Denkmal im Schnee

Es begann zu tauen.

Der Schnee schmolz zuerst über den Wurzeln der Tannen. Die standen bald auf kleinen braunen Erdflecken, braune Oasen in der weißen Wüste. Das Gras, das sich zeigte, war noch verdorrtes Gras vom vergangenen Herbst. Es sah aus wie Kamelshaar. Da und dort spross aber schon erstes, zages Grün, schüchtern verschüchtertes Moos.

Tramm, der Bildhauer, hatte sehr unter seinem Herzen zu leiden. Nachts fuhr er aus einem Schlaf, der ihm wie wirres Haar in die Stirne hing. Er saß stundenlang aufrecht im Bett. Sein Herz schlug rasend, aber es setzte einen Schlag um den andern aus. Die offene Wunde über der rechten Lunge schmerzte nicht mehr so stark. Aber jeden Tag zapfte er wie der Winzer dem Fass Wein seinem Bauch einige Schüsseln Eiter ab. Weiß der Teufel, wie seine Nieren auf die Dauer diese fortgesetzte Eiterproduktion aushielten.

Der Mond schien ins Zimmer.
Er schien auf die Kuckucksuhr an der Wand.
Es war fünf Minuten nach halb vier.

Tramm erhob sich stöhnend, verband vorsichtig seine Wunde, zog sich an und verließ das Haus.

Sein Fuß backte im weißen Schnee fest. Es fror auch nachts nicht mehr.

Er ging die Straße ins Flüelatal.

Nach einer kleinen Stunde bog er rechts ab und ertastete sich zwischen den Tannen den Fußsteig zum Flüelawasserfall. Auf der kleinen Holzbrücke blieb er stehen und sah in die spritzenden, gischtenden Wasser. Seine Augen wurden feucht, und eine Träne tropfte in das fallende Wasser. Er stand viele Minuten unbeweglich. Dann machte er kehrt und ging zur Straße zurück. Er atmete schwer, und sein Herz schlug rasend.

Ein Fels erhob sich über der Straße. Mit Mühe erklomm Tramm den Felsen.

Dann stand er aufatmend und sah ins mondbeglänzte Tal hinab.

Der Fels war hoch mit Schnee bedeckt. Und plötzlich über¬kam ihn eine unbezähmbare Lust, aus diesem weichen, tauenden Schnee ein Denkmal zu modellieren, ein unvergängliches, ein ewiges Denkmal, das alle seine Marmor- und Bronzetorsos strah¬lend überdauern würde. Er fühlte eine gewaltige Kraft in sich. Und fieberhaft begann er, den Schnee zu türmen und zu formen. Er formte die schlanke, steile Gestalt eines Jünglings, der, die Arme gebreitet, weit über das Tal hinsah.

Als er den Kopf beendet hatte und im fahlen Mondlicht seine Züge sah, sah er, dass es sein eigener Jünglingskopf war. Vor zwanzig Jahren hatte er einmal so ausgesehen.

Gott segne dich, sagte Trumm, Gott segne dich ein letztes Mal!

Er fühlte ein leichtes, schmerzlich wohliges Schwindelgefühl.

Er fasste sich an das Herz und fiel, mit dem Kopf in den Schnee, dem Standbild zu Füßen.