Irene oder Die Gesinnung

Ein Gesang – 2. Auflage 1918

I

Ich entbiete euch im Namen
Meines goldnen Kaisers,
Der da sitzet
Auf geborstnen Wolken,
Wach verwittert,
Hold umhaucht
Von den Winden der Gerechtigkeit –
Und der Regen rast durch seine Bärte:
Ich entbiete:
Friede euch,
Den Friedelosen –
Und die Wunde tönt in meiner Brust.
Zum Gesange ruf ich,
Zur Gesinnung,
Und Irene donnere der Choral.

Zur Umarmung
Lockt die liebe Leier;
Zur Gestaltung
Reckt sich die Gestalt.
Und im Angesicht erblühter Blumen
Wandelt wirbelnd das ersehnte Bild.
Der ich Tier und Knabe,
Traum und Trübung,
Kränkende Erkrankung,
Bunte Beule
Aller Zeit:
Hört: ich rufe glühend zur Gesundheit!
Lauscht: ich preise knabenhaft die Mannheit!
Wißt: ich ahne tierisch dumpf den menschlich –
Unbegreiflich zaubervollen Wald …

Einsamkeit verdunkelt Mond und Sonne,
Und das Auge sinkt erblindet
Von den Tränen vieler Tage
Stumm in sich hinein.

Eremit bejubelt fromm den
Pilgerzug der vielen.
Und am Hange
Schönen Hügels
Lagert die Gemeinsamkeit.

Der ich unvollkommen
Und der Niedren einer
(Niedriger als eines Armen Haus,
Strohbedeckt,
Platt am Boden,
Breitgetreten,
Jedem Grashalm
Wohl erwünschter Grund),
Strahlend hebe ich die hohe Tuba
Und ich rufe rasend,
Rufe donnernd
Zwerg und Riese
Zur Vollkommenheit.

II

Blond ist mein Haar,
Blau mein Blick,
Rot meines Herzens
Flügelnder Gang.

Mein Blick liebt die Bläue
Des Himmels, des Meeres,
Der Beere, des Veichens,
Des Schattens am Turm.

Mein Herz liebt die Röte
Der sinkenden Sonne,
Des brennenden Waldes,
Des wandernden Weins.

Mein Haupt steht in Blondheit
Der Sonne, der Seele,
Der Ähren im Sommer,
Der Frauen im Mai.

Ich liebe die Bläue,
Das Feuer,
Die Blondheit,
Ich liebe der Gottheit
Entgöttertes Bild.

III

Mein Name Klabund.
Das heißt: Wandlung.
Mein Vater hieß Schemen.
Meine Mutter: Schau.
Schritt im Schatten
Lenkte mich löblich.
Birke im Winde
Deuchte verwandt.
Aus dem Tal
Stieg ich zu Berge.
Über Schroffen
Klimm ich zu dir.
An den Lippen
Silberner Quelle
Hing ich verdurstet,
Hing ich verdorrt.
Unter der Sonne
Stand ich erfroren.
In den Nächten
Starb ich den Schlaf.
Vogel Anmut
Blinkte bedeutend
Durch die Zweige,
Zeigte empor.
Vogel Wehmut
Donnerte dunkel
Zwischen den Felsen,
Zeigte empor.
Vogel Demut,
Scham und Schleier,
Schwebte unhörbar,
Zeigte empor.
Siehe, da neigte sich,
Gastlich mir winkend,
Abendlich schluchzend,
Schwärmender Stern.
Einsames Wesen!
Gossest mit Funken
Flüchtiger Ferne
Feuer in mich!
Ich erfaßte
Lichtes Verlocken;
Griff nach der guten
Funkelnden Hand.
Ach mich ermatteten
Mutigen Wanderer
Zog sie zum Herde,
Wies sie zur Ruh.
In der ersehnten,
In der ertönten
Eremitage
Schlug ich die Augen
Himmlisch empor.

IV

Als die Mutter oben auf dem Dache,
Auf des Hauses Garten mich gebar –
Bei des Springbrunns Glänzen,
Der mit schmalem Mund aus brauner Tonne sprang –
Riß ich mit den Händen
Himmel hoch vom Himmel:
Blaues Tuch,
Kühl,
In Meeresflut gebadet,
Schlang ich um die kindisch flache,
Fieberrote,
Purpurrote
Stirn.

Nacht erst nahm den kühlenden Verband
Von dem Fiebernden,
Der wahrlich weinte,
Und sie stellte
Milder Mutteraugen Kerzen
Um den Schlummernden.

V

Vater, es war nicht gut, daß du mich schlugst,
Weil mich das Boot auf dem wimpelnden Flusse trieb.
Vater, es war nicht gut, daß du mich schlugst,
Weil die Weite so silbern schaukelte.
Gültig war ich in der Genossen Zahl,
Die zum gleichen Ziele erhoben schien,
Selig ließ ich die Ruder fallen und
Sank in die Arme flüsterndem Nymphensein.

Zärtliches Spiel auf grünlichem Algengrund!
Muschel warf ich diskusgleich empor,
Nie durchschlug den Wasserspiegel sie,
Traf Libellenluft und Taubenlicht.

Zwischen meinen Rippen schossen
Hecht und Barsch.
Stichling nistete in meinen Achselhöhlen;
Und ein Schleier Samenfische
Hing
Baldachin
Über meinem kühlen Schlaf.

Ich erwachte, und ein Mutterauge,
Pfauenauge
Schwebte über mir.
Arzt betupfte meine schön erstorbene Stirn;
Hielt ein Federchen vor meinen Hauch.
Aber zischend fuhr ein Hieb der Hand
Meines Vaters mir ins Angesicht
Und zerspaltete den Knabenkopf.
Hirn rann übers Bett,
Gesichte glotzten,
Schwarze Fliegen
Hängten sich in Schwärmen an die Wunde,
Und sie leckten lüstern an dem Aase
Der ermordeten Natur.

VI

Um den alten Turm,
Um den hohen Turm
Zog ich oft der Möwe schlanken Kreis.
Wenn sie stieg und fiel,
Wenn sie sank und sang,
Tropfte Blut aus meinem Augenblick.

Himmel war erhöht,
Weinberg nah betaut,
Auf dem Fluß die Boote blendeten.
Kleine Stadt: im Tal
Meiner engen Brust
Lärmte leise wie ein Mäusepaar.

Von dem alten Turm,
Von dem hohen Turm
Bröckelt Stein und tropft der rote Sand.
Nebel fraß das Licht.
Kleine Möwe schoß
Der Rakete gleich in Dämmerung.

VII

Im klappernden Gesang von Holzpantoffeln
Müde am Morgen schon, wenn Palme friert.
Schnee schäumt. Herzen im Wind.
Blonde Behütung! Erste Magnolie!

Warum steigt die Träne ins dunkele Aug
Silbernem Bergmann gleich? Säumte die Sonne je
Scheues Mädchen die Jahre am Horizont?
Badet die Blinde am bunteren Gestad?

Liebe hat sich, das listige Lamm, entfernt,
Weidet Narzissenwiesen im Oberland.
Hände hüten, leise schaukelnd,
Venezianische Vase meinen Kopf.

VIII

Ich öffnete das Auge – und der Mond
Verneigte sich in seinem gelben Frack.
Befehlen Sie mein Herr, befehlen Sie
Musik?
Musik zum Abendmahl des Schlafes?
Ich winkte schwach,
Der Mond schritt zur Kapelle
Der Sterne, hob den Stock – und
Gelächter flötete und pfiff und paukte
Und strich auf Geigen schaurig durch die Nacht.

Auf meinem Bette tanzte ein vergangener,
Verlorener süßer Mädchentag

Mit einem künftig unerkannten Es.
Ich will, so rief ich mit geschlossenen Lidern,
Ich will dein Mein erkennen, kahles Du.
Erleuchte dich.

Die fahle Glatze glänzte,
Und von der Morgensonne grün bestäubt
Taktierte Mond den Tanz, der sich zerfranste
Und blaß auf meiner himmelblauen Stirn zerfloß.

IX

Immer wieder
Machst du mich zum Hahnrei
Der Geliebten,
Ehe ich sie liebte.

Ging ich durch den Frühling,
Sah ein schönes Mädchen,
Rief ich: Liebes Fenster,
Schließ dich nicht so bald!

Aber Scheibe klirrte.
Aber Scham beschwingte
Die Gardine, daß
Fahl sie flatterte.

Und ich wankte weh
Durch den feuchten Abend.
Und ich stürzte nicht
In das schwarze Haus.

Trübsal peinigt mich.
Feigheit hindert mich.
Stolz zermartert mich.
Liebe lästert mich.

Faun mit Pferdehuf,
Nach den Ställen stinkend,
Führt mit Eheschwüren
Das beschworne Bild.

Ach, ich bin berufen,
Sie im Herbst zu heilen.
Und gemeinsam klingen
Wir im lieben Leid.

Mit den Haaren trocknet
Sie den Schweiß von meiner
Stirne. Mit den Händen
Löst sie Schuh und Rock.

Kniet vor meiner ach zer-
Fallnen Statuette.
Ihre Lippen suchen
Veilchen, Mohn und Tod.

X

Wie Artischocken
Blättert mein Hirn.
Rauch entsteigt
Seinen Kaminen.
Krater brechen aus der Erde
Meines Leibes.

Blattern tupfen Träume auf die Haut.
Beine buchten sich an blaue Meere.
Inseln wachsen buschig aus der Brust.
Augen sind vom Glanz der Nacht entzündet,
Morsche Fingerspitzen trommeln Takt.

Frauen, die in Duft von Gärten hängen,
Aprikosendüfte, Rosenschleier,
Tönern Reh, die Efeulaube tönt.
Junge Herren, die wie Hirsche schreiten,
Hassen Heuchelei des Harrenden,
Des Verwesenden, der herbstlich blinkt.

Verachtung ist mein Schwert.
Hohn meine Wehr.
Ich trage meine schimmernden Geschwüre
Wie Perlenketten stolz.
Ich reife reich zu jauchzenden Gebresten.
Mich treibt es in den Schoß der Seraphim –
Mit Gottes Tochter geil mich zu vermählen,
Mit einem Kuß den Himmel zu verpesten …

XI

Steine trägst du zu Hauf,
Gedrängt
Von der Masse der Macht.
Trägt ein Name dich?
Eine Pflicht
Ist dir bräunlich in den Rücken eingebrannt
Deine Augen schwirren
Vertrocknete Libellen.

Dürres Gras wuchert
Zwischen deinen Schultern.
Moosig ist dein duldend Haar zerfilzt.
Deine Füße,
Lava überwallt,
Dürsten nach des Baches kaltem Grab;
Deine Hände,
Steine stürmend,
Wurden steinern selbst: Gebirge rauh.
Deine Wimpern wachen mit dem ersten,
Sie versinken mit dem letzten Hahnenschrei.
Ach, auch du
Bruder, kaum erkannt,
Hegst ein kleines Herz in kahler Brust.
Unter dem Gewölb der Rippen,
Vor dem Windewehn verwahrt,
Brennt ein blaues Licht Jahrtausende.
Niemandem
Leuchtet es,
Niemandem
Scheint es gut,
Wärmt dir dennoch
Deine Höhle
Ganz.
Und ein Liebendes
Entzündet
Leicht auch am geringsten Brande sich.

XII

Aus Fenstermäulern bleckten rote Zungen
Die Fahnen.
Geruch der Mannheit dampfte Opferrauch
Aus Kneipen und Kasernen
In die hellen
Himmel der Sommernacht.
An jedem Abschied hing ein Frauenmund,
Von Kinderlippen taumelten Gebete,
Die heilige Träne der Begeisterung
Zerfloß im Strome der zerrißnen Herzen.
Sie sollen uns das liebe Land nicht rauben,
Das Land, auf dem der Schwester Füße gehn,
Sie sollen uns das edle Wort nicht stehlen,
Das Wort, das Mutter! Bruder! Schwester! schreit.

Aus Vaterhäusern und aus Hurengassen
Traten bekränzt die schönen Jünglinge;
Noch fühlte der Entzückte sanft im Blut
Des Seufzers Segnung und der Nacktheit Würde.

XIII

Der Morgen bläst in seine rote Trompete.
Das silberne Horn des Mondes verklang.
Graue Husaren reiten durch den Tau.
So süß die Zimbel der Nachtigall!

Die kahlen Bäume betreten büßend den Raum.
Ein Verwundeter schluchzt.
Rot steht ein Kreuz auf weißem Leinentuch.
Daran gekreuziget: der bleiche Tag.

XIV

Was ist einsamer
Denn der Mensch!
Dem Herzen schlägt
Kein Echo.
Ungerufen
Ruft er die Götter –
Unerbeten
Steigt das Gebet
Stolzester Springbrunnen
Zum Himmel,
Leuchtet und fällt.
Dein Mädchen,
Ehedem
So schön an dich geschmiegt,
Sinnt süß Verrat.
Die Arme
Wirfst du blutend in die Luft,
Umarmest
Lauter Leere.
Und der Wind
Trägt dein Geschrei dem Hohn der Götter zu.

XV

Es sinken die Männer
Wie Halme im Herbste.
Es flammen die Flüsse
Im Blute des Bunds.
Es altert die Erde
Zerfurcht und zerrüttet,
Zerpflügt und zerrissen,
Gestirne und Stirn.

Ihr Feinde – verbrüdert!
Erinnyen – verschwistert!
Ihr Männer – verweibert!
Ihr Frauen – entmannt!
Ihr Mütter – verwaist nun!
Ihr Kinder – gebärend!
Entlobte! Entliebte!
O Freunde! verhaßt!

Wo find ich die Seele,
Den säumigen Findling,
Wo glaub ich dem Guten,
Wo hoff ich zur Nacht?
Die Augen gebreitet –
Die Füße im Tanze
Zerstampfen den Donner,
Zermalmen die Macht.

XVI

Wir werfen die Hände wie Fackeln in Nacht,
Wir Mütter,
Wir haben die Streiter zum Leben gebracht,
Zu Tode gebracht,
Wir Mütter.

Wir folgten dem Liebenden liebend ins Bett,
Wir Frauen,
Nun hängt uns am Halse ein Amulett:
Skelett:
Uns Frauen.

Die Eltern sprechen: Wir weinen uns blind;
Wir Kinder,
Wir treiben wie Spinneweben im Wind,
Wir blättern wie Grind,
Wir Kinder.

Zerfallen die Wangen, erloschen der Blick,
Wir hungern.
Wir wissen dem Menschen ein goldner Geschick,
Wir glauben an Glück,
Wir hungern.

Wir hungern wohl Ewigkeiten schon,
Wir hungern.
Urenkel erzeugt vielleicht den Sohn,
Dem Pflicht das Recht, dem Liebe der Fron,
Wir hungern.

XVII

Es jagen
Die Jünglinge
Gegeneinander.
Mit ihrem Blute ist
Der Mohn betupft,
Die Wolke angemalt,
Der Fluß beglänzt.
Der Kugelregen
Rinnt und rinnt
Schon Tage-,
Monde-,
Jahrelang.

Ganz aufgeweicht der Boden:
Blaches Braun.
Kein Baum mehr Baum:
Die Händeäste abgehackt.
Kein Gras mehr Gras:
Verdorrt in Schlamm und Schmach.
Kein Dorf mehr Dorf:
Der Kirchturm brach ins Knie
Und betete zermalmt. Die Häuser flohn
In Kraterinneres.
Kahl kräht der Hahn auf Aas.
Das Schwein
Nagt an der Wange des Gefallenen,
Des Faust sich um des Mondes Sichel krampft,
Zu mähen Lug und Lüge,
Tand und Tod.

Ihr Jünglinge,
Wem opfert ihr die Brust?
Den blauen Blick?
Die heilige Scham?

Die Zukunft hüllt ihr Haupt,
Verhüllt es schwarz
Mit ihres Haares Pelz,
Und niemand kennt
Ihr Schicksal: sei es Falter oder Fels.

Ihr Jünglinge!
In jedem stirbt ein Herz,
Ob er auch lebend mit den Leichen geh.
Der Mund lallt Leichtigkeit,
Die Sehne stockt –

O stopf mit Erde Schlund,
Gedärm und Glaube.
Ein jeder nagelt sich ans eigne Kreuz –
Er schleppt es selbst bis an die Schädelstätte.
Granate Geier lauert, wen sie fresse.
Der Schädel birst, und ein Gestirn zerplatzt.
Ein Haus zu Hause.
Eine schlanke Magd.
(Verheißung unterm Mieder: schwach gewölbt.)
Ein mütterlicher Abend.
Lampenluft.
Zehn Taler Löhnung.
Tanz im Grunewald.
Ein Mädchenlager unter Weiden.
Trunkener Teich.
Und Sonne, Wald und Wein und Freundlichkeit.
Ein Glockenruf, ein blauer Blumenhut
Und einst in weißer Wiege:
Jesuskind –
Dahin … Dahin …
Auf ewig dies: dahin …

XVIII

Meine Finger sind erloschen
Wie die Kerzen der Kommunion.
Veilchen blühen
Zwischen den Rippen
Welk.

Der spanische Reiter –
So leise er reitet!
Der Rauch der Höhlen
Verglommen – verglomm –

Es duftet die Erde
So bräunlich nach Regen.
Vergehen – verwehen –
In Liebe – in Luft.

XIV

Mich umwölket der Haß,
Seh ich im Westen den Mann,
Welcher mit Sonnen sprach,
Eingegittert in Schmach.

Wehrlos hockt er gekrümmt
Ängstlichem Affen gleich:
Wird beworfen mit Wort,
Wird bespieen mit Stein.

Wunde im Rücken schwärt.
Eiter dämpft das Gelüst:
Leiser zu leben – sein Schrei
Reißt in Fetzen die Nacht.

Schwester vom Roten Kreuz
Peitscht den eisernen Wicht.
Seine Lippe blaß
Schweigt metallen und mild.

Armes Frankreich – dein Blut
Rinnt in Strömen zu Tal.
Gierig schlürft ein Geschlecht
Schmählinge Rache und Raub.

Die im Kampfe bestehn,
Funkeln heroischer Faust.
Derer zu Hause Geschrei
Schmeißt mit Kugeln und Kot

Die gefangene Stirn
Hilflos hängend im Raum –
Sie zersplittert – es steigt
Pallas gerüstet empor.

Hüte dich, Westen, und sei
Deines Wesens gedenk!
Siehe, dich blendet erschreckt
Der erhobene Schild!

Pallas rüttelt den Schild,
Und der Osten entflammt,
Feurig dem Eisen entfährt
Süßestes Morgenrot.

XX

Ich kehre in meine Heimat zurück.
Ich suche das Dorf, den traulichen Teich,
Die watenden Gänse, den deutenden Baum,
Das Wasser im Brunnen, das holdeste Haus.

Ich gehe des Weges und frage das Feld:
Wo blühen Lupinen? Wo zittert das Korn?
Der schlanke Wald? Er wanderte aus
In welche Gegend? In welches Herz?

Wo kreisen Störche, strebend im Rauch,
Der den Kaminen friedlich entstieg?
Wo klingen Birnen? Wo blüht ein Strauch
Rosen um liebes Fenster?

Wo find ich die Mutter im Reigen der Kühe?
Mein liebliches Mädchen? Ihr seidenes Tuch?
Ich suche die Heimat: zerrissen, zertreten,
Ich suche mich selber und finde mich nicht.

XXI

Herr, ich liebte
Aller Dinge
Niederstes,
Beflecktestes.

Herr, ich kniete
Vor dem
Götzen
Geld.

Spielte mit den Teufeln
Um das goldne Glück.
Ein verspielter
Engel.

Morgentau beglänzte
Meine Einsamkeit.
Schwüre warf ich schwärmend
In den roten Mond.
Herr, ich trog den Treusten,
Häufte Ekel,
Kotigen Gewinst.

Herr, laß mich in dich verlieren;
Laß mich schweben mit den Wolken,
Laß mich singen mit den Vögeln,
Laß mich glänzen mit den Sternen,
Laß mich lieben mit den Tieren –
Schreiten mit dem Schreitenden.

XXII

Herr, ich brenne,
Ich bekenne
Meine Schuld,
Meine tiefe Schuld,
Meine hohe Schuld,
Schuldig bin ich
Jedes Menschen Schuld,
Schuld am Leben bin ich
Und am Tode –
Schuld am Kriege
Und an jedem Greuel.
Aller Menschen Sünden sind wie Speere
Mir in meine Brust gerannt.

Seht, ich bin Sebastian,
Seht, ich bin gekreuziget und singe.
Schuldig bin ich, weil ich duldete.
Seht, es träufelt unter meiner Achsel
Blut vom Speer des starrsten Stolzes.
Aus dem Bauche steigen zischend
Schlangen gleich
Und Echsen
Die Gedärme, blaue Boten
Fauler Völlerei.
Meine Augen
Hassen Dunkel,
Meine Ohren
Fürchten feige
Glockengitter
Und des vielen
Todes graue Schweigsamkeit.

Ach, ich bin mit Wollust wie mit
Feuchtem grünen Moos gefüllt.
Wollust blüht aus meinen Haaren,
Wollust weint aus meinen Tränen,
Wollust grölt aus meinem Maule,
Stinkt im Schweiße
Meiner Füße,
Meiner müden Wanderfüße,
Wollust tanzt um meine Schenkel,
Treibt gleich einer Kathedrale
Türme
In des Himmels roten Schoß.
Jede Jungfrau,
Zahm und züchtig,
Geht geschändet,
Taumelt lüstern
In den Weiher Hurerei.

Jener Wüstling,
Der ein Kind verführte,
Knabenhaftes Kind von sieben Jahren,
Sprang aus meinem unheilvollen Haupt.
Menschen hungern,
Weil ich’s widrig will.
Ich erschuf die Schwindsucht
Eiterschäumend,
Und die Wunde tönt in meiner Brust.

Da ich Kind schon
Log ich lästig
Mir zum Vorteil,
Daß ich spiele
Drachen steigen,
Reifen rennen,
Während meine Mutter starb.

Herr, ich habe schwer gesündigt,
Stahl dem Gatten
Gut und Gattin,
Kind und Treue,
Wert und Sein.
Herr, ich fluchte
Meinem Bruder,
Weil er wagte
Meine Tat.

Herr ich brenne,
Ich bekenne
Meine grenzenlose Schuld.

XXIII

Schwäne schwimmen alabastern
Auf den schwarzen Gefühlen der Verzweiflung.
Geschminkte Lippen lallen: Licht!
Ein gelynchter Jude hängt in der Sonne.

Gelächter regnet.
Fledermäuse krallen sich in die Frisur einer blonden Fürstin.

Metzger gehen mit zarten Nonnen spazieren.
Ein armer Berg wandert von Land zu Land.

Die gelben Mimosenbüsche zwitschern.
Ich schlage mit meiner Stirne Blut aus dem Felsen.
O so am Ende dennoch unendlich sein!
Wärme mich, Mutter, an deiner haarigen Brust …

XXIV

Wandre, Gebirge,
Heim
Zur Ebene.
Bedrücke
Des Pöbels Plan,
So fiebrig flach,
Die feiste Macht,
Beschlafend Geld,
Kasern und Krone.

Es winken
Die zarten Augen
Sausender Seen,
Mit Weidengesträuch bewimpert
Und Wimpel der Tannen:
Komm,
Mein ferner Freund,
Freundliche Ferne,
Versinke in mir.

Zertritt die trüben Städte,
Des Nebels Wohnung.
Knicke den Zaun aus Schornsteinen,
Der die Gärten umgibt.
Kirchtürme drohen taub:
Sie hindern nicht
Deinen glühenden Gang.
Im vereinsamten Dome plappern
Leere Gebete,
Muffige Luft
Bietet Beichte,
Auf Weihwasser
Schwimmen Algen.
Nur aus einem bunten
Verzauberten
Fenster
Schweben
Libellen,
Rot und blau und goldene Heilige,
Wohl von Löwen oder Hündlein
Scheu begleitet.

Diese, Gott Granit, zermalme nicht!
Dulde, daß sie
Schwebend dich betreten
Und auf deinem Felsen
Ihre Ätherkirche baun.

XXV

Herr, es ist genug gelitten,
Unser Hochmut ist gefällt.
Herr, es ist genug gehadert,

Herr, es ist genug gestritten.
Ares selbst versinkt in Seele.
Der Auguren arges Auge
Gibt nicht Trost noch Tränen mehr.

Völker winseln
Hündisch bockend,
Köpfe bellen,
Stirne kniet.

Dem Gelände
Droht das Ende.
Sende, sende
Deine Tochter in die Welt.

Wir geruhn auf Bajonetten,
Dornen stechen Raum und Rücken.
Unsere weißen, heißen Lippen
Geißelt Kuß der rauhen Braut.

Aus Europa
Ragt geschichtet
Von Millionen müden Maurern,
Von Millionen Sklavenbeilen,
Unterjochten,
Joch gejagten
Untertanen:
Ragt ein Eiffelturm von Knochen,
Turm von Babel ins Gewölk.

Niemand kennt des andern Kehle:
Lieder bergend, brüderliche.
Niemand hört des andern Herzens
Echoschläge durch die Nacht.

Schädel schleppen sie zur Schande,
Jeder tötet: treu dem Turm.

Eine Glocke hängt im Turme,
Riesenhafter Glockenschädel:
Klöppel ist ein Menschenarm –
Und sie läutet Tag und Nächte,
Jahr und Jahre
Zur Erhebung
Zur Belebung,
Allen, allen
Läutet sie zum Sturme.

XXVI

Schon balzt der Auerhahn, der bunte.
In den Äckerrinnen frieren Kaninchen.
Eine Gemse stürzt in den Gießbach.
Der Frosch entschläft.

Der Frost bereift die Flügel der letzten Fliege.
Der Fuchs ersehnt den hellen Winterpelz.
Geläut der Bäume, wenn die Blätter klingen.
Schlange raschelt durch totes Laub zum Bruder Strahl.

Wolken stürzen sich weinend in die Arme.
Elend des Abschieds, wenn der Wind verweht.
Erinnerung beglänzt den Bescheidenen.
Der erste Schnee. Ich möchte sterben gehn.

XXVII

Aus dem Osten,
Aus dem Land des
Grünen Drachens
Winkt Verheißung,
Rattert Prophetie.

In seidner Sänfte
Windgetragen,
Begleitet von flinkester Dienerschaft:
Stelzenden Kranichen,
Regen Ratten,
Knolligen Früchten,
Rosigen Muscheln,
Spitzen Fahnen,
Heiteren goldenen
Papierlaternen,
Farbigen Frauen,
Möglichen Menschen,
Träumertrabanten,
Klingelndem, klimperndem
Porzellan,
Strahlendem Pferdchensein – – –
In einer seidenen Sänfte
Lind getragen
Fliegt über Meere von Reis,
Über riesigen Schnee,
Durch sibirisch Gestrüpp,
Über den blauen Ural
Göttin Ginga dereinst.

Es vergehe
Der alte Gimpelgott,
Gaunergott,
Gildengott –
Fahre zur Hölle,
Fahre verflucht!

Ginga gebäre
Von dreien Vätern:
Dem schleichenden Gelben,
Dem stampfenden Schwarzen,
Dem schwebenden Blonden,
Den wahren Gonggott,
Der erzen dröhnt,
Tanzgott,
Der dunkel schwirrt,
Schaumgott,
Der nordisch wogt:
Wikinger, Wolgamönch und Drachensohn.

XXVIII

Auf einer weißen Kuh
Rittest du nackt durch den Schnee.
Deine Brüste zart
Klangen wie Schellengeläut.
In den Händen du
Hieltest struppigen Baum:
Kleine Tanne, daran
Engel schwebeten.
Rosen sprossen im Schnee,
Tulpen aus Achselgewölb.
Aus dem blonden Gelock
Fuhren Flammen empor.
Und die Flamme ergriff
Turm und Trauer und Traum.
Feuer stieg wie Gesang
Aus dem Munde der Menschheit heldenhaft.

XXIX
Ich begegnete dir als
Blinder Bettler.
Letzter
Niederster der Niedern,
Die am Wege
Grau sich wälzten.

Des Verbrechens hölzern Krause
Hing um meinen Hals.
Aussatz bog sein goldnes
Auge aus der Stirn.
Und der Hände helle Knochen
Klapperten wie Kastagnetten.

Aber du erhobest
Alsobald
Den bescheidenen Blick vom Boden,
Schöne Schwester der Barmherzigkeit!
Stolze Dame Unterworfenheit!

Und du sprachst
Und spieltest
Mit dem Rosenkranz von Sternen,
Flüstertest im gleitenden Gebet:
Dieser ist es,
Dieser,
Den ich suche!

Hymnus weiß den Irrgang der Natur,
Irrt durch die zerstörte Flur
Und er findet
Schluchzend sich im Fluche.

XXX

Entsteigest,
Nackte Nymphe,
Efeublond
Dem strahlenden Jackett.
Wie eines Adlers dunkler Flügel
Hängt schwarzer Hut beschirmend über dir.
O, deine Brüste,
Kessel sanften Feuers,
Daraus
Die Flamme
Meiner Inbrunst
Springt.

XXXI

Wie süß zu denken: die Göttin segnet mich.
Blonde Göttin! O goldne Hirtin des Hains!
Wippend treibst du Wolken in Vogelwind
Oder Sternkühe in Wiesennacht.

Dir scheint ein Seufzer voller Bedachtsamkeit,
Brunnenfiguren bilden dein zaubrisch Gefolg.
Steinerne Herzen, feixende Faune, tönern
In den Abend verklingender Hirtengesang.

Was deine Hände fassen, zittert bezähmt:
Roggen im Sommer oder Mänade im Herbst,
Wildes Wasser – im Wasser schöpftest
Du auch mich in deine gehöhlte Hand.

O, entlaß mich zu meinem Element!
Schon zerfließe ich zwischen deinen schlanken
Strahlenfingern: mich nimmt verbrüdert
Erde in ihre Fruchtbarkeiten auf.

XXXII

Liebst du ewig?
Ich liebe heute.
Heute ist unsere Ewigkeit.
Heute ist unser Kometensturz.
Heute rollt der Schollenschwung
Indischer Eiszeit
Über uns liebendes Land hinweg.

Möge der Sterne
Springbrunn zerstäuben,
Möge der Sonne
Strahlender Pfirsich
Schmelzend zergehn!
Heute liebte ich
Deine Liebe,
Heute lächeltest
Du mein Lächeln.
Heute liebten wir
Ewig uns.
Eine stürmische Stunde war
Alle Ewigkeit unser.

XXXIII

Noch spüre ich den Ruch
Von deinem Schoß
An meinen Fingerspitzen.
Noch schwebe ich,
Ein seliges Schiff,
Auf blondem Flusse
Ganz bekränzt.
Um meine Stirne
Schwirren Bienen bunt.
Die Blüte rauscht:
Lupinen! Fernes Feld!
Weit offen
Steht das Tor der nächsten Nacht.
Mein Herz:
Ja, tausendfach erglüht im Dunkeln
Herz neben Herz im milden Morgenwind.

XXXIV

O sitze stumm
Und höre meine Beichte:
Jeder von uns verließ schon eine Frau –
Der er Gift gab
Im Becher des Kusses –
Stellte sie nackt
Seinen Freunden zur Schau.

O wolle Absolution erteilen
Der schönen Schmerzen schwarze Tänzerin!
Siehe: unser aller Tränen rinnen
Mit den deinen zu einem Ziele hin.

XXXV

Ich sann.
Ich säumte.
Ich flötete fröhlich.
Nun will ich die Handlung.
Nun will ich die Tat.

Ich rufe zum Rennen!
Zur rasenden Schleuder!
Es schieße in Ähren
Das ödige Feld.

Es wachse in Wildheit
Der Mohn und die Rade.
Es werde,
Es werde,
Was wurde
Und war.

Die Güte des Geistes,
Die Geister der Güte –
Sie leben! sie leben!
Und türmen die Tat!

XXXVI

Mein Wappen trug
Den Löwen.
Viel kriegerisch Getier:
Greif, Adler, Bär,
Den schlanken Wolf,
Die schweißige Hyäne,
Vom Aase der Natur
Sich nächtlich unterm Schattenmonde nährend.
Es wuchs mein Haar wie Wald.
Simson, du siegst!
Die Stirne greift an Gipfel.
Wille ward.
Ein Katarakt von Kräften
Bricht
Aus Wald und Felsen.
Mit eines Esels Kinnbacken
Erschlage
Den Löwen ich, des Wappens wildes Tier,
Und setz an seine Stätte, sanft gefügt,
Das braune Lamm, die friedliche Gazelle.
Sie springe über goldenes Geklipp
Auf eine Weide voller Hyazinthen.

XXXVII

Ich sah eine junge Ziege im Tal.
Ich sah ein braunes Reh im Wald.
Ich sah eine rote Wolke im See.
Ich sah einen Tausendfüßler vor meiner Tür.

Ich ging auf den Berg. Der Berg war du.
Ich lief mit dem Adler durch die Luft.
Die Lüfte hingen an meiner Brust
Wie deine weißen Brüste so weich.

Ich suchte in Menschen. Ich fand nur dich.
Dein Auge stand im fremdesten Mann.
Dein Fuß zog zwitschernd durch den Schnee,
Grüne Meise und spitzer Spatz.

Ich rief die Sonne. Du stiegst empor.
Ich schrie zum Monde. Du küßtest mich gold.
Ich winselte nach Vernichtung; du
Lagst noch als Totengerippe auf mir.

XXXVIII

Was ich gemessen zumal
Irdisch am mählichen Maß –
Höher heb ich den Stab,
Springbrunn stäube im Sturm,
Übersäe den Park
Mit den Perlen des Lichts,
Die da glänzen so heiß,
Die da kühlen so gut.

Jubel sprenge die Brust,
Daß sie zur Harfe sich bäumt.
Auf den Rippen spielt
Tod zum Leben auf.

Als der Frühling blühte,
Als das Paradies
Sich entfaltete,
Wehte Gottes Auge
Blau im Wind.

Glaube findet sich zum Mute.
Gib uns, Gott: das Gute!
Gib uns Zeit!
Und den Raum zu ewiger Blüte:
Güte

XXXIX

Ich bin aus mir herausgeworfen
Und nicht mehr würdig meiner selbst.
Ich war ein Fürst von winzigen Provinzen,
Die ich regierte, wie es Fürsten ziemt,
Mit Gottes Gnade,
Menschlicher
Gerechtigkeit.
Sylvester lädt zur Einkehr:
Letzter Tag!
Vielleicht du stirbst – und siehst kein neues Jahr …
Verwirf dich – denn du warst nur Instrument.
Maschine und
Marotte.
Rad, vom Fluß
Getrieben und beglitzert.
Werde still!
Der Bach blüht ohne dich.
Die Mühle klappert,
Von jüngeren Motoren schon befehligt.
Du moderst.
Regnest aschig in den Herbst.
Ein Weiserer verwest dein Fürstentum,
Da du verwesest.
Ruh im Rauch dich aus,
Der aus den neu errungnen Städten steigt:
Ein Zeichen holdester Betriebsamkeit.
Nicht ganz vergaß man dich:
Ein Knabe liest
Von deinen Heldentaten bei der Kerze
In gelbem Buch: verstört und jäh entzückt,
Gerufen und gespornt zum gleichen Drange.
Ein altes Fräulein, das Erinnerung
In einen Himmel voller Küsse stellt,
Streut Tränen um dein Grab.
Auch du, auch du
Liebkostest Liebe in den langen Nächten
Und hingst am Galgen eines Mädchenleibs.

XL

Häuser stürzten schräg,
Bücher brandeten,
Dampfer lockten mit Sirenenton.
Bündel Kleider kam
Und entfaltete
Sich als Blume Fernweh morgendlich.

Lag Amerika
Nicht betäubend nah,
Wo die Elbe sich ein wenig tiefer furcht?
Austernbank erglänzt,
Kupferkessel schwärmt
In dem billigen Opernglas.

Wolkenkratzer schäumt,
Eigenes Meer zu Haupt.
Autos laufen fraulich durch Alleen.
Regenbogen spannt
Neues Vaterland
Ganz aus Myrrhen, Rauch und Aloe.

XLI

Scheine, du Schlaf,
Lampe voll friedlichen Öls.
Schon erzittern geheim
Die Wimpern.
Schon entschwebt
Zur Ampel empor
Das Zimmer:
Luftige Brigg.
Leise tönen
Die Wände des Herzens
Vom Anruf des Meeres.
Milde atmet die Brust.
Im blinkenden Atem steigen,
Wie auf Leitern aus zartem
Silbernen Strick,
Die Gestalten des Tags,
Schön gewandet,
In das schaukelnde Schiff.
Mädchen, dich nimmt es zuerst,
Dunkel lächelt dein Mund,
Buch, du folgest zumal,
Seitenschlagend,
Flügelschlagend
Sinkst du auf die Schulter des Mädchens:
Fledermaus.
Ein Ermordeter,
Noch des Messers Stich
In der grünen Stirn,
Geht gelassen an Bord.
Eine Glocke beruft.
Wie ein Dutzend gelockter Kinder –
Von der Glocke gelockt –
Klimmen heitere Melodien
Hurtig empor.
Siehe: die Ampel tanzt.
Es stürzen die Mauern.
Tapete
Flutet – auf Blumenflut
Gleitet das gläserne Boot.

XLII

Nicht freut es, ewig in Sonne liegen.
Ich fürchte das Licht und den blendenden Berg.
Kinder schreien. Ein alter Mann schippt Schnee.
Skiläufer holpern über verborgenes Land.

Wozu dies Herz? Wozu des Griffels Geist?
Um hölzernen Arm dreifaches Bracelet
Verheißt eine Lebensdauer von neunzig
Siechen und säuselnden Jahren.

In Grotten glüht verbannt des Milderen Licht.
Dort glänzt es glücklich im Widerschein der Wand.
Dort atmet warme Feuchtigkeit. Es tropft
Träne auf Träne vom moosigen Gewölb.

Vielleicht wir finden Frieden. Ruhe besteht.
Nicht atmen, blicken, blühen, sterben müssen.
Sein ist Sein. Es geschiehet nichts.
O erhabener Mond in der Urne des Tods!

XLIII

Wenn ich gehe zu Gott,
Trag ich in Händen das Wort.
Nimm es zurück! Ich tat,
Was du erwähltest, mit ihm:
Tötete mit dem Wort,
Zeugete mit dem Wort.
Nimm es zurück! Und schaff
Leicht mir die Hände und leer.
Müde ward ich der Macht.
Kränze klingen zur Stirn.
Um meine Schläfen der Schlaf
Rührt die Flügel bereits.
War am Anfang das Wort,
Ist es am Ende nun:
Logos lebt. Er erhellt
Wunder, Wesen und Welt.