Geschichte des Monte Verità

Der Monte Verità (Höhe 321 m ü. M.) ist für Tessiner Verhältnisse eher ein Hügel. Gelegen auf der Gemarkung von Ascona und oberhalb von Locarno am Lago Maggiore, war er zu Beginn des 20. Jahrhunderts Treffpunkt von Reformern, Pazifisten,   sowie Anhängern unterschiedlicher alternativer Bewegungen, Künstlern und Schriftstellern.

Häuser auf dem Berg Quelle: Stiftung Monte Verità

Eigentlich heißt dieser „Hügel“ Monte Monescia, aber bereits 1900, nach dem Kauf von vier Hektar durch die Gründer der Gemeinschaft tauften diese ihn in Monte Verità um.

Monte Verità übersetzt der „Wahrheitsberg“ kann aber auch wegen seiner Bewohner anders übersetzt werden – „Menschen – Berg“. Und zu dieser – meiner Übersetzung – hat wesentlich   Gusto Gräser beigetragen.

Gusto Gräser Quelle: Hermann Müller – http://www.gusto-graeser.info/

Erich Mühsam veröffentlicht 1905 seinen Bericht „Ascona“, in dem er von seinen Besuchen erzählt, von seinen Erfahrungen und Begegnungen. Darin heißt es:

„… Aber wenn ich nach Jahren wieder einmal nach Ascona komme und finde es bewohnt von Menschen, die durch Zuchthäuser geschleift, zerschunden von den Schikanen der Besitzenden und ihren Exekutionsorganen, dem Staat, der Polizei und der Justiz, endlich doch hier eine Heimat und eine Ahnung von Glück er­langt haben, dann will ich mich von ganzem Herzen freuen.“

Die Geschichte des Berges, seiner Bewohner und der zahlreichen Besucher beginnt im Spätsommer 1899, als sich Karl Gräser wegen einer Erkrankung nach Veldes, einer Gemeinde am Veldeser See begibt.

Im Kapitel über Karl habe ich geschrieben: „Während diesem Aufenthalt lernt Karl zwei Mitpatienten kennen, nämlich den belgischen Industriellensohn Henri Oedenkoven und eine Landsmännin, die Siebenbürger Musiklehrerin Ida Hofmann. Ihre gemeinsame Vorstellung: „„ein neues Leben, in dem die Herkunft wie ausradiert war und die Zukunft Gestalt annahm“

Ida Hofmann-Oedenkoven, Lotte Hattemer, Henri Oedenkoven im Winter 1902–03 Quelle: Wikipedia

Henri Oedenkoven

Geboren 1875 in Antwerpen als Sohn des Industriellen, Louis Oedenkoven gilt als Mitbegründer des Siedlungsprojektes Monte Verità. Während eines Aufenthaltes im Jahre 1899 in der Naturheilanstalt von Arnold Rikli in Veldes lernte er Ida Hofmann kennen und lebte danach in „freier Ehe“ und konfessionslos mit ihr zusammen.

Arnold Rikli Quelle: https://www.slovenskenovice.si/novice/slovenija/foto-na-blejski-strazi-so-se-soncili-nagi-153002

Der Autor Andreas Schwab schreibt:

„… Mit fünf anderen Personen gründeten sie im Jahr 1900 den Monte Verità in Ascona, der vor allem mit Oedenkovens Familienvermögen zu einem vegetarischen Zentrum ausgebaut werden konnte. Der spirituell interessierte Oedenkoven verwaltete das Sanatorium.

Theodor Reuß mit dem Schurz der Freimaurer Quelle: Wikipedia

Ab 1914 nahm er an den Sitzungen des von Theodor Reuss gegründeten Ordo Templi Orientis teil. In den ersten Kriegsjahren lernte er seine spätere Ehefrau, die Engländerin Isabelle Adderley kennen, mit der er drei Kinder zusammen hatte. Im Jahr 1920 verließen er, seine Frau Isabella und Ida Hofmann den Monte Verità und versuchten in Spanien, später in Brasilien eine weitere vegetarische Kolonie aufzubauen, was aber wegen der schlechten klimatischen Bedingungen nach kurzer Zeit scheiterte.“

Über Theodor Reuss und den „Ordo Templi Orientis“ schreibt Wikipedia:

„… Carl Albert Theodor Reuß (28. Juli 1855 in Augsburg – 28. Oktober 1923 in München) war ein deutscher Opernsänger, radikaler politischer Aktivist, Journalist, Sexualmagier, Theosoph, Freimaurer und Gründer okkulter Orden.

Der Ordo Templi Orientis (‚Orientalischer Templerorden‘), kurz OTO, ist eine zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründete okkulte Organisation, die bis in die Gegenwart als Initiatenorden esoterische Ideen und Praktiken lehrt. Zu den wichtigsten Praktiken gehört die Ausübung der Sexualmagie, die der zentrale Lehrinhalt des OTO ist. Die Ursprünge des OTO lassen sich zu den deutschsprechenden Okkultisten Carl Kellner, Heinrich Klein, Franz Hartmann und Theodor Reuß zurückverfolgen. Später wurde der OTO maßgeblich von Aleister Crowley geprägt. Zwei Organisationen, der Caliphat-OTO und OTOA, beanspruchten für sich die rechtmäßige Nachfolge des OTO.“

Aleister Crowley 1912 Quelle: Von Unbekannter Fotograf – http://en.wikipedia.org/wiki/File:Aleister_Crowley,_wickedest_man_in_the_world.jpg, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=7690722

Henri Oedenkoven stirbt 1935 in São Paulo, Brasilien.

Ida Hofmann …

Ida Hofmann-Oedenkoven Quelle: http://www.gusto-graeser.info/Sprache%20Italienisch/HoffmanIdaIT.html

… Wurde am 5. Oktober 1864 in der Universitätsstadt Freiberg in Sachsen geboren, schreibt Wikipedia. Dieser Geburtsort muss angezweifelt werden, denn in allen wichtigen Quellen heißt es, sie stamme aus Siebenbürgen.

Über ihre Familie lese ich bei Wikipedia:

„… Ida Hofmann entstammte väterlicherseits einer mit dem Banater Hütten- und Bergbauwesen verbundenen Familie. Ihr Vater war der musikalisch begabte Bergbauingenieur Raphael Hofmann (1829–1899), der im sächsischen Freiberg die Bergakademie besucht hatte. Ihre Mutter Luise stammte aus Braunschweig und war eine geborene Orges. Zum mütterlichen Verwandtenkreis gehörte der Schriftsteller und Historiker Justus Möser (Großvater) sowie der Geologe Bernhard von Cotta (Schwager). Ida hatte drei Geschwister: Justus und Eugenie (genannt Jenny), die älter waren als sie, sowie die jüngere Schwester Julia (genannt Lilly). 1879 verzog die Familie Hofmann nach Wien. Hofmann studierte Musik bei den Professoren Wilhelm Dörr und Julius Epstein. Sie absolvierte ihre Ausbildung als diplomierte Musikpädagogin und Pianistin.

Bernhard von Cotta Quelle: Wikipedia

Ida Hofmann ist Pianistin, Musikpädagogin und Autorin. Als Schriftstellerin beschäftigte sie sich mit Fragen der „Lebensreform“ und des Frauenrechtes und wenn das auch nicht so recht zusammenpasst, mit der Esoterik.

Vor ihrem 30. Lebensjahr arbeitet sie bereits als Klavierlehrerin in verschiedenen Familien des Wiener Adels. Man bietet ihr eine Stelle als Musiklehrerin im montenegrinischen Cetinje an, einer Stadt zwischen Podgorica und Budva mit etwa 13.900 Einwohnern. Dort hatte die russische Zarin eine Ausbildungsstätte für Töchter höherer Kreise eingerichtet. Sie nahm das Angebot an.

Naturheilanstalt Mallnerbrunn Quelle: Internet Gemeinfrei

Ein Besuch 1899 bei ihren schwer erkrankten Vater in Bled verändert ihr Leben: Sie mietete sich in der nahe gelegenen „Naturheilanstalt Mallnerbrunn“ von Arnold Rikli ein, der sich als „Sonnendoktor“ einen Namen gemacht hatte. Und dort – es ist zu erahnen – lernt sie Henri Oedenkoven und Karl Gräser kennen.

Ida Hofmann ist aber nicht nur eine der Begründer des Monte Verità sondern sie erwirkt auch als Autorin einige Aufmerksamkeit, Wikipedia schreibt:

„… Ida Hofmann beschäftigte sich in den Jahren des Aufbaus jedoch nicht nur mit lebensreformerischen Ideen, zu ihren Themen gehörten vor allem auch Fragen des Frauenrechts. 1902 erschien ihre erste Schrift „Wie gelangen wir Frauen zu gesunden und harmonischen Daseinsbedingungen?“ Hintergrund dieser Veröffentlichung waren fiktive Tagebuchaufzeichnungen, die unter dem Pseudonym „Vera“ in einem Leipziger Verlag erschienen und in der bürgerlichen Gesellschaft heftig diskutiert wurden. In ihren Niederschriften benutzte sie häufig die von Henri Oedenkoven entwickelte „neue ortografi“, die dem Motto: „Schreib wie du sprichst“ folgte. Hier ein Beispiel:

„(Die Bewohner des Monte Verità strebten) entgegen dem oft lügerischen gebaren der geschäftswelt u. dem her konvenzioneler forurteile der geselschaft (danach) in wort u. tat war zu sein, der lüge zur fernichtung, der warheit zum sige zu ferhelfen.“

Henri Oedenkoven und Ida Hofmann (1903) Quelle: Von unbekannt – [1], PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=10101526
Und weiter:

„… In den ersten Jahren des Ersten Weltkriegs lernte Henri Oedenkoven die 1890 in Indien geborene Tänzerin Isabelle Adderley kennen. Er heiratete sie und hatte mit ihr drei Kinder. Ida und Henri blieben einander aber freundschaftlich verbunden. Um 1920 verließ sie mit der Familie Oedenkoven den Monte Verità und ging mit ihr schließlich nach Brasilien. Ziel war es, dort eine neue Kolonie mit dem Namen „Monte Sol“ zu errichten. Ida Hofmann erkrankte schwer und sucht Heilung bei verschiedenen Spezialisten. Eine kurze Zeit arbeitete sie beim Rundfunk, schließlich fand sie als Schwerkranke Unterkunft bei ihrer jüngsten Schwester Lilly, die inzwischen auch nach Brasilien ausgewandert war und mit ihrem Ehemann, dem protestantischen Pfarrer Friedrich Wilhelm Brepohl, in Lapa / Parana lebte.“

Ida Hofmann starb 1926 in São Paulo, nachdem sie dort bei einem Arzt vergeblich Hilfe gesucht hatte.“

In der Zeitschrift „Die Südschweizerscheint am 15. 9. 1926 zum Tode von Ida Hofmann ein Artikel:

 „… Aus Lapa in Brasilien erhielten wir einen Brief mit einem Ausschnitt aus der „Deutschen Tageszeitung für Südbrasilien“, wonach genannte bekannte Pianistin und Schriftstellerin am 12. Juli 1926 in São Paulo im Alter von 62 Jahren gestorben ist. Diese Nachricht dürfte weitere Kreise interessieren, da die Künstlerin auf dem Monte Verità eine hervorragende Rolle spielte. Der Flügel, an dem sie oft ihre Kunst ausübte, befindet sich heute im Kursaal.

In Siebenbürgen geboren, wo ihr Vater als Sänger und Komponist ungarischer Nationallieder bekannt war, wirkte sie nach Vollendung ihrer Studien als Lehrerin im österreichischen Hochadel, in Cetinje als Musiklehrerin und Erzieherin der montegrinischen Prinzessinnen, am Hofe von Mecklenburg-Strelitz. Vom ungarischen Fürsten Bathyany nach Wien berufen, wurde sie dort ein gefeiertes Mitglied der Gesellschaft. Frauenfrage und Lebensreform bewogen sie, dem glänzenden Gesellschaftsleben zu entsagen und mit vier andern Idealisten, darunter Oedenkoven, Sohn des Großindustriellen und Schiffsreeders in Antwerpen, die bekannte Kolonie „Monte Verità“ in Ascona zu gründen.

Ferdinand von Wrangell (1897) Quelle: Wikipedia

Es entstand auf dem Berge der Wahrheit eine Erholungsstätte, ein internationaler Sammelpunkt von Schriftstellern, Künstlern, Reformern. Hermann Hesse, v. d. Schulenburg, Joh. Nohl, v. Wrangel, selbst der „unsterbliche“ Gabriele d’Annunzio etc., sodann bildende Künstler, wie Hermann (Max!) Kruse, Maler Fidus, Bildhauer Langer, Maler Erich (Ernst!) Gräser, Ida Pfaffenbach etc. hielten sich längere Zeit dort auf. Aber auch andere Berühmtheiten, wie Kurt Eisner, Erich Mühsam etc. trafen sich dort.

Kurt Eisner 1919 Quelle: Wikipedia

Sie selbst führte Konzertreisen in die Schweiz und andern Ländern aus und war schriftstellerisch, vornehmlich über Frauenfragen, sehr tätig, schrieb Bücher und für Zeitungen. Daneben war sie ein Sprachgenie, da sie sieben Sprachen fließend beherrschte. Ein Leiden bewog sie, den Süden Spaniens aufzusuchen und später nach Joinville in Brasilien zu ziehen, wo sie sich auch wieder an einer Siedlungsgründung, ähnlich Monte Verità, der „Monte Sol“ beteiligte. Sie kam dann nach Curiyba, wo sie auch am Radio wirkte; nach São Bento, und von ihrem Leiden ins Bett gezwungen, zu ihrer Schwester, Frau Pastor Brepohl nach Lapa (Parana). In São Paulo, wo sie ein Spezialist für ihr Leiden behandelte, wurde die ruhelose Erdenpilgerin von ihren langen Leiden erlöst. – Friede sei mit ihr!“

Immer bergauf – die Gründung einer „vegetabilen Kooperative“

Franz Hartmann Quelle: Wikipedia

Die Literaturwissenschaftlerin Dr. phil. Barbara Piatti beschreibt den Ursprung:

„… 1889 war es der Theosoph Alfredo Pioda, welcher zusammen mit Franz Hartmann und Gräfin Constance Wachtmeister die Errichtung eines theosophisches Klosters auf der damaligen Monescia (dem heutigen Monte Verità) planten und das entsprechende Grundstück erwarben. Das Projekt um ein Kloster wurde jedoch nie verwirklicht und im Jahr 1900 verkaufte Pioda das Gelände an Henri Oedenkoven.“

Constance Wachtmeister 1893 Quelle: Wikipedia

Zurück zu einem der Gründer – zu Karl Gräser. Im Jahre 1900 schied dieser aus dem Militärdienst aus. Karl war in seinen Anschauungen von seinem Bruder Gusto geprägt, der bereits seit einem Jahr ein Wanderleben führte. Gemeinsam unternahmen die drei Brüder Karl, Ernst und Gusto von Veldes aus eine Wanderung nach Florenz.

Oskar Schlemmer, Fotoporträt von Hugo Erfurth (1920) Quelle: Wikipedia

Der angehende Kunstmaler Ernst Heinrich Graeser (1884–1944) lebte später zeitweise ebenfalls auf dem Wahrheitsberg und lockte Studienkollegen wie Willi Baumeister, Oskar Schlemmer und Johannes Itten in die nahverwandte Kolonie in Amden, einer Gemeinde im Schweizer Kanton St. Gallen am Walensee.

Johannes Itten Quelle: Von Fotografie: Paula Stockmar (as mentioned at https://bauhaus.daserste.de/credits)Bearbeitung:MagentaGreen – Diese Datei wurde von diesem Werk abgeleitet: Itten001.jpg:, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=74951323

Und im gleichen Jahr traf sich Karl Gräser mit seinen ehemaligen Mitpatienten in Ida Hoffmanns Wohnung in München Schwabing. Dort wurde „Henris Plan“, – die Gründung einer „vegetabilen Kooperative“ beschlossen. Wikipedia schreibt:

„…Dort lebten Idas Mutter sowie ihre beiden Schwestern, Lilly (eigentlich Julia) und die ausgebildete Opernsängerin Jenny (eigentlich: Eugénie). Letztere war von Ida zur Planungsrunde eingeladen worden und sollte sich später mit Karl Gräser in einer sogenannten „Reformehe“ verbinden. Zum Treffen erschienen auch die Berliner Bürgermeisterstochter und Aussteigerin Lotte Hattemer, deren zeitweiliger Begleiter, der Grazer Gutsbesitzerssohn Ferdinand Brune sowie – unangekündigt – Karls Bruder Gusto. Beschlossen wurde, „Henris Plan“, – die Gründung einer „vegetabilen Kooperative“, am Ufer eines der oberitalienischen Seen umgesetzt werden sollte und dass man sich, um ein entsprechendes Gelände zu finden, sich unverzüglich – und zwar zu Fuß – auf den Weg machen wollte. Ferdinand Brune musste zurückbleiben, da außer Lotte Hattemer ihn niemand in der Gruppe für projekttauglich hielt. Auch Gusto Gräser verweigerte die Gruppe mehrheitlich die Teilnahme. Da Bruder Karl sich aber für ihn einsetzte, durfte er, allerdings nur geduldet, sich mit auf den Weg in Richtung Süden machen. Jenny Hofmann blieb vorerst in München zurück, um sich um die kranke Mutter zu kümmern.“

Lotte Hattemer auf dem Monte Verità, um 1903 Quelle: Hermann Müller – http://www.gusto-graeser.info/Sprache%20Italienisch/HoffmanIdaIT.html“>http://www.gusto-graeser.info/Sprache%20Italienisch/HoffmanIdaIT.html

Ida Hofmann notiert in ihrer Chronik, Gusto Gräser sei eine „absonderliche Erscheinung“ gewesen und aus manchen anderen Gründen für das ins Auge gefasste Projekt „nicht geeignet“, man habe ihn nur geduldet.

Bis nach Oberitalien kamen die „Wanderer erst gar nicht, bereits in Ascona am Lago Maggiore wurden sie fündig. Ein Hügel namens „Monte Monescia“ mit einer Fläche von ca. 4 Hektar wurde Spätherbst 1900 gekauft mit Geldern, die vor allen aus Oedenkovens Erbe stammten, die Geburtsstunde des „Monte Verità“.

Aufgrund der Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe zerfiel diese in den folgenden Jahren. Bereits 1901 wurde Gusto Gräser auf Betreiben von Ida Hofmann und Henri Oedenkoven aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.

Hermann Müller schreibt:

„…Es kommt jedoch schnell zum Bruch mit dem Geldgeber, dem belgischen Millionärssohn Oedenkoven, der eine kommerziell betriebene Naturheilanstalt anstrebt. (1901) Die Gebrüder Gräser halten an ihrem Konzept einer Liebeskommune fest und verlassen das gemeinsame Unternehmen. Karl siedelt sich auf eigenem Grundstück an, Gusto setzt seine Wanderschaft durch Europa fort, kehrte jedoch immer wieder auf den Berg zurück und von 1916 bis 1918 lebte er mit seiner Familie auf dem Landgut, dass sein Bruder Karl erworben hatte.“

Und bei Wikipedia lese ich:

„… Karl Gräser und Idas Schwester Jenny, die inzwischen auch eine Reformehe eingegangen waren, erwarben für sich ein eigenes Grundstück in der Nähe des Monte Verità. Dort lebten sie als „prähistorische Menschen“ in einer abgängigen Weinberghütte. Lotte Hattemer, psychisch schwer erkrankt, starb 1906 durch Gift, das ihr der drogenabhängige Arzt Otto Gross verabreicht hatte.

Licht-Luft-Hütte Casa Selma Quelle: Von LittleJoe, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4945189

Durch die Trennung der bisherigen Betreiber teilt sich die „Naturheilanstalt“ in verschiedene Projekte auf. Mit „wechselnder Belegschaft“ begannen Henri und Ida 1901 mit dem Bau eines Sanatoriums auf der Basis von Naturheilverfahren, sie wollten naturnahe Lebensformen auf dem Monte Verità, der Berg soll ein Ort der Freiheit in einer klassenlosen Gesellschaft werden und die Kurgäste sollen die Freikörperkultur zelebrieren. Man baute so genannte „Lichtlufthütten“, Dabei handelte es sich um einfach ausgestattete Holzhütten. Insgesamt war auf dem Gelände Platz für 36 Kurgäste, die für den dreißigtägigen Kuraufenthalt 100 Franken zahlen mussten und dabei diverse Naturheiltherapien erhielten.

Wasserbäder im Männer-Park Quelle: Internet gemeinfrei

Monte Verità wurde auch der Name der Heilanstalt und ein Treffpunkt von Künstlern, Schriftstellern, Pazifisten und Lebensreformern aller Couleur, Erich Mühsam, Hermann Hesse, Käthe Kruse, Max Weber, Gustaf Nagel und Jakob Flach, die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. So erschien z.B. 1903 der niederländische Lebensreformer Joseph Solomonson auf dem Berg und überzeugte vor allem Ida Hofmann von einer veganen Lebensweise, die bis dahin vegetarisch gelebt hatte.

Gustaf Nagel, um 1902 Quelle: Wikipedia

Diese Liste muss allerdings differenziert betrachtet werden, denn die genannten Personen hatten ganz unterschiedliche Gründe und Ziele auf den Berg zu kommen. Darauf werde ich noch eingehen.

Lebensreformer Joseph Solomonson Quelle: Pinterest

Robert Landmann, ein Zeitgenosse der Gründungsmitglieder, beschreibt den Ort als einen verwilderten ehemaligen Weinberg, auf dem lediglich ein kleines Steinhäuschen stand, das einmal eine armselige Osteria für Holzfäller war und zuletzt als Stall genutzt wurde.

Weiter schreibt Robert Landmann: „Nach Westen öffnete sich das breite Tal der Maggia. Zauberhaft war der Blick nach Italien zu. Zwischen zerklüfteten Bergen dehnte sich der unergründliche Lago Maggiore aus.“

Auch Karl Gräser gründete zusammen mit seinem Bruder Gusto eine Aussteigerkolonie, man wollte weitgehend autark leben und sich von den Erträgen der Feld- und Gartenarbeit gesund ernähren.

Der Autor Ulrich Neumann schreibt in seinem Artikel „Die Aussteiger vom Monte Verità“:

„… Einigkeit konnte nie erzielt werden, und so versammelte sich auf dem Monte Verità schon gleich zu Beginn eine illustre Schar von Schriftstellern, Malern, Intellektuellen und Anarchisten, aber auch Gesundheits- und Ernährungsaposteln, die keineswegs einheitliche Lebensvorstellungen hatten.

Es sollte ein Ort der Freiheit in einer klassenlosen Gesellschaft werden, in der man sich von den Zwängen der wilhelminischen Gesellschaft befreien wollte. Das kam auch in der Kleidung zum Ausdruck. Die Männer trugen Kniebundhosen und weit geschnittene Hemden. Der Hut war verpönt, stattdessen wurden die schulterlang getragenen Haare durch ein Lederband zusammengehalten. Man lief entweder barfuß oder trug offene Sandalen. Statt Knöpfen an den langen Gewändern behalf man sich mit Dattelkernen, berichten Chronisten.

Auf dem Monte Verità sollte auch Raum sein für feministisches Gedankengut und auch das sollte sich in der Kleidung zeigen. So trugen die Frauen weit geschnittene bodenlange Kleider und lehnten eng einschnürende Mieder kategorisch ab.

Psychoanalytiker Otto Gross Quelle: Wikipedia

Die Befreiung der Frau war aber nicht nur eine Frage der Garderobe. Inspiriert von dem Psychoanalytiker Otto Gross lebten einige Bewohner auf dem Monte Verità nach dem Prinzip der freien Liebe in nichtehelichen Lebensgemeinschaften.

All das muss auf die ortsansässige Bevölkerung im nahegelegenen Ascona recht befremdlich gewirkt haben. Überliefert sind polizeiliche Aktenvermerke, aus denen hervorgeht, dass die Bergbewohner aufgefordert wurden, sich bei ihren Besuchen in der Stadt den Gepflogenheiten anzupassen. Größere Konflikte scheint es allerdings nicht gegeben zu haben.

Von den Gästen des Sanatoriums wurde erwartet, dass sie sich einem rigiden Ernährungsplan unterwarfen. Dazu gehörte nicht nur der Verzicht auf Fleisch und Milchprodukte, sondern auch Kaffee, Tabak und Alkohol waren auf dem Monte Verità untersagt.

Die einseitige Ernährung mit Rohkostgemüse, ungekochten Früchten und Nüssen und die Beigabe von Speisesalzen verdarb den Gästen die Freude am Essen. Auch bei den ständigen Bergbewohnern stieß dies keineswegs nur auf Zustimmung.

Erich Mühsam Quelle: Internet gemeinfrei

Erich Mühsam – er gehörte mit zu den Gründungspionieren der Kolonie – berichtete, dass er sich mitunter heimlich nachts vom Gelände geschlichen habe, um in einem der für das Tessin damals schon typischen „Grotti“ eine zünftige Fleischmahlzeit zu verzehren.

Die Zutaten für die vegetarischen Gerichte wurden auf dem kargen Boden mit mäßigem Erfolg angebaut und geerntet. Die schwere Gartenarbeit war bei den ständig dort lebenden Bewohnern nicht sonderlich beliebt und so kam es immer mal wieder zu Streitigkeiten. Einige, die im Garten arbeiteten, wollten dabei der Natur ganz nahe sein und zogen mit Hacke und Spaten nackt in die Beete.

Ackerbau in der Vegetabilen Cooperative Monte Verità (1907) Quelle: Von unbekannt; Rechte: Ullstein-Verlag – Charlotte Janz: Artikel Richtig deutsche Weihnachten, in: Badische Zeitung vom 4. Dezember 2010, PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=9088849

Die Freikörperkultur war ein wichtiges Element auf dem Monte Verità, denn es gehörte zum Lebenskonzept, dass man sich auch ohne Hüllen der heilenden Kraft der Luft und des Sonnenlichts aussetzen sollte. Extra dafür hatten Oedenkoven und Hofmann in einem Teil des Geländes zwei nach Geschlechtern getrennte „Licht-Luft-Parks“ einrichten lassen, wo die Kurgäste „frei von allerlei lästiger Kleidung im Grase ruhen, laufen, turnen, spielen, Garten- und andere Arbeiten verrichten.“ So steht es in einem Prospekt aus dem Jahr 1904.

Quelle: Hermann Müller – http://www.gusto-graeser.info/

Und die Freikörperkultur gehörte auch zum Konzept des Münchener Choreographen Rudolf von Labahn, der 1913 auf den Monte Verità kam und dort eine Tanzschule gründete, Ulrich Neumann schreibt:

„… Zu den Merkmalen des damals entwickelten Ausdruckstanzes gehörte auch, dass sich die Tänzerinnen nackt bewegen sollten.

Das freizügige Treiben auf dem Monte Verità hat sich schnell rumgesprochen. Als in unmittelbarer Nachbarschaft ein Hotel gebaut wurde, konnten die Gäste dort von einem Turmzimmer aus einen Blick auf das seltsame Treiben der Monte Veritàner werfen. Als Henri Oedenkoven im Laufe der Jahre dann in Geldnöten war, nutzte auch er die Gelegenheit, von den Zaungästen Eintrittsgelder zu verlangen.

Neben der Licht-Luft-Therapie und der vegetarischen Ernährung wurden weitere damals in Mode gekommene Behandlungsverfahren aus dem Bereich der Naturheilkunde im Sanatorium angeboten. Dazu zählten neben den Wasserbädern nach Kneipp auch das Lehmbad und das Erdschlafen nach den Empfehlungen des als „Lehmpastor“ verehrten Emanuel Felke.“

Pastor Felke Quelle: Wikipedia

Das Ende kommt trotz aller Bemühungen, den „Betrieb“ auf eine tragfähige Grundlage zu stellen, denn unter anderem bleiben mit Beginn des ersten Weltkrieges immer mehr Kurgäste aus.

„1917 unternahm Henri Oedenkoven als Sanatoriumsdirektor einen letzten Versuch, den Gästen mehr Komfort und Abwechslung zu bieten. So wurden die rigiden Ernährungsvorschriften gelockert. Fortan war auch der Verzehr von Fleisch erlaubt und auch die Kleidungsvorgaben der Lebensreformer waren nun nicht mehr obligatorisch. Aber auch diese Maßnahmen konnten nicht mehr das Scheitern verhindern. Im Januar 1920 gab Henri Oedenkoven auf“, so Ulrich Neumann.

Das Sanatorium von Henri Oedenkoven und Ida Hofmann war das Aushängeschild des Monte Verità, Wikipedia schreibt:

„… bot zwar ein weithin sichtbares Aushängeschild und den Anziehungspunkt für zahlende Kurgäste, war aber durch sie an das Bestehende gebunden und daher im Kreis der Künstler und Schriftsteller wenig angesehen. (…) Dass die bisherige Geschichtsschreibung das Sanatorium in den Mittelpunkt stellte, war eine Folge der einseitigen Quellenlage. Oedenkoven und Hofmann hatten Dokumente und Schriften hinterlassen; die verstreuten Ansiedler, meist eigenwillige Individualisten, hinterließen kaum eine Spur.“

Von Hermann Hesse stammt der Satz: „«Mit diesen allen hatten wir eigentlich nichts Geistiges gemein“ und Erich Mühsam sprach schon 1904 von einem „rein kapitalistischen Unternehmen“.

In seinen Erinnerungen „Ansichten aus dem Tessin schreibt Ernst Heinrich Graeser:

„… Sie kamen nicht ins Sanatorium und nicht wegen des Sanatoriums, sie kamen, weil die Gräsers mit ihrem antimilitaristischen, antiautokratischen Widerstand eine Insel der Freiheit und Menschlichkeit geschaffen hatten. Hermann Hesse fand hier seine „Trauminsel“, Ernst Bloch „eine schöne Nebenerde“, Emil Szittya den „Hort der pazifistischen Bewegung“. Mit Labans „Sonnenfest“ vor der Grotte Gusto Gräsers feierten sie im August 1917 ihre künstlerische, geistige und politische Zusammenkunft:

Emil Szittya (1906) Quelle: Wikipedia

Tänzer, Maler, Dichter, Philosophen. Geeint in der Absage an die herrschenden Mächte, jenseits der Kriegsparteien, jenseits auch der Weltanschauungsparteien. „Anational“ nannte sich der Kongress, dem im Frühjahr ein anderer über „Tiermord und Menschenmord“ vorangegangen war. So jedenfalls lautete der Titel des Vortrags von Magnus Schwantje, einem Mitschüler Gräsers auf dem Himmelhof von Diefenbach. Auch die Wiener Maler aus dem Kreis der Neukünstler um Egon Schiele und Kokoschka waren Diefenbachverehrer gewesen. Die geistige Ausrichtung der Gräserbrüder war bekannt, war klar und eindeutig, sie machte den „Monte Gusto“ zum Gegenpol der großen Mordmaschine.

Es ist daher keine Frage: Die Künstlerkolonie von Ascona war keine Gründung des Monte Oedenkoven sondern des Monte Gusto. Als Siedler, als Künstler, aber mehr noch als Täter ihrer Gesinnung haben die Gräserbrüder, Gusto allen voran, sowohl ein literarisches wie ein bildnerisches Biotop geschaffen, das als der eigentliche, der schöpferische “Monte Verità“ bezeichnet werden muss. Ihre Gemäldesammlung stellte dafür den sichtbaren Ausdruck dar. Zu ihr gehörte ein Schmiedewerk, das offenbar auf den gelernten Kunstschmied Gusto Gräser zurückgeht. Symbolisch gedeutet könnte man sagen, er habe dort eine Kunstschmiede eingerichtet, eine solche zwar, die zugleich eine Geistschmiede war.

Eine kommunitäre Lebens- und Arbeitsgemeinschaft strebten die Brüder Gräser an.

Wikipedia:

„… Die Brüder Gusto und Karl Gräser strebten Eine kommunitäre Lebens- und Arbeitsgemeinschaft an. Der utopische Sozialist Charles Fourier hatte schon zur Zeit der französischen Revolution das Gesellschaftsmodell von ländlichen Grosskommunen entworfen, in denen volle sexuelle Freiheit gegeben sein sollte. Diese „Harmonie“ genannte Lebensform wurde zum Vorbild für Karl Gräser, der damit Erich Mühsam beeinflusste und über diesen den Arzt und Psychiater Otto Gross. (…)

Sozialist Charles Fourier Quelle: Wikipedia

Auch nach der Gründung des Sanatoriums Monte Verità 1900 spielten Anarchisten und Pazifisten auf dem Berg eine maßgebliche Rolle. So besuchte Graf Pjotr Alexejewitsch Kropotkin mehrmals den Monte Verità. Ein anderes Beispiel ist Erich Mühsam. Der politische Aktivist und Antimilitarist befreundete sich während seiner Aufenthalte zwischen 1904 und 1908 mit dem Siedler Karl Gräser, wollte dessen Schriften herausgeben. Der Sozialistische Bund von Gustav Landauer unterhielt in Ascona eine eigene Ortsgruppe, die Zürcher Anarchisten sammelten sich in der Mühle von Ronco. Die Gewerkschafterin Margarete Hardegger und der Tolstoianer Bernhard Mayer gründeten eigene Kommunen.

Margarethe Faas-Hardegger Quelle: Wikipedia

Der Schriftsteller Oskar Maria Graf und der Maler Georg Schrimpf bildeten mit anderen Münchnern eine Gruppe bei Locarno. Die Tat-Gruppe des Sozialistischen Bundes vermittelte Militärdienstverweigerer zu den Brüdern Gräser. Vor und während des Ersten Weltkriegs sammelten sich auf dem Monte Verità Verweigerer, Emigranten und Flüchtlinge aus den kriegführenden Staaten wie Hans Arp, Hugo Ball, Ernst Bloch, Hermann Hesse, Hans Richter, Arthur Segal und viele andere. Durch Hermann Hesse, der seinen Freund, den Mitgründer Gusto Gräser, in den Meistergestalten seiner Dichtungen verewigte, durch Gerhart Hauptmann, Bruno Goetz, Reinhard Goering, Emil Szittya und andere Schriftsteller, vor allem aber durch die Person von Gusto Gräser selbst, wurde der Berg zu einem Mythos.

Peter Kropotkin circa 1900 Quelle: Wikipedia

Fürst Pjotr Alexejewitsch Kropotkin (Wikipedia)

„… (9. Dezember 1842 in Moskau – 8. Februar 1921 in Dmitrow) war ein russischer Anarchist, Geograph und Schriftsteller.

Er hinterließ viele Schriften, darunter die revolutionäre Schrift „Die Eroberung des Brotes und sein wissenschaftliches Werk Gegenseitige Hilfe in der Tier- und Menschenwelt. Kropotkin kämpfte für eine gewalt- und herrschaftsfreie Gesellschaft und gilt als einer der einflussreichsten Theoretiker des kommunistischen Anarchismus. Aufgrund seiner adeligen Herkunft und seiner Bekanntheit als Anarchist des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts wurde Kropotkin auch der anarchistische Fürst genannt.

1872 starb Pjotr Kropotkins Vater Alexei Petrowitsch. (…) Er reiste daraufhin im gleichen Jahr in die Schweiz und wurde in Zürich schnell mit den russischen sozialistischen Studenten bekannt. Daraufhin reiste Kropotkin nach Genf weiter und wurde dort Mitglied der Genfer Sektion der Internationalen Arbeiterassoziation. Er begann aber schnell an der Ehrlichkeit der Sektionsführer zu zweifeln und schloss sich der libertären Juraföderation in Neuchâtel an. Während des kurzen Aufenthalts im Jura machte er die Bekanntschaft vieler flüchtiger Kommunarden. (…) Er bekannte sich zum Anarchismus und beschloss, sein Leben von da an der revolutionären Sache zu widmen. Nach dreimonatigem Aufenthalt in der Schweiz und einer kurzen Reise zu den freiheitlichen Sektionen im belgischen Verviers kehrte Kropotkin – auf Anraten von James Guillaume – nach Russland zurück, um dort für den Sozialismus zu wirken.

Durch eine Lungenentzündung geschwächt, verstarb Kropotkin am 8. Februar 1921. Kropotkins Frau Sophia starb – unbehelligt von den Autoritäten – 1938.“

Wäre noch die Frage zu klären, was eine kommunitäre Lebens- und Arbeitsgemeinschaft ist, Wikipedia schreibt dazu:

„… Unter Kommunitarismus (lat. communitas ‚Gemeinschaft‘) versteht man eine politische Philosophie, die die Verantwortung des Individuums gegenüber seiner Umgebung und die soziale Rolle der Familie betont. Kommunitarismus entwickelte sich um 1980 als kritische Reaktion auf die Philosophie von John Rawls in den USA. (…)

John Rawls Quelle: By Source, Fair use, https://en.wikipedia.org/w/index.php?curid=24077224

Der Kommunitarismus befürwortet die freie Entfaltung des Einzelnen, solange sie sozial verträglich ist. Im Liberalismus hingegen wird die freie Entfaltung des Individuums oft als wichtiger angesehen – sie soll nur aus sehr wichtigen Gründen eingeschränkt werden.

Der Kommunitarismus begreift den Menschen als soziales Wesen, das notwendig von Kultur und Tradition seines Gemeinwesens geprägt ist. Der Liberalismus gilt unter den Kommunitaristen als selbstzerstörerisch. Die ökonomische Nutzenmaximierung, die Selbstverwirklichung und eine Überbetonung des Individuellen, welches auf Kosten des Gemeinwohls geht, seien kennzeichnend für den Liberalismus. Dem Liberalismus wird deshalb vorgeworfen, dass er dadurch die gemeinschaftlichen Grundlagen seiner eigenen Kultur untergrabe. Diese hätten wiederum aber erst Demokratie und Freiheit ermöglicht.

Die Kommunitaristen sehen im Liberalismus und der damit verbundenen „atomisierten Gesellschaft“ die Gefahr, dass der Markt die Macht übernimmt und regiert.

Demgegenüber verfolgen die Kommunitaristen eine gemeinwohlorientierte Politik. Hierfür fordern sie mehr bürgerliches Engagement, die Stärkung der Zivilgesellschaft und die Rückbesinnung auf Bürgertugenden des Republikanismus. Als Mittel zum Erreichen dieser Ziele sehen sie hierbei zum Beispiel die Dezentralisierung staatlicher Aufgaben an. Dies soll lokale Gemeinschaften, die direkte Demokratie und eine stärkere politische Bildung fördern. (…)

Das „Gute“ vor dem Richtigen ist demnach ein Leitgedanke der Kommunitaristen. Das „Gute“ beschreibt die gemeinsam geteilten Vorstellungen und Werte einer Gemeinschaft. Weiter wird jede Philosophie kritisiert, die das Individuum einzig als Träger von Rechten sieht. Die Begründung lautet, „dass Rechte nur in sozialer Praxis ihre Verankerung finden“.[

Den Kommunitaristen geht es vor allem darum, in der Gesellschaft (wieder) ein Gleichgewicht herzustellen. Das Ziel ist eine aktive Gesellschaft von freien und gleichen Bürgern. Soziale Gerechtigkeit und gemeinschaftsbezogene Verantwortung spielen hierbei eine wesentliche Rolle.

Ein weiterer Leitgedanke der Kommunitaristen ist, dass jedes Mitglied in einer Gemeinschaft allen in dieser Gemeinschaft etwas schuldet und umgekehrt. So ist es nicht verwunderlich, dass der Kommunitarismus ein Gleichgewicht zwischen individuellen Rechten und sozialen Pflichten propagiert. Soziale Gerechtigkeit ist für die Kommunitaristen eine Tugend und begründet sich durch den einfachen Spruch „keiner von uns ist eine Insel“.

In Deutschland hat sich vor allem Axel Honneth mit dem Kommunitarismus auseinandergesetzt. Auch Richard David Precht beruft sich in seinen Überlegungen zur Transformation von Politik und Wirtschaft und zur Eindämmung des Egoismus-Prinzips auf den Kommunitarismus.“

Axel Honneth und Richard David Precht sind Philosophen.

Richard David Precht Quelle: Von © Amanda Berens / Verlagsgruppe Random House, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=69794998

Außerhalb der „Naturheilanstalt“ von Henri Oedenkoven und Ida Hofmann konnte sich diese Mischung aus Landkommune und Künstlerkolonie – initiiert durch die „Gräser-Brüder“ nur in dieser Form entwickeln, weil es keine Leitung, keine Organisation oder gar eine Verfassung gab. Den Beginn dieses losen Zusammenschlusses habe ich schon im Kapitel über Karl Gräser beschrieben – die ständige Gemäldegalerie im Hause von Karl Gräser 1906/7. Zahlreiche Maler zog es auf den Berg und der Darmstädter Maler Alexander Wilhelm de Beauclair und seine Frau Friederike eröffneten eine Malschule.

Alexander Wilhelm de Beauclair (geboren am 10. Juli 1877 in Darmstadt – gestorben am 31. Oktober 1962 in Ascona) war Maler, Dichter und Verleger, er ging 1906 nach Ascona und lebte in der Kolonie Monte Verità. Seine Malerei besteht hauptsächlich aus realistischen Portraits und Landschaften.

Mit dem Ausbruch des ersten Weltkriegs setzte ein regelrechter „Schub“ von kriegsgegnerischen Künstlern und Exilanten ein. Darunter aus Berlin der Dadaist Hans Richter und unter der Anleitung seines Freundes Gustav Gamper machte auch Hermann Hesse in Ascona seine ersten Malversuche.

Abschiedsgruß aus Monti von Hermann Hesse

Wikipedia schreibt:

„…  Bilder von ihm wie auch von dem Gräserfreund Adolf Stocksmayr und den anderen Künstlern bildeten dann den Grundstock für das 1922 gegründete Museo Comunale von Ascona. Die deutschen Architekten Carlo Weidemeyer und Paul Evertz brachten die Architektur der Moderne nach Ascona. Beispiele sind das Teatro San Materno von Weidemeyer (1927/1928) und das Gräserhaus von Paul Evertz (1903).“

Nicht nur Maler sind in diesen Jahren auf dem Berg zu finden. Wikipedia zählt auf:

„… Die Kette der Ansiedler reichte von dem deutschen Erfolgsschriftsteller Emil Ludwig aus Frankfurt, der sich in Moscia eine Villa baute, über den ungarischen Ingenieur und Tolstoianer Wladimir Straskraba, der die Gaststätte ‚Heidelbeere‘ betrieb, bis zu dem deutsch-russischen Baron Ferdinand von Wrangell, Ozeanograph, Schriftsteller und ehemaliger Erzieher am Zarenhof. Und sie reichte von dem Rustico der Malerin Elly Lenz über die türlose Ruine der ehemaligen Lehrerin Lotte Hattemer bis zum Vogelfängerturm Roccolo, in dem die Schauspielerin Käthe Kruse ihre ersten Puppen bastelte.

Tolstoijünger Albert Skarvan Quelle: Hermann Müller – http://www.gusto-graeser.info/

Häuser erwarben, bauten oder mieteten außerdem (…) der Bildhauer Max Kruse aus Berlin (…) die bekannte Naturärztin Anna Fischer-Dückelmann aus Dresden (…) Auch Johannes Nohl und Erich Mühsam hatten sich Grundstücke gekauft. Zum Monte Verità zu zählen ist auch die Fabrikantengattin Albine Neugeboren, die in Locarno Monti mehrere Häuser besaß. Die Ansiedler kamen meist aus dem gehobenen Bürgertum (…) Die Bewohner kamen und gingen einzeln und freiwillig, ohne Plan und Programm; sie waren in keiner Weise gebunden. Hergeführt wurden sie durch ideelle Interessen: Lebensreform, Spiritualität, Pazifismus, Ablehnung der staatlichen, sozialen und religiösen Gegebenheiten. Freiheit in jeder Richtung und Suche nach Wahrheit in jeder Richtung war in der Tat das Motiv, kultureller Umbau oder Neubau das Ziel. Mit den Worten von Erich Mühsam: „Bruch mit dem Bestehenden … Auszug auf den heiligen Berg“.

Anna Fischer-Dückelmann Quelle: Wikipedia

Ab 1916 bis 1918 lebte Gusto Gräser mit seiner Familie auf dem Landgut, dass sein Bruder Karl erworben hatte. Hermann Müller:

„… Er hat sein „Lehen“: Durch die Erkrankung seines Bruders wird er Besitzer von Haus und Grundstück. Zum ersten Mal kann er seiner Familie eine Heimat bieten. Er findet einen bewundernden Freund in Hermann Hesse; er findet ihn wieder nach langen Jahren der Entfremdung. In ihm, dem einzigen, der ihn kongenial erkennt, seinen künftigen dichterischen Verkünder. Hesse erlebt die Zeit seiner großen Wandlung. Nach langem Schwanken bekennt er sich jetzt zu den Kriegsdienstverweigerern; er wird ein entschiedener Verfechter der Gewaltlosigkeit. Ein Freundeskreis bildet sich: Gusto Gräser, Frau Elisabeth, Hermann und Mia Hesse: der Bund vom Monte Veritä. Ihm nahe stehend ein Kreis von Künstlern und Intellektuellen: Mary Wigman, Johannes Nohl, Ernst Bloch, die Labanschule, die Dadaisten.

Mary Wigman, aufgenommen 1930 von Edmund Kesting Quelle: Fotoarbeit aus dem Nachlass von Edmund Kesting

Mit der Wiederkehr Gräsers wird Ascona zu einem Zentrum des Widerstands gegen den Krieg, ein Brückenkopf des Aufbegehrens gegen die patriarchale Kulturtradition. „Eine tausendjährige Kultur bricht zusammen“ (Hugo Ball). Aber: „Das Neue beginnt“ (Hesse). Hesse sieht es verkörpert in seinem „Freund und Führer“, in Gräser-Demian. In ihm erlebt er den Führer zum Selbst, den Vorkämpfer eines Zeitalters der Mütterlichkeit. Aber er wagt nicht den Sprung, er hält sich bedeckt, er zieht sich schließlich zurück. Gräser hat keine Aufenthaltserlaubnis, sein Haus ist hoch mit Schulden belastet, der Garten kann die zehnköpfige Familie nicht ernähren. Versuche, in den Großstädten der Nordschweiz aufzutreten, werden poli­zeilich vereitelt. Seine Ehe zerbricht unter den unerträglichen Belastungen, er verliert seine Familie, er verliert schließlich Haus und Hof an einen falschen Jünger, er wird aus der Schweiz ausgewiesen. Die Hoffnungen auf einen neuen politischen Anfang in Deutschland erfüllen sich nicht. (…)

Frederik van Eeden Quelle: Wikipedia

… Seinerseits wird er in Ascona aufgesucht von den Reformern, Rebellen und Revolutionären seiner Zeit: von den russischen Berufsrevolutionären Lenin und Trotzki, von der schwedischen Reformpädagogin Ellen Key, von dem holländischen Thoreau-Nachfolger Frederik van Eeden, von Gustav Landauer, Auguste Forel und den Mitarbeitern von Romain Rolland. Ascona wird zu einem Zentrum für Suchende aller Art, zum Vorort einer frühen Alternativbewegung.

Im Frühjahr 1907 verbringt Hermann Hesse einige Wochen in Gemeinschaft mit Gusto Gräser. Mit ihm beginnt die dichterische Verarbeitung der Ascona-Erfahrung.“

Raymond Duncan mit Frau und Kind 1912 Quelle: Wikipedia

Und über einen weiteren Zeit- und „Monti-Genossen lohnt es sich zu berichten, Wikipedia:

„… Ein anderer Schüler Gräsers wurde schon 1900 in Paris der Amerikaner Raymond Duncan, Bruder der Tänzerin Isadora Duncan, der als vielseitiger Künstler, Dichter und Kommunegründer die Gräsersche Lebensart in den Kreis seiner Freunde Gertrude Stein, Henri Matisse und Picasso weitertrug.

Isadora Duncan 1923 zusammen mit Sergei Jessenin Quelle: Wikipedia

Gräser selbst gab mit seinen Mondscheintänzen im Wald von Arcegno den Anstoß für den modernen Ausdruckstanz, der mit Rudolf von Laban und Mary Wigman vom Monte Verità aus seinen Siegeszug begann. In Ascona waren die Gräserfreunde als „balabiott“ (Nackttänzer) bekannt, ihr Tanz soll jedoch ein religiöser gewesen sein und an die Derwischtänze der Sufis erinnert haben. An diese Tradition knüpfte auch sein Landsmann Rudolf von Laban an, der in Ascona eine Reihe von expressionistisch-ekstatischen Tanzdramen verfasste und mit seiner Schülergruppe aufführte. Höhepunkt seines Wirkens wurde das „Sonnenfest“ vom August 1917, dessen mitternächtlicher Teil vor der Felsgrotte Gusto Gräsers zelebriert wurde. Mitwirkende oder Zuschauer waren die dadaistischen Künstler Marcel Janco, Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Hugo Ball und Emmy Hennings.“

Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp 1918 Quelle: https://arpmuseum.org/museum/unser-haus/kuenstlerpaar-arp.html

Von Hermann Hesse stammen diese Sätze:

„… Er (Gusto Gräser) predigte nicht Hass und Kampf, sondern war in stolzer Demut überzeugt, dass auf dem Grunde seiner Lehre ganz von selbst ein neues paradiesisches Menschendasein erblühen werde, dessen er selbst sich schon teilhaftig fühlte. Sein oberstes Gebot war: „Du sollst nicht töten!“ was er nicht nur auf Mitmenschen und Tiere bezog, sondern als eine grenzenlose Verehrung alles Lebendigen auffasste. Ein Tier zu töten schien ihm scheußlich, und er glaubte fest daran, dass nach Ablauf der jetzigen Periode von Entartung und Blindheit die Menschheit von diesem Verbrechen wieder völlig ablassen werde. Er fand es aber auch mörderisch, Blumen abzureißen und Bäume zu fällen.“

Gefunden habe ich auch eine Liste angeblicher oder tatsächlicher Prominenter aus Kunst, Literatur, Politik und Gesellschaft, die den Berg besucht haben sollen. Vollständig ist sie natürlich nicht, aber die meisten der darin aufgeführten Besucher haben vom Geist der Bewohner nicht viel mitbekommen; u. a. Adelige wie der belgischen König Leopold II., der letzte deutsche Kronprinz Wilhelm von Preußen, der Komponisten Richard Strauss, der Politiker Konrad Adenauer oder der Psychoanalytiker Carl Gustav Jung.

König Leopold II. von Belgien Quelle: Wikipedia

Über Leopold II. – wohl Gast der „Naturheilanstalt“ von Henri Oedenkoven und Ida Hofmann – ist bei Wikipedia zu lesen:

„… Leopold II., ( 9. April 1835 in Brüssel – 17. Dezember 1909 auf Schloss Laeken, Brüssel; eigentlich Leopold Ludwig Philipp Maria Viktor) aus dem Haus Sachsen-Coburg und Gotha war bis 1865 Herzog von Brabant und Prinz von Belgien und folgte seinem Vater Leopold I. auf den Thron des Königreichs Belgien. Von 1865 bis 1909 war er König der Belgier.

Leopold war Anhänger kolonialistischer Ideen und gründete in Zentralafrika den offiziell eigenständigen Kongo-Freistaat, dessen absoluter Monarch und persönlicher Eigentümer er von 1876/1885 bis 1908 war. Zu dieser Zeit wurde aus dem Kongo vor allem Elfenbein und Kautschuk exportiert. Die einheimische Bevölkerung wurde dabei grausam misshandelt und ausgebeutet. Wie viele Menschen bei den „Kongogräueln“ ums Leben kamen, ist umstritten. Adam Hochschild, ein US-amerikanischer Journalist, der sich mit der Kolonialzeit in Belgisch-Kongo intensiv auseinandergesetzt hat, nannte in einem 1998 erschienenen Buch die Schätzung „zehn Millionen Opfer“. Der Historiker Christoph Driessen bezeichnet diese Zahl in seiner „Geschichte Belgiens“ dagegen als „nicht belegt“, spricht aber von einem „Verbrechen von apokalyptischen Ausmaßen“. 1908 wurde das riesige Territorium Eigentum des belgischen Staates und im Zuge dessen in Belgisch-Kongo umbenannt. (…)

Zwischen 1880 und 1920 sank die Bevölkerungszahl des Kongo um mindestens die Hälfte. So hatte die Ortschaft Lukolela 1891 noch 6000 Einwohner. 1903 waren es weniger als 400.

1908 verurteilten die Regierungen Großbritanniens und der USA das Herrschaftssystem Leopolds. Auf Druck der Weltöffentlichkeit musste Leopold II. einem Gesetz des belgischen Parlaments zustimmen, wonach der belgische Staat dem König diesen „Freien Kongostaat“ abkaufte und ihn dann als die Kolonie „Belgisch-Kongo“ verwaltete.

Leopold II. wurde in der Folge dieser Ereignisse zu einer der meistgehassten Personen Europas. Im Dezember 1909 wurden beim Trauerzug seine sterblichen Überreste von der belgischen Bevölkerung ausgebuht.

Die Internetseite des belgischen Königshauses schreibt: „Aufgrund der durch die Europäer in Afrika begangenen Exzesse wird der Ruf von Leopold sowie der seines überseeischen Werkes in Frage gestellt“.

Licht-Luft-Hütten Quelle: Prospekt

Ebenfalls Gast der „Naturheilanstalt“ der letzte deutsche Kronprinz, Wikipedia schreibt:

„… Friedrich Wilhelm Victor August Ernst, Kronprinz des Deutschen Reiches und von Preußen, ab 1919 Wilhelm Prinz von Preußen (6. Mai 1882 im Marmorpalais in Potsdam – 20. Juli 1951 in Hechingen), war in den Jahren der Regierung seines Vaters Wilhelms II. von 1888 bis zur Abschaffung der Monarchie in der Novemberrevolution von 1918 preußischer und deutscher Kronprinz. Durch den Tod Wilhelms II. wurde er 1941 Chef des Hauses Hohenzollern.

Wilhelm war der erste Sohn des preußischen Prinzen Friedrich Wilhelm, der im Dreikaiserjahr 1888 als Wilhelm II. deutscher Kaiser wurde, und der Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg. (…) Er heiratete am 6. Juni 1905 Cecilie, Herzogin zu Mecklenburg. (…)Im Ersten Weltkrieg kommandierte er lange Zeit formal die 5. Armee, unter anderem in der Schlacht um Verdun. (…) Ab Ende November 1916 war Wilhelm Oberbefehlshaber der Heeresgruppe „Deutscher Kronprinz“.“

Eigentlich wäre dieser „Kronprinz“ in der Folgezeit nur noch eine „Randnotiz der Geschichte“ gewesen, wenn er nicht im III. Reich immer wieder versucht hätte, Einfluss auf die Politik zu nehmen, einen unrühmlichen Einfluss, Wikipedia schreibt:

„… Ende 1923 kehrte Wilhelm nach Deutschland zurück, was ihm unter Mitwirkung des Reichskanzlers Gustav Stresemann ermöglicht wurde. (…)

Locarno: Gustav Stresemann, Chamberlain, Briand Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-R03618 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5367954

Im Mai 1928 schrieb er seinem Vater aus Rom: „Sozialismus, Kommunismus, Demokratie und Freimaurerei sind ausgerottet, und zwar mit Stumpf und Stiel; eine geniale Brutalität hat dies zuwege gebracht.“ Der italienische Faschismus sei eine „fabelhafte Einrichtung“. Nach der Wahl des vormaligen Generalfeldmarschalls Paul von Hindenburg zum zweiten Reichspräsidenten der Weimarer Republik 1925 erhofften sich der Ex-Kaiser und seine Familie von ihm vergeblich Initiativen zur Wiederherstellung der Monarchie. 1930 trat Wilhelm dem Stahlhelm (Rechtsradikale Organisation, die in eindeutiger Opposition zum politischen System der Weimarer Republik stand)

1932 wurde in der DNVP (eine nationalkonservative Partei, deren Programmatik Nationalismus, Nationalliberalismus, Antisemitismus, kaiserlich-monarchistischen Konservatismus sowie völkische Elemente enthielt) erwogen, ob Wilhelm bei der Reichspräsidentenwahl 1932 als Kandidat der Einheit im Lager der Nationalisten antreten solle, um zu verhindern, dass es zu einem Wahlkampf zwischen Amtsinhaber Hindenburg und dem Herausforderer Adolf Hitler käme – vorausgesetzt, dass sich beide in dem Fall zurückziehen würden. Wilhelm lud Hitler dazu auch auf Schloss Cecilienhof, um eine Machtteilung zwischen ihm als Präsidenten und Hitler als Kanzler zu erörtern. Hitler stimmte dem Plan zu, jedoch scheiterte er am Einspruch von Wilhelm II.

Hitler machte sich Wilhelm in den Jahren bis 1933 geschickt zu Nutze. Bereits 1926 hatte Hitler bei einem Besuch auf Schloss Cecilienhof Wilhelm versichert, politisch allein die Wiederherstellung der Monarchie und der Herrschaft des Hauses Hohenzollern zu verfolgen. Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 unterstützte Wilhelm die Kandidatur Hitlers, der jedoch gegen Hindenburg unterlag. Am 14. April 1932 protestierte er bei Reichsinnenminister Wilhelm Groener (22. November 1867 in Ludwigsburg – 3. Mai 1939 in Potsdam-Bornstedt) gegen das am Tag zuvor ergangene Verbot der SA und SS mit den Worten: „Ich kann diesen Erlass nur als schweren Fehler bezeichnen. Es ist mir auch unverständlich, wie gerade Sie als Reichswehrminister das wunderbare Menschenmaterial, das in der SA und SS vereinigt ist und das dort eine wertvolle Erziehung genießt, zerschlagen helfen.“

Elard von Oldenburg und Hindenburg Quelle: http://www.aefl.de/ordld/Januschau/januschau2/januschau_2.htm

Im Januar 1933 setzte sich Wilhelm mit Elard von Oldenburg-Januschau und anderen bei Hindenburg für die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ein, während die Kanzlerschaft seines langjährigen Freundes Kurt von Schleicher als gescheitert galt. Er zeigte seine Freude über die Kanzlerschaft Hitlers und äußerte die Erwartung, dass dieser Mann für Deutschland schaffen könnte, was Mussolini in Italien gelungen sei (der dem Land einen wirtschaftlichen Aufschwung beschert hatte und seine Diktatur nominell unter dem Monarchen Viktor Emanuel III. ausübte). Im selben Jahr trat er der Motor-SA bei, die im Folgejahr in das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps (NSKK) übernommen wurde.

In der Folgezeit warb er für das junge Regime und verteidigte es mit offenen Briefen gegenüber der Weltöffentlichkeit. An Geraldine Farrar (28. Februar 1882 in Melrose, Massachusetts – 11. März 1967 in Ridgefield, Connecticut) war eine US-amerikanische Opernsängerin (Sopran) und Filmschauspielerin) schrieb er im April 1933, die Juden hätten christliche Eliten vertrieben und seien verantwortlich für die Wirtschaftskrise. Dem ‚genialen Führer Adolf Hitler‘ müsse man die notwendige Zeit für ‚gewisse Aufräumarbeiten‘ lassen, sein Kampf gegen den Kommunismus werde ‚für die ganze Welt‘ geführt, die ihm noch danken werde. (…) Als 1936 ein privates Glückwunschtelegramm von Wilhelm von Preußen an den erfolgreichen Kriegsherrn Benito Mussolini durch die Weltpresse ging und dabei als unerwünschte politische Stellungnahme zu einem Konflikt mit der NS-Führung führte, trat Wilhelm aus dem NSKK aus. Seiner Unterstützung für Hitler tat dies jedoch keinen Abbruch. Nach der Eroberung der Niederlande und Belgien gratulierte Wilhelm Hitler am 26. Juni 1940 per Telegramm mit den Worten: „Gott schütze Sie und unser deutsches Vaterland!“

Geraldine Farrar um 1898 Quelle: Wikipedia

Und noch ein Anwesen auf dem Berg ist wichtig, Die Villa Neugeboren. Besitzerin der Villa war die „Gräser-Jüngerin“ Albine Neugeboren. geb. Capesius, Sie war – Jahrgang 1861 – Gattin eines sächsischen Unternehmers und lebte einen großen Teil des Jahres im Tessin. Hermann Müller schreibt: „Albine Neugeboren war die erste (und vielleicht die einzige) Jüngerin von Gusto Gräser.

Die Villa Neugeboren war zur Zeit des ersten Weltkriegs noch keine Pension. Vielmehr lud Albines Tochter Hildegard, die das große Anwesen von mehreren Häusern allein bewohnte, ihr sympathische pazifistische Künstler zu sich ein, so auch Hermann Hesse, Ernst Bloch und Klabund. Erst ab 1922 wurde das Haus offiziell Pension, später dann ein vegetarisches Erholungsheim für Naturfreunde.

Hier schrieb Bloch „Geist der Utopie zu Ende“, es entstand seine Betrachtung über den „sittlichen Führer“. Von hier aus ging Klabunds Offener Brief von 1917 in die Welt, in dem er Kaiser Wilhelm zum Rücktritt aufforderte. Im Geist dieses Hauses entstanden Hesses Schriften gegen den Krieg und sein Roman „Demian“.

Villa Neugeboren Quelle: Hermann Müller http://www.gusto-graeser.info/

Sicher auch durch den ersten Weltkrieg hauptsächlich aber durch die Brüder Gräser wurde die Gräser-Enklave auf dem Berg zum Treffpunkt von Kriegs- und Systemgegnern wie Hermann Hesse, Ernst Bloch, Hugo Ball, Pierre Jean Jouve (11. Oktober 1887 in Arras – 8. Januar 1976 in Paris, ein französischer Schriftsteller, Literaturkritiker und Anhänger Sigmund Freuds), und anderen. Trotz der Ausschließung durch den „öden Käufer“ Oedenkoven (Gusto Gräser) erhielt sich also der Ursinn der Kolonie, wie er von den Gebrüdern Gräser gemeint war: als eine Zelle und Zitadelle der Gegenkultur für ganz Europa, nicht aber durch Henri Oedenkoven und Ida Hofmann.

Pierre Jean Jouve Quelle: Pinterest

Oskar Maria Graf, der geprügelte Bäckerlehrling und spätere Schriftsteller schreibt noch 50 Jahre später: „Carlo Gräser …war in der dortigen Gegend sehr populär und hatte Anhänger und Verehrer in der ganzen Welt, denn jeder politisch Verfolgte und Anarchist, der den Militärdienst verweigerte, fand bei ihm Unterkunft“ (Graf, S.305). Ein anderes Mitglied der Guppe um Graf, Mühsam und Otto Groß, die in Ascona ihr eigentliches Zentrum hatte, der Schriftsteller Franz Jung, erinnert sich: „Wir hatten in München in der Gruppe TAT Leute, die an uns verwiesen wurden und die einem Einberufungsbefehl zum Militärdienst nicht folgen wollten, nach der Schweiz verfrachtet, für gewöhnlich zu den Gebrüdern Gräser in Ascona“ (Jung 95).

Die TAT Gruppe war eine Gründung Erich Mühsams, die dem Sozialistischen Bund angehörte.

Erich Mühsam Postkarte

Der Asconeser Chronist Giorgio Vacchini berichtet in seinem Buch „Ascona Verdetti popolari e documenti“ – herausgegeben 1996 – dass ein ehemaliges Zimmermädchen des Sanatoriums namens Teresin Bacchetta das folgende Urteil über die Wirkung des Monte Verità abgab:

„… Das Dorf hat mit vollen Händen aus dem Brunnen Monte Verità geschöpft, es hat sich erhoben gegen die Traditionen. Es unterschied sich schon bald von den benachbarten Dörfern. Ascona erlebte ein wirtschaftliches, gesellschaftliches, ethisches, ästhetisches, künstlerisches, gewerbliches, architektonisches Wunder. Eine Revolution voller Zauber, die den Weihnachtsbaum von Karl Gräser in einen zweiten verwandelt hat: in den königlichen Berg, geschmückt mit niegesehenen Lichtern und niegehörten Stimmen, mit neuen Tänzen und Melodien, mit unbekannten Geschenken von Wahrheit, mit einer erfrischenden Morgen-Dämmerung neuer Ideen.

Auch für die Angelegenheiten des Herzens wurde eine wichtige Neuerung geboren. Seit Jahrhunderten hielt sich in Ascona die Tradition, familiäre Bande zwischen Verwandten und Bekannten zu schließen, in einem geschlossenen Kreis, um die Aufsplitterung des Besitzes zu verhindern. Die Monteveritani dagegen liebten und heirateten sich, auch wenn sie verschiedenen Völkern angehörten. Dieses „schlechte Beispiel“ hat den Asconesen, nachdem die anfängliche Verstörung überwunden war, als „gutes Beispiel“ gedient.“

Vacchini d’Ascona, wie der Chronist sich nennt, sagt dann weiter:

Gewiss, die Monteveritani hatten die Lunte gezündet, die den Hass der Asconesinnen gegen die „vom Teufel Besessenen“ explodieren ließ, die mit ihren elfenbeinweißen Brüsten und ihren Netzkleidern die Blicke der Männer auf sich zogen. Die Eifersucht auf die „Huren“, die sich hinter christlicher Ethik versteckte, hatte endlose Beschimpfungen und Brennesselhiebe zur Folge gehabt, dann aber war in der zweiten Generation ein Waffenstillstand erreicht worden, weil unsere Männer die absolute Herrschaft verloren und die Frauen den Zugang zu den „Wohltaten des Lebens“ ohne archaische Beschränkungen gewonnen hatten. Der Kampf hatte 20 Jahre gedauert, dann hatte die Schere der Schneiderin endlich auch ihnen die Ärmel gekürzt und es den Holzschuhen erspart, das Rascheln der Röcke ertragen zu müssen.

Die Monteveritani waren für Ascona eine kalte Dusche, dann wurde sie lauwarm und schließlich angenehm für beide Geschlechter.

Malerin Marianne von Werefkin, Selbstbildnis in Matrosenbluse

Die russische Malerin Marianne von Werefkin machte 1923 den deutschen Bankier Eduard von der Heydt auf den „Berg der Wahrheit“ aufmerksam, auf dem sie zeitweise selbst gelebt hatte und der unterdessen ziemlich „verwaist“ war und konnte den Baron schließlich dazu bewegen, den so berühmten Berg zu kaufen.

Bankier Eduard von der Heydt Aufnahme um 1929 Quelle: Wikipedia

Wikipedia schreibt:

„… Von der Heydt war von seiner zweiundzwanzig Jahre älteren, „reizvollen Begleiterin“ sehr beeindruckt: „Bei dem Abendessen war auch die höchst amüsante russische Malerin Marianne von Werefkin zugegen (…) Sie hatte wie viele interessante Russinnen nicht nur einen großen Charme, sondern auch eine überzeugende Art zu sprechen und einen anzuschauen. Mit blitzenden Augen fragte sie mich, ob ich schon die Perle Asconas, den „Monte Verità“, gesehen hätte, was ich verneinte. Ich hatte von einem Monte Verità noch nie etwas gehört. Wir verabredeten für den nächsten Tag eine gemeinsame Tour dorthin, und sie erzählte mir in kurzen Stichworten die merkwürdige Geschichte dieses Berges (…) Als ich mit gespannter Aufmerksamkeit den Erzählungen der Frau von Werefkin lauschte und mit ihr über den Berg schritt, war ich begeistert von der Schönheit und einzigartigen Lage von Monte Verità.“

Ludwig Mies van der Rohe (1912) Quelle: Von Helgoh – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=75629023

Von der Heydt erwarb den Berg 1926 für 160.000 Franken und arrondierte das Gelände. Zunächst ließ er 1927 von Ludwig Mies van der Rohe den Entwurf für einen Hotelneubau erstellen. Dann jedoch beauftragte er 1929 seinen Freund, den Architekten Emil Fahrenkamp, mit der Ausführung im Bauhausstil. Das Hotel Monte Verità stattete er mit einem Teil seiner ostasiatischen Sammlung aus. (…) Der Berg lebte mit dem Hotel erneut als ein internationaler Anziehungspunkt auf.

Emil Fahrenkamp Quelle: http://www.kmkbuecholdt.de/historisches/personen/Fahrenkamp1.htm

Der Zweite Weltkrieg beendete diese Blütezeit. Im Jahr 1946, als die Schweizer Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit für das Dritte Reich gegen Von der Heydt eröffnete, vermachte dieser seine Ostasiatika dem Museum Rietberg in Zürich. Das Verfahren endete mit seinem Freispruch. Der Berg ging 1964 aufgrund einer testamentarischen Verfügung Von der Heydts in den Besitz des Kantons Tessin über. Bereits 1956 war der Kanton Besitzer der auf dem Monte Verità verbliebenen Teile seiner Kunstsammlung geworden. Es handelt sich um etwa 500 Kunstwerke aus dem 16. bis 20. Jahrhundert sowie aus China und Japan.

Und mit der Überschrift „1978 bis heute“ schreibt Wikipedia:

„… Der Monte Verità wurde durch die Ausstellung „Mammelle delle verità“ von Harald Szeemann ((11. Juni 1933 in Bern – 18. Februar 2005 in Tegna im Tessin), einem Schweizer Museumsleiter, Kurator und Ausstellungsmacher von internationalem Rang und ein von Hermann Müller initiiertes Revival-Treffen 1978 wiederentdeckt. Die Ausstellung wurde danach in Zürich, Berlin, München und Wien gezeigt und war ein großer Erfolg, da sie dem Bedürfnis nach Alternativen in den 1970er Jahren eine historische Grundlage gab. Szeemann hatte den Monte Verità wieder zu einem Gesamtkunstwerk gemacht, Hermann Müller dagegen wieder zu einem lebendigen Sammelplatz für – auch jüngere – Lebenskünstler. Szeemanns Ausstellung ist seit 1981 im Museo Casa Anatta untergebracht, um das er sich bis zu seinem Tod kümmerte. In Deutschland bewahrt das „Deutsche Monte-Verità-Archiv Freudenstein“ die größte Sammlung über die Geschichte des Berges. (…)

Harald Szeemann 2001 Quelle: Von Lucrezia De Domizio Durini – Ingeborg Lüscher, die Inhaberin des Bildes, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=7290994

1989 wurde die „Stiftung Monte Verità“ gegründet. Sie ist verantwortlich für den Betrieb der Anlage, unter anderem auch des „Centro Stefano Franscini“ (CSF), dem internationalen Konferenzzentrum der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich. Das CSF veranstaltet bis zu 25 wissenschaftliche Konferenzen pro Jahr auf dem Monte Verità. Der Kanton Tessin führt in der verbleibenden Zeit kulturelle Veranstaltungen durch. (…)

Im Frühjahr 2006 wurde auf dem Monte Verità ein Teepark eröffnet. Die Teepflanzen (Camellia sinensis) können hier auch erworben werden. Ein Zen-Garten und ein Tee-Haus (im Loreley-Haus), in dem Tee-Zeremonien und Seminare zum Thema Grüner Tee abgehalten werden, ergänzen den Park.“

Hier endet die Geschichte des „Monte Verità“, eine Geschichte, die mit vielen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft bereits im Kaiserreich und nach dem I. Weltkrieg begann und in einer weiteren Katastrophe – dem II. Weltkrieg endete. Sicher ist es wichtig, sie heute wieder zu erzählen, denn was die Beteiligten „oben auf dem Berg“ erreichen wollten, ist immer noch in weiter Ferne. Und ich denke, es lohnt sich immer noch, an die Gräsers, an Hermann Hesse, Ernst Bloch und Klabund zu erinnern. 

In „Sonntagsreden“ und in den christlichen Kirchen wird er „gepredigt“ – der Frieden auf Erden“ und diese „Schönredner“ beziehen sich auf die Bibel – auf das Lukas-Evangelium, dort heißt es: „Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“

Genützt hat es wenig, Menschen sterben in unsinnigen Kriegen und an den europäischen Grenzen werden Flüchtlinge abgewiesen, Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit machen sich in Deutschland breit und eine Partei schürt diese Entwicklung nach „besten Kräften“.