, kulturellen Anliegen und der Bekämpfung sozialer Übelstände zugute. Kritiker beargwöhnen den starken politischen und gesellschaftlichen Einfluss großer Stiftungen, die nur den Zielen ihrer Gründer verpflichtet und nicht demokratisch legitimiert seien. Außerdem unterstellen sie den Philanthropen fragwürdige, eigennützige Motive.“

Mit der Menschenfreundlichkeit und der Spendenfreundlichkeit hatte das Ehepaar einiges durcheinander gebracht, denn als so genannter „Osthilfeskandal“ gingen Korruptionsvorwürfe und der Versuch, bei der Schenkung des Gutes Neudeck Erbschaftsteuern zu sparen, durch den „Deutschen Blätterwald“ und die „Preußischen Tugenden“ spielten bei diesen Aktionen wohl auch keine große Rolle und dieser Skandal kommt noch.

Gut Neudeck, das letzte Domizil des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg um 1928 Quelle: Wikipedia

Kennen gelernt hatte sich das Paar Mitte der 1870er Jahre in Stettin, als Hindenburg dort dem Generalkommando des II. Armeekorps angehörte und in Stettin fand dann auch die Hochzeit statt, mit einem Ehemann im Range eines Hauptmanns.

Gertrud Wilhelmine und Paul von Hindenburg bekamen vier Kinder: Die Tochter Irmengard Pauline (14. November 1880 – 1948), ein totgeborener Sohn ohne Namen (1881), der Sohn Oskar Wilhelm (31. Januar 1883 – 12. Februar 1960) und die Tochter Annemarie (29. November 1891 in Berlin – 8. April 1978 in Hannover).

Oskar von Hindenburg im April 1930 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-09560 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5480202

Die weiteren Stationen Hindenburgs listet Wikipedia auf:

„… 1890 leitete er die II. Abteilung im Kriegsministerium und wurde im Jahr darauf Oberstleutnant. 1893 kommandierte er das Oldenburgische Infanterieregiment Nr. 91 und wurde im Jahr darauf zum Oberst befördert.

1896 wurde er Chef des Generalstabes des VIII. Armee-Korps in Koblenz und im Jahr darauf Generalmajor. 1900 erfolgte seine Beförderung zum Generalleutnant und Ernennung zum Kommandeur der 28. Division in Karlsruhe. 1905 wurde er Kommandierender General des IV. Armee-Korps in Magdeburg. 1911 wurde er unter Verleihung des Schwarzen Adlerordens in den Ruhestand verabschiedet. Er zog in den hannoverschen Stadtteil Oststadt in das von Heinrich Köhler erbaute Haus Am Holzgraben 1.“

Die Hindenburgvilla in ihrem heutigen Zustand Quelle: Von Bernd Schwabe in Hannover – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=24831504

In den Erinnerungen lese ich zum seinem Abschied:

„…Immer mehr reifte allmählich in mir der Entschluss, aus der Armee auszuscheiden. Ich hatte in meiner militärischen Laufbahn viel mehr erreicht, als ich je zu hoffen wagte. Krieg stand nicht in Aussicht, und so erkannte ich es für eine Pflicht an, jüngeren Kräften den Weg nach vorwärts freizumachen, und erbat im Jahre 1911 meinen Abschied. Da sich die falsche Legendenbildung dieses unbedeutenden Ereignisses bemächtigt hat, so erkläre ich ausdrücklich, dass keinerlei Reibungen dienstlicher oder gar persönlicher Art diesen Schritt veranlasst haben.

Der Abschied von liebgewonnenen, langjährigen Beziehungen und besonders von meinem IV. Korps, das mir fest ans Herz gewachsen war, wurde mir nicht leicht. Aber es musste sein! Ich ahnte nicht, dass ich nach wenigen Jahren wieder zum Schwerte greifen und dann gleich meinem einstigen Armeekorps Kaiser und Reich, König und Vaterland erneut dienen durfte.

Im Verlauf meiner langjährigen Dienstzeit habe ich fast alle deutschen Stämme kennen gelernt. Ich glaube daher beurteilen zu können, über welch einen Reichtum wertvollster Eigenarten unser Volk verfügt, und wie kaum ein anderes Land der Welt in solcher Vielseitigkeit die Vorbedingungen für ein reiches geistiges und seelisches Leben in sich birgt als Deutschland.

Mit treugehorsamstem Dank gegen meinen Kaiser und König, unter den heißesten Wünschen für seine Armee und in vollem Vertrauen auf die Zukunft unseres Vaterlandes war ich aus dem aktiven Dienst geschieden und blieb doch im Innern immer Soldat.

Das reiche Erleben auf allen Gebieten meines Berufes ließ mich zufrieden auf meine bisherige Tätigkeit zurückblicken. Nichts war imstande, mir das Gesamtbild zu trüben, über dem der Zauber der Verwirklichung glühender Jugendträume lag. Der Übergang zur selbstgewählten Ruhe vollzog sich daher auch bei mir nicht ohne Heimweh nach dem verlassenen Wirkungskreise, nicht ohne Sehnsucht nach den Reihen der Armee. Die Hoffnung, dass im Falle einer Gefahr fürs Vaterland mein Kaiser mich wieder rufen würde, der Wunsch, meine letzten Kräfte seinem Dienste zu widmen, verlor in der Stille meines veränderten Daseins nichts von seiner Stärke.“

Erster Weltkrieg

Am 2. August 1914 erfolgte die Mobilmachung und über Belgien der Einmarsch der deutschen Armeen in Frankreich. Hindenburgs ehemaliges Regiment im Verbund mit der 1. Garde-Infanterie-Division nahm am Vormarsch in das neutrale Belgien teil und kämpfte bei „Namur.“

Mörser bei der Belagerung von Namur Quelle: Wikipedia

Namur und damit eine Stadt im neutralen Belgien war eines der Hauptangriffsziele der deutschen Streitkräfte. Namur fiel nach nur drei Tagen.

Wikipedia schreibt über diese Schlacht:

„… Die Schlacht an der Sambre vom 21. bis 23. August 1914 war eine der sogenannten Grenzschlachten an der Westfront zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Die mit grausamen Kriegsverbrechen in Verbindung stehende Schlacht wurde von den Deutschen als Schlacht bei Namur, von den Franzosen auch als Schlacht von Charleroi bezeichnet. Der französische Generalstabschef Joffre versuchte den deutschen Vormarsch durch das neutrale Belgien aufzuhalten und befahl zum Schutze Nordfrankreichs einen Gegenangriff. Die französische 5. Armee sollte nach Norden zur Sambre vorgehen und den Vormarsch der deutschen 2. Armee aufhalten. Am 21. August rang die deutsche 2. Armee beim Durchmarsch von Charleroi mit belgischen Insurgenten (bewaffnete Aufstände) und führte mit der Vorhut einen Angriff über die Sambre nach Süden durch. Die Deutschen konnten zwei Brückenköpfe über den Fluss erkämpfen, weil den gegenüberliegenden Franzosen ausreichende Artillerie fehlte. Am 22. August griff dann die deutsche 2. Armee mit drei Korps auf breiter Front gegen die französische 5. Armee an, am Abend des 23. August brachen die Franzosen den Kampf ab und traten den Rückzug nach Süden an.“

Und wenn von „grausamen Kriegsverbrechen“ die Rede ist, will ich zwei beschreiben mit Hilfe von Wikipedia:

„… Das Massaker von Tamines“ war ein Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg. Es wurde in der Zeit vom 21. bis 23. August 1914 in Tamines, heute Sambreville, in der belgischen Region Wallonien begangen. Deutsche Truppen erschossen 384 Zivilisten. Dies trug zur weltweiten anti-deutschen Stimmung bei. (…)

Am Morgen des 4. August 1914 waren deutsche Kavallerieverbände zur Aufklärung auf belgisches Territorium – unter Missachtung der belgischen Neutralität – vorgerückt. (…)

Die Neutralität Belgiens, die im Protokoll der Londoner Konferenz von 1831 besiegelt worden war, war durch den Einmarsch der deutschen Truppen verletzt worden und der Krieg damit erklärt. (…)

Am 20. August erschoss eine deutsche Kolonne auf Befehl v. Bülows in der Stadt Andenne mehr als zweihundert Zivilisten. (…)

Nach dem Bericht der amtlichen belgischen Untersuchungskommission von 1915 wurden am Abend des 22. August etwa 400 bis 450 Männer vor der Kirche zusammengetrieben, wo ein Erschießungspeloton das Feuer eröffnete. Nach Aussage der Zeugen setzte sich das Hinrichtungspeloton aus fünf übereinander aufgereihten Reihen von Schützen zusammen. Als der Schussbefehl gegeben wurde, warfen sich die Belgier auf den Boden, so dass nur wenige getroffen wurden. Trotz des Befehls wieder aufzustehen, blieben die Belgier auf dem Boden liegen und standen erst nach massiven Drohungen der Deutschen wieder auf, um unmittelbar darauf von einer weiteren Salve getroffen zu werden. Nach Zeugenaussagen wurde das Peloton von einem Maschinengewehr von der Brücke aus unterstützt, obwohl inzwischen die meisten Menschen bereits tödlich getroffen oder von den Leichen der Erschossenen bedeckt waren. Ab jetzt begannen die Deutschen wild auf die noch Stehenden zu schießen.

Nachdem das Peloton abgezogen war, kamen Soldaten mit Rotkreuz-Binden, begleitet von Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten, um sich der Verwundeten anzunehmen. Nach Zeugenaussagen waren aber viele der Schwerverletzten nicht mehr zu retten. Aus dem Fluss wurden um die hundert Leichen geborgen.“

Zerstörte Häuser in Dinant, 1915 Quelle: Wiokipedia

Ein weiteres Massaker war das von Dinant. Dieses und eine Zusammenfassung der Hinrichtungen und Zerstörungen beschreibt Wikipedia:

„… Am 23. August 1914 verübten deutsche Truppen in Belgien das „Massaker von Dinant“ und töteten dabei 674 Zivilisten. Zugleich wurden rund 1100 bis 1300 der 1800 Häuser der Stadt zerstört. (…)

Von August bis Oktober 1914 kamen in Belgien 5521 Zivilisten durch Hinrichtungen und zielgerichtete Zerstörungen von Ortschaften ums Leben, das Massaker von Dinant war der größte dieser Gewaltausbrüche deutscher Soldaten gegen Zivilisten. Die deutschen Offiziere und Soldaten rechtfertigten ihre Taten mit vermeintlichen Angriffen von Zivilisten beziehungsweise Freischärlern (Franctireurs), die Belgier bestritten derartige Angriffe vehement. (…)

Im historischen Bewusstsein der Deutschen ist das Massaker kaum präsent. Sofern an die Gewaltausbrüche deutscher Truppen gegen belgische Zivilisten zu Beginn des Ersten Weltkriegs erinnert wird, stehen die Ereignisse von Dinant im Schatten der Gewalttaten in Löwen.

Während des wochenlangen Bewegungskrieges in Belgien verübten deutsche Soldaten in vielen Orten Gewalttaten gegen Zivilisten. Insgesamt 484 solcher Zwischenfälle mit zusammen 5521 Toten standen in direktem Zusammenhang mit militärischen Kampfhandlungen oder mit Panikreaktionen deutscher Soldaten. (…)

Zu Ausschreitungen mit jeweils mehr als 100 Todesopfern kam es in Soumagne (5. August, 118 Tote), Mélen (8. August, 108 Tote), Aarschot (19. August, 156 Tote), Andenne (20. August, 262 Tote), Tamines (22. August, 383 Tote), Ethe (23. August, 218 Tote), Dinant (23. August, 674 Tote), Löwen (25. August, 248 Tote) und Arlon (26. August, 133 Tote). Fast immer wurden Häuser zerstört, oft durch vorsätzliche Brandstiftung. Im Zuge der Ausschreitungen mit mehr als 100 Toten wurden zusammen 4433 Gebäude zerstört. „Während dieser ersten Kriegswochen führte das deutsche Oberkommando ein Terrorregime gegen die Zivilbevölkerung“, urteilt die belgische Historikerin Laurence van Ypersele.“

Übrigens, in Deutschland gab es eine ganze Reihe von Stellungnahmen zu diesen Ereignissen: Adolf Köster, Redakteur des SPD-Zentralorgans „Vorwärts“ sowie des Hamburger Echos (8. März 1883 in Verden an der Aller -18. Februar 1930 in Belgrad), ein deutscher Publizist, Politiker (SPD), Reichsinnenminister, Reichsaußenminister, Diplomat, Kriegsberichterstatter und Schriftsteller und Gustav Noske, SPD-Abgeordneter im Reichstag, Chefredakteur der „Chemnitzer Volksstimme“ und Wehrexperte der Partei, verfassten 1914 eine Schrift, die den Standpunkt des deutschen Heeres unterstützte. Darin verteidigten sie auch Hinrichtungen von Zivilisten.

Gustav Noske rechts mit Walther von Lüttwitz 1920 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-1989-0718-501 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5347329

Und am Sonntag in den Kirchen beider Religionen, baten Pfarrer und Pastoren um den Segen für die Soldaten an der Front und ihre „gerechte Sache“, die Massaker spielten dabei keine Rolle.

Verkneifen kann ich mir an dieser Stelle nicht den Text der „Arbeiterbewegung“: Deutscher Text (Emil Luckhardt, 1910)

Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht wie Glut im Kraterherde
nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger
Alles zu werden, strömt zuhauf!

Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht.

Es rettet uns kein höh’res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte,
Leeres Wort: des Reichen Pflicht!
Unmündig nennt man uns und Knechte,
duldet die Schmach nun länger nicht!

Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht.

In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute,
wir sind die stärkste der Partei’n
Die Müßiggänger schiebt beiseite!
Diese Welt muss unser sein;
Unser Blut sei nicht mehr der Raben,
Nicht der mächt’gen Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben
dann scheint die Sonn‘ ohn‘ Unterlass!

Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
erkämpft das Menschenrecht.

Gaskrieg

Auf das „Konto“ der so genannten Obersten Heeresleitung (OHL) geht neben den schon beschriebenen Kriegsverbrechen aber auch die Verantwortung für den Gaskrieg, der bereits 22. April 1915 von deutscher Seite aus begonnen wurde.

Verantwortlich dafür Generalstabschef Helmuth von Moltke als Chef der ersten OHL, der nach der gescheiterten Offensive an der Marne (5. bis 12. September 1914) abtreten musste.

Verantwortlich auch seine Nachfolger, der damalige preußische Kriegsminister, Erich von Falkenhayn und ab August 1916 Hindenburg und Ludendorff, die diesen Posten bis Kriegsende innehatten.

Erich von Falkenhayn Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-1989-0718-501 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5347329

Wikipedia schreibt:

„… Während Hindenburg vor allem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig war, zog eigentlich Ludendorff die Fäden. Als besondere Dienststellung wurde für Ludendorff die Funktion des Ersten Generalquartiermeisters geschaffen, um diesen faktisch gleichberechtigt neben Hindenburg zu stellen. (…)Auf Ludendorff geht auch die Wiederaufnahme des uneingeschränkten U-Boot-Krieges zurück, was den unmittelbaren Eintritt der Vereinigten Staaten in den Krieg aufseiten der Entente auslöste.“

Dem erste Gasangriff an 22. April 1915 am Ypernbogen fielen bis zu 5.000 Menschen zum Opfer nach einem deutschen Chlorgaseinsatz. Er war die Geburtsstunde des Krieges mit modernen Massenvernichtungswaffen.

Die militärische Führung war vom durchschlagenden Erfolg völlig überrascht. Auf alliierter Seite sah man zunächst den Einsatz von Gas als eindeutigen Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung.

Über diese schreibt Wikipedia:

„… Die Haager Landkriegsordnung (HLKO) ist die Anlage zu dem während der ersten Friedenskonferenz in Den Haag beschlossenen zweiten Haager Abkommen von 1899 „betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs“, das 1907 im Rahmen der Nachfolgekonferenz als viertes Haager Abkommen in leicht geänderter Fassung erneut angenommen wurde. Sie ist das wichtigste der im Rahmen dieser Konferenzen entstandenen Haager Abkommen und damit neben den Genfer Konventionen ein wesentlicher Teil des humanitären Völkerrechts. Die Haager Landkriegsordnung enthält für den Kriegsfall Festlegungen zur Definition von Kombattanten, zum Umgang mit Kriegsgefangenen, zu Beschränkungen bei der Wahl der Mittel zur Kriegsführung, zur Verschonung bestimmter Gebäude und Einrichtungen von sozialer und gesellschaftlicher Bedeutung, zum Umgang mit Spionen, für Kapitulationen und Waffenstillstandsvereinbarungen sowie zum Verhalten einer Besatzungsmacht in einem besetzten Territorium. Zum Umgang mit verletzten und erkrankten Soldaten verweist die Haager Landkriegsordnung auf die erste Genfer Konvention in den Fassungen von 1864 beziehungsweise 1906.“

Gasangriff mittels Blasverfahren Quelle: Wikipedia

Nach dieser Definition galt der Gaskrieg als Kriegsverbrechen. Zwar gab es in der deutschen Führung durchaus Bedenken, aber man nahm den Einsatz letztendlich als angeblich notwendiges Übel hin. Nur wenig später, am 31. Mai 1915 mischte man bei einem Angriff Phosgen („Grünkreuz“) bei. Auf britischer Seite setzte man erstmals Gas am 25. September 1915 ein.

Im Laufe des weiteren Krieges kamen eine ganze Reihe weiterer Gasmischungen zum Einsatz mit verheerenden Folgen, genannt seien z.B. „Blaukreuz“, das Kontaktgift „Senfgas“ und Gelbkreuz“.

Über die Menge an eingesetzten Gasmischungen und die Opfer bis zum Ende des Krieges schreibt Wikipedia:

„… Insgesamt wurden im Ersten Weltkrieg etwa 112.000 Tonnen Giftgas eingesetzt, davon von Deutschland 52.000 Tonnen. Die genaue Anzahl der im Ersten Weltkrieg durch Kampfgas Vergifteten und Toten ist nur schwer festzustellen, zumal ein Großteil der Soldaten erst nach dem Krieg an den Spätfolgen verstarb. (…)

Insgesamt betrugen die Verluste ca. 100.000 Tote und 1,2 Millionen verwundeter Soldaten. Allein auf deutsche Seite wurden ca. 50 Blasangriffe geführt, bei denen durch wechselnde Windrichtung teilweise auch eigene Truppen gefährdet wurden. Den Höhepunkt der Blasangriffe stellen der 19. und 20. Januar 1916 dar, allein bei diesem Angriff wurden 500 Tonnen Chlor bei Reims abgeblasen.“

Neu entwickelte Gasgeschosse machten die „Blasangriffe“ überflüssig und man stellte diese ein. Im letzten Kriegsjahr 1918 wurde der Höhepunkt des Gaskrieges erreicht, in diesem Jahr war durchschnittlich jede dritte Granate mit Kampfstoff gefüllt. Anders als in den Vorjahren war allerdings die Verfügbarkeit der Gaskampfstoffe auf Seiten der Deutschen erschöpft.

Deutsche Infanterie während eines Gasangriffs in Flandern 1916 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-R05923 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=70850346

Nochmal zurück an den Beginn des Krieges und zur Verwendung Hindenburgs. Wikipedia schreibt:

„,,, Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges bemühte sich Hindenburg zunächst vergeblich um ein Kommando. Erst als die Lage an der Ostfront außer Kontrolle zu geraten drohte, wurde er zum Oberbefehlshaber der 8. Armee mit Generalmajor Erich Ludendorff als Stabschef ernannt.“

In seinen Erinnerungen klingt das dann so:

„… Ich hatte den Krieg schon zweimal kennengelernt, jedesmal unter kraftvoller politischer Führung vereint mit einfachen, klaren kriegerischen Zielen. Ich fürchtete den Krieg nicht, auch jetzt nicht! Aber ich kannte neben seinen erhebenden Wirkungen seine verheerenden Eingriffe in das menschliche Dasein zu gut, als dass ich ihn nicht hätte denkbar lange vermieden wissen wollen.

Und nun brach der Krieg über uns herein! Die Hoffnungslosigkeit, uns mit Frankreich auf dem bestehenden Boden vergleichen, den Geschäftsneid und die Rivalitätsangst Englands bannen, die russische Begehrlichkeit ohne unseren Bündnisbruch mit Österreich befriedigen zu können, hatte in Deutschland seit langem eine Stimmungsspannung hervorgerufen, in der der Kriegsausbruch fast wie eine Befreiung von einem beständigen, das ganze Leben beeinträchtigenden Drucke empfunden wurde.

Der deutsche kaiserliche Heerbann trat an! Eine stolze Kriegsmacht, wie sie die Welt in dieser Tüchtigkeit nur selten gesehen hat. Bei ihrem Anblick musste der Herzschlag des ganzen Volkes kräftiger werden. Doch nirgends Übermut im Angesicht der Aufgabe, die unserer harrte. Hatten doch weder Bismarck noch Moltke uns über die wuchtende Last eines solchen Krieges im Unklaren gelassen, stellte doch jeder Einsichtige bei uns sich die Frage, ob wir politisch, wirtschaftlich, militärisch und moralisch imstande sein würden durchzuhalten. Doch größer als die Sorge war zweifellos das Vertrauen.

In diesen Stimmungen und Gedanken traf auch mich die Nachricht vom Losbrechen des Sturmes. Der Soldat in mir wurde in seiner nunmehr alles beherrschenden Kraft wieder lebendig. Würde mein Kaiser und König meiner bedürfen? Gerade das letzte Jahr war ohne eine amtliche Andeutung dieser Art für mich vorübergegangen. Jüngere Kräfte schienen ausreichend verfügbar. Ich fügte mich dem Schicksal und blieb doch in sehnsuchtsvoller Erwartung.

Die Heimat lauschte in Spannung.

Die Nachrichten von den Kriegsschauplätzen entsprachen unseren Hoffnungen und Wünschen. Lüttich war gefallen, das Gefecht bei Mülhausen siegreich geschlagen, unser rechter Heeresflügel und unsere Mitte im Vorschreiten durch Belgien. Die ersten jubelatmenden Nachrichten über die Lothringer Schlacht drangen ins Vaterland. Auch aus dem Osten klang es wie Siegesfanfaren.

Nirgends Ereignisse, die sorgende Gedanken gerechtfertigt erscheinen ließen.

Am 22. August 3 Uhr nachmittags erhielt ich eine Anfrage aus dem Großen Hauptquartier Seiner Majestät des Kaisers, ob ich bereit zur sofortigen Verwendung sei.

Meine Antwort lautete: „Bin bereit.“

Noch bevor dieses Telegramm im Großen Hauptquartier eingetroffen sein konnte, erhielt ich ein zweites von dort. Danach rechnete man augenscheinlich bestimmt mit meiner Bereitschaft zur Annahme einer Feldstelle und teilte mir mit, dass General Ludendorff bei mir eintreffen werde. Weitere Mitteilungen aus dem „Großen Hauptquartier“ klärten dann die Sachlage für mich dahin auf, dass ich als Armeeführer sogleich nach dem Osten abzugehen hätte.“

Und er ging, Wikipedia schreibt:

„… Am 22. August 1914 wurde Hindenburg Oberbefehlshaber der 8. Armee. Bereits am nächsten Morgen reiste er nach Ostpreußen ab, wo er vier Tage später bei der Schlacht bei Tannenberg zum Generaloberst befördert wurde.

Oberkommando Ost, Hindenburg rechts von ihm Max Hoffmann links General Ludendorff, um 1916 Quelle: Wikipedia

Aber die „Schlacht bei Tannenberg“ (26. August bis 30. August 1914), fand in der Gegend südlich von Allenstein statt und so wurde sie auch anfänglich bezeichnet, auch in dem kaiserlichen Glückwunschtelegramm. (…)

Erst nachträglich wurde die Schlacht auf Wunsch Hindenburgs in Schlacht bei Tannenberg umbenannt. Im Deutschen gab es bereits eine so genannte Schlacht bei Tannenberg. Diese hatte 1410 zwischen den Dörfern Grünfelde, Tannenberg und Ludwigsdorf stattgefunden. Sie hatte mit einer entscheidenden Niederlage des Deutschen Ordens geendet. (…)

Hindenburg wollte mit der Benennung der siegreichen Schlacht von 1914 symbolisch die „Scharte von 1410“ ausgewetzt haben.“

Wie geschickt Hindenburg den propagandistischen Wert des Ortes ausschlachtete, zeigen seine „Erinnerungen“:

„… Am 24. August begab ich mich mit dem engeren Stabe in Kraftwagen zum Generalkommando des XX. Armeekorps und kam hierbei in den Ort, von dem die bald entbrennende Schlacht ihren Namen erhalten sollte.

Tannenberg! Ein Wort schmerzlicher Erinnerungen für deutsche Ordensmacht, ein Jubelruf slawischen Triumphes, gedächtnisfrisch geblieben m der Geschichte trotz mehr als 500jähriger Vergangenheit. Ich hatte bis zu diesem Tage das Schicksalsfeld deutscher östlicher Kultureroberungen noch nie betreten. Ein einfaches Denkmal zeugt dort von Heldenringen und Heldentod. In der Nähe dieses Denkmals standen wir an einigen der folgenden Tage, in denen sich das Geschick der russischen Armee Samsonoff zur vernichtenden Niederlage gestaltete.

Auf dem Wege von Marienburg nach Tannenberg vermehrten sich die Eindrücke vom Kriegselend, das über die unglücklichen Einwohner hereingebrochen war. Massen von hilflos Flüchtenden drängten sich mit ihrer Habe auf den Straßen und behinderten teilweise die Bewegungen unserer an den Feind marschierenden Truppen.

Bei dem Stabe des Generalkommandos traf ich das Vertrauen und den Willen, die für das Gelingen unseres Planes unerlässlich waren. Auch die Eindrücke über die Haltung der Truppe an dieser unserer zunächst bedenklichsten Stelle waren günstig.“

Nach diesem Einsatz im Osten beruhte Hindenburgs Rolle während dem bisherigen Kriegsverlauf auf seinem Mythos als „Sieger von Tannenberg“ und weniger auf seinen tatsächlichen militärischen Leistungen.

Schlacht an den Masurischen Seen 1914 Quelle: Wikipedia

Nur wenige Tage später folgte die Schlacht an den masurischen Seen und Hindenburg wurde mit Titeln und Orden überschüttet – am 2, September 1914 mit dem Orden „Pour le Mérite“ (die bis dahin höchste Tapferkeitsauszeichnung) – am 1. November wurde er „Oberbefehlshaber Ost“, also der Oberkommandierende aller deutschen Truppen an der Ostfront, wobei auch hier sicher Ludendorff die entscheidende Rolle spielt. Mit diesem Kommando sind die beiden faktisch die Befehlshaber eines „Militärstaates Ost“.

Und am 27. November 1914 erfolgte die Beförderung zum Generalfeldmarschall.

Wenige Wochen später, am 23. Februar 1915 wurde Hindenburg für den Sieg in der Winterschlacht in Masuren mit dem Eichenlaub zum Pour le Mérite geehrt und am 29. August 1916 erfolgte seine Ernennung zum Chef des Generalstabes des Feldheeres.

Glaubt man den Historikern, „ehrte“ man den falschen, denn Ludendorffs strategischem Geschick war der Sieg in erster Linie zu verdanken – Hindenburg selbst traf angeblich kaum Entscheidungen und erwähnte wiederholt, dass er während der Schlacht sehr gut geschlafen habe.

Aus Wikipedia:

„… Im August 1916 übernahm er mit Ludendorff die Oberste Heeresleitung, die schnell an Einfluss auf die Politik des Deutschen Reiches gewann und Wilhelm II. praktisch entmachtete. Hindenburg war dabei (mit)verantwortlich für entscheidende Weichenstellungen im Krieg wie die Eröffnung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges, die Ablehnung eines Verständigungsfriedens und die Diktatfrieden von Brest-Litowsk und Bukarest.“

Diese Machtfülle von Hindenburg und Ludendorff veranlasste Historiker und Soziologen von   einer regelrechten „Militärdiktatur“ der dritten OHL zu sprechen und dieser Begriff wurde von verschiedenen Historikern übernommen.

Widersprochen wurde mit dem Argument, dass sie die politische Führung nie verantwortlich übernommen hätten und durchaus auch innenpolitisch an Grenzen gestoßen seien. Übersehen wurde dabei, dass eine solche „totale Machtübernahme“, also auch die politische, gar nicht geplant war. Gleichwohl wies der Historiker Hans-Ulrich Wehler darauf hin, dass „die indirekte, gleichwohl massive „faktische Machtausübung“ der 3. OHL unübersehbar zutage“ getreten sei. Und der Historiker Wolfram Pyta charakterisiert Hindenburgs Herrschaft, wie sie seit 1916 ausgeübt wurde als Sonderform der charismatischen Herrschaft, so kann man es auch nennen, oder verharmlosen.

Prof Dr. Hans-Ulrich Wehler Quelle: Von Das blaue Sofa / Club Bertelsmann – https://www.flickr.com/photos/das-blaue-sofa/6357814073/sizes/l/in/photostream/, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=31892345

Seine Berufung zum Chef des Generalstabes des Feldheeres beschreibt Hindenburg in seinen Erinnerungen:

„… Es war bekanntlich nicht das erste Mal, dass mich mein Kaiserlicher und Königlicher Herr zur Besprechung über militärische Lagen und Absichten zu sich berief. Daher vermutete ich auch diesmal, dass Seine Majestät meine Anschauungen über eine bestimmte Frage persönlich und mündlich hören wollte. In der Annahme eines nur kurzen Aufenthaltes nahm ich auch nur das für einen solchen unbedingt nötige Gepäck mit mir. Am 29. August vormittags traf ich in Begleitung meines Chefs in Pleß ein. Auf dem Bahnhof empfing mich im Auftrage des Kaisers der Chef des Militärkabinetts. Aus seinem Munde erfuhr ich zuerst die für mich und General Ludendorff beabsichtigten Ernennungen.

Vor dem Schlosse in Pleß traf ich meinen Allerhöchsten Kriegsherrn selbst, der das Eintreffen Ihrer Majestät der Kaiserin, die von Berlin aus kurz nach mir Pleß erreicht hatte, erwartete. Der Kaiser begrüßte mich sogleich als Chef des Generalstabes des Feldheeres und General Ludendorff als meinen Ersten Generalquartiermeister. Auch der Reichskanzler war von Berlin aus erschienen und augenscheinlich von der Veränderung in der Besetzung der Chefstelle, die ihm Seine Majestät in meiner Gegenwart mitteilte, nicht weniger überrascht als ich selbst. Ich erwähne dies, weil auch hier die Legendenbildung eingesetzt hat.

Die Übernahme der Geschäfte aus den Händen meines Vorgängers vollzog sich bald nachher. General von Falkenhayn reichte mir zum Abschied die Hand mit den Worten: „Gott helfe Ihnen und unserem Vaterland!“

Welche Gründe unsere plötzliche Berufung in den neuen Wirkungskreis veranlassten, erfuhr ich aus dem Munde meines Kaisers, der meines Vorgängers stets ehrend gedachte, weder bei der Übernahme meiner neuen Stellung noch später. Derartige Feststellungen rein historischen Wertes zu machen, fehlte mir immer die Neigung, damals aber auch die Zeit. Drängten sich doch die Entscheidungen nicht nach Tagen sondern nach Stunden.“

Schloss Pless Quelle: Von Photo: Hons084 / Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0 pl, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28511186

Der Wunsch: „Gott helfe Ihnen und unserem Vaterland!“ war mehr als angebracht, denn dieser Krieg verlief nicht wie geplant und daran, dass man an Weihnachten wieder zu Hause sei, glaubte niemand mehr. – Einige „Episoden“ dieses Krieges habe ich schon erwähnt, andere sind in zwei Gedichtsammlungen von Klabund zu finden, der wie viele andere auch an die Mär vom überfallenen Deutschland glaubte, zum Beispiel im Band „Dragoner und Husaren“ (https://klabund.eu/wp/dragoner-und-husaren/ ) und in den „Soldatenliedern ( https://klabund.eu/wp/soldatenlieder/)

Helmuth Johannes Ludwig von Moltke Quelle: Wikipedia

Der deutsche Vormarsch kam im September 1914 bei der Schlacht an der Marne bereits zum Erliegen. Die Schlacht fand vom 5. bis 12. September 1914 entlang der Marne östlich von Paris statt. Diese Schlacht und der Rückzug leiteten bereits den später Jahre dauernden „Stellungskrieg“ ein. Dem Willen zur Fortführung des Krieges taten die erheblichen Verluste bereits im ersten Kriegsjahr keinen allzu großen Abbruch, Wikipedia schreibt:

„… Am 16. Oktober 1914 erschien die Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches. Sie war von über 3000 deutschen Hochschullehrern, also fast der gesamten Dozentenschaft der 53 Universitäten und Technischen Hochschulen Deutschlands, unterzeichnet, und rechtfertigte den Ersten Weltkrieg als „Verteidigungskampf deutscher Kultur“.

Es folgten die vier „Flandernschlachten“ und mit diesen endete endgültig der „Bewegungskrieg“ und an der Westfront entstand eine über 700 Kilometer lange Front mit einem ausgedehnten System aus Schützengräben.

Am 21. Februar 1916 begann die Schlacht um Verdun, die grausamste und verlustreichste Schlacht dieses Krieges und sie endete am 19. Dezember 1916. Auch unter Hindenburgs Oberbefehl war diese „Blutmühle“ erfolglos.

Auch die folgende Schlacht an der Somme war eine sehr verlustreiche und führte letztendlich zur Ablösung der bisherigen OHL Generalstabschef Erich von Falkenhayn, Nachfolger wie schon geschrieben Paul von Hindenburg. Dieser brach die Offensivaktionen gegen Verdun ab.

Aus Wikipedia:

„… Die Ernennung der 3. OHL bedeutete aber auch eine politische Wende, die hin zur faktischen Militärdiktatur führte: „Der Monarch rückte mit der Berufung des durch ihren Nimbus quasi unabsetzbaren Feldherrenduos Hindenburg/Ludendorff nicht nur noch weiter als bisher im Krieg in den Hintergrund, sondern geriet auch in den politischen Sog der OHL. (…) Das unentbehrliche Feldherrenduo war bereit, weit über die militärischen Kompetenzen in die Politik einzugreifen, den Kaiser unter Druck zu setzen und selbst auf die Personalauswahl – dem Zentrum kaiserlicher Macht – entscheidenden Einfluss auszuüben. (…)

Die Schlacht vor Verdun forderte 337.000 Mann Verluste bei den Deutschen (darunter 143.000 Tote), 377.000 Mann bei den Franzosen (162.000 Tote). Auf dem etwa 30 Kilometer breiten und 10 Kilometer tiefen Schlachtfeld waren mindestens 36 Millionen Granaten niedergegangen.“

Das Kriegsjahr 1917 begann am 1. Februar mit der Erklärung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges – das vorausgegangene Friedensangebot der Mittelmächte wurde abgelehnt – und am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg und der Winter 1916/17 führte unter der Bezeichnung “Steckrübenwinter“ zu Engpässen in der Versorgung der Bevölkerung und endlich wankte der Glaube an die angeblich „gerechte Sache“ dieses Krieges.

Deutsches U-Boot vom Typ UC I, eingesetzt ab 1915 Quelle: Wikipedia

Wikipedia:

„… Am 6. Juli löste die Reichstagsrede von Matthias Erzberger (Deutsche Zentrumspartei) eine „Sensation in allen politischen Kreisen“ aus: Der konservative Politiker, ursprünglich Verfechter eines „Siegfriedens“, wies den Militärs falsche Angaben über die Effektivität des U-Boot-Krieges nach und setzte sich für einen „Verständigungsfrieden“ ein: Deutschland müsse auf Annexionen verzichten.“

Hindenburg und Ludendorff lehnten den Vorschlag ab und forderten den Rücktritt des Reichskanzlers Bethmann Hollweg und setzten sich nach einigem Gerangel schließlich durch, also hatten sie doch auch eine politische Macht. Der Nachfolger Reichskanzler Michaelis erwies sich als Erfüllungsgehilfe der OHL, blieb aber nicht lange im Amt; auf Drängen der Reichstagsmehrheit wurde am 1. November Georg von Hertling ernannt.

Theobald von Bethmann Hollweg Quelle: Von Unbekannt – Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz [1], CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=45995781
Der von Präsident Wilson am 8. Januar 1918 vorgelegte 14 Punkte Plan – er enthielt unter anderem die Räumung und Wiederherstellung Belgiens, Serbiens und Montenegros sowie die Räumung und Aufgabe von Elsass-Lothringen, die Gründung eines eigenen polnischen Staates, die Freiheit der Meere, Rüstungsbeschränkungen und die „autonome Entwicklung“ für die Völker Österreich-Ungarns – wurde sowohl von Deutschland, als auch von Österreich-Ungarn abgelehnt.

Nach dem Friedensschluss mit Russland in Brest-Litowsk und dem freiwerden von Truppenverbänden beschlossen Hindenburg und Ludendorff eine Offensive an der Westfront, die vor dem Eintreffen der Amerikaner eine Wendung geben sollte. Ein weiterer Aspekt war die schlechte Versorgungslage in der Heimat, die eine rasche militärische Entscheidung notwendig erschienen ließ.

Am frühen Morgen des 21. März 1918 begann diese Offensive, hatte jedoch bei hohen, nicht mehr ausgleichbaren Verlusten einen großen neuen Frontbogen geschaffen und keinerlei strategische Ziele erreicht und am 5. April wurde das „Unternehmen Michael“ eingestellt.

Ludendorff eröffnete weitere Angriffe, auch diese scheiterten. „Der eigentliche Wendepunkt des Krieges an der Westfront war die zweite Schlacht an der Marne: Der am 15. Juli begonnene deutsche Angriff mit allen noch zur Verfügung stehenden Truppen kam zunächst gut voran, am 18. Juli führten Franzosen und Amerikaner jedoch einen Gegenangriff mit massiven Einsatz kleiner und wendiger Panzer. Die abgekämpften, schlecht versorgten und deshalb (einigen Autoren zufolge) von der ersten Welle der Spanischen Grippe stärker als die Alliierten betroffenen deutschen Truppen wurden überrascht und zogen sich wieder über die erst drei Tage zuvor überschrittene Marne zurück. Die rückwärtigen Verbindungen der 7. Armee waren gefährdet; nahezu das gesamte im Mai und Juni eroberte Gebiet musste aufgegeben werden. Der 18. Juli galt in der zeitgenössischen offiziellen Kriegsgeschichtsschreibung als eigentliche „Schicksalswende des Krieges“. Die Alliierten gewannen an diesem Tag die Initiative, um sie bis Ende des Krieges nicht mehr abzugeben“ schreibt Wikipedia.

Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff am Kartentisch nach einem Gemälde von Hugo Vogel Quelle: Wikipedia

Um es kurz zu machen, die deutsche Armee steckte Niederlage um Niederlage ein und am 13. August kam die OHL zur Einsicht, dass die Initiative im Krieg nicht mehr wiedergewonnen werden könne. Ein Friedensangebot an die Alliierten lehnten Hindenburg und Ludendorff ab und ihre Auffassung war nach wie vor ausschlaggebend.

Ein neues Kabinett sandet in der Nacht vom 4. auf 5. Oktober eine Note an Präsident Wilson, in der dieser gebeten wurde, auf der Grundlage seiner 14 Punkte die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen und einen sofortigen Waffenstillstand herbeizuführen.

Wikipedia schreibt:

„… Wilson forderte eine Garantie der fortwährenden militärischen Überlegenheit der Alliierten (also eine weitgehende Entwaffnung Deutschlands) und eine parlamentarische Kontrolle von Politik und Militär. Ludendorff und Hindenburg nahmen inzwischen wieder eine ablehnende Haltung gegen Friedensverhandlungen ein, fuhren ohne kaiserliche Erlaubnis vom Hauptquartier nach Berlin und erklärten in einem Armeebefehl (24. Oktober), dass die letzten Wilson-Noten (Entwaffnung) unannehmbar seien. Reichskanzler Max von Baden konnte die Insubordination der OHL nachweisen und bestand auf einen personellen Wechsel. Ludendorff und Hindenburg mussten Kaiser Wilhelm am 26. Oktober um ihre Entlassung bitten, der Kaiser nahm Ludendorffs Entlassungsgesuch an, nicht jedoch jenes von Hindenburg. Mit den Oktoberreformen kam es zu einem Wandel des Regierungssystems, Deutschland war formal vom 28. Oktober bis zum 9. November einmalig in seiner Geschichte eine parlamentarische Monarchie.“

In Deutschland streikten in Kiel die Matrosen, nachdem sie ein Auslaufen der Flotte zu einer letzten und völlig sinnlosen Seeschlacht verweigert hatten. Politisch konnte diese „Aufstände“ nicht verhindert werden und überall im Reich bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die am 9. November die Abdankung des Kaisers erzwangen.

Um 14 Uhr des 9. Novembers rief Philipp Scheidemann – ohne Abstimmung mit Friedrich Ebert die deutsche Republik aus und Karl Liebknecht vom Spartakusbund proklamierte um 16 Uhr die „freie sozialistische Republik Deutschland“

Philipp Scheidemann, 1918 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1970-051-17 / Grohs (Groß), Alfred / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5482548

Vorausgegangen war am 29. Oktober eine Konferenz der alliierten Kriegskoalition in Paris und dort sah man im Waffenstillstandsersuchen das Eingeständnis der Niederlage Deutschland.

In Berlin war zuvor bereits daran gedacht worden – mit vollem Einverständnis der OHL, also Hindenburgs und Ludendorffs, eine Delegation mit weißer Fahne als Zeichen der Kapitulation über die Frontlinie zu schicken.

Die vierköpfige Delegation – bestehend aus Matthias Erzberger, einem Diplomaten und zwei hohen Offizieren traf am 7. November im Wald von Compiègne ein, wo ihnen die Waffenstillstandsbedingungen vorgelegt wurden.

Matthias Erzberger 1919 als Abgeordneter der Weimarer Nationalversammlung Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1989-072-16 / Kerbs, Diethart / CC BY-SA 3.0 DE, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5419492

Hindenburg forderte die deutsche Delegation am Abend des 8. November ausdrücklich auf, die Bedingungen auch dann zu akzeptieren, wenn keine Verbesserungen möglich seien und so unterzeichnete am 11. November die deutsche Delegation.

17 Millionen Todesopfer und etwa 20 Millionen Verwundete waren die Bilanz dieses Krieges, hinzu kamen weitere sieben Millionen ziviler Opfer. Allein im Deutschen Reich leisteten im Kriegsverlauf über 13 Millionen Mann Militärdienst, 2 Millionen von ihnen starben. Zu den Kriegsfolgen gehörte auch die Zerstörung nationaler politischer Systeme, was in Deutschland endlich das Ende der Monarchie bedeutete.

Bei Kriegsende stand Deutschland vor einem Schuldenberg in Höhe von 156 Milliarden Mark.

Um es klar auszudrücken, die OHL hielt den Krieg für nicht mehr fortsetzbar und „trat“ die Verantwortung an die Politik ab. Vor allem aber Hindenburg wollte dies verschleiern. In seinen Erinnerungen wirft er Nebelkerze um Nebelkerze aus, er schreibt:

„… Vom 29. September zum 26. Oktober

Wäre in dem Buch des großen Krieges das Kapitel über das Heldentum des deutschen Heeres nicht schon längst geschrieben gewesen, so würde es in dem letzten furchtbaren Ringen mit dem Blute unserer Söhne in ewig unauslöschlicher Schrift geschehen sein. Welch ungeheure Anforderungen wurden in diesen Wochen an die Körper- und Seelenkräfte von Offizieren und Mannschaften aller Stäbe und Truppenteile gestellt! Die Truppen mussten auch jetzt wieder von einem Kampf in den anderen geworfen, von einem Schlachtfeld auf das andere geführt werden. Kaum, dass die sogenannten Ruhetage ausreichten, die zerschossenen oder zersprengten Verbände neu zu ordnen, ihnen Ersatz zuzuführen, die Bestände aufgelöster Divisionen in die Truppenteile anderer einzuordnen. Offiziere wie Mannschaften begannen wohl zu ermatten, aber sie rissen sich immer wieder empor, wenn es galt, den feindlichen Anstürmen Halt zu gebieten. Offiziere aller Dienstgrade bis zu den höheren Stäben hinauf wurden Mitkämpfer in den vordersten Linien, teilweise mit dem Gewehr in der Hand. Zu befehlen gab es ja vielfach nichts anderes mehr als: „Aushalten bis zum Äußersten.“

Deutsche Infanterie in Deckung Quelle: Wikipedia

Ja: „Aushalten!“ Welch eine Entsagung nach so vielen ruhmreichen Tagen glänzender Erfolge. Für mich kann der Anblick solch todesmutigen Kämpfens nicht beeinträchtigt werden durch einzelne Bilder des Verzagens und des Versagens. In einem solchen entsagungsvollen Ringen, in dem jeder Aufschwung siegreichen Kraftgefühles fehlt, müssen menschliche Schwächen stärker zur Geltung kommen als sonstwo.

Für zusammenhängende Linien fehlte es an Kräften. In Gruppen und Grüppchen leistet man Widerstand. Erfolgreich ist solcher nur, weil auch der Gegner sichtbar ermattet. Wo seine Panzerwagen nicht Bahn brechen, wo seine Artillerie nicht alles deutsche Kampfleben ertötet hat, da schreitet er nur selten noch zu großen Gefechtshandlungen. Er stürmt nicht auf unsern Widerstand los, er schleicht sich allmählich ein in unsere lückenreichen, zerschmetterten Kampflinien. An dieser Tatsache hatte sich meine Hoffnung immer wieder aufgerichtet, die Hoffnung, aushalten zu können bis zur Erlahmung des Gegners.

Wir haben keine neue Kraft mehr einzusetzen wie der Feind. Statt eines frischen Amerikas haben wir nur ermattete Bundesgenossen, und auch diese stehen hart vor dem Zusammenbruch.

Wie lange wird unsere Front diese ungeheure Belastung noch zu tragen vermögend? Ich stehe vor der Frage, vor der schwersten aller Fragen: „Wann müssen wir zu einem Ende kommen?“ Wendet man sich in solchen Fällen an die große Lehrmeisterin der Menschheit, an die Geschichte, so ermahnt sie nicht zur Vorsicht, sondern zur Kühnheit. Richte ich meine Blicke auf die Gestalt unseres größten Königs, so erhalte ich die Antwort: „Durchhalten!“

Gewiss, die Zeiten sind anders geworden, als sie es fast 160 Jahre früher waren. Nicht ein geworbenes Heer, sondern das ganze Volk führt den Krieg, ist in ihn hineingerissen, blutet und leidet. Aber die Menschheit ist im Grunde genommen die gleiche geblieben mit ihren Stärken und Schwächen. Und wehe dem, der vorzeitig schwach wird. Alles vermag ich zu verantworten, dieses niemals!

So tobt mit dem Kampf auf dem Schlachtfeld gleichzeitig ein anderer Kampf. Sein Schauplatz liegt in unserem Innern. Auch in diesem Kampfe stehen wir allein. Niemand rät uns als die eigene Überzeugung und das Gewissen. Nichts hält uns aufrecht, als die Hoffnung und der Glaube. Sie bleiben in mir stark genug, um auch noch andere zu stützen.

Aber immer dunkler wird es um uns! Mag auch der deutsche Mut an der Westfront dem Gegner noch immer den entscheidenden Durchbruch wehren, mögen Frankreich und England sichtlich ermatten, mag Amerikas erdrückende Überlegenheit an einem Tage tausendfach ergebnislos bluten, so nehmen doch unsere Kräfte sichtlich ab. Sie werden um so früher versagen, je bedrückender die Nachrichten aus dem fernen Osten auf sie wirken. Wer schließt die Lücke, wenn Bulgarien endgültig zusammenbricht? Manches können wir wohl noch leisten, aber wir vermögen nicht eine neue Front aufzubauen. Eine neue Armee ist freilich in Serbien in Bildung begriffen, aber wie schwach sind diese Truppen! Unser Alpenkorps hat kaum noch gefechtsfähige Verbände; eine der anrollenden österreichisch-ungarischen Divisionen wird für völlig unbrauchbar erklärt; sie besteht aus Tschechen, die voraussichtlich den Kampf verweigern. Liegt auch der Schauplatz in Syrien weit ab von der Entscheidung des Krieges, so zermürbt die dortige Niederlage doch zweifellos den treuen türkischen Genossen, der nun auch in Europa wieder bedroht wird. Wie wird Rumänien sich verhalten, was werden die großen Trümmer Russlands tun? Alles dies drängt auf mich ein und erzwingt den Entschluss, nun doch ein Ende zu suchen, das heißt ein Ende in Ehren. Niemand wird sagen: „Zu früh.“

In solchen Gedanken und mit dem gereiften Entschluss trifft mich mein Erster Generalquartiermeister am späten Nachmittag des 28. September. Ich sehe ihm an, was ihn zu mir führt. Wie so oft seit dem 23. August 1914 fanden sich unsere Gedanken auch heute, bevor sie zu Worten geworden sind. Unser schwerster Entschluss wird auf gleicher Überzeugung gefasst.

Erich Ludendorff Quelle: Wikipedia

In den Vormittagsstunden des 29. September erfolgt unsere Beratung mit dem Staatssekretär des Auswärtigen Amtes. Die Lage nach außen wird von ihm mit wenig Worten gekennzeichnet: Bis jetzt alle Versuche eines friedlichen Ausgleichs mit den Gegnern gescheitert und keine Aussicht, durch Verhandlungen unter Vermittlung neutraler Mächte irgendeine Annäherung an die feindlichen Staatslenker zu erreichen. Der Staatssekretär bespricht dann die innere Lage der Heimat: die Revolution stehe vor der Türe, man habe die Wahl, ihr mit Diktatur oder Nachgiebigkeit entgegenzutreten; parlamentarische Regierung sei das beste Abwehrmittel.

Wirklich das beste? Wir wissen, welch gewaltige Belastungen wir der Heimat gerade jetzt durch unseren Schritt zum Waffenstillstand und Frieden auferlegen müssen, ein Schritt, der dort begreiflicherweise schwere Sorgen über die Lage an der Front und über unsere Zukunft auslösen wird. In diesem Augenblick, wo so viele Hoffnung zu Grabe getragen, wo bitterste Enttäuschung sich mit tiefster Erbitterung mengen wird, wo jeder nach einem festen Halt im Staatswesen blickt, sollen die politischen Leidenschaften in höhere Wallung versetzt werden? In welcher Richtung werden sie ausschlagen? Sicherlich nicht in der Richtung der Erhaltung sondern in derjenigen der weiteren Zerstörung. Die das Unkraut in unsere Saat gesäet haben, werden die Zeit der Ernte für gekommen erachten. Wir beginnen, zu gleiten.

Glaubt man durch Nachgiebigkeiten im eigenen Heim einen Gegner milder stimmen zu können, der sich durch das Schwert nicht zwingen ließ? Fragt diejenigen unserer Soldaten, die im Vertrauen auf die feindlichen Verlockungen leider freiwillig die Waffen aus der Hand legten! Die feindliche Maske fiel gleichzeitig mit der deutschen Waffe. Die verblendeten Deutschen wurden nicht um ein Haar menschenwürdiger behandelt als ihre sich bis zur letzten Kraft wehrenden Kameraden. Dies Bild im Kleinen wird sich im Großen, ja im Größten wiederholen.

Wir müssen auch befürchten, dass die Bildung einer neuen Regierung den Schritt, den wir so lange als möglich hinausschoben, noch weiter verzögern wird. Zu bald haben wir ihn wahrlich nicht getan. Soll er durch die staatliche Neuordnung verspätet werden?

Das sind meine Sorgen; sie gleichen denjenigen des Generals Ludendorff.

Auf Grund unserer Beratung unterbreiten wir Seiner Majestät dem Kaiser unseren Vorschlag zum Friedensschritt. Mir obliegt es, dem Allerhöchsten Kriegsherrn zur Begründung des politischen Aktes die militärische Lage zu schildern, deren jetziger Ernst dem Kaiser nicht unbekannt ist. Seine Majestät billigt, was wir vortragen, mit festem, starkem Herzen.

Wilhelm II. in Armeeuniform, um 1915 Quelle: Wikipedia

Wie immer bisher, so vermischen sich auch jetzt unsere Sorgen um das Heer mit denen um die Heimat. Kann das Eine nicht standhalten, so bricht auch das Andere zusammen. In dem gegenwärtigen Augenblick, mehr wie in jedem anderen vorher, muss sich dies beweisen.

Mein Allerhöchster Kriegsherr kehrt in die Heimat zurück, wohin ich ihm am 1. Oktober folge. Ich möchte dem Kaiser nahe sein, wenn er in diesen Tagen meiner bedürfen sollte. Politische Einwirkungen ausüben zu wollen, lag mir fern. Zu Aufschlüssen für die sich neubildende Regierung war ich bereit und beantwortete ihre Anfragen, soweit dies nach meiner Überzeugung möglich war. Ich hoffte, Pessimismus zu bekämpfen und Vertrauen wieder aufzurichten. Die innern Erschütterungen erwiesen sich aber bereits als zu schwere, um diesen Zweck noch erreichen zu können. Ich selbst hatte auch damals noch die feste Zuversicht, dass wir dem Gegner trotz des Abnehmens unserer Kräfte das Betreten unseres vaterländischen Bodens monatelang verwehren konnten. Gelang dies, so war auch die politische Lage nicht hoffnungslos. Stillschweigende Voraussetzung war freilich hierbei, dass unsere Landesgrenzen nicht etwa von Osten oder Süden bedroht würden, und dass die Heimat in ihrem Innern feststand.

In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober erging unser Angebot an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Die von ihm im Januar dieses Jahres aufgestellten Grundlinien für einen „gerechten Frieden“ waren von uns angenommen worden.

Uns selbst blieb zunächst nur die Fortsetzung des Kampfes. Das Nachlassen der Spannkraft der Truppe, das Schwinden der Kämpferzahlen, die wiederholten Einbrüche des Gegners zwangen uns an der Westfront zu weiterem allmählichen Ausweichen in kürzere Linien. Was ich der Reichsleitung am 3. Oktober erklärt hatte, wurde ausgeführt: Wir klammerten uns so viel wie möglich an den feindlichen Boden. Die Bewegungen und Schlachten behielten den gleichen Charakter, wie seit Mitte August. Der Abnahme unserer Kampfkraft entsprach auch weiterhin eine gleiche Abnahme gegnerischer Angriffslust. Irrten sich die Feinde in dem Glauben, dass wir ganz zusammenbrechen, so irrten wir uns andererseits in der Hoffnung, dass die Gegner völlig erlahmen würden. So war der endgültige Ausgang des Kampfes nicht mehr zu ändern, wenn es uns nicht gelang, ein Aufgebot letzter heimatlicher Kraft zustande zu bringen. Eine Massenerhebung des Volkes würde den Eindruck auf den Gegner und unser eigenes Heer nicht verfehlt haben. War aber eine solche brauchbare Lebensstärke und opferwillige Masse noch vorhanden? Jedenfalls war unser Versuch, eine solche in die Front zu bringen, vergeblich.

Prinz Max von Baden Von Bundesarchiv, Bild 183-R04103 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5367974

Die Heimat erlahmte früher als das Heer. Unter diesen Umständen vermochten wir dem immer härter werdenden Druck des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika keinen eindrucksvollen Widerstand entgegenzusetzen. Unsere Regierung gab nach in der Hoffnung auf Milde und Gerechtigkeit. Der deutsche Soldat und der deutsche Staatsmann gingen in verschiedenen Richtungen. Der eingetretene Riß wurde nicht mehr beseitigt. Mein letzter Versuch, zu einem vereinten Schlagen ergibt sich aus folgendem Brief an den Reichskanzler vom 24. Oktober 1918:

„Euerer Großherzoglichen Hoheit darf ich nicht verhehlen, dass ich in den letzten Reichstagsreden einen warmen Aufruf zu Gunsten und für die Armee schmerzlich vermisst habe.

Ich habe von der neuen Regierung erhofft, dass sie alle Kräfte des gesamten Volkes in den Dienst der vaterländischen Verteidigung sammeln würde. Das ist nicht geschehen. Im Gegenteil, es ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nur von Versöhnung, nicht aber von Bekämpfung des dem Vaterlande drohenden Feindes gesprochen. Dies hat auf die Armee erst niederdrückend, dann erschütternd gewirkt. Ernste Anzeichen beweisen dies.

Zur Führung der nationalen Verteidigung braucht die Armee nicht nur Menschen sondern den Geist der Überzeugung für die Notwendigkeit, zu kämpfen, und den seelischen Schwung für diese hohe Aufgabe.

Euere Großherzogliche Hoheit werden mit mir überzeugt sein, dass, in Anerkennung der durchschlagenden Bedeutung der Moral des Volkes in Waffen, Regierung und Volksvertretung solchen Geist in Heer und Volk hineintragen und erhalten müssen.

An Euere Großherzogliche Hoheit als das Haupt der neuen Regierung richte ich den ernsten Ruf, dieser heiligen Aufgabe zu entsprechen.“

Es war zu spät. Die Politik forderte ihre Opfer; das erste wurde am 26. Oktober gebracht.

Am Abend dieses Tages fuhr ich von der Reichshauptstadt, wohin ich mich mit meinem Ersten Generalquartiermeister zum Vortrag bei unserem Allerhöchsten Kriegsherrn begeben hatte, nach dem Großen Hauptquartier zurück. Ich war allein. Seine Majestät hatte dem General Ludendorff den erbetenen Abschied bewilligt, meine gleiche Bitte abgeschlagen.

Am folgenden Tage betrat ich die bisher gemeinsamen Arbeitsräume wieder. Mir war zumute, wie wenn ich von der Beerdigung eines mir besonders teuren Toten in die verödete Wohnung zurückkehrte.

Bis zum heutigen Tage, ich schreibe dies im September 1919, habe ich meinen vieljährigen treuen Gehilfen und Berater nicht wieder gesehen. Ich habe ihn in meinen Gedanken viel tausendmal gesucht und in meinem dankerfüllten Herzen stets gefunden!

Wilhelm Groener 1917 mit seiner ersten Frau Helene Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-R10386 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5368253

Vom 26. Oktober zum 9. November 

Mein Allerhöchster Kriegsherr verfügte auf meine Bitte die Ernennung des Generals Gröner zum Ersten Generalquartiermeister. Der General war mir aus seinen früheren Kriegsverwendungen wohlbekannt. Ich wusste, dass er eine vortreffliche organisatorische Begabung und eine gründliche Kenntnis der inneren Verhältnisse unseres Vaterlandes besaß. Die kommenden gemeinsamen Zeiten brachten mir den reichlichen Beweis dafür, dass ich mich in meinem neuen Mitarbeiter nicht getäuscht hatte.

Die Aufgaben, die des Generals harrten, waren ebenso schwierig als undankbar. Sie forderten eine rastlose Tätigkeit, eine volle Selbstentsagung und jeden Versucht auf einen anderen Ruhm, als denjenigen hingehendster Pflichterfüllung, und auf jede andere Anerkennung, als diejenige seiner augenblicklichen Mitarbeiter. Wir alle kannten die Größe und die Schwierigkeiten des Werkes, das seiner harrte.

Unsere gesamte Lage begann sich immer weiter zu verschlechtern. Ich möchte sie nur in Streiflichtern beleuchten: (…)

Österreich-Ungarn löste sich in seine politischen Bestände wie in seiner Wehrkraft auf. Es gab nicht nur sich selbst, sondern auch unsere Landesgrenzen preis. In Ungarn erhob sich die Revolution im Hasse gegen die Deutschen. Konnte das überraschend wirken? Gehörte dieser Hass nicht zum Stolze des Magyaren? Im Kriege hatte man freilich im Ungarlande anders empfunden, wenn der Russe an die Grenze pochte. Ein wiederholtes gewaltiges Pochen! Mit welchem Jubel waren die deutschen Truppen auch begrüßt, mit welcher Hingebung verpflegt, selbst verwöhnt worden, als es sich darum handelte, Serbien niederzuschlagen. Welch eine Begeisterung empfing uns, als wir zur Wiedereroberung Siebenbürgens erschienen! Dankesbetätigung ist im menschlichen Dasein selten, im staatlichen Leben noch weit seltener. (…)

Wenn jetzt in Deutschland einzelne Kreise auf den Hass ehemaliger Bundesgenossen gegen uns hinweisen und darin einen Beweis unserer verfehlten politischen und militärischen Haltung erblicken, so übersehen sie dabei wohl, dass Ausbrüche des Hasses aus Freundesmund auch im feindlichen Lager ertönten. Ballten sich doch Fäuste französischer Soldaten vor unseren Augen unter Schimpfworten gegen den englischen Bundesgenossen. Riefen doch französische Stimmen zu uns herüber: „Heute mit England gegen Euch, morgen mit Euch gegen England!“ Schrie doch ein französischer Soldat im März des Jahres 1918, hinweisend auf die Trümmer des Domes von St. Quentin, seinen englischen mit ihm gefangenen Waffengenossen zornesbebend zu: „Das wäret Ihr!“

Ich hoffe, dass die Äußerungen des Missverstehens zwischen uns und unsern ehemaligen Verbündeten mehr und mehr verstummen werden, wenn die düstern Nebel sich verziehen, die die Wahrheit verhüllen, und die unsern bisherigen Kampfgenossen zur Zeit den freien Blick auf die gemeinsamen Ruhmesfelder nehmen, auf denen das deutsche Leben zur Verwirklichung auch ihrer Pläne und Träume eingesetzt wurde.

Der Zusammenbruch zeigt sich von Ende Oktober ab überall; nur an der Westfront wussten wir ihn immer noch zu verhindern. Schwächer wurde dort der feindliche Andrang, matter aber freilich auch unser Widerstand. Immer kleiner wurde die Zahl der deutschen Truppen, immer größer wurden die freien Lücken in den Verteidigungsstellungen. Nur wenige frische deutsche Divisionen, und Großes hätte geleistet werden können. Vergebliche Wünsche, eitle Hoffnungen! Wir sinken, denn die Heimat sinkt. Sie kann uns kein neues frisches Leben mehr geben, ihre Kraft ist verbraucht!

Wilhelm Gröner Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-01049 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5479314

General Gröner begibt sich am 1. November zur Front. Das Zurücknehmen unserer Verteidigung in die Stellung Antwerpen-Maas ist unsere demnächstige Sorge. Der Entschluss ist einfach, die Ausführung schwer. Kostbarstes Kampfmaterial liegt noch feindwärts in dieser Linie, doch kostbarer als dessen Rettung ist für uns die Zurückführung von 80.000 Verwundeten in den vorwärts befindlichen Lazaretten. So wird die Durchführung des Entschlusses aus Dankesgefühlen, die wir unseren blutenden Kameraden schulden, verzögert. Dauernd kann freilich die jetzige Lage nicht mehr gehalten werden. Dazu sind unsere Kräfte nunmehr zu schwach und zu müde geworden. Dazu ist der Druck zu stark, der von den frischen amerikanischen Massen auf unsere empfindlichste Stelle im Maasgebiet ausgeübt wird. Der Kampf dieser Massen wird aber die Vereinigten Staaten für die Zukunft belehrt haben, dass das Kriegshandwerk nicht in wenigen Monaten zu erlernen ist, dass die Unkenntnis dieses Handwerkes im Ernstfalle Ströme von Blut kostet.

Mit der deutschen Kampflinie hält damals auch noch die Etappe, der Lebensnerv, der zur Heimat führt. Düstere Bilder zeigen sich freilich hier und da, aber in der Gesamtheit ist noch innerer Halt. Lange wird es indessen nicht mehr dauern können. Die Spannung ist auf das äußerste gestiegen. Erfolgt irgendwo eine Erschütterung, sei es in Heimat oder Heer, so ist der Zusammenbruch unvermeidlich.

Das sind meine Eindrücke in den ersten Tagen des November.

Die befürchtete Erschütterung kündigt sich an. In der Heimat regt es sich mit Gewalt. Der Umsturz beginnt. Noch am 5. November eilt General Gröner in die Reichshauptstadt, da er voraussieht, was kommen muss, wenn man jetzt in den letzten Stunden nicht zusammenhält. Er tritt für seinen Kaiser ein und schildert die Folgen, wenn man dem Heere sein Haupt nimmt. Umsonst! Der Umsturz ist schon in unaufhaltsamem Marsche, und nur durch Zufall entgeht der General auf der Rückreise ins Hauptquartier den Händen der Revolutionäre. Das ist am Abend des 6. November.

Ein Fieber beginnt nunmehr den ganzen Volkskörper zu schütteln. Ruhiges überlegen schwindet. Man denkt nicht mehr an die Folgen für das Ganze, sondern nur noch an das Durchsetzen eigener Leidenschaften. Diese machen nicht mehr Halt vor den wahnwitzigsten Plänen. Denn gibt es einen wahnwitzigeren, als den, dem Heere das weitere Leben unmöglich zu machen? War je ein größeres Verbrechen menschlichem Denken und menschlichem Hasse entsprungen? Der Körper wird nach außen machtlos; zwar schlägt er noch um sich, aber er stirbt. Ist es überraschend, dass der Gegner mit solch einem Körper macht, was er will, dass er seine harten Bedingungen noch härter auslegt, als er sie geschrieben hat?

Alle Versprechungen, die die gegnerische Propaganda uns verkündet hatte, sind verstummt. Die Rache tritt in ihrer nackten Gestalt auf: „Wehe dem Besiegten!“ Ein Wort, das aber nicht nur dem Hasse sondern auch der Furcht entspringt.

So ist die Lage am 9. November. Das Drama schließt an diesem Tage nicht, erhält aber eine neue Farbe. Der Umsturz siegt. Verweilen wir nicht bei seinen Gründen. Er trifft zunächst vernichtend die Stütze des Heeres, den deutschen Offizier. Er reißt ihm, wie ein Fremdländer sagt, den verdienten Lorbeer vom Haupte und drückt ihm die Dornenkrone des Martyriums auf die blutende Stirne. Der Vergleich ist ergreifend in seiner Wahrheit. Möge er jedem Deutschen zum Herzen sprechen!

Das äußere Zeichen des Sieges der neuen Gewalt ist der Sturz der Throne. Auch das deutsche Kaisertum fällt.

Wilhelm II. Quelle: Wikipedia

Man verkündet im Vaterlande die Thronentsagung seines Kaisers und Königs, ehe der Entschluss dazu von diesem gefasst ist. Auf dunklem Wege vollzieht sich so manches in diesen Tagen und Stunden, was dem Lichte der Geschichte hoffentlich dereinst nicht entgehen wird.

Der Gedanke wird erwogen, mit unseren Fronttruppen in der Heimat Ordnung zu schaffen. Jedoch zahlreiche Kommandeure, Männer, würdig des größten Vertrauens und fähig des tiefsten Einblickes, erklären, dass unsere Truppen zwar noch die Front nach dem Feinde behalten werden, dass sie aber die Front gegen die Heimat nicht nehmen würden.

Ich bin meinem Allerhöchsten Kriegsherrn in jenen Stunden zur Seite. Er überträgt mir die Aufgabe, das Heer in die Heimat zurückzuführen. Als ich am Nachmittag des 9. November meinen Kaiser verlasse, sollte ich ihn nicht mehr wiedersehen! Er war gegangen, um dem Vaterlande neue Opfer zu ersparen, um ihm günstigere Friedensbedingungen zu schaffen.

Mitten in dieser gewaltigsten kriegerischen und politischen Spannung verlor das deutsche Heer seinen innersten Halt. Für hunderttausende getreuer Offiziere und Soldaten wankte damit der Untergrund ihres Fühlens und Denkens. Schwerste innere Konflikte bahnten sich an. Ich glaubte, vielen der Besten die Lösung dieser Konflikte zu erleichtern, wenn ich voranschritte auf dem Wege, den mir der Wille meines Kaisers, meine Liebe zu Vaterland und Heer und mein Pflichtgefühl wiesen. Ich blieb auf meinem Posten.

MEIN ABSCHIED

Wir waren am Ende!

Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speerwurf des grimmen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken. Unsere Aufgabe war es nunmehr, das Dasein der übriggebliebenen Kräfte unseres Heeres für den spätern Aufbau des Vaterlandes zu retten. Die Gegenwart war verloren. So blieb nur die Hoffnung auf die Zukunft.

Heran an die Arbeit!

Ich verstehe den Gedanken an Weltflucht, der sich vieler Offiziere angesichts des Zusammenbruches alles dessen, was ihnen lieb und teuer war, bemächtigte. Die Sehnsucht, „nichts mehr wissen zu wollen“ von einer Welt, in der die aufgewühlten Leidenschaften den wahren Wertkern unseres Volkes bis zur Unkenntlichkeit entstellten, ist menschlich begreiflich und doch – ich muss es offen aussprechen, wie ich denke:

Kameraden der einst so großen, stolzen deutschen Armee! Könntet ihr vom Verzagen sprechen? Denkt an die Männer, die uns vor mehr als hundert Jahren ein innerlich neues Vaterland schufen. Ihre Religion war der Glaube an sich selbst und an die Heiligkeit ihrer Sache. Sie schufen das neue Vaterland, nicht es gründend auf eine uns wesensfremde Doktrinwut, sondern es aufbauend auf den Grundlagen freier Entwicklung des einzelnen in dem Rahmen und in der Verpflichtung des Gesamtwohles! Diesen selben Weg wird auch Deutschland wieder gehen, wenn es nur erst einmal wieder zu gehen vermag.

Paul von Hindenburg Quelle: Gemeinfrei

Ich habe die feste Zuversicht, dass auch diesmal, wie in jenen Zeiten, der Zusammenhang mit unserer großen reichen Vergangenheit gewahrt, und wo er vernichtet wurde, wieder hergestellt wird. Der alte deutsche Geist wird sich wieder durchsetzen, wenn auch erst nach den schwersten Läuterungen in dem Glutofen von Leiden und Leidenschaften. Unsere Gegner kannten die Kraft dieses Geistes; sie bewunderten und hassten ihn in der Werktätigkeit des Friedens, sie staunten ihn an und fürchteten ihn auf den Schlachtfeldern des großen Krieges. Sie suchten unsere Stärke mit dem leeren Worte „Organisation“ ihren Völkern begreiflich zu machen. Den Geist, der sich diese Hülle schuf, in ihr lebte und wirkte, den verschwiegen sie ihnen. Mit diesem Geiste und in ihm wollen wir aber aufs neue mutvoll wieder aufbauen.

Deutschland, das Aufnahme- und Ausstrahlungszentrum so vieler unerschöpflicher Werte menschlicher Zivilisation und Kultur, wird so lange nicht zu Grunde gehen, als es den Glauben behält an seine große weltgeschichtliche Sendung. Ich habe das sichere Vertrauen, dass es der Gedankentiefe und der Gedankenstärke der Besten unseres Vaterlandes gelingen wird, neue Ideen mit den kostbaren Schätzen der früheren Zeit zu verschmelzen und aus ihnen vereint dauernde Werte zu prägen, zum Heile unseres Vaterlandes.

Das ist die felsenfeste Überzeugung, mit der ich die blutige Wahlstatt des Völkerkampfes verließ. Ich habe das Heldenringen meines Vaterlandes gesehen und glaube nie und nimmermehr, dass es sein Todesringen gewesen ist.

Französische Kriegsgräberstätte am Beinhaus von Douaumont Quelle: Von Julian Nyča – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44017084

Man hat mir die Frage gestellt, worauf ich in den schwersten Stunden des Krieges meine Hoffnung auf unseren Endsieg stützte. Ich konnte nur auf meinen Glauben, an die Gerechtigkeit unserer Sache, auf mein Vertrauen zu Vaterland und Heer hinweisen.

Die ernsten Stunden dieses jahrelangen Kampfes und seiner Folgezeit bestand ich in Gedanken und Gefühlen, für die ich nirgends einen besseren Ausdruck finde, als in den Worten, die der nachmalige preußische Kriegsminister, Generalfeldmarschall Herrmann v. Boyen, im Jahre 1811, inmitten der größten politischen und militärischen Nöte unseres geknechteten Heimatlandes, an seinen König schrieb:

„Ich übersehe das Gefahrvolle unserer Lage keineswegs, aber da, wo nur zwischen Unterjochung oder Ehre zu wählen sein dürfte, da gibt mir die Religion Kraft, alles das zu tun, was das Recht und die Pflicht fordert.

Niemals kann der Mensch mit Gewissheit den Ausgang eines begonnenen Unternehmens vorhersehen, aber der, der nach höherer Überzeugung nur seinen Pflichten lebt, trägt einen Schild um sich, der in jeder Lage des Lebens, es komme auch, wie es wolle, ihm Beruhigung gibt und auch oft selbst zu einem glücklichen Ausgang führt.

Es ist dies nicht die Sprache aufgeregter Schwärmerei, sondern der Ausdruck eines religiösen Gefühles, das ich meinen Erziehern danke, die mich früh schon König und Vaterland als das Heiligste auf Erden lieben lehrten.“

Gegenwärtig hat eine Sturmflut wilder politischer Leidenschaften und tönender Redensarten unsere ganze frühere staatliche Auffassung unter sich vergraben, anscheinend alle heiligen Überlieferungen vernichtet. Aber diese Flut wird sich wieder verlaufen. Dann wird aus dem ewig bewegten Meere völkischen Lebens jener Felsen wieder auftauchen, an den sich einst die Hoffnung unserer Väter geklammert hat, und auf dem vor fast einem halben Jahrhundert durch unsere Kraft des Vaterlandes Zukunft vertrauensvoll begründet wurde: Das deutsche Kaisertum! Ist so erst der nationale Gedanke, das nationale Bewusstsein wieder erstanden, dann werden für uns aus dem großen Kriege, auf den kein Volk mit berechtigterem Stolz und reinerem Gewissen zurückblicken kann als das unsere, so lange es treu war, sowie auch aus dem bitteren Ernst der jetzigen Tage sittlich wertvolle Früchte reifen. Dai Blut aller derer, die im Glauben an Deutschlands Größe gefallen sind, ist dann nicht vergeblich geflossen.

In dieser Zuversicht lege ich die Feder aus der Hand und baue fest auf Dich – Du deutsche Jugend!

Hannoversche Stadttafel Nr. 87 Quelle: Von Bernd Schwabe in Hannover – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=24831530

Mit diesen mehr als fadenscheinigen Rechtfertigungen tritt Hindenburg als Chef des Generalstabes des Heeres am 25. Juni 1919 zurück, verlässt seinen letzten Standort Kolberg und wählt wiederum Hannover als Wohnort aus – die Stadt, die ihn bereits im September 1918 zum Ehrenbürger gemacht hatte. Warum eigentlich? Verbunden mit der Ehrenbürgerschaft war im Zooviertel, die Schenkung einer Villa in der Bristoler Straße 6 (ehem. Seelhorststraße). Dieses Haus steht unter Denkmalschutz und eine Gedenktafel erinnert an Hindenburg. Warum eigentlich.

Laut Wikipedia „unternahm er in den folgenden Jahren viele Reisen durch das ganze Reich, besonders durch Ostpreußen, wo er sich als Befreier Ostpreußens einer großen Popularität erfreute.“ Aber da habe ich einen ganz anderen Verdacht. Denn ab Dezember 1918 macht eine Legende die Runde und die könnte Hindenburg auf diesen „Reisen“ tatkräftig verbreitet haben.

Die Dolchstoßlegende (auch Dolchstoßlüge)

Titelblatt der Süddeutschen Monatshefte, April 1924

Urheber dieser Dolchstoßlüge war entweder Hindenburg oder Ludendorff, oder beide zusammen. Siehe die letzten Absätze der Erinnerungen Hindenburgs, war wahrscheinlich er der geistige Urheber, denn so verstehe ich dieses Kapitel.

Und sie besagt, dass die Streitkräfte unbesiegt im Feld von hinten aus der Heimat „erdolcht wurden, heute wäre das eine klassische Verschwörungstheorie.

Erstmals in einem Artikel vom 17. Dezember 1918, erschienen in der „Neuen Zürcher Zeitung“, schreibt ein unbekannter Autor das folgende Zitat dem englischen General Sir Frederick Maurice zu:

„Was die deutsche Armee betrifft, so kann die allgemeine Ansicht in das Wort zusammengefasst werden: Sie wurde von der Zivilbevölkerung von hinten erdolcht.“

Zuvor soll eben dieser General das Zitat in der britischen Zeitung „Daily News“ veröffentlicht haben, was sich allerdings als falsch heraus stellte und was der General sofort dementierte.

Ein gefundenes Fressen und Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg bestätigten bereits im November/Dezember 1919 die Version, einer der britischen Generäle habe zuerst von diesem Dolchstoß gesprochen.

Wikipedia schreibt:

„… Ludendorff erwähnte in seinen Erinnerungen ein angebliches Tischgespräch mit General Neill Malcolm im Juli 1919, bei dem er ihm die Gründe der deutschen Niederlage erläutert habe, worauf Malcolm zurückgefragt habe: „Sie meinen, Sie seien in den Rücken gestochen worden?“ (…)

Hindenburg behauptete in seiner Aussage vor dem „Untersuchungsausschuss für Schuldfragen“ im Reichstag ebenfalls, ein britischer General habe gesagt: „Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.“ Beide Briten bestritten energisch die Verwendung des Ausdrucks.

Das Sprachbild verwies auch auf den Mord an Siegfried im Nibelungenlied. Hindenburg bestätigte diese Assoziation 1920.

Siegfried der Drachentöter (Denkmal) in Bremen Von Statue by Constantin Dausch (1841-1908). Photograph by Rami Tarawneh – Eigenes Werk, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=724932

Nochmal Wikipedia aus einer anderen Sicht dieser „Legende“:

„… war eine von der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL) in die Welt gesetzte Verschwörungstheorie, die die Schuld an der von ihr verantworteten militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf die Sozialdemokratie, andere demokratische Politiker und das „bolschewistische Judentum“ abwälzen sollte. Sie besagte, das deutsche Heer sei im Weltkrieg „im Felde unbesiegt“ geblieben und habe erst durch oppositionelle „vaterlandslose“ Zivilisten aus der Heimat einen „Dolchstoß von hinten“ erhalten. Antisemiten verknüpften „innere“ und „äußere Reichsfeinde“ dabei zusätzlich mit dem Trugbild vom internationalen Judentum“.

Diese Legende diente deutschnationalen, völkischen und anderen rechtsextremen Gruppen und Parteien zur Propaganda gegen die Ziele der Novemberrevolution, die Auflagen des als „Schanddiktat“ bezeichneten Versailler Vertrags, die Linksparteien, die ersten Regierungskoalitionen der Weimarer Republik und die Weimarer Verfassung. Sie gilt in der Zeitgeschichte als bewusst konstruierte Geschichtsfälschung und Rechtfertigungsideologie der militärischen und nationalkonservativen Eliten des Kaiserreichs. Sie lieferte dem Nationalsozialismus wesentliche Argumente und begünstigte seinen Aufstieg entscheidend.“

Die stärkste Reichstagsfraktion SPD sollte an der Regierung beteiligt und damit für die zu erwarteten harten Friedensbedingungen verantwortlich gemacht werden. Am 1. Oktober 1918 erklärte Ludendorff:

„… Ich habe aber Seine Majestät gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu verdanken haben, dass wir so weit gekommen sind. (…) Sie sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muss. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben.“

Heinrich Claß (1938) Quelle: Wikipedia

Auch die als „Annexionisten“ bezeichneten Gruppen und Parteien, suchten nach den „Schuldigen“, z.B. der Vorsitzende des Alldeutschen Verbandes – eines expansionistischen, pangermanischen, militaristischen, nationalistischen und rassistischen, sowie antisemitischen Verbandes – Heinrich Claß, der am 3. Oktober 1918 die Gründung einer „großen, tapferen und schneidigen Nationalpartei und rücksichtslosesten Kampf gegen das Judentum, auf das all der nur zu berechtigte Unwille unseres guten und irregeleiteten Volkes abgelenkt werden muss“, forderte.

Und damit nicht genug machten Politiker der „gemäßigteren“ Parteien dieses „Spiel“ mit. So begrüßte der Vorsitzende im Rat der Volksbeauftragten, der SPD-Vorsitzende Friedrich Ebert die Heimkehrenden mit dem Ausruf, sie seien „im Felde unbesiegt“ und der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer von der Zentrumspartei bescheinigte der Reichswehr, sie kehre „nicht besiegt und nicht geschlagen“ in die Heimat zurück.

Friedrich Ebert mit Frau Louise und den Kindern (von links) Friedrich, Georg und Heinrich (Weihnachten 1898) Quelle: Wikipedia

Band 14 der vom Reichsarchiv herausgegebenen Reihe „Der Weltkrieg 1914–1918“ im Jahr 1942/43 schloss mit den Worten:

„Und doch hat nicht die gesunkene Kampfkraft der Front, sondern die Revolution in der Heimat, der „Dolchstoß“ in den Rücken des kämpfenden Heeres, dazu gezwungen, am 11. November 1918 das feindliche Waffenstillstandsdiktat anzunehmen, ohne die letzten Mittel des Widerstands erschöpft zu haben.“

Adolf Hitler lud in seinem „Werk“ Mein Kampf von 1925 die Dolchstoßlegende antisemitisch auf: Daraus folgerte er: „Mit dem Juden gibt es kein Paktieren, sondern nur das harte Entweder – Oder. Ich aber beschloss nun, Politiker zu werden.“

Eigentlich hätte man dieser „Legende“ widersprechen müssen und mindestens die am wahren Geschehen in den letzten Kriegstagen beteiligten Politiker hätten den wahren Sachverhalt aufklären können. Aber gegen den Herrn Generalfeldmarschall traute sich das wohl niemand. Der wurde 1921 Vorsitzender der Deutschenhilfe, einer im Herbst 1921 gegründeten Gesellschaft zur Stärkung der deutschen Position im Ausland, insbesondere im Osten. Sie wurde hauptsächlich von der deutschen Schwerindustrie finanziert.

Ansonsten hatte Hindenburg mit den Friedensverhandlungen und vor allen dem Versailler Vertrag nichts zu tun, er war ja nur Soldat. Mit Abschluss des Versailler Vertrages im Juli 1919 erteilte Reichspräsident Friedrich Ebert Hindenburg auf dessen Wunsch den Abschied.

Am 29. März 1925 wurde die Wahl des Reichspräsidenten nötig, nachdem der erste Präsident der Weimarer Republik Friedrich Ebert (4. Februar 1871 in Heidelberg – 28. Februar 1925 in Berlin) überraschend gestorben war.

Ebert war seit 1913 Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Über seine Amtszeit schreibt Wikipedia:

„… Nach dem Tod August Bebels wurde Ebert neben Hugo Haase zum Vorsitzenden der angesichts des drohenden Krieges zerstrittenen SPD gewählt. Während des Krieges vertrat er nachdrücklich und bis zum Schluss die Politik der „Vaterlandsverteidigung“ und des innenpolitischen Stillhaltens (Burgfriedenspolitik) gegen jene Sozialdemokraten, die diese Politik ablehnten. In der Novemberrevolution 1918 übernahmen seine Partei sowie die von ihr abgespaltene USPD die Regierung. (…) In den Jahren 1919 bis 1923 ließ Ebert mehrere Aufstände von revolutionären Sozialisten mit Waffengewalt niederschlagen. Auch gegen Putschversuche von rechts ging er 1920 und 1923 entschieden vor. Ansonsten trat er als ein Politiker des Interessenausgleichs auf. Sein früher Tod mit 54 Jahren und die darauffolgende Wahl des monarchistisch gesinnten Paul von Hindenburg an die Staatsspitze stellen eine Zäsur in der Weimarer Republik dar.“

Karl Jarres Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-01175 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5479386

Der erste Wahlgang fand am 29. März 1925 statt.

Es kandidierten der ehemalige Duisburger Oberbürgermeister und ehemaligen Reichsinnenminister Karl Jarres, unterstützt von der DVP – Otto Braun, bekannt als „Roter Zar von Preußen“, den die SPD unterstützte – Der Journalist, Psychologe und Arzt Willy Hugo Hellpach, unterstützt von der Deutschen Demokratischen Partei – . Als Vertreter des Zentrums bewarb sich der Parteivorsitzende Wilhelm Marx – Die KPD nominierte Ernst Thälmann – Bayerns Ministerpräsident Heinrich Held wurde von der Bayerischen Volkspartei aufgestellt und Erich Ludendorff kandidierte für die Listenverbindung von „Nationalsozialisten“ und „Deutschvölkischer Freiheitspartei“, dem rechtsradikalen „Flügel“ in der deutschen Parteienlandschaft.

Otto Braun, Juli 1930 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-10131 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5414757

Keiner der Kandidaten erreichte dabei die notwendige absolute Mehrheit und die „Rechtsparteien“ – also Parteien, die die Republik ablehnten und wieder die Monarchie wollten – drängten Hindenburg zur Kandidatur, der lehnte zunächst aber ab, stimmte dann aber zu, die Ziele dieses Blockes entsprachen ja durchaus seinen eigenen Vorstellungen.

Beim entscheidenden zweiten Wahlgang am 26. April 1925 standen sich Wilhelm Marx, der bereits im ersten Wahlgang kandidiert hatte und Paul von Hindenburg für den antirepublikanischen „Reichsblock“ gegenüber; Ernst Thälmann als Kandidat der KPD galt als Außenseiter. Es genügte die einfache Mehrheit.

Ernst Thälmann als Kandidat bei der Reichspräsidentenwahl 1932 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-12940 / CC-BY-SA, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6724654

Das Ergebnis ist bekannt, Hindenburg wurde im Alter von 77 Jahren das einzige deutsche Staatsoberhaupt, das direkt vom Volke gewählt wurde und er übte es bis zu seinem Tod am 2. August 1934 aus.

Übrigens, Auch Adolf Hitler wies seine Partei an, für den betagten Generalfeldmarschall zu stimmen und gegen die Bedenken Gustav Stresemanns wurde Hindenburg Kandidat. Stresemanns Bedenken bestanden u.a. auch deswegen, weil Hindenburg ursprünglich auf der Liste der Kriegsverbrecher gestanden hatte, deren Auslieferung der Versailler Vertrag verlangte, aber nicht darauf bestand- Schade!

Aus Wikipedia:

„… Hindenburg selbst nahm am 29. April die Wahl an und zog am 11. Mai 1925 von Hannover nach Berlin um. Dort feierten Tausende seiner Anhänger begeistert seine Ankunft. Paul Löbe vereidigte ihn am Folgetag im Reichstag auf die Weimarer Verfassung. Seinen Freunden hatte Hindenburg zuvor anvertraut, er habe den Verfassungstext erst jetzt erstmals gelesen und fände ihn so schlecht nicht.“

Die konservative Kreuzzeitung – ein richtungsweisendes Organ der konservativen Oberschicht, zu dessen Leserschaft der Adel, Offiziere, hohe Beamte, Industrielle und Diplomaten zählten, notierte:

„Wir haben zwar keinen Kaiser mehr, der Repräsentant des deutschen Volkes ist aber nicht mehr identisch mit dem Repräsentanten der Revolution im November 1918. Es steht vielmehr ein Führer an der Spitze des Reiches, der, hervorgewachsen aus preußisch-deutscher Geschichte, sie verkörpernd und bewahrend, in eine bessere Zukunft weist.“

Theodor Wolff schrieb in der Morgenausgabe des Berliner Tageblatts vom 27. April 1925:

„Die Republikaner haben eine Schlacht verloren, der bisher monarchistische Feldmarschall von Hindenburg wird Präsident der deutschen Republik. Landbündler und Offiziersbündler lassen heute Sektpfropfen knallen wie nach der Ermordung Rathenaus. (…) Was soll man mit einem Volke anfangen, das aus seinem Unglück nichts gelernt hat und sich immer wieder, auch zum zehnten oder zwölften Male, von den gleichen Leuten am Halfterbande führen lässt?“

Die liberale Frankfurter Zeitung beklagte:

„Die romantische Sehnsucht nach vergangenem Glanz und vergangener Größe, das hat diese unpolitischen Schichten an die Urne und Hindenburg zum Siege geführt.

Diese Wähler hätten nicht erkannt, „dass sie persönliches wie nationales Elend einzig jenem alten System kaiserlicher Staats- und Kriegsführung zu danken haben, als dessen Repräsentanten sie jenen Feldherren verehrten.“

Der sozialdemokratische „Vorwärts“ machte für den Sieg Hindenburgs die KPD verantwortlich. Er titelte: „Hindenburg von Thälmanns Gnaden!“

Der Historiker Karl Dietrich Erdmann fasst die politischen Ursachen des Wahlausgangs in einem Satz zusammen: „Der Sieg Hindenburgs ist das Ergebnis der Spaltung der Arbeiterbewegung und der Spaltung auch des politischen Katholizismus.“

In einer Zusammenfassung durch Wikipedia liest sich das so:

„… Hinsichtlich der Wirkung dieser Wahl werden Unterschiede in den Urteilen nicht-marxistischer Wissenschaftler deutlich. In der Minderheit befinden sich dabei Autoren wie Ernst Rudolf Huber, die aus der Wahl und der Amtsführung Hindenburgs eine Stabilisierung der Republik ableiten. Huber attestiert Hindenburg eine überparteiliche und unparteiische Amtsführung. Auch habe Hindenburg nicht gezögert, die Reichskanzlerschaft in sozialdemokratische Hände zu geben. Allein im Dezember 1932/Januar 1933 müsse Hindenburg eine Mitverantwortung dafür zugewiesen werden, dass die Stabilisierung der Republik scheiterte. Zur Entlastung Hindenburgs führt Huber zugleich an, dass das parteienstaatlich-parlamentarische System bereits vorher versagt habe. Dies sei ein wesentlich wichtigerer Grund für das Scheitern der Weimarer Republik.

Die Reichspräsidentenwahl von 1925 wird überwiegend als „empfindliche Niederlage der demokratischen Republik“ gedeutet – so die Formulierung von Eberhard Kolb. Ursula Büttner kommentiert: „Im Sieg des Generalfeldmarschalls über den Kandidaten der Demokraten kam symbolisch zum Ausdruck, wie erfolgreich sich die Anhänger der alten Ordnung vom Schock der Revolution erholt hatten und wie sehr die Republikaner seither in die Defensive geraten waren.“

Auch Heinrich August Winkler hält den Sieg Hindenburgs für einen „Volksentscheid gegen die parlamentarische Demokratie“, wie sie die Deutschen seit 1919 erlebt hatten. Er erblickt in ihrem Ergebnis eine „konservative Umgründung der Republik“.

Gotthard Jasper betont das Ausscheiden der DVP und der BVP aus der gemeinsamen Front der republiktreuen Parteien. Statt Schwarz-Rot-Gold bevorzugten sie 1925 Schwarz-Weiß-Rot. Insbesondere der mit ausschlaggebende Antimarxismus der BVP signalisierte nach Jasper eine schwere Krise des Weimarer Systems.

Hans Mommsen Quelle: Von This photograph was created by Olli Eickholt / https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44820567

Hans Mommsen betont ebenfalls die antisozialdemokratischen Ressentiments, die bei der Wahl zum Ausdruck gekommen seien, macht aber zugleich auf die Bedeutung der 3,5 Millionen Wähler aufmerksam, die sich erst im zweiten Wahlgang beteiligten: Von ihnen wählten drei Millionen Hindenburg. Die republikanischen Parteien hätten zu diesem „gefährliche(n) Arsenal von Nichtwählern“ keinen Zugang gehabt, wohl aber der Reichsblock mit seinem antimarxistischen und nationalistischen Wahlkampf.

Peter Longerich sieht im Wahlausgang den Beweis, „dass es rechts von der Weimarer Koalition eine mehrheitsfähige Bündniskonstellation gab, wurzelnd vor allem im protestantischen mittelständisch-bürgerlichen und im agrarisch-konservativen Milieu.“ Die Wähler, die 1925 durch diese Bündniskonstellation zur Wahl Hindenburgs motiviert wurden, wählten bei der nächsten Reichspräsidentenwahl im Jahr 1932 nicht mehr den ehemaligen Feldmarschall, sondern seinen Konkurrenten Adolf Hitler – dies zeigt der Wahlforscher Jürgen W. Falter.

Peter Longerich Quelle: Von Goesseln – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=44956907

Insgesamt habe mit Hindenburgs Amtsübernahme ein „stiller Verfassungswandel“ eingesetzt, bzw. eine Verschiebung der Gewichte nach rechts An der Spitze des Staates stand nach dieser Interpretation nun ein Mann, dessen Ansehen aus Vorkriegs- und Kriegszeiten stammte und der insofern auch ein anderes, ein vorrepublikanisches Deutschland verkörperte. Außerdem öffnete sich den sozialen Kreisen, denen Hindenburg entstammte – Militär und Großlandwirtschaft – wieder eine exklusive Tür zur Staatsspitze. Eine Kamarilla um den Reichspräsidenten, ebenfalls diesem Milieu zugehörig, baute ferner das Reichspräsidentenamt nach und nach zu einem Machtzentrum aus, das gegen den Reichstag gerichtet war.

Von diesem Amt aus sollten – so Detlev Peukert – „fortan immer wieder offene und verdeckte Versuche ausgehen, die politische Achse der Republik nach rechts zu verschieben, die Elemente autoritärer Regierungsweise zu verstärken und so mittelfristig die Voraussetzungen für eine entsprechende Verfassungsänderung zu schaffen.“

Hermann Müller (1928) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 146-1979-122-28A / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5483020

Dieser stille Wandel habe sich nicht erst Ende 1929 gezeigt, als die Große Koalition unter Hermann Müller an den Rand ihrer Handlungsfähigkeit geriet. Er zeigte sich schon in den Regierungskrisen jeweils gegen Ende der Jahre 1925 und 1926. Hindenburg plädierte bereits in diesen Situationen dafür, „mehr nach rechts“ zu regieren. Dies hieß konkret: Fernhalten der Sozialdemokratie von Regierungsämtern und Beteiligung der DNVP an der Regierung, wenn irgend möglich. Des Weiteren erteilte Hindenburg 1926 allen Überlegungen, die Möglichkeiten von Artikel 48 der Verfassung durch ein Ausführungsgesetz einzuschränken, eine scharfe und endgültige Absage. Seine Verfügungsgewalt über den Ausnahmezustand wollte er nicht beschnitten sehen. Ein weiterer Ausdruck der veränderten Gesamtlage war Hindenburgs Verhalten im Konflikt zur Fürstenenteignung. Er hielt die geplante entschädigungslose Enteignung für verfassungswidrig und äußerte sich öffentlich ablehnend. Dadurch erhöhten sich das Quorum für einen Erfolg des Plebiszits sowie die notwendigen parlamentarischen Mehrheiten für reichsgesetzliche Regelungen zur Fürstenabfindung. Der Volksentscheid zur Enteignung scheiterte schließlich, genauso wie das geplante Reichsgesetz zur Abfindung der Fürsten.“

Im Jahre 1927 „rauschte“ der so genannte „Osthilfeskandal“ durch die Republik und den „Blätterwald“, Wikipedia beschreibt ihn so:

Elard von Oldenburg-Januschau Quelle: Wikipedia

„… Hindenburg sollte 1927 zu seinem 80. Geburtstag den alten Familienbesitz Gut Neudeck von einem Freundeskreis um Elard von Oldenburg-Januschau geschenkt bekommen, nachdem Hindenburgs Familie es aus finanziellen Gründen nicht mehr hatte halten können. Die gesammelten Mittel reichten jedoch bei weitem nicht aus und wurden durch Sammlungen in Vereinen, vor allem aber durch Spenden der Wirtschaft so aufgestockt, dass schließlich der Betrag von 1 Million Reichsmark erreicht wurde. Um Erbschaftssteuern zu sparen, wurde es gleich auf seinen Sohn Oskar überschrieben. Dieses im Prinzip legale, aber für einen Mann in seiner Position anrüchige Verhalten schädigte sein Ansehen. Außerdem gab es Korruptionsvorwürfe gegen Hindenburg im Zusammenhang mit dem zwei Jahre darauf verabschiedeten „Ostpreußengesetz“, das den Kreis der Schenker und andere Junker wirtschaftlich begünstigte. Diese Vorgänge und die anschließenden Auseinandersetzungen und Untersuchungen gingen als Osthilfeskandal in die Geschichte ein. Historiker vermuten, dass diese Verwicklungen Hindenburgs Entscheidung für Hitler beeinflusst haben könnten.“

Und noch ein Beispiel der Gesinnung Hindenburgs:

„…Am 22. Januar traf sich Hindenburgs Sohn – und Hausherr – Oskar mit Hitler. Am 30. Januar war Hitler Kanzler. Das Thema Osthilfe war beendet. Im August 1933 schenkte Hermann Göring, neuer Ministerpräsident Preußens, Hindenburg auch noch die Domäne Langenau, gleich neben Gut Neudeck.“

Ab Februar bis Juni 1929 wurde in Paris der „Young-Plan“ ausgehandelt und trat am 17. Mai 1930 rückwirkend zum 1. September 1929 in Kraft. Er war der letzte Reparationsplan und regelte die die Zahlungsverpflichtungen des Deutschen Reichs auf Grundlage des Versailler Vertrages.

Auf deutscher Seite wurde er vom Reichspräsidenten unterstützt, die rechtsradikalen Parteien sahen in ihm eine jahrzehntelange „Versklavung des Volkes“ und rückten von Hindenburg ab. Er reagierte mit der Ablösung der „Großen Koalition“ und wollte sie durch eine antimarxistische und antiparlamentarische Regierung ersetzen – die Regierung Brünning – eine Minderheitsregierung.

Heinrich Brüning, um 1930 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-1989-0630-504 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5347289

Es begann die Zeit der so genannten Minderheitskabinette, die nicht mehr vom Parlament, sondern von Reichspräsidenten abhängig waren. Ein Hintertürchen hatte das Parlament aber, um diese „Machtfülle“ doch noch zu kontrollieren und als es dieses Hintertürchen nutzen wollte, wurde es vom Reichspräsidenten aufgelöst.

Zwar duldete die SPD die Regierung Brüning, aber es gab keine parlamentarischen Mehrheiten mehr im Reichstag. Über dessen Eingang stand: „Dem Deutschen Volke“ und steht dort heute noch. Der Unterschied, es regiert kein diktatorischer Präsident. Stand also Hindenburg immer noch hinter der Weimarer Demokratie und hinter der Verfassung?

Am 13. März 1932 fand die zweite und letzte Reichspräsidentenwahl in der Weimarer Republik statt. Als Kandidaten traten an: Theodor Duesterberg, Paul von Hindenburg, Adolf Hitler, Ernst Thälmann und Adolf Gustav Winter.

Theodor Duesterberg und Alfred Hugenberg (links) und bei der Versammlung der Deutschnationalen zur Präsidentenwahl im Sportpalast in Berlin (März 1932) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-13191 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5480917

Wikipedia schreibt über den Wahlausgang:

„… Der Wahlgang fand am 13. März 1932 statt. Die Wahlbeteiligung lag bei 86,2 %. Um zu gewinnen, war im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen nötig, die keiner der Kandidaten erreichte. Hindenburg hatte mit 49,5 % die absolute Mehrheit knapp verfehlt. Deutlich schwächer schnitt Hitler mit 30,1 % und abgeschlagen Thälmann 13,2 % und Duesterberg mit 6,8 % ab. Völlig bedeutungslos blieb Winter mit 0,3 %. Daneben wurden noch einige tausend zersplitterte Stimmen abgegeben. „

Im zweiten Wahlgang kandidierten Paul von Hindenburg, Adolf Hitler (NSDAP) und Ernst Thälmann KPD: („Wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, wer Hitler wählt, wählt den Krieg). Um Hitler zu verhindern, unterstützten SPD, die Linksliberalen und die Zentrumspartei Hindenburg.

Reichskanzler Brüning sagte in einer Rede „Hindenburg muss siegen, weil Deutschland leben muss!“ Und Hindenburg betonte, er wolle dem „Vaterland die Erschütterungen zu ersparen, die mit der Wahl eines extremen Parteimannes versetzt werden würde“ und appellierte an den „Geist von 1914“ und versprach, wie im Krieg auch jetzt „in Treue auszuharren und dem deutschen Volke in Treue zu dienen.“

Die Wahl endete mit dem Sieg Hindenburgs, der 53,1 % der Stimmen erhielt. Auf Hitler entfielen 36,8 % und auf Thälmann 10,2 %.

Franz von Papen, 1933 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-1988-0113-500 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=19347514

Obwohl Brüning Hindenburg in dessen Wahlkampf massiv unterstützt hatte, setzte ein Vertrauensverlust zwischen Reichskanzler und Reichspräsident ein. Hindenburg entließ diesen und am 29. Mai folgte Franz von Papen nach – der Ruck nach rechts, verbunden mit der Ablehnung der Republik durch den „Neuen“.

Ruck nach Rechts bedeutete, schreibt Wikipedia:

„… Am 4. Februar 1932 erließ Hindenburg die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes, mit der zunächst Meinungs- und Versammlungsfreiheit aufgehoben wurden, sowie am 28. Februar die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat, mit der die übrigen Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden.  …)

Nach der Wahl geriet Hindenburg noch stärker als zuvor unter den Einfluss der Kamarilla (eine Art Privatkabinett des Königs, die Übersetzung), eines Kreises von Freunden und Weggefährten der politischen Rechten. Zu dieser gehörte unter anderen Oskar, der „in der Verfassung nicht vorgesehene Sohn des Reichspräsidenten“ (so ein viel zitiertes Bonmot Kurt Tucholskys), ferner sein Nachbar auf Neudeck Elard von Oldenburg-Januschau sowie Generalleutnant Kurt von Schleicher und schließlich auch Franz von Papen.

Kurt von Schleicher (1932) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 136-B0228 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5337614

Diese überredeten Hindenburg, Brüning zu entlassen und stattdessen von Papen zum Reichskanzler zu ernennen, der „mehr nach Recht“ regieren sollte. (Hindenburgs Biographen, insbesondere Wolfram Pyta und sein früherer Biograph Dorpalen heben allerdings hervor, dass Hindenburg diese Entscheidungen in eigener Verantwortung getroffen habe. (…)

Als dies nicht zum Erfolg führte, erwog der Kreis kurzfristig einen Staatsstreich, um ein autoritäres Regime zu errichten, doch weigerte sich Schleicher, dafür die Reichswehr zur Verfügung zu stellen.

Letztlich stand der Reichspräsident nur noch vor der Alternative: Entweder würde er erneut eine Präsidialregierung ohne Rückhalt im Volk einsetzen, was möglicherweise zu einem Bürgerkrieg führen würde, den die Reichswehr – wie entsprechende von Reichswehrminister Schleicher in Auftrag gegebene Planspiele in seinem Ministerium Anfang Dezember 1932 zeigten – nicht gewinnen könne – oder er bildete eine Mehrheitsregierung im Reichstag bzw. eine Regierung, die zwar formal eine Minderheitsregierung war, aber begründete Aussicht haben würde, eine Mehrheit im Reichstag zu erlangen.

Dieses war seit den Wahlen im Juli und im November 1932 ohne eine Beteiligung der Nationalsozialisten aber nicht mehr möglich. Am 6. November sprach sich ein „Deutscher Ausschuss“ unter der Überschrift „Mit Hindenburg für Volk und Reich!“ für die Regierung Papen, für die DNVP und gegen die NSDAP aus.

Diesen Aufruf hatten insgesamt 339 Persönlichkeiten unterschrieben, (…)

Am 19. November 1932 erhielt Hindenburg eine gegenläufige Eingabe von zwanzig Industriellen, mittelständischen Unternehmern, Bankiers und Agrariern mit der Aufforderung, Adolf Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Hindenburg berief am 2. Dezember 1932 jedoch Kurt von Schleicher zum Reichskanzler. Der versuchte noch, Teile der NSDAP um Gregor Strasser von Hitler weg in eine Querfront zu bringen, doch dies misslang. Als Schleicher dann seinerseits vorschlug, den Reichstag aufzulösen und unter Bruch der Reichsverfassung bis auf weiteres keinen neuen wählen zu lassen, entzog ihm Hindenburg seine Unterstützung.“

Gregor Strasser (1928) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 119-1721 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5415952

Und wieder stelle ich mir die Frage, auf welcher Verfassung Hindenburg stand und wie es um seine „Anerkennung“ der Demokratie stand?

Von der Reichsregierung und der Preußischen Regierung erhielt er 1933 Dotationen von insgesamt 1 Million Reichsmark. Die Übersetzung „Dotationen“ aus Wikipedia lautet:

„… Dotation (von lateinisch dotatus ‚reichlich ausgestattet‘ oder dotalis „zur Mitgift gehörig“) bedeutet im Allgemeinen eine Ausstattung mit Einkünften und Gütern,

Ein kleines Zwischenintermezzo spielte einen Hinweis auf die Meinung Hindenburgs: „Auch widerstrebte dem Reichspräsidenten das von der Regierung mit Blick auf die Boxheimer Dokumente und das offensive Auftreten der NS-Verbände im April 1932 verhängte Verbot von SA und SS, das auch Hindenburg selbst verschärften Attacken seitens der „nationalen Opposition“ aussetzte.

Aus Wikipedia:

„… Bei den Boxheimer Dokumenten – in der Literatur gelegentlich auch Boxheimer Dokument genannt – handelte es sich um Pläne für eine gewaltsame Machtübernahme durch Mitglieder der NSDAP. Sie wurden am 5. August 1931 vom damals 28-jährigen Gerichtsassessor und NSDAP-Funktionär Werner Best verfasst. Benannt wurden sie nach dem „Boxheimer Hof“ bei Bürstadt/Lampertheim, in dem führende hessische Nationalsozialisten im Sommer 1931 dazu mehrere Beratungen abhielten. Beteiligt waren neben Best der stellvertretende Gauleiter Wassung, SA-Stabführer Stavinoga, Wirtschaftsreferent Wilhelm Schäfer und der Pächter des Boxheimer Hofes, Richard Wagner. Die Veröffentlichung der Dokumente schlug in der angespannten innen- und landespolitischen Lage des Herbstes 1931 hohe Wellen.

Werner Best (1942) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-B22627 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5432642

Das war „Meuterei“ und Hochverrat und passte in die lange Reihe der Verstöße gegen Gesetze, die von Mitgliedern der NSDAP und insbesondere der SA begangen wurden. Ein Reaktion des Reichspräsidenten, oder gar Maßnahmen dagegen habe ich nirgends gefunden. Obwohl etwas später auf der „Tagesordnung“, gehört auch der der „Röhm-Putsch in diese Serie, Wikipedia schreibt:

„… Als Röhm-Putsch werden die Ereignisse Ende Juni/Anfang Juli 1934 bezeichnet, bei denen die Nationalsozialisten die Führungskräfte der SA einschließlich des Stabschefs Ernst Röhm ermordeten. Die nationalsozialistische Propaganda stellte die Morde als präventive Maßnahme gegen einen angeblich bevorstehenden Putsch der SA unter Röhm – den sogenannten Röhm-Putsch – dar. In der Folge wurde der Begriff Röhm-Putsch von Hitler und der NS-Propaganda nicht mehr nur für den angeblichen Putsch, sondern für die gesamten Ereignisse einschließlich der von Hitler befohlenen Morde benutzt.

In einer später so genannten „Nacht der langen Messer“ (30. Juni/1. Juli 1934) wurden Ernst Röhm und weitere auf Hitlers Anweisung am Tegernsee zusammengerufene Funktionäre der SA-Führung festgenommen und – zum Teil noch in derselben Nacht – ermordet. Weitere Ermordungen folgten in den nächsten Tagen. Es sind etwa 90 Ermordete namentlich nachgewiesen, einige Forscher gehen aber von etwa 150–200 Ermordeten aus. Dazu gehörten außer SA-Mitgliedern weitere von der nationalsozialistischen Führung als feindlich eingeschätzte Personen, darunter bekannte Persönlichkeiten wie z. B. Kurt von Schleicher, Hitlers Amtsvorgänger als Reichskanzler, und Generalmajor Ferdinand von Bredow, der frühere stellvertretende Reichswehrminister sowie Gregor Strasser als Reichspropagandaleiter und Reichsorganisationsleiter bis 1932 bedingt durch die Strasser-Krise. Daneben gab es aufgrund von Verwechslungen auch Zufallsopfer.

Ernst Röhm (rechts), Heinrich Himmler und Kurt Daluege (links) im August 1933 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-14886 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5481337

Die vor allem auf Betreiben von Hitler und Hermann Göring lange vorbereitete „Säuberungswelle“ wurde durch Kommandos der SS mit Unterstützung der Gestapo und der Reichswehr durchgeführt. Zugrunde lagen der Mordaktion NS-interne ideologische Differenzen und machtpolitische Spannungen zwischen der SA und Teilen der NSDAP, auf deren Seite Hitler stand.

Nach den Morden verlor die SA ihre politische Bedeutung, die SS wurde selbständig und nahm eine wichtige Rolle ein. Die Führung der Reichswehr ließ nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 2. August 1934 die Reichswehr auf Hitler vereidigen.“

Die Beteiligung der Reichswehr am Putsch steht außer Frage und dies zeigt, dass der Reichspräsident als „Oberbefehlshaber“ über diesen mindestens informiert war.

Am 30. Januar 1933 ernennt Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler und der nennt das Machtergreifung.

Hindenburg und Hitler (Mai 1933) Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-14569 / CC BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5481330

Nochmal Wikipedia:

„… Am 1. Februar 1933 löste er den Reichstag auf. Die Verordnung zur Auflösung des Reichstages ist unterschrieben von Hindenburg, Hitler und Frick. Im Laufe des Februars wurde eine ganze Reihe von Maßnahmen wie die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes“ und (unmittelbar nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933) die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ erlassen, mit denen die Grundrechte bis auf Weiteres (faktisch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges) außer Kraft gesetzt wurden. In der Folge kam es zu Massenverhaftungen von Anhängern der KPD und der SPD. Bei der von Propagandaminister Joseph Goebbels am 21. März 1933 (dem so genannten Tag von Potsdam) inszenierten Eröffnung des neu gewählten Reichstags in der Garnisonkirche wurde durch eine symbolische Verneigung Hitlers vor dem greisen Reichspräsidenten eine symbolträchtige Kontinuität zwischen der Kaiserzeit und dem Dritten Reich hergestellt und Hindenburgs hohes Ansehen für das neue Regime instrumentalisiert und vereinnahmt.

Das am 23. März 1933 von der erforderlichen Zweidrittelmehrheit des Reichstags verabschiedete Ermächtigungsgesetz hob das in der Weimarer Verfassung festgelegte alleinige Gesetzgebungsrecht des Reichstags auf. Nun konnte die Regierung selbst Gesetze erlassen und war nicht mehr wie bisher auf das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten angewiesen, wobei auf Forderung der bürgerlichen Parteien, allen voran das Zentrum, als Bedingung für ihre Zustimmung, das Ermächtigungsgesetz das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten unangetastet ließ. (…)

Wer ist Koch und wer Kellner? Quelle: Gemeinfrei

Reichspräsident Paul von Hindenburg musste aufgrund seiner militärischen Karriere und monarchischen Prägung im Kaiserreich, wegen seiner Hauptrolle bei der Verbreitung der Dolchstoßlegende und wegen seiner Zugehörigkeit zum konservativen ostpreußischen Großgrundbesitzermilieu den Anhängern der Republik bereits seit seiner Wahl 1925 als Reaktionär verdächtig sein. Er verkörperte an der Spitze des Staates die eingetretene Rechtsverschiebung der politischen Machtgewichte, forderte und förderte autoritäres Regierungshandeln. Dabei sah er sich jedoch auch in verfassungswahrender Funktion und verweigerte eklatantem Verfassungsbruch seine Machtmittel. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler lehnte er mit deutlichem Hinweis auf dessen diktatorische Ambitionen und den hochfahrenden Machtanspruch seiner gewalttätigen Anhängerschaft lange entschieden ab. Dass er im Januar 1933 nachgab, lag weniger an ihm selbst als an den Ratgebern in seinem Umfeld, die das dynamische Potential Hitlers und seiner Gefolgsleute unterschätzten.“

Bis zum Juli 1934 nahm Hindenburg seine Dienstpflichten als Reichspräsident wahr. Wenige Stunden vor seinem Tod erst fiel er in Bewusstseinstrübungen, erkannte aber Hitler, als dieser den Sterbenden am Nachmittag des 1. August aufsuchte.

Paul von Hindenburg verstarb am 2. August 1934. Bereits am Tag zuvor vereinigte Adolf Hitler per Gesetz die Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten in seiner Person. Am 19. August 1934 ließ die neue Regierung in einer Volksabstimmung über diese „Aktion“ abstimmen. Es war der letzte Urnengang der Weimarer Republik.

Das „Tausendjährige Reich“ begann.

Beisetzung Hindenburgs im Tannenberg-Denkmal, Rede von Adolf Hitler Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-2006-0429-502 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5348669

Auf Gut Neudeck gestorben, sollte Hindenburg auch dort beerdigt werden, Hitler jedoch organisierte eine Beisetzung im Denkmal der Schlacht von Tannenberg. Und so fand sich die ganze „Elite“ des Kaiserreiches, vervollständigt um die Gegner der Republik geschmückt mit den blutigen Orden des I. Weltkrieges zu einer propagandistischen „Show“ ein.

Hindenburgs politisches Testament wurde von Oskar v. Hindenburg an Hitler übergeben, aber von diesem nicht beachtet, Der Weg in die Diktatur war frei.

Aus Wikipedia:

„… Das Kabinett Hitler setzte schon am 1. August, also dem Tag vor Hindenburgs Tod, eine Volksabstimmung über die Zusammenlegung des Amtes des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten in der Person des „Führers“ Hitler für den 19. August 1934 an. Wenige Wochen zuvor hatte Hitler anlässlich des so genannten Röhm-Putsches seine letzten potenziellen Konkurrenten ermorden lassen – darunter seinen Vorgänger im Amt des Reichskanzlers General von Schleicher sowie seinen Duz-Freund Ernst Röhm – und durch Gleichschaltung der SA die Reichswehr für sich gewonnen.

Am Tag vor der Abstimmung warb sein Sohn Oskar von Hindenburg in einer Rundfunkrede für Hitler als den einzig legitimen Nachfolger seines Vaters.“

Im Januar 1945 wurde die Särge Hindenburgs und seiner Frau auf einigen Umwegen letztendlich nach Marburg gebracht, wo sie in der Nordturmkapelle der Elisabethkirche endgültig beigesetzt wurden.

Hindenburgs Grab in der Elisabethkirche in Marburg Quelle: Wikipedia

Vergangenheitsbewältigung.

Zurück an den Anfang und die schon aufgezählten „Ehrungen“ Hindenburgs.

Wikipedia schreibt:

„… Hinzu kamen eine Reihe von Ehrendoktorwürden. Er war Ehrendoktor aller vier Fakultäten der Universität Königsberg, der Rechts- und Staatswissenschaften der Universität Breslau, der juristischen und philosophischen Fakultät der Universität Bonn sowie der juristischen Fakultät der Universität Graz. Gleichzeitig war Hindenburg Dr.-Ing. E.h. aller Technischen Hochschulen der Weimarer Republik und der Freien Stadt Danzig sowie Dr. med. vet. h.c. der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Zudem war er Ehrenbürger der Universitäten Göttingen, Königsberg, Köln und Jena sowie der Technischen Hochschule Stuttgart und der Forstwirtschaftlichen Hochschule Eberswalde.

Hindenburg war Ritter folgender hoher Orden (Auswahl):

Schwarzer Adlerorden
Großkreuz des Eisernen Kreuzes mit dem Goldenen Stern
Pour le Mérite mit Eichenlaub
Großkreuz des österreichischen Militär-Maria-Theresia-Ordens
Er war Ehrenkommandeur des Johanniterordens und Dechant des Hochstifts Brandenburg.

In der Hindenburg-Gedächtniskirche Stetten, einer evangelische Kirche in Stetten am kalten Markt im baden-württembergischen Landkreis Sigmaringen, ordnete das französische Militärgouvernement 1948 die Verdeckung der Hindenburg-Plastik an. 1980 wurde die Plastik wieder freigelegt.

Stetten am kalten Markt, blaue Kirche Quelle: Von AlterWolf49 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=16535328

Der „Held von Tannenberg“ war Ehrenbürger von 3.824 deutschen Städten und Gemeinden, wie viele dieser Ehrenbürgerschaften heute noch still und heimlich bestehen, weiß ich nicht, aber der 1927 durch ihn eingeweihte „Hindenburgdamm“ trägt seinen Namen immer noch.

Zahlreiche Schulen legten zwar den Namen Hindenburg ab, wichtig ist aber das Datum, z.B. brauchte die Stadt Trier bis zum Jahre 2009 und die Hindenburgschule in Bad Säckingen ist die letzte nach Hindenburg benannte Schule, nachdem trotz mehrerer Initiativen keine Ablehnung erfolgreich war.

Erst im März 2012 beschloss der Rat der Stadt Münster die Umbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz.

Die in Oberschlesien gelegene Stadt Zabrze wurde bereits am 21. Februar nach ihm benannt.

Admiralspalast Stadt Zabrze Quelle: Von Lestat (Jan Mehlich) – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3962899

Von den zahlreichen Plätzen will ich nur die aufzählen, die erst lange nach der Gründung der Bundesrepublik umbenannt wurden: Berlin, von 1934 bis 1958, heute Platz des 18. März – Lübeck, von 1933 bis 2019, dann wieder Republikplatz – Münster, von 1927 bis 2012, heute Schlossplatz – Solingen, bis August 2010, heute Walder-Marktplatz – Euskirchen, 17. Dezember 1992, einstimmiger Ratsbeschluss zur Umbenennung in „Dr.-Hugo-Oster-Platz“.

Blick auf den Hindenburgplatz von der Ecke Schuhstraße Zingel, Hildesheim Quelle: Wikipedia

Aber der Hindenburgplatz in Hildesheim sowie der Hindenburgplatz in Baden-Baden tragen ihre Namen dagegen noch. Auf eine evtl. Namensänderung angesprochen meinte die Baden-Badener Oberbürgermeisterin Margret Mergen: „Für einen Erhalt des Status quo spreche, dass man „solche Namen im Straßenbild belässt, um deutlich zu machen, das ist Teil unserer Geschichte, wir negieren sie nicht, wir retuschieren sie nicht, wir lassen sie ganz bewusst als ein Zeitdokument stehen“. Sie finde „diese Haltung insofern berechtigt, da man dadurch darauf gestoßen wird, was derjenige gemacht hat. Er war ein direkt gewählter Reichskanzler, er hat aber auch andere Dinge getan.“

Dem braucht man nichts mehr hinzufügen, der Platz heißt übrigens immer noch so.

Und da wäre noch der Hindenburg-Damm. Ihn zu beschreiben, hieße Eulen nach Athen tragen. Kurz und bündig: Er verbindet Niebüll mit Westerland, ist seit 1972 zweigleisig und wurde am 1. Juni 1927 nach einer Bauzeit von vier Jahren eröffnet.

Eröffnung am 1. Juni 1927 Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-04340 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5356490

Über die Namensgebung schreibt Wikipedia:

„… Die auf dem Damm verlaufende Eisenbahnverbindung wurde durch den damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg am 1. Juni 1927 eröffnet. Er fuhr als einer der ersten Passagiere im Eröffnungszug vom Festlandbahnhof Klanxbüll nach Westerland auf Sylt. Beim anschließenden Frühstück im Kurhaus von Westerland bezeichnete Julius Dorpmüller, der Generaldirektor der Deutschen Reichsbahn, den Damm erstmals als Hindenburgdamm.[ Seither bürgerte sich diese Bezeichnung im Sprachgebrauch ein.

Seit dem Zweiten Weltkrieg steht diese Bezeichnung immer wieder in der Kritik, da Hindenburg wegen seiner zögerlichen Haltung häufig als Wegbereiter Adolf Hitlers gesehen wird. Es gab zahlreiche Initiativen, eine andere Bezeichnung für den Damm zu finden.“

Und in der Kritik steht der Name heute noch – auch er sollte endlich verschwinden.

Und noch ein unverständliches Beispiel möchte ich beschreiben – den Hindenburg-Bau in Stuttgart. In der Stadt bin ich aufgewachsen, im Hindenburgbau haben wir als Jugendliche getanzt und gefeiert. Und über Hindenburg wussten wir nicht allzu viel.

Der Hindenburgbau in Stuttgart im Januar 2008 Quelle: Wikipedia

In der Stuttgarter Zeitung erscheint am 6. November 2010 ein Artikel:

Nach der Ehrenbürgerwürde wird dem ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg die Patronsehre entzogen.

„Oberbürgermeister Wolfgang Schuster persönlich nahm sich der Sache an und ließ die LBBW Immobilien als Eigentümerin des Baus wissen, dass der Denkmalschutz der Entfernung des erst nach 1933 angebrachten Schriftzuges nicht entgegenstünde. Im Übrigen sei es der Stadt ein Anliegen, dass Hindenburg nicht mehr Namensgeber sei für das in den 20er Jahren erbaute, dann wieder aufgebaute und vor wenigen Jahren nochmals aufgestockte Geschäftshaus.“

So nicht ganz richtig, denn was in Stuttgart Jahrzehnte niemand störte, „Die SÖS/Linke im Gemeinderat wollte im Mai 2009 im Fahrwasser neuer Historikeranalysen den Namen Hindenburg getilgt haben, denn Hitlers Steigbügelhalter habe im Stadtbild und auf der Ehrenbürgerliste der Stadt nichts zu suchen. Stattdessen müsse der Hindenburgbau nach einer demokratischen Persönlichkeit umbenannt werden – vielleicht in Carl-von-Ossietzky-Bau oder nach Willi Bleicher oder Clara Zetkin. Zu einer Umbennennungsdebatte kam es dann aber nicht, wohl aber zu einer Aberkennungsinitiative.“

Bei dieser Gelegenheit wurde endlich „aufgeräumt“ und mit der Gegenstimme eines Stadtrates der „Republikaner“ die 1933 verliehene Ehrenbürgerwürde an Paul von Hindenburg förmlich aberkannt.

Zwei Tage vorher ebenfalls von der gleichen Fraktion der Antrag „Benennung des ehemaligen „Hindenburgbau“ in „Willi-Bleicher-Bau“.

Wir beantragen:

Die Stadt Stuttgart setzt sich als Mitgesellschafterin der Landesbank Baden-Württemberg bei dieser dafür ein, das in deren Besitz befindliche und weiterhin als „Hindenburgbau“ bekannte Gebäude in Willi-Bleicher-Bau zu benennen und an der Fassade entsprechend zu beschriften.

Begründung:

In diesem Jahr jährt sich mit dem 8. Mai 1945 der Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg nun zum 70.Male. Doch heute gewinnt rassistisches Gedankengut in Deutschland wieder an Boden. In Stuttgart und der Region sind offen faschistische Organisationen aktiver denn je. Auch eine zunehmende Militarisierung der Außenpolitik ist Grund zur Beunruhigung. Waffenexporte und Militäreinsätze im Ausland sind fast schon Alltag geworden.

Der Stuttgarter Gewerkschafter Willi Bleicher ist vorbildlich für seinen gelebten Antifaschismus und die Vertretung der Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Während des Hitler-Faschismus wurde Willi Bleicher für seinen aktiven Widerstand inhaftiert und unter anderem im KZ Buchenwald festgesetzt und gefoltert. Nach der Befreiung des KZ Buchenwald war er einer der bedeutendsten und offensivsten Gewerkschafter Baden-Württembergs und führte als langjähriger Bezirksleiter der IG Metall zwei große Streikaktionen zum Erfolg. Für seine konsequente Haltung steht auch sein Motto „Du sollst dich nie vor einem lebenden Menschen bücken“.

„Hindenburg war früher kein Vorbild und ist heute erst recht keins“ schreibt die Fraktion und daher fordere sie die „Umbenennung des “Hindenburg-Baus” nach einer demokratischen Persönlichkeit.“

Im Juni und Juli 2010 werden die Anträge im Gemeinderat beraten und um es kurz zu machen, ergeht der Beschluss: „Die vom Gemeinderat am 9. Mai 1933 verliehene Ehrenbürgerwürde an Paul Ludwig Hans Anton von Beneckendorff und von Hindenburg (Paul von Hindenburg) wird förmlich aberkannt.“

Im gleichen Jahr wird „auf Bitte des Stuttgarter Gemeinderats die Namensgeberschaft von Paul von Hindenburg für den Bau beendet und der Schriftzug „Hindenburgbau“ von der Fassade des Gebäudes entfernt.“

Einen neuen Namen hat der Bau nicht bekommen, Willi Bleicher wäre sicher eine gute Wahl gewesen, aber wenigstens ist der Name Hindenburgbau verschwunden.

Die Ballade des Vergessens

In den Lüften schreien die Geier schon,
Lüstern nach neuem Aase.
Es hebt so mancher die Leier schon
Beim freibiergefüllten Glase,
Zu schlagen siegreich den alten bösen Feind,[
Tät er den Humpen pressen…
Habt ihr die Tränen, die ihr geweint,
Vergessen, vergessen, vergessen?

Habt ihr vergessen, was man euch tat,
Des Mordes Dengeln und Mähen?
Es läßt sich bei Gott der Geschichte Rad,
Beim Teufel nicht rückwärts drehen.
Der Feldherr, der Krieg und Nerven verlor,
Er trägt noch immer die Tressen.
Seine Niederlage erstrahlt in Glor
Und Glanz: Ihr habt sie vergessen.

Vergaßt ihr die gute alte Zeit,
Die schlechteste je im Lande?
Euer Herrscher hieß Narr, seine Tochter Leid,
Die Hofherren Feigheit und Schande.
Er führte euch in den Untergang
Mit heitern Mienen, mit kessen.
Längst habt ihr’s bei Wein, Weib und Gesang
Vergessen, vergessen, vergessen.

Wir haben Gott und Vaterland
Mit geifernden Mäulern geschändet,
Wir haben mit unsrer dreckigen Hand
Hemd und Meinung gewendet.
Es galt kein Wort mehr ehrlich und klar,
Nur Lügen unermessen…
Wir hatten die Wahrheit so ganz und gar
Vergessen, vergessen, vergessen.

Millionen krepierten in diesem Krieg,
Den nur ein paar Dutzend gewannen.
Sie schlichen nach ihrem teuflischen Sieg
Mit vollen Säcken von dannen.
Im Hauptquartier bei Wein und Sekt
Tät mancher sein Liebchen pressen.
An der Front lag der Kerl, verlaust und verdreckt
Und vergessen, vergessen, vergessen.
Es blühte noch nach dem Kriege der Mord,
Es war eine Lust, zu knallen.
Es zeigte in diesem traurigen Sport
Sich Deutschland über Allen.
Ein jeder Schurke hielt Gericht,
Die Erde mit Blut zu nässen.
Deutschland, du sollst die Ermordeten nicht
Und nicht die Mörder vergessen!

O Mutter, du opfertest deinen Sohn
Armeebefehlen und Ordern.
Er wird dich einst an Gottes Thron
Stürmisch zur Rechenschaft fordern.
Dein Sohn, der im Graben, im Grabe schrie
Nach dir, von Würmern zerfressen…
Mutter, Mutter, du solltest es nie
Vergessen, vergessen, vergessen!

Ihr heult von Kriegs- und Friedensschuld – hei:
Der Andern – Ihr wollt euch rächen:
Habt ihr den frechen Mut, euch frei
Von Schuld und Sühne zu sprechen?
Sieh deine Fratze im Spiegel hier
Von Haß und Raffgier besessen:
Du hast, war je eine Seele in dir,
Sie vergessen, vergessen, vergessen.

Einst war der Krieg noch ritterlich,
Als Friedrich die Seinen führte,
In der Faust die Fahne – nach Schweden nicht schlich
Und nicht nach Holland ‚chapierte.
Einst galt noch im Kampfe Kopf gegen Kopf
Und Mann gegen Mann – indessen
Heut drückt der Chemiker auf den Knopf,
Und der Held ist vergessen, vergessen.

Der neue Krieg kommt anders daher,
Als ihr ihn euch geträumt noch.
Er kommt nicht mit Säbel und Gewehr,
Zu heldischer Geste gebäumt noch:
Er kommt mit Gift und Gasen geballt,
Gebraut in des Teufels Essen.
Ihr werdet, ihr werdet ihn nicht so bald
Vergessen, vergessen, vergessen.

Ihr Trommler, trommelt, Trompeter, blast:
Keine Parteien gibts mehr, nur noch Leichen!
Berlin, Paris und München vergast,
Darüber die Geier streichen.
Und wer die Lanze zum Himmel streckt,
Sich mit wehenden Winden zu messen –
Der ist in einer Sekunde verreckt
Und vergessen, vergessen, vergessen.
Es fiel ein Schuß. Steif sitzen und tot
Kanoniere auf der Lafette.
Es liegen die Weiber im Morgenrot,
Die Kinder krepiert im Bette.
Am Potsdamer Platz Gesang und Applaus:
Freiwillige Bayern und Hessen…
Ein gelber Wind – das Lied ist aus
Und auf ewige Zeiten vergessen.

Ihr kämpft mit Dämonen, die keiner sieht,
Vor Bazillen gelten nicht Helden,
Es wird kein Nibelungenlied
Von eurem Untergang melden.
Zu spät ist’s dann, von der Erde zu fliehn
Mit etwa himmlischen Pässen.
Gott hat euch aus seinem Munde gespien
Und vergessen, vergessen, vergessen.

Ihr hetzt zum Krieg, frischfröhlichen Krieg,
Und treibt die Toren zu Paaren.
Ihr werdet nur einen einzigen Sieg:
Den Sieg des Todes gewahren.
Die euch gerufen zur Vernunft,
Sie schmachten in den Verlässen:
Christ wird sie bei seiner Wiederkunft
Nicht vergessen, vergessen, vergessen.

Klabund – Aus dem Gedichtband „Die Harfenjule“ – erschienen 1927 im Verlag „Die Schmiede“ in Berlin. Fredi nennt ihn „Neue Zeit-, Streit- und Leidgedichte“.