Die Protokolle der Weisen von Zion …

… erschienen 1903 in Russland und verbreiteten sich insbesondere nach dem I. Weltkrieg international, obwohl schon 1921 die Londoner „Times“ diese als Fälschung entlarvte. In den letzten Jahren seien diese Protokolle vor allem in Europa aus dem Blickwinkel der Öffentlichkeit geraten – ist wenigstens in den Medien zu lesen und zu hören. Stimmt leider nicht, denn der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon (ehemals AfD) bezog sich in zwei Schriften 2009 und 2012 auf die „Protokolle“ in seinen antisemitischen Schriften, Wikipedia schreibt:

„… insbesondere sein im Jahr 2012 erschienenes Buch „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“, führten 2016 zu seinem Austritt aus der Landtagsfraktion (…) Gedeon hatte in dem Buch die Erinnerung an den Holocaust als „Zivilreligion des Westens“ und Holocaustleugner als Dissidenten bezeichnet. Zudem bezeichnete er das Judentum als „inneren“ und den Islam als „äußeren“ Feind des „christlichen Abendlandes“ und sprach von „Ethnosuizid“ und „Zionismus durch die Hintertür“. Laut Gedeon arbeiten Juden zudem an der „Versklavung der Menschheit im messianischen Reich der Juden“ mit dem Ziel einer „Judaisierung der christlichen Religion und Zionisierung der westlichen Politik“. Der „zionistische Einfluss“ in der Rechtsprechung äußere sich, so Gedeon, „in einer Einschränkung der Meinungsfreiheit“. (…)

Armin Pfahl-Traughber sieht Gedeon als Anhänger von antisemitischen Verschwörungstheorien, welcher der Hetzschrift „Protokolle der Weisen von Zion“ ihren Fälschungscharakter abspreche“.

Und Patrick Gensing, ARD-Faktenfinder hat recherchiert, wie in der aktuellen Corona-Diskussion im Netz reagiert wird, er schreibt:

„… Die Ausbreitung des Coronavirus wird weltweit begleitet von Verschwörungstheorien. Die Epidemie sei eine biologische Waffe oder sogar Strafe Gottes, heißt es. (…) Noch schneller als das Coronavirus selbst haben sich in den vergangenen Wochen Mythen verbreitet – und zwar weltweit. Islamische Geistliche aus Tunesien und Ägypten behaupteten beispielsweise, China werde durch die Epidemie bestraft für den Umgang mit den Uiguren. (…)

Im Irak verbreitete ein politischer Kommentator die These, bei der Epidemie handele es sich um ein amerikanisch-jüdisches Komplott. Ziel sei es, die Weltbevölkerung zu dezimieren. Der Analyst begründete diesen Verdacht im Sender Al-Ayam mit dem Hinweis auf ein Buch des US-Autors Dean Koontz aus dem Jahr 1981. Darin habe Koontz den Ausbruch des Coronavirus prophezeit.

Tatsächlich hatte Koontz in seinem Roman „The Eyes of Darkness“ über einen Virus mit dem Namen „Wuhan-400“ geschrieben – und in Wuhan brach die Corona-Epidemie aus. (…)

In vielen Verschwörungstheorien wird ein Szenario entworfen, wonach einige mächtige Strippenzieher im Hintergrund die internationale Politik lenkten und dabei auch biologische Waffen einsetzten, oft werden dabei Juden beschuldigt. So auch in diesem Fall: Der irakische Analyst sagte, hinter dem angeblichen Komplott stecke die jüdische Familie Rothschild bzw. eine „zionistische Lobby“.

Also, aus den Augen, aus dem Sinn stimmt nicht und daher und aus aktuellem Anlass …

Die Protokolle der Weisen von Zion

Aus Wikipedia:

„… sind ein auf Fälschungen beruhendes antisemitisches Pamphlet. Es wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts von unbekannten Redakteuren auf der Grundlage mehrerer fiktionaler Texte erstellt und gilt als einflussreiche Programmschrift antisemitischen Verschwörungsdenkens. Die „Protokolle“ geben vor, geheime Dokumente eines angeblichen Treffens von jüdischen Weltverschwörern zu sein.

Eine erste, russischsprachige Version erschien 1903 im Russischen Kaiserreich. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Text zunehmend international verbreitet, obwohl die „Protokolle“ bereits 1921 in der Londoner „Times“ als Fälschung entlarvt worden waren. Bekannt wurden insbesondere die Ausgabe aus den 1920er Jahren von Henry Ford in den Vereinigten Staaten und die deutschen Ausgaben von Gottfried zur Beek und Theodor Fritsch. Trotz der Aufdeckung als Fälschung unter anderem im Berner Prozess 1933–1935 glauben noch heute Antisemiten und Anhänger von Verschwörungstheorien in der ganzen Welt, besonders in islamischen Ländern und in Russland, an die Authentizität der „Protokolle“.

Inhalt

Der je nach Ausgabe 40 bis 80 Seiten lange Text ist in 24 Abschnitte unterteilt. Jeder soll einer angeblichen Sitzung entsprechen und enthält eine Rede, die ein jüdischer Führer vor der Versammlung der „Weisen von Zion“ gehalten haben soll. Mit dem bürokratischen Begriff „Protokolle“ im Titel soll dem Text Glaubhaftigkeit verliehen werden. Der wenig strukturierte Text kreist unter zahlreichen Wiederholungen um drei Themen: eine Kritik am Liberalismus, die angeblichen Pläne des „Weltjudentums“, die Weltherrschaft zu übernehmen, und das künftige jüdische Weltreich. Der Sprecher bekennt sich zu einem kruden Machiavellismus und zur Parole „Der Zweck heiligt die Mittel“, die bislang vor allem den Jesuiten unterstellt wurde. Die Demokratie sei eine schädliche Regierungsform, da Freiheit und Gleichheit mit der menschlichen Natur nicht zu vereinbaren seien. Gleichwohl müsse man den Liberalismus und die Volksherrschaft fördern, um die nichtjüdischen Staaten zu zerrütten. Daher gelte es, die Vorrechte und den Landbesitz des Adels zu beseitigen, der „das einzige Abwehrmittel der nicht jüdischen Völker und Staaten gegen uns“ sei, das Ansehen der Geistlichkeit und die Macht des Papstes zu unterminieren, sich scheinbar widersprechende, zersetzende Lehren wie die von Karl Marx, Charles Darwin und Friedrich Nietzsche zu verbreiten und politische Gegensätze zu schüren. Zu diesem Zweck hätten sie die unterschiedlichsten politischen Richtungen wie Monarchisten, Liberale, Demokraten und Kommunisten unter ihr Joch gespannt. Auch der Antisemitismus sei von den Juden selbst eingerichtet worden, um „unsere Brüder aus den unteren Schichten zusammenzuhalten“. Absichtlich verursachte Wirtschaftskrisen würden zu sozialen Spannungen führen, außerdem müssten die Völker durch „Neid und Haß, durch Streit und Krieg, ja selbst durch Entbehrungen, Hunger und Verbreitung von Seuchen“ zermürbt werden.

Als Werkzeug dazu würde eine künstliche Verknappung der Zahlungsmittel und eine daraus folgende Staatsverschuldung dienen, durch welche die Juden, die bereits angeblich das meiste Geldkapital der Welt besäßen, die Staaten in ihre Abhängigkeit brächten. Daher seien sie auch für die Einführung des Goldstandards verantwortlich – hier sehen Kommentatoren eine Anspielung auf die Währungspolitik des russischen Finanzministers Sergei Juljewitsch Witte in den Jahren 1896/97.[7] Außerdem würden sie sich der – angeblich jüdisch gelenkten – Presse bedienen sowie der Freimaurerlogen, die alle einer jüdischen Oberleitung unterstünden. Auf jede Zeitung, die den Juden nicht wohlgesinnt sei, sollten zwei andere kommen, die nur den jüdischen Zwecken dienten. Um die Tarnung gegenüber der Öffentlichkeit perfekt zu machen, sollten diese gesteuerten Zeitungen unterschiedliche Ansichten vertreten und sich zum Schein gegenseitig befehden. Die Präsidenten der neuen Demokratien müssten alle persönlich ungeeignet und zudem durch „irgend ein Panama“ in ihrer Vergangenheit erpressbar sein: Hier spielt der Text auf den Panamaskandal von 1892 an, in den auch Arthur von Mohrenheim, der russische Botschafter in Paris, verwickelt war. Würden ihre Regierungen den Juden gleichwohl nicht gehorchen, würden diese durch Terror und Mordanschläge Druck auf sie ausüben oder Nachbarländer zum Krieg gegen sie aufhetzen, gegebenenfalls zum Weltkrieg. Sollten sich die europäischen Staaten gegen die Juden zusammentun, würde dies mit einem Angriff der Vereinigten Staaten von Amerika, Chinas und Japans auf Europa beantwortet werden. Die Erwähnung Japans ist nach Ansicht des US-amerikanischen Literaturwissenschaftlers Jeffrey L. Sammons ein Reflex auf den Russisch-Japanischen Krieg der Jahre 1904–1905. Zudem habe man „ein letztes, fürchterliches Mittel in der Hand, vor dem selbst die tapfersten Herzen erzittern sollen“: Gemeint ist die Untergrundbahn, die ab 1897 in Paris gebaut wurde:

„Bald werden alle Hauptstädte der Welt von Stollen der Untergrundbahnen durchzogen sein. Von diesen Stollen aus werden wir im Falle der Gefahr für uns die ganzen Städte mit Staatsleitungen, Ämtern, Urkundensammlungen und den Nichtjuden mit ihrem Hab und Gut in die Luft sprengen.“

Von den Juden geschürte endlose Streitigkeiten und eine daraus resultierende Ermüdung sowie die der Demokratie angeblich inhärente Tendenz zum Despotismus würden dazu führen, dass die Völker von sich aus um einen Weltherrscher bitten würden. Dieser „König aus dem Blute Zion“ – eine Anspielung auf die messianische Tradition – werde durch einen Staatsstreich die Macht in allen Staaten gleichzeitig übernehmen. Er wird als charismatisch und tugendhaft beschrieben, da er alle „persönlichen Freuden dem Wohle seines Volkes und der Menschheit“ unterzuordnen habe. In diesem Reich würden alle Freiheiten, für die sich die „Weisen von Zion“ in den nichtjüdischen Staaten eingesetzt hätten, wieder rückgängig gemacht: Die Presse würde einer scharfen Zensur unterworfen, der Rechtsstaat werde durch Abschaffung des Berufungsrechts und eine staatliche Kontrolle aller Rechtsanwälte eingeschränkt, der Herrscher regiere autokratisch. Beim ersten Verdacht eines politischen Vergehens werde der Betroffene verhaftet, öffentliche politische Diskussionen würden nicht geduldet, Freimaurerlogen und alle anderen Geheimbünde würden verboten, überall gebe es Spitzel der Regierung. Die Lehrfreiheit an den Universitäten werde aufgehoben, an den Schulen werde die Verehrung des Herrschers gelehrt. Dieser werde in der Bevölkerung tatsächlich sehr beliebt sein, da er eine paternalistische Sozialpolitik betreibe. Sie werde durch eine progressive Besitzsteuer und eine Währungspolitik finanziert, bei der sich die Geldmenge nach den Lebenshaltungskosten und der Bevölkerungsentwicklung richte. Korruption und Machtmissbrauch werde durch scharfe Kontrollen der Beamten unmöglich. Alkoholismus werde verboten, der Börsenhandel werde abgeschafft, ebenso die Arbeitslosigkeit, indem die Hausindustrie wieder eingeführt werde, in der es immer etwas zu tun gebe. Der Nachfolger des Herrschers werde nicht durch das Erbrecht, sondern aufgrund seiner persönlichen Eignung bestimmt, da er charakterlich untadelig zu sein habe.

Antisemitischer Diskurs

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ vereinen eine Vielzahl von Klischees, die den antisemitischen Diskurs vorher und nachher prägten. So werden Juden grundsätzlich als Feinde der Christen dargestellt: Diese seien „hirnlos“, „eine Hammelherde, wir Juden aber sind die Wölfe. Wissen Sie, meine Herren, was aus den Schafen wird, wenn die Wölfe in ihre Herden einbrechen?“ Als Ziel der Juden wird die weltweite Herrschaft ihres Glaubens und des Glaubens an ihre göttliche Auserwähltheit in dem von ihnen beherrschten Universalstaat dargestellt, zudem werden ihnen Ehrgeiz, Rachsucht und Hass auf die Christen unterstellt. Die Vorstellung, die Juden seien grundsätzlich feindlich gegen Christen eingestellt, wurzelt im Antijudaismus, der ihnen „verstockte“ Verweigerung von Bekehrung und Taufe, Gottesmord, Hostienschändung sowie angebliche Bündnisse mit dem Teufel vorwarf. Der britische Historiker Norman Cohn sieht die „Protokolle“ als moderne Wiederkehr dieser dämonologischen Tradition. Zum „teuflischen Charakter“ der Juden gehört traditionell das Bild der Schlange, das auch in den „Protokollen“ nicht fehlt: Hier wird die Schlange als „Sinnbild unseres Volkes“ bezeichnet, weil sie die Völker Europas zunehmend in ihren Würgegriff nehme. In der ersten deutschen Ausgabe der Protokolle wurde diese angebliche Umklammerung zudem mit einer Karte illustriert.

Die „Protokolle“ nehmen den mittelalterlichen Vorwurf auf, die Juden hätten durch Brunnenvergiftung die Pest der Jahre 1347–1350 ausgelöst. Hier erläutert der Redner, durch Hunger, Seuchen usw. die Nichtjuden dazu zu bewegen, die jüdische Herrschaft zu akzeptieren. Ein weiteres Klischee des Mittelalters und der Frühen Neuzeit war das des jüdischen Wucherers. Das auf dem Zweiten Laterankonzil von 1139 erlassene Zinsverbot wurde mit der zunehmenden Bedeutung des Kreditwesens für die spätmittelalterliche Wirtschaft gelockert, wodurch Christen plötzlich in Konkurrenz zu den Juden standen, denen der Geldverleih bis dahin allein gestattet war. Der Vorwurf, Wucherzinsen zu nehmen, war ein Mittel, die Juden aus dem Bankgeschäft zu verdrängen und zu marginalisieren. In der Frühen Neuzeit war das Klischee vom „reichen Juden“ weit verbreitet. Bekannte Beispiele sind der württembergische Hoffaktor Joseph Süß Oppenheimer (1698–1738) und der Frankfurter Bankier Mayer Amschel Rothschild (1744–1812) mit seinen Nachkommen, deren Reichtum in einem (unrichtigen) induktiven Schluss generalisiert wurde und noch heute Stoff für Verschwörungstheorien liefert. Dieser Vorwurf ist in den „Protokollen“ beinahe allgegenwärtig und gipfelt in der Behauptung, die Juden würden bereits zur Abfassungszeit faktisch alles Geld der Welt besitzen.

Der zentrale Gedanke der „Protokolle“, nämlich dass sich die Juden verschwören würden, um ihre bösen Pläne gegen die Christenheit in die Tat umzusetzen, findet sich seit dem 13. Jahrhundert in der christlichen Imagination, als der englische Mönch Matthaeus Parisiensis (1200–1259) in seiner „Chronica major“ behauptete, die Juden hätten sich insgeheim mit den „Tartaren“ verbündet, um sich an den Christen zu rächen. Dieser Gedanke findet sich seit 1869 verstärkt im antisemitischen Diskurs. In diesem Jahr legte der zum orthodoxen Christentum konvertierte Jude Jakow Alexandrowitsch Brafman (1824–1879) sein Werk „Das Buch vom Kahal“ vor. Darin stellte er die Kehillahim, die jüdischen Gemeindeorganisationen, als Teile einer umfassenden Geheimorganisation vor, die von der Alliance Israélite Universelle gesteuert werden würde. Der Begriff „Kahal“ wird auch in den „Protokollen“ verwendet. Kniga Kagala gilt als einer ihrer gedanklichen Vorläufer.

1869 erschien auch Le Juif, le judaïsme et la judaïsation des peuples chrétiens des französischen Rechtskatholiken Henri Roger Gougenot des Mousseaux (1805–1876). Darin verknüpfte er die beiden Zweige der bis dahin gängigen Verschwörungstheorien, den antisemitischen und den antimasonischen: Die Freimaurerei sei ein von den Juden geschaffener „künstlicher Judaismus“ mit dem Ziel, Christen für das Judentum zu rekrutieren. Cohn nennt das Buch die „Bibel des modernen Antisemitismus“. In der Folge gerann die angeblich engste Verbindung von Synagogen und Logen zu einem feststehenden Topos der antisemitischen Literatur. Nach dem israelischen Historiker Jacob Katz war es für französische Antisemiten nachgerade unmöglich, nicht auch die Freimaurerei zu attackieren.

Ein weiteres konstitutives Element des modernen Antisemitismus kommt in den „Protokollen der Weisen von Zion“ nicht vor: die Rassentheorie. Sie hatte nach dem „Essai sur l’inégalité des races humaines“ von Arthur de Gobineau (1816–1882) aus dem Jahr 1853, der seit 1901 auch auf Deutsch vorlag, und angestoßen durch Darwins 1859 erschienene „Entstehung der Arten“, verstärkt um sich gegriffen. Weder Darwin noch Gobineau waren Antisemiten, doch wurden ihre Werke von Autoren wie Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) antisemitisch umgedeutet, die nun eine biologische Andersartigkeit von Juden im Vergleich zu anderen Menschen behaupteten. Völkische Kreise in Deutschland waren in ihrem Denken von diesen Ideen derart durchdrungen, dass sie gar nicht anders konnten, als die „Protokolle“ in diesem rassistischen Sinne zu verstehen, als sie diese nach 1919 lasen. Für sie waren die dort beschriebenen Ränke typischer Ausdruck der angeborenen jüdischen Rassenseele, die dort phantasievoll ausgemalte Weltverschwörung war für sie Folge eines Zerstörungstriebes, der nicht religiös oder kulturell bedingt war, sondern rassisch. Nach Norman Cohn war die logische Folge dieses rassistischen Verständnisses der Verschwörungstheorie die biologische Vernichtung der vermeintlichen Hintermänner der Verschwörung.

Verfasser

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ sind eine Fälschung unter Verwendung älterer, fiktionaler Texte, beziehungsweise, da es keinen Originaltext gibt, eine reine „Erfindung“, eine Fiktion ohne Bezug zur Wirklichkeit. Norman Cohn datierte die Fälschung auf 1897 oder 1898 und fand Indizien, die auf die Bibliothèque nationale de France als Ort der Fälschungsarbeiten hinweisen. Wer den Text hergestellt hat, ist nicht gesichert. Der französische Historiker Henri Rollin (1885–1955) glaubte in seinem 1939 erschienenen Werk „L’apocalypse de notre temps“, die Urfassung stamme von Elias von Cyon (1843–1912), einem konservativen russischen Schriftsteller, der seit 1875 in Frankreich lebte. Er habe eine 1864 erschienene französische Satire von Maurice Joly umgeschrieben, um gegen Finanzminister Witte und dessen liberalen Modernisierungskurs zu polemisieren. Diesen Text habe Pjotr Ratschkowski (1853–1910), der von 1885 bis 1902 die in Paris ansässige Abteilung für Auslandsfragen des russischen Geheimdienstes Ochrana leitete, im Jahr 1897 an sich gebracht und im antisemitischen Sinne umgeschrieben. Oft wird auch einfach Ratschkowski als Verfasser oder Auftraggeber angegeben. Seit einer Veröffentlichung des russischen Literaturhistorikers Michail Lepechin aus dem Jahr 1998 wird auch Ratschkowskis Assistent Matwei Golowinski (1865–1920) als Verfasser der „Protokolle“ genannt: Er habe zur Zeit der Dreyfus-Affäre den Text im Auftrag seines Chefs in französischer Sprache verfasst, um damit Zar Nikolaus II. gegen den Liberalismus aufzubringen. Der schottische Historiker James Webb sieht dagegen die russische Okkultistin Juliana Glinka, die in Paris in Kontakt mit Ratschkowski stand, als verantwortlich für den Text an.

Nach dem deutschen Historiker Michael Hagemeister gehen diese Versionen auf zwei Quellen zurück: Zum einen auf die polnische Fürstin Catherine Radziwill (1858–1941), die 1921 von ihrem New Yorker Exil aus verbreitete, Golowinski habe ihr 1904/1905 in Paris das französische Original der „Protokolle“ gezeigt, dass er in Ratschkowskis Auftrag angefertigt habe. Auf sie stützte sich zum anderen der französische Graf Alexandre du Chayla (1885–1945) in seinen ebenfalls 1921 erschienenen Erinnerungen an einen der ersten Herausgeber der „Protokolle“, Sergei Nilus (1862–1929), mit dem er nach seiner Bekehrung zum orthodoxen Christentum in engem Kontakt gestanden hatte. Chayla trat später als Zeuge im Berner Prozess auf. Hagemeister bezweifelt die Glaubwürdigkeit dieser Quellen und vertritt unter anderem wegen mehrerer Ukrainismen im Text die These, dass die Fälschung von rechtsgerichteten Adligen aus Südrussland fabriziert oder zumindest redigiert wurde.

Der italienische Literaturwissenschaftler Cesare G. De Michelis kommt bei seinen textkritischen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die älteste gedruckte russische Version, die bereits im Spätsommer 1903 erschien, keine Übersetzung aus dem Französischen sei, sondern auf eine Urfassung zurückgehe, die von russischen Rechtsradikalen kurz zuvor in Sankt Petersburg zusammengeschrieben worden sei. Da die „Protokolle“ im April 1902 in der russischen Presse erstmals erwähnt worden seien, lasse sich der Entstehungszeitraum recht genau eingrenzen. Die Erstfassung sei eine Parodie auf Theodor Herzls „Judenstaat“ gewesen, die mit Bezug auf den fünften Zionistenkongress vom Dezember 1901 abgefasst worden sei. Der Journalist Thomas Grüter weist zudem darauf hin, dass wichtige politische Ereignisse in Westeuropa, die dem Nachweis angeblicher jüdischer Weltherrschaftspläne dienlich hätten sein können, wie die Dreyfus-Affäre, der Deutsch-Französische Krieg 1870/71 oder die Kolonialpolitik der europäischen Mächte in Afrika und Asien, keine Erwähnung finden. Dies spreche dagegen, dass die „Protokolle“ in Westeuropa entstanden seien.

Benutztes literarisches Material

Die Fälscher nutzten als Vorlage über weite Strecken die satirische Schrift „Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu“ („Gespräche in der Unterwelt zwischen Machiavelli und Montesquieu“) des Pariser Rechtsanwalts Maurice Joly, die 1864 anonym in Brüssel erschienen war. Dies wurde 1921 bekannt, wobei im Plagiat, unter Beibehaltung der Diktion, die Intention der ursprünglichen Streitschrift tendenziös ins genaue Gegenteil verdreht wurde. In der literarischen Tradition der Totengespräche lässt der Verfasser den französischen Aufklärer mit dem italienischen Renaissance-Philosophen streiten. Dabei wird letzterem die zynische Verteidigung einer moralfreien politischen Tyrannei in den Mund gelegt. In dem fiktiven Dialog spielen Juden keinerlei Rolle, vielmehr karikiert Joly über die Figur des Machiavelli die autoritäre Herrschaft des französischen Kaisers Napoléon III., der nach seinem Staatsstreich 1851 die Bürgerrechte und den Rechtsstaat in Frankreich zunehmend aushöhlte. Laut Cohn enthält eines der Exemplare der Satire in der „Bibliothèque nationale de France“ Anmerkungen, die mit den Entlehnungen in den „Protokollen“ übereinstimmen. 40 Prozent des Texts der „Protokolle“ sind wörtlich aus Jolys Satire entnommen. Allerdings sind die Gedanken bei Joly deutlich kohärenter. Die „Protokolle“ erwecken den Eindruck einer hastigen Abschrift. Joly nahm, wie der Medienwissenschaftler Umberto Eco zeigt, seinerseits Anleihen bei populären französischen Unterhaltungsromanen des 19. Jahrhunderts, namentlich bei Alexandre Dumas’ Joseph Balsamo von 1846 sowie bei Eugène Sues „Le Juif errant“ („Der ewige Jude“) aus dem Jahr 1845 und „Les Mystères du Peuple“ („Die Geheimnisse des Volkes“) aus dem Jahr 1856 – hier waren die Welteroberungspläne den Jesuiten in den Mund gelegt worden.

Bei der Ausformung des Textes der Protokolle spielte auch der 1868 erschienene Sensationsroman Biarritz des deutschen Schriftstellers Hermann Goedsche eine Rolle. Darin wird eine geheime Versammlung auf dem Friedhof von Prag im Jahr 1860 geschildert, die vom Helden des Romans, einem „Doktor Faust“, und seinem Begleiter, einem konvertierten Juden, belauscht werden. Angeblich würden sich die Vertreter der zwölf Stämme Israels (zuzüglich eines weiteren für die „Verstoßenen und Wandernden“) alle hundert Jahre treffen, um die Fortschritte bei dem Plan zur Eroberung der Welt zu besprechen: Alles Gold der Welt solle in jüdische Hände gebracht werden. Als Mittel zu diesem Zweck werden von den einzelnen Sprechern das Programm des Liberalismus und die negativen Folgen der gesellschaftlichen Modernisierung, verklammert mit Schreckbildern jüdischer Bosheit, ausgebreitet, darunter die Verschuldung des Staates und des Adels, die Judenemanzipation einschließlich jüdischen Grundbesitzes, Mischehen christlicher Frauen mit jüdischen Männern, die Proletarisierung der Handwerker, Trennung von Kirche und Staat, Förderung von Revolutionen sowie die Eroberung der Presse, des Handels, des öffentlichen Dienstes und des Kulturlebens. Dies sei der wahre Gehalt des jüdischen Geheimwissens, der Kabbala. Goedsche selbst bediente sich bei dieser Szene bei Wilhelm Raabes Erzählung Holunderblüte, die fünf Jahre zuvor erschienen war. Goedsches Friedhofsszene erschien 1876 erneut in einer russischen Schrift, die die bei Goedsche noch fiktive Geschichte nun als Tatsachenbericht darstellt. Ein Jahr später tauchten die Reden in Deutschland, Frankreich und Österreich auf. Teilweise wurden die Reden einer einzigen Person zugeschrieben und als „Die Rede des Rabbiners“ wiederveröffentlicht. 1881 druckte die rechtskatholische Zeitung „Le Contemporain“ in Frankreich die Geschichte etwas verändert ab, indem die zwölf Reden zu einer einzigen zusammengefasst wurden. „Le Contemporain“ gab an, den „Bericht“ aus einem bald erscheinenden Buch des englischen Diplomaten „Sir John Retcliffe“ übernommen zu haben; dieser Name war allerdings nur das Pseudonym, unter dem Goedsche seinen Roman veröffentlicht hatte. Die Vorstellung, es gebe einen Rat der Vertreter aller Juden der Welt, geht dabei auf den von Napoleon 1806 einberufenen Sanhedrin zurück, der bereits im 19. Jahrhundert ein Anknüpfungspunkt für antisemitische Verschwörungstheorien war.

Erste Veröffentlichungen

Russland

Zum ersten Mal erwähnt wurden die „Protokolle“ im April 1902 in einem Artikel eines Petersburger Journalisten und Antisemiten, der sie jedoch als eine offensichtliche Fälschung abtat. Die älteste Fassung der „Protokolle“ erschien vom 26. August bis zum 7. September 1903 in neun Folgen in der rechtsextremen Sankt Petersburger Zeitung „Snamja“ (russisch für „Das Banner“) unter dem Titel „Das jüdische Programm zur Welteroberung“. Der Herausgeber Pawel Kruschewan (1860–1909) war ein den Schwarzen Hundert nahestehender Antisemit, der im selben Jahr das Pogrom von Kischinjow organisiert hatte. Er behauptete, es handele sich um authentische „Sitzungsprotokolle der Weltallianz der Freimaurer und der Weisen von Zion“, die in Frankreich angefertigt worden seien. Dort befänden sich auch die „Geheimarchive der Zentralkanzlei von Zion“, dessen Vertreter indes nicht mit der zionistischen Bewegung verwechselt werden dürften. 1904 druckte der polnische Antisemit Hipolit Lutostański einen Teil des russischen Textes ebenfalls als angebliche Übersetzung aus dem Französischen im zweiten Band seines Werks „Talmud i evrei“ („Der Talmud und die Juden“) ab.

1905, im Jahr der ersten Russischen Revolution, folgten weitere Editionen in Moskau und in Sankt Petersburg, die die Ereignisse zu erklären versuchten. Der Journalist Georgi Butmi (1856–1919) vom orthodox-nationalistischen Bund des russischen Volkes folgte in seiner von 1906 bis 1907 unter wechselnden Titeln mehrfach erschienenen volkstümlichen Edition weitgehend der Herkunftslegende der „Snamja“, nur gab er nun ein Datum an: Am 9. Dezember 1901 sei der Text aus dem Französischen übersetzt worden. In der Ausgabe von 1907 gab er zudem an, er entstamme den Akten einer „Freimaurerloge des ägyptischen Ritus“ Mizraim (gemeint ist wohl der Memphis-Misraïm-Ritus), die vor allem von Juden besucht würde, und rückte ihn in die geistige Nähe zum Zionismus.

Die Version, die schließlich weltweit verbreitet wurde, erschien 1905, in der zweiten Ausgabe eines mystischen, apokalyptischen Werkes des religiösen Schriftstellers Sergei Nilus (1862–1929), „Das Große im Kleinen, oder die Ankunft des Antichrist und die herannahende Herrschaft des Teufels auf der Erde“. Darin malte er in Anlehnung an den 2. Thessalonicherbrief eine endzeitliche Verschwörung der „Kirche des Satans“ gegen das Christentum aus, die im Wesentlichen aus der „jüdischen Freimaurerei“ bestehen würde. Angeblich mehrten sich schon die Vorzeichen, weswegen bald der falsche Messias der Juden erscheinen würde, der Antichrist, der wiederum der Wiederkunft Jesu Christi vorangehe. Den Juden war in dieser dualistischen Sicht die Rolle der Widersacher Gottes zugewiesen, die – ganz gegen ihre Absicht – den heilsgeschichtlichen Prozess vorantreiben und sich kurz vor dem Ende der Zeit doch noch zum Christentum bekehren würden. Das in 2 Thess 2,7 LUTH erwähnte „Geheimnis der Bosheit“ sei die jahrtausendealte Verschwörung der Juden, von der Nilus in einem späteren Werk behauptete, sie gehe auf den König Salomo zurück. Als zwölftes Kapitel hatte er daher einen erweiterten Text der „Protokolle“ in sein Buch eingefügt. Nilus hatte den Text umgearbeitet, um auf die aktuelle Politik des Jahres 1905 eingehen zu können, behauptete aber, sie seien 1902 oder 1903 vorgetragen worden. Nilus fügte zudem Zwischenüberschriften ein, die besonders die Rolle der Freimaurer in der imaginierten Weltverschwörung herausstrichen, die im eigentlichen Text nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die angebliche Zusammenarbeit von Juden und Freimaurern war völlig fiktiv, da die Logen alles andere als revolutionär waren und viele sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein weigerten, Juden aufzunehmen.

Das Werk erlebte bis 1917 unter veränderten Titeln mehrere Neuauflagen und wurde 15.000 Mal gedruckt. In der vierten Auflage 1917 behauptete Nilus, es sei ihm zugetragen worden, dass der Verfasser der „Protokolle“ Theodor Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung, sei. Er habe die protokollierte Rede auf dem Ersten zionistischen Weltkongress gehalten, der im August 1897 in Basel stattfand. In Editionen anderer Herausgeber wurde eine Verbindung zur zionistischen Bewegung wiederum bestritten, auch die Angaben zu Alter und Herkunft divergierten erheblich: Die Spanne der spekulierten Entstehungszeiträume bzw. -orte reichte von Jerusalem zur Zeit König Salomos bis zum erwähnten Basler Ersten Zionistenkongress 1897. Ebenso uneinheitlich war in den verschiedenen Ausgaben die Zahl der Abschnitte oder „Protokolle“ (zwischen 22 und 27).

Bei ihrem Erscheinen erregten die „Protokolle“ nur wenig Aufsehen. Vielfach zitierte Berichte, wonach sie in Moskau von den Kanzeln verlesen worden seien oder der Zar sich kritisch über sie geäußert hätte, gelten heute als Legende. Auch lassen sich keine Reaktionen nachweisen, weder in der übrigen antisemitischen Publizistik noch etwa in Pogromen. In den folgenden Jahren interessierten sich nur wenige Menschen für den Text, der zunehmend als Verschwörungstheorie durchschaut wurde. Das änderte sich mit der russischen Oktoberrevolution 1917 und dem anschließenden Bürgerkrieg, als die konterrevolutionären „Weißen“ die „Protokolle“ zum Verständnis des ihnen sonst unbegreiflichen Geschehens heranzogen. Es wurde das Gerücht verbreitet, die Zarin Alexandra Fjodorowna habe vor ihrer Ermordung die „Protokolle der Weisen von Zion“ bei sich gehabt. Von radikal antibolschewistischen Emigranten wie Fjodor Winberg (1868–1927) oder dem Baltendeutschen Alfred Rosenberg wurden sie nach West- und Mitteleuropa gebracht, weil man hoffte, mit ihnen Unterstützung gegen den angeblich jüdischen Bolschewismus organisieren zu können. In der Folge erschienen in vielen Ländern Editionen der „Protokolle“. Auch wenn sie in den Formulierungen zum Teil deutlich voneinander abweichen, fußen sie im Kern doch alle auf Nilus‘ Ausgabe von 1911. Unterschiede lassen sich vor allem in der Kommentierung feststellen: Dass es der geheime Zweck des Baus der U-Bahnen wäre, von ihnen aus ganze Städte in die Luft sprengen zu können, erschien mehreren Herausgebern zu phantastisch; sie meinten, man müsse diese Passage metaphorisch verstehen. Von nun an wurden die „Protokolle“ nicht mehr als religiöse Warnung vor dem Bösen der Endzeit, sondern als politische Analyse der jeweiligen Gegenwart gelesen.

Deutschland

Die erste nichtrussische Fassung basierte auf Nilus’ zweiter Auflage von 1911. Sie wurde im Januar 1920 unter dem Titel „Die Geheimnisse der Weisen von Zion“ von Ludwig Müller von Hausen, dem Gründer und Vorsitzenden des Verbandes gegen die Überhebung des Judentums, unter dem Pseudonym Gottfried zur Beek vorgelegt, der in Berlin intensive Kontakte zu rechtsextremen russischen Emigranten pflegte. In seiner Einleitung schmückte Müller von Hausen/zur Beek die Legende, wonach die „Protokolle“ 1897 auf dem Basler Zionistenkongress entstanden wären, aus: Angeblich habe ein „Späher“ der russischen Regierung einen jüdischen Gesandten bestochen, der die „Protokolle“ zur angeblich jüdischen Freimaurerloge „Zur aufgehenden Morgenröte“ nach Frankfurt am Main bringen sollte, und so Gelegenheit erhalten, sie in einer Nacht abzuschreiben – daher ihr fragmentarischer Charakter. Dieser Text sei dann an Nilus gesandt worden, der sie 1901 ins Russische übersetzt und ihm, zur Beek, die alleinigen Rechte übertragen haben soll. Die Ausgabe von Müller von Hausen/zur Beek brachte es allein bis 1938 auf 22 Auflagen: Der Historiker Jacob Katz betont, dass die „Protokolle“ nur eine von vielen antisemitischen Veröffentlichungen waren, die das Land damals überschwemmten. Dennoch zeigt ihr publizistischer Erfolg, dass in der Weimarer Republik das Bedürfnis nach einem Sündenbock für den Sturz der Monarchie und für die Niederlage im Weltkrieg angesichts der eigenen rassischen Überlegenheit, die die völkische Bewegung immer verkündet hatte, groß war. Seit 1929 erschien das Werk im Parteiverlag der NSDAP. Im Vorwort wurde gedroht, ein nationalsozialistisches Deutschland werde dem Judentum „die Rechnung präsentieren, die dann nicht mehr mit Gold zu bezahlen ist“. Außerdem bereicherte zur Beek in seiner Kommentierung das Spektrum der vermeintlichen Verschwörer um die Ernsten Bibelforscher, deren Millenarismus er als Eintreten für ein jüdisches Weltreich missdeutete.

Der spätere NSDAP-Parteiideologe Alfred Rosenberg legte 1923 einen ausführlichen Kommentar vor, in dem er die Nachkriegsentwicklung als Bestätigung der in den „Protokollen“ geschilderten Pläne ausdeutete. Als neues Element fügte Rosenberg den medienkritischen Vorwurf ein, die Juden würden die von ihnen angeblich kontrollierte Presse etwa durch Preisausschreiben zunehmend unterhaltsam gestalten, damit ihre Leser durch so viel Zerstreuung die Fähigkeit zum selbstständigen Denken verlören. Der Kommentar wurde ein publizistischer Erfolg, er erlebte 1924, 1933, 1938 und 1941 Neuauflagen. 1927 erschien Rosenbergs Schrift „Der Weltverschwörerkongreß zu Basel“, in der er sich Nilus’ These zu eigen machte, wonach die „Protokolle“ die geheimen Beschlüsse des Zionistenkongresses des Jahres 1897 enthielten.

1924 brachte Theodor Fritsch unter dem Titel „Die Zionistischen Protokolle. Das Programm der internationalen Geheimregierung“ eine dritte deutsche Version auf den Markt, diesmal als angebliche Übersetzung „aus dem Englischen nach dem im Britischen Museum befindlichen Original“. Fritsch führte im Vorwort als Argument für die Echtheit an, ein arischer Kopf könne sich ein solches System spitzbübischer Niedertracht gar nicht ausdenken, und verlangte, man müsse nun das Judentum „als die allein Schuldigen zur Rechenschaft ziehen: den geschworenen Feind der ehrenhaften Menschheit“.

Englischsprachige Länder

Die englische Übersetzung der „Protokolle“ unter dem Titel „The Jewish Peril kam Anfang 1920 auf den britischen Markt. Die konservative Morning Post veröffentlichte im selben Jahr unter dem Titel „The Cause of World Unrest“ eine Textsammlung zu den „Protokollen“, ließ aber deren Echtheit als offene Frage erscheinen. In den Vereinigten Staaten gab der Industrielle Henry Ford eine Zusammenfassung mehrerer Artikel aus seiner Zeitung „The Dearborn Independent“ unter dem Titel „The International Jew: The World’s Foremost Problem“ (deutsch: Der internationale Jude) heraus, die den Text der Protokolle mit einer ausführlichen Kommentierung bot. Die Publikation erreichte eine Auflage von 500.000 Stück, Übersetzungen erschienen in Deutschland, Frankreich, Norwegen, Dänemark, Polen, Bulgarien, Italien, Griechenland und erreichten schließlich auch Japan und China. Damit trug Ford, der sich seit einem Rechtsstreit 1927 von den „Protokollen“ distanzierte, zu ihrer weltweiten Verbreitung bei.

Frankreich

In Frankreich erschienen drei verschiedene Übersetzungen. Am weitesten verbreitet wurde die von Monsignore Ernest Jouin (1844–1932), einem katholischen Priester, die 1920 in der „Revue Internationale des Sociétés Secrètes“ erschien. Zur Verbreitung der „Protokolle“ in Frankreich trug die amerikanische Antisemitin Leslie Fry (alias Paquita Louise de Shishmareff, 1872–1970) bei. In einem Zeitungsartikel stellte sie 1921 die Behauptung auf, Verfasser der „Protokolle“ wäre in Wahrheit der kulturzionistische Publizist Ascher Ginzberg. Er habe sie um 1890 in Odessa in hebräischer Sprache für seinen Geheimbund „Bnei Moshe“ (Söhne des Mose) verfasst. Eine französische Übersetzung des Textes sei an die Alliance Israélite Universelle, eine international tätige jüdische Kulturorganisation, und von dort 1897 zum Basler Kongress gegangen, von wo Nilus’ Abschrift stamme.

Aufdeckung der Fälschung

Zweifel an der Echtheit der „Protokolle“ kamen schon sehr früh auf. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg ließ das russische Innenministerium eine Untersuchung anstellen, die zu dem Ergebnis kam, dass sie gefälscht seien. Die Londoner Tageszeitung „The Times“ rezensierte das Buch zunächst zustimmend. Im August 1921 veröffentlichte ihr Korrespondent in Istanbul Philip Graves dann eine Serie von Artikeln, in denen er erstmals nachwies, dass die „Protokolle“ ein Plagiat darstellten: Sie waren über weite Strecken von Jolys Buch aus dem Jahre 1864 abgeschrieben, und das auch noch auf eine ungeschickte und leicht zu durchschauende Weise. Damit war bewiesen, dass es sich um eine Fälschung handelte – Fälschung nicht in dem Sinne, dass ein real existierendes Dokument verfälscht worden wäre, denn ein solches Dokument hatte es ja nie gegeben. Graves wies vielmehr nach, dass der gesamte Text ein böswilliges Phantasieprodukt war. Seiner Meinung nach sollten damit die Juden und namentlich die Bundisten wegen ihrer angeblichen Rolle in der Russischen Revolution von 1905 verleumdet werden. Der deutsche Journalist Binjamin Segel veröffentlichte 1924 eine „Erledigung“ des Glaubens an die Echtheit der „Protokolle“. Er warnte im Vorwort davor, die Dummheit und Leichtgläubigkeit auch gebildeter Menschen zu unterschätzen, und trug alle Argumente zusammen, die auf eine Fälschung hindeuteten. Auch weil sein Buch in einem jüdischen Verlag erschien, hatte es kaum Wirkung, da es von Antisemiten als interessensgeleitete Schadensbegrenzung abgetan wurde.

Größere Publizität erlangte der Charakter der „Protokolle“ als Fälschung im Berner Prozess, der von November 1933 bis Oktober 1934 und von April bis Mai 1935 vor dem Obergericht des Kantons Bern geführt wurde. Darin ging es um eine Strafanzeige, die der Schweizerische Israelitische Gemeindebund und die Israelitische Kultusgemeinde Bern am 26. Juni 1933 gegen fünf Mitglieder der Nationalsozialistischen Eidgenössischen Arbeiterpartei bzw. der Nationalen Front erstattet hatten. Die Beklagten hatten antisemitisches Propagandamaterial verbreitet, darunter auch die „Protokolle der Weisen von Zion“ in der fritschschen Ausgabe. Den Klägern ging es nicht zuletzt um einen gerichtsfesten Nachweis, dass die „Protokolle“ eine Fälschung waren. Das Verfahren zog sich hin, unter anderem weil beide Seiten Gutachter aus dem Ausland hinzuzogen. Mehrere Teilnehmer und Beobachter des Ersten Zionistischen Weltkongresses 1897 sagten aus, dass es dort einzig um die Schaffung einer gesicherten Heimstätte für Juden in Palästina gegangen war und alle Beratungen öffentlich stattgefunden hatten. Irgendwelche Geheimprotokolle konnte es daher nicht geben. Die Kläger versuchten vor allem, „alles auf die russische Fährte zu schieben“, wie ihr Anwalt Boris Lifschitz sich ausdrückte. Tatsächlich erarbeiteten sie eine Entstehungsgeschichte der „Protokolle“, wonach sie um 1903 in Paris von Mitarbeitern des russischen Geheimdienstes abgefasst worden seien. Diese Version sollte die Forschung für Jahrzehnte bestimmen und wird erst seit jüngerer Zeit angezweifelt.

Der deutsche Sachverständige, der Nationalsozialist Ulrich Fleischhauer (1876–1960), erklärte daraufhin Nilus‘ Herkunftslegende kurzerhand für irrig und behauptete, parallel zum Zionistenkongress habe im August 1897 ein „Kongress des Ordens B’nai B’rith und jüdischer Hochgradlogen“ stattgefunden, auf dem die „Protokolle“ beschlossen worden seien. Das Gericht ließ sich von dieser unbewiesenen Behauptung nicht täuschen und stellte am 14. Mai 1935 in seiner Urteilsbegründung fest:

„Irgend ein Beweis dafür, dass die sog. Protokolle, wie sie in der Broschüre Fritsch enthalten sind, irgendwo und irgendwann von einem oder mehreren Juden im Auftrag einer geheimen jüdischen Weltregierung ausgearbeitet, vorgetragen, beraten worden sind, ist nicht erbracht worden.“

Die „Protokolle“ seien ein Plagiat von Joly und zudem Schundliteratur. Daher verurteilte es zwei der Angeklagten in erster Instanz wegen Verstoßes gegen Artikel 14 des „Gesetzes über das Lichtspielwesen und Massnahmen gegen die Schundliteratur“ zu symbolischen Geldstrafen und einer teilweisen Übernahme der Gerichtskosten. In einem Berufungsverfahren wurde das Urteil im November 1937 vom Berner Obergericht aufgehoben, weil der Begriff Schundliteratur auf politische Literatur nicht anwendbar sei, der die Komponente der Unzucht fehle. Die Tatsache, dass die „Protokolle“ ein Phantasieprodukt sind, zog das Gericht aber nicht in Zweifel, die Zahlung von Schadenersatz wurde den Beklagten mit der Begründung verweigert: „Wer aber solche Hetzartikel gemeinster Sorte in Verkehr bringt, muss die ihm daraus entstehenden Kosten selber tragen.“

Die Aufdeckung der Fälschung durch Graves wie auch das Berner Urteil blieben weitgehend folgenlos. Zur Beek, Rosenberg und andere Anhänger der „Protokolle“ behaupteten nun einfach, Joly wäre ein Jude gewesen und hätte in Wahrheit „Moïse Joël“ geheißen. Insofern widerlege seine Satire aus dem Jahr 1864 die Authentizität der „Protokolle“ nicht, sondern bestärke sie. Dass im Dialogue aux enfers von den Juden überhaupt keine Rede war, sondern es einzig um Napoleon III. ging, focht sie dabei nicht an. Fleischhauers Gutachten, dem das Gericht keinen Glauben geschenkt hatte, wurde publiziert und diente fortan als weiterer Beleg für die Echtheit der Protokolle. In der Folgezeit fanden seine Mitarbeiter in der nationalsozialistischen Zeitschrift „Welt-Dienst“ immer neue Parallelen zwischen den Werken Jolys und Herzls und führten sie als Bestätigung ihrer ursprünglichen Überzeugungen an.

Völkische Bewegung und Nationalsozialismus

Konstantin von Gebsattel, der geheime Oberleiter des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes, dem die „Protokolle“ bereits Anfang März 1919 vorlagen, äußerte sich zu ihnen in einem Brief an Heinrich Claß: „Ob es eine Fälschung ist oder nicht – jedenfalls entspricht es der Wirklichkeit.“ Mit der Wirkung der „Protokolle“ werden Morde und Mordanschläge in der Weimarer Republik in Zusammenhang gebracht. So wurde 1922 in Berlin ein Attentat auf den wichtigsten Führer der russischen Emigranten, den Historiker Pawel Nikolajewitsch Miljukow, ausgeübt. Einer der Täter, Fjodor Winberg, hatte die „Protokolle“ 1918 nach Deutschland gebracht und in seiner in Berlin erscheinenden Zeitschrift Луч света (Lutsch Sweta – „Lichtstrahl“) veröffentlicht. Spektakulärer war am 24. Juni 1922 der Mord am deutschen Außenminister Walther Rathenau, der sich zuvor wegen seiner jüdischen Abstammung einer beispiellosen antisemitischen Hetzkampagne ausgesetzt gesehen hatte. Seine Aussage, wonach die Geschicke der Welt von etwa 300 mächtigen Männern geleitet würden – Rathenau dachte dabei an Unternehmer, Bankiers usw. – war von Müller von Hausen/zur Beek aufgegriffen und zu der Denunziation umgedeutet worden, Rathenau selber wäre einer der „300 Weisen von Zion“, die mit ihm an die Macht gelangt seien. Auf diese Annahme berief sich der rechtsradikale Student Ernst Werner Techow, der den Wagen der Attentäter gesteuert hatte, bei seiner Verteidigung vor Gericht.

1921 wurde der deutschvölkische Journalist Ernst Graf zu Reventlow von Ascher Ginzberg verklagt, weil er verbreitet hatte, dieser wäre der Verfasser der „Protokolle“. 1923 musste Reventlow seine Behauptung zurücknehmen.

Die NSDAP stützte sich in ihrer Propaganda stark auf die „Protokolle“ und verbreitete deren „aufsehenerregende Enthüllungen“ ab 1921 in auflagenstarken Flugblättern. Der nationalsozialistische Theoretiker Gottfried Feder verfasste seine 1923 erschienene Schrift „Der Deutsche Staat auf nationaler und sozialer Grundlage“, zu der Adolf Hitler ein Geleitwort beisteuerte, ausdrücklich als Gegenschrift gegen die „Protokolle der Weisen von Zion“. 1927 veröffentlichte Hitlers Freund Hermann Esser seine Schrift „Die jüdische Weltpest“, die in der Zeit des Nationalsozialismus mehrere Neuauflagen erlebte. Darin zitierte er ausführlich aus den „Protokollen“, die wie der Talmud angeblich Menschenhass, Verworfenheit, Raubgier, Despotismus, Enteignungskoller und zahlreiche andere negative Eigenschaften der Juden beweisen würden. Es gebe daher „nur eine angemessene Strafe für das Judentum: massenhafte Ausrottung“.

Am 13. Oktober 1934 ordnete Erziehungsminister Bernhard Rust an, die „Protokolle“ hätten als Lehrstoff an allen Schulen des Reiches behandelt zu werden. 1936 veröffentlichte Eugen Freiherr Engelhardt das Werk „Jüdische Weltmachtpläne“, das mehrere Auflagen erlebte. Darin verband er die „Protokolle“ wieder stärker mit dem antimasonischen Diskurs und konstruierte Verbindungen zum Illuminatenorden, einer deutschen radikalaufklärerischen Geheimgesellschaft, die 1785 aufgelöst worden war. Seit den Veröffentlichungen Augustin Barruels 1797/1798 wurden sie von Verschwörungstheoretikern für die Französische Revolution und allen anderen Revolutionen weltweit verantwortlich gemacht. Engelhardt behauptete nun, dass die Illuminaten ihrerseits nur Werkzeuge der „Weisen von Zion“ gewesen seien, und führte alle möglichen Autoritäten an, um die Echtheit der „Protokolle“ zu beweisen. Auch Julius Streicher pries sie in seinem Propagandablatt „Der Stürmer“. Bis 1939 wurden die „Protokolle“ im nationalsozialistischen Deutschland in großen Auflagenzahlen immer wieder aufgelegt. Als Erklärung dafür, dass während der Kriegszeit keine weiteren Auflagen erfolgten, hält Michael Hagemeister die Sorge der Nationalsozialisten für plausibel, dass ein Vergleich zwischen ihren und den Herrschaftsmethoden der angeblichen Weltverschwörer allzu deutliche Parallelen ergeben könnte.

Anders als bei anderen Nationalsozialisten spielten die „Protokolle“ in Hitlers judenfeindlicher Polemik nur eine untergeordnete Rolle. In einer seiner ersten veröffentlichten Äußerungen, den von seinem Freund Dietrich Eckart herausgegebenen „Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler und mir“ beschreibt er eine „jüdische prophetische Landkarte“ – offensichtlich die in der Ausgabe zur Beeks, die die jüdische Umklammerung Deutschlands illustrieren sollte. In Mein Kampf bezieht er sich an einer Stelle auf die „Protokolle“ und führt die Tatsache, dass die angeblich jüdisch dominierte Frankfurter Zeitung sie für gefälscht erkläre, als Beweis für ihre Echtheit an. In seinen späteren Reden kam er nur selten explizit auf sie zurück. Am 13. Mai 1943 unterhielt er sich mit Joseph Goebbels, der sie für weiterhin aktuell und sehr brauchbar für die Propaganda erklärte, aber die Frage offenließ, ob sie echt oder „von einem genialen Zeitkritiker erfunden“ seien. Hitler äußerte sich von ihrer „absoluten Echtheit“ überzeugt und meinte, dass sie das immer gleiche Wesen der Juden zeigen würden: „Es bleibt also den modernen Völkern nichts anderes übrig, als die Juden auszurotten.“

Ob die Nationalsozialisten wirklich an die Authentizität der „Protokolle“ glaubten oder sie nur wider besseres Wissen als Propaganda benutzten, ist in der Forschung umstritten. Der amerikanische Publizist Walter Laqueur glaubt, dass die nationalsozialistische Führung von Hass und Verachtung gegenüber dem Judentum motiviert war, nicht aber durch Furcht vor einer Verschwörung, wie sie die „Protokolle“ ausmalen. Der deutsche Historiker Johannes Rogalla von Bieberstein belegt, dass Zweifel an der Echtheit der „Protokolle“ im Judenreferat des Reichssicherheitshauptamts verbreitet waren. Norman Cohn sieht dagegen in Hitler sowohl einen zynischen Taktiker der Macht, der jedwede Überzeugung in seine Propaganda einband, wenn sie nur seiner Macht diente, als auch den „Getriebenen, der besessen war von Fantasien über die jüdische Weltverschwörung“. Was von beiden in Hitler gerade aktiv präsent gewesen sei, lasse sich nicht unterscheiden. Der amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Pipes ist überzeugt, dass Hitler, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in großen Zügen von den Verschwörungstheorien überzeugt war, „nach denen [er] politisch handelte und unter deren entsetzlicher Konsequenz die Welt zu leiden hatte.“

Anti-illuminatische und esoterische Verschwörungstheorien

Die englische Publizistin Nesta Webster zog in ihrem 1921 erschienenen Werk „World Revolution. The Plot against Civilization“ (zu dt. etwa: „Weltrevolution. Die Verschwörung gegen die Zivilisation“) Parallelen zwischen den Komplotten der „Weisen von Zion“ und denen der Illuminaten, die seit jeher hinter allen Verschwörungen stecken würden. Diese Deutungstradition ist bis in die Gegenwart unter Verschwörungstheoretikern verbreitet: Der kanadische Autor William Guy Carr spann den Gedanken 1957 in seinem Buch „The Red Fog Over America“ (übersetzt etwa: „Der rote Nebel über Amerika“) fort und behauptete, Nilus habe, indem er die Juden als Weltverschwörer bezeichnete und so den Verdacht von den Illuminaten ablenkte, diesen direkt in die Hände gespielt. Ähnliches behauptet Milton William Cooper in seinem 1991 erschienenen Buch „Behold a Pale Horse“, in dem er den vollständigen Text der „Protokolle“ wiedergibt, aber darauf hinweist, man müsse das Wort „Juden“ jedes Mal durch „Illuminaten“ ersetzen.

In dem 1982 erschienenen Bestseller Der Heilige Gral und seine Erben deuten die Autoren Henry Lincoln, Michael Baigent und Richard Leigh die „Protokolle“ esoterisch um: Ihrer Ansicht nach geht es um eine jahrhundertealte Verschwörung mit dem Ziel, die Merowinger (das älteste Königsgeschlecht der Franken) zurück an die Macht zu bringen, für die sie eine direkte Abstammung von Jesus von Nazareth konstruieren. Auch sei gar nicht Zion gemeint, sondern die 1956 gegründete, angeblich viel ältere Prieuré de Sion.

In dem 1995 erschienenen Werk „Geheimgesellschaften und ihre Macht im 20. Jahrhundert“ verbreitete der deutsche Autor Jan Udo Holey unter seinem Pseudonym Jan van Helsing ebenfalls die „Protokolle“ in esoterisch-okkultistischer Interpretation. Daneben listete er nahezu alle vermeintlichen Übeltäter aus rechtsextremistischen Verschwörungstheorien wieder auf: die Illuminaten, Freimaurer, Außerirdische u. a. In dieser geschichtsrevisionistischen Darstellung erscheint Hitler als Marionette der „Weisen von Zion“. Juden seien somit am Holocaust selbst schuld. Das Werk wurde 1996 staatsanwaltlich beschlagnahmt. Ebenso führt der esoterische Autor Stefan Erdmann die „Protokolle“ als Beleg für eine angestrebte „Neue Weltordnung“ an und behauptet in seinem 2005 in Holeys Verlag erschienenen Buch „Geheimakte Bundeslade. Das größte Geheimnis der Menschheit“, sie seien „unzweifelhaft“ „bereits zu großen Teilen umgesetzt“. In Großbritannien vertritt der ehemalige Sportreporter David Icke ähnliche esoterische Verschwörungstheorien, die in der Annahme kulminieren, hinter den „Weisen von Zion“ steckten reptiloide Außerirdische, die sich von Menschenfleisch ernähren würden. Ob die „Protokolle“ von jüdischen Mitgliedern dieser Weltverschwörung oder zu dem Zweck verfasst worden seien, die Juden zu Unrecht zu beschuldigen, spiele keine Rolle.

Heutiges Westeuropa und Nordamerika

Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind die „Protokolle“ in West- und Mitteleuropa weitgehend aus dem öffentlichen Blickfeld verschwunden. Nur noch wenige Verschwörungstheoretiker und Antisemiten berufen sich auf die „Protokolle“, wie etwa Horst Mahler. In Deutschland wird ihre Verbreitung als Volksverhetzung strafrechtlich verfolgt. Zuletzt wurde im Jahr 2015 ein Organisator einer „Friedensparty“ in Koblenz zu einer Geldbuße verurteilt und verwarnt, weil er die „Protokolle“ öffentlich zur Lektüre empfohlen hatte. Die Bundesprüfstelle schätzt sie als jugendgefährdend ein und indiziert Medien wie Webseiten oder CDs, die sich positiv auf sie beziehen. Gleichwohl ist der Text in einer 1998 im Wallstein Verlag erschienenen wissenschaftlichen Ausgabe sowie auf zahlreichen Webseiten des Internets leicht greifbar.

Der wegen seiner Holocaustleugnung bekannte Bischof der Piusbruderschaft Richard Williamson berief sich in seinen Predigten und Rundschreiben seit Jahrzehnten auf die „Protokolle“, die er als „gottgesandt“ bezeichnet. Auch andere Vertreter der Piusbruderschaft, darunter ihr Gründer, der verstorbene Erzbischof Marcel Lefebvre, benutzten gerne das Konzept einer „jüdisch-freimaurerisch-atheistischen“ Weltverschwörung. Ähnliches vertritt der rechtsextreme sedisvakantistisch-katholische Theologe Johannes Rothkranz in seinem Buch „Die Protokolle der Weisen von Zion – erfüllt!“. Der spätere baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon (AfD) bezog sich in zwei Schriften 2009 und 2012 zustimmend auf die „Protokolle“.

In den Vereinigten Staaten sorgten in den 1970er Jahren die rechtsextremen Gruppierungen „National States’ Rights Party“ und „California Noontide Press“ für den Vertrieb der Verschwörungstheorie. Von Vertretern der rechtsextremen Milizen werden sie heute ebenso propagiert wie von Anhängern der Nation of Islam. Wal-Mart, das umsatzstärkste Unternehmen der Welt, vertrieb die „Protokolle“ in den Vereinigten Staaten bis ins Jahr 2004. Auch in Kanada waren sie nach 1945 erhältlich.

Auch in Verschwörungstheorien zum 11. September 2001 wird gelegentlich Bezug auf die „Protokolle“ genommen. Der Journalist Mathias Bröckers bringt den damaligen israelischen Premierminister Ariel Sharon, dessen Regierung er eine Mitverantwortung an den Attentaten unterstellt, mit den „Protokollen“ in Verbindung. Bröckers bezeichnet sie zwar als „Propaganda“, dennoch habe Sharon sich wie Hitler an den Zielen der in ihnen dargelegten Weltherrschaftsphantasien orientiert.

Sowjetunion und postsowjetisches Russland

Bereits zu Zeiten der Sowjetunion wurden Gerüchte einer jüdischen Weltverschwörung verbreitet. Nach dem Sechstagekrieg 1967 wurde staatlicherseits eine Propagandakampagne gestartet, die den Zionismus als weltweite Bedrohung beschrieb und sich in verschwörungstheoretischen Diskursbahnen bewegte. Der Zionismusforscher Juri Iwanow veröffentlichte 1969 ein Werk Осторожно: сионизм! („Vorsicht: Zionismus!“), das im Wesentlichen den Grundlinien der „Protokolle“ folgte. In den siebziger Jahren warnten führende Politiker der Sowjetunion wiederholt vor einer jüdisch-freimaurerischen Verschwörung, als deren Anführer die Dissidenten Alexander Solschenizyn und Andrei Sacharow sowie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hingestellt wurden.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion verbreitete die radikalnationalistische Organisation Pamjat in den 1990er Jahren Text und Ideen der „Protokolle der Weisen von Zion“. Noch heute wird in Russland das Andenken an Sergej Nilus gepflegt, er gilt in kirchlichen und patriotischen Kreisen als Kultfigur. Seine Bücher, vor allem jene, die die „Protokolle“ enthalten, finden breite Käuferschichten. In einer Anthologie apokalyptischer und antisemitischer Schriften mit dem Titel Россия перед вторым пришествием (dt.: „Russland vor der zweiten Ankunft“), die von Auflage zu Auflage erweitert wird und mittlerweile zweibändig erscheint, sind auch die „Protokolle der Weisen von Zion“ zu finden. Die Startauflage betrug 1993 100.000 Stück, das Buch ist ein Bestseller und wird auch in Raubdrucken verbreitet; ein russisches Gericht bezeichnete die Herausgabe als Antisemitismus. Auch in der bildenden Kunst werden die „Protokolle“ und ihre Symbolsprache verwendet und als bekannt vorausgesetzt: Der populäre Maler Ilja Glasunow stellt in seinem 1990 entstandenen Monumentalgemälde „Das große Experiment“ die blutige Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert dar; exakt in den Mittelpunkt des Bildes, zwischen die Köpfe von Marx, Lenin und Stalin, platziert er das mit kabbalistischen Zeichen geschmückte Pentagramm, wie es auch auf Nilus‘ Ausgabe aus dem Jahr 1911 zu sehen ist. Damit deutet er an, dass Marx und die Bolschewiki Agenten einer jüdischen Verschwörung seien.

Arabische Welt und Islam

Die Vorstellung, Juden könnten eine Bedrohung darstellen oder gar die Weltherrschaft an sich reißen wollen, war der arabischen Welt bis ins 20. Jahrhundert hinein fremd. Stattdessen dominierte das Stereotyp des armen, feigen und verächtlichen Juden. Zwar wurden 1921, 1926 und 1927 oder 1928 von christlichen Arabern Übersetzungen der „Protokolle“ ins Arabische angefertigt, die jedoch keine breite Wirkung fanden.

Erst seit Beginn des Palästina-Konflikts gibt es eine nennenswerte muslimische Rezeption der „Protokolle“. Nachdem es 1929 zu blutigen Unruhen zwischen Juden und Muslimen in Jerusalem, Hebron und Safed gekommen war, versuchte Mohammed Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem, anhand der „Protokolle“ nachzuweisen, dass Juden die Anstifter gewesen seien. 1938 wurde auf einer von den Muslimbrüdern veranstalteten „Islamischen Parlamentarierkonferenz zugunsten Palästinas“ arabische Übersetzungen der „Protokolle“ und von Hitlers „Mein Kampf“ verteilt, womit die Karriere dieser Schriften im islamisch geprägten Raum begann Nach der traumatisierenden Niederlage der arabischen Staaten im Israelischen Unabhängigkeitskrieg 1948 und der damit einhergehenden Flucht und Vertreibung der Palästinenser nahmen antisemitische Äußerungen und Verschwörungstheorien in der islamischen Welt deutlich zu. Seitdem entfalten die „Protokolle der Weisen von Zion“ in der islamischen Welt ihre größte Wirkung: Sie gelten als wichtige Informationsquelle zum Zionismus und zum Judentum, sie werden von großen Verlagshäusern ediert, prominente Politiker, Intellektuelle und religiöse Führer aller Weltanschauungen stützen sich auf sie. Verbreitet ist der Eindruck, vom Westen kulturell, technisch, wirtschaftlich und politisch gedemütigt und unterdrückt zu werden: Die Kreuzzüge werden hier als Beginn einer Tradition gesehen, die über den Imperialismus und Kolonialismus des 19. und 20. Jahrhunderts bis zur Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 und dem seitdem schwelenden Nahostkonflikt reicht. Die zahlreichen Niederlagen, die die arabische Welt gegenüber dem Westen und dem westlich geprägten Israel hat hinnehmen müssen, führen zu Gefühlen der Ohnmacht und der Wut, die wiederum in Verschwörungsphantasien einen Ausdruck finden: Als Ursache erscheinen nicht etwa Rückstände in der Modernisierung der arabischen Länder oder mangelnde Einigkeit zwischen ihnen, sondern das böse, konspirative Wirken eines einzigen übermächtigen Gegners: das Judentum. Die idealtypische Ausformulierung dieses Verschwörungsdiskurses stellen die „Protokolle“ dar.

1951 legte der ägyptische Journalist Muhammad Halifa at-Tunisi die erste arabische Übersetzung der „Protokolle“, die von einem Muslim stammt, vor. In seinem Vorwort betont at-Tunisi, er warne vor den Juden nicht nur wegen des Konflikts mit Israel: „Selbst wenn sie aus unseren Ländern vertrieben würden an irgendeinen Flecken der Welt, denn wo immer sie waren, waren sie Feinde der Menschheit.“ Weitere arabische Übersetzungen erschienen 1951, 1957, 1961, 1964, 1968 – hier fungierte Shawqi Abd al-Nasir, der Bruder des ägyptischen Staatspräsidenten als Herausgeber – und 1969. In den 1980er Jahren sollen weltweit neun arabische Übersetzungen in immer neuen Auflagen im Umlauf gewesen sein. Damit wäre Arabisch die Sprache, in die die „Protokolle“ am häufigsten übersetzt wurden. Das ägyptische Ministerium für nationale Führung gab 1956 eine Übersetzung heraus, in deren Einleitung es heißt, die „Protokolle“ stammten zwar nicht vom Basler Zionistenkongress 1897, die angebliche Übereinstimmung mit verschiedenen jüdischen Dokumenten wie dem Talmud und mit der aktuellen jüdischen Politik beweise aber ihre Echtheit. Für diese Behauptung stützte sich der anonyme Herausgeber auf Rosenbergs Kommentierung. Präsident Nasser berief sich in einem Interview auf die „Protokolle“. Auch andere hochrangige arabische Politiker bezogen sich positiv auf die „Protokolle“, etwa König Faisal von Saudi-Arabien, der irakische Präsident Abd as-Salam Arif oder der libysche Diktator Muammar al-Gaddafi. 1978 wurden sie ins Persische übersetzt und in den folgenden Jahrzehnten von staatlichen Stellen im Iran immer wieder neu herausgegeben, mitunter mit geänderten Titeln wie „Protokolle der jüdischen Führer zur Erleuchtung der Welt“.

Von dem Palästinenser Muhsen al-Antabawi stammt die Schrift „Warum wir jeden Frieden mit den Juden ablehnen“; sie ist im arabischen Raum weit verbreitet. Darin ist die Rede vom „Juden“ (jahud) schlechthin, es wird nicht zwischen Juden und Israelis differenziert. Al-Antabawi propagiert zur Lösung des Palästinaproblems eine „Kombination von Koran und Gewehr“; Frieden mit Israel widerspreche der Scharia. Er bedient sich ausführlich antisemitischer Klischees, um nachzuweisen, warum es mit den Juden weder Frieden noch Versöhnung geben könne. Dabei bezieht er sich explizit auch auf die „Protokolle der Weisen von Zion“: „Die Juden planen die Beherrschung der Welt und deshalb zerstören sie die Moral und bemächtigen sich der Wirtschaft der einflussreichen Länder und der Medien.“

In den islamistischen Diskurs ließ sich die Verschwörungstheorie der „Protokolle“ ebenfalls problemlos einpassen. Der Vordenker der Muslimbrüder, Sayyid Qutb, orientierte sich in seinem antisemitischen Essay „Unser Kampf mit den Juden“ aus dem Jahr 1950, in dem er die Juden als ewige Widersacher der Muslime seit den Tagen des Propheten darstellt, über weite Strecken am Textaufbau der „Protokolle“ und zitiert sie mehrmals im Wortlaut. Muhammad Sayyid Tantawi, Scheich der Azhar von 1996 bis 2010, begründete in seiner Dissertation von 1966 seine ganz ähnlichen Thesen, die Juden wären seit je Feinde der Muslime gewesen, mit Zitaten aus den „Protokollen“. 2011 berief sich der Oberste Rechtsgelehrte des Iran, Ali Chamene’i, auf die „Protokolle“, als er sagte, dass „das Abartige und Primitive“, das in den führenden meinungsbildenden Medien dieser Welt zu finden sei, mit den in den „Protokollen“ formulierten Zielen auf einer Linie liege. Die islamistische Webseite Radio Islam nutzt seit 1996 die „Protokolle“ als Waffe in ihrem Kampf gegen Juden und Zionisten. Die Hamas beruft sich in ihrer 1988 entstandenen Charta explizit auf die „Protokolle“. Danach hätten die Juden sowohl die Französische als auch die Oktoberrevolution ausgelöst, ebenso den Ersten Weltkrieg, dessen Zweck die Zerstörung des Kalifats gewesen sei, und den Zweiten Weltkrieg, an dem sie als Waffenhändler gut verdient und den sie benutzt hätten, um die Gründung ihres eigenen Staates vorzubereiten. Die Gründung der UNO und des Sicherheitsrats gehe ebenso auf sie zurück, denn mit diesen Institutionen könnten sie die Welt unmittelbar regieren:

“Today it is Palestine, tomorrow it will be one country or another. The Zionist plan is limitless. After Palestine, the Zionists aspire to expand from the Nile to the Euphrates. When they will have digested the region they overtook, they will aspire to further expansion, and so on. Their plan is embodied in the ‚Protocols of the Elders of Zion‘, and their present conduct is the best proof of what we are saying.”

„Heute ist es Palästina, morgen wird das irgendein anderes Land sein. Der zionistische Plan kennt keine Grenzen. Nach Palästina werden die Zionisten ihr Gebiet vom Nil bis an den Euphrat ausdehnen. Wenn sie die ganze Region verdaut haben, die sie übernommen haben, werden sie sich weiterer Expansion zuwenden, und so fort. Ihr Plan ist in den „Protokollen der Weisen von Zion“ verkörpert, und ihr gegenwärtiges Verhalten ist der beste Beweis für das, was wir sagen.“

Auch im kulturellen Leben der arabischen Welt gibt es Bezüge auf die „Protokolle“. In Ägypten wurde 2002 in 41 Folgen die Fernsehserie „Ein Reiter ohne Pferd“ ausgestrahlt, die auf ihnen beruhte; 2004 folgte ein libanesischer, Hisbollah-naher Sender. Aus arabischen Ländern stammende fremdsprachige Ausgaben wurden für das Ausland gedruckt, unter anderem für Schwarzafrika und Länder, in denen israelische Entwicklungshelfer tätig waren. Sie erlebten dabei zahlreiche Bearbeitungen: Ein arabischer Publizist beschrieb sie als Protokolle einer „zionistischen Geheimversammlung“, die 1954 in Budapest stattgefunden habe; ein anderer als Protokolle des Zionistischen Weltkongresses 1897 in Basel. In einem 2004 neu von der Palästinensischen Autonomiebehörde herausgegebenen Geschichtsbuch für das zehnte Schuljahr wurden die „Protokolle“ als Beschlüsse des ersten Zionistenkongresses in Basel dargestellt Nach internationalen Protesten musste eine Neuauflage ohne den Hinweis auf die „Protokolle“ aufgelegt werden. Auf der Frankfurter Buchmesse wurden 2005 an Ständen iranischer Verlage neben anderen englischsprachigen Ausgaben antisemitischer Bücher wie Fords „The International Jew“ auch die „Protokolle“ in einer von der staatlichen „Islamic Propaganda Organisation“ herausgegebenen Fassung unter dem Titel Jewish Conspiracy zum Verkauf angeboten. Die Messeleitung wurde darauf erst nach Ende der Veranstaltung infolge von Presseberichten aufmerksam und erstattete Anzeige. Auch auf der im Februar 2006 in Casablanca durchgeführten Buchmesse wurden mehrere antisemitische Bücher von ägyptischen, syrischen und marokkanischen Verlagen ausgestellt, darunter aktualisierte Ausgaben von Hitlers „Mein Kampf“ und der „Protokolle“.

Gleichwohl gibt es auch in der arabischen Welt Gegenstimmen: 1948 ging Muhammad Fuad Shukri in seinem Werk „Nazi-Deutschland. Studien zum zeitgenössischen europäischen Erbe“ (1939–1945) auch auf die Fälschungsgeschichte der „Protokolle“ ein. Der ägyptische Journalist Mark Sayegh parodierte die „Protokolle“ 2002 als „Protokolle der arabischen Weisen“, die eine angebliche arabische Weltverschwörung zum Thema haben. Zusammen mit seinem libanesischen Kollegen Hazim Saghiya wendet er sich gegen die weit verbreitete Einschätzung der „Protokolle“ als authentisch.

Andere Länder

Die „Protokolle der Weisen von Zion“ tauchten Mitte der 1990er Jahre auch in Osteuropa wieder auf und wurden zuvor in Afrika, Südamerika, Australien, Neuseeland und Japan veröffentlicht. Dort war die erste Auflage bereits 1924 erschienen. In den 1930er Jahren zur Zeit des Antikominternpakts und des Krieges gegen China waren die „Protokolle“ Staatsdoktrin gewesen. Für eine Neuauflage unter dem Titel „Greift euch Japan, den letzten Feind! Die jüdischen Protokolle zur Beherrschung der Welt“ wurde 1993 intensiv Werbung gemacht, das Buch wurde ein Bestseller – für Daniel Pipes ein Indiz, dass Antisemitismus auch in Ländern ohne jüdische Minderheit erfolgreich sein kann (vergleiche Antisemitismus ohne Juden).

Am 23. Oktober 2012 las Ilias Kasidiaris, Sprecher und Abgeordneter der griechischen Neonazi-Partei Chrysi Avgi, im griechischen Parlament aus dem 19. der Protokolle vor.

Wissenschaftliche Deutungen

In der wissenschaftlichen Forschung herrscht Konsens, dass es sich bei den „Protokollen der Weisen von Zion“ um einen fiktionalen Text handelt, der in keiner Weise reale Verhältnisse beschreibt.

Der Politikwissenschaftlerin Hannah Arendt fiel in ihrer 1951 erschienenen Studie „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ auf, dass die in den „Protokollen“ beschriebene Utopie eines totalen Staates den real existierenden totalitären Regimen ähnlich sehe. Auch ähnele die in den „Protokollen“ beschriebene Arbeit einer konspirativen Geheimgesellschaft stark der einer Geheimpolizei. Daher kam sie zu der These, dass die „Protokolle“ nicht nur das Motiv, sondern auch ein Modell für Hitlers Praxis der Machteroberung und Herrschaftsausübung geliefert hätten:

„Die Nazis begannen mit ihrer ideologischen Fiktion einer Weltverschwörung und organisierten sich mehr oder weniger bewußt nach dem Modell der fiktiven Geheimgesellschaft der Weisen von Zion.“

Damit griff Arendt die Analyse des jüdischen Journalisten Alexander Rubinštejn auf, die dieser 1936 im tschechoslowakischen Karlsbad veröffentlicht hatte.

Eine erste Monografie zu den „Protokollen“ legte Norman Cohn 1967 unter dem Titel „Warrant for Genocide“ (übersetzt etwa „Ermächtigung zum Völkermord“) vor. Er sah in ihnen eine Rückkehr des dämonologischen Antijudaismus. Die in den „Protokollen“ verbreitete Verschwörungstheorie habe eine bedeutende Motivation für den Holocaust dargestellt.

Der italienische Medienwissenschaftler Umberto Eco glaubt, dass die Spuren weit verbreiteter Erfolgsromane, die er in den „Protokollen“ nachweisen kann, wirkungsgeschichtlich dazu beitrugen, dass diese glaubwürdig erschienen: Der Leser habe in ihnen Vorstellungen und Klischees wiedergefunden, die ihm längst vertraut gewesen seien. Eine ähnliche These vertritt Jeffrey Sammons: Eben dadurch, dass die „Protokolle“ erkennbar fiktiv seien und ihre Wurzel in Romanen hätten, seien sie der Kontrolle des logischen Diskurses entzogen und „von der Überprüfung anhand der belegbaren Wahrheit befreit“.

Der amerikanische Politikwissenschaftler Daniel Pipes sieht den Schlüssel für die Breitenwirkung des Buches in der Widersprüchlichkeit und der mangelnden Konkretheit des Inhalts. Namen, Daten oder bestimmbare einzelne Fakten würden nicht genannt, so widersprüchliche Phänomene wie Philo- und Antisemitismus, wie Kapitalismus und Sozialismus, wie Demokratie und Tyrannei würden als Werkzeuge der jüdischen Verschwörung hingestellt, sodass jeder sich in seinen jeweiligen Interessen davon bedroht fühlen müsse.

Der Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz erklärt die Wirkungsmacht der „Protokolle“ in ihrer Funktion als politischer Mythos. Zwar stehe im Kern dieses Mythos hier nicht ein reales Ereignis, sondern eine reine Fiktion, durch ständige Wiederholungen, Assoziationen und Konnotationen gewinne die sinnstiftende Erzählung so scheinbar Realität und Überzeugungskraft. Das Stereotyp vom jüdischen Streben nach Weltdominanz sei beliebig verwendbar, vom zaristischen Russland über NS-Deutschland bis in den Nahen Osten. Weil es in bestimmten emotionalen Bedürfnissen wurzele, sei es aufklärenden Gegenargumenten nicht zugänglich und dadurch besonders wirksam.

Der österreichische Historiker Helmut Reinalter sieht die Wirkung der „Protokolle“ weniger in ihrem Inhalt, der krude zusammengestückelt, schlecht strukturiert und zum Teil in sich widersprüchlich sei. Bedeutsamer sei vielmehr ihre schiere Existenz: Sie allein scheine, unabhängig vom konkreten Inhalt, die angebliche Tatsache einer allumfassenden Verschwörung zu beweisen. Damit seien die „Protokolle“, deren Inhalt immer schon von Ausgabe zu Ausgabe variiert habe, vielfältig einsetzbar: Statt der Juden könnten ohne inhaltliche Schwierigkeiten andere imaginierte Subjekte von Verschwörungstheorien eingesetzt werden, etwa Jesuiten, Freimaurer oder Illuminaten.

Der amerikanische Historiker und Millenarismusspezialist Richard Landes untersuchte in einer zusammen mit Steven T. Katz herausgegebenen Retrospektive die Wirkungsgeschichte der Protokolle von den Vorläufern bis in die Gegenwart. Hierzu werden unter anderem die Verwendung und Neuauflage in einzelnen islamischen Ländern sowie die Kontroverse um den Verkauf der Protokolle beim Handelskonzern Walmart in den USA bis zur Rezeption bei Linksextremisten angeführt und dargestellt. Die Protokolle zeigten exemplarisch, wieso sich Verschwörungstheorien trotz eindeutiger Faktenlage erfolgreich etablieren können. Hintergrund seien apokalyptische Wahnvorstellungen, die bei Erlangung entsprechender Popularität eine Rechtfertigung für Mord und Gewalttaten lieferten.

Der Medienwissenschaftler John David Seidler warnt davor, die Wirkungsmacht der „Protokolle“ zu überschätzen. Ein direkter Kausalzusammenhang zwischen ihnen und dem Holocaust, wie ihn etwa Cohen in seinem Buchtitel „Warrant for genocide“ behauptet, bestehe nicht. Wenn sich die Nationalsozialisten auch auf den Text beriefen, sei er doch nicht als ursächlich für ihre Massenverbrechen zu verstehen.

Der Historiker Michael Hagemeister hält auch eine Lesart für plausibel, in der die Protokolle als satirische Anti-Utopie gedeutet werden, die die totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts mit ihrer Fürsorge, ihrem Führerkult, ihrer Massenpropaganda, ihrem Denunziantentum und ihrem Streben nach Weltherrschaft antizipiert. Sie wären somit Ausdruck einer kulturpessimistischen Furcht vor Globalisierung, Industrialisierung, Überwachungsstaat und Modernisierung im Allgemeinen, als deren Protagonisten die Juden angesehen worden seien.

Künstlerische Verarbeitungen 

1934 veröffentlichte der deutsche Schriftsteller Stefan Heym in der in Prag erscheinenden Exilzeitschrift „Simpl“ die Satire „Interview mit den Weisen von Zion“, die bei der Alltagspraxis des Weltverschwörens karikiert werden. Der deutsche Vertreter kommt zu spät – es ist Joseph Goebbels, über dessen wenig arische Erscheinung Gegner der Nationalsozialisten schon früher ihre Witze gemacht hatten.

Der amerikanische Comic-Künstler Will Eisner schuf kurz vor seinem Tod 2005 eine Graphic Novel mit dem Titel „The Plot. The Secret Story of The Protocols of the Elders of Zion“. Im gleichen Jahr erschien auch eine deutsche Ausgabe. Eisner erzählt mit den Mitteln des Comics die Entstehung der „Protokolle“, wie sie in der älteren Forschung dargestellt wird. Außerdem enthält der Band eine Einführung von Umberto Eco, einen Nachweis des Plagiats durch spaltenweise Gegenüberstellung von Textpassagen aus Jolys Buch und den „Protokollen“ sowie ein Literaturverzeichnis. Der Comic enthält zwar mehrere historische Fehler – so lässt Eisner den Zaren in Moskau residieren statt in St. Petersburg, er macht Nilus zum Rivalen Rasputins am Hof und verlegt den Reichstagsbrand zeitlich vor die „Machtergreifung“ Hitlers. Dennoch wurde er in den Feuilletons der Qualitätszeitungen ausgesprochen positiv rezensiert. Im Handbuch des Antisemitismus wird der Comic als „Reflexion über den Umgang mit Informationen im 20. Jahrhundert“ und als „nützliches Referenzwerk zur Aufklärung über den Antisemitismus“ insbesondere für Jugendliche gelobt. Wolfgang Benz dagegen urteilt:

„Der ebenso sympathische wie unbeholfene Versuch (…), mit einer Comic-Serie einen Beitrag zur Aufklärung zu leisten, bleibt aber unbefriedigend, weil er über die Illustration eines Faszinosums nicht hinauskommt und – den Gesetzen des Mediums folgend – neuer Stereotypenbildung Vorschub leistet.“

2010 veröffentlichte Umberto Eco, der sich bereits 1988 in seinem Roman „Das Foucaultsche Pendel“ mit den „Protokollen“ beschäftigt hatte, den Roman Der Friedhof in Prag. Darin erzählt er die Vor- und Entstehungsgeschichte der „Protokolle“ von 1855 bis 1900 nach, wobei alle handelnden Personen historische Figuren sind mit Ausnahme des Protagonisten Simonini, einer Figur, die Eco erfunden hat und als die „vielleicht zynischste und unsympathischste Figur der gesamten Literaturgeschichte“ bezeichnet. Er soll ein Nachkomme des obskuren Jean-Baptiste Simonini sein, der 1806 Abbé Barruel, den Urvater der anti-illuminatischen Verschwörungstheorie, auf angebliche jüdische Verschwörungen hingewiesen haben soll. Der Roman fand ein geteiltes Echo. Der Oberrabbiner von Rom Riccardo Di Segni lobte die „wunderbare Weise“, in der Eco die Geschichte der Fälschung aufgezeichnet hatte, befürchtete aber, dass die ausführlich ausgebreiteten antisemitischen Lügen von unbedarften Lesern geglaubt werden könnten. Der Rezensent der „Süddeutschen Zeitung“ befand, der Roman vermöge als Literatur nicht zu überzeugen, „weil seine besten Pointen aus den Quellen stammen“.

Rechtslage 

In Deutschland wurde die Schrift 2001 gemäß § 94 und § 98 der Strafprozessordnung durch eine Entscheidung des Amtsgerichts Hamburg beschlagnahmt.“

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Gehört hatte ich schon von diesen Protokollen …, aber dass sie derart übel sind und sich bis in die Gegenwart halten konnten, wusste ich nicht.

Sind sie etwas Einmaliges? Anders ausgedrückt, ein besonderer Ausrutscher in der langen Geschichte des Antisemitismus? Nein – und aus meinem Geburtsort Bacharach/Rhein gibt es dazu passend auch eine „Geschichte“.

Die Wernerkapelle

Sie gilt als rheinromantisches Wahrzeichen der Stadt Bacharach am Rhein und hieß bis 1963 St. Werner Kapelle.

Bacharach mit Werner-Kapelle Quelle: alte Postkarte

Der Namensgeber „Werner von Oberwesel“ – geboren 1271 in Womrath, einer Ortsgemeinde im Rhein-Hunsrück-Kreis, die zu der Verbandsgemeinde Kirchberg (Hunsrück) gehört, stammte aus armen Verhältnissen und war als Tagelöhner bei einer jüdischen Familie in Stellung.

Wikipedia schreibt:

„…Am Gründonnerstag 1287 wurde die Leiche des 16-Jährigen in der Nähe von Bacharach aufgefunden. Von interessierter Seite gestreute Ritualmordgerüchte fanden Aufnahme bei Menschen, die von zeittypischen christlich-antijudaistischen Vorurteilen gesteuert wurden. Nach der Ritualmordlegende soll er gemeinschaftlich von Juden ermordet worden sein, die sein Blut rituell für das jüdische Pessach-Fest verwendet hätten.“

Und in meiner „Familienchronik schrieb ich über die Kapelle und ihre Geschichte:

„… Auf einer Anhöhe über der evangelischen Kirche St. Peter liegt die gotische Wernerkapelle.am Wege zur Burg Stahleck. Bacharacher Kinder verdienten sich in den 50er Jahren ein gutes Zubrot, indem sie den Touristen die Geschichte von Kirche und Kapelle samt davor liegendem Friedhof und der Burg erzählten.

Benannt nach dem angeblichen heiligen „Werner von Oberwesel“ stellt sie ein besonders trauriges Kapitel der Judenpogrome im Mittelalter dar. Denn besagter Werner soll am Gründonnerstag 1287 in Oberwesel von Mitbürgern der örtlichen jüdischen Gemeinde ermordet worden sein, die sein Blut für das Passahfest verwenden wollten. Seine Leiche fand man bei Bacharach – sie trieb also flussaufwärts, was sicher ein physikalisches Wunder darstellt – und dieser angebliche Ritualmord löste nicht nur am Mittelrhein, sondern auch an der Mosel und am Niederrhein Pogrome und Verfolgung aus.“

Die Reaktion der jüdischen Gemeinden und die weitere „Geschichte“ beschreibt Wikipedia:

„… Die jüdischen Gemeinden wandten sich an König Rudolf I., der von der Grundlosigkeit der Beschuldigungen überzeugt war. Er legte den Mördern der Juden eine Geldbuße auf und befahl, die Leiche Werners zu verbrennen, um einer weiteren Verehrung vorzubeugen.(…)

Quelle: Alte Postkarte

Die königlichen Anweisungen, die Leiche Werners zu verbrennen, um einer weiteren Verehrung vorzubeugen, wurden nicht befolgt. Vielmehr soll es nach den Angaben einer vor 1338 entstandenen Heiligenlegende schon seit dem 30. April 1287 zu ersten „Wundern“ am Grab Werners gekommen sein, der daraufhin als Märtyrer verehrt wurde. Die Kunibertkapelle in Bacharach wurde schon ab 1289 zur heutigen Wernerkapelle ausgebaut. Bereits 1293 wurde im fertiggestellten Südarm ein Werner-Altar geweiht und 1337 erfolgte die Weihe des Ostchores. Der geplante Ausbau der Kapelle zu einer großen Kirche blieb aber vorerst unvollendet, nachdem 1338 die Baukasse abhandengekommen war, wohl weil der Trierer Erzbischof Balduin von Luxemburg sie beschlagnahmte. Vollendet wurde die Kapelle erst nach 1426 auf Betreiben des Theologieprofessors und Humanisten Winand von Steeg, der von 1421 bis 1438 Pfarrer in Bacharach war. Bis zur Einführung der Reformation in Bacharach war die Kapelle ein beliebter Wallfahrtsort. 1685, als das katholische Fürstenhaus Pfalz-Neuburg die Pfalz erbte, wurde den wenigen Bacharacher Katholiken die Kapelle als Pfarrkirche zugewiesen, aber schon 1689 im Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde bei der Sprengung der Burg Stahleck die Kapelle in Mitleidenschaft gezogen und verfiel daraufhin zur Ruine. Ein Wiederaufbau scheiterte auch am Zurückgehen der Märtyrerverehrung und damit an versiegenden Einnahmen für die Kirche durch Wallfahrer.“

Zu Recht weist Wikipedia auf den finanziellen Aspekt der Kapelle hin, es heißt dort:

„… Eine „Werner“-Kapelle in Bacharach am Rhein wurde für ihn ab 1289 ausgebaut in Erwartung von Wallfahrern und, zeittypisch, der finanziellen Früchte einer Wallfahrt. Seine – auch zeitweise finanziell lohnende – Verehrung führte zu aufhetzerischen Legenden um angeblichen Hostienfrevel, Ritualmord und Wunder. Mit seinem Namen bleiben Judenpogrome und antijudaistische Propaganda verbunden.“

Als katholischer Volksheiliger verehrt – sein Gedenktag war der 19. April – strich man ihn erst 1963 aus dem Heiligenkalender des Bistums Trier. Bei Wikipedia sind diese Zeilen zu lesen:

„ …Doch noch immer taucht der „heilige Werner von Oberwesel“ in deutschen Heiligenverzeichnissen auf. Die ihm geweihte Kapelle in der dem Rhein zugewandten Seite der Stadtmauer von Oberwesel wurde um 2001 renoviert und 2008 zur Mutter-Rosa-Kapelle um geweiht. Die Kapelle in Bacharach wurde als Ruine gesichert.“

In den folgenden Jahrhunderten gab es nicht nur in Bacharach immer wieder Judenverfolgungen und in Deutschland waren z.B. die Juden verantwortlich für Pest und Cholera, das nennt man „Sündenbocktheorie“.

Ab dem Mai 2007 war in Bacharach die Kunstinstallation „Das Fenster – Wernerkapelle Bacharach“ des Künstlers Karl-Martin Hartmann zu sehen. Über sie und die Bedeutung, die der Künstler erreichen wollte, schreibt Wikipedia:

„…Heinrich Heine verarbeitete die Legende in seiner fragmentarischen Erzählung „Der Rabbi von Bacherach“. Der Anfang seines Textes wird in der künstlerischen Installation von Karl Martin Hartmann in der Wernerkapelle wiedergegeben. Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger machte die Geschichte Heines über den Rabbi von Bacherach zum Thema seiner 1907 verfassten Doktorarbeit. Das Buch wurde 1985 in einer Neuauflage im Verlag S. Fischer in Frankfurt herausgegeben. (…)

Die temporäre Kunstinstallation „Das Fenster – Wernerkapelle Bacharach“ des Künstlers Karl-Martin Hartmann machte die Ruine für drei Jahre zu einem Ort der Begegnung, um über Toleranz nachzudenken und sich auszutauschen. Auf dem weithin rot leuchtenden Glasfenster waren Ausschnitte aus Heinrich Heines Erzählung „Der Rabbi von Bacherach“ zu lesen. Die Installation wurde ohne Eingriffe in die Bausubstanz vorgenommen und bestand von Mai 2007 bis Mai 2010. Während dieser Zeit wurden in der Ruine regelmäßig Vorträge zum geschwisterlichen Umgang zwischen den Religionen und Toleranz abgehalten. Vortragende waren u. a. Leo Trepp, Necla Kelek, Ruth Lapide, Gerhart Baum und Heidemarie Wieczorek-Zeul.

Auf der Abschlussveranstaltung nahm der Rabbiner Leo Trepp das erste Exemplar einer Dokumentation über Kunstprojekt und Vortragsreihe „mit der allergrößten Hoffnung, dass die Wernerkapelle ein Symbol der Liebe, Toleranz und Gleichberechtigung wird“ entgegen.“

Heute erinnert eine Gedenktafel (aus Wikipedia) „zur Erinnerung an die unmenschlichen Verbrechen gegen die jüdischen Mitbürger, mit einem Gebetzitat des Papstes Johannes XXIII., in welchem um Sinnesänderung der Christen in ihrem Verhältnis zu den Juden gebeten wird:

„Wir erkennen heute, daß viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen verhüllt haben, so daß wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen.

Wir erkennen, daß ein Kainsmal auf unserer Stirn steht. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blute gelegen, das wir vergossen, und er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns den Fluch, den wir zu unrecht an den Namen der Juden hefteten. Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fleische zum zweitenmal ans Kreuz schlugen. Denn wir wussten nicht, was wir taten.“

Übrigens, rund um die Werner-Kapelle gab es einen Friedhof der katholischen Gemeinde Bacharach. Die Betonung liegt auf „gab“ und der war, wie die Kapelle auch, denkmalgeschützt, so das Landesdenkmalamt Rhl.-Pfalz in Mainz. Etwas genaues weiß niemand, aber etwa ab 1963 war er „dann mal eben weg“. Hinter dem Link verbirgt sich diese Geschichte.

Nicht nur der Künstler Karl-Martin Hartmann, auch die Bildhauerin Liesel Metten haben die neuere Geschichte der Kapelle mitbestimmt. Letztere mit ihrem „ein Buch der Bücher“ einer Aktion aus dem Jahre 2006.

Nichts ist dumm, primitiv und verlogen genug, um nicht verwendet zu werden. Die „Argumente“ in diesen beiden „Geschichten“ beleidigen meinen bescheidenen Verstand. Wie soll man damit umgehen? Am besten wie Karl Valentin. Von ihm ist der folgende Dialog überliefert:

„… Eines schönen Morgens brannte der Reichstag, und „daran waren die Juden schuld“. Der berühmte Komiker Karl Valentin erklärt auf der Bühne: „Schuld sind nicht die Juden, sondern die Radfahrer.“ Stimme aus dem Publikum: „Warum die Radfahrer?“ Darauf Valentin: „Und warum die Juden?“

Und Carola Neher erzählt in einem Artikel über den Schauspieler Alexander Granach:

„… Am nächsten Tag wurde Alexander Granach zur Direktion des Berliner Staatstheaters bestellt. Der damalige Theaterintendant, Ulbrich, forderte ihn auf, sein Engagement aufzugeben. Granach reagierte verdutzt. Ulbrich, der kurz zuvor aus Ulm (einer kleinen Stadt an der Donau) nach Berlin geholt worden war, sagte ungeduldig: „Herr Granach, ich habe gestern Ihren Mephisto gesehen, er hat mit überhaupt nicht gefallen.“ Darauf erwiderte Granach in leicht belehrendem Ton: „Herr Intendant, manche mögen Kaviar und Austern, manche Spätzle. Das ist eine Frage des Geschmacks. Dem Berliner Publikum und der Berliner Presse hat mein Mephisto seht gut gefallen.“ In diesem Moment mischte sich der gerade anwesende Dramatiker des Staatstheaters, Hanns Johst, in das Gespräch ein: „Herr Granach, Ihr Mephisto gefällt mir sehr gut. Aber es geht ja gar nicht darum. Wir haben eine nationale Revolution!“ „Das weiß ich, ich war ja an der Front“, erwiderte Granach. „Aber“, antwortete Johst, „wir bitten Sie trotzdem, unser Theater zu verlassen. Wir bezahlen Ihnen die Hälfte Ihres Jahresgehalts. Ist das für Sie in Ordnung?“ „Ja“, sagte Granach, „ich bin zwar Jude, aber ich handele nicht.“