Alfred (Fredi) Georg Hermann Henschke – Der „Politiker“?

Und eine Antwort ist eine Notiz über sich selbst, die Klabund 1916 in einem Verlagsprospekt gibt: „Er ist ein Träumer der Tat und ein Revolutionär der Seele.“

Wie nähert man sich einem Verwandten, wenn man seine „politischen Ansichten“ ergründen will? Denn es ist sicher aufgefallen, meine „Bewunderung“ für Fredi beruht darauf, dass mir sein Wandel vom Befürworter dieses unsäglichen Krieges zu einem konsequenten Gegner besonders wichtig ist und seine „Menschenfreundlichkeit“.

Klabund hat eine ganze Menge hinterlassen, aus dem ich eine „Gesinnung“ oder eine politische Meinung ablesen kann. Und natürlich hat auch ihn die Herkunft und der so genannte „Zeitgeist“ geprägt. Also fange ich an bei dem „jungen Henschke“ an, seinem Elternhaus und der Stadt, aus dem er kam.

Aber einen Satz voraus: Im Gegensatz zu Gottfried Benn und anderen hat Fredi immer nur positiv über das Elternhaus und Crossen geschrieben, hauptsächlich der Vater hat also an den Sohn viel von seiner liberalen Einstellung weitegegeben, oder besser geschrieben, an die Söhne.

Crossen war zur damaligen Zeit eine Garnisonsstadt – eine Beamten- und Handwerkerstadt und ab 1893 bis zum altershalben Ausscheiden des Vaters aus sämtlichen Ämtern 1933 sozusagen „Henschke-Stadt“. Den Einfluss des Apothekers Dr. Henschke habe ich schon beschrieben, aber er hatte eine maßgebliche Reihe gleichgesinnter und die bildeten „bürgerliche“ und liberale Wählergruppen, denen Antisemitismus fremd war. Einzige Partei in der Stadt war die SPD und diese verfügte über einen Stimmenanteil zwischen 15% und 25%.

Und auch die evangelische Kirche spielte eine maßgebliche Rolle in Crossen, so wurde nach der Gründung der beiden Glaubensrichtungen – „bekennende Kirche“ und „Deutsche Christen“ in Crossen trotz heftigem Widerstand die Stellungnahme der „Bekennenden“ in der Stadt verlesen.

Niemand in der Familie war Mitglied einer Partei und auch Klabund sympathisierte zwar mit den Linken in der Weimarer Republik, aber auch er trat nie in eine Partei ein – das Erbe des Vaters also?

Aber es gab sehr wohl Überlegungen von Fredi, sich einer Partei anzuschließen. In einem Brief an Max Heberle schreibt er am 12. März 1920:

„…Lieber Vater,

Ihr macht Euch übrigens fesch heraus, Ihr Passauer: alle Achtung: Handgranaten, Bomben, Gummiknüppel: das sind doch kein leerer Wahn. Was in den letzten 14 Tagen allein die entfesselte Soldateska geleistet hat: ist unglaublich. Die Reaktion marschiert nicht: sondern sie ist da. Und bis Ungarn sind nur noch ein paar Schritte.

Die Ereignisse machen mich recht nach­denklich, und ich gehe mit mir schwanger, ob ich nicht doch, trotz aller prinzipiellen Unterschiede, der USPD oder der KPD beitreten soll: nur um gegen die Reaktion in Reih und Glied zu stehn. (…) – Gestern las ich mit großem Erfolg im Lessingbund Braunschweig. Seid beide umarmt von Euerem Fred“

Auf der Seite der Stadt Braunschweig ist zu lesen:

„…Der Lessingbund entstand mitten im Ersten Weltkrieg aus einer Arbeitsgemeinschaft zur Förderung des geistigen Lebens in Braunschweig. Initiator war der 25-jährige Dr. Hermann Grußendorf, Journalist und Regisseur am Hoftheater.

Um eine Brücke zwischen Tradition und Moderne zu schlagen, veranstaltete der Lessingbund zahlreiche Dichterlesungen, z. B. von Carl Hauptmann und Heinrich Mann, ferner Kammermusik-Konzerte mit klassischen und zeitgenössischen Werken, Aufführungen von August Strindbergs Drama Scheiterhaufen, Vorträge und Ausstellungen mit Werken von Götz von Seckendorff und deutschen Spätimpressionisten, die sich in Paris kennengelernt hatten. Die Reaktionen im Braunschweiger Publikum und in der Presse waren heftig! Sie spiegeln die politische Entwicklung im Krieg, in der Revolution und im Freistaat.“

Und eine dieser Parteien hat er auch gewählt. In einem Brief an Irene Heberle schreibt er:

„… Liebe Mutter,

ich wollte Euch heut antelefonieren, da hieß es: Passau gestört! Ihr werdet doch nicht: entweder eine Rätemonarchie oder eine Wittelsbacherrepublik „ausgerufen“ haben! Ich komme Sonntag mit dem Schnellzug Nürnberg-Passau (ich weiß nicht, wann er geht). Ich lese noch am Samstag hier. Ich fühle mich sehr wohl. (…)

Zu meinem fürchterlichen Entsetzen fällt mir eben ein, dass ich die Hauptsache der ganzen Reise vergessen habe: um dessentwillen ich eigentlich fuhr: ich vergaß – die Nationalversammlungsmarken mitzubringen … ich weiß nicht, ob ich dem Vater unter die Augen treten darf… Übrigens bitte ich den Vater, dass er mich in die Wählerlisten einzeichnen lässt, damit ich wählen kann. (USP oder KPD: der Mord an Paasche, diese bestialische Scheußlichkeit hat mich wieder ganz in Rage gebracht.) Dass Ihr mit diesen Hunden ein Bündnis abgeschlossen habt in Bayern, Ihr Demokraten mit diesen autokratischen Metzgern, das las ich gestern und glaubte es kaum. Die Demokratische Partei hat mit ihrem Anschluss an die Mittelpartei ihr Daseinsrecht verwirkt. Sie soll und muss krepieren.“

Am 6. Juni 1920 fanden Wahlen zum Reichstag statt, der dann an die Stelle der Nationalversammlung trat, daher musste Klabund in eine Wählerliste eingetragen sein.

Aus Wikipedia:

„… Hans Paasche (geboren am 3. April 1881 in Rostock, gestorben am 21. Mai 1920 auf Gut Waldfrieden im Netzekreis, Verwaltungsbezirk Grenzmark Westpreußen-Posen), war ein deutscher Marineoffizier, Pazifist und Schriftsteller. (…)

1918 gehörte er für einige Wochen dem Vollzugsrat der Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin an. Im Mai 1920 wurde er, erst 39 Jahre alt, staatsanwaltschaftlich gedeckt als „Zusammentreffen nicht voraussehbarer unglücklicher Umstände“, von Angehörigen des „Reichswehr-Schutzregimentes“ 4 aus Deutsch Krone auf seinem abgelegenen Gut straflos ermordet.“

Hans Paasche gehörte zeitweise auch zum Umfeld von Gusto Gräser – ein Portrait ist unter “ABC…XYZ“ zu finden.

Ab dem Frühjahr 1911 erscheinen Klabunds erste Veröffentlichungen, z.B. die schon erwähnten Gedichte in der Zeitschrift „Pan“ – Herausgeber Alfred Kerr – wider die Spießigkeit des Kaiserreiches.

Aber bereits in München ist für Klabund die Richtung klar, in einem Brief an Walter Heinrich schreibt er am 25. Juni 1911:

„…Zum zweiten: Hoffent­lich scheint Ihnen diese Bitte nicht aufdringlich: Sie gehen doch jetzt nach München. Könnten Sie nicht beim „Simpl“, da Sie doch sicher Beziehungen haben, mal antippen, ob er nicht eine oder die andere Novelle von mir bringen kann? Natürlich nur, wenn es Ihnen nicht contre cceur geht und Sie meine Novel­len für anständig genug halten. — Der „Simpl“ ist doch beinah der einzige Weg für mich, in die Litera­tur zu gelangen. Vielleicht werden Sie diese meine „Eile“, in die Literatur zu gelangen, missbilligen oder falsch deuten. Soll er doch erst ausreifen! Wozu die Hast — oder dieser Ehrgeiz, sich gedruckt zu se­hen! So ganz gewöhnlicher Ehrgeiz ist es doch nicht (auf meinen Namen kommt es mir nicht an, meinetwegen kann sonst was drunter stehn) — ich will nur eine Garantie haben, einen Rückhalt an mir selbst, wenn ich vor den andern stehe — da ich nicht voraus­sehe, wohin mein Schiff die nächsten Jahre schau­kelt. Das mit dem Oberlehrer oder Doktor: wenn ich mit meinem Vater oder mit Ihnen darüber rede, dann ist es mir selbst sonnenklar; Du musst irgendetwas machen, auf den Kopf gefallen bist Du doch nicht, sei nicht so schlapp. Und vor mir selbst, allein, (ich bin 99 % meiner Zeit ganz allein, das tut auch manches dazu!) komm‘ ich nicht ins Reine: Du bist eben doch auf den Kopf gefallen — dazu, sag ich mir oft genug (ist das nur bloße Faulheit?) — Deshalb will ich auch den „Peter“ bis zum Winter fertig ma­chen (ist er dann nichts, wird er nie was.) Ich habe Sie noch nie gefragt; heute möcht ich’s: bitte, glau­ben Sie, dass ich ein anständiger literarischer Cha­rakter bin oder werde?“

Während seiner ersten Münchner Zeit lernt Klabund Erich Mühsam kennen, an Walter Heinrich schreibt er am 30. Dezember 1912:

„… ein gutes neues Jahr! Ich bin in München geblieben und diesmal gar nicht nach Hause gefahren. Um nicht in schwierige Dialoge verwickelt zu werden und auch, weil ich arbeiten wollte. (…)

— Hier verkehre ich jetzt in den „ersten literarischen Kreisen“. Den Weihnachtsabend habe ich mit Müh­sam zusammen bei Halbe verbracht. Halbe ist ein entzückender Mensch — und erzählen kann er, besser als er schreibt — aber seine Tochter ist noch entzückender. Er verehrte mir, ich empfand das wohltuend unliterarisch, da ich schon die dicke Tat des Dietrich Stobäus über meinem Haupte schweben sah, eine Gänseleberpastete und eine Flasche Danziger Gold.—

Ich verdiene jetzt rasende Gelder mit meinen Ver­sen! den November allein 70 Mark! Aber ich komm‘ doch nicht aus. Und kein Schwein will eine Novelle. Ich finde das sehr merkwürdig“.

(Max Halbe, geboren am 4. Oktober 1865 in Güttland (heute poln.: Koźliny) bei Danzig; gestorben am 30. November 1944 in Neuötting, war ein deutscher Schriftsteller. Er gehörte zu den wichtigen Exponenten des deutschen Naturalismus.)

28.09.1913

Der Embryot

Ein junger Mann und Patriot
Verdingte sich als Embryot.
Dies ist ein köstlicher Beruf,
den er erst ganz aus sich erschuf.

Da ja die Ziffer der Geburt
Nach der Statistik rückwärts schnurrt:
Um jeder Weiterung zu steuern,
Ließ er als Embryo sich heuern.

Wie manche Frau, sonst kinderlos,
Stieß ihn entzückt aus ihrem Schoß!
Als Fritz, als Klaus, als Franz, als Hans
Steht er im Buch des Standesamts.

Die Wirkung dieses Jünglings war
In höchstem Maße wunderbar.
Es zeigen der Statistik Blätter
Ihn als des Vaterlandes Retter.

Die Zeit bis zum ersten Weltkrieg? Provokation, Überzeugung? Bestimmt beides, denn die Studienzeit in München und sein Umgang in München und Berlin haben ihn – den „Crossener“ – „aufmüpfiger“ gemacht. „Der Muff unter den Talaren“ der 68, er ist vergleichbar.

Das Jahr 1914, Ausbruch eines erneuten Krieges, kurz sollte er werden, bis Weihnachten waren alle wieder daheim und der „Erzfeind“ erneut geschlagen.

Und Klabund? Er will unbedingt dabei sein und als er vom Tode des Neffen von Walter Heinrich erfährt, lässt ihn das nur kurz innehalten, genauso, wie die freiwillige Meldung seines Bruders Hans, der verwundet wird.

Und endlich das Jahr 1917 – im Februar reist er mit Brunhilde Heberle nach Monti und endlich kommt die „Wandlung“ – auch schon beschrieben.

Dietrich Nummert schreibt dazu:

„… Seit diesem Wandel flossen Verse gegen Militarismus und Nationalismus aus seiner Feder: „Vater ist auch dabei“, „Regenschirmparaden“. Und es waren bös treffende Verse, etwa im „Lied der Zeitfreiwilligen“:

„Laßt die Maschinengewehre streichen!
Ins Kabuff.
Immer feste druff.
Unsere Anatomie braucht Leichen.“ –

Klabund sprach die schmerzhaft sich formenden Erkenntnisse unzähliger Deutscher aus, gab ihnen Stimme.“

Am 3. Juni 1917 erscheint in der „Neuen Züricher Zeitung“ (NZZ) sein Brief an den deutschen Kaiser mit der Aufforderung, zurück zu treten.

Etwas naiv, dieser Brief? Sicher und bereits am 11. Juni erscheint die Antwort eines „Auslanddeutschen in derselben Zeitung:

„… Ihr Brief stammt, das zeigt der Ton, sicher aus dem guten Willen heraus, nicht nur dem deutschen Volk, sondern auch der Menschheit zu helfen, und ich kann Ihre Auf­fassung, dass auf dem Gebiet unserer inneren Politik manches geändert werden müsse, im Prinzip durchaus teilen. (…) Aber hören wir eine amerikanische Stimme selbst, was sie zu sagen hat, nämlich die „World“. (…) Also, Herr Klabund,. Sie sehen, eine „Abtretung“ von Gebieten fordert man in Wirklichkeit, nicht die Einführung einer Reform im Innern! (…) Und Sie schreiben: „dass alle Machtideen Schiffbruch erlitten hätten.“ „Macht“ ist eben kein „tönerner Götze“, sonst hätten die West­mächte es nicht fertigbringen können, Russland nochmal in den Krieg zu treiben, trotz der Erklärung des offiziellen Deutsch­lands, dass die neue Regierung in Russland nichts von uns zu befürchten habe.“

Einen Defätisten nennen ihn die „nationalen Kreise“, die Angriffe anlässlich eines Besuches in Passau durch die dortige Presse habe ich beschrieben und auch die Reaktionen aus Crossen.

Guido von Kaulla schreibt:

„… Klabund teilt bald Irene mit: er bedauere nicht, den Brief geschrieben, aber – ihn jetzt veröffentlicht zu haben; er sehe, dass der Brief falsch oder gar nicht wirke. Aber er wirke in näch­ster Nähe.

In einer Zeitungsbesprechung von „Kriegsbüchern“ (1917) schwärmt Klabund u.a.: „Ludwig Rubiner lässt sein „Himmlisches Licht“ (Kurt Wolff Verlag) über Europa leuch­ten. „Rubiner, nicht gesonnen, sich den publizistischen Wind aus den Segeln nehmen zu lassen, lässt im Berner „Zeitecho“ ein recht irdisches Licht über dem unerwünschten neuen Revolutionskollegen leuchten: „Dichter Klabund druckt zu Kriegsbe­ginn: (…) Italiens Kriegsbeginn: (…) Russlands Revolution: Klabund druckt in einer Schweizer Zeitung einen Brief an den deutschen Kaiser; demokratisch – „Schattenkaiser, bitte Refor­men!“ Ob Klabund gleichzeitig in deutschen Blättern die Rus­sen verhöhnt, steht nicht fest. (…) Wir wissen, dass die Konjunk­turbuben nur auf die nächste Gelegenheit lauern, sich beliebt zu machen.“

In einem Brief an Rubiner beweist ihm Klabund, dass alle Unterstellungen des langen Briefes nicht den Tat­sachen entsprechen; und er entgegnet u. a., dass es auch Chau­vinisten der Gesinnung gäbe: Ludwig Rubiner sei einer von ihnen. Wenn er (Klabund) gefehlt habe, so liege seine Schuld in einer früheren schwächlichen Gefühlspolitik dem Kriege ge­genüber. Er habe resigniert – sei aber niemals für den Krieg als Krieg eingetreten. Er (Rubiner) möge den unerträglichen gei­stigen Hochmut ablegen, als hätten er und seinesgleichen die Gesinnung gepachtet; als sei es Konjunkturphilosophie, sich im Laufe von drei Jahren zu entwickeln und vielleicht gar ähn­licher Meinung zu werden wie er. Rubiner schlägt noch einmal zu: „Ihr wollt es nicht gewesen sein, ihr Geistesmetzger vom August 1914. (…): auch jetzt noch bangt ihr um das Geschäft. Aber (…) die Gemeinschaft der Zukunft wird (…) keine Kletteraffen mehr brauchen.“

Trotz alledem, meint Kurt Wafner „Es gehörte schon eine Portion Mut dazu, in der Zeit der Völkerverhetzung zum Frieden, zur Menschheitsverbrüderung aufzurufen, selbst wenn diese Töne ihr Ziel verfehlten“.

Und weiter: „Unwillen befiel Klabund, weil er sich hat vom Kriegsgeschrei be­tören lassen. Und Scham. Davon zeugt die im Juni 1917 verfasste „Bußpredigt“. Sie macht seine Wandlung besonders augenfällig. Darin heißt es:

„Wir schwiegen vor den Krieglingen aller Länder, die es heute noch gibt; ihnen kann man nicht ins Gewissen reden, denn sie haben keines. Aber ihr, die ihr, wie ich, längst erweckt seid – erwacht von einem üblen Traum, der wie ein Alp euch drückte – bekennt, aus fal­scher Scham bisher nur schweigend, dass dieser Traum ein Trugbild war … Schwört ab dem Taumel 1914! … Ein rasender Protest gegen den kriegerischen Gedanken und das kriegerische System in der gan­zen Welt tut Not.“

Klabunds Vertrauenswürdigkeit war in der Schweizer Szene selbst nicht ungeteilt, insbesondere in den Kreisen der Züricher Dadaisten. Beeinflussen wird das Klabund wenig, in einem Brief an Walter Heinrich schreibt er aus Basel am 17. Dezember 1917:

„… Lieber Herr Heinrich, ich lebe zur Zeit in Basel. Mein äußerst altmodisch eingerichtetes kleines Zimmer geht auf den Rhein hinaus. Den ganzen Tag und die ganze Nacht don­nern die Kanonen vom Elsass. Manchmal klirren die Fenster und man meint in der Front zu stehen. Ich friere den ganzen Tag. Das macht die verdammte Kohlennot. Nicht desto weniger habe ich die letzte Zeit in Locarno — nach Weihnachten kehre ich wie­der in den Tessin zurück — und hier in Basel viel und vieles getan. Platonische Dialoge über Politik und Dichtung skizziert. (Ich bin durchaus nicht für ihre Identität: wie die allerjüngste Mode es dartun will). Ein lyrisches Portrait des Francois Villon gezeichnet. Einen „Nero“ (in Prosa) begonnen. Viele dramatische Skizzen und Experimente, davon ausge­führt: „Silvius oder der Mondsüchtige“:, ein Schauspiel (in 16 Bildern). Fast fertig: „Der Rebell“, eine chine­sische Komödie. Tacitus und Suetonius, Biographie der römischen Kaiser, haben mich stark beschäftigt. Sie haben mich in meiner pessimistischen Anschau­ung vom Ausgang dieses Krieges nur bekräftigt. Wenn auf dem Unterbau der freien römischen Re­publik: dieses grauenhaft groteske Gebäude der römischen Kaiserzeit möglich war: diese dunkelste und ungeklärteste Episode der menschlichen Geschichte — dunkel trotz reichhaltigster Quellen so ist eben in dieser Welt alles möglich. Aller Fortschritt er­scheint vor solchem Hintergründe als phrasenhafter Bluff. Die These: Der Mensch ist gut — wird fast zur Blasphemie. —

Die Entente, soviel scheint mir sicher, krepiert. Ganz folgerichtigerweise: an einem Denkfehler. Die Idee Wilsons vorm Kongress im Winter (Januar) 1917 war der Höhepunkt der Ententepolitik. Von da ab geht’s, zuerst nicht sichtbar, abwärts. Der aus militärischen Gründen beinah vollzogene Verrat an der russischen Revolution (Kornilow!), Stockholm, die Hetze Clemenceaus gegen Caillaux — von dem ich Ihnen, falls ich in Deutschland wäre, einiges erzäh­len könnte — die Rede Lord Georges, Asquiths, die Föhnstimmung in der italienischen Kammer: alle beweisen sie, dass die Entente vor dem Umsturz steht: aus keinem andern Grunde, als weil sie es nicht vermocht hat, ihre Ideen in Tatsachen umzu­setzen. Das Komische ist jetzt, dass die Zentralmäch­te die ursprünglichen Ideen der Entente — gegen die Entente zu verteidigen scheinen. (Im Übrigen wis­sen Sie meine Meinung über das Dynastische: die graue Wolke vor der deutschen Sonne.)“

Und am 22. Januar ebenfalls an Heinrich:

„… Lieber Herr Heinrich, ich freue mich immer, wenn Sie schreiben: Dank für Ihre Zeilen. Ich bin den letzten Monat von den fürchterlichsten Aufregungen heimgesucht worden, und Sie können sich denken (oder nicht denken) in was für Stimmung ich zuweilen bin. Es brauchte ein Buch, Ihnen meine Erlebnisse etwa während der Kriegszeit in der Schweiz zu erzählen. Sollte ich ein­mal dazu kommen, meine Memoiren zu schreiben, so wird das sicher mein interessantestes Werk wer­den — ebenso interessant für den Leser – wie aufreibend für den Autor, da er sie „erlebte“. Ich habe Wind gesät und Sturm geerntet, der mich aber nicht fortfegen soll. Ich stehe fest auf meinen zwei Beinen – Davos, Zürich, Locarno, Lugano, Basel — haben mich kennen (wenn auch nicht erkennen) lernen. Eine Wolke von Hass schwebt immer über meinem Haupte. Ich würde mein Privatleben nicht halb so wichtig nehmen — zwänge mich nicht die Außenwelt dazu. In Davos hat man es so weit gebracht, dass wenig fehlte, und man hätte eine Protestversammlung gegen mein Dasein einberufen. Es gibt sowieso viele Pensionen in Davos, die mich nicht mehr aufneh­men. Wenn Sie sich meiner erinnern, so wird Ihnen schwerlich ein Teufelskopf mit Hörnern aufsteigen, als welchen man mich aber sieht. Ruinierte Familien, verratene Freunde, ausgelöschte Mädchen, in Brand gesteckte Häuser — bezeichnen meinen Weg (on dit). Neugierig sehe ich hin und wieder in den Spiegel, aber ich entdecke nichts von alledem, nur ein leiden­des Kindergesicht.

„Vilon“, „Die Nachtwandler“, „Eulenspiegel“ liegen jetzt bei Reiß. Über letzteren würde ich gern Ihre Ansicht hören. Eine technische Frage: Sie halten es doch für völlig einwandfrei, wenn ich Legenden und Anekdoten aus dem Volk in einem solchen Volksbuch derartig verwende, wie ich es getan habe? Ich habe gewichtige Anwälte: Goethe (Brief an Kestner über Clavigo) und Shakespeare (Caesar usw.) — die es nicht anders hielten, von Boccaccio gar nicht zu re­den. Wie denken Sie? Der „Eulenspiegel“ ist mein Buch: trotz dieser Entlehnungen. (Ich habe auch aus meinen Crossener Geschichten dreimal Anleihen ge­macht.) Übrigens bin ich auch in Literatenkreisen, z.B. Zürichs, der bestgehasste Mann. Ich will nicht kolportieren, was die (ein Wort unleserlich) Gesinnungsapostel, dieses Gesindel, über mich ver­breiten. Der Bogen ist zu Ende. Und der Brief mag mit allen herzlichen Wünschen an Sie ausklingen. Immer Ihr Klabund.

Die deutschen Militärdiktatoren v. Hindenburg und Ludendorff rufen im Frühjahr 1917 den „totalen U-Bootkrieg“ aus und am 6. April 1917 erklärten die USA dem Deutschen Reich den Krieg, das wird ab Frühsommer 1918 an der Westfront die militärische Kriegsentscheidung herbeiführen. 

Über das Kriegsende schreibt Wikipedia:

„… Russlands Ausscheiden aus dem Kriegsgeschehen nach dem Separatfrieden mit den Bolschewiki ermöglichte zwar die letztlich erfolglose Deutsche Frühjahrsoffensive 1918. Die Versorgungsmängel durch die britische Seeblockade, der Zusammenbruch der Verbündeten und die Entwicklung an der Westfront während der alliierten Hunderttageoffensive führten jedoch zur Einschätzung der deutschen Militärführung, dass die deutsche Front unhaltbar geworden war. Am 29. September 1918 informierte die Oberste Heeresleitung entgegen allen bisherigen Verlautbarungen den Deutschen Kaiser und die Regierung über die aussichtslose militärische Lage des Heeres und forderte durch Erich Ludendorff ultimativ die Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen. Am 4./5. Oktober 1918 ersuchte Reichskanzler Max von Baden die Alliierten um einen Waffenstillstand.“

 Endlich, am 11. November 1918 endet dieser unmenschliche und völlig sinnlose Krieg. Klabund ist nach seiner Hochzeit mit Brunhilde Heberle in Monti und Davos und diese kurze Ehe – die mit dem Tod der Ehefrau in Locarno am 30.10.1918 und dem der Tochter am 17.02.1919 endet – habe ich bereits beschrieben.

Er schreibt am 15. Oktober 1918 an Walter Heinrich:

„… Es geht uns nicht so gut, wie Sie anzunehmen schei­nen. (…)

Meine Arbeit — ich hatte den Roman der proletari­schen Revolution, in die Jahrhunderte zurückverlegt, zu schreiben begonnen — stockt natürlich. Der „Eulenspiegel“ ist inzwischen ausgedruckt. (Sie haben vielleicht schon ein Exemplar?) — Ich bin über die Wendung in Deutschland (welch eine Wendung* durch Gottes Fügung! — Sie kennen das alte Hohenzollernwort?) beglückt, wenngleich ich bisher nur Worte sehe. Aber erst Taten werden die neue Regierung legitimieren: Amnestie, Verfas­sungsänderung, Neuwahl des Reichstages. Des Deut­schen Moral hat in der Welt seit Brest jeden Kredit verloren. Sie erinnern sich meines offenen Briefes vom 3. Juni vergangenen Jahres? Ich habe Mal für Mal recht gehabt — und behalten. Aber damals siegte man ja fortwährend, und niemand ahnte die Kata­strophe. Meine Thesen wurden verdächtigt, verhöhnt und verlacht.

Ich werde meine politischen Aufsätze sammeln in einem kleinen Buch! Ich hoffe, wir sehen uns im Frühling in Deutschland. Schönsten Gruß Ihr Klabund.“

In diese Zeit fällt der kaum bekannte und ebenfalls in der NZZ publizierte „Appell an Wilson“ vom 23. Oktober 1918, der am 25. Oktober in der NZZ erschien. Klabund forderte in diesem nun Gerechtigkeit gegen das deutsche Volk und den Verzicht auf extreme Bedingungen.

Appell an Wilson Von Klabund 

Wilhelm II. ist seiner Zeit nicht gerecht geworden. Sie wird über ihn hinweg zu ihrem Ziele schreiten. Jetzt ist Wilsons Stunde gekommen. Die schwerste Verantwortung, die je auf einem Menschen lastete, ist heute auf seine Schultern gelegt. In seiner Hand liegt es, den Himmel auf die Hölle der Erde herabzurufen, die Menschen in Engel zu verwandeln, den ewigen Frieden als glückliche Gegenwart, glücklichste Zukunft zu beschwören. Er streiche von seiner Stirn die Wolken, die der europäische Kontinent schickt, sie zu verdunkeln und seinen Blick zu trüben. Das deutsche Volk ist aufgestanden, es ist im Begriff, seine klirrenden Ketten abzuwerfen, zum ersten Mal in neu errunge­ner Freiheit die ewig jungen Glieder zu dehnen. Wilson wird seine ganze geistige und sittliche Kraft aufbieten müs­sen, zu verhindern, dass man aufs neue es in Fesseln schlage, dass blinder Chauvinismus und taube Rachsucht seine besten Absichten zu Schimpf und Schanden machen. Er lasse ein irregeleitetes, aber edles Volk nicht büßen und entgelten, was eine skrupellose tyrannische Regierung an ihm und der Welt fehlte. Er entferne sich vom Standpunkt der Kapitula­tion auf Gnade und Ungnade, die seine Note vom 15. Okto­ber zu fordern scheint. Sie ist geeignet, ein stolzes unbesieg­tes Volk (denn Völker sind nicht zu besiegen: nur Staaten, nur Regierungen) zum Verzweiflungskampf empor zu reißen, wenn es sieht, dass sein Gegner zwar alle Garantien fordert, die geringsten aber selber zu geben nicht gesonnen ist. Der Unterseebootkrieg soll unverzüglich eingestellt werden: als eine der Vorbedingungen des Waffenstillstandes: übernimmt aber England als Gegenverpflichtung die Einstellung der Hungerblockade? Das deutsche Volk soll die Waffen niederlegen und die offene, unbewehrte Brust einem fürchter­lichen Feinde bieten, — der sich aber seinerseits zu einer Einstellung des Kampfes nicht verpflichtet hat und jederzeit die Hand zum Todesstoß erheben kann? Der tönerne Götze der deutschen Autokratie ist von seinem Sockel gestürzt, und keine Macht der Welt wird seine gänz­liche Zertrümmerung mehr aufhalten. Noch ist das deut­sche Volk erst halb erwacht, wie ein Kind, das sich den Schlaf aus den Wimpern reibt. Man gebe ihm Zeit zum völligen Erwachen: sobald es klar sehen wird, wird es unerbittliche Musterung unter den Schuldigen halten. Als Wilson dem deutschen Militarismus den Kampf ansagte, da forderte er Gewalt gegen ihn: Gewalt, Gewalt bis zum äußersten.

Der deutsche Militarismus liegt am Boden. Jetzt muss es heißen: Gerechtigkeit gegen das deutsche Volk, Gerechtig­keit, Gerechtigkeit bis zum Äußersten! Nach beiden Seiten müssen Wilsons erhabene Prinzipien mit der gleichen Gerechtigkeit angewandt und verwirklicht werden – soll nicht Deutschland, soll nicht die Welt zugrunde gehen. Schon melden sich die Hyänen des Schlachtfeldes, und ihr heiseres Gebrüll erschüttert die Nacht.

Wilson besteht auf Volksabstimmung in Elsass-Lothringen und den von den Polen beanspruchten Provinzen des deut­schen Reiches. Er lasse nicht zu, dass an Stelle einer polni­schen eine deutsche Irredenta im Osten aufflammt, die nicht weniger an Kraft besitzen würde als jene. Ist es Wilson be­kannt, dass in dem von den Polen beanspruchten Danzig ganze zwei Prozent Polen leben — gegen achtundneunzig Prozent Deutsche?

Wilsons innerpolitische Forderungen begegnen sich mit de­nen der jungen deutschen Demokratie.

Der Feind der deutschen Demokratie ist der Entente Imperialismus. – Wird sie in Wilson den erhofften Bundesgenossen finden, der sie gegen die Exekution schützt, die die Clemeneisten wie gegen einen Verbrecher gegen das deutsche Volk in Szene setzen wollen?

Das deutsche Volk ist nicht besser und nicht schlechter als andere Völker. 

Die Ablehnung eines weit entgegen kommenden Friedensangebotes, extreme Waffenstillstandsbedingungen werden zu nichts anderem führen als erst in Deutschland, danach in ganz Europa die proletarische Revolution zu entfachen. Und in der Tat: „würde das demokratische Bürgertum, das sich in Wilson am reinsten verkörpert, vor der heutigen Lage versagen, so wäre damit der offene Bankerott des bürgerlich­ demokratischen Ideals erklärt“. Es hätte sich gegen die impe­rialistisch-kapitalistischen Anfechtungen machtlos und seine Unfähigkeit zur Realisierung seiner hohen Ideen bewiesen. Für die proletarische Demokratie wäre der Weg zur Welt frei. Zu welchem Ende: ob zu einem guten oder einem schlechten: dies bleibe dahingestellt.

Vom 21. April bis 21. Dezember 2018 veranstaltete der „Lebuser Heimatverein“ eine Ausstellung, der Titel: „Lebus vor 100 Jahren – Ende des Ersten Weltkrieges –  Der Kriegsgegner Klabund und seine Wurzeln in Lebus“ 

Auszüge der Vorankündigung:

„… Die Ausstellung informiert über das Leben in der Kleinstadt Lebus während des 1. Weltkrieges. Im Zentrum steht das Jahr 1918 mit seinen Umbrüchen und Turbulenzen.

Alfred Klabund (Alfred Georg Hermann Henschke), Enkel des Lebuser Apothekers Hermann Henschke wurde im Verlaufe des Ersten Weltkrieges ein konsequenter Gegner des Krieges. In einem offenen Brief an Kaiser Wil­helm II. forderte er seine Beendigung.

Viele Entwicklungen sah Klabund offenbar voraus. Im Oktober schrieb er einen offenen Brief an den ameri­kanischen Präsidenten Wilson, wo er einen ausgewogenen und gerechten Friedensschluss anmahnte. Leider ist im Versailler Vertrag das Gegenteil geschehen, ein Grund für den Erfolg der Nazis, deren Machtübernahme 1933 die Katastrophe des 20. Jahrhunderts komplett machte.

In dieser Ausstellung soll über das Leben und Wirken von Alfred Klabund berichtet werden und an die Zeit in Lebus vor 100 Jahren erinnern.“

„Klabund steht dem politischen Geschehen zwei­felnd gegenüber. Noch sitzt er in der friedlichen Schweiz und ist auf Nachrichten angewiesen“, schreibt Matthias Wegner und weiter:

„… Er vermag sich von den Einzelheiten der deutschen Revolutionswirren kein ge­naues Bild zu machen, aber sein Herz schlägt ohne Ansehen ideologischer Standorte für die beteiligten Dichter. Seine Position gegenüber dem Sozialismus ist ebenso unbestimmt distanziert wie die gegenüber den liberalen Demokraten. Konkrete Politik jenseits von Moral und Gerechtigkeitssinn ist seine Sache nicht, und für die utopischen Parolen aus Mos­kau hat er wenig übrig. Später, am 7. Juni 1919, wird er an die nach Bamberg ausgewichene bayrische Regierung Hoffmann ein Telegramm schicken, das seine politische Naivität ebenso belegt wie seine lautere Menschlichkeit: „Keiner Par­tei zugehörig protestiere ich aus Gründen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit empört gegen die Hinrichtung Levines“.

Über den KPD-Politiker Eugen Levine schreibt Wikipedia:

„… Eugen Leviné (geboren am 10. Mai 1883 in Sankt Petersburg, gestorben am 5. Juni 1919 in München) war ein Revolutionär und KPD-Politiker. Als solcher hatte er prägenden Einfluss auf die zweite Phase der Münchner Räterepublik im April 1919.

Eugen Leviné wurde 1883 in St. Petersburg als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters übersiedelte seine Mutter mit ihrem drei Jahre alten Sohn ins Deutsche Reich. Die Familie wohnte in Wiesbaden und Mannheim.

Während des Jura-Studiums ab 1903 in Heidelberg und 1904/05 in Berlin kam Leviné in Kontakt mit linken russischen Emigranten. Im September 1905 kehrte er zur revolutionären Agitation nach Russland zurück. Als Teilnehmer der russischen Revolution von 1905 wurde er dort 1906 und erneut 1908 verhaftet und schwer misshandelt.

1908 wurde Leviné von seiner Mutter freigekauft und konnte 1909 nach Deutschland zurückkehren. Er studierte Nationalökonomie und promovierte in Heidelberg mit einer Arbeit über „Typen und Etappen in der Entwicklung gewerkschaftlich organisierter Arbeiter“ zum Dr. phil. Noch 1909 wurde er Mitglied der SPD, 1913 badischer Staatsbürger. Er heiratete 1915 in Heidelberg die ebenfalls in Russland geborene Rosa Broido (1890–1979) und rettete sie damit aus der „Schutzhaft“, in die sie nach Kriegsbeginn als russische Staatsbürgerin genommen worden war. 1916 wurde ihr gemeinsamer Sohn geboren.

Während des Ersten Weltkriegs war Leviné als Dolmetscher in einem Kriegsgefangenenlager tätig und wurde anschließend zum Heer eingezogen, 1916 aber aus medizinischen Gründen wieder entlassen. Er schloss sich der USPD an und gehörte zu den Begründern des Spartakusbundes. Im Herbst 1918 reiste Leviné als Redner durch das Ruhrgebiet und wurde von Essener Arbeitern zum Reichsrätekongress delegiert. Ferner nahm er am Gründungsparteitag der KPD teil, auf dem er sich gegen eine Beteiligung an der Nationalversammlung aussprach. Anfang 1919 zählte er zum Führungspersonal der Partei.

Von der Berliner KPD-Zentrale wurde Leviné Mitte März 1919 nach München geschickt. Dort hatte sich nach dem Mord an Ministerpräsident Kurt Eisner die Stimmung radikalisiert, die Ausrufung einer Räterepublik stand bevor. Leviné sollte die Führung der Münchner KPD und die Redaktion der Parteizeitung „Münchner Rote Fahne“ übernehmen.

Im April 1919 wurde Leviné nach dem von Rotgardisten vereitelten, gegen die Räteregierung gerichteten Palmsonntagsputsch Anführer der zweiten, kommunistischen Münchner Räterepublik. Nach der blutigen Niederschlagung der Revolution in München am 2. Mai tauchte er zunächst unter, wurde aber am 13. Mai verhaftet und Anfang Juni in München vor Gericht gestellt. Aus seiner Verteidigungsrede vor Gericht stammt der bekannte Satz: „Wir Kommunisten sind alle Tote auf Urlaub.“ Am 3. Juni 1919 wurde er wegen Hochverrat zum Tode verurteilt und am folgenden Tag im Gefängnis Stadelheim erschossen.

Als Schlusswort nach Levinés Verurteilung ist der Satz überliefert: „Wir haben alle versucht, nach bestem Wissen und Gewissen unsere Pflicht zu tun gegen die Inter­nationale, die kommunistische Weltrevolution.“

Außerhalb von Parteien zu agieren, sei seine Position – beschreibt Matthias Wegner so:

„…Seine Ent­schlossenheit, mit den Mitteln der Dichtung — und nur mit diesen — in die politischen Geschehnisse einzugreifen, hat neue Schubkraft erhalten. Dabei ist er alles andere als ein Egozentriker. Er ist an seiner Mitwelt geradezu brennend in­teressiert und beansprucht in der neuen Republik einen Platz unter den Dichtern, die mit der Welt von gestern gebrochen haben. Und er lässt sich „von nichts abbringen, was ich als richtig erkannt habe. Ich habe mich auch durch Not nicht von meinen Plänen ablenken lassen … ich war immer sehr sicher meiner selbst.“ Selbstmitleid oder gar das Kokettieren mit der eigenen Schwäche sucht man bei Alfred Henschke vergebens.“

Es waren aufgewühlte Tage für Fredi und Kurt Wafner schreibt:

„… Im Jahr 1919 wütete der konterrevolutionäre Terror der Freikorps ­und der Noske-Truppen besonders stark. Am 15. Januar brachten Freischärler Rosa Luxemburg, und Karl Liebknecht um; am 21. Februar streckten sie den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner mit drei Schüssen in den Hinterkopf nieder; am 1. Mai wurde Gustav Landauer, anarchistischer Schriftsteller und Beauftragter für Volksaufklärung, bestialisch ermordet.“

Nochmal zurück zum Gefängnisaufenthalt – Anonym erscheinen in einer Wiener Zeitung diese Zeilen: „Ein Rohling von Transportführer sagte, man hätte „diesen roten Halunken auf der Fahrt einfach verlieren müssen, hoffentlich bekäme er sein Teil in Nürnberg.“

Und Guido von Kaulla beschreibt die Situation während des Gefängnisaufenthaltes von Klabund so: „Eine aufgepeitschte Sol­dateska hätte damals dem „roten Klabund“ das Schicksal Gustav Landauers bereitet, wenn nicht ein vernünftiger Offizier auf Grund der energischen Intervention für den wirklich unschul­digen Dichter auf Schritt und Tritt seine Sicherheit verbürgt hätte.“

Über Gustav Landauer aus Wikipedia:

„… Gustav Landauer (geboren am 7. April 1870 in Karlsruhe; gestorben am 2. Mai 1919 in München-Stadelheim) war ein deutscher sozialistischer Schriftsteller. Er vertrat unter Einfluss Peter Kropotkins den kommunistischen Anarchismus und war Pazifist (vgl. auch Anarchopazifismus). Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war er einer der wichtigsten Theoretiker und Aktivisten dieser Ideologie im deutschen Kaiserreich.

Als Kriegsgegner stand Landauer von Anfang an in Opposition zum Ersten Weltkrieg (1914–1918). Während der revolutionären Ereignisse zum Ende des Krieges und unmittelbar danach war er an einflussreicher Stelle an der Münchner Räterepublik im April 1919 beteiligt. Nach deren gewaltsamer Niederschlagung wurde er von antirepublikanischen Freikorps-Soldaten in der Haft ermordet.“

Zu den wichtigen Gegnern der jungen Republik zählte Oswald Arnold Gottfried Spengler, Wikipedia schreibt:

„…Oswald Arnold Gottfried Spengler (geboren am 29. Mai 1880 in Blankenburg am Harz, gestorben am 8, Mai 1926 in München), war ein deutscher Geschichtsphilosoph, Kulturhistoriker und demokratieskeptischer politischer Schriftsteller.

Als politischer Schriftsteller brachte Spengler seine antidemokratische Gesinnung in kleineren Schriften zum Ausdruck. Er hoffte, dass der Weimarer Republik durch einen Diktator ein Ende gesetzt werde, der imstande sei, die großen innen- und vor allem außenpolitischen Herausforderungen in einem Zeitalter der „Vernichtungskriege“, das er in seinem „Untergang des Abendlandes“ prophezeit hatte, erfolgreich zu bewältigen.

Spengler wird zur nationalistischen und antidemokratischen „Konservativen Revolution“ gerechnet, lehnte aber den Nationalsozialismus und namentlich dessen Rassenideologie ab. Sein Ideal sah er eher in Benito Mussolini verwirklicht, dem Diktator des faschistischen Italiens.

Gegen ihn protestiert 1920 Klabund in der Weltbühne – 1922 schließt er sich dem „Bund neues Vaterland“ an, einer betont pazifistischen Vereinigung und letztendlich opponiert er erneut in der „Weltbühne“ 1924 „gegen Ver­leger, die Autoren bei der Mark-Stabilisierung prellen, und gegen den Außenminister Stresemann, der leichtfertig das Ver­halten von Deutschen im Ausland verunglimpft. Er protestiert wider das Zuchthaus-Urteil gegen Fechenbach, den ehemaligen Sekretär von Eisner: „Der Schriftsteller Fechenbach ist von einem unzuständigen Gericht wegen eines nicht begangenen Verbrechens, das selbst im Falle der Begehung verjährt gewe­sen wäre, mit einer ungeheuerlichen Strafe belegt worden, ohne dass ihm das Rechtsmittel der Appellation oder der Revision zur Verfügung stünde.“ (…) – Der (damals noch) rechtsorien­tierte Redakteur H. G. Brenner bezeichnet Klabund einmal als „Individualitätstrottel“ Keine schlechte Bezeichnung für einen Mann, der nicht auf „Zivilcourage“ zugunsten aalglatter Cleverness verzichten will -: nicht zugunsten von Weltklugheit auf Anstand – und damit auf Würde, schreibt Guido von Kaulla.

Der Bund Neues Vaterland“

Aus Wikipedia:

„… war die bedeutendste deutsche pazifistische Vereinigung im Ersten Weltkrieg und wurde am 16. November 1914 gegründet. Er ging aus dem seit Anfang Oktober 1914 bestehenden, von Lilli Jannasch geleiteten, Verlag „Neues Vaterland“ hervor und hatte seinen Sitz in Berlin (Tauentzienstraße Nr. 9). Vorsitzende des Bundes waren Kurt von Tepper-Laski und Georg Graf von Arco. Zu den Mitbegründerinnen gehörte Elisabeth Rotten.

Der Bund versuchte während des Krieges durch persönliche Kontaktaufnahme seiner Mitglieder mit Regierungsvertretern sowie mit internationalen Friedensorganisationen für den schnellen Abschluss eines Friedens zu wirken. Er verschickte entsprechende Denkschriften an einen ausgewählten Kreis. Von Januar bis Mitte März 1915 publizierte der Bund hektographierte Mitteilungen, die von den Militärbehörden verboten wurden. Ab September 1918 erschienen sie wieder in neuer Folge. Ferner wurden, bis zum Verbot 1915, im Rahmen einer Publikationsreihe sechs Broschüren veröffentlicht. In seiner „Kritischen Denkschrift an den Reichskanzler“ vom 20. Juni 1915 gegen die Annexionseingabe der sechs Wirtschaftsverbände vom 20. Mai 1915 nahm der Bund am klarsten Stellung gegen den Krieg und mögliche Annexionen. Im Bund wurden Themen wie die Stärkung der deutschen Demokratie, die Rolle des Parlaments und die Modernisierung des Wahlrechts diskutiert.

In seinen Satzungen stellte sich der Bund die Aufgabe, „die Diplomatie der europäischen Staaten mit dem Gedanken des friedlichen Wettbewerbs (…) zu erfüllen und eine politische und wirtschaftliche Verständigung zwischen den Kulturvölkern herbeizuführen“. Am 7. Februar 1916 untersagte das Oberkommando in den Marken auf Grund des Belagerungszustandes dem Bund für die Dauer des Krieges jede weitere Betätigung. Lilli Jannasch, die als Geschäftsführerin des Bundes wirkte, wurde am 31. März 1916 verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen. Am 8. Juni 1916 wurde in kleinem Rahmen eine Ersatzgruppe unter dem Namen „Vereinigung Gleichgesinnter“ gegründet. Das Betätigungsverbot für den Bund wurde erst im Oktober 1918 aufgehoben.

Ende 1918 gab sich der Bund ein neues Grundsatzprogramm, in dem es hieß: „Der Bund Neues Vaterland ist eine Vereinigung, um ohne Verpflichtung auf ein bestimmtes Parteiprogramm an dem Aufbau der deutschen sozialistischen Republik auf demokratischer Grundlage und darüber hinaus an dem großen Werke der Völkerverständigung mitzuarbeiten.“ In den folgenden Jahren kam es zur Freundschaft mit der Französischen Liga für Menschenrechte. Unter ihrem Einfluss benannte sich der Bund am 20. Januar 1922 in „Deutsche Liga für Menschenrechte“ um und wurde mitbegründende Organisation der „Fédération internationale des ligues des droits de l’Homme“. 

Die Mitgliederzahl betrug bis 1922 etwa 200 und stieg danach auf über 1.000 an. Mitglieder des Bundes waren u. a. Albert Einstein, Ernst Reuter, Leopold von Wiese, Kurt Eisner, Hellmut von Gerlach, , Stefan Zweig, Harry Graf Kessler, Clara Zetkin, Hans Delbrück.

Die Deutsche Liga für Menschenrechte besteht auch heute noch, sie hat seit 1961 ihren Sitz in München und ist mit der Internationalen Liga für Menschenrechte, Sitz Berlin, nicht identisch.“

Aus Wikipedia:

„… Kurt von Tepper-Laski (* 8. August 1850 in Stabelwitz, Kreis Breslau; † 5. Februar 1931 in Berlin) war ein deutscher Offizier, Sportreiter, Schriftsteller, Journalist und Pazifist.

Als Rittmeister im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ausgezeichnet, nahm er aus Protest seinen Abschied, als er wegen seiner Weigerung, eine Wache vor einer jungen Prinzessin strammstehen zu lassen, strafversetzt werden sollte. Künftig engagierte er sich für die deutsch-französische Verständigung und den 1900 mit Bruno Wille und Wilhelm Bölsche gegründeten Giordano Bruno-Bund. 1906 unterstützte er die Gründung des Deutschen Monistenbundes (DMB). 1913 finanzierte er ein Treffen deutscher und französischer Journalisten in Brüssel. 1914 beteiligte er sich an der Gründung des Bundes Neues Vaterland, der sich gegen die Kriegspolitik des Kaiserreichs stellte und übernahm dessen Vorsitz.

Er sprach sich, einen europäischen Krieg voraussehend, für einen Sturz der Hohenzollernmonarchie und die Gründung einer sozialdemokratischen Republik aus, dachte angesichts der Kriegskreditebewilligung des Reichstages vom 4. August 1914 sogar an Selbstmord. Auf der Konferenz europäischer Pazifisten in Den Haag im April 1915 scheiterte er zusammen mit Walther Schücking mit seinen diplomatischen Bemühungen, Friedensverhandlungen mit England aufzunehmen. Im November 1915 wurde Tepper-Laski wegen Landesverrats angeklagt.

1919 zog sich Tepper-Laski aus gesundheitlichen Gründen aus der Politik zurück.

Aus Wikipedia:

„… Elisabeth Friederike Rotten (* 15. Februar 1882 in Berlin; † 2. Mai 1964 in London) war eine deutsche Reformpädagogin und Friedensaktivistin.“

Antisemitismus

Am Sonntag fällt ein kleines Wort im Dom,
Am Montag rollt es wachsend durch die Gasse,
Am Dienstag spricht man schon vom Rassenhasse,
Am Mittwoch rauscht und raschelt es: Pogrom

Am Donnerstag weiß man es ganz bestimmt:
Die Juden sind an Russlands Elend schuldig!
Wir waren nur bis dato zu geduldig.
(Worauf man einige Schlucke Wodka nimmt…)

Der Freitag bringt die rituelle Leiche,
Man stößt den Juden Flüche in die Rippen
Mit festen Messern, dass sie rückwärts kippen.
Die Frauen wirft man in diverse Teiche.

Am Samstag liest man in der „guten“ Presse:
Die kleine Rauferei sei schon behoben,
Man müsse Gott und die Regierung loben …
(Denn andernfalls kriegt man eins in die Fresse.)

„Wenn das meine jüdische Großmutter wüsste!“, lautete einer der „Lieblingssprüche“, den Klabund immer dann benützte, wenn es um den für ihn völlig unverständlichen Antisemitismus ging. Matthias Wegner schreibt:

„… Klabund verweist in seiner Empörung über den Antisemitis­mus auf russische, nicht auf deutsche Verhältnisse. (…) hat er, der Freund vieler jüdischer Zeitgenossen, voller Abscheu registriert, dass dieses Gift auch im Deutschland der Weima­rer Republik seine nachhaltige Wirkung entfaltet.“

In seiner „Geschichte der Weltliteratur in einer Stunde“ meint Klabund in einem Kapitel „Juden und Christen“:

„Unsere heutigen An­tisemiten und Judenfresser, die altdeutschen Bramarbasse, wissen gar nicht, wie sehr sie gerade … Juden sind.“ Christus habe Jahwe, dem Gott der Rache, den Garaus gemacht, in­dem er auf indische Vorstellungen von der Menschenliebe zurückgegriffen habe, aber die Antisemiten hätten daraus noch immer nichts gelernt.“

Matthias Wegner:

„… Allzu konkrete Einmischungen in das tägliche politische Geschehen meidet Klabund. Das unterscheidet ihn von den meisten anderen seiner Dichter und Brettl-Freunde. Klabund hat nicht den überscharfen Blick Walter Mehrings, der mit stoischer Wachsamkeit und zunehmender Verzweiflung die Unterhöhlung der Demo­kratie und den Antisemitismus an sehr genauen Beobach­tungen seiner Umwelt festmacht. Klabund zählt, trotz seiner bissigen Arbeiten für das Kabarett, nicht zum Kreis der poli­tischen Kritiker um Tucholsky und von Ossietzky.“

Und Evelyne von Beyme schreibt:

„… Stetig präsent blieben Klabunds Anklagen gegen Krieg und Antisemitismus sowie die Darstellung des proletarischen Elends in seinen Gedichten („Die Harfenjule“, 1927).“

Und nochmal Matthias Wegner:

„… Der plebejische Häft­ling in Landsberg ist ihm ebenso ein Gräuel wie alles verstockt Konservative. Aber auch zu den Verfechtern der Lin­ken hält er Distanz. Mit Karoline Neher teilt er die Vorliebe für eine radikale Liberalität der Sitten und Gesinnungen. Er wird es bis an das Ende seines kurzen Lebens so halten.“

Klabund hat genug getan, um bei der politischen Rechten eine Reizfigur zu werden, „Kaiser Wilhelm Brief“, seine angeblichen Verstrickungen in und um die „Münchner Räterepublik“, und seine Freundschaft mit Erich Mühsam, wie die zu so vielen anderen jüdischen Künstlern, nicht zu vergessen seine respektlose satirische Kabarett-Arbeit, es reichte zu der Feststellung: „In der „Neuen Zürcher Zeitung“ hat man mich antisemitisch angepöbelt … man glaubte, ich sei ein Jude … ausgerechnet ich“ Bei der Uraufführung seines Stückes „Die Nachtwandler“ am 7. Mai 1920 in Hannover reagieren Teile des Publikums in seiner Anwesenheit mit Krawallen und Parolen wie „Nieder mit den Juden“. „Es zeichnet Klabund aus, dass er den Antisemitismus in Gedichten und Stellungnahmen aufs Schärfste bekämpft hat“, schreibt Guido von Kaulla.

An Irene Heberle schreibt er am 4. Februar 1920:

„… Liebe Mutter,

– In der „Neuen Zürcher Zeitung“ bin ich als »Jude« (!!!) attackiert worden: so was! Der Antisemitismus ist eine nette Sache, wenn er sich gegen Nicht Juden richtet. –

Zurück zur „jüdischen Großmutter“ und die verursacht nicht nur im Elternhaus in den 30 er Jahren einigen Ärger, obwohl es sie nie gegeben hat, sondern auch Fredi wird „sozusagen posthum in die Ecke gestellt, in der er sich sicher ganz wohl gefühlt hätte. Denn einer dieser braunen „Schmierfinken“ ordnet ihn wider besseres Wissen dort ein, wo „literarische Schmutzfinken“ hingehören.

Guido von Kaulla schreibt dazu:

„… Der deutsch-völkische Literarhistoriker Alfred Bartels hatte 1922 in seinem Buch „Die deutsche Dichtung von Hebbel bis zur Gegenwart“ Klabund den jüdischen Schriftstellern zuge­ordnet. Weil er seit den rüden Versen im „Pan“ bei der anti­semitischen literarischen Rechten als eine Art literarischer Schmutzfink eingestuft wird. Klabund protestiert.

Daraufhin Bartels korrigierend: „Er hat immerhin eine jüdische Groß­mutter“. Doch Dr. Henschke versicherte dem Biographen: man müsse schon bis Adam und Eva zurückgehen, um Bartels Mei­nung begründet zu finden. Und diese Meinung (Tucholsky formuliert das in der linksradikalen „Weltbühne“) „stammt übrigens lustiger weise von einer Lieblingsredensart des Dichters, der in seiner christlichen Arglosigkeit zu sagen pflegt: „Wenn das meine jüdische Großmutter wüsste!“ -.

An Zuträgern, etwa aus dem von Klabund in Berlin bevorzugten „Russischen Cafe“ in der Nürnberger Straße, kann es nicht gefehlt haben. Als die durch knallfredisches allzu naives Blödeln entstandene jüdische Großmutter von ihm bei Bartels widerlegt wird, ändert Bartels in: „Die jüdische Großmutter, die er sich einmal zuge­legt hatte, hat er dann wieder bestritten.“

Bartels will aber weiter Vorbehalte anbringen. 1928 schreibt er – und nimmt auch Bezug auf Kürschners Literaturlexikon – im Teil „Die neueste Zeit“ seiner Literaturgeschichte: „Eine Sonderstellung nimmt Alfred Henschke, der sich Klabund nennt, (…) ein, der in Verbindung mit Kerrs „Pan“ einmal in einen Gotteslästerungsprozess geriet. Er schrieb (…) und während des Kriegs „Klabunds Soldatenlieder“ (1914) und noch allerlei Kriegerisches, das nicht mehr im Kürschner steht. (…) „Der Kreidekreis“, (…) dass man ihm seinen Erfolg denn wohl gönnen kann. (…) „Litaipe“ (…) auf dessen Übertragungen Karl Florenz Anspruch erhob.“

Keineswegs – denn Florenz (nota-bene Japanologe, nicht Sinologe) erboste sich über die Hand­lungsveränderung gegenüber der Vorlage bei „Kirschblütenfest“, ähnlich, wie Dr. Kurth sich über die O-sen-Umcharakterisierung ärgerte.

Und Guido von Kaulla weiter:

„… Die Vokabel „jüdisch“ taucht zuweilen auch bei Henschke-Klabund auf. 1910 lässt er im „Tagebuch eines Knaben“ er­zählen: der erste Herr im Geschäft seines Vaters (Apotheke) sei Jude, aber er möge ihn sehr gern.

Jude – aber ohne jedes „aber“, ist auch Julius Gebhardt. Als 1912 mit dem „Condor“ die erste Anthologie frühexpressionistischer Lyrik vorliegt, glossiert Fredi bei Unus, dass in dem lyrischen Angebot überwiegend Juden vertreten seien.

Im „Josua“-Roman verficht Klaus Tomischil (in dem Züge von Erich Mühsam zu erkennen sind) die Ansicht: „Der Antisemitismus, wie ihn die Politik gezeitigt hat, ist eine große Unwahrheit. Er richtet sich gar nicht gegen das Judentum an sich, sondern gegen das Judentum als Geldmacht, also als Träger der materialistischen Weltanschauung. Man gibt ihn bloß nicht zu: den blassen Neid. (…) In fünfzig Jahren gibt es in Deutschland keine Juden mehr, wenn man ihnen möglichst schnell und plötzlich die bürgerliche Gleichberechtigung mit den Deutschen verleiht.“

In der „Literaturgeschichte“ sagt Klabund unter anderem: „Ein Wort hier über das typisch Deutsche und das typisch Jüdische in der heutigen deutsch­sprachigen Dichtung. (…) Die Quintessenz dieses Lebens liegt im Sein schlechthin, die Quintessenz jenes Lebens im Wollen.“ Und: (Jahwe) -: „Er ist der Gott der Rache, (…) und unsere heutigen Antisemiten und Judenfresser, die alldeutschen Bra­marbasse, wissen gar nicht, wie sehr sie gerade… Juden sind, (…) Er (Jahwe) kennt keine Toleranz: wie sind die holländischen orthodoxen Juden mit dem größten Juden, der nach Christus ge­lebt, mit Baruch Spinoza umgegangen!“

Klabund schätzt Franz Werfel sehr hoch ein: die Lyrik bis 1919 – denn als Epiker steht Werfel damals erst am Anfang. Heine – „deutscher Jude, geistig handelnd“. Und „zum Thema Antisemitismus“ berichtet er nach dem Blutsturz aus dem Sanatorium Anfang 1921: die, die sich wirklich nobel gezeigt hätten, seien fast alle Juden. Niemals hat Klabund denn auch — weder privat noch öffentlich – in diesen Dingen jene prononciert prochronistisch national­sozialistische Einstellung wie etwa der nachmalige aktive Kom­munist Johannes R. Becher, der in seinem autobiographischen Roman „Abschied“ von einem Mitschüler immer nur per „Jüdchen“ spricht.

In der „Weltbühne“ schreibt „Ignaz Wrobel“ und der war Kurt Tucholsky, am 23, März 1922 über Adolf Bartels:

„… Man verstehe mich nicht falsch. Die Tatsache, dass Bartels ein Gegner der Juden ist, scheint mir noch kein Hindernis für die Möglichkeit, eine gute Literaturgeschichte zu schreiben, und ich kann mir sehr wohl denken, dass es durchaus lohnend und fesselnd zugleich wäre, die Rolle der Juden in der deutschen Literatur antisemitisch oder philosemitisch oder unvoreingenommen aufzuzeigen.

Was an Adolf Bartels reizt und ihn zum Clown der derzeitigen deutschen Literatur werden lässt, ist seine Unbildung, seine Leichtfertigkeit und eine Oberflächlichkeit, die eigentlich ganz undeutsch ist. Wenn er nicht einen so erbärmlichen Stil schriebe, könnte man auf einen rumänischen Halbwissenschaftler tippen, der die falsch verstandenen Forschungsergebnisse der Pariser Universität vor den staunenden Landsleuten, flüchtig und schlecht gruppiert, ausbreitet.

Die Judenriecherei dieses Mannes darf grotesk genannt werden. Ohne sich über die sehr verzwickte Problematik des Juden auszulassen, unterstellt er, primitiv und kenntnislos, den Unwert jedes Juden und fertigt wertvolle Schriftsteller mit der Konstatierung ihrer jüdischen Abstammung ab, ein Verfahren, das man den chauvins und dem Sir Bottomley mit Recht verargt, wenn sie auf boches und huns fahnden.

(…) Die deutsche Revolution vom neunten November 1918 ist, wie jetzt feststeht, von den Unabhängigen Sozialdemokraten unter größtenteils jüdischer Führung mit russischem Gelde gemacht worden. Das steht jetzt fest, nachdem die am Leben gebliebenen geschlagenen Führer Zeit und Luft gewonnen haben, solche Unwahrheiten zu ihrer Entschuldigung drucken zu lassen. Auf ähnlicher Höhe bewegen sich alle allgemeinen und politischen Ausführungen. Gustav Landauer, zum Beispiel, ist nicht einfach bei der Münchner Revolution „umgekommen“, sondern von Leuten in Stücke geschlagen worden, die, wenn sie lesen könnten, Herrn Bartels läsen.

Das Allerlustigste aber ist, dass dieser Hakenkreuzpolichinell seinen leicht angekümmelten Antisemitismus nur im Verlag Haessel, dem man dies nicht vergessen soll, froh in die Winde brüllt.“

Den Aufstieg der „Rechten“ habe er falsch eingeschätzt, meint Guido von Kaulla und da hat er recht – obwohl – Fredi befand sich in „allerbester Gesellschaft“ – Kaulla schreibt:

„…- das würde er bei längerem Leben als Fehleinschätzung der politisch treibenden Kraft der Hitler-Bewegung erkannt haben. Die politische Sprengkraft des dort tätigen Antisemitismus hat auch er nicht gespürt. Ebenso wenig wie das Beherrschen der Technik der Machtausübung bei den Bürgerkriegshandlungen der Zeit von 1918 bis 1921 und bei den sogenannten Fememorden. Noch 1925 glaubt er, dass ironisches Widerlegen der Thesen der „Deutsch-Völkischen“ sie politisch in Schach halten könne.“

Ein gutes Beispiel dieser Fehleinschätzung ist Fredis Reaktion auf den Angriff der „Nationalsozialistischen Freiheitspartei“ (NSPAP), die ihn der Gotteslästerung zieh, als er 1925 das Gedicht „Die heiligen drei Könige“ veröffentlichte.

Dazu Guido von Kaulla:

„… Deren Landtagsabgeordnete hatten ihn der Gotteslästerung ge­ziehen wegen einiger drastischer Verse, die sich, genau besehen, auf einen Brauch am Heiligendreikönigstag beziehen. Klabund antwortete da u. a.: „- eines wird immer erst am anderen, an seinem Gegensatz recht sichtbar. Wie ja auch die National­sozialistische Freiheitspartei notwendig ist, damit man sieht, dass es auch gescheite Leute auf der Welt gibt.“

In der Weltbühne erschien ein „offener Brief“ an diese „Herren des reinen Germanentums“.

Offener Brief an die nationalsozialistische Freiheitspartei Deutschlands

Meine Herren!

Sie erweisen mir die Ehre, sich in einem Antrag mit meiner bescheidenen Person zu beschäftigen. Ein Gedicht von mir: „Die Heiligen Drei Könige“ hat, so erklären Sie, Ihr religiöses Gefühl verletzt, und Sie rufen gegen dieses Gedicht, Kanonen gegen einen Sperling, den Staatsanwalt auf. Ich bin, so darf ich wohl sagen: entzückt, dass es in dieser stumpfen, dumpfen Zeit noch Menschen gibt, die durch ein Gedicht, ein Kunst­werk also, im tiefsten Herzen erregt und erschüttert werden.

Die Aufgabe der Kunst ist ja grade, die Seele zu bewegen und aufzuwühlen. Zu bewegen, wie der Wind die Blüte be­wegt. Aufzuwühlen, wie der Sturm das Meer aufwühlt. Wäh­rend der heutige Mensch allen möglichen mechanischen Rei­zen wie Radio, Rassenhass, Boxsport, Theosophie, Weltkrieg und Jazz leicht zugänglich ist, verhärtet und verkrustet sich sein Inneres immer mehr, und es muss schon allerlei gesche­hen, bis er vor einem Kunstwerk, positiv oder negativ einge­stellt, sich elektrisch oder explosiv entlädt.

Was also, meine Herren von der Reaktion, Ihre Reaktion auf mein Gedicht betrifft, so bin ich durch sie sehr beglückt. Was aber nun die Fol­gerungen angeht, die Sie aus Ihrem erregten Zustand zu zie­hen belieben, so muss ich vor allem meiner höchsten Verwun­derung darüber Ausdruck geben, dass Sie, meine Herren vom Hakenkreuz, in deren Reihen dem altgermanischen Wodans­kult das Wort geredet wird, für die das Paradies in Mecklen­burg liegt und die sich über den schlappen Christusglauben so oft offenkundig lustig gemacht haben – dass Sie, meine Her­ren Heiden, die allenfalls für Wodanslästerung zuständig wä­ren, dass ausgerechnet Sie für den von Ihnen immer über die Achsel angesehenen Christengott eintreten und über Gottes­lästerung wehklagen.

Und was ist das für eine „Gottesläste­rung“? Ich kann in dem fraglichen, inkriminierten Gedicht weit und breit keine Gotteslästerung finden – dagegen finde ich bei Ihnen, die sich so gern als Deutscheste der Deutschen bezeichnen, eine geradezu hanebüchene Unkenntnis deutscher Volksbräuche. Denn das Gedicht „Die Heiligen Drei Könige“ bezieht sich gar nicht, wie von Ihnen wohl angenommen, auf die drei Weisen aus dem Morgenland, sondern auf einen am Heiligendreikönigtag in vielen Gegenden Deutschlands geüb­ten Brauch: da ziehen nämlich, als Heilige Drei Könige ka­rikaturistisch kostümiert, drei Burschen im Dorf herum, um mit mehr oder weniger ruppigen Versen bei den Bauern Bier und Schnaps zu schnorren. Diese Verse sind derb, frech, wit­zig – aber gotteslästerlich?

Du lieber Gott! Ich glaube, du hast deine rechte, recht göttliche Freude an ihnen. Denn du bist ja kein nationalsozialistischer Abgeordneter. Du hast ja sogar den Teufel geschaffen, weil dir in deiner ewigen Güte gar nicht wohl war und du eine Art Gegengewicht brauch­test. Ja, ohne den Teufel wärst du eigentlich gar nicht denk­bar, gar nicht vorstellbar. Gott und Teufel, Tag und Nacht, Mann und Weib – eines wird erst am andern, an seinem Ge­gensatz recht sichtbar. Wie ja auch die Nationalsozialistische Freiheitspartei notwendig ist, damit man sieht, dass es auch ge­scheite Leute auf der Welt gibt.

Diese, wozu hoffentlich auch der Staatsanwalt gehört, mögen der Partei klarmachen, so­fern man den Dunklen etwas klarmachen kann: dass, wenn ein zwar derbes, aber harmloses Gedicht wie „Die Heiligen Drei Könige“ eine Gotteslästerung sein soll (was dem einen sein Gott, ist dem andern dem Teufel), Goethes „Faust“ von Gottes­lästerungen nur so strotzt, dass Goethe auch ein Gedicht von den Heiligen Drei Königen geschrieben hat, „Epiphanias“ beti­telt, das für den Antrag auf Gotteslästerung vielleicht noch in Betracht kommt.

Neben Goethe auf der Anklagebank zu sitzen, würde sich zu einfach besonderen Ehre schätzen

Ihr ergebener Klabund

Nachschrift

Um Weiterungen vorzubeugen: ich bin kein Jude! Ich habe keine jüdische Großmutter! Ich bin auch kein Mischling! Ich heiße nicht Krakauer und bin auch nicht aus Lemberg. Ich heiße schlicht mit bürgerlichem Namen Alfred Henschke. Und mein Großvater hat als Erzieher des ehemaligen Kai­sers sein Bestes dazu beigetragen, dass wir den Krieg verloren, aber statt dessen die Nationalsozialistische Freiheitspartei ge­wonnen haben* Das nächste Mal wird es uns hoffentlich umgekehrt gehen.

„Die antisemitischen Publikationen hält er für nur kurios, parodiert sie denn auch „knallfredisch“, schreibt Guido von Kaulla und die folgenden Zeilen von Klabund sind dann ein weiterer Beweis für seine Fehleinschätzungen – „Eine Gefahr scheint ihm nicht im Herannahen — und ebenso Millionen an­deren nicht“ (Guido von Kaulla).

Klabund:

„… Es wäre ein Irrtum, anzunehmen, Christus sei Jude gewesen. Diese unwahre Tendenzmeldung, die den Stempel der Lüge schon an der Stirn trägt, ist von interessierter jüdischer Seite geflissentlich verbreitet worden. Christus hieß Krischan und war seinerzeit als Hilfsmelker in einer ostpreußischen Molkerei Stallupönens ange­stellt. Wir verdanken diese lichtvolle Entdeckung, die auf gewisse Zeiterscheinungen einen grellen Schlagschatten wirft, dem bekannten Rassenforscher und Antisemiten Lizentiat Kohn, dessen Name auf immerdar im Walhall deutscher Geister leuch­ten wird, wenn diese Erde längst ein Staub der Asche geworden. Der Sammelruf Kohns zur deutschen Einheitsfront darf nicht ungehört verhallen. Front gemacht, heißt es, wider welsche und mosaische   Verdrehungskünste.   Lizentiat   Kohns gediegene Schrift betitelt sich: „Christus – Krischna – Krischan“ und ist im Hakenkreuzverlag, Schrimm 1923, erschienen.“

Matthias Wegner sieht meine „Fehleinschätzungen“ und Klabunds politische Einstellung etwas anders, er schreibt:

„… Klabunds Einstellung gegenüber den revolutionären Zuständen im Nachkriegsdeutschland blieb zwiespältig. Er fühlte sich trotz mancher Sympathien für einige Revolutionäre keiner Partei und keiner Ideologie verpflichtet, doch war seine Witterung für die Gefahren von rechts und seine Abscheu vor jeder Art von Antisemitismus inzwischen aufs Äußerste verfeinert. Allein seine später von Hanns Eisler vertonte und von Ernst Busch grandios gesungene „Ballade des Vergessens“, in der er die Vorboten eines neuen Krieges eindringlich beschwor, besticht durch die Vorausahnung des Kommenden. Anders als etwa Kurt Tucholsky oder Walter Mehring gehörte Klabund dennoch nicht zur politischen Linken. Er sah sich auf Seiten der Schwachen und Machtlosen, als Einzelgänger. Parteiprogramme blieben ihm fremd, er empfand sich als Poet und emphatischen, (neu‘)romantischen Verkünder allumfassender Menschen- und Naturliebe.“

Einspruch, Klabund beschäftigte sich sicher nicht besonders mit den Programmen der „Rechten“, wenn doch, dann wie schon geschildert. Deren krude Vorstellungen z.B. des Antisemitismus und eine folgende Umsetzung waren unvorstellbar. Das heißt nicht, dass Antisemitismus unbedeutend war im Kaiserreich und der Weimarer Republik, aber diesen auf so eine extreme Spitze zu treiben wäre nicht möglich gewesen. Erinnert sei an den gerade verlorenen Krieg, in dem die jüdische Bevölkerung zahllose Opfer gebracht hatte. Und erinnern möchte ich daran, dass jüdische „Frontkämpfer“ eine Verfolgung im III. Reich als nicht gegeben sahen.

Ganz anders aber sah es mit den Programmen der „Linken“ aus – mit denen hatte sich Klabund sehr wohl beschäftigt. Einerseits weil er in „diesen Kreisen“ verkehrte und andererseits hätte er diese sicher nie gewählt, wenn er nicht gewusst hätte, auf was er sich einließ.

Briefe an seinen Schwiegervater zeugen von diesem Interesse. Bereits am 16. Januar 1919 schreibt er aus Locarno-Monti:

„… Lieber Vater,

ich sandte Dir die gesamte Bolschewikiliteratur aus meinem Besitz. Da sie zum Teil verboten, zum Teil überhaupt nicht mehr aufzutreiben ist, bitte ich Dich, sie mir auf­zuheben: ich gedenke nämlich, sobald ich zur Ruhe komme, eine kleine „Psychologie des Bolschewismus“« zu schreiben und benötige dafür die Schriften. Bitte quittiere mir ihre Ankunft. Ich sandte Dir:

Lenin u. Trotzki, Krieg und Revolution
Trotzki, Von der Oktoberrevolution bis zum Brester Frieden
Trotzki, Arbeit und Disziplin werden die Sowjetmacht retten
Lenin,  Der Kampf ums Brot
Lenin, Der Kampf um die Sowjetmacht
Viator, Die äußere Lage Russlands
Tschitscherin, Der rote und der weiße Terror
Kossowski, Um den Bolschewismus
Burzew, Seid verflucht Ihr Bolschewiki
Erlebnisse der Russlandschweizer in Russland

Seitdem die Sowjetmission aus Bern ausgewiesen ist, hat auch ihr Verlag (Promachos) aufgehört. Die Bücher haben also schon ungeahnt schnell nicht nur effektiven sondern auch bibliophilen Wert erlangt. Ich sende Dir nun noch das anarchokommunistische Programm Kropotkin’s (der von den Bolschewiki ermordet sein soll); er ist noch weiter links als die Bolschewiki, soweit ich bis jetzt urteilen kann.

Die letzte zusammenhängende Schrift Lenins, ein ganzes Buch, das sein System enthält: „Staat und Revolution“ war grade angekündigt, als die Berner Mission hinaus musste. Es wäre wohl das Interessanteste gewesen: Lenin hat sich im Lauf des Jahres nach rechts entwickelt. (Eine naturgeschichtliche Notwendigkeit: jede Regierung wird nach und nach konservativ.) – Schade, dass ich bei der Sitzung, wo Unterleitner sprach, nicht dabei war. Ich habe mit großem Interesse Deine Ausführungen gelesen … vielleicht hätte ich auch zum Wort gegriffen. (Vermutlich würde ich zu abstrakt sprechen für das Publikum.) – Übrigens ist das Spartacusprogramm im Druck erschienen mit Gegenargumenten im Verlag von Hermann Bousset, Verlag der Jugendlese Berlin S.W. 61. – Eure Mithilfe bei meinem Bücherkatalog ist mir erwünscht: ich sende Euch mein „Arbeitsprogramm“ und Ihr werdet sehen, dass Euch auch einiges zu helfen möglich ist.“

Und vom 4. März 1919 ist ein Brief an den Verleger Gerhard Merian erhalten:

„… Sehr geehrter Herr Merian,

ich möchte auf Ihren Brief einiges erwidern.

Die internationale Idee der Humanität, die Idee des Völkerbundes usw. kann gar nicht dadurch entweiht werden, dass sie von einer kapitalistisch-imperialistischen Sippe heuchlerisch interpretiert wird. Wie diese Idee Deutschland zerschlagen hat, so wird auch die Entente mit unfehlbarer Sicherheit daran krepieren.

Es ist bedauerlich, dass das deutsche Bürgertum, nachdem es 4 Jahre lang belogen worden ist, noch immer weiter von seiner „sozialistischen“ Regierung und ihrer Presse belogen wird. Niemals ist eine bösartigere und verlogenere Kampagne geführt worden als z. B. gegen Eisner, diesen wahrhaft reinen und guten Menschen und Politi­ker. Nicht Eisner, sondern die Hetze gegen ihn hat dem deutschen Ansehen wieder einen schweren Stoß versetzt.

Der Auslanddeutsche hat die Möglichkeit einer Regierung Scheidemann etc. nie begriffen. Dass sie Tatsache werden konnte, ohne dass das Volk dagegen in seiner Gesamtheit rebellierte, beweist, wie im Unklaren man in Deutschland ist, erstens über die Leute um Scheidemann, zweitens über die Stimmung der gesamten übrigen auch sozialistischen Welt.

Die Politik der Proteste wegen Vergewaltigung etc. ist vollkommen verfehlt. Das deutsche Volk weiß bis heute noch nicht, was für Ungeheuerlichkeiten das alte Regime im Namen Deutschlands auf sich geladen hat. (Zu dem Ungeheuerlichsten gehört die Mitschuld und das Mitwissen um die Armeniermetzeleien, die 2 Millionen Menschen eines alten Kulturvolkes hingeschlachtet haben.) Protestieren darf nur der, der bereit ist, die gleichen Forderungen an sich selber zu richten.

Je toller die Entente es treibt, umso schneller wird sie zusammenbrechen. Der Friede wird entweder ein sozialistischer Friede sein – oder er wird nicht sein.

Ich will Ihnen einige Namen nennen (Ich habe im November 18 versucht, in der deutschen Presse darauf hinzuweisen und den Vorschlag gemacht, aus ihnen die Friedensdelegation zu wählen. Die Presse hat meinen Vorschlag refüsiert, dumm wie immer.), die Deutschlands Ansehen in der Welt gefördert und gehalten haben: Lichnowsky, Foerster, Eisner, Muehlon, Harden, H. Mann, Bernstein, Schlieben.

Ihr ergebener Klabund“

Und auch an Irene Heberle endet ein Brief mit den Zeilen: „Es scheint die Zeit zu nahen, dass man sich ernsthaft die Frage vorlegt, ob man nicht trotz aller prinzipiellen Unterschiede, die einen vom offiziellen Parteiprogramm der KPD trennen, aus Gründen des revolutionären Protestes zu Spartakus übertreten soll. Euer Fred“

Geht es noch klarer? Und ich erinnere mich, dass im Deutschen Bundestag die so genannte „Armenien-Resolution“ am 2. Juni 2016 mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung endlich verabschiedet wurde. Dieser Völkermord, an dem das Kaiserreich eine Mitschuld trug, wurde von Klabund vor 99 Jahren thematisiert.

„Zürich, Elitehotel, 28. Juni 1919

Liebe Mutter,

ich bin für einige Tage in Zürich. Ein Leipziger Verleger hatte mir nach Locarno telegrafiert, dass er mich sprechen wolle. Gegen Ersatz der Reisespesen bin ich dann hierhergefahren und wir haben zusammen konferiert. Es handelt sich um laufende Mitarbeit an einer Serienbücherei für Volksaufklärung im politischen, wirtschaftlichen, literarischen Sinne. Ich werde wahrscheinlich eine „Deutsche Literaturgeschichte“ für ihn schreiben. Außerdem vielleicht eine Kinderbibel (die Bibel für Kinder im Alter von 10-13 Jahren). Das sind Aufgaben, die mich gewiss locken. Aber Zeit Zeit Zeit! – (…)

Ich fahre morgen wieder nach Locarno zurück. Die Großstadt ermüdet mich. Wenn ich überhaupt all das erledigen soll, was ich bis zum Winter machen müsste, muss ich (wenigstens) den Dreizehnstundentag bei mir einführen. – Der „Friede“ ist gestern unterzeichnet worden. Kein Mensch hat sich hier drum gekümmert: in dem richtigen Gefühl, dass dieser „Friede“ nicht einmal eine Etappe auf dem Leidenswege bedeutet, den wir beschritten haben. – Die vielen Unruhen in Deutschland sind alles spontane lokalistische Aktionen: ich sehe das ganz deutlich. Sie schaden der wirklichen revolutionären Bewegung nur: aber die Massen, unterernährt und fanatisch erregt, gehorchen ihren Führern nicht mehr: den Mehrheitssozialisten und Unabhängigen längst nicht mehr, aber auch nicht mehr den Spartacusführern. Seid beide umarmt von Eurem Fred“

Der Friedensvertrag von Versailles wurde am 28. Juni 1919 unterzeichnet.

Aus Wikipedia:

„… Die Kant-Gesellschaft e. V. ist eine wissenschaftliche Gesellschaft, die 1904, zu Immanuel Kants 100. Todestag, von Hans Vaihinger in Halle gegründet wurde. Zweck der Gesellschaft ist die Förderung und Verbreitung des Studiums der Kantischen Philosophie.

Dazu gibt sie die 1896 ebenfalls von Hans Vaihinger gegründete Zeitschrift Kant-Studien und deren Ergänzungshefte heraus. Außerdem organisiert sie alle fünf Jahre einen Kongress und veranstaltet ein umfangreiches Vortragsprogramm.

Im Laufe der drei ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Gesellschaft zu einer der einflussreichsten und mitgliederstärksten philosophischen Gesellschaften der Welt. 1938 wurde sie aufgelöst, die Kant-Studien erschienen jedoch noch bis 1944 (herausgegeben von Kurt Metzners Pan-Verlag) und ab 1953 wieder unter der Herausgeberschaft von Gottfried Martin. 1969 erfolgte durch ihn auch die Neugründung der Kant-Gesellschaft in Bonn. Sie setzt laut Satzung „die Arbeit der nicht mehr existierenden alten Kant-Gesellschaft e. V. Halle… fort“.

Wikipedia:

„… Hans Vaihinger (* 25. September 1852 in Nehren bei Tübingen; † 18. Dezember 1933 in Halle (Saale)) war ein deutscher Philosoph und Kant-Forscher. Im „Überweg“ wird Vaihingers Philosophie als „Idealistisch-pragmatischer Positivismus“ unter einer eigenen, vom Neukantianismus abgegrenzten Rubrik behandelt.“

„Ich bin Mitglied von allerlei Gesellschaften geworden, darunter der Kantgesellschaft, lebhaft applaudiert von Vaihinger, ihrem Vorsitzenden, dem Als-ob-Phänomenologen. Den ersten anti-kantianischen Aufsatz habe ich schon publiziert, betitelt: „Laotse und die Kantgesellschaft“, schreibt Fredi am 16, Februar 1920 an Ernst Levy. Und diese Kant-Gesellschaft, die es heute noch mit Sitz in Bonn gibt, zählte wahrhaftig nicht zum „rechten Spektrum“.

In der „Weltbühne“ startet eine Kampagne „Meidet Bayern!“: als Reaktion auf zunehmende Schi­kanen gegen Reisende – vor allem – Juden, in Bayern. Der erste Artikel der Serie, verfasst von Kurt Tucholsky alias Ignaz Wrobel, erschien am 27. Januar 1921. Und Klabund schreibt nach Passau: „Liebe Mutter, Die Münchner werden unerträglicher von Jahr zu Jahr. (Wohl unter dem Einfluss der „Münchner Neuesten“, die ich ohne Einschränkung das unsauberste, unanständigste Blatt nennen möchte, das in Deutschland erscheint. Der „Völkische Beobachter“ ist eine reinliche Angelegenheit dagegen. Wer nur die „Neuesten“ liest, muss verblödet und verhetzt werden.)

Alfred Henschke war ein gläubiger Mensch – kein Wunder bei der mütterlichen Familie mit vielen Pfarrern – aber als heftige Kritik an der Kirche – der katholischen Kirche – verstehe ich seine Erzählung des „Kinderkreuzzug“. Darin heißt es:

„… Ich rufe dich zum Kreuzzug gegen alle Laster, gegen Trägheit, Lüge, Mord, Neid, Bösheit. Nimm den Heerruf der Kreuzfahrer in deiner Seele auf: Herr Gott, erhöhe die Christenheit! Stoß in den Abgrund die Heiden! Herr Gott, gib uns das wahre Kreuz wieder!-

Der Engel löste sich im Nebel auf, den die Morgensonne durchbrach. Die Hunde bellten. Der Leitbock schnupperte und senkte die Hörner. Ich trieb die Tiere auf die Weide, schnitzte mir aus Weidenholz eine Flöte und blies ein lustiges Lied in den Junimorgen des Jahres 1212.“

Wann Klabund den „Kinderkreuzzug“ schrieb, ist für mich nicht genau klärbar. „Zu finden ist er im Band 8 Aufsätze und verstreute Prosa. – Berlin: Elfenbein Verlag, 2003. Dort wird auf das „Lesebuch. Vers und Prosa“ (Copyright-Vermerk von 1926, tatsächlich aber Ende 1925 erschienen) verwiesen, dem der Text entnommen wurde. Enthalten sind laut Quellenhinweis im Anhang jedenfalls Texte, die zwischen ca. 1908 und 1925 entstanden“, schreibt man mir aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach.

Klabunds „Kinderkreuzzug basiert auf einer wohl wahren Geschichte. Wikipedia schreibt dazu:

„… Der Kinderkreuzzug (lateinisch peregrinatio puerorum) war ein Ereignis, bei dem im Frühsommer des Jahres 1212 Tausende von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen aus Deutschland und aus Frankreich unter der Leitung visionärer Knaben zu einem unbewaffneten Kreuzzug ins Heilige Land aufbrachen. Der Zug scheint sich bereits an den Ufern des italienischen Mittelmeeres aufgelöst zu haben.

Der Name Kinderkreuzzug ist eine Übersetzung des in den Quellen oft verwendeten Begriffes peregrinatio puerorum. Sowohl peregrinatio (Kreuzzug) wie auch puer (Kind) lassen jedoch mehrere Deutungsmöglichkeiten zu. (…)

Die Teilnehmer des Kinderkreuzzugs waren nicht, wie der Name impliziert, ausschließlich Kinder, sondern zu einem großen Teil Jugendliche und Gruppen von Erwachsenen. Es handelte sich bei ihnen überwiegend um Angehörige niederer sozialer Schichten.

Eventuell beruht die Vorstellung eines Kinderkreuzzuges auf einem sprachlichen Missverständnis. Das lateinische Wort „puer“ kann nicht nur als „Kind“ oder „Knabe“ übersetzt werden, sondern auch als „Knecht“. Damit waren vor allem jüngste Kinder von Bauernfamilien bezeichnet, die oft höchstens eine Arbeit als Hirten oder Taglöhner fanden und so eine arme ländliche Unterschicht bildeten. Diese Interpretation des Namens ist von mehreren neueren Forschungen zum Teil bestätigt worden.

Andere Forscher weisen auf eine Bedeutungsverschiebung des Begriffes puer hin, die im 13. Jahrhundert eingesetzt hatte und in Beziehung zu der neuentstandenen freiwilligen Armutsbewegung steht.

Weniger umstritten als der Begriff Kind ist die Bezeichnung Kreuzzug. Der Begriff Kreuzzug wird im Deutschen erst ab dem 17. Jahrhundert verwendet. In den Quellen zum Kinderkreuzzug werden die Begriffe peregrinatio (Pilgerfahrt), iter (Weg) und expeditio (Feldzug) verwendet.

Diese Begriffe mit der Angabe des Zieles Jerusalem und dem Hinweis auf das Tragen des Kreuzzeichens (crucisignati) ist durchaus die gängige zeitgenössische Bezeichnung für Kreuzzug. Obwohl die Teilnehmer des Kinderkreuzzuges unbewaffnet waren und kein päpstlicher Kreuzzugsaufruf vorhergegangen war, wird die Bezeichnung Kreuzzug in der Forschung als zutreffend betrachtet. (…)

Die Sagen- und Legendenbildung zum Kinderkreuzzug hat schon sehr früh eingesetzt. In dieser Hinsicht sind vor allem drei Chronisten aus dem dreizehnten Jahrhundert von Bedeutung. Es handelt sich um Alberich von Trois-Fontaines, Matthäus Paris und Vinzenz von Beauvais. Ihre Berichte zum Kinderkreuzzug sind sehr mythenumwoben und wurden in der späteren Historiographie stark rezipiert. Da sie als „Zeitzeugen“ gelten, wurden ihre Einträge bis weit ins 19. Jahrhundert als glaubwürdig betrachtet und oft unbesehen kopiert.

Nach Alberich zog der Kreuzzug der kleinen Kinder (expeditio infantium) von Vendôme nach Paris. Als sie zu 30.000 zusammen waren, zogen sie nach Marseille, um das Meer zu überqueren und gegen die Sarazenen zu kämpfen. Die Kinder seien von zwei schlechtgesinnten Kaufleuten und Kapitänen, Hugo Ferreus („der Eiserne“) und Wilhelm Porcus („das Schwein“), auf sieben große Schiffe gelockt worden. Nach zwei Tagen seien sie in einen Sturm geraten und zwei der Schiffe seien vor Sardinien gesunken. Papst Gregor IX. (1227–1241) habe später diesen Kindern zu Ehren eine Kirche der Neuen Unschuldigen auf der Insel San Pietro gestiftet. Die restlichen fünf Schiffe seien nach Bejaia und Alexandria weitergefahren, wo die Kinder den Sarazenen als Sklaven verkauft worden seien. Unter diesen Sklaven hätten sich auch vierhundert Kleriker befunden. Nicht genug, noch im selben Jahr seien die Kinder weiter nach Bagdad verkauft worden, wo achtzehn von ihnen als Märtyrer gestorben seien. Achtzehn Jahre nach dem Kinderkreuzzug (1230) hätten sich immer noch siebenhundert Kinder, jetzt im Mannesalter, als Sklaven in Alexandria befunden.“

In „Die Welt“ erscheint am 22. August 2003 ein Artikel – „Hippies, Sklaven oder Bettler“ Die Ahnen der Kindersoldaten? Neue Studien versuchen, die mittelalterlichen „Kinderkreuzzüge“ zu entschlüsseln.

Der Autor Philipp Haibach verknüpft diese Kinder mit den heutigen Kindersoldaten und schreibt:

„… Der Zynismus der Erwachsenen liest sich heute in einem anderem Licht: 300 000 Kinder werden nach Angaben von Unicef weltweit als Kämpfer missbraucht. Liberia, Burundi, Kongo, Somalia, die Philippinen Sri Lanka, Uganda, Sudan heißen die Länder, die ihre Kinder zum Morden zwingen. Doch was wie eine grausige Entwicklung des dritten Jahrtausends erscheint, hat uralte Wurzeln, die immer wieder mörderische Blüten hervorbrachten. Zum Beispiel die „Kinderkreuzzüge“. Die Quellen sind dünn. Wenige Zeilen finden sich im fast 10 000 Seiten umfassenden „Lexikon des Mittelalters“. (…) Die greifbaren Fakten sind schnell referiert: 1212 sammelten sich im Rheinland und in Frankreich Tausende von Kindern, um nach Palästina zu ziehen. Aus Deutschland sollen sich 25 000, aus Frankreich etwa 30 000 Kinder auf den Weg gemacht haben, um mit friedlichen Mitteln das Heilige Grab befreien, das die Kreuzfahrer längst an die Muslime verloren hatten. (…)

Und viele schafften es sogar in die italienischen und französischen Häfen. Über ihr weiteres Schicksal ranken sich die Mythen: Gelangte überhaupt ein einziger nach Jerusalem oder ereilte die wenigen Überlebenden das Schicksal der bei früheren Kreuzzügen mitgezogenen „Armen“: Sklaverei, Vergewaltigung und Prostitution? (…)

Die zentrale Frage bleibt bis heute ungeklärt. Was trieb die jungen Menschen an, in ihr Verderben zu rennen? (…)

Der Sachbuchautor Thomas Ritter (…) vermutet die Macht eines geistlichen Ordens hinter den Kinderkreuzzügen. Darauf deute der gleichzeitige Beginn der Kreuzzugspredigten in Frankreich und Deutschland hin.

In seinem (…) Buch „Im Namen des Herrn – Die Kinderkreuzzüge im Jahr 1212“ (…) schließt Ritter sogar den Einfluss aus Rom nicht aus, wo man bestrebt war, etwas gegen die „Kreuzzugsmüdigkeit“ zu tun.“

Nationalsozialismus

Immer noch ist in einigen Veröffentlichungen zu lesen, auch Klabund sei der Bücherverbrennung der Nazis zum Opfer gefallen. Es wäre eine Ehre gewesen, aber diese Behauptung stimmt nicht.

Guido von Kaulla schreibt:

„… Als 1933 die NSDAP zur Macht gelangt, gehören aber keineswegs Klabunds Bücher zu den Opfern der Bücherver­brennungen, denn nur lebende — weiterhin produzierende – Autoren sollten durch diesen Bücher-Flammentod gebrand­markt werden. Keineswegs also waren seine Bücher als solche auf dem Index der verbotenen Bücher.

Er gerät nur dadurch buchhändlerisch ins Hintertreffen, dass auch seine Werke, so­weit sie in einem „unerwünschten“ Wiener Verlag erschienen und erscheinen („Borgia“, „Rasputin“, die zusammengefasste „Literaturgeschichte“, die „Gesammelten Werke“) eben des­wegen automatisch im „Altreich“ keine buchhändlerische Ver­breitung mehr erfahren.

Im „Verzeichnis der Schriften, die 1933 bis 1945 nicht angezeigt werden durften“ (Ergänzung 1 der Deutschen Nationalbibliographie. Leipzig. 1949) ist Klabund nicht genannt. In dem Verzeichnis der polizeilich beschlag­nahmten und eingezogenen sowie der für Leihbüchereien ver­botenen Druckschriften^ herausgegeben von der Bayerischen Politischen Polizei, ist Klabund denn auch nur mit den Buch­titeln des „nichtarischen“ Verlages enthalten. In der „Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“, herausgegeben von der Reichsschrifttumskammer (mit dem maßgebenden Stand vom Oktober 1935) ist Klabund sogar nur mit dem „Borgia“-Roman vertreten. „Reichsdeutsche“ Verlage, die noch vertragsgemäß Klabundiana im Angebot haben (Insel, Heyder, Reclam) dürfen weiterhin ausliefern.

Klabunds Mutter schreibt denn auch am 20. 8. 1942 an den Biographen: „Es wird Sie gewiss interessieren, dass hier in der Buchhandlung von R. Zeidler die Klabund-Bücher (mit Ausnahme von dem Roman Borgia) wieder ausliegen und verkauft werden dürfen.“

Wenn also damals in manchen öffentlichen Bibliotheken auch andere – zuweilen auch: alle – Klabund-Werke mit dem Stempel „Sekretiert“ versehen und damit aus dem Bibliotheks-Verkehr gezogen wurden, so hat das seine Ursache gehabt teils in 150-prozentigem Bonzentum und teils in der List von Bibliothekaren, die so diese Bücher vor gesetzlosem Zugriff schützen und zugleich für die Zeiten aufheben wollten, in denen der braune Spuk zu Ende sein würde. Mit Erfolg.“

Matthias Wegner:

„… Zwar findet sich der Name Klabund noch nicht auf den „Schwarzen Listen“ der Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933, aber 1935 tauchen der Autor und sein Roman Borgia erstmals in einer von der Reichsschrifttumskammer herausgegebenen „Liste 1 des schädlichen und unerwünschten Schrifttums“ auf. Im „Verzeichnis Jüdischer Autoren“ des „Amtes Schrifttumspflege bei dem Beauftragten des Führers für die gesamte geistige und weltanschauliche Erziehung der NSDAP und der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ von 1943 wird Klabund als jüdischer Autor stigmatisiert und im gleichen Jahr mit mehreren Titeln in der „Bibliothek der Antijüdischen Aktion“ genannt. Da zudem die Werkausgabe wie zu Lebzeiten auch einige seiner mehr als siebzig Bücher in einem als „nichtarisch“ etikettierten Wiener Verlag erschienen war, war ihre Verbreitung bis 1945 so gut wie unmöglich. Und zu den Verdrängungsmechanismen der Jahre danach passte Klabunds sowohl emphatisch elegische als auch ironisch freche Dichtung eben so wenig wie die vieler einstmals gefeierter und dann vertriebener Dichtergrößen der Weimarer Republik.“

Wäre es nach dem Willen der „Braunen Machthaber“ gegangen, hätte man die Spuren dieses „Jüdischen Dichters“ doch vernichtet. Es bestanden Pläne das Ehrengrab in Crossen einzuebnen. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Einen Grund habe ich in der Familiengeschichte der Henschkes schon beschrieben: Am 24. November 1936 stirbt Dr. Alfred Henschke. Er wurde neben seinem Sohn begraben und diese beiden Gräber ließen die „Nazis“ in Ruhe, der Respekt vor seiner Persönlichkeit in der Stadt war Schutz genug.

Das Grab gibt es nicht mehr, der Bergfriedhof wurde zerstört, als die neuen Machthaber rechts der Oder die Stadt übernahmen. Aber man findet Fredi wieder in Krosno Odrzanskie – in einem Park sitzt er auf einer Bank und …. liest, aber er schreibt nicht mehr.

Wenn andere sich mit meinem Tun befassen,
Dann sieht der eine Schatten und der andere Licht,
Der hält gerecht, der ungerecht Gericht.
Man soll mich lieben oder soll mich hassen –
Ein Drittes will ich nicht.