Die Himmelsleiter

Neue Gedichte.  Erschienen im Erich Reiß-Verlag, Berlin.

1. Auflage 1916

Aus deinen Rippen brichst du doch die Sprossen
Der Himmelsleiter, die dich aufwärts führt.

Widmung

Das Es der Dinge, dem ich mich verschrieben,
Es mildert sich zum Du der Träumerei.
Ich werde ewig meine Seele lieben
In ihrer Ruh, in ihrer Raserei.
Geliebte, Ewige an meinen Mund:
Ich bin und war und werde sein Klabund.

Erste Sammlung: „Sonne“

Abschied
(für Fiete)

Weinen will ich, lasst mich weinen,
Denn ich habe nie geweint.
Mag die Sonne dem erscheinen,
Der den Finsternissen feind.

Dunkel komm, mein stiller Bruder,
Schliesse mich in deinen Schoss,
Und der Freiheit Sternenruder
Kette es vom Himmel los.

Führe d u das goldne Steuer!
Treibe du das schwere Boot!
Als ein Ganzer, als ein Neuer
Steige ich ins Morgenrot.

Ach, ich weiß es ganz genau…

Ach, ich weiß es ganz genau,
Dass du mich nicht liebest,
Wie zum Scherze nur ins Blau
Deine Seufzer stiebest.

Doch du gibst verführerisch
Lächelnd Aug und Lippe,
Schwingt schon spielend hinterm Tisch
Knabe Tod die Hippe.

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Aspasia

Wir wussten nicht, wieviel wir wogen,
Die wir an einem Tage deine Joche zogen,
Und ob sich Priester nicht an Bettler band.
Du schwangst mit einer heiligen Gebärde,
Als seist das einzige Weib du dieser Erde,
Des Pflügers Peitsche in gestraffter Hand.

Wenn früh dein Mund den letzten Kuss verhauchte,
Der Tag, ein hell Getier, ins Zimmer fauchte,
Vor deinen keuschen Blicken hielt er an.
Die andren Flauen lagen mit verzerrten
Mienen, und unsre Arme bogen sich wie Gerten
Nach ihnen, die aus Greisenschädeln sahn.

Du bleibst uns ewig treu wie Fels und Quelle,
Dich als dieselbe hebt und stürzt die Welle,
Dein Schicksal fliegt ein Samenkorn im Wind – wohin?
Auf dunstig silbren Lüften segeln
Herbstschleier nach den eingebornen Regeln –
O hebe deine Sense, Schnitterin!

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Auch du

Nun bist auch du von mir gegangen
Ohne Lust und Streit.
Dich trieb das flackernde Verlangen
Der endlichen Unendlichkeit.

Was du mir warst – wer darf es wissen?
Was du mir wirst – was kann es sein?
Du bist in tiefsten Kümmernissen
Mit Erde nur und dir allein.

Und böt ein Freund dir seine Hände
Zu Stütze dar und Glück.
Du fühlst nur, dass der Gruss dich bände,
Und stiessest lächelnd ihn zurück.

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Auf die junge Schauspielerin

Sie fühlt sich gross und klein im Dienst des Guten.
Der Dichter steigt im Abendrot vom Hügel.
Er lächelt. Fern. Und führt ein Pferd am Zügel.
Sie windet sich im Tanz erborgter Gluten.

Zuweilen schlägt er sie mit rauhen Ruten.
Nackt neigt sie nachts sich aus dem offnen Fenster.
Sie glaubt an Gott und strahlende Gespenster,
Wenn auf dem See die dunklen Dampfer tuten.

Dann naht der Herbst und hüllt das Meer mit Regen.
Sie möchte, dass der Dichter … ferner bliebe.
Zerbrochen sinkt sie ganz in sich hinein.

Es wird ein Hund sich ihr zu Füssen legen.
Sie zweifelt, fürchtet noch: ist das nun Liebe?
Doch wird es eines Tages Liebe sein …

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Auf ein Mädchen in der Dämmerung warten

Auf ein Mädchen in der Dämmerung warten –
Krähen fliegen über goldnem Garten.

Menschen streifen wie erloschne Sterne
Durch das gläsern hingegossne Ferne.

Wenn ein Kind aus einem Hause schreitet,
Ist es wie Musik, die uns geleitet.

In den Fenstern, die wir leicht erraten,
Tanzen Ladenmädchen mit Soldaten.

Auf ein Mädchen in der Dämmerung warten –
Sybil geht in einem fremden Garten.

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Begegnung

Seligkeit der Welt,
Die er selbst erschaffen,
Wollte Gott erhellt
Sehnend sich erraffen.

Und in fleischlicher Gestalt,
Die ihn dunkel drückte,
Ging er durch den Wald,
Wo die Geisha Beeren pflückte.

Und er sah, wie zahm zu Füssen
Ihr Lazerten schlängelten.
Froh verhielt er vor der süssen
Jungfrau seine Schritte. Denn

Wem die Tiere sich vertrauen,
Trägt den Heiligenschein,
Und er braucht nicht hoch im Blauen
Engel sein.

Aber sie stand wie erstarrt,
Glaubte sich erfüllt.
Ihre Anmut wurde hart,
Ihre Härte mild.

Und sie sank ins Moos,
Sich vor ihm zu bücken.
Wie ein Adler gross
Tanzte er auf ihrem Rücken.

Da ich wieder mit dir schreite

Da ich wieder mit dir schreite,
Fühle ich dich traulich nah.
Leis entwölkt sich Meer und Weite,
Die dich schattenhafter sah.

Darf ich deine Hände fassen?
Sind so kühl und gut.
Sieh, wie sich die Wolken lassen,
Erd und Himmel sich umfassen,
Und das Wasser spiegelnd ruht.

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Das Mädchen

Man wacht des Morgens hold eratmend auf.
Die Sonne blinkt durch blasse Fensterscheiben.
Man wird in dieser Welt ein wenig bleiben.
Für Leben nimmt man manches Leid in Kauf.

Man zieht sich an. Man setzt sich zum Frühstück.
Dann geht man fröhlich in den Tag spazieren.
Nebel fällt. Und Schnee. Und es wird frieren.
Fröstelnd kehrt man in sein Haus zurück.

Am Kamin sitzt man im Dämmerschein.
Ein Mann ist plötzlich da und viele Kinder.
Eins ist schon Sekretär. So wird das Leben linder.
Dann kommt die Nacht und man schläft ein.

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Die gelben Rosenblüten sanken

Die gelben Rosenblüten sanken
Vom Kelch zu Boden, ermüdeten Kindern gleich.
Schräg fällt der Kerze blindes Angesicht
Wie Mond durch unsrer Küsse Augenblick.

Spar mit dem Öle deiner Lampe nicht!
Schon singt ein Vogel unterm Steingeäst.
Der Morgen zwitschert. Unsere Stirnen sollen
Selber Sonnen unter der Sonne sein.

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Die Kette

Das tut so weh wie eine Tote lieben:
Dem abendlichen Tag ins Antlitz sehen.
Sein Wandertum ist dürr zu Staub zerrieben,
Von seinen Strahlen ist ein Strahl geblieben,
Und alle Wolken müssen westwärts wehen.

Mich trugen Hände, weicheste und rauhste.
Kaum Mädchen: dreizehnjährig. Frauen greisend.
So klein- und reinliche! So ganz verlauste.
Voll roter Läuse. Solche: Gottbehauste.
Und solche ohne Ziel im D-Zug reisend.

Und Wassermädchen. Böse Gouvernanten.
Fräuleins, beim Teufel Zahnarzt sich ergehend.
Ihr unverwandt und basenhaft Verwandten!
Ihr Tänzerinnen, die den Tanz nicht kannten!
Maschine! blonde! Zigaretten drehend!

Ihr aus den ölig funzelnden Kontoren!
Du Köchin! Ladnerin! Telegraphistin!
Ihr Mädchen stumm für jeden Dienst geboren!
Ihr Schicksen, an die Wanderung verloren –
Wenn Ihr den Weg nicht wüsstet, ach, wer wüsst ihn?

Und die mit grossen Hunden sich vermählten.
Verrückte, die auf Eisenstangen sassen.
Vergeizte, die die Lust nach Hellern zählten.
Und andre, die sie wie Kartoffeln schälten.
Und Zärtliche, die keinen Kuss vergassen.

Du schlanke Amme! Malerin! Verzierte!
Du Frau des Freundes! Und des Freundes Mutter!
Du Vogel, welcher Hüte braun garnierte!
Du, die den Gymnasiasten einst verführte
Im Kirchenstuhl mit einem Lied von Luther …

Dass Euer Aller Leib in einer einzigen Umarmung sich mit mir verflechte!
Im schwarzen Park! Im Glänze des Gelages!
Das Ende zeugt unendlichere Rechte.
Die Freiheit meines nie beherrschten Tages,
Euch dank ich sie: der dunklen Knechtschaft meiner Nächte.

+ +

Die Puppenspielerin

Vielleicht, wenn du mich einmal lieben würdest,
Dass ich dann eine Puppe wär, die du
Mit blonder Irre überbürdest:
Ein melancholischer Filou.

Dann wehen feurig meine Glieder
Im Lenz ein tanzbefranstes Kleid –
Bis über meinen Nacken saust hinnieder
Die Guillotine deiner Einsamkeit.

+ +

Du weinst

Du weinst. Lass deine Tränen kühlend rieseln
Über meine Wange.
Bin ich wie ein Kiesel
In des Baches Überschwange.

Wellen branden.
Strahlen glitzern über meinem Scheitel,
Und ich sehe eitel
Einen Schmetterling auf meinem Haupte landen.

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Einer jungen Frau

Dürft ich dich doch einmal Mutter heissen!
Schiffe wollen sich von ihren Ketten reissen,
Da die Weite ozeanisch winkt.
Stürme gehen wie mit Frauenfüssen,
Und die Abende versüssen
Den, der ihre Lieder singt.

+ +

Einer Jüdin

Als du mit Beduinen spieltest
Von Zinn
Und meinen Blick in dir behieltest –
Weisst du, wie gut ich dir bin?

Du sagtest der Dienstmagd:
Bringen Sie dem Herrn doch eine Tasse Schokolade! –
Dann hast du dich über Nervosität beklagt
Und hieltest strenge Parade.

Plötzlich warfst du alles um
Mit den Tatzen einer Leopardin,
Und Gesänge zwangen stumm
Sich durch deine Lippen, Bardin.

Und ein Stern aus deinen Augen sprang,
Dunkelbraunes Kind vom Stamme Sem,
Der ging leuchtend vor mir Monde lang
Wie der Stern von Bethlehem.

+ +

Erwartung

So müde bin ich,
Und du kommst noch immer nicht!
In tote Häuser sinn ich
Dein liebes Angesicht.

Und jeder Autowagen,
Der vorübertutet –
Ach, wenn darin ein roter Schleier glutet,
Er hat dich längst dahingetragen!

+ +

Fieber

Nun willst du nichts mehr von mir wissen,
Du blonde Frau!
Ich liege in den Kissen
Verdorrt und grau.

Wo meine Knie die Decke bauschen
An meinen Schenkeln lagst einst du.
Ach, meine Fieberträume rauschen
Mir deiner Brunst Gelispel zu –

Ein feuchtes Tasten geht
Wie eine Kröte über meinen Leib.
Zu spät!
Mein Weib!

+ +

Helena

Helena bin ich, Tochter Ledas,
Dem Gotte selbst entstammt, der sich in mich verschloss,
Sich in der Lust zerstörerisch verlor,
Und seine Perlen in den dunklen Weiher warf.
Sie aber stiegen auf zur Oberfläche,
Sich in den Äther silbern zu ergiessen,
Als Sterne flammten sie im Blau empor,
Doch zarte Schnüre binden
Sie mit der Tiefe noch, die sie erzeugt.
Der Tiere Reigen, der Gestirne Schritt,
Sie tanzen mir im Gliederspiel des Leibes,
Und keiner liebte Gott, der mich nicht liebt.
Bin ich nicht sein Gefäss? Und dürstet ihn,
Er selber wohl verschmähte meine Lippen nicht.
Sie zu geniessen, sehnt sich Gott zum Leib.
Die Winde, die mich küssen,
Sie müssen Lippen haben.
Die Strahlen, die mich fassen,
Sie müssen Hände sein.
Und fliege ich zum Tanze
Ich tanze auf den Wolken,
Die Wolken müssen Schwäne
Des schwarzen Weihers sein.

+ +

Idy

In des Winters Wüste schwebte
Vielgestaltig
Funkelflockig
Gleich dem Schnee
Dein seraphisch blonder Gruss.

Über aller Erde
Über meinen Augen
Lag er weiss und kühl,
Hand
Dem Fiebernden.

Aber nun der Frühling
An den lauen Ufern
Rote Blüten schüttelt –
Ists dein Wunsch, der wärmer
Sich zum Süden wandte?

Meine Stirn ist eine
Weisse Frühlingswiese,
Mit den vielen Blumenpfeilen
Deines Köchers
Rosa überschüttet.

+ +

In Memoriam G. B.

Ich strecke meine Hände in das Leere
Nach einem blondumkränzten Mädchenhaupt.
Verwehre deine Lippen nicht, verwehre
Mir nicht das Herz, um das ich mich beraubt.

Das ich wie einen Ball in Lüfte warf,
Mit dem ich wild erregte Spiele trieb.
Bis es am hohen Himmel haften blieb,
Ein roter Stern, unheimlich rot und scharf.

Nun in der Nacht, die dunkle Träume flicht,
Da Charons Nachen dich zu mir geleitet,
Träufelt der Stern sein blutgewordnes Licht
In meine Wunde, die sich zischend weitet.

+ +

Junge Mutter

Ich habe ein Kind!
Mutter!
Mein Blut gerinnt …
Mutter!

Es ist ein Sohn,
Mutter …
Er lächelt schon …
Mutter!

Reiss mir das Hemd von der Brust!
Mutter!
Er hat Durst,
Mutter …

Als du mich gebarst,
Mutter –
Weisst du noch, wie du in Wolken warst,
Und dann plötzlich der Himmel barst?
Mutter?

+ +

Marietta

Kabarett zum roten Strich.
Leise flog der bunte Vogel
Über Busch und über Kogel
Unabänderlich.

Du und ich und dies und das
Unter Buchen auf dem Moose –
Eine kleine weisse Rose
Nahmst du aus dem Wasserglas.

Einmal fand ich deinen Schenkel
Kleine Rose milder Gier.
Grosse Mutter warst du mir,
Und ich war dir wie ein Enkel.

So wie wenn ich sterben müsste,
Dreizehn Jahre alt und jung,
Nebel und Erinnerung
Fiel ich zwischen deine Brüste.

+ +

Matt entblätternd

Matt entblätternd von des Mädchens Lippe
Bin ich Wein und Glanz.
Nachtgewölk entblüht der Wiese,
Und der Tau der Sterne
Feuchtet meine Stirn.
Berge wallen weiss heran;
Feurige Gewänder
Schlingen mich in ihren Kreis.
Dunkel rag ich als ein Fels
In die Morgenländer.

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O wenn mein Mund an deinem Munde brennt

(E. S. zu eigen)

O wenn mein Mund an deinem Munde brennt,
Firmamente erblühen feurig am Firmament!
Sonne hat sich in aber Sonnen gespalten,
Wo ein Büsser in dürre Kniee sank, Millionen Chöre singend die betenden Hände falten.
Mond rollt mit vielen Monden an goldner Kette.
Mädchen, o tanzte ich erst in deinem hupfenden Bette!
Mein Atem weht wie Beduinenwind um deiner Brüste rosiges Gezelt.
Mein Auge ist kleiner Gott, dein Leib ist die grosse Welt.
Alle meine wilden Willen wurden zu Kindern, die spielen möchten
Und die sich gerne Veilchenblüten in ihre maibraunen Haare flöchten.
Der ich über das Gebirge hinschreite mit Macht:
Felsensturz nicht fürchte und nicht Lawine und nicht des Dunkels dunkle Nacht –
Ich zittre, dass mein Körper klirrend wie Kettenpanzer bebt,
Meine Füsse trommeln, Nebel grau an meinen Schläfen klebt:
Hebst du wie Schmetterlingsflügel den leichten Blick!
Ach wie fern ist noch nächste Nähe dem weitesten Glück!

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Pralle Sonne

Ich gehe hinter einem Mädchen her.
Der Schatten macht es breit und schwer;
Vor ihrer eignen Schwere flieht sie in das Licht,
Das wie ein Meer in Wogen über ihr zusammenbricht,
Aus dem sie leicht verwandelt schäumend steigt –
O Anadyomene, sei du mir geneigt!

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Somaliweiber

Ich habe bei Somaliweibern
Die Nacht vollbracht,
An ihren braunen Leibern
Hat sich mein weisser Leib entfacht.

Er schlug wie eine Flamme
In ihren ebenhölzern Wald.
An jedem braunen Stamme
Hat er sich gierig hochgekrallt.

Bis sie müde lagen, lugen
Müde Tiger mit dem Blick des Rehs.
Sanft um ihren Leib die blauen Strähnen schlugen
Wie die Wellen des Nyassasees.

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Wenn der Sommer kommt

Wenn der Sommer kommt, gehen die Frauen mit ganz langsamen Schritten durch den Garten.
Ihre Füsse träumen schwer, und ihre Brüste warten,
Dass jemand unversehens von hinten sich heranschleicht und sie packt: ein Knecht, ein Strolch, ein Hirt,
Und ihre Wehrlosigkeit zur süssen Schande wird …

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Wir im Welteninnen

Pflanze auf meine Lenden
Deiner Liebesküsse Raserei:
Sieh: mein Schrei
Brüllt wie eine Fackel auf zu Weltenbränden.

Lass die Sterne bleich ins Nichts verrinnen,
Lass die Erde sich in Asche modern,
Wir im Welteninnen
Werden wie die Hölle ewig lodern.

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Zweite Sammlung: „Spaziergang“

Am Hafen in Wismar

O! als ich Matrose war!
Im Takelwerk der Brigg „Blaa Fugel“ hing!
Mit breiter, brauner Brust Sturm und Sonne fing!
Irrlichter tanzten nachts auf meinem Haar.

O! und in Wismar im Hafen,
Es gab faule Tage, faule Fische und nichts zu tun.
Wir waren dammig dun,
Als wir Anke Hansen trafen.

Ich habe Anke Hansen geliebt.
Wir sind am nächsten Tage heimlich zur Wahrsagerin geflischt,
Und sie hat uns für zwei Groschen aufgetischt,
Dass der Himmel in lauter Glanz gestiebt.

Ich wusste, dass ich sieben Kinder kriege,
Und ein Haus auf der Insel Poel.
Und immer viel Fleisch zu essen und Butter und Mehl –
Am Abend tappte ich zum letzten Mal von ihrer Stiege.

Wir trieben den Morgen draussen auf weiten Föhrden,
Ich schlug vor Wut den Kapitän.
– Heut hab ich in Wismar am Hafen einen blaublonden Jungen gesehn,
Der wollte Schiffsjunge werden.

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Arosa

Fern dem leuchtenden Gewimmel
Und dem dunklen Trieb entspannt,
Sind wir Gott und Wind und Himmel
Leichter Höhe zugewandt.

Was ist Geld? In dumpfen Kästen
Klingt es, wir durchzählens nicht;
Sonne sinkt und glüht im Westen …
Dasein, wir erquälens nicht.

Meine Brüder, meine Schwestern,
Sagt, wie ihr den Tag geliebt?
Wisst ihr noch vom grauen Gestern?
Ists im Heute hold zerstiebt?

Gingt ihr auch in euch spazieren
Oder lächelnd nur vorm Tor?
Ach, ihr dürft euch prächtig zieren,
Zwitschernd im verliebten Chor.

Aber wir, auf den Veranden
Liegen stumm wir Tag um Tag.
Niemand ist, der uns Girlanden
Frommer Wünsche flechten mag.

Wenn der Venus Goldkarosse
Abends überm Berge rollt,
Ziehn wir nicht in ihrem Trosse,
Der die Ebene bunt durchtollt.

Ach, ein Kuss von wilder Lippe
Unsrer Schwäche zugehaucht –
Mäher Tod schwingt seine Hippe,
Wenn die Abendröte raucht.

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Davos

Ich bin in einer winterlichen Frühe
Auf dem bezaubernden Balkon erwacht.
Im Morgenschlaf dehnt sich die weisse Mühe,
Umnebelt noch vom Schleiergeist der Nacht.

Ein Schlitten klingelt vor verhangnen Fenstern,
Und eine Wolke schwebt und ist ersehnt.
Es werden ferne Glocken von Gespenstern
Geläutet, deren Sichel mondwärts lehnt.

Bin ich der Ewige, der ich gewesen?
Die Sonne bricht aus meinem Mund mit Schrei,
Und vor der Pforte schwingt ein Stern den Besen
Und macht den Weg für meine Schritte frei.

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Deutscher in Italien

Felder zwitschern. Menschen hirnumschlungen
Haben ihre Taten hingesungen,
Und der goldne Mond ist nicht verblüht.
Immer stand er über unsren Städten,
Wenn die Winde aus Italien wehten,
Himmelsfetzenblauumsprüht.

Manchen hat es übern Berg getrieben,
Südlichste Unendlichkeit zu lieben,
Und Venezia brach den Bann.
Liess in grünen stinkendsüssen Gassen
Ihren Fremdling Fremdestes umfassen,
Dass er jenes Weib nicht mehr vergessen kann.

Aber manchmal wallt es übermächtig,
Und die Adria erfunkelt nächtig,
Und des Blickes Stahl blitzt Mord.
Und der Rausch erhebt sich zum Gebete:
Meine Heimat! Meine grauen Städte!
O du Kälte! Klarheit! Nord! o Nord!

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Erster Mai in Zürich (1916)

Die Fahnen singen hoch im Überschwang,
Die Pauken knallen dumpfer wie Kanonen,
Da ziehen sie im murmelnden Gesang,
Die in den Kellern feucht wie Schwämme wohnen.

Die Mäuseohren sind in Furcht gespitzt,
Sie schleppen Nelken in gegornen Händen.
Ein Frauenschoss lockt filzig und verschwitzt,
Und Kinder springen leicht von ihren Lenden.

Plakate schweben bunt wie Schmetterlinge,
Und dreimal Friede funkelt süss und rot.
Sein Holzbein schwingt ein zahmer Zwerg als Klinge,
Die jedem Schädel mit Vernichtung droht.

Und viele Herren mit gestreckten Bäuchen
Lächeln verfressen, weil die Sonne scheint.
Blaublumen neigen sich aus den Gesträuchen;
Ein Apfelbaum die rosa Blüten weint.

Der See trompetet. Und die Berge blasen.
Ein erst Gewitter fällt aus Gottes Hand
Gleich einem goldnen Ball. Wie scheue Hasen
Hoppeln sie bräunlich durch der Städte Land.

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Früher Morgen in der Friedrichstraße

Die ersten Wagen mit den Zeitungsballen
Fahren am Bahnhof Friedrichstraße vor.
Alle Häuser hängen in violettem Flor.
O wilde Welt! Lass mich ins Dunkel fallen!

Die Mädchen flattern heimwärts: böse Eulen.
Aus Cafés äugen Lampen, gelb verstört.
Ein holder Walzer wird nicht mehr gehört,
Weil schon die Dampfer und Fabriken heulen.

Da braust der erste Stadtbahnzug ins Loch
Der Bahnhofshalle … Hinter Dächertraufen
Schirrt Phaëton den jungen Tag ins Joch
Und lässt die goldnen Rosse laufen.

Die Strahlenpeitsche klatscht um unser Ohr.
Des Gottes Blick erglüht uns im Genicke …
Empor zu dir! Empor!
Sonne rollt über die Weidendammer Brücke …

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Frühling mit Moos und jedem grünen Glück bekränzt

Frühling mit Moos und jedem grünen Glück bekränzt,
Bäumend und wildernd im Wald –
Wenn, kleines Zimmer, du in blühenden Tapeten brennst,
Und Kinderwagenschrei wie Weidenflöte schallt.

Frau, ich bin gut aus dir und honighold.
Ein erster Strohhut fliegt betäubt ums Eck.
Wir treiben auf dem Meer, und weißes Wasser rollt
In uns, die wir wie angeschossne Schiffe schwach vor Leck.

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Ich fahr durch Schnee und weiße Nacht

Ich fahr durch Schnee und weiße Nacht.
Der D-Zug rauscht. Der Schneesturm kracht.
Ich press ans Fenster mein Gesicht:
O Himmelslicht! O Himmelslicht!

Und blank entsteigt dem dunklen Wald
Des ewigen Baumes Lichtgestalt.
Der Schleier fällt vom Firmament,
Und Sonne, Mond und Stern entbrennt.

Die Weihnacht hat uns hart beschert:
Blutedelstein und Eisenschwert.
In Tränen spielt das heilige Kind
Mit Donnerklang und Wolkenwind.

Der finstre Geist herrscht überall,
Des Kindes Spiel bringt ihn zu Fall.
Die Sehnsucht ist sein Angesicht:
O Himmelslicht! O Himmelslicht!

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Im Boot

Windgeile Wellen unsre Barke schlingern,
Das Wasser dumpf den Himmel widerspiegelt:
Da stehen Häuser, sterngeziegelt,
Und Wolken drehn das Steuer uns mit leise rosa Fingern.

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Im Kupee

Es fliegt der Rauch wie Staub am Fenster auf.
Der Wind schlägt um … der Blick wird frei …
Die Ebene dampft, ein dumpfer Farbenbrei …
Da naht ein Weg in schnörkelhaftem Lauf:
Springt wie ein Hund am Damm mit viel Gezappel,
Bis er uns rechts entläuft zu einer Pappel,
Die wie ein Finger in den Himmel zeigt,
Wo eine schwarze Wolke sanft sich niederneigt.

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Mittag, Abend, Nacht

Darf ich wieder unter Bäumen wandeln?
Darf ich wieder Gott im Grünen sein?
Meine Träume wagen hold zu handeln,
Und die Sonne ist ihr Widerschein.

Aus des Abends rollenden Kaskaden
Springen Tropfen bis an meine Stirn.
Meine Hände dürfen Dämm’rung baden,
Wenn die Augen labyrinthisch irrn.

Weh, wenn Dorf und Teich und Wald entgöttert
Und der schwarze Vogel schwirrt und pfeift –
Steh ich wie Septemberbaum entblättert,
Der mit blinden Ästen Leere greift.

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Ode an Zürich

Wie liegst du, grosse Stadt und kleines Kind,
Im Frühling blühend an den See gebettet!
Mit Arabesken Rauches spielt der Wind,
Der sich beschaulich auf den Dolder rettet.

Es summen kleine Schiffe bienengleich;
Ein Dampfer peitscht die blau empörten Wogen.
Am Ufer zuckt ein Vogel, und das Reich
Des Glärnisch zeigt sich ihm im Felsenbogen.

Die Bahnhofstrasse raschelt, Morgenmarkt,
Von Fraun durchwandert und von Trams durchläutet.
Hier steht ein Mann, der mit Zitronen kargt,
Und dort ist Pilz ein Traum, der Sein bedeutet.

Man nennt dich schweigend, dumpfes Niederdorf,
Doch seist auch du im Sange nicht vergessen,
Von Menschen und von Häusern morsch wie Torf,
Von faulem Lust- und Fischgeruch besessen.

Du arme Amazone, bunt beklebt,
Du hagrer Mann am rostigen Klaviere,
Es ist doch euer Leben, das euch lebt,
Geschwister ihr der feuchten Krötentiere.

Wie lockt mich eines, dass ich alles fasse:
Hier See und Wolke, Alpe, Mond und Wald
Und dort der Grossstadt steinerne Terrasse,
Wo urwaldfremd der Schrei des Autos schallt.

Hier Einfachheit im biedersten Vergnügen;
Und dort der irre Garten Nemesis,
Beglückt mit Nelken und durchfurcht von Pflügen
Und schlimm bedroht von Ratt- und Schlangenbiss.

Ich darf im Arm der Freiheit fröhlich schlafen,
Und Zürich heisst mir mehr als: Ort am See.
Es heisse: Blumenauge, Alpenhafen
Und sonnengold beglänzte Danaë.

+ +

Ode in den Bergen

O du des Himmels goldene Vergossenheit!
Vergessenheit –
Ziel auf, ziel auf
Und führe
Brennende Sohlen
Heim und heimwärts
Zu dir,
O Mutter Ebene.
Was soll mir rings getürmt der Gipfel Hass
Umgrollend meinen wolkenweiten Wurf?
Ach, immer such ich hinter Schnee und Tannen,
Hinter des Abendrotes Lungenbluten
Des Horizontes Unermesslichkeit.
Jagen will ich
Mit den Rossen meiner Blicke
Über grüne Heide,
Über blaues Meer …
Sonne soll mich stürzen,
Mond mich süchten,
Aber Freiheit! – Freiheit! – Freiheit!
Taumelnder
Seiltänzer
Schweb ich auf den Zacken
Des Valbellahornes –
Ach, und sehe
Berge nur und Berge, Berge, Berge,
Wände meines Zucht- und Unzuchthauses …
Träume, wendet mich:
Lasst die grosse Stadt in mir erblühen:
Autorattern, Hafen, Messer fackeln
Bauchende Fanfaren
Und Fabriken.
Herzen senden
Ihre Wege endlos in die Nacht.
Lulu lacht
Und weint
Und küsst – und küsst –

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Partenkirchen

Müde bin ich der städtischen Sterne;
Bräunliches Frühlingslaub dunkelt im Kalterer Wein.
Mein Blut spritzt morgenrot über die Berge.
Zwei Herzen balanciere ich an einer langen Stange seiltanzend zwischen Zugspitze und Kramer.

Auf dem Riessersee schwebt eine rote Jacke.
Zwei schlanke Füsse ritzen eislaufend meine Wange.
Ein Münchner Rechtsanwalt begrüsst mich freundlich funkelnd;
Ewig bin ich allein, Mädchen, trotz deiner selig mir zuspringenden Brüste.

Weil ich keine Zentralheizung in meinem Zimmer habe, friere ich sehr.
Ich lese im Bett die Annoncen der Münchner Neuesten Nachrichten, um eine Stellung zu finden.
Eine Stellung als Freund. Oder als Diener vielleicht.
Dienend in Sanftmut einem redlichen Gott.

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Postfahrt nach Arosa

Auf dem Posthof scharren und schnauben die Gäule, die Peitsche
Knallt, und der Postillion schnalzt mit der Zunge dazu.
Dick und behäbig und schwer wie aus Urväter Gezeiten
Steht das gelbe Gestell, das nach Arosa mich führt.
Fröstelnd kriech ich hinein und drück in den rostbraunen Samt mich,
Nebel hüllen die Welt, und der Augustregen klatscht.
Rumpelnd gehts aus der Stadt. Im Zickzack und bunten Bogen
Steigt die Chaussee ins Gebirg; unten im Nebel dampft Chur.
-Sieben Stunden durchklopft, durchschaukelt, durchfroren … du gute
Alte, du schlechte Zeit! bin ich dir wirklich entwischt?
Als mein eigener Urgrossvater mit faltigen Zügen
Und vergichtetem Fuss hock ich verdriesslich im Eck …
Höher hinauf! Es sinkt der graue Schleier! Der Himmel
Tut über dunklem Tann seine Meeraugen auf.
Berge stehen riesig wie Elefanten. Wir rattern
Über den Pass. O sieh! Venus steigt mit uns empor!
Sei mir gegrüsst! O Stern! Ich spring aus der schwankenden Kutsche,
Schwing mich über den Kamm in dein goldnes Gefährt!
Passagiere! zu mir! ich weiss euch leuchtende Strassen,
Über der Furka hoch donnert mein Wagen im Blau …
Wirf mir die Zügel! Venus! O über die Liebe! Der Abend
Glänzt, und ich fahre sterntrunken ins dämmernde Nichts.

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Regentag in Mittenwald

Der Wälder tannengrüne Sonne nahm
Ihn auf, als schon ein Schatten ihm begegnet.
Wars eine Wolke, die von Norden kam,
Wars deine Hand, die ihren Liebling segnet?

Aus grellen Himmeln brachen weisse Flüsse
Und rauschten unterm Mond wie grosse Städte.
Matt hinter Fensterläden seufzten Küsse,
Und Wanderer vergingen im Gebete.

Niedere Dächer wölbten sich vor Steinen,
Die glänzten edeläugig wie Kristalle.
Wenn Grillen zirpen, müssen Kinder weinen
Und träumen nachts vom Regenbogenfalle.

O rot und blau und violetter Schild!
Die Sonne warf den Wolken dich entgegen:
Da lief, von ewiger Heiterkeit enthüllt,
Ein kleiner Himmel blau auf allen Wegen.

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Schon wochenlang kein Brief und keine Karte

Schon wochenlang kein Brief und keine Karte.
Ich lieg im Liegestuhl, dem Arzt verdingt.
So oft im Treppenhaus die Stufe knarrte,
Sah ich den Boten, der Packete bringt.

Man will um zahmste Zärtlichkeit mich schmälern –
Und nicht einmal ein windig Zeitungsblatt.
Lebt niemand denn in jenen schönen Tälern,
Der nicht ein Wort, ein kleines Wort mir noch zu sagen hat?

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Sommerabend im Tiergarten

Feuchtwarmer Brodem wallt mir in die Nase.
Auf dunkler Bank ein Liebespärchen stöhnt.
Der Mond, der diesen Krempel längst gewöhnt,
Kroch in ein flockig Wolkenbett. Geblase
Zirpt aus den Zelten, wo die rot und weissen
Lampions durch flächenhafte Bäume gleissen,
Lebendig Mosaik, ein flimmernd Muster.
Dicht vor mir müssen Gymnasiasten traben;
Ich höre, wie der eine überlaut
Dem Freund die neue Liebe anvertraut:
Sie muss den Brief noch mit der Frühpost haben …
An meine Stirn schlägt taumelnd ein Liguster.

+ +

Wanderung

Ich bin so alleine,
Wer ist denn bei mir?
Es sprechen die Steine;
Es lächelt das Tier.

Ihr Vögel habt Flügel;
Es drückt mich der Schuh.
Ihr Bäume, ihr Hügel,
O kommt auf mich zu!

Umarme mich, Tanne!
Ich sinke so hold.
O, tränke mich, Kanne
Des Mondes, mit Gold!

Wo werden wir rasten?
Das Dunkel weht kalt.
Wir liebten, wir hassten,
Nun wurden wir Wald.

+ +

Wanderung unter Sternen

Du wanderst deinen kleinen Weg alleine.
Der Wind, der dünengrün am Strande weht,
Er klirrt auch durch die moosigen Gesteine
Und durch der Städte staubiges Gerät.

Doch wenn du stirbst, fühlst du mit dir Erbarmen,
Und müde fällst du schwach auf dein Genick.
Es ruht wohl sinnlich wer in deinen Armen,
Doch sein Gesicht verbirgt sich deinem Blick.

Du wanderst würdig auf betauten Auen.
Der Blumen Farbe dünkt dir königlich.
Und aus den Tälern steigt ein Hauch von Frauen,
Wie sommers er durch die Kastanien strich.

Doch dieser Atem wuchs aus keinem Munde,
Und seine Zärtlichkeit ist so bedroht
Von dem Gedanken einer irdenen Stunde,
Dass du es weisst: so duftet nur der Tod.

Du ahnst, dass er dir wie ein Sohn bekannt ist
(Wer Ahnung hat, der ist nicht mehr allein …),
Geführt von einer Hand, die keine Hand ist,
Gehst du bestrahlt im Firmamente ein.

+ +

Wanderung von Kopenhagen nach Skodsborg

Die Fliederblüten, über den Zaun gehängt,
Streifen die Hand mir, dass ich bleibe.
Ihr seid an mich, ich bin an euch geschenkt
Wie die Erinnerung einem Weibe.

Blau rollt das Meer. Und violetter blüht
Des Herzens schwankende Syringe.
Mimose naht. Und blonder Frühling früht
Und lockt, dass ich mich in die Fluten schwinge.

Ein schmaler Finger winkt die andre Küste,
Die schwedische, auf der der Nebel wohnt.
Und meine Hände halten wie zwei Brüste
Die Sonne und den Mond.

+ +

Dritte Sammlung: „Spiel“

Altes Straßenmädchen

… aber im Frühlingslicht,
Wenn Sonne zu mir spricht,
Steig ich aus meinem Sarg.
Lächle die Straße an.
Ein alter Mann
Schenkt mir drei Mark.

Weil ich ihn herzen darf,
Werde ich wieder scharf –
O! nicht auf ihn!
Nein, auf die Welt,
Die mich in Krallen hält,
Und der ich dien.

+ +

Apachen-Abschied

Nacht verrann.
Müssen scheiden.
Lehre es mich, Mann –
Schwöre es mir, Mann:
Leiden will ich, leiden.

Warest doch so gut,
Wurdest immer besser –
Mein entzücktes Blut
Blinkt nach deinem Messer.

Hattest viele lieb,
Immer Himmel blau.
Deinen Mund nun gib
Einer andren Frau –
Ach, warum ich weine?
Vaterhaus im Forst …
Eule hoch im Horst …
Und ein junger Hirsch, der röhrt …
Du: dein Messer, es gehört
Mir alleine …

+ +

Der bunte Vogel

Zuweilen sind wir rauchbegraben
Im Gläserklang des fröhlichen Cafés,
Und unsre Hände haben
Verirrte Lust nach einem Biergemäss.

Wir trinken Pein. Wir fressen etwas Torte.
Wir haben Angst um eine Frau.
Wir stehen stumm wie Statuen auf der Borte
Des Stammtischs zur geborstnen Sau.

Die Wand am Puppenspiel ist ohne Puppen.
Der Sessel am Klavier ist ohne Mann.
Wir sind wie Dome ohne Kuppen:
Wind fasst unsre Glocken an.

+ +

Der Elegant

Der helle Handschuh,
Tropisch leuchtend,
Schlägt grauem Pöbel ins Gesicht.
Die himmlischen Gamaschen,
Weiss gefaltet,
Beglücken ihn mit flügelgleichem Gang.
Der Cutaway – o Panzer der Verführung!
Das schmale Armband
Bindet
Gold und Fleisch.
Im linken Aug,
Vom einen Glas bewacht,
Fängt strahlend sich :
Das letzte Licht,
Der letzte Lärm,
Die letzte Liebe.

+ +

Der graue Hirt

Du Betrübender Betrübter,
Wenn der Frühling dich verwirrt:
Deine graue Schminke liebt er
Und entzaubert dich als Hirt.

Auf der märzversunknen Wiese
Treibst du Ziegen schlank und schlicht.
Und bald jene und bald diese
Weise flötest du ins Licht.

Manche Ziege steht erschüttert,
Und der Ziegenbock entbrennt.
Und man meckert: es gewittert!
Und : ein teuflisches Talent!

Selbst die ältsten Böcke stärken
Sich am Sang, der sie verwest.
Keine Ziege will es merken,
Dass du für dich selber bläst.

+ +

Der Krüppel

Er schleppt das Bein wie einen Eisenstock.
Vornüber wankt er. Aus dem breiten Munde
Fliesst Speichel auf den schlechtgeputzten Rock.
Die Augen schielen auswärts: graue Hunde

An einem Pflock zuckt wild nach seiner Seite
Ein jedes. Spitz in Birnenform der Kopf.
Wie eine Bürste steht das Haar am Schopf.
Es kreist der Kopf am Rumpf. Ihm zum Geleite

Die affenmässig dünnen Arme schlottern.
Hört man ihn sprechen, scheut man die Berührung,
Denn auch sein Geist ist hässliche Verführung –
Er bleibt allein – und muss in sich verlottern.

+ +

Die verlorene Welt

Ich bin ohne Glück und unrasiert,
Meine Hosen drehn sich in Spiralen.
Meinen Hut hat mir ein Herr entführt,
Ohne ihn entsprechend zu bezahlen.

Meine Gummischuhe weilen wo?
Ebendort zweihundert Manuskripte,
Die der Strassenreiniger rauh und roh
In den Exkrementenkasten schippte.

Goldne Nadel, die den Schlips bestach!
O ihr braunpunktierten Oberhemden!
Eines zieht das zweite andre nach;
Meine Heimat wandelt unter Fremden.

Wäscherin stahl mir das letzte Glück.
Die Vermieterin möblierter Höhlen
Legt mir auf den Nachttisch Beil und Strick,
Um mir zart das Jenseits zu empfehlen.

Hass sprüht wie ein fahles Feuerwerk
Mir aus allen aufgerissnen Poren,
Und ich renne schreiend wie ein Zwerg
Nach der Riesenwelt, die ich verloren.

+ +

Ein Bürger spricht

Am Sonntag geh ich gerne ins Café.
Ich treffe viele meinesgleichen,
Die sich verträumt die neuste Anekdote reichen –
Und manche Frau im Négligé.

Sie sitzt zwar meist bei einem eleganten
Betrübten Herrn –
Ich sitz bei meinen Anverwandten
Und streichle sie von fern.

Ich streichle ihre hold entzäumten Glieder
Und fühle ihr ein wenig auf den Zahn.
Der Ober lächelt freundlich auf mich nieder.
Ein junger Künstler pumpt mich an.

Bei dem mir angetrauten Fleisch lieg ich dann nachts im Bette
Und denke an mein Portemonnaie.
Wenn ich ihm doch die fünf Mark nicht geliehen hätte!
O süsse Frau im Neglige!

+ +

Ein Totenschädel

Meiner Finger Blut klopft an die Schädeldecke,
Ich streichle müde seine bräunlich weiche Stirn,
Ob er mit seinem toten Blut mein Blut erwecke.

Seht: durch die Löcher, die das Auge stiess,
Kriech ich ein Wurm ins bläuliche Verliess
Und schmatze fett den letzten Fetzen Hirn.

+ +

Eine Nacht

Von Totenwürmern pickt es im Gehölz
Des Schreibtischs, dessen grünes Tuch der blassen
Frühsaat so gleicht… in Gram vermummt die Gassen.
Der Pendel wandert wippend … plötzlich schnellts
Und schlägt zwölf Uhr mit höckrig harten Hammern…
Da packt das Grauen uns mit Eisenklammern,
Das nun die ganze Nacht nicht weichen mag.
Es nagt mit steilen und mit geilen Zähnen
An unsren Herzen, bis wir betend stöhnen,
Ob eine Gnade nicht Erlösung schenkt.
Und hebt sich erst gesättigt, blutgetränkt,
Mit Leben dick gefüllt, dass fast es birst,
Über des Gegenhauses Schattenfirst
Mit leisen Schwingen in den jungen Tag.

+ +

Francois Villon – I.

Ich bin gemartert von Gewissensbissen,
Dass ich noch nichts auf dieser Welt getan.
Mit ein paar Flüchen, ein paar Mädchenküssen,
Da hört es auf, da fängt es an.
Ich aber fühle Strom mich unter Flüssen,
Doch flösse ich bergauf und himmelan –
Das Aug, das ich zum guten Werk erhoben,
Es darf nur einer Dirne Brüste loben.

Wie oft, wenn ich mit den Kumpanen zechte,
Klang eine Trommel dumpf, die Busse bot.
Ich warf mich hin, auf dass mich einer brächte
Und stelle einsam mich ins Abendrot.
Der aber klapperte mit Würfeln, und die schlechte
Gesellschaft fürcht ich, wenn Gelächter droht –
Ich bin so müde meiner Spielerein
Und möchte Mensch mal unter Menschen sein.

Doch niemand ist, der meinen Worten traute.
Es wird mein Leichnam erst auf Lorbeer ruhn.
Ich reisse von der Wand die dunkle Laute,
Um doch in Tönen eine Tat zu tun.
Das Lied ist aus. Der grüne Morgen graute.
Im Hofe bellt der Hund, es heult das Huhn.
Und während alle rings zum Tag erwachen,
Entschlaf ich trunken unter Wein- und Lachen.

+ +

Francois Villon – II.

Dies ist das Lied, das Villon sang,
Als man ihn hängen wollte.
Er fühlte um den Hals den Strang,
Er sang das Lied den Weg entlang,
Der Schinderkarren rollte.

Hängt mich den Schurken zum Alarm
Nur hoch in alle Winde!
Wegweiser schlenkere mein Arm –
Er weist den Weg dem schlimmen Schwarm
Und manchem braunen Kinde.

Einst hat der Teufel mich gekirrt,
Nun hör ich Bäume singen.
Ich fühle Gott. Mein Auge schwirrt.
Mein Leib, mein armer Leib, er wird
Als Aveglocke schwingen.

+ +

Francois Villon – III.

Ich bin gefüllt mit giftigen Getränken,
Ich speie Eiter, wenn ich wen besah;
Ich fluche jedem heiligen Hallelujah
Und will ein Pestgewand als frohe Fahne schwenken.
Man wird als Dieb mich an den nächsten Schornstein henken.

Ich stehle Geld wie Sand –
Ich werfe Brand ins Land,
Und dennoch, Wolke, wagst du dich zu schenken?

Ich bin verbittert und mit Gram verschlossen,
Und nur ein Messer öffnete mein Herz.
Faul stinkt mein Atem, meine Faust ist Erz,
Ich schlafe selig in verdreckten Gossen;
Ich reite nackt auf ungezähmten Rossen,
Ich bin bei Spiel und Wein
Allein und ganz allein
Und von den Tränen fremder Fraun umflossen.

O möcht ich einmal nicht als Licht mehr scheinen!
Und nicht mehr Stunde sein und Zeit der Nacht!
Ich habe meinen Sohn zu Tod gebracht;
Ich hüllte seine Gliederchen in Hemdenleinen,
Ich grub ein Grab ihm unter Pflastersteinen –
O Wolke, wer du seist,
Ich grüsse deinen Geist.

+ +

Herodes

Als du in dem Haupte des Johannes
Tanzend deine Leiber mir geboten –
Ich war du: o dies Zerlöstsein, bann es,
Einmal noch in meine abendroten

Schon der Nacht dahingegebnen Tage,
Einmal hab ich einer Lust geglaubt.
Sieh, am Abendbogen blinkt die Wage …
Tanze, Salome – und nimm mein Haupt!

+ +

Komische Elegie

Der Himmel ist heute ein dicker weisser Sack
Von Mehl oder Kleie.
Die Luft riecht nach Ammoniak,
Und es sieht aus, als ob es bald schneie.

Ich denke, dass an dem
Tage, der – vor einem Jahre – diesem heutigen Tage voranging,
Ich zwei Marktweiber sah, welche Tandem
Fuhren, und einen Herrn, trotz des winterlichen Wetters bekleidet mit Nanking.

Zum Zwecke eines tröstenden Blutgeschwüres
Kauf ich verschiedene Flaschen Schnäpse. Wo misch
Ich sie? Wo sauf ich sie? O rühr es
Den Himmel doch, wie meine Seele heute traurig zugleich und komisch.

+ +

Krankenhaus

Ein Schrei stolpert die Treppe herab,
Eine Frau stolpert … stolpert ins Grab.
Aus dem Grabe, aus ihrem Bauche kraucht
Ein junges Leben, das leise faucht.
In der dritten Abteilung blecken
Hundert Arme zur öligen Funzel empor.
Die Wände sind erbleicht vor Schrecken.
Der Tod probiert seinen Schlüssel am Tor.
Da weint das Kind.
Grinsend vor Glück
Fallen fünfzig Köpfe erlöst in die Kissen zurück.

+ +

Mädchen und Militärmusik

Der Militärkapelle Marsch
Hallt übers Pflaster wie Soldatenschritt.
Die süsse Sehnsucht summt im Takte mit.
Man unterhält sich literarsch.

Am Halbschuh klebt der nasse Sand wie Lehm.
Es hat geregnet. Kommst du heut zum Tee?
Die Sonne kokettiert mit irgend wem.
Mein Mund ist rot. Mein Herz tut weh.

+ +

Porträt

Er kann den Mund nicht mehr zusammenpressen.
Der Unterkiefer klappte schlaff zurück, und zeigt
Kariöse Vorderzähne, die wie rauchgeschwärzte
Ruinen winzig in der Höhlung stehn.
Er hockt gekrümmt – und möchte sich vergessen,
Und streicht er über seine Stirn, so streicht er sich hinweg.

Sein Kleid und seine Seele ist voll Dreck.
Nur seine wurmhaft eingezognen Augen,
Wie sie sich lechzend an ein Innres saugen!
So fallen selbst am hellsten Tag die Sterne
Goldtropfen in die blauen Gründe der Zisterne.

+ +

Proleten

Sieben Kinder in der Stube
Und dazu ein Aftermieter,
Hausen wir in feuchter Grube,
Und der blaue Tag – o sieht er
Uns, verbirgt er sein Gesicht.
Gebt uns Licht, gebt uns Licht!

Büsse Weib die Ehe, büsse.
Wie wir einst uns selig wähnten –
Sehn wir jetzt nur noch die Füsse
Der an uns Vorübergehnden …
Keiner, der mal stehen bliebe …
Gebt uns Liebe, gebt uns Liebe!

Mancher schläft auf nacktem Brette.
Unsre Älteste, die Katze,
Schnurrt dafür in einem Bette
Mit dem Mieter, ihrem Schatze.
Die Moral ist für den Spatz …
Gebt uns Platz, gebt uns Platz!

In dem Sausen der Maschinen,
In dem Fauchen der Fabrik,
Wo sind Berg und Reh und Bienen
Und der Sterne Goldmusik?
Unser Ohr ist längst verstopft .. ,
Hämmer klopft, Hämmer klopft!

Und so kriechen unsre Tage
Ekle Würmer durch den Keller,
Und wir hungern, und wir klagen
Nie: schon pfeift die Lunge greller;
Schmeisst die Schwindsucht uns in Scherben …
Lasst uns sterben, lasst uns sterben!

+ +

Vierte Sammlung: „Sterne“

Der Abend

O mag nun Abend mich halten!
Der Tage wolkige Ruh
Versank im Teich. Und in Falten
Deckt sein Antlitz sich zu.

Nun mögen die Fackeln entbrennen!
Und röter das Trunkene nun!
Wir werden einander erkennen
Und Schulter an Schulter ruhn.

Wir sind nicht sonnebeisammen
Uns ferner als Vogel und Firn.
Doch werden wir sterbend entflammen
In Leidenschaft und Gestirn.

Und dem ich Blut und Vernichtung
Ins bleicheste Antlitz spie:
Er steigt als Reh aus der Lichtung
Und sinkt vor mir in die Knie.

+ +

Der Schauspieler

Er sah,
Wie tausend Augen an ihm hingen,
Geflecht des Waldes,
Efeu und Lian.
Die Pappel spitzte
In Pagodenhimmel,
Wo Veilchen ihm aus Ohr und Nase blühn.
Er ragt, Gebäude der Besprechung,
Im schwebenden Kulissenwald.

Da fühlte er den Mörtel sich entfernen,
Da bröckelt Stein auf Stein aus seiner Wand,
Da welken Veilchen,
Da entkriechen
Die tausend Augen Schnecken gleich in sich.

Er stürzte flammend.
Feuer fiel,
Und aus der Asche
Stieg, Nebel, seine sterbende Gebärde.

Gespensternd stand Skelett im leeren Raum,
In dem wie Fliegen tote Blicke schwirrten.

+ +

Die Brüderschaft

(dem Doktor B.)

Warum willst du mich nicht Bruder nennen?
Meine Augen, meine Herzen brennen
Frühling, Flamme ohne Qualm.
Hirn veratmet unter Mohn und Ähren.
Aber schmale Schatten nur gewähren
Rotes Blut und Halm.

Deine Finger sind in blass zerschnittnen
Frauenbrüsten. Und die nie erlittnen
Freuden quellen doch in dein und ihrem Schoss.
Lehre mich das blanke Messer führen,
Kinder töten und die Sterne rühren,
Und zu rudern auf entflaggtem Floss.

Einen kleinen seligen Sommermittag
Weihe ihn zum büsserischen Bittag –
Tauche in den blauen Tanz!
Komm und reich mir deine harten Hände,
Und ein leichteres Gelände
Blüht wie Frauen aus entwölktem Glanz.

+ +

Die Sonnenuhr

Wie bist du doch in eine Welt
Von Tag und Glanz hineingestellt!
Dich treibt der Strahlen Her und Hin
Erst zur Besinnung und zu Sinn.
Auf deines Bilds besonntem Runde
Zeigt grau der Zeiger Stund um Stunde.
Wie golden früh- und spätere Stunde funkelt!
Die gegenwärtige allein ist schattenschwarz umdunkelt.

+ +

Drei Wünsche

Unser erster Wunsch heisst: einfach sein,
Wie die Vogelschwinge blitzt im Blauen
Unsren Blicken, unsren Küssen trauen.
Unser erster Wunsch heisst einfach sein.

Unser zweiter Wunsch heisst: traumlos sein,
Wenn die Nebel um die Berge schiessen,
Unsre Seele in die Dämmrung giessen:
Unser zweiter Wunsch heisst traumlos sein.

Unser dritter Wunsch heisst: sterblich sein,
Dass wir nicht den Kratern gleich im Siegen
Ewig über unsren Feuern liegen:
Unser dritter Wunsch heisst sterblich sein.

Aber anders klingt des Schicksals Lied,
Dessen Töne grausam uns geleiten:
Ewig träumst du deine Strahlsamkeiten,
Klimmt die Sonne singend zum Zenith.

+ +

Einem Freund

Ich schoss wie Schwalbe leicht um deinen Turm –
Und hatte dennoch Furcht, dir schwer zu fallen.
Denn auch aus einem blauen Himmel ballen
Sich Wolken oft zu Dunkelheit und Sturm.

Wie war es doch, als man die Bowle trank?
Wer war der Schnitter, wer das Korn der Mahr?
Dass ich dir einmal in die Arme sank,
Das ist schon lange her und nicht mehr wahr.

+ +

Elegie I

Ich kam, ich weiss nicht wie, in diese Welt,
Von Winden der Verneinung bös umflogen,
Und bin euch als ein Beispiel dargestellt:
In Sturm und Trotz ein sanfter Regenbogen.

Wer war denn meine Mutter? Glaubt mir doch:
Sie lebte nicht als Mensch, sie war wie Wolke
Und trug der Liebe heckenrotes Joch
Von einem Bauern aus dem Volke.

Der soff. Der liebte sie. Und schlug sie hart.
Sie sass am Abend unterm Lindenbaume
Und hatte einen Bruder in jedem Traume,
Den ihr die Sterne übern Berg gekarrt.

Darf ich mich über mein Geschick verwundern?
Mir ist die weite Ebene aufgetan,
Und aus den Steppen und den Tundern
Höhnt mich der Wille der Verflachung an.

O Mutter! Wärst du mir doch nächtens nah!
Und dürft ich dich und deine Hügel lieben!
Ich bin in aller Wut ein Kind geblieben,
Das nie die Augen seiner Mutter sah.

+ +

Elegie II

O rotes Kneipenlicht! O bräutlicher Choral!
O war es Glück, was jener Wagen sprengt!
Ich bin mit einem Hemd von Schmerz behängt.
Um meine Schultern blutet Nessusschal.

O nimm mich hin! Verblümt ist längst die Wiese.
Das Haus schreit steinern seine Qual.
O jene heckenrote Nähe – diese
Umgraute Ferne war ich doch einmal …

Die Eisenbahnen rollen ins erhabene
Erhobene Land der Zukunft donnernd ein.
Muss ich denn immer der begrabene
Verweste Leichnam meiner selber sein?

Ich immer ich? und nie ein anderer?
Verbannt in mich? O niemals lädt
Mich einer zum Mitsammenwanderer,
Dem Helligkeit um seine Stirne steht!

+ +

Enthüllung

Entblättert nun – und rasender umdacht
Mit Efeublüten klug wie Körner klein,
Hab ich die Flamme meiner Hand entfacht,
Um, Opfer, Hüter deiner Schuld zu sein.

Hier dampfe ich, mein Herz an deinem Stein.
0 wie du deine leichten Brüste hegst
Und deine Augen schlimm wie Kinder schlägst!
Lass mich ein Kind in deinen Augen sein!

+ +

Fackeln im Winde

Füllt mit Fanfaren die gesprengte Brust!
Entmenschter Sehnsucht erstes Vaterland!
Die Wunde, die von altem Blut verkrust,
Sie sei als roter Teppich ausgespannt!

Ein Etwas sei dem neuen Tag getan!
Werft Fackeln in der Winde staubig Maul!
Treibt in den Teich den jüngst erglänzten Schwan
Und auf die Weide treibt den Karrengaul!

Entthronter Tränen Lächeln tut so weh!
Die Fackel steht in meiner Eisenhand.
Ich laufe über die erlöste See
Windmöwe, Wetterschrei und Wolkenbrand.

+ +

Fieber (II)

Spring an, du Stierakkord! Du Singsangföhn!
Der weichen Wiesen sprühende Libelle.
Wie hebt das mandelhölzerne Gespenst sich schön
Betäubend vom Asyl der weissen Schwelle.

Schwärme von taumelgrauen Kolibris.
In Furchen Meer gesäte Sternensaat.
O nimm mein Buch, mein neues Buch und lies
Das Märchen mir vom leprakranken Maat.

Wie wusste er die Inbrunst morsch zu zähmen,
Und seine Küsse waren rein wie Glas.
O tanzt ihr unbewusstesten der Schemen
Nach seinem schnatternden Spelunkenbass.

Um mich ist der Narzisse weisses Kleid;
Um mich dein Atem, Südwind Henriette.
Ich bin geballt zum Wurf. Ich bin bereit
Und schwebe bräutlich über unsrem Bette.

+ +

Horen

Es schöpfen die Horen
Aus rollenden Strömen.
Sie gleiten libellen-
Geflügelt darüber
Und schwingen die Eimer
In bebenden Händen.
Dir ward nicht Zeit,
Die Lippen zu netzen,
Das Herz zu stillen,
Es schwanken die Eimer
Von einer zur andern
Hinauf, hinauf …
Wohl dem, der flüchtig
Die Finger netzte,
Ihm spiegelt die Sonne
Kristall in die Hand.

+ +

Im Morgengrauen

(dem Doktor Müller-Jürgens)

Niemand weiss, wozu
Diese Felsenruh,
Diese Sträucherwildnis uns verliehn.
Segelschiff auf See,
Und im Wald das Reh
Möchten unsrem bleichen Blick entfliehn.

Keine Strasse weiht
Uns zur Zärtlichkeit,
Wenn das Morgengrauen sie betritt.
Lampen löschen aus.
Stehend schläft das Haus.
Und die Trambahnhaltestellen gehn wie Späher mit.

Schlauer Mörder schleicht,
Den kein Ruf erreicht.
Ach, ein Augenaufschlag täte gut!
Himmel sei bedankt!
Eine Wolke rankt
Rosa sich um unser blasses Blut.

Eine steife Magd
Garteneinwärts stakt,
Und im schwangren Leib das Kindlein nickt.
Keine Glocke schlägt.
Gott ist unbewegt.
Nur die Taschenuhr am Herzen tickt.

+ +

Kleine Stadt

Sterne entsteigen der Stadt.
Gross
Wohnt der Mond in den höckrigen Gassen.
Alter Frauen
Schwangre Bäuche
Platzen brummend,
Grünen Rauch gebärend.
Aus der Brauerei
Taumeln singend
Flaschen.
Fahnen schillern,
Lindenbäume wandeln
Um den Brunnen,
Der im Schlafe hündisch winselt.
Vögel werden aus dem Himmel
An den Strand der Menschlichkeit gespült.
Möge Löwe
Uns beweinen,
Möge Geier
Uns begaffen,
Wir verwesen,
Psalme strahlend,
Im entzauberten Gezelt der Stadt.

+ +

Nur Du

Es führt kein Weg so weit –
Und brichst du Stück für Stück
Die Brücken hinter dir –
Er führt zu dir zurück.

Und schlägst du alle Spiegel
Entzwei,
Es grinst aus jedem Tümpel dir
Dein Konterfei.

Und fliehst du deine Tage
Und wanderst in die Nacht –
Der Knabe bringt die Fackel,
Du hast sie angefacht.

+ +

S.

Du bist mir gut, und darum fern.
Du bist mir fern, und darum gut.
Du bist mein Stern, so sei mein Blut.
Du bist mein Blut, so sei mein Stern.

+ +

Schon pflückt die sanfte Hand

Schon pflückt die sanfte Hand des frühen Morgens
Wie reife Frucht die immergrünen Sterne.
Es glüht die Sehnsucht ihres süßen Sorgens
Im Fenster der erwachenden Taverne.

Wirf einen Stern in meinen offnen Blick!
Ich hab nicht Hände frei, um ihn zu wahren.
In meinen Händen trag ich das Geschick
So dünn wie Glas von tausend Menschenjahren.

+ +

Sonett des Abschieds

Lass mich noch einmal meine Wimpern heben!
Lass jenen Blick in heiliger Wildheit rollen.
Wir wollen uns des ewig wundervollen
Und nie verschmerzten Abschieds nicht begeben.

Es sei der Abschied uns ein ewiges Leben.
Das Leben uns ein Abschied, sanft zu sollen.
Wenn Sterne kindlich durch den Nebel tollen,
Sind wir wie Mütter, die in Angst verbeben.

Denn ewig ist nur, was wir ewig wähnen.
Und deines Fusses Spur, verweht im Kiese,
Fährt durch die Luft mit sausenderen Sehnen.

O Mond! O letztes Glück am Saum der Wiese!
Es blühen zwischen Gräsern ihre Tränen,
Und niemand weinte Tränen je wie diese.

+ +

Spruch

Gefühle sind kühlweisse Schwäne,
Sie ziehen auf den dunkelnden Wogen
Unnahbar leuchtend, doch ihre Hälse
Biegen sich schlank jedwedem Brocken.

+ +

Nepomuk im Gewitter

Ein violetter Vogel zwitschernd streift
Den Horizont reklameroter Bretter.
Schon steht ein Antlitz auf, und es ergreift
Mit Augenhand das brüderliche Wetter.

Der Heilige droht im Nebel des Gesteins
Der Brücke, unter der das Grüne glänzt.
Ich schlinge mich mit seinem Schein in eins,
Der strahlend zu den Sternen mich ergänzt.

Der Donner rollt im Strassenbahngeläut,
Ich bin so voll der Wolken, die verwehn.
Ich werde immerdar und immer: heut
Als Denkmal dunkel auf der Brücke stehn.

+ +

Stanzen

Ich glaubte allen Schmerzen mich entbunden
Und war ein Kind, das über Wiesen sprang.
Ich band die bessern meiner guten Stunden
Wie einen Strauss zu blühendem Gesang.
Ich eilte wie ein Wächter meine Runden
Und stiess ins Horn des Mondes, dass es klang.
Ach, alle Lust war wie der Rausch von Kerzen.
In Rauch und Elend schwelte Herz am Herzen.

Die du mich wieder leichte Tränen lehrtest,
Dank ich mit einem Fluch, fluch ich dir Dank?
Ich glaube nicht, dass mein Gebet du ehrtest,
Das sich wie Winde um den Eichbaum schlang.
O Winzerin, wenn du den Korb entleertest,
Ich war des Traubenblutes ewig krank!
Hob ich den Becher in den Herbst der Nächte,
Ich wusste, dass kein Winter Tänze brächte.

Der vielen Frauen Liebe war ein Grüssen,
Das Schwenken eines Tuches nur. Ein Kuss.
Ein Seufzerblick. Ein Schrei. Mit heissen Füssen
Erstrebte Wanderung den kühlen Fluss.
Und ihre Tränen wollten für mich büssen,
Der ich nun für ihr Lächeln büssen muss.
O Dämmerung! Nun bin ich ganz allein.
Mein Schritt erlahmt. Die Fledermäuse schrein.

+ +

Türmer und Taube

Lass mich fühlen, was ich glaube!
Lass mich glauben, was ich fühle!
Hebe dich, entsandte Taube,
Bis zu meinem Turmgestühle.

Körner streu ich unterm Bogen,
Wo der Schnee sie nicht beachtet.
Zeige schwebend dich gewogen
Dem, der deinen Herrn verachtet.

Gibt es Tauben nicht, die lachen?
Gibt es Tauben auch, die weinen?
Alt und älter muss ich wachen
In den Mond- und Sonnenscheinen.

Rufe ich des Nachts die Stunden –
Alles schläft im Stubenstickicht.
Nur die weissen Vagabunden
Wehn wie Winde durch das Dickicht.

Einmal soll ich Feuer blasen:
Doch ich will, dass Feuer werde.
Rötlich auf dem grünen Rasen
Tanzen Herrin, Hirt und Herde.

Bis das Licht zu den Gebälken
Meines Turms sich blühend windet,
Müssen Dorf und Stadt verwelken,
Und der Wald selbst steht entzündet.

Taube! Wolke! Flieh den Wächter!
Flieg zum Himmel, den ich kenne!
Schon schlägt feuriges Gelächter
Aus dem Mund mir und ich brenne.

+ +

Uns ist gegeben

Uns ist gegeben:
Ein wolkiges Lächeln,
Ein stürmisches Segel,
Ein waldiger Schatten,
Ein mildes Gestirn.

Wir binden die Blüten
Im Frühling. Wir heben
Die Früchte vom Baume
Und keltern den Herbst.

Und winket der Winter
Mit schwingenden Tänzen,
Und locken die Nächte
Mit tönendem Wein:

Uns zittern die Füsse,
Uns dämmern die Augen,
Uns sinken die Hände
Die leeren, die schweren –
Verschüttet am Boden
Rollt spielendes Blut.

Die Kinder verlachen
Die Tränen der Alten.
Sie deuten das Läuten
Verdunkelter Glocken
Am Abend als Hoffnung,
Am Morgen als Sieg.

+ +

Unwillig Ich

Unwillig ich, der hagren Träume voll,
Mit Schmerzenwildnis tropisch überlaubt,
Ruh rasend ich im winterlichen Groll
Und hebe nachts in Höhe kühl mein Haupt.

Wie Nebel schwankend, wie Verwesung blühend
Spei meine Andacht blutend ich ins Land.
Es ruhen Heilige so himmlisch glühend
An meiner Brust, die fliessend Meere spannt.

Ich ging einmal auf einer festen Erde,
Nun wurde Woge ich, die Riffe scharrt.
Und von Delphinen eine dunkle Herde
Spielt um die Brandung meiner Gegenwart.

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Vier Gestalten

Als ich ein Kind war, was wusst ich von Weite und Leid?
Spielte mit den kleinen Fischen im Teich und tat die Salamander in Bann;
Stach mit Tannennadeln die leise gepeinigte Faust, verband sie hilfsbereit.
Weinte, wenn ich log und sah meinen Grossvater summend an.

Als ich ein Knabe war, litt ich an Scham und zerbiss meine Lippen einsam im Oderbruch.
Floh die Freunde. Und suchte der Bitterkeit erniedrigtes Glück.
O erniedrigt von dir zu sein, Margarete! Hob dein Taschentuch,
Das du auf dem Schulweg fallen liessest und gab es verblutet deinem Bruder zurück.

Als ich ein Jüngling war, erfuhr ich, dass Männer Weiber schlugen.
Löschte die Lampe der Welt. Streute Korn in den Sand. War entgeistertes Meer.
Meine Schmerzen lud ich den Frauenschiffen auf. Die trugen
Sie wie Kinder in ihrem Leib und gebaren im Hafen sie schwer.

Bin ich ein Mann? Ich sinke zurück an Erkenntnis und Sage.
Fische faulen im Teich, Freunde in früher Gruft.
Wäge Kind und Knabe und Jüngling auf himmlischer Wage,
Werf in die andere Schale mich selbst – und steige empor: leichter als
Federflaum oder Rosenduft.

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Weihnachtslegende

Maria lag in Schmerzen sieben Stunden,
Und ihre Augen leuchteten nach innen,
Da gab man ihr, gehüllt in weisses Linnen,
Den jungen Gott, der sich zu ihr gefunden.

Sie zitterte, der schwachen Hand zu trauen,
Aus Furcht, er möchte fallen. Doch er schwebte
Ganz ohne Schwere über ihr im blauen
Nachthimmel, während ihre Ahnung bebte.

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Zirkus

Die Puppen laden hölzerne Geschütze.
Schon sinkt
Im Korktod
Dummer August blass.
Geschminkte Hände halten
Säbelblech.
Der Wangen rote Tulpen
Blühen faul.
Die Augen (sanfte Augen der Natur)
Entgleiten maulwurfunterwürfig in den dunklen
Erdbraunen Nachtgott.
Ihn ersah
Zum Ziel sich die bedeutende Strategin,
Die Liebe, die durch tausend Reifen sprang,
Auf Pferdchen äffchensamt geritten,
Den Himmel der Manege spaltete.
Vom Turmseil schwirrte
Der entthronte Künstler.
Der Kopf
Frass blutend Sägespäne.
Und die Hände
(Die schönen Hände, die den Balancierstock schwangen,
Den silbernen, mit Löwenkopf gezierten)
Sie riefen Hilfe im Ertrinken,
Versinken unterm Sand.
Das Publikum
Schoss Beifall aus kanonengleichen Mäulern.

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Fünfte Sammlung: „Sturm“

Auf der Wacht

Nun Glanz. Verrottetes Gestirn der Nacht,
Wie Bajonett in unsre Stirn gesenkt!
Geschwür, das Träne gold am Lidrand hängt.
Sei, dunkler Träumer, stürmend auf der Wacht!

Der Tag ist nicht mehr fern. Ein Wipfel regt
Sich schon zum rosenroten Firmament.
Wie eine Vogelscheuche stelzt der Tag und schlägt
Den Mantel blau um unser Regiment.

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Bajonettangriff

Als wir die Bajonette aufgepflanzt,
Hielten wir Sonnen in den Händen.
Um sie zu jenen (kippüber …) in die Nacht zu senden.
Der Himmel tanzt.

Ein Schrapnell erblühte wie eine Rose.
Drei … vier … fünf … eine halbe Kompagnie
Steckte sie sich ins Knopfloch.
Ein Gefreiter bockt wie ein Vieh.
Ich betaste von innen meine Stirn: ich habe meinen
Kopf noch.

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Das Weib

Auf den Spitzen der Bajonette
Tanzt das apokalyptische Weib.
Dreitausend Tote gehen des Nachts mit ihr zu Bette.
Ihre Brüste blinken von Mond und Hirn.

Gedärme kräuselt sie um ihren Leib
Wie eine Bändigerin von Zirkusschlangen.
Manche heben kleine Köpfe und züngeln.
Dutzende toter Augen klingeln
Ihr um den Hals als Perlenkette gereiht.

Es ist Zeit,
Alle Männer standrechtlich zu erschiessen.
Cholera leuchte unter den brandenden Heeren.
Sie müssen ihr Blut in meinen Schoss ergiessen:
Ich will des Mannes Mann: nur Blut und Blut … gebären.

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Der sterbende Soldat

Der Tod hat heute keine Geige mehr.
Er ist kein einzelner, der seine Sense schwingt.
Er hebt den Arm aus einem ganzen Heer
Voll brauner Russen, das nach Juchten stinkt.

Ich habe manche Nacht dem Mond geklagt.
Ich tastete mich nach der Mutter hin,
Und meinte: So wie sie ist Gott. Er fragt,
Ob ich bequem und gut gebettet bin.

Ich hätte gern noch mancherlei getan,
Im Herzen strömt der Fluss der ewigen Pflicht.
Doch hinter mir steht schon ein andrer Mann,
Und reiner flammt sein weisses Angesicht.

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Die deutschen Dichter

Ihr Weiser und Verweser unseres Schönen,
Lasst euch vom Waffenrausch nicht übertönen.
O sorgt, dass unser Blut nicht rot erstarrt,
Und seid uns Dom und ewige Gegenwart.
Du, Günther, brauner Packan, bissig bellend.
Du, Hölderlin, die sanften Pfeile schnellend.
Du, Mörike, verträumte Pfarrhauslinde.
Du, Eichendorff, voll grüner Birkenwinde.
Du, Heine, blonder Jude, geistig handelnd.
Du, Conrad Ferdinand, auf Rhythmen wandelnd.
Du, Platen: im unsterblichsten Sonette.
Du, Nietzsche, deutscher Pole, Glockenkette.
Und du, o ewige Früh- und Abendröte,
Du Turm, du Sturm, du erster Mensch, du: Goethe.

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Die Zigarette

Man raucht. Vermummt in Rauch. Der: graue Wolke.
Der andre: tiefe Stadt am frohen Hange.
Der: wandelnde Trompeten. Schrei. Und Sterne.
Wie Taubensilber dunkler Mädchenflug.
Und Kinder drehen sich wie Kreisel singend,
Und Mütter haben Augen hinterm Berg.
Ein kühler Trunk. Sei gut. Ein Morgen winkt:
Lasst von den müden Füssen uns die schweren,
Die Eisenstiefel lösen! Sonne atmen!
Und mit geflügelten Sandalen heimwärts gehn!

+ +

Es war so gut, ein Mensch zu sein

Man ist nicht tot. Man lebt nur unter der Erde.
Ein wenig feucht. Maulwürfen brav verbrüdert.
Wenn eine Granate gröhlt, springt man zum Himmel hoch.
Man möchte wieder einmal die Sonne sehn.

Mit Mäulern werfend Sand und grünen Saum
Der Wieseninbrunst. Raupentraum. Der Kies
Knarrt zwischen Zahn und Zahn. Und blinder Blick
Fühlt sich ans Herz der Höhle, herzgewölbt.

Es war so gut, ein Mensch zu sein. Mit Frauen
Im Blauen zu spazieren. Angeln am Fluss.
Die Kuckucksrufe zählen. Wein trinken.
Kinder haben und einen Glauben an Gott.

Das ist vorbei wie Mutterschrei am Grab.
Man möchte gehn, aber man hat kein Bein.
Man möchte denken. Aber das Hirn
Schaukelt an einer einsamen Buche im Wind.

+ +

Friede

Himmel hängt aus allen Häusern.
Mädchen stehn wie Birken
Blass am Wege.
Haben Sterne
Statt der Augen.
Haben Teller
Statt der Hände.
Blut blüht rot wie Rosen auf der Stirn.
Kinder wurden Mütter,
Mütter Engel,
In den Wolken schwebend
Wie Geschwälb.
Trommel rollt wie Donner.
Tränen regnen.
Blitzend steht
Das Regiment am Tor.
Funkelnde Girlanden
Streuen Blumen.
Wein fliesst silbern unter Brücken Brots.
Opferrauch steigt dunkel
Aus Kaminen.
Auf den Zweigen
Eines Pfirsichbaumes
Zwitschert
Eine ewige Nachtigall.

+ +

Frühling

Kolonne rattert.
Turko beisst ins Gras.
Schrapnell.
O Blume, wolkig aufgetan!
Gesänge glänzen
Von betauter Luft,
Und Veilchen regnen auf die Batterie.

+ +

Frühling 1915

Nun naht der Frühling als ein fremder Gast,
Um uns mit bitterem Glücke zu beglücken.
Die Hand, die an den Degen fasst,
Darf keine Blume pflücken.

Aus tausendfach vergossnem Blut
Spriesst junges Grün an Weiden und an Ebereschen.
Wie wild auch Mars und Mors sich tut:
Die Flamme, die in uns beruht,
Wird nimmermehr verlöschen …

+ +

Gewitternacht

Ich liege dämmerungzermalmt.
Die Sonne stürzt. Die Weite qualmt.
Der Himmel ist zerrissen.
Aus Ackerfurchen, Scheunentor,
Aus Schützengräben steigts empor,
Aus Furcht und Finsternissen.

Auf den Gewehren eingeschraubt
Tanzt schillernd jetzt ein grünes Haupt,
Und ihrer werden mehre.
An Unterständen schlank entlang
Schleicht schlangenhafter Grabgesang
Wie Marsch gestorbner Heere.

Und immer mehr und immer fort
Und Rausch und Blut und Sang und Mord,
Wir sterben, sterben, sterben.
Der Himmel donnert, Wolke kracht,
Ein Blitz knallt nieder durch die Nacht
Und schmeisst die Welt in Scherben.

+ +

Haus in W.
(Für Bruno Frank)

In jeder Ecke lag ein Mädchen.
Die Kniee stiessen in die Luft.
Lag da, von vier Uhr früh bis drei Uhr nachts.
Lag eine Ewigkeit.

Mit einer zahmen Hundepeitsche knallte
Der violette Pole, wenn in seinen Hut
Ein Taler flog. Wie eine Lerche singend.

Das kleinste Mädchen lachte ernst wie Gott.
Ich bin nicht gut. Es liegt kein Freund bei mir.
Mein hübscher Freund ist tot.

Von vier Uhr früh
Bis drei Uhr nachts marschierten Heere deutscher
Soldaten durch die Tür. Marschierten singend
Berauscht und dunkel in die Ewigkeit.

+ +

Heute

Mein Gewehr ist ein verschlafnes Liebeslied.
Meine Hände zittern, wie wenn sie was streicheln müssten.
Wer weiss, was morgen geschieht!
Heute blüht Frühling an den flandrischen Küsten.

Wir liegen in Reserve. Reserve hat Ruh.
Es kreist Gesang und Flasche.
Wir sehen dem Wehen des Windes zu.
Jemand hat ein Spiel Karten in der Tasche.

Sterne! Brüder! Geliebte! Wir liegen verstreut
In den Dünen wie in den Falten des Himmels.
Erglänzen: heut
Ameisen eines goldenen Gewimmels.

+ +

Ich kam aus lauter Liebe in die Welt

Ich kam aus lauter Liebe in die Welt.
Nun weiss ich nichts als Kolben, Schuss und Stich.
Ich wäre gern, wo man sich auch gefällt.
Ein Fisch, der blinkend aus dem Wasser schnellt.
Ein Mädchen, das zum schlanken Jüngling schlich.

O diese Müdigkeit der tapfren Glieder!
Der achtzehn Jahre fieberndes Allein!
War einmal ich bei meiner Schwester wieder,
Ich kniete zwischen ihren Händen nieder
Und würde nur noch Bruder sein.

+ +

Ihr Bogenlampen

Ihr Bogenlampen in den trüben Städten
Wie goldene Geschwüre gross gereiht,
Ich bin in euren Schatten stumm getreten,
Soldatischer vom rauhen Rausch befreit.

Beleuchtet ihr die stillen Barrikaden,
Die unsichtbar in jeder Strasse stehn?
Ich will ins Dorf, und bei den roten Raden
Als Südwind über alle Äcker wehn.

+ +

Mein Bruder

Ich war schon einmal in diesem Land daheim.
Ich sah schon einmal jene polnische Kuppel.
Und jenen Baum. Und jene Wolke lag
Auch im Frieden an meinem Herzen.

Nur neigte sie sich sanfter. Und kein Rauch
Verscheuchte ihre blinkende Leidenschaft. Der Himmel rollte
Still wie ein Rad am Ackerwagen, und kein Geschrei war
Der Millionen entlaufenen Tiere.

O dieser Lärm! Der Mond selbst trommelt dumpf.
Die Sterne flöten nachts. Dem Tod am Morgen
Ist Licht nicht heilig. Seht: er schlägt der Sonne
Goldene Pauke.

+ +

Ostpreußen-Ballade

Die roten Dörfer stiegen wie Raketen
In Rosennacht. Die Dünung brach am Meer.
Sie huben an zu fluchen und zu beten
Und sind mit Keulen blass vor Gott getreten:
Gott, unser Gott, du bist kein Preusse mehr!

Der Russe kommt! Wir bäumen unsre Hände!
Blau Auge fiel wie Himmel übers Feld.
Die Mutter suchte, ob sie Gutes fände
An Speck. An Kuchen. Und sie weinte doch am Ende
Um ihren Sohn. Um ihren Tag. Um ihre Welt.

Es schnoben Reiter über alle Grenzen
Mit Lanzen und mit Bärten buschbekraucht.
Da klirrten wie von selber alle Sensen.
Messer stach dornig unter Erntekränzen,
Und Wolke Hass aus jedem Schornstein raucht.

Es sprangen Schädel auf wie Eierschalen
Vorm Hieb des Kolbens, der wie Klöppel schlug.
Sie wollten Fleisch in ihren Mühlen mahlen.
Bei Ortelsburg, bei Lötzen, bei Pillkallen
Sanken sie singend über Egg und Pflug.

Tataren krochen, eisenbraun verrostet,
Vom Staube der Jahrhunderte verlaust.
Ihr, die Ihr nie vom Rausch des Glücks gekostet:
Ihr kamt auf uns, weil Ihr doch kommen musstet,
Und weil so süss der Wind im Westen saust.

Die Erde wimmelte von ihrer Menge,
Ostpreussen nahm sie wild in seinen Schoss,
Und es gebar entsetzliche Gesänge.
Da hoben Adler schon die freien Fänge,
Wie Glas zersprangen Teich und Moor und Moos.

Da warf die Sonne einen goldnen Schatten,
Der lag wie eine gute Hand
Auf den verkohlten und verrohten Matten.
Es glitzerte das Wasser in den Watten
Wie eine Träne, die kein Auge fand.

Die grauen Lider hingen sich wie Raben
Geflügelt schwer vor jede Russenstirn.
Sie schlagen mit den Händen. Schreien. Traben.
Wie Bienen nun aus Wäldern und aus Waben
Züge von Sterbenden zum Tode schwirrn.

Es war so hold, ein Mensch zu sein und Bruder.
Ich wüsste gern, wo meine Schwester war.
Wo liebtest du die erste Frau? Im Fuder
So frischen Heus. Und du? Ein fremdes Ruder
Trieb unbewusst mein Boot aufs offne Meer.

Das Meer ward uns als Wiese vorgelogen …
Bis unser Schiff ein stolzer Panzer rammt.
Einst ist Gott trocknen Fusses drüberhingezogen.
Vor Mose teilten sich die roten Wogen –
Wir aber sind verdammt …

Und als sie in der Jauche jäh versanken,
Standen die Preussen stumm Gewehr bei Fuss.
Sie fühlten selber unter sich den Boden schwanken
Und sahen einen Bruder, einen Kranken,
Der sterben muss.

Und jeder wünschte, dass er lächelnd stürbe,
Dass keiner seine Leiden gram bestaunt,
Dass er um seine Söhne so verdürbe –
Ein jeder wusste, dass er Ehr erwürbe,
Davon die Eiche noch nach tausend Jahren raunt.

Ja, als sie tiefer so in sich vergingen,
Da fand ihr Herz nicht Reue oder Schrei.
Die Pferde bellten heiser, als in Ringen
Das Moorblut um sie kreiste. Aber die Russen hingen
Schweigend am Galgen ihrer Litanei.

Und die bei Tannenberg dabei gewesen,
Sie schlafen schlecht. Und tragen schwarzen Flor.
Ostpreussen ist von Asien genesen.
Doch als an diesem Tag das ewige Wesen
Den Himmel aufschloss – weinte Er am Tor.

Er sandte eine Taube auf die Erde.
See brandete. Es zischte der Vesuv.
Er sprach. Und seine Stimme ward Gebärde.
Verschollen im Geläut der Engelherde
Verwarf er sich, weil er das Schicksal schuf.

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Soldatenbegräbnis in Innsbruck

Tiroler Kaiserjäger silbergrau
Schreiten am Sarg. Die stummen Schritte beten
Für eine alte, gelb gebleichte Frau,
Um deren Stirne Regensträhnen wehten.

Die Täler rauschen und Gewitter saust.
Von allen Bergen brennen kleine Lichter.
Es bäumt der Sarg, und eine weisse Faust
Reckt sich verdorrt zum himmlischen Vernichter.

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Unter der Erle lag ich…

Unter der Erle lag ich, Freund, im Schatten,
Der wie ein Schleier zitternd mich befiel.
Ein müder Teich. Von fernen Schüssen wie
Von Kieselsteinen kreisend oft zerrissen.
Und eine nackte weibliche Gestalt
Mit sanftesten Madonnenbrüsten warf,
Warf, Freund, sich jubelnd über mich. Ich barst.
Ich spritzte auf. Und meine weissen Wellen
Umspielten fröhlich eine milde Zeit.

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Wir greifen nach dem ewig blauen Banner

Ich sehe blau um mich die Nacht verblühn.
Tortur nagt an der Brüder braunem Leib.
Der Wiesen Wehmut und der Gräber Grün
Ist unsrer Augen Raum- und Zeitvertreib.

Wir türmen uns zu brandenden Narzissen;
Erwünschter nie war Güte unsrer Not.
Die Nächte, die wir innen starben, wissen
Von unsrer funkelnden Kohorten Tod.

Wir weinen nie. Ins Herz die Tränen rannen
Und wurden Blut: der Freiheit roter Sold.
Wir greifen nach dem ewig blauen Banner,
Das himmlisch über unsren Häuptern rollt.

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