Friedrich Naumann

Aus Wikipedia:

„… geboren am 25. März 1860 in Störmthal, heute Teil von Großpösna bei Leipzig, gestorben am 24. August 1919 in Travemünde) war evangelischer Theologe, liberaler Politiker zur Zeit des Deutschen Kaiserreichs, Mitbegründer des Deutschen Werkbunds und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Nach ihm ist die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit benannt.

Naumann besuchte die Nikolaischule in Leipzig und die Fürstenschule in Meißen und studierte danach evangelische Theologie in Leipzig und Erlangen. 1881 beteiligte er sich, zusammen mit seinem Freund Diederich Hahn, maßgeblich an der Gründung des Verbandes der Vereine Deutscher Studenten, auch „Kyffhäuser-Verband“ genannt 1906 trat Naumann (…) aus dem Kyffhäuser-Verband aus.

Nachdem Naumann zunächst ab 1883 am Rauhen Haus in Hamburg gearbeitet hatte, war er seit 1886 Pfarrer in Langenberg bei Glauchau. Ab 1890 war er in der Inneren Mission in Frankfurt am Main tätig, bis er 1896 den Nationalsozialen Verein gründete. Er war Gründungsherausgeber der Zeitschrift „Die Hilfe“ (später von Theodor Heuss herausgegeben), die einen sozialen Liberalismus propagierte. Die von Naumann angestrebte „Erneuerung des Liberalismus“ hatte aber nicht nur inhaltliche, sondern auch strategische Gründe, weil über die angestrebte Einigung des Liberalismus eine Annäherung zwischen Liberalen und Sozialdemokraten angebahnt und als koalitionäres Gegengewicht zu den konservativ-agrarischen Kräften aufgebaut werden sollte: „Einigung der Liberalen und Zusammenhang zwischen Liberalismus und Sozialdemokratie sind gedacht als ein inhaltvolles langes Programm für weite Fristen hinaus und zwar so gedacht, daß der Liberalismus einig sein muß, damit er im Stande ist, der deutschen Arbeiterbewegung, die heute sozialdemokratisch ist, einen Rückhalt zu geben.“ Diese „Zukunftsmehrheit von Bebel bis Bassermann“ konnte bis zum Ersten Weltkrieg nur ansatzweise, so mit dem sogenannten Großblock in Baden, realisiert werden. Doch hatte Naumanns Konzept einen erheblichen Anteil am Wiederaufleben des Linksliberalismus im Jahrzehnt nach 1903.

Nachdem sich der Nationalsoziale Verein 1903 aufgelöst hatte und Naumann mit der Mehrheit seiner Parteigänger zur linksliberalen Freisinnigen Vereinigung übergetreten war, wurde er Reichstagsabgeordneter seiner neuen Partei, für die er bei der Reichstagswahl 1907 im Wahlkreis Württemberg 3 (Heilbronn, Besigheim, Brackenheim, Neckarsulm) ein Mandat errang. Infolge der 1910 vollzogenen Fusion der Freisinnigen Vereinigung mit der Freisinnigen Volkspartei (beide waren 1893 aus der neun Jahre zuvor von Franz August Schenk von Stauffenberg und Eugen Richter begründeten, linksliberalen Deutschen Freisinnigen Partei hervorgegangen) und der Deutschen Volkspartei wurde er Mitglied der Fortschrittlichen Volkspartei. Bei der Reichstagswahl 1912 verpasste er jedoch die Wiederwahl in den Reichstag und kehrte erst im Juni 1913 ins Parlament zurück, als er die Nachwahl im Wahlkreis Waldeck-Pyrmont für sich entscheiden konnte.

Friedrich Naumann engagierte sich schon während der Jahrhundertwende für die Frauenemanzipation. Gemeinsam mit Helene Lange und vielen anderen prominenten Frauenrechtlerinnen setzte er sich für die politischen Rechte der Frauen ein. 1907 war er Mitbegründer des Deutschen Werkbunds. Vor und während des Ersten Weltkrieges war Naumann ein glühender Unterstützer der jungtürkischen Revolution, für die er zusammen mit Ernst Jäckh und anderen in der deutschen Öffentlichkeit warb. Naumann sah in der „Neuen Türkei“ (deren Staatsgebiet bis zum Ersten Weltkrieg weite Teile des arabischen Nahen Ostens umfasste, etwa Syrien, Palästina und den Irak) Chancen für eine wirtschaftliche Expansion Deutschlands. 1914 gehörte Naumann zu den Unterzeichnern des Manifest der 93. Naumanns unkritische und zum Teil apologetische Haltung zum 1915 begonnenen Völkermord an den Armeniern in Anatolien ist bis heute umstritten.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Friedrich Naumann der erste Vorsitzende der am 20. November 1918 gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. Er gehörte dort dem „Ausschuss zur Vorberatung des Entwurfs einer Verfassung für das Deutsche Reich“ an. In dieser Zeit unterstützte Naumann den konservativen Publizisten Eduard Stadtler beim Aufbau der Antibolschewistischen Liga mit 3000 Mark aus einem politischen Fonds. Von Stadtlers zunehmender Radikalisierung distanzierte er sich jedoch bald und ließ sich bereits Anfang 1919 wieder aus dem Unterstützerkreis der Liga streichen.

Friedrich Naumann starb im August 1919 im Alter von 59 Jahren in Travemünde. Beigesetzt wurde er auf dem Alten Zwölf-Apostel-Kirchhof in Schöneberg bei Berlin. Die schlichte Grabstätte mit einer Reliefgrabplatte befindet sich in der Abt. 301-003-006/008 am Hauptweg. Auf Beschluss des Berliner Senats ist die letzte Ruhestätte von Friedrich Naumann seit 1956 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet. Die Widmung wurde im Jahr 2018 um die übliche Frist von zwanzig Jahren verlängert.

Politik

Friedrich Naumanns politisches Wirken fällt weitgehend zusammen mit der Regentschaft Kaiser Wilhelms II. (1888–1918), von deren grundsätzlichen Denkmustern er stark geprägt wurde. Naumann befürwortete den wilhelminischen Militarismus mit seiner Kolonial- und Flottenpolitik. Mit seinem Werk „Mitteleuropa“ (1915) setzte er sich für einen engen wirtschaftlichen und militärischen Zusammenschluss der mitteleuropäischen Länder unter deutscher Führung ein. Er fand dafür breite Unterstützung in der Öffentlichkeit, jedoch nicht bei der militärischen Führung. Nach der Niederlage setzte Friedrich Naumann alle Hoffnungen für den deutschen Wiederaufstieg auf innere Reformen, etwa durch politische Bildungsarbeit in der eigens dafür von ihm gegründeten Staatsbürgerschule.

Um 1900 wurde der Sozialdarwinismus als „integraler Bestandteil der Ideologie des deutschen Bürgertums“ auch von Liberalen wie Naumann, Max Weber, Walther Rathenau, Kurt Riezler, Gerhart Hauptmann oder Maximilian Harden vertreten. „Die Weltgeschichte muß fortfahren Nationen zu zerstören“, schrieb er, „wir scheuen uns gar nicht, Polen, Dänen, Suaheli, Chinesen nach Kräften zu entnationalisieren.“ Mit diesen Widersprüchen zu seiner Theologie war er „ganz Kind seiner Zeit“.

Friedrich Naumanns im Herbst 1915 erschienenes Buch „Mitteleuropa“ wurde rasch zur meistgelesenen deutschen Kriegszielschrift überhaupt und gelangte zu einer echten Breitenwirkung. Naumann forderte darin einen „liberalen Imperialismus“ für Deutschland. Er begründete sein „Mitteleuropa“ vor allem wirtschaftlich – kleinere Wirtschaftseinheiten seien naturgemäß in große zusammenzufassen, die Zukunft gehöre den „Großbetrieben“ und großen Wirtschaftsblöcken –, aber auch historisch mit Rekurs auf das Heilige Römische Reich und den Deutschen Bund.

Naumanns naive Behandlung der Nationalitätenprobleme der Habsburgermonarchie zeigte allerdings seine innere Distanz zu den strittigen Problemen. Der Denkfehler in Naumanns Mitteleuropa-Konzeption eines freiwilligen Zusammenschlusses mit weitgehenden Autonomierechten bestand in der Unfähigkeit des Deutschen Reiches aufgrund seiner inneren Machtstrukturen, eine ihm zugedachte Führungsrolle in Europa mit der nötigen Selbstbeschränkung zu verbinden. Für manche verbrämte der sächsische Pastor und liberale Politiker Naumann den deutschen Nationalismus nur mit sozialer Attitüde. Er ebnete journalistisch den Weg für die Pläne der deutschen Führung in Bezug auf Österreich-Ungarn.

Ein „mitteleuropäischer Imperialismus der leichten Hand“ (Kurt Riezler) hätte gerade jene Strukturreformen vorausgesetzt, die einflussreiche Interessengruppen durch einen Annexionsfrieden zu verhindern suchten. Dennoch kann man Naumanns Mitteleuropa-Vorstellungen keinesfalls mit den Plänen alldeutscher Kreise zur Inkorporation Österreich-Ungarns vor dem Ersten Weltkrieg gleichsetzen, weil dieses Mitteleuropa aus dem liberalen Kreis um Paul Rohrbach und Ernst Jäckh stammte, obwohl es ebenso einer unrealistischen Sicht der Möglichkeiten Deutschlands entsprang. Der Historiker Fritz Stern sah die Schrift, im Kontext ihrer Zeit, als Abmilderung einer aggressiven Außenpolitik: „Mitteleuropa war die Alternative der Zivilisten zu dem wilden Annexionismus der Militärs, der nur zerstückelte und deshalb nach Rache dürstende Nationen hinterlassen hätte.“

Bedeutung

Naumann war der Mittelpunkt eines umfangreichen Gesinnungs- und Freundeskreises, der sich soziologisch vom Großbürgertum über das Bildungs- und Kleinbürgertum bis in die Arbeiterschaft erstreckte. Die soziale Frage wollte er durch ein Bündnis von Liberalismus und Protestantismus lösen, durch Einbau von Erkenntnissen aus den Naturwissenschaften, Geschichtsforschung und Philosophie in den „christlichen Glauben der Volksgemeinschaft“ als einer klassenübergreifenden Einheitsideologie. Dieses Netzwerk war ursprünglich hervorgegangen aus den Mitschülern Naumanns in St. Afra und den so genannten „jungen Wilden“ im Evangelisch-Sozialen Kongress, die wie Naumann nicht im konservativen oder gar antisemitischen Fahrwasser von Adolf Stoecker fahren wollten. Zum „Naumann-Kreis“ gehörten damals und später hochberühmte Zeitgenossen wie Max Weber, Lujo Brentano oder Hellmut von Gerlach, der einzige Reichstagsabgeordnete des Nationalsozialen Vereins, aufsteigende Geister wie Theodor Heuss und dessen Ehefrau Elly Knapp, aber auch einige, die später – wie Gustav Stresemann – politisch andere Wege gehen sollten.

Immer wieder bezeugten Zeitzeuginnen und Zeitzeugen das Charisma Naumanns. Vielmals gab er den Anlass für politisches Engagement. So erklärten Helene Lange und Gertrud Bäumer, dass sie sich von Naumanns nationalsozialen Ideen begeistern ließen und deswegen in die liberale Partei eingetreten waren. Friedrich Naumanns politisches, publizistisches und pädagogisches Werk wurde nach 1919 von seinen Schülern und Mitarbeitern, darunter Theodor Heuss, Marie Elisabeth Lüders, Gertrud Bäumer und Wilhelm Heile, fortgesetzt.

Kritik an Naumann

Der Historiker Götz Aly bezeichnet in einer Kolumne, die im Januar 2011 in der „Frankfurter Rundschau“ und der „Berliner Zeitung“ veröffentlicht wurde, Naumann als „Leiche im Keller der FDP“ und unterstellt eine Kontinuität von Naumanns im „Manifest National-sozialer Katechismus“ (1897) und in „Mitteleuropa“ (1915) in der Kaiserzeit vertretenen „staats- und nationalsozialistischen“ (Naumann) und „imperialen“ (Aly) Positionen bis hin zur Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933 durch die fünf liberalen Abgeordneten des Reichstags, „darunter Theodor Heuss und Ernst Lemmer“. Dazu zitierte Aly aus der damaligen Begründung dieser Entscheidung: „Wir fühlen uns in den großen nationalen Zielen durchaus mit der Auffassung verbunden, wie sie heute vom Herrn Reichskanzler hier vorgetragen wurde.“

Aly berief sich in seiner Einschätzung außerdem auf den „Nobelpreisträger und ordoliberalen Wirtschaftswissenschaftler“ Friedrich August von Hayek, der in Naumann einen der „Wegbereiter des Nationalsozialismus“ gesehen habe, weil Adolf Hitler von ihm „große Passagen seines außenpolitischen Programms (…) abgeschrieben hatte“. Ungeachtet, dass Theodor Heuss, der sowohl Naumanns Werk gut kannte als auch sich mit den frühen Schriften der NSDAP für sein Buch „Hitlers Weg“ intensiv befasst hatte, bereits Anfang der 1930er Jahre öffentlich festgestellt hatte, Hitler habe „nie etwas von Naumann gelesen“ und dass dessen Naumann-Buch 1937 nur erscheinen konnte, weil es keine Verbindung zwischen Naumann und dem Nationalsozialismus herstellte, forderte Aly von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung, die „Pflege dieses Namens“ aufzugeben. Zurückgewiesen wurde dieser Vorwurf von Wolfgang Gerhardt, dem Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, und vom früheren Bundesminister der SPD Erhard Eppler, der eine Replik auf Aly verfasste: Naumann sei kein Chauvinist gewesen, er stünde nicht für den Antiliberalismus, Antisozialismus, Antisemitismus, Antihumanismus und Rassismus der Nationalsozialisten; vielmehr müsse man in Naumann einen „bedeutenden Demokraten“ sehen.

Ehrungen

In mehreren Städten wie etwa in Dortmund, Frankfurt-Bockenheim, Göttingen, Hamburg-Harburg, Hohen Neuendorf, Karlsruhe, Köln-Porz, Leverkusen, Ludwigsburg, Marburg, Stralsund, Weimar und Wiesbaden-Rheingauviertel wurde jeweils eine „Friedrich-Naumann-Straße nach ihm benannt“. In Bremen gibt es einen Friedrich-Naumann-Ring, in Gera und Fürstenwalde/Spree einen Friedrich-Naumann-Platz.

Seit 1952 existiert der Friedrich-Naumann-Haus e. V. in Gießen (Hessen), welcher ein freier Jugendhilfeträger ist.