Die Harden-Eulenburg-Affäre

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, oder kurz Eulenburg-Affäre, war die Kontroverse um eine Reihe von Kriegsgerichts- und fünf reguläre Gerichtsverfahren wegen homosexuellen Verhaltens und die gegen diese Vorwürfe geführten Verleumdungsklagen. Betroffen waren prominente Mitglieder des Kabinetts von Kaiser Wilhelm II. in den Jahren 1907 bis 1909. Die Affäre wird als einer der größten Skandale des deutschen Kaiserreiches bezeichnet.

Obwohl sie sich im Grunde nur um den Streit zwischen Philipp Fürst zu Eulenburg-Hertefeld und dem Journalisten Maximilian Harden drehten, reichten die Anschuldigungen und Gegenanschuldigungen aus, dass sich die Affäre schnell ausbreitete und dazu führte, dass der Begriff „Liebenberger Kreis“ benutzt wurde, um einen homoerotischen Zirkel um Kaiser Wilhelm II. zu beschreiben.

Artikel in Hardens Zeitschrift

Am 6. April 1907 veröffentlichte Maximilian Harden in seiner Zeitschrift „Die Zukunft“ einen Leitartikel mit der Überschrift „Wilhelm der Friedliche“. In diesem Leitartikel vertrat er die Ansicht, dass die Reichsleitung unter anderem die Linie ihrer Politik nicht durchsetzen könne, weil die Repräsentanten des Landes – darunter vor allem Wilhelm II. – den anderen Ländern zu oft und zu heftig versichert hätten, dass man nur friedliche Absichten habe. Seine publizistischen Attacken verschärfte Harden deutlich, als er kurz nach dem Scheitern der Algeciras-Konferenz – die die politische Isolation des Deutschen Reiches manifestierte – bei einer privaten Tafelgesellschaft auf Eulenburgs Schloss Liebenberg Wilhelm II. mit dem Ersten Sekretär der französischen Botschaft, dem Grafen Raymond Lecomte, zusammen antraf und diesen sympathisch fand.

Am 17. November 1907 warf Harden deshalb in einem weiteren Artikel dem Liebenberger Kreis vor, dass der Kreis aufgrund persönlicher Verbindungen maßgeblich die deutsche Politik beeinflusse und für eine Reihe von Fehlschlägen der deutschen Außenpolitik verantwortlich sei. Nur für Insiderkreise erkennbar, spielte Harden auf die homoerotischen Beziehungen an, die Mitglieder des Liebenberger Kreises unterhielten. Besonders deutlich waren diese Anspielungen auf Kuno von Moltke bezogen. Harden warf Eulenburg unter anderem vor, ein „ungesunder Spätromantiker“ zu sein, der spiritualistische Neigungen habe. Hinter diesen an Eulenburg gerichteten Vorwürfen steckte letztendlich aber auch die zur damaligen Zeit verbreitete Ansicht, dass zur Homosexualität neigende Männer verweichlichte Persönlichkeiten hätten, die zu einem entschlossenen Machtgebrauch nicht imstande seien. In den einflussreichen aristokratischen Kreisen am Hofe Berlins wurden die Andeutungen sehr wohl verstanden und erregten große Aufmerksamkeit.

Bernhard von Bülow, zu dem Zeitpunkt Reichskanzler und mit Eulenburg seit vielen Jahren befreundet, versuchte zunächst, eine Ausweitung des Skandals zu verhindern, und setzte darauf, dass die Erregung über die Enthüllungen Hardens abflauen würde. Ihm war dabei bewusst, dass ein Vorwurf der Homosexualität gegenüber engen Freunden des Kaisers dessen eigene Stellung diskreditieren und ihm das sowieso schon schwierige Regierungsgeschäft weiter erschweren würde.

Erst Anfang Mai 1907 erfuhr Kaiser Wilhelm II. durch den Kronprinzen von den Vorwürfen. Seine Forderung nach der Suspendierung der Betroffenen und einer gerichtlichen Klärung der Vorwürfe löste eine breite Berichterstattung der Presse und damit den Skandal aus.

Gründe

Die Gründe, die den Herausgeber und Journalisten Harden zu seinem Artikel in der „Zukunft“ veranlassten, wurden kontrovers diskutiert. Von einigen Historikern wird Harden als Instrument eines Interessenkreises um die politische Erbschaft Bismarcks gesehen, während andere Hardens Artikel für den Ausdruck einer Missbilligung der deutschen Außenpolitik halten, die er mit der „Grauen Eminenz“ Friedrich von Holstein teilte. Es müssen allerdings weder Bismarck noch Holstein gewesen sein, die Harden informiert und instrumentalisiert haben. Harden hatte auch mit Walther Rathenau, Albert Ballin, Max Warburg und weiteren Finanziers, mit denen auch Wilhelm II. verkehrte, gute bis sehr gute Kontakte. In seiner 2010 erschienenen Studie über die Affäre vertritt der Historiker Peter Winzen die Auffassung, dass vor allem Reichskanzler von Bülow derjenige gewesen sei, der Harden mit Informationsmaterial versorgt und ihm die notwendige Rückendeckung verschafft habe. Dagegen steht eine Aussage des Zeitzeugen und späteren Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Richard von Kühlmann. In seinen „Erinnerungen“ schildert Kühlmann seine letzte Unterredung mit Holstein und resümiert: „Als später in Maximilians Hardens ‚Zukunft‘ die ersten Artikel erschienen, die den ungeheuren Moltke-Eulenburg-Skandal einleiteten, war es mir nach der geschilderten Unterredung mit Holstein ohne weiteres klar, wo der geistige Urheber der Artikel zu suchen sei. Hardens Ausführungen deckten sich zum Teil fast wörtlich mit dem, was mir der damals noch allmächtige Geheimrat im Laufe der letzten Unterredung gesagt hatte.“

Wilhelm II. hatte Bismarck, der eine Realpolitik der Verträge und Vereinbarungen verfolgt hatte, im Jahre 1890 entlassen. Der Antiimperialist und Englandfreund Eulenburg, der von einem einfachen Mitglied des Diplomatischen Corps zum Botschafter befördert wurde, war einer der wichtigsten Berater Wilhelms II. und versuchte ihn wiederholt auf einen friedlichen, englandfreundlicheren Kurs zurückzudrängen. Wie viele bemerkte auch Bismarck, dass die Besonderheit der Beziehung von Wilhelm II. und Eulenburg „nicht aufs Papier gehört“, er sah den jungen Kaiser durch Hintermänner beraten, deren Politik er ablehnte. Schon gegen die liberalen, parlamentarischen Einstellungen der Kaiserin Victoria, der Tochter der britischen Königin Victoria und Mutter Wilhelms II., hatte Bismarck, teilweise mit indirekten Methoden, Stellung bezogen. Bismarck soll Harden bei einer Flasche Wein, die ein Versöhnungsgeschenk von Wilhelm II. gewesen war, die Information über den homoerotischen Liebenberger Kreis mitgeteilt haben.

Harden wartete bis 1902, um dann Eulenburg persönlich zu erpressen, den Botschafterposten in Wien aufzugeben; anderenfalls würde er ihn öffentlich bloßstellen. Eulenburg gab nach, trat aus „gesundheitlichen Gründen“ zurück und zog sich vorerst aus dem öffentlichen Leben zurück. Nachdem Eulenburg im Rahmen der Algeciras-Konferenz 1906 wieder auftauchte, wiederholte Harden seine Drohung. Eulenburg reagierte mit seinem Rückzug in die Schweiz.

Eine Reihe von Historikern – darunter Wolfgang J. Mommsen – lehnen diese Interpretation der Vorgänge allerdings als zu spekulativ ab. Der Rückzug von Eulenburg aus dem politischen Leben im Jahre 1902 war nach Mommsens Ansicht vor allem dadurch bedingt, dass Eheskandale in seiner nächsten Verwandtschaft die Gefahr mit sich gebracht hätten, dass auch seine Homosexualität zur Sprache gekommen wäre. Nach damaliger Moralvorstellung hätte dies seine gesellschaftliche und politische Ächtung nach sich gezogen. Nach Mommsens Analyse war Harden 1906 zu der Überzeugung gelangt, dass die diplomatische Strategie der Reichsleitung in der Ersten Marokko-Krise vor allem deshalb gescheitert sei, weil sich Wilhelm II. unter dem Einfluss des Liebenberger Kreises nicht dazu bereitgefunden habe, einen Krieg gegen Frankreich zu riskieren. Für Harden war die Homosexualität lediglich ein Mittel, die Kamarilla rund um den Kaiser zu diskreditieren.

Am 17. November 1906 veröffentlichte Harden einen Artikel, in dem er Andeutungen bezüglich der sexuellen Beziehung zwischen Eulenburg und dem Kaiser machte, und den angeblich von Eulenburg aufgebauten Liebenberger Kreis für Einflussnahme auf den Kaiser und somit für die außenpolitischen Misserfolge Deutschlands verantwortlich machte. Zusätzliche Informationen hatte Harden nun auch aus den umfangreichen Akten Holsteins, mit dem er im Sommer desselben Jahres Frieden geschlossen hatte.

Weiterhin verübten in den Jahren 1906/1907 sechs Offiziere Suizid, nachdem sie erpresst worden waren. Sie versuchten dem Schicksal von 20 anderen zu entgehen, die in den Jahren zuvor einzig aufgrund ihrer Sexualität vom Kriegsgericht verurteilt worden waren. Schlimmer als diese Skandale war für Harden die Tatsache, dass Eulenburg nach Deutschland zurückkehrte, um den Hohen Orden vom Schwarzen Adler zu erhalten.

Behauptete Homosexualität

Am 27. April 1907 wurde Eulenburg von Harden öffentlich der Homosexualität bezichtigt, indem Harden erklärte, dass die früher veröffentlichte Karikatur des Harfenspielers auf Eulenburg und dessen „Schätzchen“ Kuno von Moltke anspiele. Es wurden auch angezeigt: Georg von Hülsen, Intendant des Königlichen Theaters; von Stückradt, ein Adjutant des Kronprinzen; Fürst Bernhard von Bülow.

Wilhelm II., der bereits über die Verfahren gegen Major Johannes Graf zu Lynar und Generalleutnant Graf Wilhelm von Hohenau, den Kommandeur der 1. Garde-Kavallerie-Brigade – beide Verwandte des Kaisers – aufgebracht war, verlangte eine Liste seiner Vertrauten, die man der Homosexualität bezichtige. Diese Liste war eine stark gekürzte Version jener, die der Polizeidirektor Leopold von Meerscheidt-Hüllessem angefertigt hatte, um den Kaiser von der Unsinnigkeit des Paragraphen 175 StGB zu überzeugen. Wilhelm II. verlangte von den dort aufgeführten Militärs, Johannes Graf zu Lynar, Hohenau und Moltke, um den Abschied aus der Armee zu bitten, und vom ebenfalls erwähnten Eulenburg, sich zu erklären.

Moltkes Anwalt reichte eine Verleumdungsklage gegen Harden ein. Eulenburg verwahrte sich gegen jede Schuld und zeigte sich gemäß § 175 StGB bei dem für ihn zuständigen Staatsanwalt an. Dieser musste die Ermittlungen, wie erwartet, im Juli 1907 mangels Beweisen einstellen.

Gerichtsverfahren

Moltke gegen Harden (erstes Verfahren)

23.–29. Oktober 1907. Unter den Zeugen, die gehört wurden, waren die von Moltke nach neun Jahren Ehe geschiedene Lili von Elbe, der Soldat Bollhardt und Magnus Hirschfeld. Frau von Elbe sagte dabei aus, dass Moltke seinen ehelichen Pflichten nur in den ersten beiden Nächten nachgekommen sei, und berichtete von seiner überaus engen Freundschaft mit Eulenburg. Zu Eulenburgs Homosexualität konnte sie nicht aussagen. Bollhard beschrieb Champagnerpartys in Lynars Villa, bei denen Hohenau und Moltke teilgenommen hätten. Der als wissenschaftlicher Sachverständiger gehörte Hirschfeld erklärte auf Grund seiner Beobachtungen von Moltkes im Gerichtssaal und der Aussagen Elbes, dass Moltke eine „ihm selbst nicht bewusste homosexuelle Veranlagung mit ausgesprochenem seelisch-ideellem Charakter“ aufweise, auch wenn er sie niemals ausgelebt hätte. Als Gegengutachter im Verfahren erschien Georg Merzbach. Am 29. Oktober befand das Gericht, dass Moltke homosexuell sei und Harden unschuldig.

Das Urteil wurde jedoch wegen Verfahrensfehlern aufgehoben und der Prozess musste neu aufgerollt werden.

Bülow gegen Brand

Adolf Brand, Gründer der ersten Homosexuellen-Zeitschrift „Der Eigene“, veröffentlichte ein Flugblatt, auf dem zu lesen war, dass Kanzler Bernhard von Bülow wegen seiner sexuellen Veranlagung und des Küssens mit seinem Privatsekretär Max Scheefer bei einem Treffen, das Eulenburg organisiert hatte, erpresst worden sei. Brand schloss daraus, dass Bülow nunmehr moralisch verpflichtet sei, gegen den § 175 StGB öffentlich anzugehen. Bei dem darauf folgenden Prozess am 6. November 1907 verteidigte Brand sich gegen die Anklage wegen Verleumdung mit der Begründung, dass die Bezeichnung als Homosexueller nichts Ehrenrühriges an sich hätte und er Bülow somit nichts Übles nachsage. Eulenburg erklärte in dem Prozess seine edle Freundschaft zu Bülow. Er sagte aber auch, dass er niemals sexuelle Beziehungen mit Bülow gehabt habe und wiederholte unter Eid, dass er niemals gegen den § 175 StGB verstoßen habe. Brand wurde der Verleumdung für schuldig befunden und zu 18 Monaten Haft verurteilt.

Moltke gegen Harden (zweites Verfahren)

Im Dezember 1907 wurde der Prozess zwischen Moltke und Harden wiederholt. Da Frau von Elbe aufgrund der Diagnose einer klassischen Hysterie als nicht mehr glaubwürdig angesehen wurde und Hirschfeld seine frühere Aussage zurückzog, wurde Harden der Verleumdung für schuldig befunden und mit vier Monaten Haft bestraft.

Harden gegen Städele

Harden versuchte nunmehr die Homosexualität Eulenburgs zu beweisen. Er überredete Anton Städele, einen Kollegen aus Bayern, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem es hieß, dass Harden Schweigegeld von Eulenburg erhalten habe. In München verklagte Harden daraufhin seinen Komplizen wegen Verleumdung. Auch wenn es wenig mit dem eigentlichen Prozess zu tun hatte, wurden während des Verfahrens auch Georg Riedel und Jacob Ernst angehört, die erklärten, dass sie in ihrer Jugend sexuelle Beziehungen zu Eulenburg unterhalten hätten.

Die Verurteilung von Städele im April 1908 war erwartet worden und das Zwangsgeld von 100 Mark erhielt er von Harden zurück. Gegen Eulenburg wurde jedoch Anzeige wegen Meineides erstattet und am 7. Mai 1908 die Gerichtsverhandlung eröffnet.

Strafverfahren gegen Eulenburg

Nachdem die ersten von 41 Zeugen, darunter wiederum Jacob Ernst und zehn weitere, die Eulenburg durch ein Schlüsselloch beobachtet haben wollten, angehört worden waren, wurde der Prozess wegen Eulenburgs schlechten Gesundheitszustands unterbrochen. Er wurde wiederholt auf seine Verhandlungsfähigkeit untersucht. Bis zum Ende des Kaiserreiches 1918 konnte kein Urteil gefunden werden. Eulenburg starb 1921, ohne dass die Frage seiner Homosexualität gerichtlich geklärt war.

Moltke gegen Harden

Nach einigem Druck wurde Harden im April 1909 erneut verurteilt. Er hatte eine Strafe von 600 Mark sowie die aufgelaufenen Gerichtskosten über 4000 Mark zu zahlen. Moltke hingegen wurde gegenüber der Öffentlichkeit rehabilitiert.

Auswirkungen

Die Eulenburg-Affäre gilt als ein Beispiel für Vorurteile und Heuchelei, die als Mittel für politische Ziele genutzt werden. Eulenburgs Ehefrau kommentierte gegenüber Hirschfeld die Angelegenheit mit den Worten: „Auf meinen Mann schlägt man und den Kaiser meint man.“

Harden erzählte später, dass die Affäre zwar erfolgreich war, aber auch sein größter politischer Fehler gewesen sei. Kaiser Wilhelm II. wandte sich, wie Harden es beabsichtigt hatte, von den durch die Affäre stigmatisierten moderaten Kreisen ab. In der Folge wandte der Kaiser sich mehr militärisch ausgerichteten Beratern zu. Wie andere Beobachter sah auch Harden später darin mit einen Grund für das Ende des zweiten deutschen Kaiserreiches.

Der expressionistische Dramatiker Hans Kaltneker zitierte die Affäre in seinem mystischen Drama „Die Schwester“ (1923).