Café Größenwahn

… oder auch Café des Westens genannt, war ein Berliner Künstlerlokal, das sich von 1898 bis 1915 am Kurfürstendamm 18/19, Ecke Joachimstaler Straße, dem heutigen Kranzler-Eck, in Berlin Charlottenburg befand.

Berlin, Boheme im Cafe des Westens Quelle: Gemeinfrei

Aus Wikipedia:

„… Gebäude und Anfänge

Das Gebäude, in dem sich das Café des Westens befand, wurde zwischen 1893 und 1895 als repräsentatives Wohnhaus von dem Zimmermeister Christoph Osten erbaut. Der Architekt Max Welsch entwarf die Fassade, reich ausgestattet und mit einer mächtigen Attika in Gestalt einer durchbrochenen Balustrade mit Figuren und Akroterien.

1893 eröffnete dort im Erdgeschoss das „Kleine Café“, das seinerzeit das erste Caféhaus am Kurfürstendamm war. Seit dem Herbst des Jahres 1896 formierte sich um Maximilian Bern und Fritz Stahl ein fester Stammtisch. In den umliegenden Wohnhäusern des „Neuen Westens“ Berlins hatten schon einige Künstler Ateliers gemietet, und anstatt sich zum Vergnügen in den Rummel der City zu stürzen, trafen sie sich im „Kleinen Café“, das 1898 dann in „Café des Westens“ umbenannt wurde. Als 1898 Rocco, „der Koch aller Köche“ die Leitung übernahm, wurde der Zulauf größer. Jetzt kamen auch die Künstler aus Berlins Mitte, und in gewissen bürgerlichen Kreisen wurde es schick, von einem Besuch in dem verrückten Café erzählen zu können. 1904 ließ der Betreiber Ernst Pauly das Café in das erste Obergeschoss hinein erweitern, wo dann unter anderem Billardtische aufgestellt wurden.

Cafe des Westens Quelle: Alte Postkarte

Maximilian Bern (ursprünglich Bernstein, * 11. November 1849 in Cherson, Russisches Kaiserreich; † 10. September 1923 in Berlin) war ein deutscher Schriftsteller und Herausgeber.

Leben

Maximilian Bern wurde als Sohn eines Arztes und k.u.k. Hofrates geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters zog die Familie 1862 nach Wien. Dort studierte Maximilian Bern von 1869 bis 1872 Philosophie und Literaturwissenschaft. 1873 wurde er Lehrer bei einer Kunstreitergesellschaft. Seit 1875 lebte er als freier Schriftsteller länger in Berlin und Hamburg, vorübergehend in Leipzig, Dresden, Frankfurt a. M. und München; zwischen 1885 und 1887 in Paris, anschließend, seit 1888, wieder in Berlin. In Wien begegnete er Anfang der 1880er Jahre Arthur Schnitzler, der später über Maximilian Bern schrieb: Er „verstummte als Dichter bald und beschränkte sich in der Folge auf die Herausgabe von Anthologien und Deklamatorien“. Von 1887 bis 1897 war Bern mit der Schriftstellerin und Schauspielerin Olga Wohlbrück verheiratet.

Olga Wohlbrück Quelle: Von unbekannt – Kurt Loup: Die Wohlbrücks. Eine deutsche Theaterfamilie. Claassen, Düsseldorf 1975, ISBN 3-546-46205-X, Buchmitte., PD-alt-100, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=9512806

Tod

Der Historiker Frederick Taylor beschreibt, wie Maximilian Bern im September 1923 in Berlin seine gesamten Ersparnisse von über 100.000 Mark, die er ein Leben lang zurückgelegt hatte, von seinem Konto abhob und damit genau einen U-Bahn-Fahrschein bezahlte (zum Vergleich: 1906 hatte das durchschnittliche Sparguthaben auf Konten der Sparkassen im deutschen Reich 719 Mark betragen, 100.000 Mark waren also eine beträchtliche Summe). Er machte noch eine letzte Fahrt durch Berlin, um danach in seine Wohnung zurückzukehren, wo er verhungerte.

Seine letzte Ruhestätte fand Maximilian Bern auf dem Wilmersdorfer Waldfriedhof Stahnsdorf.

Fritz Stahl, eigentlich Siegfried Lilienthal, (* 10. Dezember 1864 in Rosenberg in Westpreußen; † 9. August 1928 in Berlin) war ein deutscher Publizist, Kunstschriftsteller und Journalist.

Leben

Siegfried Lilienthal besuchte das Gymnasium in Elbing und studierte klassische Philologie in Berlin. Er arbeitete zunächst als freier Redakteur und unter dem Pseudonym ab 1897 für drei Jahrzehnte als Redakteur des Berliner Tageblatts. Er schrieb als Kunstkritiker in verschiedenen Bau- und Kunst- und Kulturzeitschriften wie z. B. in Westermanns Monatsheften. Fritz Stahl gab auch verschiedene Städtemonografien heraus (Potsdam, Paris, Rom). Sein bekanntestes Buch war: „Weg zur Kunst“, eine Einführung in die Kunstgeschichte.

Schriften (Auswahl) 

„Weg zur Kunst. Einführung in Kunst und Kunstgeschichte“. Rudolf Mosse, Berlin 1927.

Paris.Eine Stadt als Kunstwerk“. Rudolf Mosse, Berlin 1928. (Neuauflage und mit einem Nachwort und Bilderläuterungen von Marcel Pobé: Schroll Kulturführer, Schrollverlag, Wien / München 1966.)

Treffpunkt der Literaten

Ernst Freiherr von Wolzogen – Radierung von Johann Lindner Quelle: Wikipedia

Schnell entwickelte sich das Lokal zum wichtigsten Treffpunkt der Berliner Künstler und Journalisten. 1901 entstand hier die Idee zu Ernst von Wolzogens Künstlerkabarett Überbrettl, das zum ersten deutschen Kabarett werden sollte. Auch die Idee zum zweiten Berliner Kabarett Schall und Rauch, das am 23. Januar 1901 auf der Bühne des Künstlerhauses am Potsdamer Platz eröffnet wurde, entstand um Max Reinhardt, Friedrich Kayßler und Martin Zickel im „Café Größenwahn“. Mit diesen beiden Theatergründungen begann die Entwicklung des Kabaretts in Deutschland. Beide schlossen zwar nach relativ kurzer Zeit wieder, Nachfolger jedoch gab es genug. Von Berlin aus verbreitete sich das Kabarett über ganz Deutschland.

Max Reinhardt in Die Weber Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 183-M0937-504 / Unbekannt / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5366601

Das Kaffeehaus übernahm zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Rolle früherer bürgerlicher Salons. Unter den Künstlern bildeten sich im Café bald zwei Gruppierungen heraus, das so genannte Schwimmer- und das Nichtschwimmer-Bassin. Wer schon einen Namen hatte, fand sich am Stammtisch des Malers Max Liebermann ein, Literaten und Kritiker wie Alfred Kerr und Herbert Ihering zählten dazu. Am Komponistentisch, angeführt von Paul Lincke, waren Walter Kollo und Jean Gilbert anzutreffen.

Max Liebermann im Alter von 25 Jahren als Student der Kunstschule Weimar Quelle: Wikipedia

Die aufstrebende Bohème schloss sich dem Künstlerkreis „Die Brille“ um Max Reinhardt und Christian Morgenstern an. Die Idee zur „Dreigroschenoper“ wurde im Café in die Welt gesetzt. „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“… komponierte Friedrich Hollaender hier.

Christian Morgenstern 1910 Quelle: Wikipedia

Weiter verkehrten hier Richard Strauss, Alfred Kerr, Maximilian Harden, Ludwig Fulda, Paul Lindau, Frank Wedekind und Carl Sternheim. Die bekannten Maler Emil Orlik und Ernst Oppler, selbst Stammgäste, zeichneten Gäste und das Café. (Und natürlich war auch Klabund unter den „Besuchern“)

Carl Sternheim von Franz Grainer 1921 Quelle: Wikipedia

Das „Café Größenwahn“ war für viele Künstler eine Art Heimat. Der Besitzer Ernst Pauly, der das Café 1904 übernahm, kam auf seine Kosten, weil die teilweise mittellosen Künstler das zahlende Publikum anlockten. Das „Café Größenwahn“ war auch berühmt für die Frauen, die sich hier sehen ließen und neuesten Chic gleichzeitig mit ihrem Anspruch auf Emanzipation demonstrierten.

Emil Orlik 1932 Quelle: Wikipedia

In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg wurde das „Café Größenwahn“ zum Mittelpunkt der literarischen Bewegung des deutschen Expressionismus. Hier trafen sich die avantgardistischen Literaten – Naturalismus und Impressionismus schienen überwunden – und diskutierten mit ihren Kollegen: Else Lasker-Schüler und ihr Gatte Herwarth Walden, Anna Ottonie Krigar-Menzel, René Schickele, Roda Roda, Johannes Schlaf, Benno Berneis, Erich Mühsam und John Henry Mackay, Peter Hille und Paul Scheerbart, Frank Wedekind, Artur Landsberger, Carl Sternheim und Leonhard Frank, Salomo Friedländer, John Höxter und Jakob van Hoddis waren hier „zuhause“ – am Café Größenwahn kam niemand vorbei, der in der neuen expressionistischen Bewegung mitreden und mitschreiben wollte. Auch wichtige literarische Zeitschriften wurden hier gegründet: 1910 konzipierte Herwarth Walden im Café seine Zeitschrift „Der Sturm“, 1911 Franz Pfemfert „Die Aktion“.

Alexander Friedrich Ladislaus Roda Roda, Geburtsname Sándor Friedrich Rosenfeld 1907 von Th. Mayerhofer Quelle: Wikipedia

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg geriet das Café zunehmend in die Schlagzeilen der konservativen Presse. Die Künstlerkreise im Café des Westens seien Gesindel aus dem „Café Größenwahn“, sie hätten den Westen Berlins in einen Sumpf verwandelt.

Vielleicht waren es diese Angriffe, die den Besitzer Ernst Pauly bewogen, 1913 in den Neubau „Union Palast“, Kurfürstendamm 26, umzuziehen. Hier gründete er das neue Café des Westens als Konzert-Café. Am alten Ort existierte das Café weiter bis 1915. Die Künstler jedoch zogen nicht in das neue Café um, es war das Ende des Cafés Größenwahn als literarischer Treffpunkt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Romanische Café an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zum neuen literarischen Zentrum Berlins.

1920 wurde in den ehemaligen Räumen des Cafés das „Kabarett Größenwahn“ eröffnet: Es hatte bis 1922 Bestand. 1932 eröffnete das Café Kranzler hier eine Filiale. Im April 1945 wurde das Gebäude zerstört.

Cafe Größenwahn Quelle: Zeitgenössische Karrikatur

Seit den 1970ern bis zum Abriss des Gebäudes 1998 gab es ein „Café des Westens“ im schräg gegenüber dem Kranzler liegenden Kudamm-Eck (Architekt: Werner Düttmann).“

Und hier bedarf es einer Ergänzung. Denn in meiner Klabund Biographie habe ich geschrieben: Im Dezemberheft 1921 des „Schall und Rauch“ verabschiedet sich Klabund mit dem Gedicht, „Elegie“ von der Programmzeitschrift und auch von diesem Kabarett. Die Hunde bellen – die Karawane zieht weiter. Und Klabund zog natürlich mit.

Nachfolger für die meisten Künstler wurde das „Cabaret Grö­ßenwahn“ – gegründet von Rosa Valetti, Ecke Joachimsthaler Straße/Kurfürstendamm. Und am 11. September 1921 eröffnete Tru­de Hesterberg die „Wilde Bühne“ im Keller des „Theaters des Westens“ in der Kantstraße.“

Rosa Valetti – eigentlich Rosa Alice Vallentin, geboren am 26. Januar 1876 in Berlin, gestorben am 10. Dezember 1937 in Wien, war Schauspielerin, Kabarettistin und Chansonnière.

Wikipedia schreibt:

„… Sie war die Tochter des Holzhändlers und Fabrikbesitzers Felix Vallentin und Schwester des Schauspielers Hermann Vallentin. Rosa Valetti sammelte ihre ersten Erfahrungen an Berliner Vorstadtbühnen, bevor sie – animiert durch die Novemberrevolution und durch die Begegnung mit Kurt Tucholsky – zum Kabarett ging. 1920 gründete sie das Kabarett „Größenwahn“ im Café Größenwahn, das zu einem der bedeutendsten, literarisch und politisch ambitioniertesten Kabaretts im Berlin der 1920er Jahre wurde. 1928 spielte sie bei der Uraufführung der Dreigroschenoper die Rolle der Frau Peachum.

Rosa Valetti Quelle: https://www.icp.org/browse/archive/objects/rosa-valetti

Ab 1911 erhielt Rosa Valetti auch Filmrollen. Die eher resolut wirkende Schauspielerin war meistens in Mutterrollen zu sehen, in dem Film „Die Prinzessin und der Geiger“ spielte die 46-jährige bereits eine Großmutter. In der berühmten Produktion „Der blaue Engel“ ist sie in der Rolle der Guste, der Ehefrau des Direktors und Zauberkünstlers (gespielt von Kurt Gerron), zu sehen. Neben Josef von Sternberg drehte sie auch mit anderen bekannten Filmregisseuren, sie spielte etwa die böse Haushälterin in Friedrich Wilhelm Murnaus „Tartüff“ und war in Fritz Langs Filmklassiker „M“ in einem Kurzauftritt als Wirtin zu sehen.

Das Komikerduo Siegfried Arno und Kurt Gerron 1931 bei einer Kochkunstausstellung Quelle: Von Bundesarchiv, Bild 102-11401 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5415321

1933 ging Rosa Valetti in die Emigration, es folgten Auftritte in Wien und in Prag, 1936 in Palästina. Sie heiratete 1899 in erster Ehe den aus Warschau stammenden Pianisten Edmund Hertz, deren Ehe 1906 geschieden wurde. In zweiter Ehe heiratete Rosa Valetti dann 1907 den aus Wien stammenden Journalisten Karl Singer. Später war sie in dritter Ehe mit dem Schauspieler Ludwig Roth verheiratet und hatte zusammen mit ihm eine Tochter, die Schauspielerin Lisl Valetti.

Hauptraum später Bassin für Nichtschwimmer 1908 Quelle: Wikipedia

Nach ihr ist die „Rosa-Valetti-Straße“ in Berlin-Mahlsdorf benannt.

Ihre Grabstätte befand sich bis 2001 im Urnenhain der Feuerhalle Simmering in Wien (Abteilung 6, Ring 3, Gruppe 8, Nummer 270).