Oft gedenk ich deiner, kleine Stadt

Erinnerungen an Alfred Henschke-Klabund

Am 4. November 1965 wäre Klabund 75 Jahre alt geworden. Zahl­reiche deutsche Tageszeitungen haben aus diesem Anlass Gedenkaufsätze veröffentlicht. Etwa ein halbes Dutzend davon wurde dem Herausgeber von aufmerksamen Heimatfreunden zugeleitet. Nachdem Leben und Werk Klabunds in den „Heimatgrüßen“ bereits mehrfach aus eigener Sicht dargestellt worden sind, möge es für diesmal sein Be­wenden haben mit der Wiedergabe einer in der Würzburger „Main Post“ erschienenen Erinnerungsplauderei von Heinz. Grothe. die bereits Be­kanntes auf einprägsame Art er­gänzt.

Der Crossener Apothekersohn Al­fred Henschke, der unter dem Pseudonym Klabund in der deut­schen Literatur unseres Jahrhun­derts seinen Platz eingenommen hat, wurde am 4. November 1890 am Oderstrom geboren, dort wo der Bober in den Fluss einmündet Als der junge Henschke nach Berlin und München als Student kam, erdachte er sich aus den beiden Worten „Klabautermann“ und „Vagabund“ seinen Autorennamen Klabund. 1928 ist er in Davos an den Folgen einer über Jahrzehnte hin ihn begleitenden l.ungenerkrankung gestorben. Seine Gedichte „Himmelsleiter“, „heißes Herz“, „, „Harfenjule“ und wie die Bände alle heißen, seine expressio­nistischen Kurzromane wie „Moreau“, „Pjotr“, „Mohammed“ oder der märkische Schelmenroman „Bracke“ und die leidenschaftliche Familien­geschichte der „Borgias“ haben ihn als Erzähler weiten Kreisen bekannt gemacht. Sein Bühnenstück „Der Kreidekreis“ wurde 1024/25 zu einem Welterfolg, die Komödie „XYZ“ hat französischen Charme. 1933 schrieb der Autor dieser Erinnerungen eine kleine Biographie über den Dichter. Das schmale Büchlein ist bis auf den Tag der einzige Versuch dieser Art geblieben. Dafür gibt es aber eine Anzahl Dissertationen über Klabund.

Übrigens durfte der Dichter sich mit Fug und Recht Dr. Klabund nennen: Er hat seinen Doktorhut mit einer naturwissenschaftlichen Arbeit über die „Gottesanbeterin“, diese seltsame Heuschreckenart, erworben. Kaum einer seiner Freunde, nicht einmal seine Angehörigen, haben darum gewusst.

1927, glaube ich, sah ich den Dich­ter im Berliner „Romanischen Café am Nebentisch. Ich getraute mich da­mals nicht ihn anzusprechen, obschon ich mit heißem Herzen seine Prosa, seine Gedichte las. Ich fragte einen Kellner, der mich bediente, wo er wohne, nachdem Ich sicher wusste, dass es wahrhaftig Klabund war. Aber da war mein Tischnachbar schon verschwunden. Ich schickte ihm eine Karte in sein Hotel. Als ich kaum noch eine Antwort erhoffte, erhielt ich eine Eilnachricht; „Bitte kommen Sie heute Nachmittag zum Tee um 4 Uhr. Klabund.“ Ich fuhr zum „Hotel Adlon“. Für seine Frau hatte ich drei Rosen erstanden. Im Hotel meldete mich ein Portier an. ein Boy geleitete mich zu dem Zim­mer Klabunds. Als ich anklopfte, ge­bot eine freundliche Stimme: „Her­ein!“

Ich öffnete die Tür, und beim Ein­treten erlebte ich eine merkwürdige Szene: Jener Mann, den ich im „Romanischen Café“ gesehen hatte und der also Klabund war, wurde von einer zierlichen, kapriziösen, aber energischen und temperament­vollen, schönen Dame angefaucht und erhielt von ihr eine Ohrfeige, dass er in seinen Sessel erschrocken zurücklehnte. Ich stand verlegen an der Tür. Die In Ihrer Rage bezau­bernd anzuschauende junge Dame hauchte ein erstauntes „Oh“. Der Mann im Sessel erhob sich rasch, nannte meinen Namen, hieß mich willkommen und sagte zu dem Per­sönchen: „Ich habe ihn heute zum Tee gebeten!“ Dann durfte ich meine Rosen überreichen, wir setzten uns, und der Tee wurde gereicht. Es wur­de über belanglose Dinge gesprochen, ich durfte mir Fotos aus den verschiedenen „Kreidekreis“-Auffüh­rungen in einem Album ansehen. Eli­sabeth Bergner ist mir in Erinnerung geblieben (ich hatte sie aber auch in der Berliner Aufführung gesehen). Klabund deutete an, dass er nur wenige Tage oder Wochen in der Hauptstadt bleiben wolle, seine Ge­sundheit, oder richtiger seine Krank­heit,   verlange   gebieterisch nach einem Wechsel nach dem Süden. Vom Tessin und von Italien wurde gesprochen. Als wir uns trennten, bekam ich zum Abschied ein Foto von ihm. Fr schrieb darunter: „Einem sehr jungen Freund …, Kla­bund.“ ich zählte damals 15 Jahre.

1928 und später stand ich wieder­holt an seinem Grabe auf dem Crossener Bergfriedhof. Man hatte einen schönen Bundblick über die Stadt und den Strom. Klabund hatte sie bedungen in einer „Ode“, die so beginnt: „Oft gedenk ich deiner, kleine Stadt am blauen rauhen Oderstrom, nebelhaft in Tau und Au gebettet an der Grenze Schlesiens und der Mark, wo der Bober in die Oder, .wo die Zeit mündet in die Ewigkeit.“ Die Heimatstadt gab dem im August 1928 verstorbenen Sohn ein Ehrengrab, Ein befreundeter Berliner Bildhauer schuf das Denk­mal, das ein Profilbildnis in Bronze ziert, darunter stehen Name, Geburts- und Sterbedatum,

Klabunds Gattin, Carola Neher, sah ich wiederholt, als sie großen Erfolg in Fritz Schwieferts Komödie „Marguerite durch drei“ hatte. Da­mals erzählte sie auch, wie sie Klabund durch Zufall kennengelernt hatte: Sie kam mit der Straßenbahn von einer Probe in den Münchener Kammerspielen und fuhr heim. Un­terwegs sprang ein Mann mit einer dicken, schwarz-geränderten Horn­brille auf den Wagen, und sein Schwung warf ihn gegen sie selbst und ihre Freundin. Er lachte sie an Von Entschuldigung keine Spur. Im Gegenteil – er fixierte sie unge­niert. Das reizte Carola zu der Be­merkung: „Wenn Sie mich weiter so anstarren wollen, müssen Sie abends in die Kammerspiele kommen, da spiele ich die Hugenberg!“ Er lächel­te sie an und sagte nichts weiter als: „Gewiss“ Als sie am Abend – den nachmittäglichen Vorgang hatte sie längst vergessen – aus der Kulisse auf die Bühne herauskam, hätte sie beinahe ihren Einsatz verpatzt, denn von der ersten Parkettreihe her we­delte ihr vergnügt dieser unver­schämte Kerl aus der Tram mit einem riesigen „Rosenbukett zu. Der Strauß landete in Ihrer Garderobe. Eine Karte hing daran, darauf stand. „Du bist mir gut, und darum fern. Du bist mir fern, und darum nah. Du bist mein Stern, so sei mein Blut. Du bist mein Blut so sei mein Stern.“ 1295 haben sie in Breslau geheiratet — Klabund und Carola Neher.

1933 ist Frau Neher emigriert, später in die UdSSR gegangen. Dort hat man sie, angeblich wegen Diver­santentätigkeit, verhaftet, in ein Lager gesteckt und umgebracht. Die Nachrichten darüber sind spärlich. Bert Brecht, der sich während seiner Emigration in Moskau um das Schicksal der Polly seines Films von der „Dreigroschenoper“ gekümmert hat, konnte nichts herausbekommen. Mithäftlinge haben die Neher aber in Lagern getroffen und darüber be­richtet, dass sie erschossen wurde, ist bestätigt worden, angeblich we­gen Spionage, Klabunds „Vogel Kukukli!

Der Hannoversche Verleger Stege­mann brachte einst in seiner Reihe „Die Silbergäule“ als Band 79 Klabunds kürzesten „Liebesroman aus Schwabing“ unter dem Titel „Marietta“ heraus!. Joh. R. Becher, Emmy Hennings, der vergessene Theodor Etzel u. a. kamen darin .vor. Als dem Autor die Drucklegung nicht schnell genug voran ging, bombardierte er seinen Verleger mit Eil- und Expressbriefen. Stegemann ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen und schrieb zurück; „Ich merke wohl, Sie sind doch ein Expreß-lonist…“