Ein Wort an die Gemeinden und seine Folgen

Pfarrer i. R. W. Pfeifer berichtet über den Beginn des Kirchenkampfes im Kreis Crossen

Die Redaktion der „Heimatgrüße“ sieht es als ihre Pflicht an. zur Heimatgeschichtsschreibung durch Veröffentli­chungen beizutragen. Dies gilt besonders für die Zeit nach Abschluss der Obtfelder‘ischen Chronik und damit auch für die Jahre des nationalsozialistischen Regimes. Dabei darf Keine Quelle von Bedeutung wissenschaftlich verstopft werden. Die Redaktion erteilt deshalb im Folgenden gern Pfarrer i.R. W. Pfeifer das Wort. Dieser war bis 194$ Seelsorger für die Kirchengemeinde Beutnitz und die Filialgemeinde Dobersaul (Schonrode). Er berichtet zunächst aus der Sicht der „Bekennenden Kirche“ über den Beginn des Kirchenkampfes im Kreise Crossen. Ein weiterer Aufsatz über den Kirchenkampf in den nachfol­genden Jahren, speziell in Beutnitz und Dobersaul, soll folgen.

Am 5 März 1935 beschloss die Be­kennende Kirchen-Synode der Evange­lischen Kirche der Altpreußischen Union ein „Wort an die Gemeinden“. Darin hieß es:

„Wir sehen unser Volk von einer tödlichen Gefahr bedroht. Die Gefahr besteht in einer neuen Religion. . . . Die neue Religion ist Auflehnung ge­gen das erste Gebot. In ihr wird die rassisch-völkische Weltanschauung zum Mythos. In ihr werden Blut usw.  …zum Abgott. Der in dieser neuen Reli­gion geforderte Glaube an das ewige Deutschland setzt sich an die Stelle des Glaubens an das ewige Reich unse­res Herrn und Heilandes Jesus Christus. Dieser Wahnglaube macht sich seinen Gott nach des Menschen Bild . . . Solche Abgötterei ist Antichristentum.“

Dieses Wort war mir zur Verbrei­tung in der Gemeinde in etwa 60 Exem­plaren von der Bekennenden Kirche zugestellt worden. Es sollte außerdem Pfingsten 1935 im Gottesdienst verle­sen werden Als ich gerade die entspre­chenden Vorbereitungen trat, erschien am Samstagmorgen der Wachtmeister des Ortes, um mir mitzuteilen, er habe den Auftrag, sich entweder zu versi­chern, dass ich dieses Wort nicht verle­sen würde, oder mich zu verhaften. Der Wachtmeister war ein christlich denkender Mann. Daher ergab sich die Möglichkeit, mit ihm zu verhandeln. Ich bat ihn, mir eine Bedenkzeit zu gewähren. Damit war er einverstan­den.

Diese unerwartete Hilfe nutzte ich, um mich über die Lage zu informieren. Wenn ich auch selber bereit war, es auf eine Verhaftung ankommen zu lassen, so schien es nur natürlich doch von Wert zu erfahren, wie viele Brüder des Kreises standhaft geblieben waren. Dar­um rief ich die Superintendentur an. ich erfuhr, dass bereits alle Pfarrer des Kreises verhaftet seien außer mir. Ich musste also auch mit der Verhaftung rechnen. Dies sollte aber nicht ohne Aufklärung der Gemeinde geschehen. Ich nahm mir deshalb eiligst ein Miet­auto, um alle Ältesten und Gemeindeverordneten der mater nebst eingepfarrten Dörfern aufzusuchen und noch zum Abend des gleichen Tages zu einer Sitzung einzuladen.

Damals bestanden noch die groben Gremien aus Gemeindekirchenrat und Gemeindeverordneten. Ich hatte also 30 Personen zu informieren. Dank der Entschlossenheit der Gemeinde sowie schneller und gründlicher Aufklärung war es uns bei den Zwangswahlen des Jahres 1934 gelungen, den Umbruch der Deutschen Christen nicht nur zu verhindern, sondern sogar drei vor­handene herauszuwählen. Ich konnte daher mit einer bekenntnisfreudigen und zuverlässigen Kirchenvertretung rechnen. Als alle versprochen hatten zu kommen, fand ich sogar noch Zeit, mich zum Filial fahren zu lassen. Dort waren in der Vertretung ebenfalls die Deutschen Christen bis auf einen beseitigt worden. Ich informierte den stellvertretenden Vorsitzenden, einen im Glauben feststehenden und unge­wöhnlich klugen Bauern, und bat ihn, die Gemeinde über alles, was gesche­hen werde, zu unterrichten.

Am Abend versammelte sich die Gemeindevertretung der mater im Pfarrhaus. Ziemlich gleichzeitig fand sich der Wachtmeister ein, der nun­mehr den Ortsgruppenleiter der NSDAP mitgebracht halte. Ich verhandelte zu­nächst mit diesen beiden und fragte sie, ob ihnen der Inhalt der Abkündigung bekannt wäre. Sie verneinten. Die­sen Umstand benutzte ich, um ihnen den Vorschlag zu machen, doch am nächsten Tage zur Kirche zu kommen, sich das „Wort an die Gemeinden“ an­zuhören und sich ein eigenes Urteil zu bilden. Anschließend könnten sie mich immer noch verhaften, wenn sie es für nötig hielten. Was ich kaum zu hoffen wagte, trat ein. beide nahmen die Einladung an.

Den kirchlichen Körperschaften im anderen Zimmer erstattete ich nun Be­richt und diskutierte mit ihnen, wie wir vorzugehen hätten. Alle waren dafür, das Wort zu verlesen. Zunächst wurde vorgeschlagen, jeden eine Zeile verlesen zu lassen und so die Nazis zu zwingen, alle 30 zu verhaften. Schließ­lich einigten wir uns darauf, dass alle Glieder der Körperschaften im Gottes­dienst auf den vordersten Bänken Platz nehmen sollten. Ich sollte nach den Abkündigungen erklären, dass ich ein Wort der Kirche bekannt zu geben hätte, das der Staatsführung nicht genehm sei, und die Vertretung fragen, ob ich es verlesen solle. Darauf wür­den die Körperschaften sich erheben, mit „Ja“ antworten und. sobald ich an den Altar getreten wäre, vorkom­men und sich im Halbkreis um mich stellen, damit mich niemand hindern oder mir etwas tun könne.

Am Pfingstsonntag versammelten sich die Gemeindeverordneten vollzählig in meiner geräumigen Eßstube. Gleichzeitig kamen der Wachtmeister und der Ortsgruppenleiter. Als die Glocken läuteten, ging ein merkwürdi­ger Zug zur Kirche. An seiner Spitze schritt der Pfarrer im Talar, dann folgten die 30 Gemeindeverordneten, den Abschluss bildeten der Wachtmei­ster und der Ortsgruppenleiter. Wie vereinbart setzten sich die Verordne­ten auf die vordersten Bänke. Wacht­meister und Ortsgruppenleiter nah­men in den letzten Reihen Platz.

Im überfüllten Gotteshaus verlief alles planmäßig. Als ich nach der Predigt meine Frage stellte, kam aus 30 Kehlen wie ein die Kirche durchhallender Pistolen­schuss ein gewaltiges „Ja“. Darauf trat ich zum Altar. Die Gemeindevertreter schlossen den Halbkreis um mich. Ich verlas das „Wort an die Gemeinden“ Zeile für Zeile. Der Gottesdienst ging wie üblich zu Ende, ich hoffte schon, auch noch zum Filial fahren zu kön­nen.

Doch gleich nach dem Mittagessen erschien der Wachtmeister mit einem Taxi. Es fiel ihm sichtlich schwer, mich verhaften zu müssen. Er fuhr mich nach Crossen ins Gefängnis. Dort wurde ich in eine Zelle eingewiesen, in der sich bereits sieben Pastoren befanden. Im Nebenraum, gleichfalls einer Frauenzelle des überfüllten Gefängnisses, waren weitere sieben. Vier Geistliche der „Bekennenden Küche“ waren im Rathaus j eingesperrt worden. Ich erzählte, wie die Aktion bei uns verlaufen war. i Alle anderen hatte man sofort verhaftet, so dass sie das Wort nicht verlesen konnten. Die Gemeinden in Stadt und Kreis waren aufgewühlt worden. Personengruppen standen auf den Straßen herum oder zogen sogar vors Gefängnis, weshalb wir nicht aus dem Fenster sehen durften. Nur ein Vikar war nicht verhaftet worden, weil er keinen Gottesdienst zu halten hatte. Er hielt nun Fürbittegottesdienst in der Hauptkirche St. Marien.

Die Gefangenschaft – bei Wasser und Brot — dauerte drei Tage. Dann wurden wir plötzlich entlassen. Die Kunde davon hatte sich schon in den Gemeinden verbreitet. Als ich aus dem Gefängnis trat, standen aus meinem Dorf ein Bauer mit seinem Kutschwa­gen und ein Angestellter mit Motorrad davor. Sie wollten mich heimholen. Der Motorradfahrer fuhr voraus, um meine Rückkehr zu melden. Als wir die ersten Hauser von Beutnitz erreich­ten, begannen alle Glocken der Kirche zu läuten. Es ist schwer zu sagen, wie bewegt ich war. Am Abend erstattete ich in einer rasch einberufenen Ge­meindeversammlung Bericht und erläuterte nochmals die Bedeutung des „Wortes an die Gemeinden“.