Alfred Kerr

 

Alfred Kerr (1932) Quelle: Von Robert Sennecke (1885-1940) – Wikipedia

 Als Alfred Kempner wurde er am 25. Dezember 1867 in Breslau geboren und dort erlebte er auch seine Kindheit.

Seine Eltern waren der jüdische Weinhändler und Fabrikbesitzer Meyer Emanuel Kempner aus Wielun (1826–1900) und Helene, geb. Calé (1835–1911). Alfred Kempner hatte eine Schwester, Anna Kempner. 

Seit dem Jahr 1887 benutzte er für seine Publikationen den Namen Alfred Kerr und dieser wurde als offizielle Namensänderung gemäß Verfügung des Regierungspräsidenten zu Potsdam eingetragen.

In Breslau studierte Kerr Geschichte. Philosophie und Germanistik, 1887 wechselte er nach Berlin und studiert bei dem Wilhelm-Scherer-Schüler Erich Schmidt Germanistik und Philosophie.

Und 1894 schloss er das Studium mit der Promotion zum Dr. phil. in Halle ab. Seine Dissertation zum Dr. phil. wurde 1898 über die Jugenddichtung Clemens Brentanos unter dem Titel: „Godwi. Ein Kapitel deutscher Romantik“ veröffentlicht.

Alfred Kerr, porträtiert von Lovis Corinth (1907) Quelle: Wikipedia

Ab etwa 1891 – also schon während seines Studiums – schriebe er Theaterkritiken, für das „Magazin für Literatur“, die Vossische Zeitung, „die Neue Rundschau“, ab 1895 für die „Breslauer Zeitung“ („Berliner Briefe“) und ab 1897 für die Königsberger Allgemeine Zeitung und von 1900 bis 1919 „kritikte“ er für die Berliner Zeitung „Der Tag.

Im Jahr 1896 nimmt Alfred Kerr am Sozialistischen Weltkongress in London teil und in den Jahren 1897 – 1903 schreibt er Theaterkritiken für „Die Nation“.

Im Jahre 1911 wurde Kerr zunächst Mit- und von 1912 bis 1915 alleiniger Herausgeber der von Verleger Paul Cassirer wiedergegründeten Literaturzeitschrift „Pan“ und in dieser erschienen dann auch die drei „unzüchtigen Gedichte“ Klabunds – „Es hat ein Gott mich ausgekotzt“ – „Sie hat an ihrem Liebesmunde“ – und „Betrachtung“. 

Damit war Kerr einer der einflussreichsten deutschen Kritiker in der Zeit vom Naturalismus bis 1933. „Kerr sah in der Kritik eine eigene Kunstform und schuf dafür einen treffenden, geistreich-ironischen und oft absichtlich saloppen Stil“. (Wikipedia)

„Im „Pan“ veröffentlichte Kerr nicht nur künstlerische Werke, 1911 erschien ein Privatbrief des Berliner Polizeipräsidenten Traugott von Jagow an Cassirers Gattin Tilla Durieux. Wikipedia: „…1911 griff der Journalist Alfred Kerr in der Zeitschrift Pan Jagow in einer Retourkutsche für die diesem amtlich obliegende Zensur der Zeitschrift an: Er machte öffentlich, dass Jagow die Gattin von Kerrs Verleger Paul Cassirer, Tilla Durieux, bedrängt hatte. Nach anderen Angaben hatte der zeitlebens ledige Traugott von Jagow mit Tilla Durieux ein kleines Techtelmechtel, hinter das deren eifersüchtiger Gatte auf Grund eines abgefangenen Billets kam. Diese private Affäre wurde von allen Beteiligten gütlich beigelegt, und es hätte keine Notwendigkeit bestanden, öffentlich daran zu rühren. Doch Kerr machte aus einer rein privaten eine viel besprochene politische Affäre im Kaiserreich. Jagows weiterer dienstlicher Karriere tat der Vorfall keinen Abbruch.“

Und im gleichen Jahr geriet er erstmals mit dem Autor Karl Kraus aneinander, der ihm in „Der Fackel“ seine früheren chauvinistischen Kriegsgedichte vorgehalten hatte, nachdem Kerr sich in der Zwischenzeit zum Pazifismus bekannt hatte.

Alfred Kerr porträtiert von Moritz Coschell 1907 Von Mypeter500 – Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47217523

Alfred Kerr gehörte zu den Förderern von Henrik Ibsen und Gerhart Hauptmann und er war mit dem Politiker Walther Rathenau befreundet (geb. 29. September 1867 in Berlin; gest. 24. Juni 1922 in Berlin-Grunewald, ein deutscher Industrieller, Schriftsteller und liberaler Politiker (DDP). Er wurde als Reichsaußenminister Opfer eines politisch motivierten Attentats der Organisation Consul).

Kerr arbeitet nicht nur als Kritiker, 1917 erscheint die erste Reihe von Kerrs „Gesammelten Schriften“, „Die Welt im Drama“, in fünf Bänden. Publikation des Gedichtbandes „Die Harfe“. Alfred Kerrs Reisefeuilletons werden 1920 veröffentlicht unter dem Titel „Die Welt im Licht“ (Zweite Reihe der (Gesammelten Schriften“) und 1926 Veröffentlichung des Gedichtbands „Caprichos“.

In zweiter Ehe heiratete Kerr 1920 Julia Weißmann (1898–1965), das Paar hatte zwei Kinder, Michael Kerr (1921–2002), der in England der erste nicht in England geborene Richter am High Court wurde, und die Schriftstellerin und Künstlerin Judith Kerr (* 1923).

Julia Anna Franziska Weismann Quelle: https://www.geni.com/people/Julia-Anna-Kerr/6000000015907884463

Julia Anna Franziska Weismann, (geb. am 28. August 1898 in Wiesbaden gest. 1965) war eine deutsche Komponistin.

Nach der so genannten „Machtübernahme der NSDAP 1933 musste die Familie Kerr aus Deutschland emigrieren, dazu Wikipedia:

„…Nach einem Aufenthalt in der Schweiz zog die Familie Kerr nach Frankreich und ging 1935 nach England. In London musste Julia Kerr ihre in ärmlichen Verhältnissen lebende Familie mit kümmerlichen Sekretariatsarbeiten über Wasser halten. Als der Krieg zu Ende war, ging Julia Kerr als Dolmetscherin und Sekretärin zum Kriegsverbrecherprozess nach Nürnberg; Robert Kempner erwähnt sie in seinen Memoiren.

Wegen der Emigration konnte die Oper Chronoplan, die Julia Kerr komponiert und zu der ihr Mann das Libretto geschrieben hatte, nicht mehr aufgeführt werden. In dieser Oper ging es um eine Zeitmaschine, die George Bernard Shaw zu einer Begegnung mit Lord Byron verhelfen sollte. 1947 wurden die Pläne wieder aufgenommen.“

Neben Opern komponierte sie auch Lieder.

Wikipedia:

„… Von 1919 bis 1933 schrieb Kerr für das „Berliner Tageblatt“ und für die Frankfurter Zeitung. 1920 erschienen zwei Bände seiner Werke unter dem Titel „Die Welt im Licht“ weitere Bände folgten in den Jahren von 1923 bis 1925 (New York und London, O Spanien!, Yankee-Land). 1926 wurde der Gedichtband „Caprichos“ veröffentlicht. 1928 berichtete Kerr in dem von Joseph Chapiro herausgegebenen Band „Für Alfred Kerr. Ein Buch der Freundschaft“ von seiner Kindheit und Jugend.

1925 solidarisierte sich Kerr wie auch Bertolt Brecht, Max Brod, Kurt Pinthus und Alfred Wolfenstein mit Johannes R. Becher, dessen Gedichtband „Roter Marsch – Der Leichnam auf dem ThronDie Bombenflieger“ beschlagnahmt worden und für den Becher vorübergehend in Haft gekommen war.“

Johannes R. Becher war in der DDR Kultusminister und schrieb u.a. die Hymne der DDR: „Auferstanden aus Ruinen…“

Alfred Kerr 1905, Radierung von Hermann Struck Quelle: Wikipedia

Bis zum Sommer 1932 nahm Kerr in seinen Glossen für den Berliner Rundfunk Stellung gegen die NSDAP und am 10. Mai 1933 brannten seine Werke, welch eine Ehre! Am 13. Mai 1933 wurde er vom Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler auf die Liste der Autoren gesetzt, deren Werke „für das deutsche Ansehen als schädigend zu erachten“ seien.

Und letztendlich mit dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit, vom 14. Juli 1933, wurde er im August 1933 ausgebürgert und war auf der ersten Ausbürgerungsliste des Deutschen Reichs von 1933 aufgeführt.

Ab 1934 Exil in London. Seine Tochter Judith Kerr beschrieb später in ihren Büchern „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“, „Warten bis der Frieden kommt“ und „Eine Art Familientreffen“ die Flucht aus Deutschland und das Leben im Exil.

Wikipedia:

„… Im Exil schrieb Alfred Kerr für die von den Exilanten neu gegründeten Zeitungen Pariser Tageblatt und „Pariser Tageszeitung“ sowie für „Le Figaro“, „Le Temps“ und „Les Nouvelles Littéraires“, ab 1939 auch für die jüdische Wochenzeitung „Aufbau“ in New York.

Von den polizeilichen Überwachungs- und Repressionsorganen in Berlin als gefährlicher Staatsfeind eingeschätzt wurde Kerr im Frühjahr 1940 vom Reichssicherheitshauptamt auf die Sonderfahndungsliste G.B. gesetzt, ein Verzeichnis von Personen, die nach einer erfolgreichen Invasion und Besetzung der britischen Insel durch die deutsche Wehrmacht aufgrund ihrer besonderen Gefährlichkeit oder Verhasstheit in den Augen der SS- und Gestapoführung automatisch und vorrangig von Sonderkommandos ausfindig gemacht und verhaftet werden sollten.“

Propagandaminister Joseph Goebbels soll Kerr gehasst haben.

Im Jahre 1938 gründete sich der Freie Deutsche Kulturbund“, Alfred Kerr war einer der Mitbegründer und von 1941 bis 1946 war er Präsident des Deutschen P.E.N.-Club im Exil in London, von 1946 bis zu seinem Tod dessen Ehrenpräsident.

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1945 arbeitete Kerr für die deutschen Tageszeitungen Die Welt und Die Neue Zeitung. 1947 verlieh man ihm die britische Staatsbürgerschaft.

Während einer Vortragsreise 1948 spottete er über sein fortgeschrittenes Alter und seinen Tod: „Man stirbt einen Tod und weiß nicht welchen, vielleicht ein schmuckes Schlaganfällchen.“ Und tatsächlich bekam er diesen bei einer Theateraufführung, danach beendete er sein Leben mit einer Überdosis Schlaftabletten.

Alfred Kerr starb am 12. Oktober 1948 in Hamburg. Begraben wurde er auf dem Friedhof Ohlsdorf, einem der schönsten und sicher der größten Friedhöfe Europas. Dort liegt auch ein großer Teil meiner Verwandtschaft, das Grab ist zu finden in der Lage „Z21-217“.

Kerrs Stil kann ich nicht beschreiben, aber das haben andere getan, bei Wikipedia:

„… Im Unterschied zu Maximilian Harden und Karl Kraus, die sich kategorisch der Phrase verweigerten, dominiert in den Kerrschen Essays – wie später bei Kurt Tucholsky – ein Nominalstil, zu dessen wichtigsten Merkmalen der knappe, auf viele konkrete Fälle anwendbare, also sentenzenhafte Sinnspruch bzw. die Verwendung einprägsamer Aperçus gehört. Er verwendete dialektale bzw. umgangssprachliche Formulierungen wie Berlinismen oder fremdsprachliche wie niederdeutsche Wendungen, prägte suggestive Formeln und näherte seine geschriebene der gesprochenen Rede an. Daneben dominieren Dialektismen, fremdsprachliche Redewendungen, Substantivierungen, Vergleiche, ein parataktischer Satzbau, Ellipsen, filmähnliche „Montagetechnik“, fiktive Dialoge, die Anrede des Lesers, ja bisweilen gar die Anrede des Autors in einer Rezension. Das Resultat der komprimierten Verwendung all dieser Stilmittel ist eine Art Telegrammstil, weshalb Bernhard Diebold die Texte Kerrs auch als „literarische Stenogramme“ bezeichnete.

Daneben ist Kerr ein Meister des Sarkasmus, wobei er in seinen Kritiken bisweilen gar Sprachfehler imitiert, um so die „Kinderplumpheiten“ eines Werkes zu unterstreichen. Zu Franz Werfels Bearbeitung von Euripides’ Werk „Die Troerinnen“ etwa schrieb er durchaus boshaft: „Hier kann einer bloß ausrufen: O selig, ein Tind noch zu sein. Deht der Dichter ßpatzieren? Atta, atta!“

Auch Kerrs 1902 veröffentlichte Polemik „Herr Sudermann, der Di…Di…Dichter“ basiert auf diesem Prinzip. Kerrs knappen und sarkastischen Witz bezeugt auch seine Rezension über das Erstlingswerk des sehr jungen Robert A. Stemmle, bestehend aus nur einem einzigen Satz: „Wacker, wacker, kleiner Kacker!“

Berliner Gedenktafel in Berlin-Grunewald Quelle: Von Doris Antony, Berlin – photo taken by Doris Antony, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=4607091

 Günther Rühle entdeckte und veröffentlichte 1997 die in der „Breslauer Zeitung“ um die Jahrhundertwende geschriebenen „Berliner Briefe“ („Wo liegt Berlin?“) und die führten zu Alfred Kerrs Neuentdeckung. Im Literarischen Quartett verkündete Marcel Reich-Ranicki damals: „Die Geschichte des deutschen Feuilletons muss nach diesem Buch neu geschrieben werden.“

Wieluń am 2. September 1939 Quelle: Wikipedia

Übrigens, Wikipedia schreibt über die Stadt Wielun:

„…Wieluń, (deutsch Welun, älter auch Vielin) ist eine Stadt in Polen. Sie ist Sitz des Powiat Wieluński in der Woiwodschaft Łódź und liegt am Rande des Karstgebietes Wyżyna Wieluńska.

Die Stadt wurde zu Beginn des Zweiten Weltkrieges als eine der ersten bombardiert und durch deutsche Sturzkampfbomber weitgehend zerstört.

Während des Krieges und der Besetzung Polens wurde die Stadt 1940 in Welun, ein Jahr darauf in Welungen und 1942 wieder in Welun umbenannt. Sie fungierte zudem bis 1945 als Sitz des deutschen Landkreises Welun im Reichsgau Wartheland. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erhielt sie ihren ursprünglichen Namen wieder.

Am frühen Morgen des 1. September 1939 wurde Wieluń – noch vor der offiziellen deutschen Kriegserklärung – durch deutsche Sturzkampfbomber angegriffen und bombardiert. Es handelt sich offenbar um das erste Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Der Angriff begann laut Zeitzeugen gegen 4:37 Uhr, laut deutscher Einsatzmeldung eine Stunde später. Die erste Angriffswelle machte das Krankenhaus der Stadt dem Erdboden gleich. Die völlig überraschten Einwohner wurden aus Bordwaffen gezielt beschossen. Bei insgesamt drei Bombenangriffen im Lauf des Tages starben bis zu 1.200 der damals etwa 16.000 Einwohner. Die Gebäude der Stadt wurden zu 70 Prozent und der Ortskern durch Brände zu 90 Prozent zerstört.“